Agiles Arbeiten - agile Führung - Anselm Bilgri - E-Book

Agiles Arbeiten - agile Führung E-Book

Anselm Bilgri

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Beschreibung

Ein Tornado der Veränderungen zieht gerade durch die Unternehmen. Die Arbeitswelt vollzieht eine radikale Umwandlung, die äußerlich bei der Gestaltung der Büroflächen beginnt und sodann insbesondere die Art und Weise des Zusammenarbeitens, die Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die Vorgehensweisen bei Projekten erfasst.
Wo bleibt aber bei den ganzen Veränderungen der Mensch? Das Buch findet Antworten mit Hilfe benediktinischer Klosterregeln, die auf den ersten Blick widersprüchlich zur agilen Welt stehen, aber Organisationen auf das Wesentliche zurückführen: das richtige Maß an Freiheit und Führung.

Anselm Bilgri – ehemaliger Beneditkiner-Mönch, Wirtschaftsleiter und Prior von Kloster Andechs – ist heute als Unternehmensberater, Vortragsredner und Autor tätig. Maurizio Singh ist promovierter Ökonom und im Bereich Digitalisierung und Innovation tätig. Er hat mehrere Startups gegründet und hat in verschiedenen Unternehmen mit agilen Methoden gearbeitet.

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Zum Inhalt:

Ein Tornado der Veränderungen zieht gerade durch die Unternehmen. Die Arbeitswelt vollzieht eine radikale Umwandlung, die äußerlich bei der Gestaltung der Büroflächen beginnt und sodann insbesondere die Art und Weise des Zusammenarbeitens, die Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die Vorgehensweisen bei Projekten erfasst.

Wo bleibt aber bei den ganzen Veränderungen der Mensch? Das Buch findet Antworten mit Hilfe benediktinischer Klosterregeln, die auf den ersten Blick widersprüchlich zur agilen Welt stehen, aber Organisationen auf das Wesentliche zurückführen: das richtige Maß an Freiheit und Führung.

 

Zu den Autoren

Anselm Bilgri – ehemaliger Benediktiner-Mönch, Wirtschaftsleiter und Prior von Kloster Andechs – ist heute als Unternehmensberater, Vortragsredner und Autor tätig. Maurizio Singh ist promovierter Ökonom und im Bereich Digitalisierung und Innovation tätig. Er hat mehrere Startups gegründet und hat in verschiedenen Unternehmen mit agilen Methoden gearbeitet.

Agiles Arbeiten – agile Führung

Wo bleibt der Mensch bei Agilität? Impulse aus der benediktinischen Regel

von

Anselm Bilgri

und

Maurizio Singh

V

VI Die Idee zu dieser Publikation entstand während langer Kaminge­spräche im November 2019 in der Wohnung von Anselm im Herzen von München. Unser Dialog hatte bereits vor einigen Jahren begonnen, als ich noch als Doktorand an der WHU-Otto Beisheim School of Management die Hochschulgruppe „Werte in der Wirtschaft“ mitgegründet hatte. Damals beschäftigten sich einige Studenten und Doktoranden mit den Themen „Was bedeutet Verantwortung? Was bedeutet werteorientiertes Wirtschaften?“ Es war eine sehr spannende Zeit, da wir alle fast nur das Universitätsleben und die akademische Laufbahn kannten und – bis auf einige Praktikumserfahrungen – keinen blassen Schimmer vom Arbeitsalltag in Unternehmen hatten. Wir merkten aber, dass in der Wirtschaft etwas schief läuft und dass der Umgang zwischen Mitarbeitern und Führungskräften immer wieder aus dem Lot kippt. Damals hatten wir eine Abendveranstaltung in der großen Kapelle der WHU in Vallendar veranstaltet, zu der wir Anselm als Speaker und Diskussionspartner eingeladen hatten.

Es war ein faszinierender Abend, bei dem viele Parallelen zwischen der Arbeit in Unternehmen und den Herausforderungen in einem Kloster aufgezeigt wurden. Damals hatte Anselm erst vor kurzem das Kloster verlassen und somit konnte er aus eigener Anschauung auch davon berichten, wie Veränderungsfeindlichkeit zu großen Barrieren führen kann, bis hin zu Feindschaften in Umgebungen, in denen man derartige Konflikte nicht vermuten würde.

Klöster kann man als eine besondere Form von Organisationen bezeichnen, welche besonders bestandssicher ist. Auf der Grundlage jahrzehnte- oder jahrhundertealter Regeln strukturieren sie das Zusammenleben. Diese Organisationen handeln auch nach außen auf Basis der niedergeschriebenen Regeln. Damit meinen wir nicht nur das Brauen von Bier und das Lizensieren des eigenen Namens für Biermarken wie Franziskaner, Augustiner, Paulaner etc., sondern das Engagement in Kunst, Kultur, Bildung und Pflege. In diesem Sinne sprechen wir von Sozialunternehmen.

Aber die Frage, die mich immer bewegt hat, war, warum solche Organisationen so widerstandsfähig und erfolgreich sind. Sie mussten sich im Laufe der Jahrhunderte kontinuierlich verändern und an neue Gegebenheiten anpassen. Es scheint, als ob die Ordensregel sowohl VII die Kontinuität als auch die Möglichkeit der Anpassung ermöglicht. Dies ist das, was Agilität auch ausmacht, Traditionen, die sich bewährt haben, beizubehalten und solche, die nicht sinnvoll oder hinderlich sind, zu lösen oder zu ersetzen.

Die Klöster haben es also verstanden, ihre Regel in die Sprache der Zeit zu übersetzen, sich immer wieder den aktuellen Umwelteinflüssen anzupassen und auch sich zu reformieren. Das bedeutet Agilität nach unserem Verständnis: Verankert in den Werten und Wurzeln von Leitplanken (hier die Regel) eine Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Gegebenheiten zu entwickeln.

Selbst der bekannte Leitsatz der Benediktiner „ora et labora“ ist nicht statisch geblieben. Er hat sich auch verändert, beispielsweise mit der Reformationsbewegung der Zisterzienser, die noch ein „lege“ hinzugefügt haben „ora et labora et lege“. Darunter versteht man die Weiterentwicklung des Ich, die Lektüre – neben dem Gebet und der körperlichen Arbeit – um den geistigen Hunger zu stillen.

Die ist der Schlüssel zum Verständnis von Agilität. Selbsterkenntnisse und geistige Reife. Die Instrumente, Beispiele, wie auch die Ideen, die in diesem Buch beschrieben sind, sollen eine funktionierende agile Zusammenarbeit ermöglichen.

Wir wünschen, dass diese Publikation den alltäglichen Umgang mit Agilität erleichtert. Dem agilen Chaos, welches oft entstehen kann, soll diese Publikation eine gewisse Struktur geben.

Viel Spaß beim Lesen.

Wer führen will, muss aufrecht gehen.

Im Februar 2022

Anselm Bilgri Maurizio Singh

IXInhalt

Vorwort

Einleitung: Benediktinische Idee und benediktinisches leben verstehen

1 Die Benediktsregel und die moderne ­Wirtschaftswelt

2 Das Leben Benedikts

3 Die Benediktsregel und ihre Geschichte

4 Das Besondere der ­Benediktsregel

5 Grundprinzipien der ­Benediktsregel

5.1 Stabilitas – Beständigkeit

5.2 Oboedientia – Gehorsam

5.3 Humilitas – Demut

5.4 Discretio – Fingerspitzen­gefühl

6 Das Menschenbild der Benediktsregel

7 Welches Menschen­bild wird im ­Kloster gelebt?

8 Agilität im Klosterleben

Kapitel 1: Idee der Agilität und agiles Leben verstehen

1 Scrum

2 New Work – Neue ­Arbeit

3 Agilität

X4 Benediktinische Anmerkungen zu Kapitel 1: Idee der Agilität und agiles Leben verstehen

Kapitel 2: Was macht agile Führung aus?

1 Führung in der ­Agilität

1.1 Vertrauen – schenken und ­einfordern

1.2 Vermittlung von Sinn statt ­Zielen – ­Entrepreneur in the Company – ­Mit­unter­nehmer­schaft der ­Belegschaft

1.3 Fokus auf das Team statt auf das ­Individuum – Es gilt die ­Leistung des Teams zu optimieren

1.4 Iterative Arbeit – ­Retrospektive – Build – ­Measure – Learn-Ansatz

1.5 Fehlermanagement

2 Führung hin zu ­einer ­lernenden Organisation

3 Benediktinische ­Anmerkungen zu Kapitel 2: Was macht agile Führung aus?

Kapitel 3: Führungskraft ohne Macht – Führungskraft mit Freiheit

1 Die Stellung der Führungskraft in der agilen Welt

2 Die agile Führungs­kraft als dienende ­Führungskraft

2.1 Die Eigenschaften einer ­dienenden Führungskraft

2.2 Die Aufgaben der ­dienenden Führungskraft

3 Benediktinische Anmerkungen zu Kapitel 3: Führungskraft ohne Macht – Führungskraft mit Freiheit

XIKapitel 4: Der agile Mitarbeiter

1 Agilität ist nicht für jeden etwas: Nicht jeder Mitarbeiter ist geeignet für Agilität

2 Agilität löst nicht alle ­Aufgaben: Nicht jede ­Aufgabe ist für agile ­Arbeit ­sinnvoll

3 Agile Arbeit kann sehr anstrengend sein

4 Die ­Eigenschaften des agilen ­Mitarbeiters

4.1 Purpose

4.2 Selbstverantwortung

4.3 Lernend sein

5 Benediktinische Anmerkungen zu Kapitel 4: Der agile Mitarbeiter

Kapitel 5: Der agile Mensch - agilität benötigt ein starkes ich

1 ­Selbsterkenntnis – Basis für das ­starke Ich

2 Agiles Mindset

3 Selbst­organisation

4 Der agile Mensch und die ­Psychologie

5 Benediktinische Anmerkungen zu Kapitel 5: Der ­agile Mensch

Kapitel 6: Die agile Organisation

1 Struktur und Klarheit

1.1 Prozesse

1.2 Mindset

1.3 Tools

XII2 Psychologische ­Sicherheit

2.1 Die kritikfähige ­Organisation

2.2 Die angstfreie ­Organisation

2.3 Die lernende Organisation

3 Benediktinische Anmerkungen zu Kapitel 6: Die agile Organisation

Literatur-/Quellenverzeichnis

1

21 DIE BENEDIKTSREGEL UND DIE MODERNE WIRTSCHAFTSWELT

Was hat eine fast 1500 Jahre alte Ordensregel mit der heutigen Wirtschaftswelt zu tun? Da scheinen doch buchstäblich Welten dazwischen zu liegen. Vor 1500 Jahren gab es weder die Elektrifizierung noch die Mobilität, beides Errungenschaften des technischen Fortschritts, die unser Leben prägen und nicht mehr wegzudenken sind. Damit bekommt die Benediktsregel das Etikett alt im Sinne von veraltet, überholt, noch älter als die Dampfmaschinenzeit. Noch dazu regelt sie das Leben in einem Kloster, einer Anderswelt für den heutigen säkularen westlichen, um mit Jürgen Habermas zu sprechen „religiös weitgehend unmusikalischen“ Teil der Menschheit. „Ut in omnibus glorificetur deus“ (Damit in allem Gott verherrlicht werde). Mit diesem Satz endet das 57. Kapitel der Regel, in dem es unter anderem um die maßvolle Preisgestaltung für die klösterlichen Produkte auf dem freien Markt geht. Eine größere Kluft zwischen den Motiven des Wirtschaftens scheint nicht mehr möglich zu sein: Verherrlichung Gottes auf der einen, Gewinnmaximierung auf der anderen! Was also anfangen mit dieser Regel?

Nun, tatsächlich – so sagen es die Wirtschaftshistoriker – steht die Benediktsregel am Anfang der westlichen, europäisch geprägten – verwenden wir das alte Wort – „abendländischen“ Erfolgsgeschichte. Das beleuchtet die Zusammenfassung der Benediktsregel: ora et labora – bete und arbeite. Sie trat ihren Siegeslauf an zu der Zeit, als sich die Völker und Nationen Europas im Zuge der großen Wanderungsbewegung zu den Positionen begeben hatten, wie sie weitgehend noch heute unser Staatengefüge widerspiegeln. Jedes Kloster war und ist ein spirituelles und kulturelles Zentrum und zugleich ein Wirtschaftsbetrieb. Der Mehrwert der Arbeit bleibt durch den tatsächlich gelebten Kommunismus der Mönche in der Gemeinschaft und führt im Lauf der Jahrhunderte zu Wachstum und Größe. Man sehe sich nur die seit ihrer Gründung im Mittelalter z. T. ununterbrochen existierenden 3 Stifte in Österreich an, wie etwa Admont, Melk und Göttweig. Genau diese lange Zeit, die offensichtlich auch eine Stärke des Systems Kloster darstellt, ist ein Hinweis auf die Bedeutung der Benediktsregel. Sie ist im 6. Jahrhundert verfasst worden und heute noch lebbar. Weil der Mensch im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht, zwischen dem Ideal des „Freiseins für Gott“ (vacare deo) und dem Leben und Arbeiten in einer Gemeinschaft.

In diesem Buch geht es um Agilität in Zeiten schnellen Wandels, beschleunigt durch die gerade erst Fahrt aufnehmende Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche. Kann eine Ordensregel, die rein vom Gefühl her für den langen Atem der Geschichte, damit für Langsamkeit und Dauerhaftigkeit, kurz für Beständigkeit steht, dabei helfen, diesen Wandel zu gestalten? Wir glauben, ja, das kann sie. Denn ohne die nötige Anpassungsfähigkeit und Biegsamkeit hätte die Benediktsregel, hätten die nach ihren Prinzipien geführten Klöster nicht überleben können. Wenn sie schon unsere moderne Einstellung zu Arbeit und Wirtschaften geprägt hat, dann kann sie auch Hilfe, Impulsgeberin und Korrektiv für unsere oft so ruhelose und hyperaktive Art des Lebens und Arbeitens sein.

2 DAS LEBEN BENEDIKTS

Vom Leben Benedikts von Nursia wissen wir nur aus der Vita, die Papst Gregor der Große (590–604) im zweiten Buch seiner ’Dialoge über die Wunder der Italischen Väter‘ vorlegt. Eine Vita ist keine Biografie im modernen Sinn, die versucht, das Leben eines Menschen darzustellen „wie es war“. Die Vita hat die Absicht, die Wirkung des als heilig verehrten Mannes Gottes zu erklären und seine Bedeutung durch Wunder, die ihre Vorbilder in der Bibel haben, zu unterstreichen. 4 Gregor der Große hat seine Dialoge in vier Bücher unterteilt, in denen er die Lebensgeschichten von Mönchen und Einsiedlern erzählt, um seiner eigenen Sehnsucht nach dem klösterlichen Leben, das er wegen des Papstamts aufgeben musste, Ausdruck zu verleihen. Er gibt seinem Buch die überlieferte Form eines Dialogs, eines Zwiegesprächs zwischen sich und seinem Sekretär, einem Diakon namens Petrus, der eigentlich nur als Stichwortgeber fungiert. Das erste und dritte Buch berichten kurze Begebenheiten aus dem Leben einer Vielzahl Italischer Heiliger, das vierte Buch will mit einer Sammlung von Jenseitsvisionen und Erscheinungen Verstorbener den Glauben an das Leben nach dem Tod bekräftigen. Das zweite Buch nimmt eine besondere Stellung ein, es bildet die Mitte des gesamten Werkes und ist nur einer einzigen Gestalt gewidmet: Benedikt von Nursia. Da diese Lebensbeschreibung durch Papst Gregor neben seiner Klosterregel die einzige Quelle zu Benedikt darstellt, wurden in neuerer Zeit verschiedentlich Zweifel laut, ob denn Benedikt überhaupt eine historische Person oder nur eine erfundene Idealgestalt eines Mönchsvaters sei. Innerhalb des Benediktinerordens gilt diese These als widerlegt.

Benedikt soll um das Jahr 480 in Nursia, dem heutigen Norcia im Umbrischen Apennin das Licht der Welt erblickt haben. Seine Eltern, deren Namen nicht überliefert sind, werden der Familie der Anicier zugerechnet. Im 4. Jahrhundert n. Chr. hatte die Familie durch die Christianisierung des Imperiums an Einfluss gewonnen, da sie zu den ersten großen Geschlechtern zählte, die zum neuen Glauben übertraten. Der lateinische Name Benedictus heißt auf Deutsch „der Gesegnete“ und übrigens auf Arabisch: „Mohammed“. Zu Ausbildung und Studium wurde der junge Mann nach Rom geschickt. Abgeschreckt durch die lockeren Sitten der Hauptstadt zog sich Benedikt, den Gregor mit der „Herzensbildung eines erfahrenen Alten“ (cor senile) ausstattet, in die Einsamkeit der Berge beim heutigen Affile zurück. Anschließend siedelte er über in eine Höhle bei Subiaco, 75 km östlich von Rom, wo er drei Jahre als Einsiedler, nur gelegentlich betreut von einem Priester namens Romanus, lebte. Heute steht über der Höhle (Sacro Speco) das Kloster San Benedetto. Der Ruf seines beispielhaften Lebens verbreitete sich. Bald wurde er gebeten, das nahe gelegene Kloster in Vicovaro als Abt zu leiten. Nach anfänglichem Zögern übernahm er das Amt. Er versuchte das Leben im Kloster zu reformieren, stieß dabei auf 5 wachsenden Widerstand der Mönche, die schließlich versuchten, ihren unbequem gewordenen Oberen mit vergiftetem Wein umzubringen. Benedikt segnete nach klösterlichem Brauch das Weinglas mit dem Kreuzzeichen, das daraufhin zerbrach. Ein zerbrochenes Glas, aus dem sich ein grüner Wurm, Symbol für das Gift, ringelt, ist heute noch eines der Attribute des Heiligen.

Daraufhin verließ er den Konvent von Vicovaro, kehrte in die Nähe von Subiaco zurück, wo er ein erstes eigenes Kloster mit zwölf Filialen gründete. Aus dieser Zeit werden mehrere Wunder berichtet, die der Heilige gewirkt haben soll. Er lässt Wasser aus dem Felsen sprudeln, der junge Mönch Maurus vermag aus Gehorsam gegenüber Benedikt über das Wasser eines Sees zu gehen, um seinen Mitbruder Placidus vor dem Ertrinken zu retten. Wieder verbreitete sich der Ruf Benedikts. Neid und Eifersucht eines benachbarten Priesters bewogen diesen, Benedikt mit einem vergifteten Brot töten zu wollen. Der Heilige befahl einem zahmen Raben, das Brotstück zu entfernen, was dieser auch tat. Seither zählt auch der Rabe zu den Attributen Benedikts.

Diese letzte Anfeindung veranlasste den Heiligen, sich mit einigen Gefährten nach Süden zu begeben, um dort am Abhang eines Hügels bei Casinum, 80 km von Rom entfernt, ein Kloster zu gründen, für das er seine berühmte „Regula monasteriorum“ (Klosterregel) verfasste. Traditionellerweise wird die Gründung von Montecassino in das Jahr 529 gelegt. Im gleichen Jahr schließt Justinian I., der Kaiser des verbliebenen oströmischen Reiches in Athen die Platonische Akademie, die älteste und langlebigste Philosophenschule der Antike. Sie war von Platon 387 v. Chr. gegründet worden und galt als Elite-Universität des Mittelmeerraumes. Auch nach der Christianisierung des römischen Reiches war sie ein Hort der klassischen Gelehrsamkeit der antiken Welt. Deshalb wird mit diesem Ereignis oft das Ende der heidnischen Antike und mit der Gründung von Montecassino der Beginn des christlichen Mittelalters verbunden. Zumal Benedikt auf dem Bergrücken ein uraltes Apolloheiligtum vorfindet, zerstört und dort je ein Oratorium zu Ehren des heiligen Martin von Tours und des heiligen Johannes des Täufers errichtet. Beide sind seit langem Vorbilder der Mönche.

6 Gregor berichtet nun viel Wunderliches und Wunderbares aus der Gründungszeit des Klosters. Die heidnischen Gottheiten wehren sich gegen die christliche Umwidmung: Ein Stein, der den Bauarbeiten im Wege liegt, ist nicht zu bewegen. Erst ein Segenswort Benedikts macht dies möglich. In der Küche brennt es, eine Mauer stürzt ein und zerschmettert die Gebeine eines jungen Mönches. Durch sein Gebet gelingt es Benedikt, diesen zu heilen. Auch einen toten Knaben, den Sohn eines Bauern aus der Umgebung, kann er kraft seines Gebetes wieder zum Leben erwecken. Eine rührende Begebenheit ist das Treffen Benedikts mit seiner leiblichen Schwester Scholastika, die ihn einmal im Jahr zu besuchen pflegte. Ihr gelang es mit ihrem Gebet, ein Unwetter herbeizurufen, das es dem Mann Gottes Benedikt unmöglich machte, rechtzeitig ins Kloster zurückzukehren. So konnte sie mit ihrem Bruder die ganze Nacht hindurch geistliche Gespräche führen. Da der Klostergründer auch der einheimischen Bevölkerung in vielerlei Nöten beistand, war er sehr beliebt. Der Überlieferung nach starb Benedikt an einem 21. März, vermutlich im Jahr 547. Er hatte vorher sein Grab öffnen lassen und hauchte stehend, von seinen Schülern gestützt „unter Worten des Gebetes“ seinen Geist aus.

3 DIE BENEDIKTSREGEL UND IHRE GESCHICHTE

In Kapitel 36 seiner Benediktsvita weist Gregor der Große auf das wichtigste Erbe seines Protagonisten hin: „Der Mann Gottes strahlte nicht nur durch zahlreiche Wunder hell in der Welt, er leuchtete nicht weniger durch das Wort seiner Lehre. Er schrieb eine Regel für Mönche, ausgezeichnet durch maßvolle Unterscheidung und wegweisend durch ihr klares Wort.“ Dass für ein Mönchskloster eine Regel verfasst wird, stellt im 6. Jahrhundert schon die reife Stufe einer langen mehrhundertjährigen Entwicklung dar. Das Phänomen des Mönchtums ist älter 7 als das Christentum. Der Buddhismus übernimmt schon 500 v. Chr. mönchische Lebensformen aus dem Hinduismus. Gemeinsam ist allen Formen des Mönchtums die Absonderung von der Lebensweise der Mehrheit einer Glaubensgemeinschaft und ein von Askese und Gebet bzw. Meditation geprägter Lebensstil. Das griechische Wort Askese bedeutet im Deutschen so viel wie Übung oder Training. Schon Homer verwendet das Wort im Zusammenhang mit Kriegern und Athleten. Im religiösen Bereich beinhaltet es: Denken, Wollen und Verhalten sollen diszipliniert werden durch beharrliches Einüben von tugendhaftem Leben und durch den Verzicht auf Dinge, die die Konzentration auf das Wesentliche behindern. Meist betrifft dies Einschränkungen der Nahrung durch Fasten oder Verzicht auf bestimmte Lebensmittel, z. B. Fleisch und Genussmittel, Verzicht auf Sexualität, Besitz und Karrierestreben. Im Christentum begegnen uns zum ersten Mal Jungfrauen und Witwen als eigener Stand. Wanderasketen nahmen Impulse aus dem Neuen Testament auf, wenn etwa Jesus besitzlos und ehelos mit seinen Jüngern umherzieht oder die Apostel ihre Heimat und Familien verlassen, um das Evangelium zu predigen.

Im 3. Jahrhundert, also schon vor der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin (312), entsteht in Ägypten das Anachoretentum. Hinaus aus der Gemeinschaft einer Siedlung – so könnte man den griechischen Begriff Anachoret übersetzen. Meist hausten diese Anachoreten in der Nähe einer Ortschaft allein in aufgelassenen Mausoleen. Ein aus religiösen Gründen allein Lebender wird bezeichnet durch das griechischen Wort Monachos, von dem unser deutsches Wort Mönch stammt. Diejenigen, die weiter weg in die Wüste gingen, werden Eremiten genannt. Das griechische Eremos heißt „unbewohnte Wüste“.

Das große Vorbild aller Anachoreten und Eremiten ist der heilige Antonius der Große, der Vater der Mönche. Seine Lebensbeschreibung hat alle späteren Mönchsgestalten geprägt und maßgeblich beeinflusst. Er gründete lose Zusammenschlüsse von getrenntlebenden Eremiten. Sein ägyptischer Landsmann Pachomios gilt als Gründer der ersten christlichen Klöster für die er eine Lebensordnung, eine Regel, verfasst. Die Mönche, die dort ein gemeinschaftliches Leben führen, bezeichnet man als Koinobiten. Koinos bios heißt „gemeinschaftliches Leben“. In den Wüstengebieten Ägyptens, Syriens und in Palästina entstanden 8 ganze Landstriche voller Einsiedeleien und Klöster, sodass man sagte: „die Wüste lebt.“ Hatte doch jede Eremitage und jedes Kloster zumindest einen kleinen Garten, der bewässert, gehegt und gepflegt wurde und von dessen Erträgen die Mönche sich selbst versorgten. Die Mönche verstanden sich als Nachfolger der Märtyrer, die während der Verfolgungszeit der ersten Jahrhunderte für ihren Glauben ihr Leben ließen. Im Kloster wollten sie das Leben der Apostel nachahmen, von denen im neuen Testament im Blick auf die Jerusalemer Urgemeinde berichtet wird: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.“

Allmählich entwickelten sich die vier Hauptmerkmale der Koinobiten im Unterschied zum Eremitentum: Die Mönche im Kloster leben nach einer für alle verbindlichen, schriftlich festgehaltenen Regel, Eremiten haben je ihren eigenen Rhythmus, was die Zeiten für Gebet, Schlafen, Essen und Arbeiten betrifft. Das Kloster wird geleitet von einem geistlichen Führer, dessen Aufgaben mit dem aus dem Aramäischen stammenden Begriff „Abt“ (Vater) umschrieben wird, ihm unterwerfen sich die Mönche im Gehorsam. Um das Unwesen des Wandermönchtums zu unterbinden, wird Wert gelegt auf die sog. stabilitas (Beständigkeit), die lebenslange Zugehörigkeit zu einer bestimmten klösterlichen Gemeinschaft. Die einzelnen Mönche bleiben besitzlos, alles gehört der Gemeinschaft.