Alexandra - die letzte Zarin - Gunna Wendt - E-Book

Alexandra - die letzte Zarin E-Book

Gunna Wendt

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Beschreibung

Sie war eine der mächtigsten Frauen der Welt: Alexandra Fjodorowna, die letzte Zarin. Bereits im Alter von 12 Jahren traf die gebürtige Prinzessin Alix von Hessen den russischen Thronfolger Nikolaus. Trotz großer Widerstände heiratete das Paar zehn Jahre später, und Alix wurde mit 23 Jahren Zarin von Russland. Von den kaiserlichen Verwandten ebenso wie von politischen Gegnern verachtet und verleumdet, wurde aus der schüchternen jungen Frau eine durchsetzungsfähige Herrscherin, die für ihre neue Heimat kämpfte. Doch die drohende Katastrophe konnte sie nicht verhindern … Gunna Wendt schildert das glanzvolle und dramatische Leben der Alexandra Fjdorowna. Sie erzählt von der starken Frau an der Seite des letzten Zaren, vom Kampf der liebevollen Mutter um das Leben ihres Sohnes, von der verhängnisvollen Freundschaft zu dem umstrittenen Wanderprediger und Wunderheiler Rasputin und von ihrem tragischen Ende während der Oktoberrevolution.

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Seitenzahl: 250

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Sie war eine der mächtigsten Frauen der Welt: Alexandra Fjodorowna, die letzte Zarin. Bereits im Alter von 12 Jahren traf die gebürtige Prinzessin Alix von Hessen den russischen Thronfolger Nikolaus. Trotz großer Widerstände heiratete das Paar zehn Jahre später, und Alix wurde mit 23 Jahren Zarin von Russland. Von den kaiserlichen Verwandten ebenso wie von politischen Gegnern verachtet und verleumdet, wurde aus der schüchternen jungen Frau eine durchsetzungsfähige Herrscherin, die für ihre neue Heimat und um ihre Familie kämpfte. Doch die drohende Katastrophe konnte sie nicht verhindern …

Gunna Wendt, geboren 1953 in Jeinsen, studierte Soziologie und Psychologie in Hannover und lebt seit 1981 als freie Schriftstellerin und Ausstellungsmacherin in München. Neben ihren Arbeiten für Theater und Rundfunk veröffentlichte sie Kurzgeschichten, Essays und Biographien.

Im insel taschenbuch liegen außerdem von ihr vor:

Vom Zarenpalast zu Coco Chanel. Das Leben der Großfürstin Maria Pawlowna (it 4197);

Gunna Wendt

eBook Insel Verlag Berlin 2014

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4320.

Originalausgabe

© Insel Verlag Berlin 2014

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr.

Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Umschlagabbildung: Zarin Alexandra Fjodorowna

Foto: Getty Images, München

Umschlag: ZERO Werbeagentur, München

Inhalt

 1 Reise in ein fremdes Land

 2 Nicky, der Zarewitsch

 3 Prinzessin Alix

 4 Ein überwältigendes Wiedersehen

 5 Irrungen – Wirrungen

 6 Spießrutenlauf und Selbstbehauptung

 7 Eine glückliche Verlobung

 8 Ein Fest der Liebe

 9 Eine traurige Hochzeit

10 Geliebte und Mutter

11 Die Krönungskatastrophe

12 OTMA

13 Endlich ein Sohn

14 Krieg, Aufstand, Attentat

15 Unser Freund

16 Ungebremst in die Katastrophe

17 Die letzte Zarin

Vielleicht bildete sie sich bis zu einem gewissen Grade ein, eine junge Frau in einem russischen Roman zu sein, die hinausfuhr in eine fremde, Angst einflößende, erquickende Landschaft, wo nachts die Wölfe heulten und wo sie ihrem Schicksal begegnen würde. Es machte ihr nichts aus, dass dieses Schicksal sich höchst wahrscheinlich als trist oder tragisch oder beides erweisen würde.

1 Reise in ein fremdes Land

Sommer 1884. Alix saß am Fenster. Ihr Blick glitt an der Landschaft vorbei, in derselben Geschwindigkeit wie der Zug. Diese Art des Reisens war ihr neu. Sonst hatten ihre Augen immer einen Gegenstand gefunden, der ihre Neugier erregte, wenn sie im Zug saß. Dann bedauerte sie, nicht anhalten und nachschauen zu dürfen. Auf ihrer Russlandreise zog die Welt an ihr vorüber, während sie ihre Gedanken schweifen ließ. Die Gespräche des Vaters und der Geschwister interessierten sie nicht, obwohl sie mehrfach dazu aufgefordert wurde, beteiligte sie sich nicht daran, sondern gab vor zu schlafen oder zu lesen. Nichts war mehr wichtig und schön, seit ihre Mutter gestorben war. Seit sechs Jahren war Alix mehr Zuschauerin als dass sie aktiv am Leben teilnahm. In dieser Rolle ließ sich das Leben leichter ertragen. Vor allem die großen Verluste, die Ängste und die Sehnsüchte. Schwer war es, diese Leere, die sie in Kälte umtaufte, um ihrer besser habhaft zu werden, zu bewältigen. Sie schien sich stetig zu vergrößern. Und jetzt reiste sie auch noch in ein kaltes, leeres Land.

Doch sie verspürte kein Heimweh. Das Schloss in Darmstadt war ohne die Mutter leer. Und auch die Großmutter, Königin Victoria, die sie oft in Windsor oder Balmoral besuchte, konnte ihr die Mutter nicht ersetzen, sosehr sie sich auch bemühte. Den Halt, den Alix brauchte, konnte sie ihr nicht geben. Alix fror immer und überall, zu jeder Jahreszeit und in den wärmsten Räumen. Und überall fühlte sie sich verloren.

Der Mensch, mit dem sie sich am meisten verbunden fühlte, war ihre Schwester Ella. Warum musste Ella nun einen Mann heiraten, der in einem fremden Land lebte, das weit entfernt war von ihrem Zuhause? Sie hatte doch so viele Verehrer in der Nähe gehabt, zum Beispiel ihren Cousin Willy, der einmal deutscher Kaiser werden würde. Nicht dass Alix ihn besonders mochte, seine Angeberei ging ihr auf die Nerven, aber er würde die geliebte Schwester wenigstens nicht in ein Land entführen, das am Ende der Welt lag. Doch das war nicht der einzige Bewerber, den Königin Victoria für Ella vorgesehen hatte. Als die junge wählerische Frau auch Fritz von Baden ablehnte, fragte die verständnislose Großmutter: »Will sie überhaupt niemanden?« Alix fiel der Brief ein, den ihr Granny geschrieben hatte: »Wie unglückselig es von Ella ist, den lieben Fritz von Baden abzuweisen, einen so guten und stabilen Mann mit einer so sicheren, glücklichen Position – und das für einen Russen! Ich bedaure das zutiefst. Ellas Gesundheit wird das Klima niemals aushalten!«

Die Reise war endlos. Drei Tage lang schien sich die Landschaft überhaupt nicht zu verändern und der Zug seine Richtung beizubehalten. Immer geradeaus, entlang der baltischen Küste »durch die langen häßlichen Landstriche von der russischen Grenze bis nach Petersburg«. Die einzige Abwechslung in dem flachen Marschland waren widerspenstige harte Gräser und Gewächse, die Dickichte bildeten, dazwischen ab und zu ein kleiner See. Alles in trübes Licht getaucht, von Nebelschwaden durchzogen. Was, wenn der Zug plötzlich anhalten müsste wegen eines Maschinenschadens? Nur nicht daran denken.

Alix war sich ziemlich sicher, dass ihre erste Fahrt nach Sankt Petersburg ihre einzige bleiben würde; beim nächsten Anlass würde sie genau überlegen, ob sie sich diese Reise durch eine Wüstenei noch einmal zumuten wollte. Gleichzeitig war ihr klar, dass ihr Ella fehlen würde. Die kluge und schöne große Schwester, von der sie sich verstanden fühlte und der man nicht immer alles erklären musste. Ella war eine Meisterin darin, Streitigkeiten zu schlichten – manchmal sogar mit Humor. Das hatte nicht einmal die Mutter gekonnt. Als Alix daran dachte, wie es ihrer Schwester gelang, selbst ernste Situationen mit einem Augenzwinkern zu beleuchten, wurde ihr zum ersten Mal warm ums Herz. Sie lachte so gern mit Ella.

Ach Ella, war es überhaupt richtig zu heiraten? Alix stand der Ehe skeptisch gegenüber. Zu viel Negatives hatte sie in letzter Zeit mitbekommen: Ihre Großmutter, Königin Victoria, die die Rolle der Heiratsvermittlerin liebte, hatte mit ihrer Wahl in letzter Zeit selten reüssieren können. Ihre Bestrebungen, Alix' verwitweten Vater, Großherzog Ludwig von Hessen, mit ihrer Tochter Beatrice, einer Schwester seiner verstorbenen Frau, zu verheiraten, waren gescheitert. Schlimmer noch, der Vater war heimlich eine sogenannte morganatische Ehe mit einer geschiedenen Frau eingegangen. Das konnte Königin Victoria nicht dulden. Sie setzte sich vehement dafür ein, dass die Ehe nach wenigen Monaten annulliert wurde. Sehr zum Bedauern der Kinder des Großherzogs, die Alexandrine von Kolemine mochten. Für Alix hatte die neue Frau des Vaters zwar nicht die Mutter ersetzen können, aber sie war gern mit ihr zusammen. Das rigorose autoritäre Verhalten der Großmutter hatte sie irritiert.

Doch damit nicht genug: Königin Victoria war auch über die Wahl ihrer Enkelin Ella entsetzt, denn sie hegte eine Abneigung gegen Russland und seine Herrscher, gegen die gesamte Romanow-Dynastie, besonders gegen Alexander III., den sie den »fetten Zar« nannte. Die Antipathie war gegenseitig: Alexander bezeichnete sie als eine verwöhnte, sentimentale, selbstsüchtige alte Frau.

Aber diese Familienstreitereien waren Bagatellen gegen die Tragödie, die Alix vor sechs Jahren erlebt hatte. Der Dezember 1878 war die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen. Nichts war zu spüren von der von ihr sonst so geliebten Vorweihnachtszeit, in der die Familie so oft wie möglich gemütlich zusammenzusitzen pflegte. Stattdessen schien jeder für sich allein zu sein, einsam herumzulaufen, Geschäftigkeit vorzugeben, bis sie sich schließlich alle am Krankenbett der Mutter trafen. Alle hatten dieselbe Angst und wagten nicht, sie auszusprechen. Einzig Alix strahlte Zuversicht, ja, sogar eine – gedämpfte – Fröhlichkeit aus. In ihr war die Hoffnung noch nicht erloschen, dass ihre Mutter die schwere Krankheit überstehen würde. Großherzogin Alice war doch so stark, hatte alle betreut und behauptet, sie würde nie krank werden. Sie versicherte, wenn man nur fest daran glaubte, gesund zu bleiben, würde man sich nicht anstecken. Da war sie wie ihre Tochter Ella, die Einzige, die es nicht erwischt hatte. Alix hingegen bekam gleichzeitig mit den anderen Geschwistern Fieber und Halsschmerzen, aber nicht so schlimm, dass sie ihre Fröhlichkeit verlor. Nicht von ungefähr wurde sie Sunny genannt. Sie hatte wirklich ein sonniges Wesen, das die anderen ermutigte und immer wieder zum Lachen bringen konnte. Auch jetzt war sie zuversichtlich.

Die anderen hatten es ja auch alle geschafft. Fast alle: Ihr Vater, Großherzog Ludwig, ihre älteren Schwestern Viktoria und Irene, ihr Bruder Ernie und sie selbst waren von der Diphtherie genesen – vor allem dank der aufopfernden Pflege ihrer Mutter. Nur die kleine May war zu schwach gewesen. Der Tod ihres jüngsten Kindes hatte Großherzogin Alice schwer getroffen. Dann wurde auch sie krank. Alle hatten sich über ihre bisherige Widerstandskraft gewundert. Während sie ihren Mann und ihre erkrankten Kinder pflegte, schien ihre Zuversicht ungebrochen und ihre Energie grenzenlos zu sein. Der Tod ihrer Jüngsten entzog ihr jedoch jegliche Lebensfreude, die notwendig gewesen wäre, um die Krankheit erfolgreich abzuwehren.

Damals hatte die sechsjährige Alix zum ersten Mal die große Kälte gespürt, die sie anfangs nur ab und zu erstarren ließ, bis sie sie nicht mehr verließ. Am 14. Dezember 1878 dann die Katastrophe: der Tod der Mutter. Beinahe von einem Tag zum anderen wurde aus der fröhlichen Sunny ein trauriges, nachdenkliches Kind, das immer ein wenig abwesend schien. Früh musste sie lernen, wie nahe Leben und Tod beieinanderlagen. Es erzeugte bei Alix den unkindlichen Ernst, den man ihr schon früh attestierte. Das Leben war eben ernst, und man konnte es von einer Sekunde auf die andere verlieren. Alles, was schön war, konnte sich ins Gegenteil verkehren.

Jetzt, im Zug in der einsamen Weite, hatte sie das Krankenzimmer der Mutter vor Augen. Das Fenster aus Buntglas, auf dem der Satz stand: »Lasset die Kinder zu mir kommen«. Es zeugte von einer anderen frühen familiären Katastrophe, an die sich Alix nicht erinnern konnte. Sie war noch ein Baby gewesen, als ihr dreijähriger Bruder Friedrich aus diesem Fenster gefallen war. Er hatte den Sturz auf die Terrasse nicht überlebt. Man munkelte, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Es war ein Sturz aus geringer Höhe gewesen, die äußeren Verletzungen waren nicht schwer. Von inneren Blutungen hatte man gesprochen, und irgendwann hatte Alix das Wort »Bluter« gehört. Zusammen mit ihren Geschwistern hatte sie sein Grab besucht; die Tiefe der Trauer ihrer Mutter hatte sie damals noch nicht ermessen können. Doch jetzt konnte sie sich vorstellen, wie groß das Leid gewesen sein musste.

Wie es der Mutter wohl gefallen hätte, dass ihre Tochter Ella einen russischen Großfürsten heiratete? Dass sie anders als andere Mütter war, hatte Alix schon als kleines Mädchen gespürt. Großherzogin Alice legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Sie trug stets schwarze Kleider und als einzige Schmuckstücke eine Kette, an der ein opulentes goldenes Kreuz hing, sowie eine Brosche, die wie ein Medaillon wirkte und Haarsträhnen ihrer beiden geliebten Verstorbenen – ihres Vaters und ihres Sohnes – enthielt. Wenn Alix danach fragte, schwieg die Mutter. Ihr Blick wurde dann noch trauriger, als er es meistens ohnehin schon war. Nur das Nervöse, Getriebene verschwand für kurze Zeit.

Alix kamen auf dieser Reise viele Erlebnisse mit der Mutter in den Sinn. Das Stöckchen fiel ihr ein, das die Mutter durchs Fenster ins Kinderzimmer schob, als während der Diphtherieepidemie strenge Quarantäne herrschte. So konnten sie sich die Hand geben, ohne einander anzufassen. Alix lächelte – ja, das war ihre Mutter. Immer hatte sie ausgefallene Ideen. Doch dann sah sie sich und ihre Schwestern beim Begräbnis in den gleichen schwarzen Trauerkleidern, schwarzen Strümpfen und schwarzen Schuhen. Auch das bald darauf folgende Weihnachtsfest war für sie in schwarze Farbe getaucht. Sie konnte sich weder an die Feier noch an die Geschenke erinnern. Es war ein sehr trauriges dunkles Fest für den Witwer und seine Kinder.

Hell war es nur außerhalb der Schlossmauern. Der Schnee hatte alles über Nacht in glitzerndes Weiß gehüllt. Bald rannten alle Kinder hinaus, bauten Schneemänner und Schneeburgen, fuhren Schlitten und liefen Schlittschuh. Mit Toni machte es besonders viel Spaß. Gut, dass es Toni gab. Toni Becker war vier Jahre älter als Alix und wusste sehr viel. Ihr Vater, Ernst Becker, war als Erzieher zuerst zehn Jahre lang am englischen Königshof und dann bis an sein Lebensende am Großherzoglichen Hof in Darmstadt tätig gewesen. Er hatte Prinzessin Alice, die er besonders mochte, nach ihrer Heirat mit Großherzog Ludwig auf Wunsch ihrer Mutter nach Darmstadt begleitet, damit sie in dem fremden Land einen Vertrauten an ihrer Seite hatte. Auch nach ihrem frühen Tod blieb die Familie Becker in Darmstadt, so dass sich die Freundschaft der beiden Mädchen verfestigte. Sie sahen sich täglich, absolvierten gemeinsam Tanz-, Gymnastik- und Tennisstunden, musizierten, spielten Theater und schlossen sich eng zusammen. Damals hatte Toni begonnen, sich besonders um die vier Jahre jüngere Alix zu kümmern. Sie spürte, dass diese nach dem schweren Schicksalsschlag Trost brauchte.

Auch bei dem folgenschweren Unfall, den Alix im Januar 1879 erlitt, stand ihr Toni zur Seite. Damals war sie zusammen mit ihrer Schwester Irene und ihrem Bruder Ernie im

2 Nicky, der Zarewitsch

Als die Reisegesellschaft aus Darmstadt am 14. Juni 1884 in Sankt Petersburg eintraf, warteten dort schon goldene Karossen. Ellas Hochzeit, die am nächsten Tag stattfand, übertraf an Prunk alles, was Alix bis dahin erlebt hatte. Die Paläste waren am Abend festlich erleuchtet und spiegelten sich in den Wasserstraßen. Reiter führten den Hochzeitszug an, gefolgt von der Kutsche der Braut, in der auch Zarin Maria Fjodorowna saß. Die Trauung fand in der Kapelle des Winterpalasts statt. Die Priester waren ganz in Gold gekleidet, die feierliche Zeremonie schien nicht enden zu wollen. Ein mächtiger Chor sang, Weihrauch erfüllte die Luft. Ella sah aus wie eine Märchenprinzessin. Sie trug ein Brautkleid aus Silberbrokat, einen weinroten Samtmantel mit Hermelinbesatz und langer Schleppe und einen weißen Schleier. Der Brautschmuck – Krone, Stirnband, Halskette, Ohrringe – hatte einmal Katharina der Großen gehört. Ellas Anblick überwältigte nicht nur Alix und ihre Geschwister. Eine der Hofdamen der Zarin schwärmte, Ella sei die schönste Braut, die sie jemals gesehen habe.

Im Anschluss an die orthodoxe Zeremonie fand ein evangelischer Gottesdienst statt. Als Ehefrau eines russischen Großfürsten war Ella nicht verpflichtet, zum orthodoxen Glauben zu konvertieren. Zum Schluss folgte das Te Deum, und anschließend war im größten Saal die Tafel zum Diner gedeckt. »Wenn es auch lange dauerte, war es ein sehr schöner Anblick«, berichtete ihr Bruder Ernie in seinem Tagebuch. »Nun fuhr das vermählte Paar wieder im Prunk in sein Palais. Niemand hat sich umgezogen, denn gegen Abend fuhr alles in das Palais im vollen Staat. Dort gab das junge Paar ein großes Abendessen. Es war sehr merkwürdig anzusehen, alle in vollem Staat, nur er in einfacher Uniform und sie in einem rosa Schlafrock mit Bordüren und einem Spitzenhäubchen auf. Endlich wurde Abschied genommen, und alle waren glücklich, weil man todmüde war.«

Nicky, der älteste Sohn der Zarenfamilie, war genauso alt wie Ernie. Der Sechzehnjährige übernahm die Rolle des Gastgebers, der seinen ausländischen Cousins und Cousinen den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen wollte. Der Bräutigam, Großfürst Sergej, war sein Onkel. Nikolaus hatte sich schon seit längerem gefreut, seine deutschen Verwandten kennenzulernen. Die kleine Alix gefiel ihm auf Anhieb besonders.

Als Nicky Alix das erste Mal anschaute, wusste sie, dass sie diesen Blick nie vergessen würde. Hellblaue Augen, die an klare kalte Gebirgsseen auf romantischen Landschaftsbildern erinnerten und dennoch Wärme ausstrahlten. Alix fühlte sich von ihnen gepackt und herausgezogen aus der Parallelwelt der Beobachterin. Kein Zweifel, sie war die Hauptfigur in einer Geschichte, die gerade begann ‌…

An ihre russischen Cousins und Cousinen hatte sie bis zu diesem Augenblick überhaupt nicht gedacht. Auf das Wiedersehen mit der geliebten großen Schwester, die nun einen Bruder des amtierenden Zaren heiratete, hatte sie sich gefreut, aber an das Drum und Dran keinen Gedanken verschwendet. Von Ella umarmt zu werden, das war einer ihrer wenigen erfüllbaren Wünsche. Doch der war plötzlich in den Hintergrund getreten, denn nun saß sie ihm gegenüber: dem Zarewitsch Nikolaus Alexandrowitsch. Ein gut aussehender junger Mann, nicht sehr groß, schmal, mit ernstem, beinahe blasiertem Gesichtsausdruck – wären da nicht die Augen gewesen: lebendig und ausdrucksstark.

Nikolaus Alexandrowitsch war der älteste von sechs Geschwistern, geboren am 6. Mai 1868 in Zarskoje Selo. Sein Vater Alexander war damals noch Zarewitsch gewesen. Auf dem Thron saß Nikolaus' Großvater, Zar Alexander II. Nikolaus' Mutter, Maria Fjodorowna, stammte aus dem dänischen Königshaus. Verwandtschaftsverhältnisse bestanden zu vielen europäischen Fürstenhäusern. Der zukünftige englische König George V. und der spätere deutsche Kaiser Wilhelm II. – Willy – waren Nickys Cousins.

Nikolaus wuchs mit seinen vier Geschwistern, Georgi, Xenia, Michail und Olga, im Anitschkow-Palast in Sankt Petersburg auf. Sein Bruder Alexander war bereits im ersten Lebensjahr gestorben. Die Familie lebte bescheiden und zurückgezogen. Einen tiefen Einschnitt bedeutete der Tod Zar Alexanders II. Der zwölfjährige Nicky war Augenzeuge, als sein Großvater am 1. März 1881 einem Bombenattentat zum Opfer fiel. Er sollte dieses furchtbare Ereignis nie vergessen.

Nach Alexanders III. Krönung zum Zaren zog die neue Familie in den Gatschina-Palast am Stadtrand von Petersburg, ein festungsartiges Gebäude, das leichter abzusichern war. Die neunhundert Zimmer waren von zwei Innenhöfen und einem riesigen Park umgeben, der Tag und Nacht streng bewacht wurde. So wuchsen die Kinder weitgehend abgeschottet von der Außenwelt auf.

Nicky war ein schwächliches Kind – sehr zum Unmut seines Vaters. Alexander III. war fast zwei Meter groß und stark wie ein Holzfäller. Seine Kräfte waren legendär. Schon bei der Geburt seines Sohnes befürchtete er, mit dem Baby sei etwas nicht in Ordnung, weil es so klein und zart war. Nicky blieb schmächtig – als Kind und als junger Mann. Sein Vater und seine Onkel waren alle um mindestens einen Kopf größer als er. Doch sie unterschieden sich nicht nur äußerlich von ihm: Im Gegensatz zu ihnen, deren Dominanz, die oft an Großspurigkeit grenzte, sprichwörtlich war, gab er sich feinsinnig und im Auftreten eher zurückhaltend als energisch. Von Anfang an betrachtete ihn seine Umgebung mit Skepsis. Sie trauten ihm die Regentschaft nicht zu. Er war in ihren Augen für das Zarenamt ungeeignet. Anscheinend ähnelte er seinem Großvater. Auch Alexander II. wird als sensibles Kind beschrieben – das Gegenteil seines strengen Vaters Nikolaus I. –, das sich zu einem introvertierten Mann und einem Regenten entwickelte, dem Machtstreben und Autorität fernlagen: dem Befreierzaren. Dennoch war er der Herrscher, auf den die meisten Anschläge verübt wurden.

Wie sein Großvater war Nikolaus ein neugieriger, aufmerksamer und gleichzeitig verträumter Junge. Im Sommer lief er durch die Wälder, watete durch die Teiche, fing Kaulquappen und Fische und pflückte das Obst von den Bäumen. Im Winter baute er Schneehütten, Rodelbahnen und lief Schlittschuh. Gern träumte er auch nur so vor sich hin. Er liebte die Natur. Was ihn nicht interessierte, waren Politik und Regierungsangelegenheiten. Doch es gefiel ihm, wenn sein Vater sich über die anderen europäischen Herrscherhäuser lustig machte.

Während die kaiserliche Familie Nikolaus' Bemühen, andere Menschen und ihre Positionen zu verstehen, als Schwäche empfand, war Alix von Anfang an gerade davon fasziniert. Nikolaus war so ganz anders als ihre anderen Cousins und entsprach überhaupt nicht dem Bild der arroganten, egozentrischen Romanows, das ihre Großmutter, Königin Victoria, gezeichnet hatte. Dieses traf zwar ziemlich genau auf Großfürst Sergej, ihren zukünftigen Schwager, zu – insgeheim bedauerte sie ihre Schwester –, aber nicht auf den Zarewitsch. Kaum vorstellbar, dass die beiden miteinander verwandt waren. Nikolaus gefiel ihr durch sein freundliches Wesen. Er war voller Empathie und Zurückhaltung, dabei gleichzeitig direkt.

Die Anziehung war von Anfang an gegenseitig. Am 27. Mai 1884 notierte Nikolaus in seinem Tagebuch: »Ich saß neben der kleinen zwölfjährigen Alix, die mir wirklich gut gefiel.« Wenige Tage später hieß es, er habe mit Ernst, »der hübschen kleinen Alix« und seinem Onkel Sergej zu Abend gegessen. Danach hatten Alix und er auf das Hoffenster des Italienischen Hauses ihre Namen geschrieben. Der Grund dafür: »Wir lieben uns.«

An den folgenden Tagen kommt die vier Jahre jüngere Cousine erneut in seinem Tagebuch vor. Am 1. Juni schickte er der »kleinen reizenden Alix« einen Brief. Später traf er sie und Ernie im Italienischen Haus. Sie tollten herum, aßen gemeinsam zu Abend und vertrauten einander Geheimnisse an.

Am 6. Juni schrieb er: »Nach dem Essen saß ich wieder mit der lieben Alix zusammen. Ich alberte mit ihr herum.«

Und am 8. Juni: »Ich bin sehr betrübt, weil die Darmstadts morgen wieder abreisen, und noch trauriger, daß die liebste Alix mich verläßt.«

Zum Abschied schenkte er ihr eine Brosche, die sie ihm jedoch am nächsten Tag zurückgab. Nikolaus war kurz gekränkt, dann schenkte er die Brosche weiter. Doch es gab längst ein anderes Zeichen ihrer Verbundenheit, das sich nicht mehr tilgen ließ: Sie hatten ihre Namen in ein Glasfenster des Italienischen Pavillons vom Peterhof geritzt.

3 Prinzessin Alix

Victoria Alix Helena Louise Beatrice wurde am 6. Juni 1872 als Prinzessin von Hessen und bei Rhein in Darmstadt geboren. Man nannte sie Alix statt Alice, denn ihrer Mutter gefiel die deutsche Aussprache dieses Namens überhaupt nicht. Großherzogin Alice berichtete ihrer Mutter, Königin Victoria von England, ihre neugeborene Tochter sei »eine süße, fröhliche Person, immer lachend, mit einem tiefen Grübchen in der einen Wange ganz wie Ernie«.

Alix' Mutter war eine emanzipierte, kluge und vielseitig interessierte Frau. Aufgeschlossen, experimentierfreudig, aber auch eigensinnig ließ sie sich nicht beirren und mischte das hessische Herrscherhaus tüchtig auf. Es begann bei der höfischen Etikette, die sie weitgehend durch liberale Umgangsformen austauschte, setzte sich fort mit ihrem Interesse für alles Neue in der Kunst und in der Musik – so bevorzugte sie Brahms, den sie persönlich kannte und ab und zu einlud – und reichte bis zur Religionskritik. Sie war wie ihr Ehemann tief gläubig, was jedoch nicht hieß, dass sie sich der Kirche unterwarf. Das brachte ihr den Ruf einer Unruhestifterin ein. Und das war sie wohl auch, gespeist durch die innere Rastlosigkeit, die sie durch ihre vielfältigen Aktivitäten zu kanalisieren versuchte. Trotz ihrer Liberalität und Toleranz wirkte sie streng – gegenüber anderen, aber vor allem gegenüber sich selbst. »Das Leben ist zur Arbeit da, nicht zum Vergnügen«, lautete ihr Lebensmotto. Ihre stets kritische Haltung machte sie zu einer unbequemen Gesprächspartnerin. Das bekam auch ihr Ehemann zu spüren: Großherzog Ludwig wirkte zwar durch seine stattliche Größe und seinen kräftigen Bart wie ein Patriarch, war jedoch gutmütig und großzügig. Er liebte das einfache Leben, war ein begeisterter Jäger und Soldat. Wie seine Frau schätzte er Disziplin; als Familienvater war er nachsichtig und fürsorglich. Er liebte es, mit seinen Kindern zusammen zu sein, und hatte nichts dagegen, wenn sie in seinem Arbeitszimmer spielten. Strenge und Konsequenz überließ er gern seiner Frau.

Besonders wegen ihres sozialen Engagements genoss Alice bei der Bevölkerung Respekt. Sie war 1843 in London als zweite Tochter der britischen Königin Victoria und ihres Ehemanns Albert von Sachsen-Coburg und Gotha geboren worden. 1862 hatte sie den späteren Großherzog Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein geheiratet und mit ihm sieben Kinder bekommen: Victoria (geb. 1863), Elisabeth (genannt Ella, geb. 1864), Irene (geb. 1866), Ernst-Ludwig (genannt Ernie, geb. 1868), Friedrich-Wilhelm (genannt Frittie, geb. 1870), Alix (geb. 1872), Marie (genannt May, geb. 1874).

Englische Sitten dominierten im Neuen Palais in Darmstadt. Für die Erziehung bedeutete das: Einfachheit, Fleiß, Disziplin. Der Tagesablauf war genau geregelt. Um 6 Uhr standen die Kinder auf, der Unterricht begann um 7 Uhr, um 9 Uhr gab es Frühstück, dann Bewegung im Freien: Reiten, Spazierengehen, zwischendurch ein kleiner Imbiss, ein spätes Mittagessen um 2 Uhr. Gesunde Kost: viel Obst und so gut wie keine Süßigkeiten. Musik und Kunst spielten von Anfang eine wichtige Rolle in Alix' Leben. Die Mutter war ein beeindruckendes Vorbild: Als talentierte Zeichnerin fertigte sie Skizzen von ihren Kindern an. Außerdem war sie sehr musikalisch und spielte manches Mal vierhändig mit Johannes Brahms. Seine »Ungarischen Tänze« hatten im Neuen Palais in Darmstadt eine Vorpremiere. Zusammen mit der Großherzogin probierte er seine Komposition am Flügel aus. Alix und ihre Geschwister wurden von ihren Eltern schon früh in Konzerte und in die Oper mitgenommen. Damals war der Komponist Richard Wagner in aller Munde. Gleichzeitig begann sich die Kunstform Operette durchzusetzen – auch am Darmstädter Hoftheater.

Gleich nach ihrer Hochzeit hatte sich Alice tatkräftig für die öffentliche Gesundheitspflege engagiert. 1867 gründete sie, zusammen mit der Frauenrechtlerin Luise Büchner, einer Schwester des berühmten Dichters Georg Büchner, den Alice-Frauenverein. Dessen Ziele waren es, die Krankenpflege zum anerkannten und bezahlten Frauenberuf zu machen und sich für die Bildung und Erwerbstätigkeit von Frauen einzusetzen. Damals entstand der Beruf der Krankenpflegerin ohne konfessionelle Bindung. Aus dem Alice-Verein für Krankenpflege gingen die freie Alice-Schwesternschaft und die Gründung des Alice-Hospitals Darmstadt hervor. 1872 lud Großfürstin Alice zur ersten »Generalversammlung deutscher Frauen- und Erwerbsvereine« nach Darmstadt ein. Auch der Plan, eine Künstlerkolonie einzurichten, den ihr Sohn Ernst Ludwig mit der Mathildenhöhe realisierte, stammte von Großherzogin Alice. Durch ihren frühen Tod hatte sie ihn nicht mehr selbst umsetzen können. Ernie schreibt in seinen Erinnerungen: »Da kam die Diphtherie. Außer Ella waren wir alle krank. Victoria begann, dann Irene. Kaum schienen sie etwas besser, da kam ich dran und war lange am Tode, dann mein Vater, der auch sehr schwer krank war, und dazwischen starb meine jüngste Lieblingsschwester May, und dabei durfte es Mama mir nicht sagen. Immer in klaren Augenblicken fragte ich nach ihr, und immer wieder sagte sie mir: ›Sie ist jetzt ganz wohl und glücklich.‹« Keinen Monat später fiel die Mutter der Krankheit zum Opfer. Der Tod der Großherzogin löste in Hessen große Bestürzung aus.

Victoria, die älteste Tochter, kümmerte sich nach dem Tod der Mutter, zusammen mit ihrem Vater und den Gouvernanten, um ihre jüngeren Geschwister – dabei war sie selbst erst fünfzehn Jahre alt. Die Verantwortung für die Erziehung übernahm die Großmutter, Königin Victoria. Beinahe täglich schrieb sie aus Schloss Windsor, nahm an allen wichtigen familiären Ereignissen Anteil und stand mit Rat und Tat zur Verfügung. »Ich werde zusammen mit Eurer anderen Großmutter versuchen, Euch eine Mutter zu sein«, versprach sie ihren Enkeln und regelte aus der Ferne die Kompetenzen der Hofdamen, Gouvernanten und Kindermädchen. Ihre Ausführungen endeten mit der Anweisung, die die Gouvernante betraf: »Miss Jackson muß klar sein, daß sie keinerlei Einmischung von seiten irgendwelcher naher Verwandten zuzulassen noch deren Meinung einzuholen hat – mit Ausnahme der beiden Großmütter, der Prinzessin von Hessen und meiner selbst.«

Englisch war die erste Sprache in der Familie, sowohl im Gespräch als auch in der Korrespondenz. Königin Victoria forderte die Kinder auf, sich ohne Scheu mit ihren Sorgen an sie zu wenden. Dabei ging sie auf jedes einzelne Kind ein: So ermahnte sie Ernie, sich mehr zu bewegen und das Nägelkauen zu lassen. Ihr besonderes Augenmerk richtete sie auf Alix, »das hübscheste Kind, das ich je gesehen habe«. Alix war nicht nur hübsch, sondern entsprach auch in ihrem Verhalten den Erwartungen der Großmutter. Sie war klug, fleißig und äußerte in einem Brief an sie noch einen weiteren wichtigen Vorsatz: »I will try always to be a good girl.«

Sie wollte die Großmutter, die so viele Hoffnungen in sie setzte, nicht enttäuschen. Offensichtlich war es für sie wichtig, nach dem Tod der Mutter eine starke weibliche Bezugsperson an ihrer Seite zu wissen – neben ihrem Vater, den sie sehr liebte. In seinen Erinnerungen charakterisiert Ernie seine Schwestern und ihr Verhältnis zueinander. Im Vordergrund habe Victoria gestanden, sie habe den Ton angegeben. »Außer daß sie die Gescheiteste war, hatte sie als älteste von uns große Kräfte, so daß wir ihr auch physisch gehorchten.« Äußerlich habe sie die größte Ähnlichkeit mit der verstorbenen Mutter gehabt. Nachmittags habe sie ihren Geschwistern vorgelesen. »Durch diese frühe Übung hatte sie die Kunst, wunderbar vorlesen zu können. Besonders humorvolle Geschichten sind von ihr bezaubernd.« Irene sei sehr gutmütig gewesen und habe im Wesen ihrem Vater geglichen. Sie ertrug keinen Streit in ihrer Umgebung und strebte nach Harmonie. Wie er habe sie es geliebt, zu reiten und zu tanzen. »Oft haben wir beide, die Melodie singend, zusammen in leeren Sälen getanzt.« Ella und Alix seien viel introvertierter gewesen – »deshalb waren sie eher als die anderen Geschwister der russischen Welt zugänglich«. Er selbst habe sich mit Ella am besten verstanden. Sie sei ihm in vieler Hinsicht ähnlich gewesen und habe ein großes Einfühlungsvermögen gehabt, so dass er ihr nie etwas erklären musste. Außerdem sei sie eine der schönsten Frauen gewesen, »die es gab, denn ihr Körper war in allem vollendet«. Sie habe eine angenehme Stimme gehabt und sehr gut malen und zeichnen können. »Sie genoß es auch, sich schön anzuziehen. Das war nicht aus Eitelkeit, sondern aus Freude daran, etwas Schönes zu schaffen. Sie hatte viel Humor und konnte Sachen, die ihr passierten, auf hinreißend komische Art erzählen.«