Der Parkhausfinne Band 4 - Waltraud Batz - E-Book

Der Parkhausfinne Band 4 E-Book

Waltraud Batz

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Beschreibung

Weiter geht es im hohen Norden. Bärbel muss fast alles allein regeln, auch ihre Auswilderung nach Finnland, da Teemu mit Terminen nur so überschüttet wird und mehr in Deutschland verweilt als sie selbst. Ihr finnischer Freund ist allerdings nicht nur vielbeschäftigt, sondern auch vergesslich und schickt Bärbel allein in den finnischen Wald. Als sie dann auch noch aufgebrezelt mit zu einer Benefizgala muss, passt ihr das so gar nicht, aber was tut man nicht alles für eine fluffige, finnische Zukunft.

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Seitenzahl: 427

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Der Parkhausfinne Band 4

Kapitel 1 Wladimirs Abgang

Kapitel 2 Bärbel packt ihr Leben ein

Kapitel 3 Achtung, Ostsee! Bärbel kommt!

Kapitel 4 Tschöö Deutschland, machs gut!

Kapitel 5 Hanni trifft Janni und Teemu zertritt fast ein Gürteltier

Kapitel 6 Der finnische Bub ist müde

Kapitel 7 Bärbel wird ins kalte Wasser geworfen

Kapitel 8 Killer-Teemu ist unterwegs

Kapitel 9 Artgerechte Haltung ist wichtig!

Kapitel 10 Grönland, Finnland, Eskimos!

Kapitel 11 Mein Freund, der Baum

Kapitel 12 Teemu, Arttu und der Wolkenbruch

Kapitel 13 Weihnachten kann kommen!

Kapitel 14 Bärbel trifft Luukas

Kapitel 15 Kaum ist der Finne aus dem Haus, geht die Post ab

Kapitel 16 Toppi kommt

Kapitel 17 Hauskauf ohne Susi Sonnenschein

Kapitel 18 Teemu am Limit

Kapitel 19 Fische statt Kleider

Kapitel 20 Bärbel in den Fängen der Modemafia

Kapitel 21 Bärbel wird verpackt

Kapitel 22 Jetzt wirds ernst!

Kapitel 23 In der Oper gehts ab!

Kapitel 24 Wieder frei!

Kapitel 25 Immer, wenn der Finne weg ist!

Kapitel 26 Luukas übergibt die zehn Gebote

Kapitel 27 Frau, kauf einen Kühlschrank!

Kapitel 28 Bärbel im Baumarkt, reloaded

Kapitel 29 Und noch mehr Déjà vus…

Kapitel 30 Möbelaufbaufreuden und weitere Überraschungen

Kapitel 31 Endlich da und schon wieder weg

Kapitel 32 Finnischer Weltuntergang

Kapitel 33 Dramen, Dramen, Dramen

Kapitel 34 Deutscher Überraschungsbesuch

Kapitel 35 Überraschungspartyfreitag!

Kapitel 36 Wasserterror und ein flotter Dreier

Kapitel 37 Jetzt sag schon!

Kapitel 38 Na endlich!

Kapitel 39 Idylle am See

Kapitel 40 Willste mit?

Kapitel 41 Börmu-Island voraus!

Kapitel 42 Börmusaari

Kapitel 43 Googlestalking mit Hanni

Kapitel 44 Finnisches Termingewirr

Kapitel 45 Finnischer Fellkaufrausch

Kapitel 46 Mal wieder daheim?

Kapitel 47 Rache ist süß

Kapitel 48 Ab in die Höhle des Löwen

Kapitel 49 Winter in Hellinski

Kapitel 50 Heidnische Finnen, oh nein!

Kapitel 51 Hannelores Überraschung

Kapitel 52 Schatz, kauf Grillkohle und Katzenstreu, ich lieg grad so gut!

Nachwort und Danksagungen

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Über das Buch

Weiter geht es im hohen Norden. Bärbel muss fast alles allein regeln, auch ihre Auswilderung nach Finnland, da Teemu mit Terminen nur so überschüttet wird und mehr in Deutschland verweilt als sie selbst.

Ihr finnischer Freund ist allerdings nicht nur vielbeschäftigt, sondern auch vergesslich und schickt Bärbel allein in den finnischen Wald.

Als sie dann auch noch aufgebrezelt mit zu einer Benefizgala muss, passt ihr das so gar nicht, aber was tut man nicht alles für eine fluffige, finnische Zukunft.

Ein humorvoller Roman für Finnland- und Tierfreunde

 

Band 4 der Reihe „Der Parkhausfinne“

 

 

Zeitliche Einordnung

Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2015.

 

 

Über die Autorin

1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.

Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gern, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln. Und Rentier. Lachs ist auch okay.

 

 

Waltraud Batz

 

 

Der Parkhausfinne

 

Band 4

 

 

Roman

 

1. Auflage 2025

 

Texte und Umschlag

© 2025 Claudia Wissemann

 

Sendeformat „Koch und weg“

© 2015 Claudia Wissemann

 

Verantwortlich

Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel

[email protected]

 

Druck

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Kapitel 1 Wladimirs Abgang

 

„Ja, Hannelore kann dann …“, setzte Bärbel an.

Ein lauter Schlag, gefolgt von einem hässlichen, knirschenden Geräusch drang von vor dem Haus an ihre und Teemus Ohren. Sogar Mopsdame Hellä bellte kurz, sprang dann auf und schaute verwirrt. Sie sah sich um, so, als ob sie ihren Notfallkoffer suchte, um sich schnell davonzumachen.

„Was war das?“ Teemu rannte fast in Richtung Haustür, Bärbel kam hinterher. Sie sah nur noch, wie er schnell seine Hausschuhe anzog und die Tür aufriss. Sie nahm geistesgegenwärtig den Schlüssel mit und folgte ihm auf die Treppe vors Haus.

Von oben sah man das Ausmaß der Katastrophe sehr gut. Wladimir, Bärbels treuer, dunkelgrüner Chevrolet Tahoe, hatte unten an der Einfahrt geparkt und der Mülllaster hatte wohl Wladimirs hintere Stoßstangenkante erwischt, ihn zur Seite gedreht und an der Mauer zerquetscht. Zumindest einseitig. Wladi hatte sich tapfer gewehrt, er war ja auch kein Leichtgewicht mit seinen gefühlt drei Tonnen Abtropfgewicht. So hing der Mülllaster nun halb über Wladimir und hatte sogar auch einige Schäden. Ein trauriger Anblick auf ganzer Linie.

Teemu war mittlerweile beim Fahrer, der schaute aus seiner Tür heraus nach unten und beide schrien sich irgendetwas Finnisches zu. Nicht böse, aber laut, einfach nur aufgrund der Entfernung.

Bärbel zog die Haustür hinter sich zu, genau vor der Nase von Hellä, die empört gnupfte, und ging zu Teemu. Der Fahrer kam nicht aus dem Müllwagen heraus, das ganze Führerhaus stand schräg.

Sie hatten sogar schon Zuschauer. Die Nachbarn hatten das Geräusch auch gehört und alle beobachteten still das Drama. Teemu und der Fahrer diskutierten erneut und der Fahrer telefonierte kurz. Teemu machte mit dem Handy ein paar Bilder.

Bärbel starrte auf ihren zerquetschten, russischen Freund. Ein paar Tränen konnte sie sich nicht verkneifen.

„Hey …“ Teemu kam zu ihr und umarmte sie. „Nicht weinen, ja? Er hat angerufen Polizei, wir warten.“

Der Fahrer blieb nach kurzer Rücksprache mit Teemu im Laster. Da der so schief hing, würde der Mann kaum wieder rein kommen, wenn er jetzt herausklettern würde.

 

Nach einer Viertelstunde war die Polizei da und Teemu und der Fahrer erklärten die Sachlage. Die Beamten mussten grinsen und erlaubten dann endlich, dass der Laster zurücksetzte und von Wladimir herunterfuhr. Es gab noch ein paar hässliche Geräusche und es rieselte einiges auf den Boden. Der Fahrer konnte nun auch aussteigen und gesellte sich zu der kleinen Gruppe.

Er schüttelte Bärbel die Hand und entschuldigte sich sehr höflich. Sie nickte nur und zuckte mit den Schultern, Teemu erklärte dann noch, dass Bärbel aus Deutschland sei und er bitte Englisch sprechen solle. Er konnte sogar ein bisschen Deutsch. „Ich tut leid, hab gesehen Auto, aber bin gehängt bleiben. Hat knirscht und dann dotz.“

Ja, dotz. Und knirsch auch noch. Menno! Der schöne Wladimir!

Die Polizei rief noch einen Abschlepper, nachdem die Formalitäten geklärt waren. Wladimir würde nie wieder irgendwo selbstständig hinfahren. Sie verabschiedeten sich und der Mülllasterfahrer kletterte wieder in sein Führerhaus und fuhr die Straße vorsichtig zurück, bis er wenden konnte und verschwand dann hinter der nächsten Kurve.

Bärbel stand nur da und starrte auf die Überreste ihres treuen Gefährten. Sie musste nun wirklich heulen. Eigentlich Quatsch, keinem war etwas passiert, außer Wladimir. Es war nur Blech, aber trotzdem! Teemu legte ihr mitfühlend einen Arm um die Schulter und zog sie dann in eine Umarmung.

Eine der hinteren Türen bekamen sie noch problemlos auf und Bärbel evakuierte alle persönlichen Sachen. Sie hatte sich so an den großen Kerl gewöhnt. Sie reichte die Sachen nach hinten zu Teemu, der sie sammelte und dann hoch ins Haus trug. Ein Kanister Frostschutzmittel, die unvermeidliche Autodecke, ein bisschen Kleinkram. Der Abschlepper kam recht schnell und zerrte das Wrack erst einmal aus der Straße auf die nächstgrößere Kreuzung, um ihn dann auf den Abschlepper aufzuladen. Teemu kam wieder vor das Haus, diesmal mit einem großen Besen und sie kehrten noch die ganzen Scherben und kleinen Bröckchen weg.

 

Bärbel starrte gedankenleer in ihre Tasse Kaffee und wärmte sich die Hände daran. Und jetzt? Sie würde es melden müssen im Büro. Bärbel spürte, wie Teemu ihr eine Hand auf den Rücken legte. „Alles gut?“

„Nein.“

„Hey, Börbell, nicht traurig sein. Ja?“ Sie bekam einen Kuss und Teemu drückte sie einmal fest. Sie schlang ihre Arme um ihn und kuschelte sich an ihn. Er hielt sie eine Weile lang fest.

„Börb, Mittwoch musst du zurück nach Deutschland, oder?“

„Ja.”

„Ich fahre dich ins Büro bis dahin oder du nimmst mein Auto. Wir kaufen dir ein Neues.“

Bärbel schnaubte mussmutig. Das klang so leicht. Er konnte ihr doch nicht einfach ein Auto kaufen.

„Du kannst dir was aussuchen, egal was. Wir können direkt los, wenn du magst, wenn du dann zurück bist aus Deutschland. Für immer.“

„Bärbel drückte ihn etwas fester. Für immer. Bald würde sie wirklich für immer und überhaupt hierher umsiedeln. Das war immer noch ein unbegreiflicher und sehr abstrakter Gedanke für sie.

„Teemu, das ist echt lieb von dir, aber du kannst mir doch nicht einfach ein Auto kaufen.“

„Warum nicht? Oder gibt Büro dir anderes Auto?“

„Weiß ich nicht.“

„Bringst du den Mustang mit hierher?“

„Ja, schon.“

Teemu gab Bärbel ein Küsschen in die Haare. „Für den Winter brauchst du ein größeres Auto, höher. Da war der Grüne super.“

„Ja. Aber ich kann das nicht zulassen, dass du mir einfach ein Auto kaufst, das ist viel zu viel.“

„Nichts ist zu viel. Das ist schon okay. Audi hat schöne größere Autos. Da wollte ich selbst mal schauen. Oder BMW. Ja, BMW. Noch besser.“

Bärbel sah Teemu an. „Teemu, wirklich, ich will nicht, dass du mir ein Auto kaufst, das könnte ich nie wieder gutmachen. BMW hat schöne Autos, ja, aber die kosten so viel, da kriegt man ein ganzes Haus für, oder vier kleinere Autos. Das ist einfach nicht richtig.”

„Ich kauf dir ein schönes neues, teures Auto. Und mir vielleicht auch noch eins.” Er grinste und sah aus, als ob er insgeheim schon Pläne machte, welche er direkt am Montag anschauen würde.

Bärbel nahm seine Hand. „Teemu … hör mir bitte mal zu und lass mich aussprechen, okay?“

Er nickte, war aber sichtlich nervös. Er rieb sich die Finger und blinzelte.

Bärbel räusperte sich und überlegte kurz. „Teemu, ich … nein. Ich muss anders anfangen. Teemu, ich bin es gewohnt, mein eigenes Geld zu verdienen und auszugeben. Ich tue mich wirklich schwer mit Geschenken. Vor allem mit Geschenken, die so viel kosten. Es ist für mich völlig in Ordnung, wenn du mal ein Essen bezahlst, oder Klamotten oder auch mal einen Flug oder so etwas. Oder Hellä.“

Hellä wedelte kurz mit dem Schwanz, als sie ihren Namen hörte und merkte, dass beide Menschen zu ihr herunterschauten. Da nichts weiter passierte, blieb sie auf Bärbels Fuß liegen.

„Aber Autos, Teemu, das ist zu viel. Ich hatte nie größere Summen an Geld, der Mustang ist das Teuerste, das ich jemals in meinem Leben gekauft habe und der ist noch nicht abbezahlt. Ich … fühle mich schlecht genug, weil ich hier nicht mehr beitragen kann.“ Bärbel standen jetzt die Tränen in den Augen.

Teemu setzte sich auf und sah sie an. Dann küsste er sie in die Haare. „Warte hier, bitte.“ Er verschwand nach oben und kam mit einem Zettel in der Hand wieder. Er setzte sich neben sie und atmete durch.

„Börb, Ich verstehe dich. Und ich verstehe dich, dass du Angst hast vor der Zukunft, und du jetzt nervös bist wegen der Auswanderung und allem. Und, dass du es nicht gewöhnt bist, dass es geldmäßig eben nicht so knapp ist, und das ist was Gutes. Als ich Kind war, hatten wir nie viel Geld, ich kenne die Probleme. Und jetzt läuft es eben gut mit der Band und allem. Und ich genieße das, dass ich eben kaufen kann, was ich will. Und ich will seit einiger Zeit schon ein Winterauto haben, ein höheres. Dann kaufe ich eben einfach eins und du fährst es mit.“

Er fuhr sich nervös mit den Fingern durch die Haare, man merkte, dass er unter Strom stand. Er gab ihr den Zettel rüber, den er immer noch in der Hand hielt. „Das hier ist mein letzter Bankauszug. Ich zeige das normalerweise nicht herum, aber du hast ein Recht darauf, es zu wissen. Du bist immerhin meine Partnerin und wir wohnen zusammen hier. Und ich vertraue dir.“

Bärbel war überrumpelt, aber nahm das Blatt Papier und schaute drauf. Oh mein Gott.

„Verstehst du mich jetzt?“ Teemu sah Bärbel an. Sie nickte und gab ihm den Zettel zurück. Er nahm ihn und brachte ihn wieder hoch.

Mit Tiffy auf der Schulter kam er wieder ins Wohnzimmer und setzte sich neben Bärbel. Tiffy stieg um auf die Sofalehne und blieb dekorativ dort sitzen, den Schwanz ordentlich um sich gelegt. Teemu legte eine Hand auf Bärbels Knie. Sein Blick war verletztlich und abwartend.

Bärbel schnaufte. Er hatte heute schon so viel geschnauft, jetzt war sie mal dran. Sie nickte langsam und sah ihn dann an. „Das ist eine Menge, ja.“

Er lachte kurz. „Joo.“

Sie schmusten noch ein bisschen, bis ein Geräusch die Stille unterbrach. Bärbels Magen.

„Hunger?“

„Neiiiin.“

Teemu verpasste Bärbel einen Klaps an die Schulter. „Lass uns schauen, was wir im Kühlschrank haben.“ Er zog Bärbel mit hoch und sie schauten nach. Sie einigten sich auf Hamburger und da keine Hamburgerbrötchen da waren, fuhr Teemu kurz welche holen, er war davon nicht abzubringen. Wenn er schon kein Auto kaufen durfte für Bärbel, konnte er immerhin dafür sorgen, dass sie nicht verhungerte. Er verschwand mit Tiffy im Vorraum und Tiffy tauchte lustigerweise nicht mehr auf. Sie saß jetzt bestimmt wie ein Hund hinter der Eingangstür und wartete auf die Rückkehr des Messias.

 

Nach zehn Minuten piepste Bärbels Handy, Teemu hatte ein Bild aus dem Auto geschickt. Durch die Windschutzscheibe sah man den Supermarktparkplatz und rechts vom Lenkrad auf dem Armaturenbrett saß Tiffy und starrte in die Kamera. Hatte er jetzt echt die Katze im Auto mitgenommen zum Einkaufen!? Spaßvogel!

Sie schickte ein paar Smilies zurück. Wenn er schräg drauf war, konnte sie das auch. Ha! Moment! Sie schnitt den Umriss eines Schnurrbarts aus und hielt ihn vor einen der Fische im Aquarium, die sie immer noch nicht richtig auseinanderhalten konnte und fotografierte das Ganze.

 

Teemu hielt sein Wort und fuhr Bärbel in den nächsten Tagen hin, wo sie hinmusste, hauptsächlich ins Büro und zurück. Sie wusste ja, wo die Autoschlüssel waren, aber er schien es sehr ernst zu nehmen mit den Chauffeurdiensten.

Bärbel versuchte, sich auf ihren Job und auch den Finnischunterricht mit Rasmus zu konzentrieren, aber ihre Gedanken gingen immer wieder zu ihrer Auswilderung äh Auswanderung, die näher und näher rückte. Das würde interessant werden. Innerhalb einer Woche musste ihre Wohnung leer sein, zumindest stellte sie sich das so vor. Da musste sie richtig ranklotzen. Wenn es nicht ganz klappen würde, dann eben nicht, aber sie wollte zumindest alles verpackt haben. Sie hatte schon einige Freunde gefragt und zwei hatten zugesagt, Bärbels Kisten auch über einen längeren Zeitraum einzulagern. Hannelore auch. Das war prima. Sie würde erst mal nur das Zeug mitnehmen, was sie im Mustang transportieren konnte, und zusätzlich vielleicht ein paar Kisten per Kurierdienst nach Finnland schicken. Ihren Flug nach Deutschland hatte sie schon gebucht, der Weg nach Finnland würde gefühlsmäßig interessant werden, mit dem Auto nach Travemünde hoch und dann mit der Fähre nach Helsinki. Oha, die musste sie heute Abend mit Teemu zusammen buchen und da er sie unbedingt zahlen wollte, brauchte sie ihn dafür. Das wäre dann ihr Erstkontakt mit Teemus Kreditkarte. Sie hatten noch ein längeres Gespräch geführt über Finanzen, Kreditkarten und Geld im Allgemeinen und Besonderen.

Bärbels Blick richtete sich wieder auf die Finnischunterlagen vor ihr, aber ihre Gedanken hingen immer noch beim Unabhängigkeitskrieg mit ihrem Großhirn fest.

Bärbel beschloss hier und jetzt, diesen Krieg zu beenden. Ihre Unabhängigkeit war gesichert und nie in Gefahr gewesen. Sie hatte ihr eigenes Einkommen und sogar eine eigene Wohnung hier in Finnland. Das würde ihr niemand wegnehmen, auch nicht, wenn sie in Deutschland jetzt alles auflösen würde. Sie hatte und behielt die deutsche Staatsbürgerschaft und konnte jederzeit zurück. Aber sie wollte ja gar nicht zurück.

Bärbel stritt noch eine Weile mit sich selbst und gewann letztendlich den Gedankenkrieg. Mit Abstand sogar! Das hier war jetzt ihr Zuhause. Dieses Land, dieser Job und dieser blonde Kerl, der sie nachher wieder abholen würde. Die Sprache stellte sich noch ein bisschen quer, aber auch das klappte mittlerweile ganz gut. Berni und Rasmus kamen zurück vom Rauchen und nach einer weiteren Einheit war erst mal Mittagspause.

Er verabschiedete sich einige Zeit später von allen und Bärbel und Berni machten noch klar Schiff. Mit Rasmus klappte es immer besser, alle hatten sich nun aneinander gewöhnt und sogar Berni machte Fortschritte. Rasmus war nach eigenen Angaben schon in Verhandlungen über weitere Kurse, bzw. einen regelmäßigen Kurs an einigen Wochentagen. Gerade jetzt in der Anfangszeit war das wirklich hilfreich, wenn jemand da war, mit dem man aktuelle Sprachprobleme besprechen konnte. Und ein oder zweimal die Woche Unterricht würde allen guttun.

Und auch Hannelore würde nach Finnland zurückkehren, fast zeitgleich mit Bärbel. Zunächst befristet für mehrere Wochen oder gar Monate, je nachdem, wie es laufen würde. Bärbel hatte sich wahnsinnig gefreut, als Harri Hirsch bei ihr angefragt hatte, ob Hannelore in Bärbels Wohnung wohnen könnte. Bärbel freute sich sehr für sie und Hannelore war wirklich motiviert und hoffnungsvoll, dass auch sie sich hier oben im hohen Norden ein neues Leben aufbauen konnte, zumindest erstmal zeitweise. Auch der vierte Schreibtisch war mittlerweile fertig vorbereitet. Hannelore konnte kommen! Sie war mittlerweile schon eine gute Freundin für Bärbel und das tat einfach nur gut.

Nach dem Abendessen wurde es hektisch, Bärbel packte ihren Koffer für Deutschland. Sie nahm ihren größten Koffer mit, und packte noch den kleineren hinein, und Teemu gab ihr noch zwei große Reisetaschen mit.

Sie ließ sich aufs Sofa fallen. „Bereit?“, fragte Teemu und brachte ihr einen Kakao.

„Ja, glaub schon.“

Teemu lächelte stolz und sie sprachen noch einmal die kommende Woche durch. Sie würde am Freitag früh aufbrechen nach Travemünde, um spät abends auf die Fähre zu fahren, die nachts um drei ablegte. Den Samstag verbrachte sie dann auf der Ostsee und wäre Sonntag früh in Helsinki. Hannelore würde Sonntagmittag schon, nur wenige Stunden später, mit dem Flugzeug ankommen, Bärbel würde sie abholen und ihr die Wohnung übergeben für die nächste Zeit.

Kapitel 2 Bärbel packt ihr Leben ein

 

Mit einem komischen Gefühl im Bauch ging Bärbel durch die Sicherheitskontrolle am Frankfurter Flughafen, nachdem das Flugzeug gefühlt zehn Runden über dem Rhein-Main-Gebiet gekreist war.

Es war Bärbel wirklich schwer gefallen, jetzt nach Deutschland zurückzufliegen, aber es musste sein und als sie dann im Flugzeug aus dem Fenster geschaut hatte, kam auch die Vorfreude auf ‚zu Hause‘. Ihr ‚altes‘ und bald Nicht-mehr-Zuhause. Da gab es noch jede Menge zu klären und zu organisieren. Und danach, zurück in Finnland, mit dem Mustang und quasi ohne Wiederkehr, würde der richtige Alltag anfangen. Sofern sie so etwas jemals haben würden. Job, Mops und so weiter, das Alltagsleben in Finnland würde sie vereinnahmen, und Teemu hätte auch wieder sein ‚Zweitleben‘. Auf der Bühne, in der Öffentlichkeit, in Bussen und Hotelzimmern quer durch Europa.

Oder auch nicht, das stand immer noch in den Sternen und war ungeklärt, wie es mit seiner Band Polarfrost nun weitergehen würde. Der gesamten Band war das Ausmaß, in dem Manager Kristian die Band vermarkete, zu viel geworden und sie hatten nur noch nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden, ihn zurückzupfeifen. Alles etwas kleiner, die Musikrichtung wieder zurück zum Rock, und alles etwas mehr finnlandzentriert, war hier der Wunsch der Band. Außer Toivo, der wollte, was immer Kristian wollte.

 

Bärbel klingelte wie immer erst einmal bei ihrer Nachbarin, als sie zu Hause ankam, die freute sich und plapperte gleich drauf los. Den Kühlschrank hatte sie leer gemacht und ausgeschaltet. Und dies und das, und das Wasser wäre letzten Mittwoch für acht Stunden abgestellt gewesen, großes Drama und überhaupt. Und – Bärbel sollte unbedingt mit der Nachbarin, die ihre Wohnung für ihre Tochter haben wollte, sprechen. Die hätte immer noch Interesse und schon mehrfach bei ihr nachgefragt und auch schon den Vermieter wild gemacht. Bärbel nickte, ja ja, würde sie dann machen. Schnellstmöglich. Am besten vorgestern!

Sie schloss die Tür auf, ließ den Koffer im Flur und ging ins Wohnzimmer. Das war alles fremd hier. Komisch.

Lüften, Koffer ins Schlafzimmer. Mal aufs Bett setzen, hui, weicher als das in Finnland.

Bärbel kam sich fremd vor, als sie da so auf dem Sofa saß. Sie dachte an Teemu, und wie er hier kurzzeitig mit ihr gewohnt hatte, und Juha auch. Das kam ihr vor, als wäre es eine Ewigkeit her, dabei waren es nur ein paar Monate.

Dann rief sie Hannelore an und noch zwei Freundinnen. Mit Hannelore verabredete sie sich gleich zum Abendessen, bei ihr hier zu Hause. Sie brauchte heute Gesellschaft, und sie könnten dann auch noch mal die Einlagerung bzw. das Verschicken ihrer Sachen durchsprechen.

 

„Und, wie geht’s dir? Wie isses? Bärbel, ich bin so aufgeregt!! Ich - nach Finnland! Das ist so toll!“ Hannelore trank noch etwas vom mitgebrachten O-Saft und schaute weiter den Pizzaflyer durch.

„Mir gehts gut. Ist schon ein komisches Gefühl jetzt hier so. Die Nachbarin will die Wohnung übernehmen, das ist natürlich toll, aber … ich hab so lange hier gewohnt und plötzlich lasse ich alles stehen und liegen und gehe nach Finnland. Aber ich fühl mich da echt zu Hause. Glaube ich.“

„Wie ist das so mit Teemu?“ Hannelore ließ Pizza und Pasta einen Moment egal sein und sah Bärbel an.

„Gut. Ich kann dir aber nicht sagen, wie das sein wird, wenn er ständig auf Konzerten und so weiter unterwegs ist, das hatten wir ja noch nicht.“

„Ja, hm. Bärbel das ist alles so unglaublich! Und der Mops, der is bei ihm geblieben?“

„Ja, er bringt die Kleine zu einer netten Nachbarin, am Freitag. Er kommt Samstag her und sonntags kommen die Jungs mit dem Bus vorbei und sammeln ihn ein.“

„Ah. Ich nehm die vier mit zusätzlich Pilzen!“ Wen, die vier Jungs? Mit Pilzen? Uäääh! Achso, die Nummer Vier. Aus dem Pizzaprospekt.

„Gut. Vier. Ich lad dich ein.“

„Oh, danke!“

„Ich nehm die Neun.“ Bärbel griff nach dem Telefon und bestellte. Heut war ihr egal, wie lange die Schnarchnasen von der Pizzeria zum Liefern brauchen würden. Ein weiteres letztes Mal.

 

Die Pizza kam dann doch schon eine Stunde später, obwohl am Telefon eine halbe Stunde angekündigt gewesen war. Bärbel schleppte sich mit letzter Kraft zur Tür.

Das Essen war wie immer lecker, und sie redeten ausführlichst über Hannelores bevorstehenden längeren Finnlandaufenthalt. Dabei erfuhr sie auch, dass Harri und sogar Roman ebenfalls vorbeikommen würden. Sie würden aber nur ein paar Tage mitkommen, und im Hotel wohnen. Danach kam das Thema wieder auf Teemu, das Haus, die Tiere, Wladimirs Tod, das Büro und den Finnischkurs.

 

Als Hannelore weg war, rief Bärbel Teemu an, der zwischen Autoentscheidungen und Bärbelvermissen stimmungsmäßig hin- und her schwankte. Armer Kerl. Das waren schon echte Luxusprobleme, ob man das nächste Hundertfünfzigtausend-Euro-Auto mit braunen oder schwarzen Sitzen ordern sollte. Aber sie freute sich für ihn, dass er sich das einfach so aussuchen konnte. Und sie auch! Eigentlich! Waaah!

Bärbel schlief unruhig in dieser Nacht, sie war mittlerweile so daran gewöhnt, dass noch jemand im Bett war, dass es alleine ganz komisch war.

 

In den nächsten Tagen packte Bärbel fast rund um die Uhr, markierte Kartons, und sortierte weiter aus. Einige Kisten würde Hannelore für sie vorerst einlagern, andere würde sie in den Mustang stopfen und mitnehmen. Der Rest ging dann per Spedition hoch in den Norden, hatte sie entschieden. Da hatte sie nach mehreren Fehlschlägen eine sehr nette gefunden, die auch für Privatleute verschickte. Bärbel verbrachte einen halben Tag im Keller, aber dann war auch der fast leer. Wieder oben in der Wohnung ging es weiter.

 

Bärbel saß gerade inmitten eines Stapels Bücher und war am Aussortieren, als das Telefon klingelte. Sie ging ran und am Telefon war ein sehr aufgeregtes Mädchen. Sie fragte, ob sie mit Teemu zusammen war. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte Bärbel verwirrt. Das Mädel stotterte herum und legte dann auf. Ein paar Minuten später rief die nächste an. Auch leicht nervös, aber etwas resoluter als die andere. Ob sie die Freundin von Teemu wäre? Bärbel fragte lediglich, was der Quatsch solle und legte wieder auf.

Das Telefon klingelte erneut. Bärbel ging nicht mehr ran und schaute bei Facebook und Instagram, ob sie etwas finden konnte. Direkt war nichts erkennbar, zumindest nicht bei den wenigen Teemu-Fanseiten, die sie verfolgte. Aber tatsächlich, nach einigen Googlesuchbegriffskombinationen fand sie bei Facebook in einer Kommentarkette auf einer ihr bis dato unbekannten, öffentlichen Teemufanseite ein paar Kommentare von Leuten, die wohl den damaligen Instagrampatzer abgepasst hatten. Damals hatte irgendein ‚Fan‘ Teemus Adresse gepostet und da war nun wohl wirklich wer in den letzten Tagen an der Tür oder am Briefkasten bei Teemus Haus gewesen, und da klebte nun mal jetzt ‚Neumann‘ neben ‚Perhonen‘.

Die Kommentare waren hochinteressant zu lesen, eine Kriminalgeschichte war Mist dagegen. Die Fans hatten eins und eins zusammengezählt und das Nummernschild des Mustangs über irgendwelche Hintertürchen prüfen lassen, und der war auf Bärbel Neumann zugelassen. Volltreffer.

Von da aus war es ein Leichtes, die Telefonverzeichnisse aller Orte im Zulassungsbereich des Mustangs abzusuchen. Bärbel stand ganz normal im Telefonbuch, warum auch nicht, also riefen die Mutigeren nun bei ihr an, angestachelt durch die anderen. Ihre Telefonnummer stand mittlerweile auch in den Facebookkommentaren, und ihre Adresse auch. Die Auswanderung war somit zur Notwendigkeit geworden.

Bärbel meldete die Kommentare an Facebook, sie hatte zwar keine große Hoffnung, dass es etwas brachte, aber nach ein paar Stunden waren diese wirklich gelöscht. Wenigstens etwas.

Als es nun auch noch an der Tür klingelte, und Bärbel vom Balkon aus diverse Leute vom Haus stehen sah, wurde es ihr zu bunt. Sie rief die Polizei und beobachtete durchs Treppenhausfenster, wie die Mädchen, teilweise inklusive Eltern, vom Hausgelände entfernt wurden, unter Aufsicht der Rentner der unteren Stockwerke. Ihr Ruf hier war endgültig ruiniert, gut, dass sie ihre Flucht ins Ausland schon geplant hatte. Zwei Polizisten kamen noch hoch in die Wohnung, Bärbel erklärte die Sachlage und die beiden Beamtinnen mussten zwar grinsen, aber nahmen den Fall auch ernst.

Das Telefon stand den ganzen Abend über nicht still, bis Bärbel das Telefonkabel aus der Wand zog.

Teemu rief auf ihrem Handy an und war besorgt, weil er Bärbel auf der anderen Nummer nicht erreichen konnte und sie berichtete ihm die neuesten Vorkommnisse.

Teemu war nicht gerade überrascht, aber genervt. Er war selbst schon darauf angesprochen worden, von Fans. Also ging es nun los mit dem Terror. Na super. Er fragte, ob das okay sei, dass er einen Aufruf an die Fans postete, und er schickte ihr den Entwurf. Er war deutlich und unmissverständlich, aber trotzdem irgendwie nett geschrieben. Das konnte er wirklich gut.

Ja, er habe sich von Fiona getrennt. Ja, er habe eine neue Freundin, und ja, sie sei Deutsche. Ihn hätten schon viele darauf angesprochen und seine Freundin würde mit Anrufen und Besuchen an ihrer Wohnungstür belästigt, und er sei enttäuscht, dass Leute hier ihre Energie reinsteckten, um ihm und seiner Freundin nachzuspionieren und ihnen das Leben schwer zu machen. Diese Leute sollten das bitte sofort unterlassen. Sein Privatleben sei seine Sache und das seiner Freundin deren Sache und er würde diese Leute nicht mehr als Fans, sondern als Stalker bezeichnen und die konnte er ja bekanntermaßen überhaupt nicht leiden.

Es folgten noch einige andere sehr prägnante Worte gefolgt von der Aufforderung, diese Belästigungen sofort einzustellen. Wenn, dann mochten sie doch bitte ihn persönlich dazu befragen, wenn sie hier Redebedarf hatten.

Bärbel fand es gut geschrieben und gab ihr Okay zur Veröffentlichung. Das Posting tauchte einige Minuten später bei Facebook und auf der Polarfrost-Homepage auf und auch auf Instagram. Hoffentlich half es.

An der Tür nervte heute niemand mehr, Bärbel packte unbehelligt weiter, hatte allerdings noch eine Fanbegegnung am nächsten Tag, als sie ein altes Küchenregal und einen alten Waschbeckenunterschrank aus dem Keller neben die Mülltonnen geschleppt hatte.

Ein Mädchen, Bärbel schätzte sie auf dreizehn vielleicht, kam ganz lieb zu ihr, als Bärbel gerade den Briefkasten leerte. Darin steckten allerlei Zettel und Briefe, für sie und für Teemu. Herrje.

„Bist du Teemus Freundin?“, fragte die Kleine ganz lieb und schüchtern. Bärbel sagte nichts, schaute das Mädel nur leicht zweifelnd an.

„Ich will dich nicht nerven, ich hab gelesen, dass Teemu das nicht möchte … aber ich wollte ihm das hier so gern geben, kannst du das für ihn mitnehmen?“

Sie griff in ihre Tasche und holte eine kleine, gehäkelte schwarze Katze raus. Sie steckte in einem Briefumschlag, dahinter ein handgeschriebener Brief. Eine gehäkelte Tiffy. Die Fans liebten Tiffy, Teemu hatte ein paar Bilder von ihr gepostet und dazugeschrieben, dass sie ihm nicht vor der Seite wich. Die Kommentare und Likes waren daraufhin explodiert. Teemu UND ein kleines süßes Kätzchen, das war zu viel!

Bärbel musste lächeln. „Hast du die gemacht?“

„Ja.“ Das Mädchen gab Bärbel zögerlich die Katze und den Umschlag, hatte aber sichtlich Angst, dass sie sie wegwerfen oder zertreten könnte. Ihre Hand zitterte ein bisschen. Aber so etwas würde Bärbel nicht übers Herz bringen. „Die ist echt süß. Okay, ich nehm sie mit.“

„Echt?? Danke!“ Bärbel nickte.

„Gut … dann … geh ich mal wieder. Tschüss.“

„Tschüss.“ Bärbel schloss die Haustür auf, als das Mädel zurückkam.

„Du?“

„Ja?“

Sie druckste rum und überlegte es sich wohl anders. „Danke!“

„Schon gut.“ Bärbel drückte die Tür auf, ging ins Haus und fuhr hoch in die Wohnung. Puh! Die Kleine war ja süß gewesen, aber was wäre, wenn da morgen früh wieder so eine Gruppe Hooliganfans standen, die sie verkloppen wollten, weil Bärbel mit Teemu schmusen konnte und die Fans nicht? Bärbel wurde ganz anders.

Sie prüfte die Kommentare im Internet. Es war wie üblich ein Wechselbad der Gefühle. Die einen fanden es unmöglich, Teemus Freundin zu belästigen, andere wiederum wünschten Bärbel Pest und Cholera an den Hals.

Teemu rief wieder an und fragte, wie es Bärbel ging. Sie erzählte ihm von dem Mädchen mit der Häkeltiffy. Er fand das zwar auch irgendwie süß, aber war auch besorgt um Bärbels Sicherheit. Sie war froh, genug eingekauft zu haben für die Woche, sodass sie nicht öfter rausmusste, als unbedingt nötig war. Und packte weiter.

 

Der Abschied aus Deutschland fiel ihr zunehmend leichter. Umzug, Geheimnummer und falscher Name an der Tür, vielleicht sogar weitere Sicherheitsmaßnahmen, wären sonst dringend fällig gewesen.

Sie traute sich gegen Abend wieder, das Telefon einzustöpseln. Es riefen immer noch vereinzelt Leute an, und für die Nacht zog sie das Telefon wieder aus der Wand und stellte die Klingel ab.

Mal nach Mails schauen. Hanni hatte geschrieben, sie hatte das Chaos auch gelesen. Und – ach – sogar ein paar Freundinnen von Bärbel, die sich schon länger nicht mehr gemeldet hatten und die sie daher schon eher nur noch als Bekannte bezeichnen würde, hatten geschrieben. Ob sie das wäre? Ob sie mit ‚dem Typen von Koch und weg‘ zusammen wäre. Wie die Geier. Jahrelang nicht melden, aber dann plötzlich mit Autogrammwünschen um die Ecke kommen. Einige hatten sogar ganz dreist gefragt, ob sie mal in Finnland vorbeikommen dürften, ihren Freund kennenlernen. Nein, dürft ihr nicht. Wer es jahrelang noch nicht mal schafft, zum Geburtstag zu gratulieren, der kann jetzt auch wegbleiben.

 

Die nächsten Tage vergingen mit gelegentlichen Anrufen von Fans, die aber durch direktes Auflegen gut zu bewältigen waren, und Bärbel fand noch einiges an Fanpost im Briefkasten. Sie sammelte alles in einem Schuhkarton, sollte Teemu dann damit machen was er wollte. Die gehäkelte Katze und den kleinen Brief des Mädchens legte sie extra, das würde sie ihm wirklich übergeben, das hatte sie persönlich versprochen, außerdem war die gehäkelte Tiffy niedlich, innen war ein bisschen Watte drin und als Augen hatte sie 2 blassgelbe Knöpfe.

 

 

Es wurde langsam ernst. Hannelore war informiert und würde heute helfen, die ganzen Kartons zur Spedition zu fahren.

Bärbel hatte einen Kleinlaster gemietet und sie begannen, alles einzuladen. Erst die Kellersachen, dann die Sachen aus der Wohnung. Freundlicherweise halfen zwei Nachbarn, alleine wäre das doch zu viel gewesen.

Nett war, dass während all dem Räumen wirklich fast alle Nachbarn und Rentner des nicht ganz so kleinen Hauses auftauchten und sich sehr lieb von Bärbel verabschiedeten. Die fehlenden, die Bärbel noch sprechen wollte, wurden kurzerhand herausgeklingelt.

Das Ganze ging Bärbel doch sehr nah, immerhin hatte sie hier Jahre, ach was, Jahrzehnte gelebt. In dieser Gegend. Fast immer! Manche der Leute, auch aus den Nachbarhäusern, kannte sie seit ewig vielen Jahren. Auch die Nachbarin, deren Tochter die Wohnung übernehmen wollte, kam dazu.

Mentale Notiz: Strom- und Wasserzähler ablesen! Und Heizung! An was man alles denken musste!

Bärbel und Hannelore kämpften weiter mit den Kisten. Der Keller war der erste Raum, der komplett leer war. Bärbel kehrte noch mal durch, Hannelore hielt die Mülltüte auf. Fenster zu, Licht aus.

Halt. Licht wieder an. „Was ist denn noch?“, fragte Hannelore.

„Ich weiß nicht. Ich schau das letzte Mal in meinen Keller. Ab morgen gebe ich den Schlüssel weg und dann kann ich nie wieder hierher zurück …“ Bärbel standen die Tränen in den Augen und sogar Hannelore musste sich hektisch eine Träne wegwischen. „Ja. Aber du hast jetzt ein neues Leben. In Finnland. Mit Teemu.“

Das klang hier unten in dem staubigen Kellergang des Hochhauses total absurd. Aber es stimmte. Bärbel äugte ein letztes Mal in ihren Keller, Licht aus, Tür zu, abschließen. Es tat ihr gut, jemanden dabei zu haben, sie wäre wahrscheinlich vor lauter nostalgischen Gefühlen hier bis drei Uhr nachts nicht fertig geworden.

 

Ein paar Stunden später schoben sie vier Koffer in den Flur, die Hannelore Bärbel als Reisegepäck zuschicken würde am Montag. Bärbel war wirklich froh, dass Hannelore so mitanpackte. Gerade diese letzten Gänge durch die Wohnung waren verdammt schwer. Bärbel stellte noch eine von Teemu geliehene Reisetasche in den Flur. Das Zeug würde im Auto morgen früh mitfahren, ebenso ihr Bettzeug.

Die nächsten Kisten und die Koffer fanden ihren Weg nach unten, die Koffer luden sie direkt in Hannis Auto, bis der Rücksitz voll war. Zwei weitere Kisten, die Bärbel direkt geschickt haben wollte, klebten sie extra sicher zu und stopften sie in den Kofferraum von Hannelores Auto. Die Wohnung war nun fast leer.

Bärbel sah Hannelore an. Die schaute fröhlich zurück. „Ach Bärbel!“ Hannelore umarmte Bärbel und die fing natürlich wieder an, zu heulen wie ein Schlosshund. Gut, dass Taschentücher und Küchenrolle noch nicht eingepackt waren.

„Die Kücheneinrichtung, lässt du die komplett hier?“

„Brauchst du was?“, fragte Bärbel schniefend.

„Hm. Meine Mikrowelle ist uralt, mein Toaster geht nicht mehr und ich hab gestern meine Lieblingspfanne geschrottet.“

Eine halbe Stunde später hatten sie auch noch die Kücheneinrichtung gefleddert. Bärbel starrte auf die Kartonwand im Transporter. „Hannelore?“

„Ja?“

„Das ist doch kompletter Blödsinn, das jetzt alles in deinen Keller zu schleppen.“

„Was denn sonst?“

„Hm. Ich weiß, es ist ein bisschen viel verlangt, aber könntest du das Auto morgen zur Spedition fahren? Dann sollen die mir das direkt alles auf einmal schicken. Das Auto hab ich gemietet bis morgen Nachmittag.“

„Klar. Mir ist das auch ganz recht, wenn ich das nicht alles zweimal schleppen muss. Das Auto geb ich dann für dich ab.“

„Danke, Hannelore.“

„Klar. Wollen wir noch was essen gehen?“

„Bei McDonalds? Oder Pizzeria?“

„Mäcces is gut. Wie früher, beim VHS-Kurs. Du bezahlst.“

„Jawoll.“ Bärbel schlug die Tür des Kleintransporters zu.

Sie fuhr hinter Hannelore her bis zu deren Wohnung und starrte dann auf den Transporter, als der sicher und gut geparkt war.

Hannelore parkte ein paar Plätze weiter und stieg aus. „Wollen wir?“

„Da ist mein gesamtes Leben drin!“ Bärbel starrte auf den weißen Transporter.

Hanni nickte. „Ja, ich weiß. Ich schicks am Montag auf die Reise, dann hast du es bald wieder, dein Leben.“

Bärbel prüfte, ob alles abgeschlossen war und stieg in Hannelores Auto. „Hier.“ Sie gab Hannelore den Schlüssel des Transporters rüber.

„Schick mir dann noch die Adresse von der Spedition, und wo ich das Auto abgeben soll.“

Bärbel zog ihr Handy raus und schickte Hannelore die Infos. Teemu hatte lustige Bilder aus dem Bus geschickt. Juha mit Pappkrone von Burger King, Arttu schlafend neben dem Busfahrer, Sonnenbrille schief, Mund offen, und Diego, wie er hochkonzentriert zwei Tassen Kaffee durch den Busgang trug. Sie liebte die Jungs einfach. Die bald Teil ihres Lebens sein würden.

Sie fuhren zum nächsten McDonald’s und saßen fast bis ein Uhr nachts dort. Das war wirklich ein komisches Gefühl. So endgültig. Bärbel war traurig, aber auch aufgeregt zugleich. Wenn sie das nächste Mal in Deutschland wäre, dann ohne richtiges Zuhause. Entweder würde sie dann bei Hannelore schlafen oder eben im Hotel. Das war mehr als befremdlich, keine Wohnung mehr zu haben.

Hanni fuhr Bärbel wieder zurück, und half noch, die restlichen Sachen in den Mustang zu laden.

Also würde Bärbel morgen, nein heute, nachher, weniger mitnehmen müssen. Sie verabschiedeten sich auf dem Parkplatz und Hannelore fuhr davon. Bärbel fühlte sich alleine gelassen.

Sie atmete tief durch, fuhr hoch in ihre Wohnung und nach einer letzten Runde durch alle Zimmer fiel sie ins Bett.

Kapitel 3 Achtung, Ostsee! Bärbel kommt!

 

Am nächsten Morgen ereignete sich etwas, das es in Bärbels bisherigem Leben nur sehr selten gegeben hatte: Sie wachte vor dem Wecker auf. Sie war total gerädert, ihr war viel zu warm und direkt im Moment des Aufwachens wurde ihr klar, dass es heute ernst wurde. Richtig ernst. Das war ihre letzte Nacht hier in ihrer Wohnung gewesen.

Ihr wurde direkt schlecht. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, sie hätte sich direkt krankgemeldet und wäre mit einer schönen heißen Tasse Tee wieder ins Bett geflüchtet. Aber das ging nicht.

Es war noch nicht mal hell draußen, als Bärbel zurück ins Schlafzimmer kam, nach einer Runde durch die Wohnung. Fenster auf. Sie lehnte am offenen Fenster, draußen war es frisch und es roch wie immer. Die Sonne ging auf, ein Schauspiel, das sie so gut wie nie mitbekam, Bärbel war eben ein Nachtmensch. Hier würde sie nie wieder so lehnen und rausschauen können.

Sie kannte diesen Ausblick seit so langer Zeit, sie wusste sogar noch, wie dieser, mittlerweile bestimmt zwölf Meter hohe Baum auf dem Kinderspielplatz gepflanzt und in so einem Bäumchenwachsgestell festgeseilt worden war. Da war sie selbst noch regelmäßig Besucherin des Spielplatzes gewesen.

Und das Parkdeck, das war vor ungefähr fünfzehn Jahren komplett neu gemacht worden, das kannten viele der Anwohner nur so, wie es jetzt war. Bärbel hatte damals zugeschaut, wie die alten Garagen weggerissen und die neuen gebaut wurden. Alles war so vertraut hier, und hatte Geschichte. Es war ein unwirkliches Gefühl, aber bevor sie nun festfror oder anfangen würde, traurige Arien in den blauenden Morgen zu schmettern, machte sie das Fenster wieder zu. Zum letzten Mal.

In der Küche fand sie noch zwei Milchschnitten, die kamen gerade richtig und wurden zum Sinnbild des Aufbruchs nach Finnland. Mit Milchschnitte gen Norden!

Gegessen wurden sie auf dem Balkon, während Bärbel zusah, wie unten auf der Straße ein ganz normaler Freitagmorgen begann. Autos fuhren vom Parkplatz, weiter hinten konnte man den kleinen Ausschnitt der Autobahnkurve sehen. Rote Rücklichter, Berufsverkehr, Leute fuhren zur Arbeit. Bärbel fuhr gleich in ein neues Leben. Gruselig.

Sie rollte ihr Bettzeug so klein zusammen, wie es eben ging und quetschte alles noch hinter den Fahrersitz, das Kopfkissen passte noch über die Computertasche mit dem iMac hinter den Beifahrersitz. Der Mustang war nun wirklich kein Raumwunder. Er hatte zwar hinten zwei vollwertige Sitze, aber so wie in einem ‚normalen‘ Auto waren sie dann doch nicht. Es war und blieb ein Sportwagen.

Das Auto war voll. Bärbel türmte die beiden Reisetaschen auf dem Rücksitz übereinander und lagerte noch zwei andere Taschen um, immerhin brauchte sie noch etwas Platz für den kleinen Koffer, der noch oben in der Wohnung wartete.

Ein letztes Mal Briefkasten leeren. Ihr fielen zwei Werbezettel entgegen, die sie direkt in den Mülleimer neben der Haustür warf und piddelte ihre Namensaufkleber an Klingel und Briefkasten ab.

Sie schloss gerade die Wohnungstür ein letztes Mal auf, als gegenüber die Tür ebenfalls geöffnet wurde und ihre Urlaubsabwesenheitsversorgungsnachbarin im Schlafanzug in der Tür stand. „Ist es jetzt soweit?“

„Ja, gleich. Ich schaue noch mal alles durch und dann komm ich bei dir vorbei.“

Bärbel stopfte ihre Schlafklamotten in den kleinen Trolley und die Hausschuhe hinterher. Dann ging sie noch einmal durch alle Zimmer und machte Fotos. Auch zur Wohnungsübergabe, aber hauptsächlich für sich. In der Küche schaute sie noch mal die Schränke durch. Alles was jetzt noch da war, konnte hier bleiben. Sie verabschiete sich laut von der Wohnung, kam sich dabei blöd vor und nickte dann still vor sich hin. Es war soweit, sie klingelte gegenüber.

Nachdem noch einige Formalitäten durchgesprochen und viele gute Wünsche entgegengenommen waren, fuhr Bärbel im Aufzug nach unten. Zum letzten Mal. Sie verabschiedete sich leise vom Aufzug und sah draußen noch mal am Haus hoch. Tschüss, machs gut.

 

Bärbel kam sich immer noch komisch vor, als sie den Mustang in Richtung Autobahn lenkte. Für alle anderen hier war es wahrscheinlich ein Tag wie jeder andere, für sie war es einerseits der Zusammenbruch ihres vorherigen, als auch der Beginn eines neuen Lebens. Das Navi verkündete Anweisungen, sinnlose Anweisungen, denn noch wusste Bärbel ja, wo es lang ging. Sie reihte sich in den Berufsverkehr in Richtung Autobahn ein und hatte dann freie Bahn.

„So, Mustang, dann wollen wir mal, hm?“ Der Mustang antwortete nicht, sondern surrte genauso vor sich hin wie immer.

 

Nach zwei Stunden auf der Autobahn hielt Bärbel kurz an einer Raststätte. Hier hatte sie schon mal irgendwann gehalten, unterwegs nach irgendwo. Neben einigen Picknicktischen am Parkplatz konnte man ins Tal hinunter schauen. Man sah viel Wald und einige kleinere Orte, in gewisser Entfernung, irgendwo dort hinten, auch ihren alten Wohnort.

Bärbel hatte jetzt kein Zuhause mehr. All ihre Besitztümer lagerten in einem weißen Transporter, den Hannelore, die sie vor einem halben Jahr noch nicht mal gekannt hatte, heute Nachmittag zu einer Spedition fahren und dann wieder bei der Autovermietung abgeben würde. Das war ein unwirkliches Gefühl. Wenn Bärbel das nächste Mal nach Deutschland kommen würde, dann würde sie entweder bei anderen Leuten oder im Hotel schlafen. Oder im Tourbus vielleicht. Wirklich surreal. Sie stieg wieder ins Auto und fuhr weiter. Den Rest der Strecke fuhr sie durch.

 

Sie kam nachmittags in Lübeck an, besichtigte noch das Holstentor und aß früh zu Abend. Zwischendurch schrieb sie immer wieder WhatsApp-Nachrichten mit Teemu und Hannelore und sogar ab und an mit Juha und einigen Freundinnen. Das machte es irgendwie leichter.

Hannelore meldete, dass sie den Kleinlaster zurückgebracht hatte, nachdem sie Bärbels Sachen bei der Spedition abgegeben hatte. Sie hatte sogar eine Stunde gewartet, um dabei zu sein, wie die Kartons in einen LKW-Anhänger gestapelt wurden. Dieser LKW-Anhänger würde nächste Woche dann nach Finnland gebracht werden, wenn nichts weiter dazwischenkam. Bärbel war Hannelore so dankbar, das war mit Worten gar nicht zu beschreiben.

Teemu rief abends an und fragte, wie es Bärbel ginge. Es tat gut, seine Stimme zu hören, und er versuchte, sie aufzumuntern. So ganz klappte es nicht, aber es war immerhin ein großer Schritt.

 

Bärbel war sehr sehr früh an der Fährabfahrtstelle und tippte ihr Blog auf dem Laptop weiter. Um sie herum warteten ebenfalls viele Reisende, die überpünktlich da waren. Der Abend war schön, aber es wurde auch schnell kühl, als die Sonne weg war. Bärbel lief noch ein paar Runden gemütlich um den Parkplatz und kam mit einer Familie mit Wohnmobil ins Gespräch, die neben ihr parkten. Sie erwischte den Familienvater dabei, wie er in den Mustang starrte. Er wurde knallrot und entschuldigte sich, als er bemerkte, dass Bärbel zu dem Auto gehörte.

„Sorry, wollt nur mal gucken.“

„Ja jaaa“, sagte sie gespielt ungläubig, seine Frau lachte und sogar der kleine Junge sagte ernst „Paaapaaaa, man guckt nicht in fremde Autos!“

 

Eine Stunde vor Mitternacht begann dann das Boarding. Die Passagiere mit Auto wurden geprüft und kontrolliert und dann war es soweit: Die Autos wurden verladen. Den Laderaum durfte man nicht mehr betreten während der fast dreitägigen Überfahrt, was anscheinend ein paar der Mitreisenden nicht wussten und hektisch noch umpacken mussten.

Bärbel war die Ruhe selbst und es fiel ihr plötzlich auf, dass sie den heiligen Moment, in dem sie Deutschland verließ, bzw. auf die Fähre fuhr, gar nicht so richtig gewürdigt hatte. Nun gut, so war es nun.

Mit ihrem kleinen Trolley und einem Rucksack machte sie sich auf den Weg zum Innenraum der Fähre. Hui. Das war schon ein halbes Kreuzfahrtschiff. Im Eingangsbereich standen Mitarbeiter der Fährlinie und halfen mit Richtungsangaben.

 

Sie öffnete die Tür zu ihrer Kabine und zerrte ihr Köfferchen hinein. Teemu hatte darauf bestanden, dass sie eine Einzelkabine nahm. Innen war doch alles recht eng zusammen, wie das laufen sollte, wenn hier drei sich nicht besonders gut kennende Erwachsene wohnten, konnte sie sich kaum vorstellen. Die Kabine hatte drei Betten und ein winziges Badezimmer, war aber absolut sauber und nett. Bärbel kam sich vor wie ein Fünfte-Klasse-Passagier auf der Titanic, so ohne Fenster.

Sie hatte mal von einer Freundin, die eine Innenkabine auf einer Kreuzfahrt bewohnt hatte, gehört, dass es dort einen Fernsehsender gegeben hatte, der die Frontkamera des Schiffes zeigte. Vielleicht würde sie nachher schauen, ob es das hier auch gab. Zumindest für morgen, wenn es wieder hell war, wäre das bestimmt nett. Aber jetzt erst mal raus, das Schiff besichtigen!

Nach einer halben Stunde hatte sie soweit kapiert, wo was war, so groß war der Passagierbereich nicht und aß noch eine Kleinigkeit im Restaurant.

Gegen drei Uhr nachts würde die Fähre ablegen. Bärbel lief noch ein wenig auf dem Schiff herum, später stand sie auf dem Oberdeck an der Reling und starrte auf Deutschland. War sie noch in Deutschland? Ja, eigentlich schon, körperlich zumindest. Mit an Bord waren viele Urlauber, aber auch viele Finnen, die wohl nach Hause fuhren, oder LKW-Fahrer.

Das Schiff legte pünktlich ab und bewegte sich zunächst unmerklich vom Dock weg, und dann den Fluß entlang in Richtung Ostsee. Deutschland zog an Bärbel vorbei, unter anderem ein hohes, hell beleuchtetes Hotel. „Tschüss, Deutschland“, flüsterte sie, als die Lichter immer kleiner wurden und man das Ufer nicht mehr sehen konnte.

Es wurde kühler, das Schiff wurde schneller. Bärbel nickte entschlossen und ging zurück in ihre Kabine und ins Bett. Finnland ahoi.

Man spürte ein ganz leichtes Vibrieren in der Kabine, auch im Bett liegend, aber das war nicht störend, sondern sehr einschläfernd.

Bärbel hätte wirklich gut schlafen können, wenn es nicht in der Nachbarkabine links zur Sache gegangen wäre. Die Frau schrie und schrie, vor Glück wohl, und das ging ewig. Bärbel hatte an Teemus Performance wirklich nichts auszusetzen, aber das hier war schon eine Nummer für sich.

Irgendwann war die Dame endlich ruhig und ihr Liebhaber auch und dann war ENDLICH Ruhe. Also, rein theoretisch wäre Ruhe gewesen, wenn nicht in der Kabine auf der anderen Seite ebenfalls zur Sache gegangen wäre. Aber die hatten eher ihren Spaß mit einer Kiste Jägermeister.

Kapitel 4 Tschöö Deutschland, machs gut!

 

Am nächsten Morgen wachte Bärbel vom Wecker auf, Tageslicht gab es ja keins.

Beim Frühstück dann später stellte sie fest, dass sehr viele Deutsche an Bord waren, die sich wohl kannten, vielleicht eine Reisegruppe mit Bus?

Das bestätigte sich, als ein sehr grantiger Mann verkündete, er müsse ja im Bus vorn sitzen, wegen seines Rheumas. Jaja. Alles nur Ausreden. Wie Heinz Schenck in diesem Film aus den 80ern, ‚Wilder Westen inklusive‘. „Isch habs mit de Bandscheibe, isch muss vorne sitze!!“

Die Busbevölkerung hätte man direkt so filmen und an irgendeinen Privatsender verkaufen können. Das hätte zehn Staffeln pure Unterhaltung gegeben. Von Hans, dem die Butter zu salzig war, über Gerda, die sich wohl vorhin aus Versehen im Klo eingeschlossen hatte und die Tür nicht mehr aufbekommen hatte bis zu Martina, die bei Henrik in der Kabine übernachtet hatte und allein dadurch schon zum Gespött des gesamten Busses geworden war und das, bevor die Reise richtig angefangen hatte. Herrlich. Einer anderen, älteren Frau waren die Servietten zu dünn und das Essen zu versalzen. „Is der Koch verliebt?“, krisch sie los und wurde nur mit Mühe von ihren Mitreisenden zur Ruhe gebracht. Ihre kleine Enkelin schrie den gesamten Speisesaal zusammen, weil sie nichts anderes als Salami essen wollte. Eis hätte sie zur Not bestimmt auch genommen.

Bärbel amüsierte sich im Stillen köstlich über die Slapstickcomedy um sie herum und kam mit einem netten Ehepaar aus Wanne-Eickel am Nachbartisch ins Gespräch. Die passten freundlicherweise auch auf ihr Essen auf, während sie am Buffet Nachschlag holen ging. Sonst hätten die Abräumer ihr bestimmt alles direkt weggeschmissen, denn hier war gut was los und jeder freie Tisch wurde sofort neu besetzt.

 

Das Wetter war ganz passabel während der Überfahrt, Bärbel war viel an Deck und starrte aufs Wasser. An manchen Stellen gab es auch Stühle und Bänke zum Sitzen, sehr angenehm. Sie saß gerade neben einer Familie mit zwei Teenagertöchtern, die lauthals darüber diskutierten, ob Teemu nun heiß war oder nicht. Der Vater erinnerte die beiden daran, dass Teemu nur zwei Jahre jünger war als er, was sie aber nicht verstanden. Die Familie wollte mit dem Wohnmobil zwei Wochen durch Finnland fahren und waren schon ganz wuschig, ‚eigene Teemus‘ kennenzulernen.

Der Vater schüttelte nur den Kopf. „Haben Sie Kinder?“, fragte er Bärbel genervt.

„Nein, Gottseidank nicht!“, war die ehrliche Antwort.

„Seien sie froh! Teemu Parhomen … unglaublich, es gibt kein anderes Thema! Seit Jahren!“

„PERHONEN, Papa, PERHONEN!!“

„Ja, Perhonen, ist doch egal. Der Typ is vierzig!“

„Neununddreißig!“, korrigierte Bärbel, was ihr zwei starrende, totenstille Teenagermädchen bescherte. Der Vater rollte nur mit den Augen und setzte sich eine Bank weiter zu seiner Frau. Die grinste nur. „Ich sag nix!“

„Was denn?“, fragte der Mann sie.

„Mama mag den auch!“, feuerte die eine Tochter rüber.

„Schrei doch nicht so, da wird man ja taub von!“, sagte Bärbel.

„Tschuldigung …“

Genau in dem Moment rief Teemu an. Bärbel schaute aufs Display und grinste. Die Teenies schauten zu ihr.

Bärbel ging ran und berichtete, dass sie nun auf der Fähre sei. Teemu saß gerade hinter der Bühne und wurde von Jennifer unzüchtig angefasst, nach eigenen Angaben.

„Stimmt gar nicht, ich mache nur seine Haare!“, rief es gedämpft von hinten. Man hörte auch noch jemanden lachen, eindeutig Juha. „Hi, Bäääbbl!“, rief er.

„Sag mal Hallo von mir.“

„Soll ich ihn abknutschen von dir?“ Teemu war lustig drauf.

„Ja, warum nicht?“

„Warte …“

Man hörte umfallende Möbel und Jennifers Schimpfen, dann aber auch Lachen und ein sehr unmännliches Kreischen. Wahrscheinlich jagte Teemu Juha durch die gesamte Garderobe und hatte ihn letztendlich angesprungen. Dann hörte man Schreien, eine Tür oder so was und noch mehr komische Geräusche. Bärbel hörte nur ein leises „Bäbbl, ich bring dich um!“

Bärbel lachte und wartete, bis Teemu wieder am Telefon war. Dann kruschelte es erneut. „Bärbel, ich muss Schluss machen. Juha hat umgerannt irgendwen auf den Flur, als geflüchtet ist vor mir. Guntaa Jaucht oder so. Aber ich habe Juha erwischt. Hab nur auf Wange geküsst, hoffe, das ist okay für dich.“

„Günther Jauch??“

„Ja!“

„Oh mein Gott, sorry!!“

„Kennst du?“

„Aus dem Fernsehen, ja. Warum sprichst du eigentlich so viel Deutsch?“

„Ich sage Entschuuldiguung von dir zu Guntaa. Ich muss üben, für nachher. Die Leute in deutsches Fernsehen verstehen nicht, dass mein Deutsch ist sehr beschränkt. Jennifer muss machen meine Haare und Pudern und dann muss ich raus. Die haben noch Fantreffen arrangiert mit Fotos und dann geht Gala los und heute Abend ist Konzert.“

Jennifer gab nun eindeutig die Anweisung, das Handy wegzustecken.

„Viel Spaß und Grüße an die Jungs!“

„Sag ich. Börbell, ich liebe dich!“

„Ich liebe dich auch!“

Schwupp, aufgelegt. Wahrscheinlich hatte Jennifer ihm mit einer Wimpernzange gedroht. An der richtigen Stelle.

Bärbel steckte ihr Handy wieder ein. Die Teenies samt Eltern waren mittlerweile weg, aber dafür saßen da jetzt einige ältere Herrschaften, die schauten, wie die Kuh wenn es blitzt. Ein weiteres, älteres Ehepaar, welches gerade an der Reling stand, starrte Bärbel ebenfalls an.