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Ruhe. Weite. Einsamkeit. Zwar nicht unbedingt auf der Kreuzfahrt, aber beim angeschlossenen Landaufenthalt in Alaska möchte Monika ihren ersten Urlaub seit Jahren gemütlich ausklingen lassen. Soweit der Plan, den sie allerdings ohne das chaotische Reiseleitungsteam rund um den schmierigen Aiden gemacht hat, der die Ausflugsgruppen immer wieder in Lebensgefahr zu bringen droht. Glücklicherweise gibt es da noch TJ, der als Reiseleiter zwar nur aushilft, aber mit seiner besonnenen, pragmatischen Art genau in Monikas Herz trifft. Ein ruhiger, humorvoller Roman für Alaska- und Naturfreunde
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Seitenzahl: 321
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Inhaltsverzeichnis
Keine Lachse in Alaska
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Teil 2 // Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Nachwort und Danksagungen
Weitere Bücher von Waltraud Batz
Waltraud Batz
Keine Lachse in Alaska
Roman
1. Auflage 2023
Texte und Layout:
© 2023 Claudia Wissemann
Umschlagbild:
© iStock.com/kongxinzhu
Verantwortlich:
Claudia Wissemann, Stettiner Str. 23, 61440 Oberursel
Druck:
epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
INHALTSHINWEIS / TRIGGERWARNUNG
In diesem Buch wird mehrfach kurz die Krankheit Krebs erwähnt.
Es gibt keine näheren Beschreibungen und keine Details, aber der Mann von Monika, der Hauptperson des Buches, ist vor dem Beginn der Romanhandlung an Krebs gestorben und das kommt mehrfach kurz zur Sprache.
Ich möchte keine Leser hierdurch verstören, die das Buch vielleicht aufgrund dessen nicht lesen möchten.
Wer sich unsicher ist, kann sich die Leseprobe der ersten Kapitel anschauen (z.B. bei den gängigen Onlineshops oder auf meinem Blog unter www.buchbatz.wordpress.com/keinelachseinalaska).
Eure Waltraud Batz
Über das Buch
Ruhe. Weite. Einsamkeit.
Zwar nicht unbedingt auf der Kreuzfahrt, aber beim angeschlossenen Landaufenthalt in Alaska möchte Monika ihren ersten Urlaub seit Jahren gemütlich ausklingen lassen. Soweit der Plan, den sie allerdings ohne das chaotische Reiseleitungsteam rund um den schmierigen Aiden gemacht hat, der die Ausflugsgruppen immer wieder in Lebensgefahr zu bringen droht.
Glücklicherweise gibt es da noch TJ, der als Reiseleiter zwar nur aushilft, aber mit seiner besonnenen, pragmatischen Art genau in Monikas Herz trifft.
Ein ruhiger, humorvoller Roman für Alaska- und Naturfreunde
Zeitliche Einordnung
Die Handlung in diesem Buch spielt ca. 2019.
Über die Autorin
1977 geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen und hängengeblieben in Oberursel/Taunus.
Nach einem abgebrochenen Studium landete sie im Büro, wo sie bis heute feststeckt. Ihre Liebe zum Schreiben lebt sie seit 2015 aus und bringt immer einen Funken Hoffnung und Humor in ihre Geschichten. Sie reist gern, liebt Tiere und Kuchen. Und sogar das Essen der britischen Inseln. Und Rentier/Karibu. Lachs ist auch okay.
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ISBN 978-3-7541-0921-2 Taschenbuch
ISBN 978-3-7541-0922-9 E-Book
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ISBN 978-3-756548-87-3 Taschenbuch
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Kapitel 1
„Wir hatten schon Wetten laufen, ob wir dich noch mal zu Gesicht bekommen, bevor die Kreuzfahrt vorbei ist“, sagte die große, in ein extravagantes Glitzerkleid gehüllte Frau zu Monika, als diese sich an den großen runden Tisch im Hauptspeisesaal des Schiffes setzte.
„Ich hab eher am Buffet und im Poolrestaurant gegessen“, sagte Monika, die gerade vom Kellner an den Tisch gebracht worden war.
„Na, da hast du aber was verpasst!“ Die Glitzerdiva lächelte, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Einige am Tisch lachten. Genau deshalb hatte Monika den großen Speisesaal bisher gemieden.
„Und jetzt, so am letzten Abend, wolltest du doch mal schauen, wie das hier so ist?“, fragte eine vornehme, bestimmt schon achtzigjährige Dame quer über den Tisch. Der Mann neben ihr nickte Monika freundlich zu.
„Ja, so ungefähr“, sagte sie und hoffte, dass die Aufmerksamkeit der Tischgesellschaft sich auf etwas anderes als auf sie richten würde.
„Wo kommst du her?“, fragte nun die Frau, die links von ihr saß.
„Aus Deutschland“, sagte Monika.
„Ach, schön, woher genau? Meine halbe Familie war in Friedberg in der Kaserne stationiert! Wie Elvis!“ Alle am Tisch schauten zu Monika.
„Ich wohne so ungefähr zwei Stunden entfernt“, sagte Monika und nahm ihr Glas Cola vom Kellner entgegen. Anerkennendes Gemurmel wallte auf und dann wurde das Essen bestellt.
Es folgte noch eine kurze Vorstellungsrunde, auch, wenn die Kreuzfahrt eigentlich schon vorbei war. Alle außer Monika waren bereits pensioniert und genossen ihren Reichtum an Bord von Kreuzfahrtschiffen, bei exklusiven Urlauben und anderen teuren Zeitvertreiben.
Ruth, die neben der Frau im Paillettenkleid saß, lehnte sich nun nach vorn und wartete, bis sie zu Wort kam. „Machst du diese Kreuzfahrt allein? Das ist doch so teuer!“
Die anderen Passagiere schauten Ruth mit großen Augen an.
„Ja, ich bin allein hier und ja, es ist sehr teuer, aber …“ Monika druckste herum und wusste nicht, wie sie das möglichst schonend für sich und die anderen formulieren sollte. „Mein Mann ist vor einem halben Jahr gestorben und er hat mich immer ermutigt, diese Kreuzfahrt zu machen, wenn er mal …“ Sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Ach, Kindchen“, sagte die Frau links von ihr und legte ihr ihre wohlmanikürte und mit teuren Ringen bestückte Hand auf den Unterarm.
„War er krank? Oder ein Unfall?“, fragte jemand.
„Krank“, sagte Monika. „Er hatte Krebs und noch andere Krankheiten und konnte die letzten Jahre kaum mehr aus der Wohnung. Es war … sehr anstrengend.“
„Dann habt ihr ja nie Urlaub machen können?“, fragte die Frau im Glitzerkleid.
„Nein.“ Monika schneuzte in ihr Taschentuch.
„Wie schrecklich“, sagte Ruth. Es klang ehrlich. Monika nickte. Das Essen wurde gebracht und unterbrach die peinliche Stille.
Nach einigen Tischgesprächen über die Ereignisse der letzten Woche und das bevorstehende Ende der Kreuzfahrt richtete sich das allgemeine Interesse wieder auf Monika, allerdings ohne das Thema ‚todkranker Mann‘ noch einmal aufzugreifen.
„Und du, fliegst du auch direkt zurück? Wieder zurück in den Alltag?“, fragte einer der Männer der Runde. Bisher hatten eher die Frauen die Gespräche bestritten.
„Ja, leider. Ich möchte gar nicht zurück.“
„Wir machen noch eine Woche Landaufenthalt“, sagte der Mann und lächelte seine Frau an. Auch das Ehepaar neben ihnen nickte. „Das in Fairbanks? In der Lodge?“
„Ja, genau.“
„Mit Denali oder ohne?“, fragte die Glitzerfrau.
„Mit.“
„Wir auch!“, stimmte das Ehepaar gegenüber zu. „Na, dann werden wir uns ja noch sehen!“
Die Gespräche verlagerten sich nun zu Themen, die wohl schon während der Kreuzfahrt mehrfach diskutiert worden waren, es ging um Enkelkinder, Gärten und Politik und Monika verabschiedete sich, so früh es ihr höflich erschien.
Die frische Luft tat gut. Monika war eine halbe Schiffslänge auf dem Promenadendeck entlanggegangen, weit entfernt von den anderen Passagieren, die vorn bei der Tür zum Barbereich des Schiffes kichernd mit Sektgläsern in der Hand den letzten Abend der Kreuzfahrt begossen. Es war kalt und das Meer war tiefschwarz. Alles außerhalb des Schiffes war tiefschwarz.
Monika lehnte sich auf die Reling und schaute nach unten. Einige Decks unter ihr kräuselte sich das schäumende Wasser und wirbelte gegen den Rumpf des Schiffes, beleuchtet von den Bullaugen nahe der Wasseroberfläche. Das Schiff würde die Nacht über weiterfahren, um dann morgen früh erneut in Whittier bei Anchorage festzumachen. Dort waren sie gestern schon gewesen und hatten die Kreuzfahrt heute mit einer Rundfahrt im Prince William Sound beendet.
Monika lief weiter auf dem Promenadendeck um das Schiff herum, ein allabendliches Ritual, dass sie während der Kreuzfahrt lieb gewonnen hatte und das ab morgen nur noch Erinnerung sein würde.
Sie blieb an ihrem Lieblingsplatz stehen, der hinteren Reling des Schiffes. Von hier aus sah man die Wake, die vielen Wasserwirbel, die vom Antrieb des Schiffes produziert wurden und man hörte sie auch. Ein ohrenbetäubendes Rauschen, aber gleichzeitig beruhigend und befriedigend.
Die breite Spur durchgequirlten Wassers zog sich bis zum Horizont. Monika schaute dem hellen Wasserstreifen zu und eine Welle an Melancholie überkam sie. Sie wünschte sich, dass die Kreuzfahrt morgen nicht enden würde. Sie wäre am liebsten weitergefahren. Weiter, immer weiter. Egal wohin. Das Schiff war die letzten zehn Tage ihre Heimat gewesen, sie hatte sich hier an Bord und auch bei den Ausflügen sehr wohlgefühlt. Alles war gut organisiert gewesen, sie hatte lecker gegessen, gut geschlafen, viel gesehen, noch mehr erlebt und würde außer tausenden Fotos jede Menge schöne Erinnerungen mit nach Hause nehmen.
Sie riss ihren Blick vom Wasser los und lief weiter. Auf der anderen Seite des Schiffes angekommen lehnte sie sich erneut auf die Reling und schaute in die Dunkelheit.
„Ach, hallo“, hörte sie eine Stimme neben sich und erkannte Tilly, die alte, vornehme Dame, die vorhin mit an ihrem Tisch gesessen, sich aber an den Gesprächen kaum beteiligt hatte. Sie machte einen sehr weisen, welterfahrenen Eindruck.
„Hallo“, grüßte Monika zurück und lächelte.
„Bist du auch so melancholisch? Diese Kreuzfahrt war echt toll“, sagte Tilly und schaute ebenfalls auf das Wasser.
„Ja“, sagte Monika. „Ich wünschte, ich könnte einfach weiterfahren.“ Sie waren eine kurze Weile still.
„Es tut mir sehr leid wegen deines Mannes. Das muss fürchterlich gewesen sein mit der Krankheit. Umso mehr freue ich mich für dich, dass du diese Kreuzfahrt machen konntest. Und es dir gefallen hat.“
Monika nickte und sagte nichts.
Tilly räusperte sich. „Mein Mann ist vor einigen Jahren gestorben. Er war auch krank, aber es ging schnell. Gott sei Dank. Wir waren vierzig Jahre verheiratet.“
„Wir fünfzehn“, sagte Monika.
„Fünfzehn? Wie alt bist du, mein Kind?“ Die alte Dame schaute Monika hellwach an.
„Fünfunddreißig.“
Tilly lächelte. „Wir haben auch sehr früh geheiratet, mit achtzehn direkt. Damals war das üblicher als heute. Schön, dass es das noch gibt.“ Beide sagten eine Weile lang nichts mehr und schauten auf das Wasser.
„Wollen wir noch einen Kreuzfahrtabschiedsdrink in der Bar nehmen? Oder einen Kaffee?“, fragte Tilly. „Mir wird es hier draußen allmählich zu kalt. Würdest du mich begleiten?“
Monika nickte und sie verließen das Promenadendeck.
„Wie geht es für dich weiter, zu Hause?“, fragte Tilly Monika, als sie in kleinen Sesselchen im Foyer des Schiffes saßen. Beide hatten sich für eine heiße Schokolade mit viel Sahne entschieden.
Monika wischte sich die Sahne von der Nase. „Ich weiß es noch nicht. Momentan ist alles noch so unwirklich, auch wenn Thomas‘ Tod jetzt schon ein halbes Jahr her ist. Es sind immer noch Sachen von ihm in der Wohnung, gemeinsame Erinnerungen. Das konnte ich noch nicht alles wegtun.“
„Das ist auch vollkommen verständlich. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Es ist noch nicht lange her. Sortiere dich neu und dann geht es weiter. Irgendwann bist du auch wieder bereit für einen neuen Partner und lebst dein Leben weiter, aber überstürz es nicht.“
„Hmpf“, machte Monika.
Tilly grinste. „Gibt es da schon jemanden?“
Monika dachte kurz nach, wischte den Gedanken aber sofort zur Seite. „Nein, nicht wirklich. Einer von Thomas‘ wenigen Freunden, die immer noch zu uns gehalten haben nach all der Zeit, ist oft da und hilft mir mit Renovierungen oder Erledigungen. Ich glaube manchmal, er hätte Interesse, vielleicht, aber ich kann das schlecht einschätzen.“
„Wäre er denn etwas für dich?“
„Ich weiß es nicht. Er ist schon nett, hat einen sicheren Job. Aber … nein. Als Partner kann ich mir ihn nicht so richtig vorstellen.“
„Dann ist er es nicht. Die Liebe ist zu kostbar, um sie zu verschwenden. Hör auf dein Herz.“
„Ich werde es versuchen“, sagte Monika.
„Tu es, versuchen gilt nicht“, sagte Tilly und lächelte weise. „Gib dir Zeit. Du bist noch jung. Es war eine lange Zeit. Wie lange davon war er krank?“
„Fast zehn Jahre jetzt. Es wurde nach und nach schlimmer. Operationen, Reha, erneute Operationen, wieder Reha, stationär, ambulant, zu Hause. Die Einschränkungen, Medikamente, Nebenwirkungen. Wir hatten alle Ersparnisse aufgebraucht. Seine Stimmung war im Keller irgendwann, dann die nächste niederschmetternde Diagnose, da war keine Chance mehr, optimistisch zu sein.“
Tilly nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. „Ja, und das strengt den Partner genauso an wie den Betroffenen selbst. Und das Umfeld ist meist nur eine geringe Hilfe, wenn überhaupt.“
Monika atmete durch. „Meine Eltern wohnen fast an der Schweizer Grenze, seine leben nicht mehr. Meine Freunde haben ihre eigenen Probleme und haben sich nach und nach abgewandt, weil Thomas einfach unerträglich ihnen gegenüber wurde. Es war wirklich nicht leicht. Für einen Krankenpflegedienst war kein Geld da, also habe ich nur noch halbtags gearbeitet und wir haben uns so durchgeschlagen. Er wollte immer, dass ich diese Kreuzfahrt mache, wenn er mal nicht mehr ist.“ Monika wischte sich eine Träne weg.
Tillys Augen waren feucht, aber sie lächelte noch immer mitfühlend. „Und es war eine wirklich schöne Kreuzfahrt, nicht?“
Monika nickte. „Ja. Absolut. Es war einfach toll, mal etwas von der Welt zu sehen. Und auch die Verantwortung abzugeben und sich bedienen zu lassen.“
Beide lachten.
„Oh ja“, sagte Tilly, lehnte sich zurück und nippte an ihrer Schokolade. „Man braucht sich um nichts zu kümmern. Und sieht viel. Ich mag Kreuzfahrten.“
„Ja. Landschaftlich ein absoluter Traum, und die Tiere erst. Ich hab mir immer so gewünscht, Wale zu sehen und jetzt hab ich so viele gesehen, dass sie fast nichts Besonderes mehr sind.“
„Wale werden immer etwas Besonderes bleiben“, sagte Tilly.
„Ich werde das alles hier vermissen.“ Monika schaute sich um. Ein Pianist ging zum Flügel, der unter der weit geschwungenen Mahagonitreppe stand, die das Erdgeschoss mit der Galerie der sehr eleganten Lobby verband.
Tilly nickte und verschränkte ihre faltigen Hände ineinander. An ihrem Ringfinger blitzte ein Edelstein auf. Sie schloss die Augen und hörte der leisen Klaviermusik zu. „Ich kenne das Gefühl. Es ist meine vierzehnte Kreuzfahrt, aber dieses Gefühl habe ich jedes einzelne Mal gehabt.“
„Vierzehn? Wow!“
Tilly nickte, dann richtete sie sich auf und legte Monika eine Hand auf den Arm. „Warum machst du nicht noch eine Woche Landurlaub hier in Alaska? Ich selbst muss wieder nach Hause, nach England, aber die Möglichkeit gibt es. Die Reederei kann das vermitteln. Eine Woche in einer Lodge im Landesinneren und von dort aus Ausflüge machen, wie hier, nur eben ohne Schiff!“
Es klang fantastisch und genau wie das, was Monika brauchte. Noch einen Aufschub, bevor sie wieder in die Realität zurückkehrte.
„Komm, wir fragen mal an der Rezeption!“, sagte Tilly, stellte ihre leere Tasse auf den kleinen Marmortisch und stand auf. Monika tat es ihr nach.
Kapitel 2
„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Monika den schmierigen Reiseleiter, der die Gruppe gestern früh nach dem Auschecken vor dem Schiff in Empfang genommen und den restlichen Tag über und heute Vormittag begleitet hatte. Nun stand die Gruppe gut zwei Stunden nördlich des Denali-Nationalparks auf einem Supermarktparkplatz. Der zweite Reiseführer war schon seit zwanzig Minuten verschwunden, was einige der Buspassagiere dazu verleitet hatte, im Supermarkt oder den benachbarten Geschäften vorbeizuschauen.
„Ich gehe mal nachschauen, wo Matt bleibt“, sagte der Reiseleiter, klopfte Monika versöhnlich auf die Schulter und lief in Richtung Gebäude.
Sie mochte ihn nicht. Er war zwar das, was man allgemein gutaussehend nannte, aber er hatte eine arrogante, vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Art, und ließ die Gruppe, wann es nur immer ging, wissen, was er schon alles erlebt und wie er allerlei gefährliche Situationen gemeistert hatte. Alle schienen sehr begeistert von ihm.
„Und?“, fragten Ruth und die anderen, die neben dem Bus warteten, als Monika zu ihnen zurückkam.
„Er geht nachschauen“, sagte Monika.
„Na, hoffentlich ist nichts passiert“, sagte der kleine, dicke Mann der fast lilahaarigen, überemotionalen Frau, die im Bus hinter Monika gesessen hatte.
„Vielleicht vom Bären gefressen, hinterm Supermarkt, beim Pinkeln“, sagte einer der Männer und lachte.
Die kleine Gruppe schaute in Richtung Gebäude, aber die beiden Reiseleiter tauchten auch in der nächsten Viertelstunde nicht auf. Die Kreuzfahrttouristen nahmen nun die Auslagen vor dem Supermarkt in Augenschein. Hier standen jede Menge Nippesregale, Postkartenständer und Gitterkörbe voller Alaska-Souvenirs. Ein riesiger Stapel Rentier- bzw. Karibufelle weckte Monikas Neugier und sie streichelte über die weichen Haare. Sie schaute immer mal wieder in Richtung Busse. Die beiden Reiseleiter waren immer noch nicht zurückgekehrt.
Monika freute sich auf die kommende Woche, zu der Tilly ihr noch auf dem Kreuzfahrtschiff verholfen hatte. Monika hatte nur die Transfers und die Unterkunft mit Halbpension gebucht, die Ausflüge würde sie vor Ort dazubuchen. So blieb ihr noch Zeit für eigene Unternehmungen und zum Nachdenken.
Ein blauer Pickup bog vom Highway aus auf den Parkplatz ein und parkte. Ein Mann stieg aus und lief zum Supermarkt.
Monika fand den Mann faszinierend, warum, konnte sie gar nicht sagen, aber das Gesamtpaket war interessant. Er sah aus, als käme er gerade direkt von einem Angelausflug oder vom Jagen, trug robuste Outdoorkleidung und verdreckte, sehr stabile Schuhe. Ein waschechter Alaskamann. Geschätzt ungefähr ihre Größe, braune, kurze Haare. Er beachtete weder Monika noch die anderen orientierungslos herumstehenden Touristen und verschwand im Laden.
Bill, einer der Touristen aus Monikas Bus, kam aus dem Supermarkt und schüttelte lachend den Kopf. Alle sahen zu ihm.
„Was?“, fragte Ruth, seine Frau.
„Ich weiß jetzt, warum der Reiseführer verschwunden ist.“
„Und warum?“, fragten drei der anderen Buspassagiere gleichzeitig.
„Er hat sich den Magen verdorben und blockiert die gesamte Kundentoilette. Der andere schwitzt Blut und Wasser und weiß nicht, was er machen soll.“
„Wir haben doch zwei Busse, dann fahren wir eben in das Indianerreservat und er fährt den anderen zum Arzt“, sagte Ruth ohne einen Hauch von Mitgefühl in der Stimme. „Die beiden sind eh fürchterlich, Angeber und so arrogant. Wenn meine Söhne so wären, denen würde ich eine klatschen! Also ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde …“ Sie sprach nicht weiter, da Aiden, der Reiseführer, genau in diesem Moment aus dem Supermarkt gekommen war. Einige nickten Ruth noch zu. Monika war also doch nicht allein mit ihrer Meinung, gut zu wissen.
„So, meine bezaubernden Damen, ich muss kurz mit den Busfahrern etwas besprechen und dann fahren wir weiter.“
„Gibt es ein Problem?“, fragte Dolores, eine stark geschminkte und sehr lustige Touristin, die immer für einen Lacher sorgte und gern sarkastische Rückfragen zu den Heldengeschichten des Reiseleiter-Duos stellte.
Aiden zwinkerte ihr zu. Er steckte beide Hände in die Taschen seiner grünlich schimmernden Fliegerjacke und klappte die Sonnenbrille von seinem Kopf auf seine Nase. „Nein, nein …“, sagte er etwas zu laut.
„Wo steckt denn dein Freund?“, fragte Dolores laut.
„Ähm … ja … er … er muss noch etwas erledigen.“
Bill lachte schallend los, schüttelte den Kopf und ging ein paar Meter von der Gruppe weg.
Der Alaskamann, den Monika vorhin schon beobachtet hatte, kam nun durch die automatische Tür hindurch vor den Supermarkt. Als er Aiden sah, verengten sich seine Augen kurz zu Schlitzen. „Hallo“, sagte er beiläufig. Er hatte eine Farbdose in der einen und eine Getränkedose in der anderen Hand. Er blieb kurz stehen, ging dann aber weiter.
„Meine Damen, ich glaube, ich habe noch bessere Lösung!“, verkündete Aiden laut. Er grinste kurz und setzte an, dem Mann zu folgen. Dieser blieb stehen und Aiden rannte ihn fast um, brachte aber wieder einen gewissen Abstand zwischen die beiden.
„Glaubst du, soso“, murmelte Ruth ihm hinterher.
Aiden nahm die Sonnenbrille von den Augen. „Hey, wie geht’s? Mit dir habe ich ja hier gar nicht gerechnet“, sagte er zu dem Mann. Der sah Aiden an und dann zu der Touristengruppe hinüber. „War angeln und bin jetzt auf dem Rückweg. Aiden, was ist los?“
„Ja, wie soll ich es sagen …“
„Sag es halt oder lass es“, entgegnete der Mann neutral.
„Ich … kann ich kurz mit dir reden? Unter vier Augen?“, fragte Aiden den Mann. Dieser hob beide Augenbrauen, es machte aber eher einen amüsiert-gelangweilten denn interessierten Eindruck.
Aiden nahm die Hände aus den Jackentaschen. „Okay, okay … lass uns kurz hier rüber gehen!“ Er ging einige Meter zur Seite und der Mann folgte, allerdings nur zwei Schritte weit.
Monika musterte ihn unauffällig. Zumindest hoffte sie, dass es unauffällig war, aber einige andere starrten ebenfalls zu den beiden hinüber.
„TJ …“, fing Aiden an. Der Mann legte den Kopf ein wenig schräg und wartete ab.
„Ich brauche deine Hilfe. Jetzt.“
Der Mann, den Aiden TJ genannt hatte, hob erneut die Augenbrauen und sah amüsiert aus. „Ach ja? Wobei?“
„Matt und ich sind gerade auf dem Weg ins Reservat, mit unseren Gästen hier“, sagte Aiden und fuhr leiser fort, aber man konnte ihn immer noch gut hören. „Aber er steckt da im Klo fest und kotzt sich die Seele aus dem Leib, ich brauche dringend jemanden, der …“
„Ich fahr den nirgendwohin“, sagte TJ sofort. „Der kotzt mir noch ins Auto.“
Aidens Schultern sanken etwas nach unten. „Bitte ... ich … würde mich auch erkenntlich zeigen.“
„Nein.“
„TJ …“
„Ich sagte nein. Und ich meine nein, wenn ich nein sage. Fahr ihn zum Arzt oder ins Krankenhaus, wenn es ihm nicht gut geht, oder hol eine Ambulanz, aber lass mich da raus. Wir sind hier nicht im Job, du hast mir hier nichts zu sagen.“
Aiden schob den Unterkiefer vor und atmete durch. Die beiden Männer starrten sich an. TJ war die Ruhe selbst und Aiden sah man förmlich an, wie er sich bemühte, nicht laut zu werden. Besonders intelligent sah er dabei nicht aus. Er brauchte dringend eine Lösung und zwar schnell.
Monika und die anderen Touristen sahen mittlerweile ganz offen zu und bemühten sich nicht mehr, so zu tun, als würden sie das Gespräch nur rein zufällig mithören.
„Gut, ich habe dich verstanden, aber …“
„Kein aber. Ich fahre ihn nirgendwohin und ich werde auch nicht im Supermarktklo neben ihm sitzen und auf ihn aufpassen. Finde eine Lösung, aber lass mich da raus.“
Monika bewunderte TJs ruhige, unaufgeregte Art. Er hatte nein gesagt und schien völlig mit sich im Reinen. Aiden atmete durch und hakte die Daumen in seine Hosentaschen. „Okay, ich habe es verstanden. Wie … wie wär‘s mit einem kleinen Nebenverdienst?“
TJs Augenbrauen zogen sich zusammen, was einige Stirnfalten zum Vorschein kommen ließ. „Aiden, was willst du?“ Seine Stimme war nicht lauter als vorher, aber hatte nun einen ungeduldigeren Tonfall angenommen.
„Okay, okay … dann … würdest du bitte mit unseren Gästen ins Reservat fahren? Ihnen auf dem Weg dorthin bisschen was erklären, im Reservat bei ihnen bleiben, die Führung begleiten?“
„Hast du sie noch alle? Ich?“ TJ lachte kurz, aber es wirkte ungläubig und abwertend auf Monika.
„Ich habe keine andere Wahl. Mach dich nicht über mich lustig …“
„Sonst?“ TJ sah Aiden offen an, immer noch die zwei Dosen in den Händen haltend. Er saß am längeren Hebel und das wussten hier alle.
Aiden wand sich. „Ich werde nicht noch einmal fragen … und noch mal, ich … du … du kriegst natürlich auch was dafür.“
TJ sah kurz nach oben, so, als ob er nachdenken würde und schaute dann ganz offen zu der Touristengruppe, die seinen Blick erwiderte. Monika kam es vor, als ob sein Blick einige Sekunden zu lang auf ihr ruhte, bevor er wieder Aiden ansah. Ihr wurde kalt und warm gleichzeitig.
„Okay, lass uns rübergehen zu meinem Auto und das unter vier Augen besprechen. Das ist noch kein Ja.“ TJ lief los und Aiden folgte ihm.
„Na, das kann ja heiter werden“, sagte Dolores.
„Ich mag ihn irgendwie“, sagte Ruth. „Endlich mal jemand, der Mister Tausendschön Kontra gibt.“
Kapitel 3
Die lebhafte Diskussion dauerte fast zehn Minuten. Monika und die anderen Touristen sahen den Männern beim Streiten zu und als Bill anfing, die beiden aus der Ferne zu synchronisieren, war die Gruppe mehr als guter Laune. Auch, wenn man dem eigentlichen Zeitplan schon mehr als hinterherhinkte. Die beiden Streithähne hatten wohl eine Einigung gefunden und Aiden winkte die Reisegruppe zu sich.
„So, wir haben eine Lösung. Das hier ist mein Kollege TJ, er wird euch alle zum Reservat begleiten. Ich kann leider nicht dabei sein, weil ich mich um Matt kümmern muss.“
Ein Raunen ging durch die Gruppe, einige hatten anscheinend noch gar nicht mitbekommen, dass Matt fehlte und der Stopp gänzlich ungeplant gewesen war.
„Matt geht es nicht gut und ich werde ihn jetzt zum Arzt fahren. Bitte holt die restliche Reisegruppe zusammen. Wir sehen uns dann in der Lodge. Viel Spaß und gute Fahrt.“ Er stellte sich aufrecht hin und lächelte übertrieben. Monika kam es so vor, als hoffte er, Trinkgeld dafür zu bekommen, dass er es nun geschafft hatte, den Tagesausflug zu retten. Einige taten ihm den Gefallen, aber die meisten nickten nur und stiegen wieder in die Busse.
TJ stieg als Letzter ein. Er ließ das Mikrofon fast fallen, das der Busfahrer ihm in die Hand drückte. Monika wertete es als Nervosität. Der Fahrer flüsterte ihm zu, dass er nun etwas sagen sollte.
„Warum?“, hörte man ihn halb durchs Mikrofon und halb, weil er laut gesprochen hatte.
„Aiden redet ständig mit ihnen. Sie bezahlen eben eine Menge Geld, und da wollen sie auch was für haben“, entgegnete der Busfahrer, was allerdings nur die Leute in den ersten Reihen hören konnten. Einige kicherten und Monika empfand ein gewisses Mitleid für TJ, der so gar nicht der Typ dafür zu sein schien, Leute zu unterhalten und zu informieren.
Er atmete durch und hielt dann das Mikrofon etwas höher. Seine Stimme kam klar und deutlich über die Lautsprecher und Monika empfand sie als sehr angenehm. Aiden hatte immer extrem laut gesprochen, was durch die Lautsprecher verzerrt worden und dadurch sehr anstrengend gewesen war.
„Ja … Hallo. Also, wir fahren jetzt zu den Ureinwohnern, nennen wir sie lieber so, Indianer klingt so nach Wilder Westen. Allerdings möchte ich klarstellen, es ist kein Reservat, sondern so etwas wie eine Gemeinschaft, sie wohnen eben dort. Reservat im Sinne von den Reservaten in den südlicheren Staaten der USA gibt es in ganz Alaska nur eins, und das ist nicht hier.“
Gemurmel wurde laut. „Wieso wird es denn dann überall als Reservat bezeichnet? Auch in den Ausflugsbroschüren?“, fragte eine der Touristinnen aus der dritten Reihe. Zustimmende Rufe wurden lauter.
TJ hob kurz die Schultern an. „Weiß ich nicht. Ich war heute früh angeln und wollte eigentlich nur noch kurz was im Supermarkt besorgen. Ich habe keine Ahnung, was in euren Hochglanzbroschüren steht. Ich hab sowas hier noch nie gemacht. Ich weiß, dass dort oft Reisebusse halten und Handwerk, Kunst und die Geschichte der Ureinwohner gezeigt werden. Aber es ist kein Reservat im Sinne von als Indianer verkleideten Leuten, die in Zelten leben, mit Zaun drum rum. Glaubt es oder lasst es.“
„Warst du denn schon mal da?“, fragte jemand.
„Nein“, sagte TJ. Einige begannen, mit ihren Nachbarn zu flüstern.
„Wie meinst du das, verkleidet?“, fragte es von weiter hinten.
TJ stützte sein Kinn kurz auf das Mikrofon und verzog den Mund zu einem schrägen Grinsen. Er atmete aus. „Ich weiß nicht, was ihr für Vorstellungen habt. Diese Leute wohnen dort, völlig normal, wie alle anderen Menschen hier in der Gegend auch. Sie haben in der Regel weder Federn in den Haaren, noch nähen sie ihre Klamotten selbst oder reiten auf bunt bemalten Pferden durch die Gegend. Sie fahren Fords und Toyotas wie wir alle und haben Jeans und Lederjacken an. Klar zeigen sie euch traditionelles Handwerk, aber bitte erwartet jetzt keinen Zirkus in Indianerkostümen oder Regentänze ums Lagerfeuer.“
Erneut brandete Gemurmel auf, diesmal etwas lauter und empörter als vorher. Monika tat TJ immer noch leid, aber sie bewunderte ihn für seine Ehrlichkeit.
Er wartete eine Weile ab, bis die Leute wieder ruhiger wurden. „Aiden sagt, es ist alles vorbereitet. Es wird Handwerk gezeigt und die Lebensweise erklärt, die Geschichte und so. Und es gibt wohl eine kleine Wanderung zu einem Aussichtspunkt. Wer die nicht mitmachen will oder kann, bleibt eben bei den Häusern. Wir teilen euch auf. Ihr seid Gruppe Eins“, sagte er zur linken Seite des Busses. „Und ihr seid Gruppe Zwei“. Die andere Seite des Busses nickte.
„So, da sind wir“, sagte TJ nach einiger Zeit Fahrt ins Mikrofon und legte es dann zur Seite. Die Touristen schauten interessiert aus dem Fenster. Man sah nicht viel, einige containerartige Gebäude und weiter hinten noch weitere Häuser, Holzhäuser wie die, die sie auf der Fahrt hierher und auch gestern schon vom Bus aus gesehen hatten. Eine große Feuerstelle, an der einige Personen gerade Holz aufstapelten, lag in der Mitte eines großen Platzes.
„Park hier draußen“, sagte TJ zu dem Busfahrer. „Wenn es nachher regnen sollte, wird der Platz zu matschig.“ Der Busfahrer nickte und drehte in der Einfahrt zum Reservat, das keines war.
Nachdem die Busse geparkt und die Türen geöffnet worden waren, kletterten alle Touristen nach draußen. TJ schaffte es innerhalb weniger Minuten, die vier Gruppen neben der Feuerstelle zu versammeln.
Einer der Ureinwohner, wie vorhergesagt in Jeans und gefütterter Lederjacke, kam zu ihm. Er schaute sich suchend um. „Wo sind Aiden und Matt?“, fragte er TJ und die Busfahrer, die ebenfalls ausgestiegen waren.
Adam, der Busfahrer von Monikas Bus, erklärte kurz die Lage und der Mann lachte. „Okay. Und du bist der Ersatz?“, wurde TJ gefragt.
„So ungefähr, ja. Hab Aiden zufällig am Supermarkt getroffen. Frag nicht.“
Der Mann nickte. „Ja, okay, ich frag nicht. Ich kenn dich aber irgendwoher. Arbeitest du in Fairbanks hinten beim Sägewerk?“
TJ nickte kaum merklich.
„Hab da auch mal zwei Sommer lang geholfen.“
TJ sah ihn an und damit schien das Thema für ihn beendet. Drei weitere Männer kamen nun zu den Bussen und übernahmen routiniert jeweils eine Gruppe. TJ ging bei Monikas Gruppe mit.
„Ich bin übrigens Ray“, sagte der vermeintliche Indianer, den Monika auf ungefähr vierzig schätzte, zu TJ.
„TJ.“
„Sag mal, hat dein Vater bei Johnson oben gearbeitet? Früher?“
„Ja“, sagte TJ knapp. „Was auch immer er gesagt oder getan hat, ich bin nicht er“, schob er noch nach. Ray verzog den Mund. Die beiden Männer sahen sich einen Augenblick an und dann wandte sich Ray an die Gruppe und begann, die Geschichte der Ureinwohner aufzurollen.
Der kurze, zusammenfassende Vortrag war interessant und die Gruppe kam an ein Gebäude, vor dem einige ältere und jüngere Frauen Webtechniken zeigten.
Monika folgte den Ausführungen von Ray und einer älteren Frau, die erklärte, wie früher Stoffe gefärbt und verarbeitet wurden und nebenher warf Monika immer mal einen Blick auf TJ. Der stand, die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben, bei der Touristengruppe und hörte ebenfalls interessiert zu. Danach konnte die Gruppe in einem garagenartigen Gebäude einer jungen Künstlerin bei der Arbeit zuschauen, die hier Bilder malte.
Sie gingen hinüber zu einem anderen Gebäude, vor dem auf einer Leinwand ein kleiner Film mit Aufnahmen der letzten Jahrzehnte gezeigt wurde. Noch weitere Dinge, zum Beispiel Jagdtechniken und Fellverarbeitung, wurden erklärt und gezeigt.
Die Zeit verging schnell und es war wirklich interessant. Die Führungen waren gut organisiert, aber Monika hatte den Eindruck, dass die Gruppe etwas anderes erwartet hatte. Etwas eher in Richtung von dem, was TJ im Bus erwähnt hatte. Klar erkennbar als Indianer gekleidete Leute zumindest.
Als alle Gruppen die verschiedenen Stationen im Camp durchlaufen hatten, wurde die Wanderung angekündigt. Diese würde laut Ray ungefähr zwanzig Minuten dauern und zu einem Aussichtspunkt hinter einem kleinen Wald führen. Unterwegs würde noch einiges zur einheimischen Tierwelt und deren Legenden erzählt werden. Danach dann die Weiterfahrt in die Lodge bei Fairbanks.
Einige der Touristen, die nicht so weit laufen wollten oder konnten, blieben im Camp, aber die meisten schlossen sich der Wanderung an.
„Sind denn da unten Lachse? Die hüpfen doch so im Wasser nach oben und werden dann von den Bären gefressen!“, rief Kelly, eine platinblonde, sehr muntere Touristin aus Florida und hielt ihren Sommerhut fest, während sie sich über das Geländer des Aussichtspunktes beugte.
„Dass da überhaupt noch welche übrig sind, bei den vielen Bären!“, sagte eine andere Frau, die ihre Augen mit der Hand abschirmte und versuchte, die vermeintlichen Lachse fünfzig Kilometer weiter zu erspähen.
„Es sind tausende Lachse“, sagte TJ. „Da bleiben genug übrig.“
„Ja, genau, diese roten Lachse! Wo sind die? Da unten?“, rief eine weitere Touristin und äugte in die Landschaft unter ihnen, die spektakulär, wild und sehr sehr fotogen war. Nun hingen bereits drei Touristinnen auf Lachssuche über dem stabilen Holzzaun.
Monika stand nur wenige Schritte entfernt und war gespannt auf TJs Antwort. Seit fast einer halben Stunde waren sie nun hier am Aussichtspunkt und er hatte geduldig und meist auch humorvoll auf die mehr oder weniger absurden Touristenfragen geantwortet, auch wenn der in seinen Antworten enthaltene Humor sicherlich dem ein oder anderen Fragesteller verborgen geblieben war.
„Diese Lachse gibt es hier nicht“, sagte er ruhig. Die drei Frauen drehten wie einstudiert ihre Köpfe zu ihm und fragten gleichzeitig: „Was?“
„Die gibt es hier nicht. Dafür aber jede Menge andere Fischarten.“
„Aber da in der Lodge, wo wir nachher noch hinfahren, da gibt es sie?“
„Mit Kartoffeln, ja.“
Die Frauen sahen ihn verständnislos an.
„Die Saison, in der die Lachse rot werden und flussaufwärts schwimmen, ist auch schon vorbei. Da kommen höchstens noch ein paar Nachzügler. Aber nicht hier in der Gegend.“
„Ja, aber … Aiden hat gesagt, dass wir die Lachse sehen werden!“ Alle drei Frauen sahen TJ nun mit aufgerissenen Augen an.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß wirklich nicht, was er euch alles erzählt hat.“
„Na, das wird ja immer besser! Ich gehe!“, sagte die Platinblonde schnippisch und machte sich an den Abstieg vom Aussichtspunkt, begleitet von den beiden anderen Frauen.
„Ich muss Sie jetzt auch mal was fragen!“, sagte eine große, dürre Touristin mit wirren Haaren und großer Brille zu TJ, als der Großteil der Gruppe den Aussichtspunkt bereits verlassen hatte. TJ sah sie einfach nur an.
„Was ist denn?“, fragte sie.
„Was?“, fragte er zurück.
„Sie schauen so böse.“
TJ bekam eine kleine Falte zwischen den Augen. „Was meinen Sie?“
„Naja, Sie schauen, als ob Sie mich umbringen wollen. Ich will doch nur was fragen!“
„Ja dann fragen Sie doch“, sagte er und hob kurz die Schultern an. Die Frau war sichtlich irritiert und suchte den Blickkontakt zu Monika, Ruth und Bill, die neben ihr an dem breiten Holzgeländer des Aussichtspunktes standen. Bill hob nur kurz beide Hände und ging lachend ein paar Meter weiter.
„Haben Sie schon mal ein Bier gesehen?“, fragte die Frau und riss die Augen auf. Ray, der ein paar Meter weiter an einem großen Felsen lehnte und auf seinem Handy tippte, sah kurz zu den beiden rüber und hob eine Augenbraue.
Auf TJs Stirn bildeten sich einige Falten. „Ein Bier?“
„Ja!“
„Wie kommen Sie denn jetzt auf Bier?“
„Wir sind doch in Alaska!“
„Ja.“ Er sah sie ruhig an. Monika hatte das Gefühl, dass beide nicht wussten, was der jeweils andere eigentlich gerade wollte. Die Frau wurde rot im Gesicht, winkte ab und schloss sich den letzten Touristen an, die die Steinplattform des Aussichtspunktes verließen.
TJ sah Monika an und sie fühlte sich förmlich von seinen Blicken durchbohrt. „Was zur Hölle hat sie gemeint? Bier?“
„Ich glaube, sie meinte Bär. Das Tier. Viele Deutsche sprechen das falsch aus, wegen dem ‚e‘ und dem ‚a‘ hintereinander.“
TJ sah Monika an. Er biss sich auf die Unterlippe und nickte. „Okay ...“, sagte er langgezogen.
Monika trottete den Weg entlang nach unten. Der Aussichtspunkt hatte ihr sehr gut gefallen und die Bierbärendebatte war zum Schreien komisch gewesen. TJ und Ray liefen hinter ihr, ohne miteinander zu sprechen, und als Ray von einer Touristin etwas gefragt wurde und stehenblieb, lief TJ allein weiter.
Monika mochte ihn. Seine ruhige Art tat gut, im Gegensatz zu den aufgeregten Touristen und auch den Reise- und Ausflugsleitern, die sie bisher erlebt hatte. Auf dem Schiff waren alle zwar sehr nett, aber meist auch sehr laut und einnehmend gewesen.
„Und wo kommst du her?“, fragte TJ nach mehreren Minuten stillen Nebeneinanderherlaufens.
„Aus Deutschland“, sagte Monika.
„M-hm“, machte TJ, es klang ein wenig erstaunt. „Und was bringt dich nach Alaska?“
„Ein Flugzeug“, sagte Monika, ohne groß nachzudenken. Blöde Antwort.
TJ lachte. Es war ein offenes, herzliches Lachen, leicht heiser. „Ja, okay. Das dachte ich mir fast.“
Monika überlegte kurz. „Die Natur, die Landschaft und die Tiere.“
TJ nickte und sagte nichts mehr.
Die Touristen durften nun unten im Camp noch in einen der Container hinein, in dem die Indianer neben dem üblichen Touristen-Nepp ihre eigenen Handarbeiten und Bilder verkauften. Der Verkauf lief gut und für beide Seiten war der Tag damit wohl als zufriedenstellend zu bezeichnen. Die Reisegruppe teilte sich wieder auf die beiden Busse auf und weiter ging die Fahrt in die Hotel-Lodge kurz hinter Fairbanks, in der sie die nächste Woche verbringen würden.
Kapitel 4
Es war weit nach Sonnenuntergang, als TJ den Pickup in seine Einfahrt lenkte. Er ließ die im Supermarkt gekaufte Lackdose in der Garage und ging in die Küche. Morgen würde er einkaufen müssen, der Kühlschrank gab nicht mehr viel her. Er fand noch ein Bier und machte sich ein Sandwich aus Resten, das er zum Sofa trug.
Er griff in seine Hosentasche und holte die zerknitterten Geldscheine heraus, die die Touristen ihm als Trinkgeld auf dem Parkplatz der Lodge zugesteckt hatten. Er zählte, schüttelte den Kopf und zählte erneut. Es waren immer noch achthundert Dollar. Achthundert?! Für was? TJ sah das Geldbündel in seiner Hand ungläubig an. Als sein Telefon klingelte, ließ er die Scheine erschrocken fallen und sie verteilten sich über Couchtisch, Boden und Sofa.
Er schaute sich ertappt um, fand sein Telefon zwischen einer halbvollen Chipspackung und drei leeren Bierdosen und nahm das Gespräch an.
„Hey, TJ, hier ist Aiden, wie wars?“
Aiden. TJ stand auf. „Ganz gut. Wie geht es Matt?“, fragte er, auch wenn ihn das eigentlich gar nicht interessierte. Er zupfte das Geld zwischen dem Müll auf dem Couchtisch heraus und sammelte auch die heruntergefallenen Scheine wieder auf und legte sie auf das Sofa.
„Wir sind immer noch im Krankenhaus“, sagte Aiden.
„Oh.“ Etwas Besseres fiel TJ nicht ein. Nicht, dass er Matt näher kannte, oder ihn oder Aiden gut leiden konnte, aber das war nun doch ungewöhnlich. Heute Mittag hatte es noch geklungen wie ein verdorbener Magen. „Lebensmittelvergiftung? Was hat der gegessen?“ TJ ging rüber in die Küche und öffnete einen Schrank, aus dem diverse Tüten, Kartons und Taschen herausfielen. Er suchte sich eine größere Plastiktüte und stopfte den Rest wieder in das Schrankfach. Zurück beim Couchtisch begann er, den Müll in die Tüte zu räumen.
„Gegessen hat er irgendwas mit Nudeln. War welchen von den Touristen schlecht?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Dann kann es eigentlich keine Lebensmittelvergiftung sein. Matt und ich hatten dasselbe wie die ganzen Idioten“, sagte Aiden.
„Idioten?“
„Ja. Der Job bringt gut Geld, deshalb mach ich das, und weil ich immer mal eine heiße Schnecke abschleppe. Aber die Fragen teilweise …“
„Ja“, sagte TJ und ertappte sich dabei, dass er die Touristen am liebsten verteidigen würde. Sein Blick fiel erneut auf den Geldhaufen auf dem Sofa.
„Okay, egal Mann, ich hoffe, dass Matt bald wieder auf die Beine kommt. Kannst du bis dahin weiter aushelfen? Wir haben einiges an Ausflügen geplant für die Lodgewoche jetzt, das kriege ich sonst nicht hin.“