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Lena ist fast dreißig, Single und eigentlich zufrieden mit ihrem Leben. Wenn da nur nicht die ständigen Fragen nach ihrem Liebesleben, potentiellen Partnern und der Familienplanung wären. Kann eine Frau ohne Mann denn nicht glücklich sein? Als sie einen Tag vor ihrem Geburtstag einen Haushaltsroboter erbt, fasst sie einen folgenschweren Entschluss: sie macht Roboter Herbert zu ihrem Freund. Was als Spaß beginnt, wird zu einem vierzehntägigen Experiment, in dem sie sich eine Frage stellt: Eignen sich Roboter vielleicht doch besser für eine Beziehung als Männer? Wäre da nur nicht ihr neuer Nachbar Ben...
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Seitenzahl: 392
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Mit einem tiefen Seufzen betrachtete Lena Hoffmann den milchkaffeebraunen See auf dem Boden ihrer Küche. Von der Kaffeetasse aus feinem Porzellan war nur noch ein Meer von Scherben übrig, das sich fächerförmig um den Einschlagpunkt konzentrierte.
Lena hatte die Tasse nie gemocht, denn sie fand, dass die filigranen, handgemalten Blumen einfach nicht zu ihr passten. Doch sie war ein Geschenk ihrer Schwester gewesen, die etwas Stilvolles in die sonst bunt zusammen gewürfelte Einrichtung hatte bringen wollen.
Lena jedoch liebte ihre alte Couch, in der sich eine Kuhle an genau der richtigen Stelle gebildet hatte, den unmodernen, mahagonifarbenen Schrank, der sie an ihre Kindheit bei ihrer Großmutter erinnerte, und ihre vielen, bunten Kissen, die sie nach und nach auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Bei Anna sah es mit den vielen, aufeinander abgestimmten Möbeln aus hellem Holz aus wie in einem Katalog. Obwohl sie zwei Kinder hatte und sich in diversen Organisationen für Eltern engagierte, konnte sie dank eines akribisch durchstrukturierten Tagesablaufs einen makellosen Haushalt vorweisen.
Lena dagegen wollte nicht jeden Tag ihres Lebens schon Wochen im Voraus verplanen, wie ihre Schwester Anna. Sie lebte nicht in den Tag hinein, doch sie wollte sich eine gewisse Spontanität bewahren. Glücklicherweise räumte ihr ihre Arbeit bei einem Verlag mehr Freiheiten ein, als sie sich jemals von ihrer Arbeitsstelle hätte erträumen können. Auch wenn ihre Mutter mit Sicherheit der Meinung war, dass auf Möbeln herumturnen, um an Milchtüten zu gelangen, nicht zu den Freiheiten gehörte, die man sich als erwachsene Frau herausnehmen sollte.
Mit einem erneuten Seufzen kletterte Lena von der Arbeitsplatte. Sie kniete sich neben die Kaffeelache, die nur noch langsam größer wurde und begann, winzig kleine Splitter einzusammeln. Die weißen Stücke wirkten in dem milchkaffeebraunen Meer wie kleine Inseln, die nun langsam vom abfließenden Wasser freigegeben wurden.
Das Schrillen des Telefons riss Lena aus ihren Gedanken. Sie sprang auf und hechtete von der offenen Küche ins Wohnzimmer. „Ja, bitte?“
„Ja, bitte? Was ist das denn für eine Begrüßung?“, tönte es von der anderen Seite. „Du musst auch deinen Namen sagen, sonst weiß niemand, wer du bist.“
Lena unterdrückte ein Ächzen „Hallo, Mum. Du weißt doch, dass ich dran bin.“
„Ja, aber nicht jeder, der hier anruft, kennt dich. Du solltest wirklich deinen Namen sagen.“
„Das werde ich beim nächsten Mal. Aber ich habe jetzt überhaupt keine Zeit.“
„Kein Problem, Schätzchen. Ich wollte nur kurz nachfragen, wie deine Vorbereitungen laufen.“
„Da läuft alles ganz toll. Ich bin gerade noch dabei, aufzuräumen.“
Ihre Mutter holte tief Luft. „Du bist jetzt erst am Aufräumen? Bekommst du nicht bald Besuch? Und hast du überhaupt schon gekocht?“
Ein Klingeln an der Haustür rettete Lena vor der Antwort. „Mum, kannst du kurz warten? Da ist jemand an der Tür.“
Sie konnte förmlich sehen, wie ihre Mutter die Augenbrauen hochzog. Sie wusste, ihre Mutter hasste es, Mum genannt zu werden. Schließlich war dies ihrer Meinung nach eine Anrede, die fünfzehnjährige Teenies benutzen.
„Erwartest du etwa jemanden? Um diese Zeit? Ich dachte, du bist mit deinen Vorbereitungen beschäftigt.“
„Mum, warum rufst du an, wenn du denkst, dass es stört? Es hat geklingelt, weil ich eine Lieferung erwarte. Es müsste jemand vom Paketdienst sein.“
„Hast du etwa schon wieder etwas ONLINE bestellt?“ Online war für ihre Mutter das Unwort des letzten Jahrzehnts. „Du weißt, es ist gefährlich, wenn man ONLINE bestellt. Ich habe letztens noch von einem Mann gelesen, der etwas im Internet bestellt hat und plötzlich zehntausend Euro Schulden hatte. Hinterher wird dir noch deine Bankverbindung oder deine ganze Identität geklaut.“
„Ich habe nichts online bestellt. Rosaline hat mir ihren Roboter vererbt und er sollte heute geliefert werden.“
„Sie hat dir einen Roboter vererbt? Davon hast du gar nichts erzählt. Was willst du mit so einem Ding? Sie war doch so eine nette Dame. Wer weiß, wer jetzt in ihre Wohnung zieht. Hoffentlich keine Studenten, die die ganze Nacht feiern und tagsüber schlafen.“
Es klingelte erneut. „Ich muss jetzt wirklich an die Tür gehen.“
„Gut, dann sehen wir uns morgen. Komm nicht zu spät.“
„Bis dann, Mum.“
Zehn Minuten später hatte Lena den Roboter aus Lagen von Luftpolsterfolie und Rollpappe befreit. Sie wusste nicht, wie viel Geld dieser Roboter sonst kostete, aber es musste viel sein, denn die Verpackung war sehr gewissenhaft und ordentlich befestigt gewesen.
Etwas enttäuscht betrachtete sie den Roboter. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er wie ein Roboter aus einem Science Fiction Film aussehen würde. Doch die Tonne auf Rädern, die nun vor ihr stand, hatte nicht einmal die entfernteste Ähnlichkeit mit einem Transformer oder einem Androiden.
Lena beugte sich vor und betrachtete den Roboter genauer. Ob die blauen Lampen an seiner Oberseite wohl Augen andeuten sollten? Sie befanden sich wie bei einem Menschen recht mittig und mit einem gewissen Abstand zueinander. Beinahe wirkte es so, als würde der Roboter sie anschauen. Ob sie wohl Kameras enthielten?
Die beiden Auswüchse an den Seiten sollten bestimmt Arme darstellen. Lena erinnerte sich daran, dass Rosaline einmal etwas von einem Tablett erzählt hatte, dass sie an dem Roboter befestigen konnte. Bestimmt gab es verschiedene Aufsätze, die sie verwenden konnte, wie bei einer Küchenmaschine. In dem Paket, in dem der Roboter geliefert worden war, war noch ein zweiter Karton gewesen. Doch das Zubehör würde sie sich später anschauen.
„Ach, Herbert, was hat sich Rosaline nur dabei gedacht? Was soll ich denn mit einem Roboter?“
Der Roboter antwortete nicht und starrte sie mit seinen blauen Augen an.
„Bist du überhaupt eingeschaltet?“
Der Roboter blieb stumm.
„Besonders gesprächig bist du ja nicht gerade. Wie wär's wenn du auf meiner Geburtstagsparty Getränke servierst? Das kannst du doch, oder?“
Mit stoischer Gelassenheit schaute der Roboter sie an.
„Wenn ich schon meinen dreißigsten Geburtstag feiere, dann muss auch etwas Besonderes dabei sein. Es muss etwas sein, dass Elvira total neidisch machen wird. Die blöde Kuh macht nämlich immer alles schlecht. Ich weiß gar nicht, warum ich sie überhaupt eingeladen habe. Sie wird sich bestimmt darüber lustig machen, dass ich Single bin. Also musst du sie ablenken. Kannst du das?“
Der Roboter blieb stumm.
Lena seufzte tief. „Ich sehe schon, ich muss dich anders überzeugen. Vielleicht steht ja in deiner Gebrauchsanweisung, was man da tun kann. Vielleicht etwas leckeres Öl anbieten oder ein bisschen prickelnden Strom.“
„Hey, Süße“, tönte aus dem Flur. „Ich konnte früher frei machen. Ist Christian schon da?“
„Nein, ist er nicht“, rief Lena zurück. „Er kommt später.“
„Mit wem hast du denn gerade gesprochen?“
„Ach, mit niemandem.“ Sie lächelte ihrer Freundin Sonia entgegen, die gerade zur Wohnzimmertür hinein schritt. Sie waren schon seit Jahren befreundet und jede besaß einen Schlüssel zur Wohnung der anderen. Ein unaufmerksamer Betrachter mochte sie vielleicht für grundverschieden halten. Sonia war eine großgewachsene, schlanke Blondine, die gerne viel Make-up trug und mit den Vorurteilen vieler Männer spielte. Sie wurde oft für ein naives Mädchen gehalten, das sich mit tiefen Ausschnitten und enger Kleidung Vorteile verschaffen wollte, und dies nutzte sie schamlos für ihre Zwecke aus. Sie konnte ihr Gesicht auf eine Weise verziehen, die ihrem Gegenüber vorgaukelte, dass sie ihn für die aufregendste Person auf der ganzen Welt hielt. Doch wer ihr in ihrem beruflichen Umfeld in der Marketingabteilung des Verlags begegnet war, wusste, dass sie ein knallharter Verhandlungspartner sein konnte. Lena dagegen legte wenig Wert auf Schminke, vom obligatorischen Concealer gegen Augenringe und hin und wieder etwas Mascara abgesehen. Sie war nicht so groß und schlank wie Sonia, doch ihr Körper besaß Rundungen an genau den richtigen Stellen. Ihre Kleidung war nie so kurz oder tief ausgeschnitten wie Sonias und auch wenn sich Männer meist zunächst an ihre Freundin mit den offensichtlichen Reizen wandten, wusste Lena, dass sie sich mit ihren schulterlangen braunen Haaren, den blau-grünen Augen und fein geschnittenen Gesichtszügen nicht verstecken musste.
Doch obwohl sich die Freundinnen äußerlich stark unterschieden, konnten sie über dieselben Dinge lachen und vertrauten einander Geheimnisse an, die sie sonst niemandem verraten hätten.
„Und wie geht’s dir einen Tag vor deinem Dreißigsten?“, fragte Sonia und lachte. „Fängt die innere Uhr schon an zu ticken?“
„Ach, hör bloß auf“, erwiderte Lena und zog die Augenbrauen hoch. „Meine Mum hat mir schon Vorträge über meine innere Uhr gehalten. Du hast nicht ewig Zeit um einen Mann zu finden, hat sie gesagt. Als ob ich Männer mit Absicht vertreiben würde. Und auf Rechtfertigungen wie „Ich bin eben auch nur ein Mann.“ habe ich auch keine Lust mehr. Da bleibe ich lieber Single. Dann weiß ich auch genau, dass die BHs, die ich irgendwo finde, mir gehören und nicht irgendwem anderes.“
„An diesen Idioten von Exfreund solltest du keinen Gedanken mehr verschwenden. Heute wirst du gefeiert. Und wenn du mich fragst, ist diese ganze Geschichte mit der inneren Uhr nur eine Erfindung unserer Eltern. Weil sie nämlich Großeltern werden wollen.“
„Das denke ich auch. Du glaubst gar nicht, wie sich meine Mutter damals aufgeführt hat, als meine Schwester schwanger war. Ständig hat sie ihr den Bauch getätschelt.“
Sonia nickte. „Eben. Das ist einfach nur ein Komplott der Eltern. Wusstest du eigentlich, dass es inzwischen schon Firmen gibt, die es ihren Angestellten ermöglichen, ihre Eizellen einzufrieren? Damit die Frauen nicht auf ihre Karriere verzichten müssen. In der heutigen Zeit ist es doch gar nicht ungewöhnlich, dass Frauen erst mit vierzig Kinder bekommen.“
„Ja, das stimmt“ erwiderte Lena. „Wobei ich eigentlich nicht so lange warten wollte. Ich habe heute tatsächlich mein erstes graues Haar gefunden. Und plötzlich kam ich mir doch alt vor.“
Sonia brach in schallendes Gelächter aus. „Bitte erzähl mir jetzt nicht, dass du dich stundenlang im Spiegel betrachtet hast und jedes Haar einzeln untersucht hast. Du erzählst mir doch immer, du bist nicht eitel. Und vor allem bist du nicht alt.“
„Nein, stundenlang habe ich mich nicht betrachtet. Aber irgendwie gefiel mir mein Spiegelbild heute morgen einfach nicht. Ich weiß auch nicht. Diese eine Falte hier neben der Lippe wird auch immer tiefer.“ Sie zeigte auf ihren rechten Mundwinkel. „Und das graue Haar machte es auch nicht besser.“
Sonia legte den Arm um sie. „Ich verstehe das schon. Manchmal muss ein bisschen Selbstmitleid einfach sein. Aber du siehst wirklich fantastisch aus. Und das wird dir heute Abend auch jeder sagen.“
„Na hoffentlich.“ Lena deutete auf Herbert. „Was hältst du eigentlich von meinem neuen Haushaltsroboter? Du weißt doch, Rosaline hat ihn mir vererbt und er ist heute angekommen.“
Sonia trat näher an den Roboter heran und runzelt die Stirn. „Er erinnert mich an eine Tonne auf Rädern. Irgendwie hatte ich ihn mir futuristischer vorgestellt.“
„Ja, ich auch. Aber eigentlich hätten wir uns auch denken können, dass Rosaline keinen Transformer zuhause hatte.“
„Wobei das bestimmt super wäre“, bemerkte Sonia. „Stell dir mal vor, dein Roboter könnte sich auch in ein schnittiges Auto verwandeln.“
„Ach, ich brauche kein Auto. Ich kann alles Wichtige mit Bus und Bahn erreichen. Und er kann etwas viel Besseres.“
„Was denn?“
„Staubsaugen und putzen natürlich.“
„Du hast recht, das ist viel wichtiger. Am besten wirfst du ihn direkt mal an, bevor deine Gäste über deine schmutzigen Socken stolpern.“ Sonias Blick blieb an der Spüle hängen, in der sich Teller, Töpfe und Gläser zu einem beeindruckenden Berg auftürmten. „Kann er eigentlich auch spülen?“
Lena zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Ich vermute aber, für diese Arbeiten sollte man eher einen eingebauten Roboter verwenden. Der nennt sich dann Spülmaschine.“
Sonia lachte laut auf. „Stimmt, so etwas gibt’s ja schon.“
„Nur leider nicht in meiner Wohnung.“ Mit einem wehmütigen Lächeln trat Lena an die Spüle und drehte den Hahn auf. Ihre Eltern besaßen eine Spülmaschine, doch seit sie ausgezogen war, musste sie mit ihren eigenen Händen für sauberes Geschirr sorgen. Tatsächlich war sie der Meinung, dass man beim gemeinsamen Kochen mit Freunden sofort merken konnte, wer zuhause eine Spülmaschine besaß und wer nicht. Ihre Freunde ohne Spülmaschine hatten immer im Hinterkopf, dass jemand nach dem Kochen für Sauberkeit und Ordnung sorgen musste, während alle anderen für jede Kleinigkeit einen neuen Löffel oder eine neue Schüssel nahmen.
„Ach, das bisschen Kram haben wir doch schnell gespült. Und dabei kannst du mir erzählen, was du noch für die Party geplant hast. Es muss ja schließlich etwas ganz Besonderes werden.“
„Also eigentlich wollte ich nur etwas kochen“, erwiderte Lena und gab etwas Spülmittel in das Becken.
„Nur Kochen?“ Sonia verzog den Mund und nahm sich ein Handtuch. „Aber du wirst dreißig. Da musst du dir ein besonderes Motto überlegen. Oder einen Stripper einladen. Und du brauchst eine Tanzfläche.“
„Eine Tanzfläche? In meiner 43qm-Wohnung? Ich bin froh, wenn ich alle Leute hinein bekomme und sie nicht aufeinander sitzen müssen.“
„Ach, für eine Tanzfläche ist doch in jeder noch so kleinen Bude Platz. Ich habe gehört, in Berlin gibt es einen Club in einer Telefonzelle."
"In einer Telefonzelle ist aber kein Platz für eine Bar."
Sonia grinste breit. "Und die Bar ist wichtig. Und was ist dem Stripper?“
„Stripper? Wo soll ich den denn hernehmen?“ Lena tauchte ihre Hände in das Spülwasser und begann, an einem Teller herumzuwischen. „Und was ist, wenn meine Mum spontan vorbei kommt? Das wäre schon ziemlich peinlich, wenn dann ein Stripper seinen eingeölten Körper an mir reiben würde.“
Sonia lachte laut auf. „Er kann seinen eingeölten Körper ja an mir reiben.“
Lena schüttelte den Kopf. „Da würde sie ebenso einen Herzinfarkt bekommen.“
„Na gut, also kein Stripper. Aber was ist mit dem Roboter? Kannst du ihn dazu bringen, uns Getränke zu servieren?“
„Wenn wir eine Gebrauchsanweisung finden, bestimmt.“
„Dann lass uns danach suchen. Es hätte außerdem einen zweiten, großen Vorteil. Wenn er hier herumfährt, achtet niemand mehr auf dein Chaos. Dann ist es nicht schlimm, wenn wir nicht fertig werden. Und wenn doch einer fragt, dann sagen wir, wir haben extra einen Hindernisparcours für Herbert aufgebaut.“
„Auf diese Lösung hätte ich auch selbst kommen können.“ Lena deutete mit nassen Fingern auf den Haufen zerrissener Einpackfolie. „Sie muss irgendwo zwischen den Folien liegen. Und ich habe noch eine viel bessere Idee. Wir überlassen das Suchen und Lesen Christian. Bis er hier ist, sind wir auch mit spülen fertig und können uns um andere Dinge kümmern. Und er ist froh, wenn er sich mit technischen Sachen beschäftigen kann.“
Christian und Lena hatten sich bereits an ihrem neunzehnten Geburtstag kennengelernt. Ihre Freundinnen hatten sie in eine furchtbare Karaoke Bar geschleppt, in der er ein schreckliches Blind Date hatte. Am Ende des Abends hatten ihre Freundinnen sein Date völlig in Beschlag genommen und zum Singen verpflichtet, während sich Lena und Christian in Ruhe an der Bar betrinken und unterhalten konnten. Christian kam aus einem winzig kleinen Dort in Bayern, in dem man weder Handyempfang noch Internet in einer annehmbaren Geschwindigkeit kannte. Inzwischen lebte er jedoch auf einem Hausboot und arbeitete als freier Programmierer für verschiedene Firmen. Lena hatte seine Eltern nie kennengelernt, aber sie war sich sicher, dass sie sich mit ihrer Mutter wunderbar verstehen würden. Schließlich hielten sie Technik und das Internet ebenfalls für ein Werk des Teufels und bangten um die Seele ihres Sohnes.
Einige Minuten später war Christian auch schon da. Während er die Anleitung las und immer wieder „Hm…“ Und „Ach so“ murmelte, schafften es Lena und Sonia tatsächlich, die Wohnung in einen halbwegs passablen Zustand zu bringen.
„Aber irgendetwas fehlt noch“, sagte Sonia schließlich. Sie trat einen Schritt zurück, kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
„Und was?“ Lenas Schultern schmerzten und sie schaute sehnsüchtig auf die leeren Pappbecher auf der Barzeile. Im Gefrierschrank warteten schon gefrorene Erdbeeren darauf, zu Margaritas verarbeitet zu werden.
„Was haltet ihr von einem Motto?“, fragte Sonia.
„Ein Motto?“ Christian ließ auf das Sofa fallen und stopfte sich eine Handvoll Gummibärchen in den Mund. „Ich dachte, wir feiern Lenas näher rückenden Renteneintritt. Eigentlich müssten wir einen Rollator schenken. Wobei…“ Er warf einen Blick auf Herbert. „Einen Haushaltsroboter für ältere Menschen hat sie ja schon.“
„Hey!“ Lena warf ein Kissen nach ihm.
„Ich dachte eher an etwas wie eine Südseeparty“, erwiderte Sonia. „Oder eine Kostümparty. Einer meiner Kollegen hat vor zwei Wochen eine Dexter-Party gegeben. Alle waren entsprechend verkleidet und die Deko und das Essen passten auch.“
„Alle waren passend gekleidet?“, fragte Christian und legte die Stirn in Falten. „Lass mich raten. Dein Kollege hat die Wände mit Ketchup beschmiert, damit es wie Blutspritzer aussah. Denn Dexter ist ja ein Blutspurenspezialist. Es gab halbrohes Fleisch und du bist als Prostituierte verkleidet gegangen und hast dich dem Kühllasterkiller angeboten?“
„Blödmann.“ Sonia streckte ihm die Zunge heraus. „Aber eine Mottoparty wäre doch bestimmt super. Stellt es euch nur vor.“
Sie warf sich in ihre Ich-überzeuge-jeden-Pose, die sie immer benutzte, um andere von einer ihrer Ideen zu überzeugen. Brust raus, Schultern zurück, die Arme locker neben dem Körper, um mit Gesten das Gesagte unterstützen zu können, und ein verheißungsvolles Lächeln auf den Lippen, das dem Gegenüber zeigt, dass man auf seiner Seite ist und er das Vorgeschlagene schon immer unterstützen wollte. Lena hatte diese Pose einmal heimlich vor dem Spiegel geübt, doch ihr Lächeln hatte dabei irgendwie schief gewirkt und sie hatte das Gefühl gehabt, sich ziemlich lächerlich zu machen.
„Wir setzen alles unter das Motto Südsee. Wir dekorieren alles entsprechend und gehen bei der Musikauswahl darauf ein. Ich denke an leise Stücke mit einem Sambarhythmus. Jeder Gast bekommt zur Begrüßung eine Blumenkette um den Hals gelegt. Es gibt karibische Cocktails und Bowle und leichtes Essen dazu. Und wir stellen einige Liegestühle auf, für die Strandatmosphäre. Über die Fenster hängen wir Girlanden und dein Ficus wird zu einer Palme.“
Lena musste zugeben, dass die Beschreibung wirklich toll klang. Doch der Zeiger der Wanduhr rückte erbarmungslos vorwärts. Es waren nur noch zwei Stunden Zeit, bis die ersten Gäste eintreffen würden.
Christian runzelte die Stirn. „Wie stellst du dir das vor? Woher sollen wir die Deko nehmen?“
„Und was ist mit dem Essen? Ich habe keine Zutaten gekauft, um etwas zu diesem Thema zu kochen.“
Sonia wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. „Die Deko besorgen wir in irgendeinem Billigladen. Da wird es schon etwas für ein paar Euro geben. Es ist doch Sommer, da gibt es überall Sachen für Gartenpartys. Und das Essen... hm...“
Sie ließ ihren Blick durch die Wohnung wandern. Lena folgte ihm bis zu ihrer Nachtfalter-Orchidee. „Oh nein, das kommt nicht in Frage.“
„Du weißt doch gar nicht, was ich vorschlagen möchte“, erwiderte sie und trat an den Blumentopf. Langsam streicht sie mit den Fingerspitzen über die violetten Blüten.
„Ich denke schon. Aber ich lasse mich gerne überraschen.“
„Du wolltest doch das Essen als Buffet anrichten.“
„Das stimmt.“
„Dann habe ich die perfekte Idee, wie wir es karibisch gestalten. Wir sammeln einige exotische Blüten und legen sie zwischen das Essen. Das macht kaum Aufwand und sieht toll aus.“
„Unterstehe dich meine Orchidee zu plündern.“
„Ach, komm schon. Sie bekommt doch bereits neue Blüten.“
„Die Orchidee war ein Geschenk meiner Mutter. Wenn sie plötzlich keine Blüten mehr hat, wird sie mir Vorträge halten, wie man Orchideen richtig pflegt. Sie glaubt sowieso schon, dass bei mir keine Pflanze lange überleben kann.“
„Ganz unrecht hat sie damit ja nicht“, stichelte Christian. „Was war denn mit dem Drachenbaum? Der ist doch angeblich so pflegeleicht.“
„Der war depressiv und hat Selbstmord begangen. Und damit so etwas nicht mehr passiert, bleiben die Blüten an der Pflanze.“
Sonia seufzte „Na gut. Wir finden bestimmt auch etwas anderes Hübsches.“
Zwanzig Minuten später fand sich Lena zwischen Stoffblumen, Papptellern, Gartenzwergen und allerhand Spielzeug aus Plastik wieder, das bei einem lebhaften Kind vermutlich keine Woche überstehen würde. Überall klebten neonfarbene Aufkleber mit Aufschriften wie „Super billig“ und „nur ein Euro“. Die Ladentheke war mit Kleinartikeln in hohen Glasbehältern wie pinken Haarbändern, Wasserpistolen oder glitzernden Stickern vollgestopft. Dahinter befand sich ein bärtiger Mann in einem ehemals weißen Unterhemd, das von bräunlichen Flecken übersät war. Vor ihm standen eine Frau und ein vielleicht fünfjähriges Mädchen. Mutter und Tochter schienen sich über den Einkauf nicht einig zu sein.
„Aber ich will das pinke Einhorn“, kreischte die Kleine in einem Tonfall, der den Erbauer jeder Alarmanlage stolz gemacht hätte.
Es roch nach einer giftigen Mischung aus Toilettenreiniger und einem Chemiekeulen-Putzmittel. Lenas Schwester hätte das Geschäft spätestens nach zwei Sekunden wieder verlassen. Scheuermittel betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen („Nimm eine frische Zitrone, Zitronensäure ist gut gegen Kalk.“) und bei Glasreiniger schüttelte sie den Kopf („Nimm eine halbe Zwiebel, die reinigt Flecken auf Glas viel effektiver.“). Bei diesem Geruch konnte sie Lena zum ersten Mal wirklich verstehen.
Sonia steuerte zielstrebig auf eine Ecke mit Partyartikeln zu. Lena und Christian standen nur daneben und beobachteten, wie sie verschiedene Artikel in eine mitgebrachte Stofftasche warf.
„Das können wir noch brauchen“ und „Das würde bestimmt hübsch aussehen“ murmelte sie dabei.
Zehn Minuten später standen sie bereits an der Kasse und Lena bezahlte einen Strauß Stoffblumen, Blumenketten, drei bunte Girlanden, zwei Liegestühle, die nur aus einem instabil aussehenden Holzgestell und einem dazwischen gespannten Stoffstreifen bestanden, und allerhand Kleinkram, von dem sie nicht wusste, wie Sonia ihn verwenden wollte.
„Jetzt aber schnell. Deine Gäste kommen schon in einer Stunde“, sagte sie nach einem Blick auf die Uhr. „Und wir müssen noch aufbauen.“
In Lenas Magen grummelte es leise. Sie nahm ein leises Ticken in ihrem Ohr wahr, das wahrscheinlich niemand sonst hören konnte. Warum hatte sie sich nur zu dieser Party überreden lassen?
* * *
Lena balancierte auf ihrem Schreibtischstuhl und versuchte, mit Sonia die letzte Girlande über dem Fenster zu befestigen. Sie blickte auf ihre Armbanduhr als es an der Haustür schrillte. Verdammt, schon so spät. Sie waren anfangs doch so gut im Zeitplan gewesen. Sie hätte wissen müssen, dass Sonia alles mit einer spontanen Idee über den Haufen werfen würde. Doch sie musste zugeben, dass die Girlanden, die Blumen auf den Tischen, die Liegestühle und die leise Merengueklänge, die aus den Boxen ihrer Anlage tönten, wirklich ein Gefühl von Sonne, Strand und Urlaub verbreiteten.
Der Stuhl unter ihr wackelte bedenklich, doch sie konnte das Gleichgewicht halten. Ein gebrochenes Bein wäre das Letzte, was sie jetzt noch gebrauchen könnte. Vielleicht hätte sie aus der Sache von heute morgen lernen sollen. Die Stimme ihrer Mutter tönte in ihren Ohren: „Du brichst dir noch den Hals. Kauf dir endlich eine Trittleiter. Oder besorge dir einen großen Mann.“
Den großen Mann hatte sie schon gefunden, wenn auch auf eine andere Art als ihre Mutter sich das wünschte.
„Chris, kannst du bitte die Tür öffnen?“, rief sie und drückte die letzte Reißzwecke mit der Schnur der Girlande in die Wand. Der Stuhl wackelte erneut, als sie sich gegen die Wand drückte, doch er blieb stehen.
„Schon unterwegs.“
Aus dem Flur schallten lautes Lachen, Rufe der Begrüßung und etwas polterte gegen die Wand.
„Wo ist denn das Geburtstagskind?“
„Hat sie sich vor uns versteckt?“
„Und dabei bringen wir doch Geschenke mit.“ Lenas Herz machte einen Sprung. Es klang genau wie der Besuch, den sie kaum erwarten konnte.
Eine Frau betrat das Wohnzimmer und lächelte Lena an. „Ich habe sie gefunden.“
„Fiona, wie schön, dass du da bist.“
Lena kannte sie seit der vierten Klasse, seit ihre Lehrerin ein blasses, dunkelhaariges Mädchen mit wässrigen blauen Augen und einem hochmütigen Ausdruck auf den Lippen als neue Schülerin vorgestellt hatte. Anfangs hatte Lena sie gar nicht leiden können doch dies hatte sich schnell geändert. Rasch hatte sie gemerkt, dass sich hinter der unnahbaren Fassade ein verletztes Mädchen verborgen hatte, das nach der Scheidung ihrer Eltern zu oft umgezogen war und sich eigentlich nur eine Freundin wünschte.
„Lass dich umarmen, Süße. Gut siehst du aus.“
„Für eine Frau Anfang dreißig“, fügte Fionas Mann Karl hinzu, der hinter ihr ins Wohnzimmer getreten war. An seinem Lächeln erkannte Lena sofort, dass er es nicht als Beleidigung gemeint hatte. An ihrem dreißigsten Geburtstag würde sie diese Art von liebevollen Spöttereien bestimmt noch öfter hören müssen.
„Bist du selbst nicht schon Mitte dreißig? Du gehst also hart auf die vierzig zu. Musst du dir nicht langsam Sorgen um graue Haare machen? Und das Herzinfarktrisiko soll bei Männern in deinem Alter auch drastisch steigen.“
„Das stimmt. Aber du weißt doch, wie das mit den Männern ist. Je älter desto besser. Wie mit gutem Wein. Der wird auch immer besser.“
Fiona stieß ihn in die Seite. „Sei nicht so unhöflich zum Geburtstagskind!“
„Ist es nicht so, dass Wein irgendwann zu Essig wird?“, fragte Lena. „Und der ist doch eher ungenießbar, es sei denn man nimmt sehr kleine Mengen.“
Karl lachte laut auf. „Gut gekontert.“
Bereits wenige Minuten später war Lenas Wohnung brechend voll. Es war, als hätten sich all ihre Freunde verabredet, möglichst zum selben Zeitpunkt anzukommen. Doch langsam fand sie Gefallen an der Party. Es war zumindest eine tolle Gelegenheit, alte Freundinnen und Freunde wieder zu sehen. Auch wenn die Vorbereitungen stressig gewesen waren.
„Du hast noch keine Blumenkette um“, brüllte Sonia ihr ins Ohr und warf ihr im nächsten Moment eine Kette über den Kopf. Irgendwer hatte die Musik so laut gedreht, dass man sich nur noch schreiend unterhalten konnte. „Und jetzt lass uns etwas trinken.“ Sie zauberte zwei Schnapsgläser hervor und füllte eine giftgrüne Flüssigkeit ein.
„Was ist das?“
„Ist doch egal. Es schmeckt lecker und knallt. Und jetzt runter damit.“
Die Flüssigkeit schmeckte nach Waldmeister und zum Glück nicht so stark, wie Lena befürchtet hatte. Sonia drückte ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand wieder in Richtung Anlage.
„Es hat geklingelt“, rief Fiona. „Irgendwer sollte aufmachen.“
„Schon unterwegs“, schrie Lena zurück. Wer könnte das bloß noch sein? In Gedanken ging sie alle Leute durch, die sie eingeladen hatte. Doch es fiel ihr niemand ein, auf den sie sich noch freuen würde. Und tatsächlich, es war nur ihre Kollegin Elvira, die in hochhackigen Schuhen die Stufen hinauf stolzierte. Mit ihrem schwarzen Cape, der Kapuze über den kunstvoll aufgedrehten Haaren und der Sonnenbrille, die mit ihren riesigen Gläsern fast das halbe Gesicht verdeckte, erinnerte sie Lena ein bisschen an einen sechziger Jahre Filmstar in weniger hochwertiger Kleidung. Es fehlte nur noch eine Zigarette in einer Zigarettenspitze und ein Mann, der ihr erst Feuer gab und dem sie dann Rauch ins Gesicht blasen konnte.
„Funktioniert deine Klingel nicht?“, fragte sie anstelle einer Begrüßung und seufzte so tief, als würde die gesamte Last der Welt auf ihren Schultern ruhen. „Ich habe bestimmt eine Minute gewartet, bis endlich die Tür aufging.“
„Tut mir leid, aber ich habe es vorher nicht gehört“, erwiderte Lena. Tatsächlich fühlte sie sich kein bisschen schuldig. „Die Musik ist recht laut und ich musste meine Gäste begrüßen.“
„Gäste lässt man nicht draußen warten. Insbesondere nicht, wenn sie wichtig sind.“
Warum hatte sie die doofe Planschkuh noch eingeladen? Ach ja, Elvira hatte sich einfach dazu gestellt, als sie ihre Kollegin Klara hatte einladen wollen. Und in einem Anfall von Großmut und ein wenig Naivität hatte sie Elvira ebenfalls eingeladen. „Aber jetzt bist du ja da. Leg deine Sachen ruhig ab und nimm dir etwas zu trinken.“
Elvira warf einen Blick auf den imposanten Haufen an Jacken, der sich auf und neben der Kommode neben der Tür gebildet hatte und runzelte die Stirn. „Ich hoffe, hier wird nichts gestohlen. Das Cape war teuer.“
„Hier wird nichts gestohlen. Du kannst es aber auch einfach an lassen.“
„Das würde den Look total zerstören. Du solltest öfter in Modeblogs schauen.“
Elvira warf sich in Pose, als befände sie sich auf dem roten Teppich. Es schien sie nicht zu stören, dass nur Christian neben Lena stehen blieb und sie sonst niemand beachtete. Langsam, beinahe wie in Zeitlupe, schlug sie die Kapuze zurück und nahm die Sonnenbrille ab. Ihre Bewegungen erinnerten Lena an eine einstudierte Choreografie, in der jede noch so kleine Haltungsänderung zeitlich perfekt geplant war. Mit einer einzigen fließenden Bewegungen, die sie bestimmt oft vor dem Spiegel geübt hatte, öffnete sie ihr Cape und enthüllte ein dunkelblaues, ziemlich knappes Paillettenkleid, das ihre schlanken Beine zwar gut zur Geltung brachte, aber dennoch fehl am Platz wirkte. Christian musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und wandte sich an Lena. „Hast du den ersten Bridget Jones Film gesehen?“
„Natürlich.“ Wie hätte Lena sie vergessen können. Ihre tollpatschige Art und die Suche nach der wahren Liebe erinnerte sie viel zu sehr an sich selbst. Nur mit Gewichtsprobleme und Rauchentwöhnung musste sie sich zum Glück nicht herumschlagen.
„Erinnerst du dich an die Szene mit dem Familientreffen? Sie kommt verkleidet als Playboy Bunny und alle machen sich über sie lustig. Eigentlich sollte das Treffen unter einem Motto stehen, was aber wieder verworfen wurde.“
„Und du meinst, sowas hätte ich hier auch getan?“ Lena setzte ihr unschuldigstes Lächeln auf. „Das würde ich doch niemals tun.“
„War ja nur ein Gedanke“, erwiderte Christian. „Aber so, wie sie sich aufführt, scheint das ihr normales Aussehen zu sein.“
„Du solltest sie mal im Büro sehen.“ Elvira war es gewohnt, dass fast alle Männer nach ihrer Pfeife tanzten, doch hinter ihren tiefen Ausschnitten und hautengen Röcken steckte zu viel Kalkül und zu viel Fassade, als dass Lena sie sympathisch finden könnte. Vielleicht verbarg sich hinter der dicken Schicht Make-up ja eine nette Person, doch sie gab sich einfach zu viel Mühe, diese zu verbergen.
Elviras imaginäres Blitzlichtgewitter war scheinbar vorbei, denn sie steuerte aufs Buffet zu und beachtete Lena und Christian nicht weiter.
„Komm, wir holen uns etwas zu trinken. Ich habe noch Zutaten für Margaritas da.“
„Das klingt super“, erwiderte Christian.
Auf dem Weg in die Küche stießen sie auf Sonia. Sie zog Lena zur Seite und deutet auf Elvira, die gerade mit spitzen Fingern eine Blüte auf dem Buffet berührte und dann den Mund verzog.
„Was macht die Planschkuh denn hier? Ich dachte, du kannst sie nicht leiden. Und außerdem spricht sie schlecht hinter deinem Rücken über dich.“
„Stimmt. Aber Klara kann ich leiden und Elvira stand neben ihr, als ich sie eingeladen habe. Da konnte ich sie nicht übergehen.“
„Und außerdem teilt ihr euch ein Büro, wenn du mal im Verlag bist“, zitierte Sonia sie.
„Genau.“ Auf Streit am Arbeitsplatz konnte sie wirklich verzichten. Sie konnte sich noch gut an die letzte Feier erinnern, zu der sie Elvira nicht eingeladen hatte. Jemand hatte es in der Mittagspause erwähnt und Elvira hatte sie daraufhin den ganzen Nachmittag vorwurfsvoll angeschaut. Nebenbei hatte sie noch von all den exklusiven Partys erzählt, zu denen sie ihre Freunde bereits eingeladen hatten, auf Yachten, einer Dachterrasse in München oder in einer Finca auf Mallorca.
„Weißt du, eigentlich will ich gar nicht zu diesen Partys. Der Champagner, Kaviar und die schönen Villen, all das langweilt mich entsetzlich“, hatte sie immer wieder betont. „Dennoch ist es schön, wenn einfach alle da sind.“
Mit alle meinte sie ihre High Society Freunde, von denen sie so gerne erzählte. In ihrem Umfeld schien man sich ausschließlich über die Anzahl der Gäste einer Party zu definieren.
„Sie ist eine Kollegin, mehr nicht. Das heißt nicht, dass du deine Freizeit mit ihr verbringen musst.“
„Ich weiß. Aber ich wollte sie nicht kränken. Du hättest sie das letzte Mal sehen sollen.“
„Nicht kränken? Das ist genau das, was die Planschkuh verdient hätte. Sie wird hier alles schlecht machen, warte nur ab.“
„Ich weiß. Aber ich hab ja dich. Du wirst das bestimmt zu verhindern wissen.“
Sonia verzog die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. „Ich darf also gemein sein?“
„Wenn es sein muss. Aber warte erst einmal ab, wie sie sich verhält.“
„Das muss ich nicht“, erwiderte Sonia und deutete auf Elvira, die gerade die Kelle im Topf mit dem Chili con Carne griff. Sie rümpfte die Nase und rührte so langsam um, als hätte sie nie zuvor etwas Ekelhafteres gesehen. „Sie hat sich gerade für jede Gemeinheit qualifiziert.“
Lena verdrehte die Augen. „Elvira ist nervig, überheblich und echt anstrengend. Aber versuch einfach darüber zu stehen. Lass uns lieber noch etwas trinken. Du hast die Flasche mit deinem komischen Gebräu doch bestimmt irgendwo in der Nähe versteckt.“
Sonia grinste schelmisch. „Sicher. Denn die Flasche ist für dich und deine Mittrinker reserviert. Aber was würdest du machen, wenn mir zufällig etwas davon über Elviras Kleid laufen würde? Ich habe gehört, grün soll dieses Jahr total angesagt sein.“
Lena verkniff sich ein Lächeln. „Dann würde ich dich bitten, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein.“
„In Zukunft“, betonte Sonia. „In Zukunft werde ich mich bestimmt zusammenreißen.“
„Sehr gut.“
„Es sei denn...“, Sonia hebt die Augenbrauen.
„Es sei denn?“
„Es sei denn, ich habe zu viel getrunken. Dann kann ich natürlich nichts dafür, wenn ich ein bisschen schwanke.“
„Natürlich nicht“, bestätigte Christian. In seinen Mundwinkeln zuckte es ebenfalls. „Und es würde dir auch niemals einfallen, diesen Zustand vorzutäuschen.“
„Natürlich nicht“, betonte Sonia. „Ich täusche niemals etwas vor.“
„Wirklich nicht? Das klingt aber interessant“ Fiona trat zu ihnen. In der einen Hand hielt sie kleine Plastikbecher, in der anderen eine Flasche mit einer blauen Flüssigkeit. Auf dem Etikett stand in verschnörkelten Buchstaben der Schriftzug Blue Moon.
Woher hatten die Gäste nur alle diese kleinen Plastikbecher und den Alkohol? Lena konnte sich nicht daran erinnern, dass sie selbst so viele verschiedene Flaschen gekauft hätte. Sonst wurde von den Männern hauptsächlich Bier und von den Frauen Wein und Sekt und hin und wieder ein Cocktail getrunken und davon hatte sie reichlich besorgt. Diese kleinen Shots erinnerten sie an Partys aus ihrer Studentenzeit.
„Nein, wirklich nicht“, erwiderte Sonia. „Wobei, da war diese eine Situation mit dem Typen, den ich im Carpe kennengelernt habe. Das könnt ihr euch nicht vorstellen. Wir sind raus in eine Seitengasse und da...“
„Und den Rest kann ich mir schon sehr gut vorstellen und du musst ihn uns nicht erzählen“, warf Christian ein. „Ich habe ein lebhaftes Bild vor Augen, was du in einer düsteren Seitengasse vortäuschst.“
„An was du schon wieder denkst“, erwiderte Sonia und zog die Augenbrauen hoch, als wäre ihre Geschichte kein bisschen zweideutig gewesen. „Ich wollte gerade sagen, dass wir einem früheren Schulfreund von ihm begegnet sind und ich habe so getan, als wäre ich seine Verlobte. So düster war die Seitengasse auch überhaupt nicht.“
Christian runzelte die Stirn. „Für deine Verhältnisse ist das eine ziemlich langweilige Geschichte.“
„Aber nur, weil ihr mich unterbrochen habt. Sein Schulfreund war nämlich gerade in einer ziemlich prekären Situation, obwohl er angeblich verheiratet ist. Und zwar mit einem anderen Mann.“
„Und was ist daran so komisch, dass der Schulfreund mit einem Mann zusammen war?“, fragte Christian.
„Na, verheiratet war er mit einer Frau.“
„Und obwohl dieser Typ da mit einem anderen... ärm...“ Fiona suchte nach Worten. „...zugange war, musstest du dich als Verlobte vorstellen? Oh Gott. Ich hätte ziemlich schnell das Weite gesucht.“
Sonia zuckte mit den Schultern, als wäre es das Normalste der Welt. „Nun ja, wir haben uns ziemlich gleichzeitig entdeckt und die beiden haben ja nicht weiter gemacht.“
„Dennoch würde ich in dieser Situation nicht meinen Mann vorstellen, sondern einfach gehen“, erwiderte Fiona. Sie wirkte gleichermaßen schockiert wie irritiert.
Sonia zuckte erneut mit den Schultern. „Also wenn du mich fragst, hatte der Kerl, den ich in der Bar kennengelernt habe, ziemlich viel zu kompensieren. Er hat die ganze Zeit nur von seinem Sportwagen und seiner Yacht erzählt. Und als er seinen früheren Schulfreund sah, hat er nur noch davon gesprochen, dass dieser ihn früher immer gehänselt hätte. Deshalb wollte er vor ihm gut dastehen, indem er ihm von einer Verlobten erzählt, von seinem tollen Job vorschwärmt oder mit seinem Wagen oder Yacht angibt. Was weiß ich.“
„Manche Männer müssen eben ihre Machtstellung festigen“, sagte Christian und hielt Fiona seinen leeren Becher hin. „Und was wäre besser dazu geeignet, als wenn sich die andere Person in einer sehr peinlichen Situation befindet?“
„Das ist wie bei Hunden, die in eine Ecke pinkeln, um ihr Revier zu markieren“, warf Fiona ein und goss ihm etwas von der blauen Flüssigkeit ein. „Ich kann so ein Verhalten einfach nicht verstehen.“ Wie zur Bekräftigung knallte sie den Decke wieder auf die Flasche.
Frank stellte sich wie zur Verstärkung neben Christian. „Wie wäre es, wenn ihr Frauen nicht weiter auf den armen Männern rumhackt, sondern etwas mit uns trinkt? Die liebe Fiona hat uns doch extra einen leckeren Likör mitgebracht.“
„Sehr gute Idee.“ In einem Zug leerte Christian seinen Becher und stellte ihn dann auf das Regal neben sich. Er nahm Fiona die übrigen Becher aus der Hand und füllte sie alle mit der blauen Flüssigkeit. „Auf Lena. Und auf seltsame Gestalten, die uns mit ihrer Art belustigen.“
„Darauf trinke ich“, rief Sonia und hob ihren Becher.
Lena leerte ihren Becher in einem Zug. In ihrem Mund zog sich alles zusammen. Die Flüssigkeit schmeckte genauso künstlich wie sie aussah, wie eine Mischung aus flüssigen Gummibärchen und Sirup.
„Wo wir gerade von seltsamen Gestalten reden, fällt mir etwas ein: Was ist eigentlich mit Herbert?“
„Er ist bereit“, erwiderte Christian. „Auf dein Kommando fährt er los.“
„Herbert?“, fragte Fiona. „Wer ist Herbert? Und warum musst du ihm erst Bescheid sagen, damit er los fährt? Hat er kein Navi, das ihm sagt, wie lang er braucht?“
„Das hat er mit Sicherheit“, sagte Christian mit einem geheimnisvollen Lächeln. „Aber es funktioniert nicht so, wie du dir es vorstellst.“
„Muss man bei einem Navi nicht nur die Adresse eingeben und dann gibt es eine Wegbeschreibung aus?“, fragte Fiona.
„Normalerweise schon“, erwiderte Christian. „Aber in diesem Fall muss Lena erst ihr Einverständnis geben, dass er los fahren darf.“
„Wieso das?“ Frank zog bedeutungsvoll seine Augenbrauen hoch.
„Das wirst du gleich sehen. Christian tippte auf sein Smartphone. „Er ist unterwegs.“
So leicht ging das also? Hätte Lena das vorher gewusst, hätte sie Herbert selbst gerufen. Nun wunderte sie es nicht mehr, dass Rosaline einen Roboter besessen hatte und auch hatte steuern können. Wie einfach doch alles geworden war. Sie dachte daran, wie cool sie sich gefühlt hatte, als sie mit zehn Jahren das erste Mal ein Autotelefon in der Hand gehabt hatte. Es war riesig gewesen und der Empfang war mehr als dürftig gewesen. Für einen Teenie klang sie bestimmt, als würde sie aus der Steinzeit kommen. Hoffentlich dachten ihre Kinder später nicht, dass sie dasselbe Verhältnis zu Technik hatte wie ihre Mum.
„Kann Herbert eigentlich alleine Türen öffnen oder müssen wir ihm helfen?“, fragte Sonia.
Fiona schaute sie an, als hätten sie ihr von lila gelb gestreiften Wolken am Himmel erzählt. „Warum sollte er denn keine Türen öffnen können?“
„Vielleicht sitzt er im Rollstuhl“, schlug Frank vor.
„Und warum sollte ihn das daran hindern, eine Tür zu öffnen?“
„Vielleicht ist er noch nicht besonders geübt und steht sich selbst dabei im Weg.“
Aus dem Augenwinkel konnte Lena sehen, dass die Türklinke zu ihrem Schlafzimmer langsam herunter gedrückt wurde und wie sich die Tür öffnete. Es war beinahe so, als würde sie einen Film in Zeitlupe sehen.
„Ob er sich selbst im Weg steht, könnt ihr jetzt selber beurteilen“, sagte sie und deutete auf ihr Schlafzimmer. Der Roboter kam mit einem Surren heraus gerollt, langsam und bedächtig, als wäre er schüchtern. „Das ist Herbert. Aber wenn ihr mich fragt, ist er ziemlich gut, in dem was er tut.“
Sie konnte den Stolz in ihrer Stimme nicht verbergen. Sie klang beinahe wie eine Mutter, die ihr Kind nach einem erfolgreichen Wettbewerb anpries. („Das ist meine Tochter Rebecca. Sie hat gerade den ersten Platz im Kunstturnen in Klein-Kappelhausen gemacht und ist so talentiert. Schaut sie nur an.“) Eigentlich wusste sie ja gar nicht, was Herbert alles konnte. Christian hatte ihr zwar einen groben Überblick gegeben, aber das meiste hatte sie schon wieder vergessen. Und ob alles so ablaufen würde, wie sie es sich vorstellte, war noch eine andere Frage. Wahrscheinlich ließ er alle Getränke fallen oder fuhr jemandem über die Füße. Oder noch schlimmer: er verhedderte sich im Kleid einer Freundin und die stand hinterher nackt da. Wobei es vielleicht doch nicht so schlimm wäre, wenn es Elvira treffen würde.
„Das ist Herbert?“, fragte Fiona. Sie konnte die Überraschung in ihrer Stimme nicht verbergen.
„Wow, das ist ja Wahnsinn“, rief Frank und beugte sich zu Herbert hinab. „Das ist ja ein echter Roboter.“
Er fuhr mit der Hand über die Oberfläche und berührte Herberts Greifarme, vorsichtig, als hätte er Angst, etwas zu beschädigen. „Wie viel Gewicht kann er damit heben? Und wie lange hält sein Akku bis er aufgeladen muss?“
„Etwa zwei Kilo mit jedem Arm“, erwiderte Christian. Seine Augen hatten dasselbe kindliche Glitzern angenommen, das sich immer zeigte, wenn er über technische Dinge fachsimpeln konnte. „Die Akkulaufzeit habe ich noch nicht herausgefunden, aber einige Stunden müsste er schon durchhalten. Und es gibt ein Ladesystem, zu dem er automatisch zurückkehrt, wenn sein Akku zu leer ist.“
„Kann man ihn auch mit Spracheingabe steuern oder muss man sein Smartphone mit ihm verbinden?“
„Du hättest den Roboter einfach mitten ins Wohnzimmer stellen müssen und schon wären alle Männer für den Rest des Abends beschäftigt“, flüsterte Fiona Lena zu. Christian und Frank sahen wirklich aus wie zwei kleine Kinder unterm Weihnachtsbaum, die gerade ihre neue Carrerabahn ausgepackt hatten.
„Es funktioniert beides“, erklärte Christian. „Die Sprachsteuerung funktioniert sehr gut, aber an manchen Stellen ist sie noch nicht ganz ausgereift.“
„Aber ich könnte ihn nach einem Bier fragen und er würde mir eins holen?“
„Wenn es für ihn erreichbar ist, ja.“
„Ist ja klar, dass euch Männern nichts besseres einfällt“, bemerkte Fiona. „Kann er nicht auch anspruchsvollere Dinge? Cocktails mischen zum Beispiel? Ich hätte jetzt Lust auf einen Cosmo.“
Christian verzog die Lippen. „Das geht bestimmt, wenn alle Zutaten für ihn bereit stehen.“
„Komm, das testen wir“, rief Frank.
„Ich habe eigentlich schon etwas vorbereitet“, sagte Christian und deutete auf einige Flaschen Bier und Softdrinks, die hinter der Theke auf einem niedrigen Tisch standen. „Sie sind für ihn ohne Hilfe erreichbar und können schnell nachgefüllt werden. Heute ist doch Lenas großer Tag.“
„Ach, Lena will bestimmt auch wissen, was ihr neues Spielzeug alles kann, oder?“
Alle Augen richten sich auf sie. So war das zwar nicht gedacht gewesen, aber warum nicht? Sie war ja auch neugierig, was Herbert alles konnte. „Gut, lassen wir ihn einen Cocktail mischen.“
Die Männer jubelten wie kleine Kinder und folgten ihnen mit Herbert aus dem Flur ins Wohnzimmer. Sonia sprintete an die Musikanlage und drehte die Lautstärke herunter.
„Was ist jetzt los?“, rief Janna. „Haben sich die Nachbarn schon beschwert? Es ist doch noch gar nicht so spät.“
„Lena will bestimmt eine Rede halten“, sagte Karl und zwinkert ihr zu. Er wusste genau, dass sie solche Dinge hasste.
„Leider muss ich euch enttäuschen. Ich weiß, ihr würdet gerne eine Rede hören, aber ich habe etwas viel Besseres für euch.“
„Wirklich nicht?“ Karl zog die Stirn gespielt enttäuscht in Falten. „Das ist aber sehr schade. Ich hatte gehofft, dass es eine Fortsetzung von deiner Silvesterrede aus dem letzten Jahr gibt.“
Lena hatte gehofft, dass sich niemand mehr daran erinnern würde, aber eigentlich hatte sie sich keine Illusionen gemacht. Nach vier bis sieben Gläsern Sekt (genauer konnte sie sich leider nicht mehr erinnern), hatte sie sich mit einer Lichterkette und einem Handtuch bekleidet auf Sonias klapprigem Esstisch wieder gefunden und Nenas „99 Luftballons“ geschmettert. Danach hatte sie noch über den Inhalt sinniert, wie ein Prediger, der seine Anhängern von einem Podest aus missionierte.
„Tut mir leid, aber du wirst es überleben.“
„Das macht mich wirklich traurig.“ Karl zog die Mundwinkel nach unten. „Soll ich dir etwas zu trinken reichen? Ich habe auf der Theke zufällig eine Flasche Grüner Geist entdeckt. Vielleicht hilft das.“
Bei dem Gedanken an den Pfefferminzlikör zog sich ihr Magen zusammen. Nie zuvor hatte sie etwas derart Ekliges getrunken.
Fiona stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. „Hast du nicht gehört? Sie hat etwas Besseres für uns. Also halt die Klappe, damit sie es uns zeigen kann.“
Karl verbeugte sich demütig. „Alles, was ihr wollt, Mylady. Ich bin euer ergebener Diener.“
„Gut, dann kann ich euch jetzt zeigen, um was es geht. Wenn ihr euch kurz umdrehen würdet.“
Alle Blicke richteten sich auf Herbert, der neben Christian langsam ins Wohnzimmer rollte.
„Was ist denn das?“
„Der ist ja niedlich.“
„Kann man mit ihm sprechen?“, quietschten die Frauen.
„Was kann er alles?“
„Wie teuer war er?“ „Kannst du ihn mir mal leihen?“, fragten die Männer.
Nur Elvira konnte sich Herberts Charme entziehen. „Er sieht aus wie eine Mülltonne auf Rädern.“
„Wie kommst du denn auf die Idee?“, fragte Sonia, als hätte sie selbst niemals diese Verbindung gezogen. „Hast du etwa noch nie einen Science Fiction Film gesehen? Man sieht doch sofort, dass das ein Haushaltsroboter ist.“
„Das ist Herbert“, sagte Lena. „Eigentlich sollte er euch heute Getränke servieren.“
„Perfekt!“, rief Karl und hielt seine Bierflasche hoch. „Mein Bier ist leer. Ich hätte gerne ein neues.“
Lautes Gelächter erschallte. „Das macht er später. Aber zuerst werden wir etwas neues probieren.“ Lena machte eine bedeutungsvolle Pause. „Er wird uns einen Cocktail mischen.“
Sie sah in lauter ungläubige Gesichter. Hoffentlich hatte sie sich damit nicht übernommen.
„Wie will er das denn machen?“
„Das kann er?“
„Genau weiß ich das nicht“, gab sie zu. „Ich habe es noch nicht probiert. Aber das werden wir jetzt zusammen testen.“
„Ich wette zehn Mäuse, dass sein Cocktail besser ist, als die von Jamie“, rief Frank.
Klara schüttelte den Kopf. „Bist du verrückt? Jamie macht die besten Cocktails der Stadt. Und er macht sie mit Herzblut. Das ist etwas, das eine Maschine nicht kann.“
Frank zog die Augenbrauen hoch. „Wenn du dir so sicher bist, dann wette doch dagegen.“
„Das werde ich.“ Klara zückte ihr Portemonnaie und legte einen Zehner auf den Tisch. Sie schaute Frank herausfordernd an. „Und wo ist dein Einsatz?“
Betont lässig zog Frank einen Schein aus der Tasche und warf ihn ebenfalls auf den Tisch. „Ich habe schon so gut wie gewonnen.“
„Wir werden sehen.“
„Damit haben wir eine Wette laufen“, rief Sonia. „Holt den Alkohol heraus, damit Herbert uns eine tolle Show bieten kann.“
Hoffentlich war der Roboter wirklich so gut wie angekündigt. Dann könnte ihn Lena in Zukunft auf Partys als Barkeeper anbieten und Cocktails mixen lassen. Vielleicht könnte sie ihn sogar vermieten und ein bisschen Geld damit verdienen. Sie bräuchte nur noch einen tollen Namen, so etwas wie "Robococktail on the road" oder "Der mechanische Barkeeper". Ihr würde bestimmt noch etwas Besseres einfallen, aber erst einmal musste sie abwarten, wie sich Herbert überhaupt schlug.
Unter den wachsamen Augen ihrer Gäste stellte sie Flaschen mit Wodka, Cointreau und Cranberrysaft vor Herbert auf den Tisch. Dazu kamen noch ein Messbecher, ein Cocktailshaker und eine Schale mit Eis. Währenddessen schaute Christian auffordernd in die Runde. „Will noch jemand einsteigen? Keiner? Gut, dann geht’s jetzt los.“ Er wandte sich an Herbert und tippte auf sein Smartphone. „Mische uns bitte einen Cosmopolitan.“
Herbert surrte leise, als würde er nachdenken. „Bestätige.“
Langsam fuhr er näher an den Tisch heran, bis er wenige Millimeter vor der Kante stehen blieb. Lena konnte die Spannung förmlich spüren. Ihre Gäste standen oder saßen vorgebeugt, um nichts zu verpassen. Keiner hatte schon einmal etwas Ähnliches gesehen. Und dann ging es los.
Herbert legte den Kopf auf die Seite und betrachtet die Gegenstände vor sich. Wie niedlich. Er erinnerte sie an ein kleines Kind, das zum ersten Mal Gummibärchen sah. Aber vielleicht war es auch nur die Neigung des Kopfes, die sie daran erinnerte.
Dann hob er langsam den rechten Arm und griff nach der Flasche Wodka. Lena die Luft an, als er sie langsam drehte und über den Messbecher hielt. Nichts passierte. Er drehte den Arm wieder zurück und stellte den Wodka ab.
„Jemand muss die Flasche aufschrauben“, flüsterte Fiona. Schon sprang Karl nach vorne und drehte die Verschlüsse aller Flaschen auf.
Verdammt, darauf hätte sie auch vorher kommen können, dass der Roboter die kleinen Metallverschlüsse nicht packen konnte.
Herbert hob erneut den Arm und griff wieder nach dem Wodka. Dieses Mal klappte alles. Die Flüssigkeit lief langsam in den Messbecher. Cointreau und Cranberrysaft folgten.
Gut, ein normaler Barkeeper hätte die Flüssigkeiten alle einzeln abgemessen und in den Shaker gefüllt, aber daran konnte Herbert ja arbeiten. Sie würden den Unterschied bestimmt nicht schmecken.
Gespannt beobachteten sie, wie der Roboter den Inhalt des Messbechers in den Shaker goss, den Christian für ihn verschloss. Dann begann Herbert zu schütteln. Langsam. Beinahe in Zeitlupe. Zum Glück vermischten sich die Zutaten eines Cosmos schon fast von selbst. Aber die "Robococktails on the road" konnte sie wohl vergessen. Bei einem Swimming Pool würde man bei seiner Mischtechnik bestimmt alle Zutaten noch einzeln erkennen können.
„Ich glaube, als Barkeeper eignet er sich nicht“, bemerkte auch Paul. „Man verdurstet ja, während man auf sein Getränk wartet.“
„Oder man bestellt schon den nächsten Drink, wenn man gerade einen serviert bekommt“, warf Frank ein. „Dann kann der Roboter direkt weiter mixen, während man trinkt.“
„Das mache ich eh, wenn Happy Hour ist“, kicherte Klara. „Man muss es ja ausnutzen.“
„Wirklich?“, fragte Elvira. „Verdienst du so schlecht?“
„Nein, aber das macht man doch so“, murmelte Klara. „Wenn die Happy Hour fast rum ist, bestellen alle nochmal viel nach.“
„Wirklich?“, fragte Elvira und strich sich die Haare zurück. „Wenn du das sagst, wird es wohl so sein. Ich weiß das nicht. In meinen Stammbars gibt es keine Happy Hour.“
„Solltest du mal ausprobieren“, bemerkte Fiona. „In solchen Bars gibt’s die besten Partys.“
„Er ist fertig!“, rief Christian und alle Augen richteten sich wieder auf Herbert. Der Roboter goss gerade die Flüssigkeit in eine Cocktailschale. Dann fuhr er ein Stück zurück. Seine Mitte knickte zusammen, sodass sich sein Kopf etwas in Richtung Boden neigte. Wie süß, er verbeugte sich. „Es ist serviert.“
Fiona stieß ein leises Quietschen aus. „Darf ich direkt probieren?“
„Natürlich. Und sag uns direkt, wie es schmeckt.“
„Genau, ich will meinen Wetteinsatz verdoppeln“, bemerkte Frank.
Karla lachte laut auf. „Sag mal, bist du blind? Der Roboter ist zwar toll, aber mit einem Barkeeper kann er es nicht aufnehmen. Da ist ja eine Schnecke schneller.“
„Er hat sie sanft gestreichelt“, erwiderte Frank. „Mit Liebe. Und das schmeckt man sicher auch. Oder, Fiona?“
Fiona nahm einen Schluck und schloss die Augen. Sie erinnerte Lena ein bisschen an die Weinkenner, die erst am Korken schnüffelten, dann den Wein im Glas schwenkten, wieder schnüffelten und erst dann einen Schluck nahmen. Natürlich folgte allem ein „aaahhhh“ und „uuuhhhh“ und irgendein Kommentar über den Geschmack, den kein Mensch verstand.
Frank verschränkte die Arme vor der Brust und klopfte demonstrativ mit dem Fuß auf den Boden. „Jetzt sag schon. Du musst hier keinen alten Wein verkosten, sondern nur einen Cocktail trinken.“
„Da hast du Recht“, erwiderte Fiona mit einem diabolischen Lächeln auf den Lippen. „Aber es liegt ja ein unheimlicher Druck auf mir, wenn meine Meinung über eure Wette entscheidet.“
Sie nahm noch einen Schluck und schloss erneut die Augen. „Hm... Das zergeht auf der Zunge.“
„Also habe ich gewonnen?“, jubelte Frank.
Fiona nickte. „Ich finde, er schmeckt fantastisch.“
„Lass mich mal probieren.“ Sonia nahm ihr das Glas aus der Hand und nimmt einen Schluck. „Er ist wirklich gut.“ Sie reichte Lena das Glas. „Hier, probier mal.“
Lena konnte ihr nicht widersprechen. Der Cocktail war wirklich lecker, auch wenn er stark nach Alkohol schmeckte. Davon könnte sie auch einen vertragen.
„Ob mir Herbert auch einen Cocktail mischen kann?“, fragte Sonia.
„Könnte er schon, aber ich habe auch noch Zutaten für Margaritas da“, sagte Lena. „Wenn ich den Mixer anwerfe, geht es etwas schneller.“