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Dass es Bärbel dann doch so schnell nach Finnland verschlägt, hätte sie nicht gedacht. Kaum hat sie ihren neuen, finnischen Freund Teemu wiedergetroffen, seines Zeichens Sänger einer bekannten Rockband, findet sie heraus, dass es ihrem Arbeitgeber wirklich ernst ist, ein Außenbüro im hohen Norden aufzubauen. Zwischen Wohnungsbesichtigungen und Baumarktbesuchen muss Bärbel auch noch das Büro in Helsinki für sich und die zwei völlig fehl am Platz wirkenden, grauen Gestalten einrichten, die mit ihr dort arbeiten sollen.
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Seitenzahl: 334
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Inhaltsverzeichnis
Über das Buch
Der Parkhausfinne Band 2
Kapitel 1 – Drei, Zwei, Eins - Mainz
Kapitel 2 – Ein Licht am Horizont
Kapitel 3 – Es geht voran auf mehreren Ebenen
Kapitel 4 – Finnisch für Anfänger, Teil 2
Kapitel 5 – Ruhe, was ist das?
Kapitel 6 – Sollen wir Butter schicken?
Kapitel 7 – Alle guten Dinge sind drei – VHS mal wieder
Kapitel 8 – Auf nach Finnland!
Kapitel 9 – Wohnungsübergabe und Bürofreuden
Kapitel 10 – Finnischer Kaufrausch
Kapitel 11 – Erneutes Baumarktwagnis
Kapitel 12 – Bärbel im Bauwahn
Kapitel 13 – Ein russischer Freund und jede Menge Holz
Kapitel 14 – Draußen kalt, drinnen heiß
Kapitel 15 – Mutterverhör
Kapitel 16 – Die drei Jannes und das Teemuuhuu
Kapitel 17 – Alpträume
Kapitel 18 – Finnlandmissionsbesprechung
Kapitel 19 – Daheim?
Kapitel 20 – VHS-Kurs und fallende Burger
Kapitel 21 – Bärbel hat alles unter Kontrolle
Kapitel 22 – Das allumfassende Weiß
Kapitel 23 – Juha, das kannst du nie wieder gutmachen!
Nachwort und Danksagungen
Weitere Bücher von Waltraud Batz
Über das Buch
Dass es Bärbel dann doch so schnell nach Finnland verschlägt, hätte sie nicht gedacht.
Kaum hat sie ihren neuen, finnischen Freund Teemu wiedergetroffen, seines Zeichens Sänger einer bekannten Rockband, findet sie heraus, dass es ihrem Arbeitgeber wirklich ernst ist, ein Außenbüro im hohen Norden aufzubauen.
Zwischen Wohnungsbesichtigungen und Baumarktbesuchen muss Bärbel auch noch das Büro in Helsinki für sich und die zwei völlig fehl am Platz wirkenden, grauen Gestalten einrichten, die mit ihr dort arbeiten sollen.
Ein humorvoller Roman für Finnland- und Tierfreunde
Band 2 der Reihe „Der Parkhausfinne“
Zeitliche Einordnung
Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2015.
Über die Autorin
1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.
Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gern, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln. Und Rentier.
Weitere Bücher von Waltraud Batz
Cloverlane Farm
ISBN 978-3-7541-0921-2 Taschenbuch
ISBN 978-3-7541-0922-9 E-Book
After the Storm
ISBN 978-3-754921-80-7 Taschenbuch
ISBN 978-3-754921-83-8 E-Book
Der Parkhausfinne 1
ISBN 978-3-754951-33-0 Taschenbuch
ISBN 978-3-754951-34-7 E-Book
Waltraud Batz
Der Parkhausfinne
Band 2
Roman
1. Auflage 2022
Texte und Umschlag
© 2022 Claudia Wissemann
Sendeformat „Koch und weg“
© 2015 Claudia Wissemann
Verantwortlich
Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel
Druck
epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Bärbel ließ die Wohnungstür offen stehen und stürzte direkt ins Wohnzimmer. Sie riss das Telefon vom Couchtisch und nahm das Gespräch an. Sie hatte das Telefonklingeln schon draußen vor der Wohnungstür gehört.
Teemu, ihr finnischer, neuer Freund, hatte sich in den letzten Tagen nur wenig gemeldet, umso mehr freute Bärbel sich über seinen Anruf. Sie ging zurück in den Flur und schloss die Wohnungstür.
Ihr finnischer Mister Wunderbar musste am kommenden Freitag zum ZDF nach Mainz, um über seine Teilnahme an der nächsten Staffel der TV-Sendung ‚Koch und weg’ zu verhandeln. Er fragte nun, ob sie nicht mittags zu seinem Hotel kommen wollte, dann würden sie sich zumindest kurz mal wieder sehen und abends nach seinen Meetings noch essen gehen können.
Leider würde es wohl vorerst dabei bleiben, denn Kristian, der Manager der Band, hatte Teemus Samstagnachmittag schon wieder mit einem Termin in Helsinki blockiert, sodass für ein verlängertes Wochenende in Deutschland keine Zeit bleiben würde. Teemu entschuldigte sich mehrfach dafür, aber da es die einzige Chance zu sein schien, sich zeitnah wiederzusehen, sagte Bärbel natürlich sofort zu.
Teemu freute sich hörbar und Bärbel auch. Meine Güte, sie waren gerade mal ein paar Tage getrennt. Aber egal! Sie freute sich wirklich und googelte gleich mal das Hotel, das Teemu ihr genannt hatte. Es war ein kleines Hotel mit nur zehn Zimmern, familiär geführt und, so wie es aussah, in einem renovierten, alten Stadthaus. Es gab sogar ein Bild der Eigentümerin, die aussah aus wie die Mutter von Hannelore, Bärbels VHS-Finnischkurs-Mitschülerin.
Endlich würde sie Teemu wiedersehen, den Sänger der finnischen Musikgruppe ‚Polarfrost’, den sie im Februar, noch gar nicht allzu lange her, in einem Frankfurter Parkhaus umgerannt und ihn dann zum Flughafen gefahren hatte. Kurze Zeit darauf hatte sie ihn bei sich zu Hause gesundpflegen müssen, eins hatte zum anderen geführt und nun steckten sie Hals über Kopf in so etwas wie einer aufkeimenden Fernbeziehung.
Es war immer noch schwer zu verstehen für Bärbel, die gar nicht mehr daran geglaubt hatte, mit Mitte dreißig, fast schon vierzig, noch einen passenden Deckel zu finden und schon in Erwägung gezogen hatte, gar kein Topf zu sein, sondern eine verbeulte Bratpfanne.
Die nächsten zwei Tage zogen sich elendig lange hin und endlich war Freitag. Bärbel war morgens extra früh im Büro erschienen. Die Arbeit war zwar zäh und der neue Chef erwies sich wieder einmal als sehr anstrengend und cholerisch. Trotzdem schaffte sie ihr Tagespensum, überstand ein mehr als ödes Teammeeting und konnte sich kurz nach Mittag wie geplant ins Wochenende verabschieden.
Sie fand das Hotel in Mainz ohne Probleme, es lag in einer ruhigen Straße mit vielen großen Bäumen. Die freistehenden, villenartigen alten Häuser hier in der Umgebung waren allesamt sehr geschmackvoll renoviert und gut gepflegt. Schon an den in den Einfahrten und an der Straße geparkten Autos sah man, dass dies hier eine sehr teure Wohngegend war.
Vor dem Hotel standen einige junge Frauen und machten den Eindruck, als ob sie auf etwas warteten. Fans?
Bärbel wurde genauestens beobachtet, als sie das Hotel betrat. Wenigstens wurde sie dabei nicht fotografiert. Sie hatte den Eindruck, dass der sehr korrekt gekleidete Türsteher über ihr Kommen informiert war.
Die Frau, die auf dem Bild im Internet wie die Mutter von Hannelore ausgesehen hatte, war persönlich zugegen und sah auch in echt aus wie Hannelores Mutter. Sie passte gerade so hinter den kleinen Rezeptionstresen links von der Treppe. Auch innen war alles in dem Altbau sehr geschmackvoll renoviert, mit Stuck und allem Brimbamborium.
Bärbel nannte ihren Namen und wurde von der Hotelmutter von oben bis unten kritischst beäugt. Sogar ihr Ausweis wurde verlangt. Die Frau inspizierte ihn genauer als jeder Beamte am Flughafen, nahm dann einen antik aussehenden Telefonhörer in die Hand und wählte eine Nummer. „Hallo? Sie ist hier.“ Sie horchte aufmerksam. „Ja, natürlich, gern.“ Sie legte wieder auf. „Er kommt runter.“
Bärbel nickte freundlich. „Schön haben Sie es hier“.
„Danke.“ Die Hotelfrau lächelte sichtlich erfreut.
Man hörte es aus Richtung der Treppe poltern und Teemu kam die letzten drei Stufen heruntergesprungen. In Socken. Es war kaum Zeit, ihn anzuschauen, da hatte er Bärbel auch schon in eine feste Umarmung gezogen. Sie hatte sofort wieder dieses warme, vertraute Gefühl und umarmte ihn zurück.
Als er sie losließ, bemerkte sie, dass er die Haare ein bisschen kürzer trug und die dunklen Strähnen nun vollständig aus seinen hellblonden Haaren verschwunden waren. Ihr gefiel das sehr gut so.
Der Kuss kam nicht unerwartet, aber die Leidenschaft überraschte Bärbel doch etwas. Sie schlang die Arme um ihren Finnen und küsste ihn zurück. Mit vorsichtigem Rantasten hielt er sich nicht auf und hing an ihr, als hätten sie sich Monate nicht gesehen.
„Ich bin so glücklich“, teilte er der verdutzt dreinschauenden Hotelbesitzerin mit. Sie nickte nur und lachte. „Das ist schön, mein Junge.“
Teemu grinste immer noch und wandte sich wieder an Bärbel. „Schön, dass du hier bist, komm mit hoch.“ Teemu ging vor ihr her die Treppen hoch, so, als würde er hier dauerhaft wohnen und nicht nur für eine Nacht.
Sie folgte ihm in den dritten Stock, höher ging es auch nicht. Oben gab es zwei Zimmer, Teemu bewohnte das linke, neben dem Ende der Treppe.
Das Zimmer war genauso schön wie das gesamte Gebäude. Sehr geschmackvoll, alles individuell mit alten Möbeln eingerichtet und alles quoll über vor Schnörkeln und Blumenmustern, geblümte Bettwäsche in grün-rosa inklusive.
Kaum hatte Teemu die Tür geschlossen, zog er Bärbel wieder an sich und küsste sie erneut. Liebevoll, fordernd und besitzergreifend. Sie erwiderte den Kuss. Ihr wurde augenblicklich wieder viel zu warm und die Schmetterlinge in ihrem Bauch waren hyperaktiv. Das passte ja aber auch gut. Immerhin bedeutete Teemus finnischer Nachname Perhonen ‚Schmetterling’ auf Deutsch.
„Ich hab dich vermisst“, murmelte Teemu in ihre Haare, als er sie nach dem Kuss wieder fest umarmte.
„Ich dich auch“, sagte sie und drückte ihn gleich noch mal. Ihre Finger fanden wie automatisch in seine Haare. „Du hast die Haare kürzer.“
Er lachte kurz. „Ja, war dringend mal wieder nötig. Magst du es nicht? Dann lasse ich wieder wachsen.“
„Nee, um Himmels Willen, so ist es viel besser“, sagte sie.
Er strahlte sie an. „Ich muss gleich schon wieder weg. Ich bin heute Abend früh zurück, hoffe ich. Ich habe um sieben Uhr einen Tisch reserviert in einem netten Restaurant, das ist nur ein paar Blocks weiter. Ich gehe gern dort essen. Ist das okay für dich?“
Bärbel nickte und Teemu schien glücklich. „Wenn du magst, kannst du in der Zwischenzeit hierbleiben oder rübergehen zum Park. Das ist so zehn Minuten von hier.“
Sie verbrachten die Zeit, bis er wegmusste, kuschelnd und knutschend auf dem Bett. Danach fragte Teemu nach Bärbels Büro und sie erzählte von ihrem neuen Chef und Teemu stellte die Vermutung auf, dass er bestimmt mit Kristian verwandt war.
„Ich bin so froh, dass du hier bist.“ Er beugte sich zu ihr runter und gab ihr einen Kuss. Sie nahm seine Hand. „Ja, ich auch … auch wenn das immer noch schwer zu begreifen ist.“
Er lächelte. „Bist du noch traurig wegen Pieni?“
Bärbel hatte in der Zeit, in der sie den kranken Teemu bei sich zu Hause gehabt hatte, vor einigen Tagen, gefühlt Wochen, auch einen Mops vom Tierschutz betreut. „Ja, schon, aber ihre Besitzerin ist echt nett und ich hab ihr meine Telefonnummer gegeben, wenn sie mal wieder einen Hundesitter braucht.“
Bevor Teemu zu seinem Termin musste, verrenkte er sich am Fenster den Hals, um zu prüfen, ob die Mädchen noch immer da waren. Sie waren immer noch da und warteten vor dem Hotel. Hier und heute hatte er nicht mit Spionen gerechnet, der Termin war erst sehr kurzfristig vereinbart worden.
Er schwenkte wieder um auf ein positiveres Gesprächsthema. „Ich liebe dieses kleine Hotel. Es ist zum Kotzen, dass die Fans das jetzt auch ausspionieren. Die Besitzerin ist sehr nett und herzlicher zu mir als meine eigene Mutter. Ich versuche, dieses Hotel zu buchen, wenn ich hier bin.“ Er wandte sich wieder vom Fenster ab. „… und wenn Kristian es zulässt.“
„Ja, das ist echt schön hier.“
Teemu nickte und schaute auf die Uhr. „Ich muss gleich los. Wenn du nach Finnland kommst, also, wenn …“ Er zögerte. „… wenn du magst, dann kannst du deinen eigenen Mops haben. Finnischen Mops.“
Die Stimmung schwankte kurz zwischen peinlicher Berührtheit auf beiden Seiten und unausgesprochener Hoffnung seitens Teemu. Bärbel hatte das Gefühl, dass er sie nicht drängen wollte, sie aber am liebsten direkt nach Finnland verschleppt hätte.
Sie blieb auf dem Bett sitzen und beobachtete Teemu beim Umziehen. Knallrote Boxershorts schauten hinten aus seiner Jeans heraus und die grobgestrickten hellblau-weißen Wollsocken waren einfach nur putzig.
Bärbel war total in Gedanken, als sie sein T-Shirt ins Gesicht bekam. Sie hatte noch nicht einmal mitgekriegt, dass er es zusammengeknüllt und geworfen hatte. Er lachte und zog ein frisches, graues T-Shirt an und ein hellblaues Hemd drüber.
„Oh, ein Hemdentermin?“, fragte sie, als er die Knöpfe schloss.
„Ja, mit Chefs und so. Sie wollen über die neue Staffel sprechen und noch ein paar andere Sachen.“
„Und das, ohne dass Kristian dabei ist?“
„Kristian ist nur für die Band zuständig, nicht für mich. Mal schauen, wie es wird. Kann ich so gehen?“ Er sah an sich hinunter.
Bärbel nickte anerkennend. „Mach oben noch einen Knopf auf. Das ist besser.“
Teemu tat es und schaute in den Spiegel hinter der Zimmertür. „Ich bin hoffentlich um sechs Uhr wieder hier. Oder halb sieben.“
„Okay, viel Erfolg.“
Teemu kam zurück zum Bett. Sie richtete ihm mit den Fingern die Frisur, während er brav stillhielt. Er beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Abschiedskuss. „Bis später.“
Die Tür fiel hinter ihm zu. Bärbel ließ sich aufs Bett fallen und freute sich auf heute Abend. Das Leben war schön.
Bärbel lag eine Weile auf dem Bett herum und wäre fast eingeschlafen. So nicht! Vielleicht wäre es gut, ein wenig im Park spazieren zu gehen. Vor dem Fernseher fand sie eine zweite Zimmerkarte und steckte sie ein.
An der Rezeption fragte Bärbel die Hotelbesitzerin, wo denn dieser Park sei, den Teemu erwähnt hatte.
„Sind Sie sicher, dass Sie da raus möchten?“, fragte die Rezeptionsfrau sehr neutral.
„Ja, warum? Regnet es?“ Bärbel drehte sich um und versuchte, durch die Hoteltür die Wetterlage zu prüfen. Das war unmöglich, da sich mehrere Mädchen und Frauen die Nasen an der Hoteltür plattdrückten. Der Türsteher stand nun im kleinen Vorraum des Hotels und verhinderte so, dass die Meute das Hotel auf eigene Faust nach Teemu durchsuchte.
„Sie können durch die Hintertür raus, aber da stehen bestimmt auch überall welche.“
Bärbel bedankte sich für die Warnung und ging zurück ins Zimmer.
Sie setzte sich auf die tiefe Fensterbank und hing ihren Gedanken nach. Man hatte von hier aus einen schönen Blick über die anderen Häuser der Gegend, die meisten waren etwas niedriger als das Hotel.
Bärbel dachte über die letzten Wochen nach, und wie sehr diese ihr Leben verändert hatten. Aber wie würde es weitergehen? Würde sie wirklich zu Teemu nach Finnland ziehen? In ein Land, das sie bisher so gar nicht kannte, dessen Sprache sie zwar als wunderschön, aber auch als fast unlernbar einstufte? Was wusste sie überhaupt über Finnland? Nicht viel. Zu wenig. Rentiere, Seen, viel Schnee, und der Weihnachtsmann wohnte irgendwo im Norden. Das war es auch schon. Würden auch dort Fangruppen an jeder Ecke lauern? Die kommenden Wochen und Monate würden in ihrem Leben einiges durcheinanderwirbeln. Sie hoffte inständig, dass alles gut ausging.
In einer leicht melancholischen Stimmung sah sie weiter aus dem Fenster. Woran war sie mit Teemu? Was zur Hölle tat sie hier in seinem Hotelzimmer und würde sie je wieder lebend und unversehrt aus dem Hotel rauskommen?
Sie war selbst überrascht, wie sehr sie ihn in den letzten Tagen vermisst hatte. Und nach Finnland zu ziehen, erschien ihr plötzlich durchaus realistisch. Sie hatte nie den Drang gehabt, Karriere zu machen oder ins Ausland zu gehen, aber in den vergangenen Jahren hatte sie mehrmals über einen Jobwechsel nachgedacht. War dann aber doch geblieben, wo sie war, mehr aus Bequemlichkeit.
Am frühen Abend flog die Tür auf, Teemu kam ins Zimmer und alle Bedenken waren wie weggefegt. Er warf die Zimmerkarte und eine Mappe mit Papierkram vor den Fernseher, die natürlich wegrutschte und auf den Boden fiel. Teemu brummte missmutig und steckte die Mappe in seine Tasche. Er kam rüber zum Bett und Bärbel bekam einen sehr ausführlichen ‚Bin-wieder-da-Kuss’. „Hi, warst du im Park?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Die Fans vorm Hotel hätten mich in Stücke gerissen.“
Teemus Blick verfinsterte sich. „Ich … sorry.“
Bärbel zuckte mit den Schultern. „Die Frau an der Rezeption hat mich gewarnt. Sind sie immer noch da?“
Er nickte.
„Wie war dein Tag?“, fragte sie.
„Hm. Anstrengend. Viel Information. Ich muss darüber nachdenken. Hunger?“, fragte er fröhlich.
„Yeah, ich könnte ein ganzes Rentier essen.“
„Hast du schon mal Rentier gegessen?“, fragte er. Jetzt hatte sie ihn verwirrt.
„Ja, in Stockholm, das war echt lecker.“
Teemu grinste und sah Bärbel dabei zu, wie sie Schuhe und Jacke anzog.
Sie verließen das Hotel über den Hinterausgang und gelangten durch den kleinen Privatpark hinter dem Hotel ungesehen und unverfolgt auf die Straße. Gleich, nachdem sie das Hotel verlassen hatten, hatte Teemu ihre Hand genommen. Bärbel lief neben Teemu her durch einige Seitenstraßen.
„Mein Zeitplan in den nächsten Wochen wird echt anstrengend. Kristian hat das mit voller Absicht gemacht. Es tut mir leid, aber mit Treffen wird es wirklich schwierig. Aber, ich verspreche, wir schaffen es. Bitte gib uns eine Chance.“
Bärbel drückte seine Hand. „Klar. Du, ich muss mich selbst erst an den Gedanken gewöhnen, dass wir zusammen sind. Natürlich wäre das toll, wenn ich dich direkt jetzt besuchen könnte, aber ich kriege demnächst kaum Urlaub, und bei mir im Büro ist gerade einiges los. Dann besuche ich dich eben, wenn du wieder mehr Zeit hast.“
„Ja. Es ist…trotzdem … nicht gut.“
Es kamen ihnen einige Leute entgegen, allerdings keine Fans und Teemu wurde auch nicht erkannt.
Nach ungefähr zehn Minuten kamen sie beim Restaurant an. Es war ein Eckhaus, ein wenig höher als die umliegenden Häuser, und mindestens genauso toll renoviert. Es hatte sogar geschwungene Balkongeländer aus Metall, die sehr elegant aussahen.
Hätte Teemu keinen Tisch reserviert, sie hätten hier keine Chance gehabt. Vor der Tür stand ein kleiner Pulk von Wartenden, die vor sich hin murmelten, als Teemu und Bärbel sich ihren Weg durch sie hindurchbahnten. Ob das jetzt daran lag, dass sie ihn erkannt hatten oder weil sie allgemein klären mussten, wo sie nun ihren Hungertod abwenden konnten, wenn nicht hier, wusste Bärbel nicht.
Die Eleganz setzte sich im Restaurantinneren fort. Sie bekamen einen Tisch im hinteren Teil des Restaurants, schräg neben dem offenen Kamin, in einer Art Wintergarten, mit großen Sprossenfenstern, die bis zum Boden reichten. Davor lag eine große Veranda. Im Sommer konnte man hier bestimmt sehr schön draußen unter den alten Bäumen sitzen.
Die Bedienung brachte die Speisekarten und fragte nach den Getränken. Teemu bestellte ein Glas Bier und Bärbel eine große Cola.
„Bist du oft hier?“
„Ja, wenn ich in Mainz bin, gehe ich hier immer essen. Es ist ruhig, sehr schön, die Leute sind nett und das Essen ist sehr gut.“
„Dein Deutsch wird immer besser.“
„Ah … naja … ich glaube nicht, da ist immer noch sehr viel, was ich nicht weiß. Der Tag heute war echt anstrengend, mein Deutsch ist nicht gut genug für Vertragssachen.“
Teemu blätterte in der Speisekarte herum. Er fragte Bärbel etwas zu einigen Gerichten und sie übersetzte ins Englische, so gut sie konnte. Es klang alles sehr lecker, aber bezahlbar war anders. Naja, das war Bärbel heute sowas von egal. Und als ob Teemu ihre Gedanken gelesen hätte, sagte er nur „Ich bezahle, nimm, was du möchtest.“
Konnte sie das annehmen? Ja, konnte sie. Er war jetzt ihr Freund und da war das okay, wenn er bezahlte. Klassische Rollenverteilung.
„Danke.“ Das war aber auch verdammt schwer. „Was nimmst du?“
Teemu hielt ihr die Karte hin und zeigte auf das Filetsteak. „Ich brauche jetzt Fleisch.“
Bärbel grinste. „Gute Wahl. Ich nehme auch eins.“
Die Getränke wurden gebracht und sie bestellten das Essen. Danach stießen sie an und Teemu erzählte ein bisschen von seinem Tag. Wegen ‚Koch und weg’ war er unsicher, ob er noch eine Staffel machen wollte und überhaupt konnte, wegen der Terminplanung der Band. Aber zumindest hatten sie nun über die organisatorischen Details gesprochen und auch über andere Sendungen und Interviews verhandelt. Er hatte zugesagt, darüber nachzudenken, kam sich aber vor wie ein Zirkustier, das auf Kommando Kunststückchen zeigen sollte und das Gefühl mochte er gar nicht.
„Sie waren nicht gerade begeistert, als ich gesagt habe, dass ich nicht mehr rüberkommen will wie ein Vollidiot“, sagte Teemu auf Englisch und nahm einen Schluck Bier. „Wobei, Kristian ist absolut dafür, dass ich noch eine Staffel mache, weil das gute Werbung für die Band ist und den Umsatz steigert. Wie ich den Kerl hasse. Vielleicht sollte ich den Vertrag auflösen und zu dir nach Deutschland ziehen.“ Er schnaubte verächtlich.
„Da zieh ich lieber zu dir nach Finnland“, sagte Bärbel schneller, als sie sich bremsen konnte.
Teemu lächelte glücklich. „Warum? Magst du Deutschland nicht mehr? Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dass du zu mir ziehst …“ Er lächelte immer noch, sah Bärbel in die Augen und nahm ihre Hand.
„Naja, nicht unbedingt. Aber ich würde schon gern bei dir sein. Und ich finde die Deutschen meistens unfreundlich, schlecht gelaunt und sie sind immer nur am Meckern. Die Finnen kenne ich ja noch nicht, vielleicht sollte ich mir die erst mal anschauen, bevor ich sowas sage. Und – seit wir diesen neuen Chef haben, ist die Arbeit fast unerträglich.“
„Oh, das tut mir leid.“
Als sie da so saßen und sich unterhielten, kam eine Frau zu ihnen an den Tisch, die Teemu ganz lieb fragte, ob er einen Bierdeckel für ihre Tochter unterschreiben könnte. Klar konnte er. Sie war genauso schnell wieder weg, wie sie gekommen war.
Bärbel und Teemu waren eine Weile ruhig und in Gedanken versunken. Es war eine angenehme Stille.
Das Essen kam und war vorzüglich. Sie aßen in aller Seelenruhe, machten sich danach aber zügig auf den Rückweg. Ihr Tisch wurde sofort neu besetzt, vor der Tür stand immer noch eine kleine Traube von Menschen, die hier essen wollten und dafür in der Kälte warteten.
Wie sich aber herausstellte, wartete mindestens die Hälfte der Menschenmenge nicht auf Einlass ins Restaurant, sondern darauf, dass Teemu raus kam. Die Menge schloss sich um ihn und er brauchte fast eine halbe Stunde, bis er alle Foto- und Autogrammwünsche abgearbeitet hatte. Bärbel wurde mehr als aufmerksam beäugt, während sie etwas abseits wartete.
Sie schafften es schließlich, zu gehen und als sie außer Sichtweite der Fans waren, klappte Teemu seinen Kragen hoch und zog seine Wollmütze auf. Tarnmodus aktiv! Er nahm Bärbels Hand und beide bogen in einen kleinen Park ab.
„Ich frage mich … woher wissen die immer so genau, wo ich gerade bin? Hat die Frau im Restaurant, die das Autogramm geholt hat, es ihnen gesagt? Und die haben es online sofort verbreitet? Haben die mir irgendwann mal einen GPS-Chip eingepflanzt? Deutsche sind echt seltsam.“
„Sind die finnischen Fans so anders?“, fragte Bärbel.
„Ja. Viel ruhiger. Sie kommen zwar auch und möchten mal ein Autogramm oder ein Bild, aber sie stellen auch Fragen. Zur Musik oder zu den Instrumenten … oder man unterhält sich über Eishockey oder Angeln. Oder das Wetter. Bei den deutschen Fans hab ich immer das Gefühl, sie glauben, dass ich Ihnen gehöre. Die ziehen mich am Arm, als ob ich deren vierjähriges Kind wäre.“
„Ja, wie ein Tier, das man erschossen hat und dann ein Beweisbild damit macht“, sagte Bärbel. Teemu machte ein Geräusch zwischen Lachen und verächtlichem Schnauben. „Ja, genau, mit Fuß drauf.“
Sie kamen nun wieder aus dem Park ins Wohngebiet zurück. „Manchmal denke ich, es war ein Fehler, die Band so stark zu ändern“, sagte Teemu und atmete tief durch. „Und die Verträge mit Kristian zu unterschreiben.“
„Was meinst du?“
„Hast du dir unsere alten Auftritte mal im Internet angeschaut? Auf Youtube? Die in den Kneipen und kleinen Clubs?“
„Ich hab ein paar gesehen, ja. Das war super, du meinst doch die Coverversionen? Status Quo und Bryan Adams und so?“
Teemu nickte und drückte Bärbels Hand. „Ja, viele Aufnahmen gibt es aus der Zeit nicht, da waren Handys noch nicht so allgegenwärtig und die Leute waren in den Clubs oder Kneipen, um sich zu betrinken, und nicht, weil wir so eine tolle Band waren. Das hat schon Laune gemacht damals. Selbst Lieder zu schreiben ist noch besser und richtig cool. Aber Kristian hat aus Marketinggründen die Bandausrichtung mehr in Richtung Synthi-Düsterpop geändert, weil das angeblich die jüngeren Fans mehr anspricht. Keiner von uns hat gedacht, dass das so sehr in Richtung Teenieband ausartet.“
„Und welche Richtung würdest du gern machen? Das ist doch furchtbar, wenn du diese Richtung Musik gar nicht magst, die ihr jetzt macht.“ Das hatte Bärbel bisher noch nicht gewusst, dass Kristian quasi der Band auch noch die Musik vorschrieb.
„Naja, so total verbiegen wir uns nicht. Aber es ist eine Menge Politik dahinter. Mehr als man vermutet. Und die Musik – ja. Ich würde gern mehr in Richtung Hardrock gehen, mit Countryelementen. Da passt meine Stimme auch viel besser. Aber da sehe ich definitiv eher ein älteres Publikum. Dieses monumental-epische gefällt mir allerdings schon gut. Wir könnten für meinen Geschmack noch weit mehr Klavier einbauen, aber richtig laut, so bisschen wie bei Meat Loaf. Aber dafür wäre Juha der weit bessere Sänger. Stell dir ‚Moonfall at Noon’ vor mit Juhas Stimme. Hast du ihn mal bei Youtube gehört? Oder auf CD?“
Bärbel nickte. „Ich hab was aus einer Oper gesehen. Echt Wahnsinn.“
„Runter!“, sagte Teemu plötzlich und Bärbel kauerte sich neben ihn hinter ein Gebüsch. „Da sind Fans!“, flüsterte Teemu. Eine Gruppe kichernder Mädchen lief vorbei und Teemu zog Bärbel weiter. Sie überquerten geduckt, fast schon wie in einem Agentenfilm, die Straße und liefen an sehr teuer anmutenden Häusern vorbei. Es war ruhig und kalt, aber die Luft war angenehm. Noch einmal um die Ecke, dann wäre das Hotel in Sichtweite.
Mitten auf dem Weg blieb Teemu stehen. „Oh, da ist der Mustang!“, sagte er und klang überrascht.
„Ja.“ Kam jetzt der große Abschied? Bärbel wollte jetzt noch nicht gehen, aber morgen früh musste Teemu eh schon wieder weg und bis zum Hotel würden sie ungesehen gar nicht kommen.
„Verdammter Mist!“, fluchte der Finne.
Bärbel sah es nicht sofort, erst, als Teemu mit dem Finger auf die platten Reifen des Mustangs zeigte.
„Was zur Hölle …?“ Was war das denn? Bärbel wurde fast schon schlecht. Sie liefen einmal ums Auto herum, alle vier Reifen waren platt, was einen zufällig überfahrenen Nagel direkt ausschloss. Der Rest des Autos schien unversehrt.
„M-Meinst du … meinst du, das waren die Fans?“, fragte Bärbel. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie schaute auf ihr geliebtes, misshandeltes Auto.
Teemu presste die Lippen aufeinander. „Ich würde sagen, ja. Es tut mir so leid. Ich zahle dir die neuen Reifen, natürlich. Bist du in … Automobilclub?“
Bärbel nickte. Sie konnte sich nur mühsam vom Anblick der platten Reifen lösen.
„Dann … mach das morgen früh, dann sind die Fans hoffentlich weg. Du kannst mit mir im Hotel schlafen, wenn du magst.“
Sie starrte immer noch fassungslos auf den Mustang.
„Bärbbl?“ Ich kaufe ein ‚e’. Nein, Scherz. Aber hey, er gab sich wirklich Mühe, sie abzulenken. Sie nickte, er nahm ihre Hand und sie gingen ein paar Meter weiter, bis Teemu wieder stehen blieb. Er schaute sich aufmerksam um, weiter vorn liefen einige Leute über die Straße in Richtung Hotel. Noch hatten die Fans sie nicht bemerkt.
Bärbel wusste nicht, wie Teemu so schnell an ihre Seite gekommen war, aber er packte ihre Hand. „Komm, wir nehmen den Hintereingang.“
Er ging vor und nachdem sie im Dunkeln hinter einigen Häusern herumgetappt waren, erreichten sie den kleinen Privatpark des Hotels.
Sie klopften an die Hintertür und nach einigen Momenten wurde von der Inhaberin höchstpersönlich geöffnet. Sie sagte nichts, sondern schloss hinter den beiden wieder gründlich ab. Teemu erklärte die Lage, Bärbel wurde mit einem Gäste-Notfall-Übernachtungs-Set versorgt und beide machten sich auf den Weg nach oben ins Zimmer. Bärbel hörte noch mit einem halben Ohr, wie die Inhaberin des Hotels die Polizei rief. Wahrscheinlich, um die Belagerungsmädchen entfernen zu lassen.
Im Zimmer machten es sich beide auf dem Bett gemütlich, nachdem Bärbel noch die Abholung des Mustangs für morgen früh organisiert hatte.
„Wo waren wir?“, fragte Teemu.
„Wir waren glaub ich bei Juha und dass seine Stimme besser zur jetzigen Musik passen würde.“
„Ah, ja, genau. Ja, würde sie. Aber wenn Juha mehr singen würde, was er gar nicht will, um Kristian eins auszuwischen, dann hätte ich keine Funktion mehr in der Band. Juha spielt Gitarre und Toivo könnte auch die Klavierpassagen übernehmen, er spielt ja eh schon Keyboard. Börb, es ist echt schwer. Wir wollen uns, wenn wir bald im Songschreibehaus sind, alle zusammensetzen. Toivo müssen wir dann mal für eine Weile irgendwie loswerden, aber das schaffen wir schon. So kann es nicht weitergehen. Dann habe ich lieber weniger Fans und weniger Geld, aber dafür Spaß bei dem, was ich tue und muss nicht ständig die Handbremse anziehen, nur weil wir insgeheim Kristian schaden wollen. Das ist einfach nicht richtig. Dann ist es eben alles wieder ein paar Nummern kleiner.“ Er seufzte. „Was hältst du davon: Du ziehst nach Finnland, wir kaufen uns irgendwo im Seengebiet ein schönes Haus und Arttu und ich machen einen Laden für Angelzubehör und Boote auf.“ Teemu grinste.
„Ja, toll, und ich züchte Möpse.“
„Okay! Dann haben wir das ja geklärt.“
„Kann ich auch ein Pferd haben?“
„Klar. Zwei!“
Beide mussten lachen und Teemu hielt ihr seine Hand zum High Five hin. Sie schlug ein.
„Wie siehst du denn aus?“ Bärbel musste grinsen, als Teemu einige Zeit später aus dem Bad kam. Sein T-Shirt war nass, zumindest teilweise.
„Der Wasserhahn … hat mir angefallen!“
„Oh je, tragisch. Hast du ihn umgebracht?“
„Nein, er ist noch da drin.“ Teemu zog sein T-Shirt aus und warf es vor die Kommode auf den Boden. Aha. Vielleicht war das eine Art, sein Revier zu markieren.
„Und jetzt?“ Bärbel schaute zweifelnd, aber auch amüsiert.
„Jetzt? Ich schlafe ohne. Wenn es für dich okay ist?“ Sein Grinsen sagte alles.
„Klar, schlaf wie du willst. Mir wäre es ja zu kalt.“
Teemu tat so, als würde er die Boxershorts auch noch ausziehen, ließ sie aber dann doch an und kam auf das Bett geklettert.
„Wann fliegst du morgen zurück?“, fragte Bärbel.
„Mittags.“
Teemu wurde ganz ruhig und sah Bärbel in die Augen. Es kam ihr erneut so vor, als könnte er in sie hineinsehen. Bärbel streckte ihre Hand aus und streichelte ihm durch die Haare.
Das reichte ihm als Erlaubnis zur finnischen Attacke. Teemu hielt sich nicht lange auf, schob sich über Bärbel, sich auf den Ellbogen abstützend, und vergrub die Hände in ihren Haaren. Beute festhalten konnte er gut. Er küsste Bärbel immer fordernder, und das wurde auch erwidert.
Es fühlte sich einfach nur gut an und Bärbel vergaß so ziemlich alles um sich herum. Alle Bedenken und Zukunftsängste lösten sich in ein rosarotes, fluffiges Wölkchen auf.
Ihr wurde warm. Sie fuhr Teemu mit beiden Händen über die Brust. Er schaute gespielt schockiert, musste aber grinsen und ging erneut zum Angriff über. Dabei brummte er wieder herzallerliebst.
Sie ließ ihm eine Weile seinen Spaß, musste dann aber doch unpassenderweise lachen.
„Was?“ Er klang leicht verwirrt. Die typisch männlichen Probleme mit Multitasking wurden hier mehr als deutlich. Hochgucken, Sprechen und Brüste waren eindeutig zu viel Koordination für den Finnen.
„Ich mag das Geräusch. Dieses Brummen, es klingt so …“ Ups. Das böse Wort wäre fast rausgekommen.
Teemus Augen verengten sich zu Schlitzen. „Es klingt was?“
Bärbel wagte es. „Süß. Es klingt einfach nur süß.“
Aus dem genießerischen Brummen wurde ein empörtes Knurren. Sie musste erneut lachen. Teemu sah aus, als würde er noch nach einem fiesen Racheplan suchen, wurde aber wieder abgelenkt. Männer waren so einfach glücklich zu machen.
Es wurde aber nun wirklich langsam kalt und sie lagen blöderweise auf der Decke. Vielleicht wollte er insgeheim, dass sie festfror und sich dann nicht mehr wehren konnte. „Es wird kalt, komm unter die Decke.“
Das blonde Wuschelchen reagierte nicht.
„Teemu?“
Immer noch keine Reaktion. Der war gedanklich komplett woanders. Die Augen waren offen, also konnte er nicht eingeschlafen sein.
Bärbel piekste ihm mit dem Zeigefinger in die Wange, aber nicht fest. „Herr Perhonen?“
Immer noch nichts. Prima, dann konnte sie ja jetzt auch mal anfassen. Und wenn er nach ein paar Minuten immer noch nicht reagierte, würde sie ihn neben dem Bett an die Wand lehnen. Natürlich in eine Decke gewickelt, irgendwo würde sie schon eine zweite finden. Im schlimmsten Fall würde sie den großflächig geblümten Patchworkbettüberwurf nehmen, sie wollte ja nicht, dass Teemu an der Wand festfror.
Bärbel streichelte ihm über die Brust und den rechten Arm. Keine Reaktion, die tätowierte Forelle auf seinem rechten Arm lächelte. Kein Brummen, weder zustimmend noch ablehnend, er war einfach komplett in einer anderen Welt versunken. Das sah man auch daran, dass seine Zunge zwei Millimeter zu sehen war. Bärbel musste grinsen, oder eher selig lächeln, das war einfach nur süß. Ja, Männer sind nicht süß, aber genau das war er momentan in ihren Augen.
Dann mal weiter. Sie streichelte ihm über den Bauch, schön gleichmäßig. Seine Haut war total weich und es gab nur wenige kleine, ebenfalls ganz weiche, blonde Härchen hier. Weiteres Streicheln, nördlich des Bauchnabel-Boxershorts-Äquators, brachte dann doch noch eine Reaktion, die Augen fielen ihm zu. Aha. Bärbel verlieh sich gedanklich mit anerkennendem Kopfnicken die Auszeichnung ‚aufregendste und unterhaltsamste Freundin ever’. Sie war eine derartige Kanone im Bett, dass der Kerl einfach einschlief.
Vielleicht war ja auch sein Akku leer, oder er war einfach nur in den Ruhezustand übergewechselt. Das Bein stand noch, wenn das auch noch umkippen würde, war das dann Standby? Bärbel sah an ihrer finnischen Akkukatastrophe entlang und überlegte kurz. Und wagte es. Sie streichelte ihm erneut über Brust und Bauch und hob dann kurz den Bund der Boxershorts an und ließ los. Es gab ein schnappendes Geräusch und der Finne schrak hoch. „Hm? Sorry. Was ist denn? Bin ich eingeschlafen?“
Bärbel grinste und musste laut lachen. Teemus Blick war undeutbar.
Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Er kam schneller zu Bärbel rüber, als sie reagieren konnte und es gab ein wildes Rollen und Kämpfen im Bett, sogar mit Kitzelattacken. Natürlich war Teemu ihr körperlich überlegen und auch schneller, und er schaffte es daher auch problemlos, bei der ersten Verschnaufpause oben zu liegen.
Später irgendwann kletterten sie dann doch noch unter die Bettdecke und machten es sich gemütlich. Da es eine sehr breite und lange Bettdecke war, passten sie auch beide bequem drunter. Das musste für ihn ja auch ein Entscheidungskriterium für das Hotel gewesen sein. Große Betten und große Bettdecken. Da konnte er bestimmt großherzig über die Schnörkel und Blümchen überall hinwegsehen. Vielleicht gefiel ihm das ja sogar, wer weiß. Bärbel hätte nie ihre gesamte Wohnung so eingerichtet, aber es hatte definitiv was. Was Romantisches.
„Bussi?“ Teemu lächelte, kam näher und holte sich ein Küsschen ab. „Dieses Wort ist echt seltsam.“
Bärbel grinste. Sie beugte sich vor und küsste ihn. Und morgen musste sie ihn schon wieder weg lassen? Ach Menno. Es war schon spät, wenn sie beide morgen früh fit sein wollten, dann wäre schlafen jetzt bald nicht verkehrt. Also schlafen im Sinne von jeder für sich, nebeneinander, aneinander.
Bärbel musste lachen. Die Situation war einfach zu absurd. Sie mit Teemu in dieser altrosa-blassgrün geblümten Bettwäsche. Sie rollte kurz weg, griff nach hinten zur Nachttischlampe und machte das Licht aus.
„Hmm?“ Man konnte die Enttäuschung und Verzweiflung deutlich hören. Bärbel rückte wieder ein wenig näher an Teemu heran.
Bärbels erster Gedanke nach dem Aufwachen am nächsten Morgen war, dass sie Teemu nachher schon wieder verlassen musste.
Während sie noch irritiert darüber war, dass sie alleine im Bett saß, ging die Badezimmertür auf und alle Traurigkeit war zumindest vorübergehend vergessen.
Ihr vermisster Finne kam mit nassen Haaren und nur den knallroten Boxershorts bekleidet ins Zimmer und direkt zu Bärbel. Da war wieder das Brummeln. Er küsste sie innig und wünschte ihr einen guten Morgen. „Ich will nicht schon wieder zurückfliegen“, sagte er und küsste Bärbel erneut.
„Ich will auch nicht, dass du gehst. Kristian ist blöd, echt.“
Sie ging in Richtung Bad und bekam noch einen Klaps auf den Hintern. Na danke.
Das Frühstück gab es im Erdgeschoss, und auch das Geschirr passte zum Hotel. Überall Blümchen. Sie fanden einen kleinen Tisch am Fenster des hinteren der beiden Frühstückszimmer und blieben unbehelligt.
Durch das Fenster konnte man den kleinen Privatpark des Hotels sehen. Wäre es ein Fenster zur Straße hin gewesen, wäre ihr Frühstück wahrscheinlich von diversen Fans genauestens dokumentiert worden. Zwei der anderen Gäste schauten zwar ein paar Mal zu ihnen herüber, aber die sortierte Bärbel in die Kategorie Geschäftsleute ein und sie ließen sie auch in Ruhe.
Nach dem Frühstück gingen sie wieder hoch ins Zimmer und nutzten die noch verbleibende Zeit um zu kuscheln und für Zukunftsplanungen.
„Die Taxis sind da“, sagte Teemu und legte den verzierten Hörer des antik anmutenden Zimmertelefons zurück. Sie hatten sich dafür entschieden, mit getrennten Taxis zu fahren, um den Fans nicht noch mehr Zündstoff zu liefern. Der Mustang war vor einer halben Stunde bereits abgeholt worden, unter Beobachtung der mittlerweile wieder recht ansehnlichen Fantraube vor dem Hotel.
Der Moment des Abschieds war da und Bärbel stand auf. Sie und Teemu umarmten sich ein weiteres Mal, es war immer noch unfassbar für Bärbel, dass er jetzt ihr Freund war. So langsam musste das doch mal zu ihrem Hirn vorgedrungen sein, aber dem war nicht so. Genauso wenig, dass ihr selbstbestimmtes, komplett egoistisch und immer eigengeplantes Leben demnächst vielleicht zumindest ein bisschen auf den Kopf gestellt werden würde. Es fiel Bärbel schwer, hier die Zügel aus der Hand zu geben, zumindest fühlte es sich so an, als ob sie das müsste. Objektiv gesehen war dem natürlich nicht so, sie war immer noch eigenverantwortlich für sich und ihr Leben und Teemu würde ihr hoffentlich auch nie Vorschriften machen oder ihr ihre Entscheidungsfreiheit nehmen.
Schluss jetzt, sagte sie zu sich. Sie ließ sich in den nächsten Kuss fallen und versuchte, sich jedes Detail einzuprägen. Teemus Geruch, das Gefühl von seinen Lippen auf ihren und alles andere auch.
„Teemu, wie soll das weitergehen mit uns?“
„Wir finden einen Weg.“
„Hoffentlich.“
„Du bist jederzeit willkommen bei mir in Helsinki. Komm vorbei, wenn du kannst, für ein Jahr erst mal, für ein paar Wochen, Tage, wie auch immer es für dich passt. Während ich Termine habe, schaust du dir die Stadt an. Finnair bringt dich zu mir, oder dein Lufthanselflügidings. Was sagst du?“
Bei Lufthanselflügidings hätte Bärbel jetzt fast laut lachen müssen, konnte es gerade noch vermeiden. Das klang zu süß. „Klingt nach einem Plan“, sagte sie.
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. Dann sah er ihr tief in die Augen. „Börbell, Ich weiß, dass du eine selbstständige und unabhängige Frau bist, und ich akzeptiere das und das liebe ich auch an dir. Aber ich will, dass du weißt, dass wenn du nach Finnland kommen und da mit mir leben willst, oder auch eine eigene Wohnung willst, dass du mehr als willkommen bist, okay? Du kannst dein eigenes Auto haben, oder auch den Mustang mitbringen, aber im Winter ist der einfach unpraktisch. Und du kannst meine Freunde kennenlernen. Juha mag dich echt gern und seine Frau bestimmt auch. Die beiden sind wirklich lieb und helfen dir, wo sie können. Und Diego liebt dich eh schon. Meine Mutter ist ein anderes Thema, aber das kriegen wir auch hin. Und um Geld brauchst du dir keine Sorgen machen. Mops, Pferd, wie du willst. Das ist alles okay.“
Oh meine Güte. Da war es. Das Angebot, vor dem Bärbel Angst hatte, seit sie zusammen gekommen waren. Für Bärbel war das Volltreffer und bodenlose Schande in einem. Das Gefühl der Schande überwiegte momentan allerdings. Noch. Wenn Teemu ihr mal einen Flug spendieren würde, oder eine Hotelübernachtung, oder Essen oder Benzin, dann war das eine Sache, da konnte sie ihre Emanzipation auch innerlich durchaus zurückpfeifen. Aber bei Miete, Wohnungen oder sowas wie Autos und Pferden hörte der Spaß auf. Da fing für sie finanzielle Abhängigkeit an.
Sie sah zu ihrem Kuschelfinnen hoch. „Danke. Ich … weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist alles wirklich spannend und gleichzeitig hab ich eine Heidenangst davor. Autos, Wohnungen und Tiere sind für mich aber jetzt noch sehr weit weg. Allein der Gedanke ist absurd.“ Sie sah zu ihm hoch und küsste ihn.
„Ich weiß. Nimm dir deine Zeit.“ Er küsste sie zurück und streichelte Bärbel weiter über den Rücken.
Sie beruhigte sich damit, dass es ja nur eine Trennung auf Zeit war. Abschiede und Zeiten getrennt voneinander würde es in Zukunft immer wieder geben, und das nicht zu knapp. Daran würde sie sich gewöhnen müssen.
Es fiel beiden schwer, den jeweils anderen loszulassen. Die Entscheidung wurde ihnen allerdings abgenommen und zwar in Form einer plötzlich in der Tür stehenden, älteren Frau mit Kittelschürze, die einen laut röhrenden Staubsauger hinter sich herzog. Bärbel und Teemu sprangen auseinander und erschraken sich fast zu Tode.
„…traud, hast du die Zehn schon gemacht?“, brüllte es in einer ohrenbetäubenden Lautstärke aus dem Treppenhaus.