Lena Christ - Gunna Wendt - E-Book

Lena Christ E-Book

Gunna Wendt

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Beschreibung

Leidenschaftlich und radikal war Lena Christ (1881-1920) in allem, was sie anpackte. 1912 debütierte die uneheliche Tochter einer Köchin aus dem bayerischen Dorf Glonn als Autorin. Ihre autobiografischen "Erinnerungen einer Überflüssigen" machten sie berühmt; als anerkannte Schriftstellerin verkehrte sie in den Münchner Künstlerkreisen der Jahrhundertwende. Doch das Glück war ihr stets einen Schritt voraus. Ein Opfer ihrer Familie und ihrer Männer, fand Lena Christ dennoch immer wieder den Mut, ihr Schicksal selbst zu gestalten. Von einer Gefängnisstrafe bedroht, entschied sie sich im Alter von 38 Jahren, den Freitod zu wählen. Die renommierte Biografin Gunna Wendt lotet, aus einem erstmals zugänglichen Teil des Nachlasses schöpfend, die Höhen und Tiefen dieses bewegten Lebens aus – einfühlsam und ergreifend.

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Seitenzahl: 304

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www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2012 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagfoto: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

Herstellung, Satz und eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8130-2

Inhalt

Prolog

Kein Tag zum Sterben

1

Wo ist mein Vater?

2

Ein Großvater, der alles kann

3

Die Künikammer

4

Das wilde Kind

5

Die überflüssige Wirtsleni

6

Mütter und Töchter

7

Der Tod im Leben

8

Der Singvogel

9

Fluchtlinie 1: Kloster

10

Das Bachstelzerl

11

Fluchtlinie 2: Ehe

12

Kinder, Krise, Kollaps

13

Der Entdecker

14

Fluchtlinie 3: Schreiben

15

Überleben im Krieg

16

Land und Stadt

17

Der Bub

18

Der letzte Akt der Selbstinszenierung

Zeittafel

Literatur und Quellen

Bildnachweis

Dank

PrologKein Tag zum Sterben

Nichts ist, wie es je war. War wahrscheinlich nicht mal so, als es noch war, wie es war.

Richard Powers

Zu Allerseelen 2011 machte ich mich in aller Frühe auf den Weg zum Waldfriedhof, um Lena Christs Grab zu besuchen. Es war nicht mein erster Besuch bei ihr. Ich war schon einmal dort gewesen – lange bevor ich den Plan fasste, ein Buch über sie zu schreiben. Damals allerdings eher zufällig. Der riesige Friedhof im Münchner Westen, der vor etwas mehr als hundert Jahren großzügig als Park im Hochwaldforst des Schlosses Fürstenried angelegt wurde, lockte zum Spaziergang. Ich ließ mich treiben und blieb dann und wann an einem bekannten Namen hängen: Heidi Brühl, Barbie Henneberger – Schauspielerin, Skiläuferin – Idole meiner Kindheit, alle jung gestorben. Genau wie der legendäre Opernsänger Fritz Wunderlich und die Schriftstellerin Lena Christ. Auch an Frank Wedekinds Grabstätte mit dem auf einer Kugel balancierenden Pegasus kam ich damals vorbei. Ein Zeitgenosse Lena Christs, den sie jedoch nicht kannte, denn die Schwabinger Boheme war kein Platz für sie gewesen.

Diesmal steuerte ich gezielt Lena Christs Grabstelle an. Ich wollte schon früh dort sein, um nicht zu vielen Menschen zu begegnen. Der Brauch, die Toten an einem bestimmten Tag im Jahr zu besuchen, ist für mich fremd und tröstlich zugleich – wie viele andere Rituale auch, die den Überlebenden Halt und Orientierung geben. Ich vermutete viele Menschen in der Umgebung des Grabes und war dann überrascht, dort ganz allein zu sein. Während ich mich noch darüber wunderte und meinen Blick über die Tafel mit den Lebensdaten schweifen ließ, glaubte ich plötzlich meinen Augen nicht zu trauen: Das Todesdatum war falsch! 31.6.20 lautete die Inschrift auf dem Holzkreuz – ein Datum, das es gar nicht gab. Ein Tag, den es gar nicht gab. Denn der Juni hat bekanntlich nur dreißig Tage. Wie konnte das geschehen? Und vor allem: Seit wann stand die falsche Zahl dort?

1 Grabstätte auf dem Münchner Waldfriedhof: Lena Christ, ihre jüngste Tochter, ihr Halbbruder und dessen Ehefrau

Ich erinnerte mich, dass ich auch bei meinem letzten Besuch einige Jahre zuvor Fotos gemacht hatte und dass sich in einigen Büchern über Lena Christ Abbildungen ihres Grabes befanden. Auf einmal konnte ich es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und nachzuschauen, brach also meinen Allerseelenbesuch abrupt ab und machte mich auf den Heimweg. Zuerst fand ich das Bild, das ich vor fünf Jahren fotografiert hatte: 31.6.20 war darauf zu lesen. Wieso war es mir nicht schon damals aufgefallen? Dann durchsuchte ich die Bücher verschiedener Autoren über Lena Christ, die 2011, 2004 und 1981 erschienen waren, und fand immer dieselbe Zahl: 31.6.20. Hatte das jahrzehntelang niemand gemerkt? Weder ihre Nachkommen noch Menschen, die über sie geschrieben und ihr Grab fotografiert hatten? Schließlich war der Waldfriedhof ein bedeutungsschwerer und symbolträchtiger Ort für Lena Christ: nicht nur ihre letzte Ruhestätte, sondern jener Platz, an dem sie ihrem Leben ein Ende setzte.

Während ich die Grabbilder aus unterschiedlichen Zeiten miteinander verglich, kam mir Lena Christs Ankündigung in den Sinn, die ihr Ehemann Peter Jerusalem (Pseudonym Peter Benedix) in seinem Buch Der Weg der Lena Christ erwähnt. Er berichtet, sie habe vor ihrem Tod versichert, von dort, wo sie nun hingehe, Zeichen zu geben. Dieses Versprechen habe sie gehalten, wie auch ihre älteste Tochter bestätigt habe. Eine Begebenheit, der ich beim Lesen des Buches wenig Beachtung geschenkt hatte, die sich jedoch in diesem Augenblick deutlich in mein Bewusstsein drängte.

Was bedeutet es, wenn als Todesdatum an so exponierter Stelle ein Tag genannt wird, der nicht existierte, den es gar nicht gab? Eine erste Antwort fiel mir spontan ein: Hier gibt jemand keine Ruhe, fügt sich nicht, sondern begehrt auf. »Schau genau hin«, lautet die unmissverständliche Aufforderung. »Hinterfrage die vermeintlich präzisen Fakten. Sie könnten falsch sein.« Mit Fälschungen kannte sich Lena Christ aus. Es heißt, diese waren der Grund für ihren spektakulären Selbstmord mit Zyankali auf dem Waldfriedhof. In verzweifelter finanzieller Not hatte sie Gemälde unbekannter Maler, die sie auf Trödelmärkten erworben hatte, mit den Signaturen bedeutender Künstler wie Franz von Defregger und Franz von Stuck versehen und entsprechend dem Marktwert dieser Urheber verkauft. Eine Aktion, die auffliegen musste – über kurz oder lang –, es war nur eine Frage der Zeit. Aber vielleicht war es ja gerade das, was sie wollte: Zeit gewinnen! Nachdem die Fälschungen entdeckt worden waren, setzte sich die Maschinerie der Anklage und moralischen Verurteilung unaufhaltsam in Gang. In den Zeitungsartikeln sprach man jetzt wieder von der »berühmten« bayerischen Schriftstellerin, als die man sie schon lange nicht mehr bezeichnet hatte. Die Fallhöhe wurde dadurch größer, die Straftat spektakulärer, die Meldung reißerischer.

In Lena Christs Nachlass im Münchner Literaturarchiv Monacensia befindet sich ein Text mit dem Titel Trauerspiel des Alltags, der die Tragödie einer Frau erzählt. Der Schluss lautet: »So trat sie denn an das Geländer, und nach wenigen Augenblicken sahen die Leute, die rasch zusammenliefen, drunten im Wasser etwas Dunkles auftauchen und dahintreiben, fast wie ein Stück Holz, das alsbald wieder in dem Strudel versank. Am nächsten Tag brachten die Morgenblätter über diesen Vorfall ein paar Zeilen, die einer flüchtig überliest, weil es nicht wichtig ist, was da geschah.« Dieses Schicksal teilte die Autorin nicht. »Ihre Verfehlungen wie ihr Freitod gingen damals durch sämtliche Blätter«, berichtet Peter Jerusalem, für ein paar Stunden sei »der Fall Lena Christ« in München Stadtgespräch gewesen.

Sie hatte es geschafft, ihr Tod wurde in den Medien wichtig genommen. Damit hatte sie eines ihrer zentralen Ziele erreicht und im Kampf gegen die Gleichgültigkeit einen Sieg errungen. Es war ein lebenslanger Kampf, den sie führte. Ihre Waffe war das Schreiben. Sie erzählte die Dinge so, dass man sie nicht flüchtig überlesen konnte, sondern mit Herzklopfen in sich aufnahm und miterlebte. Manche Menschen warfen ihr daher vor, sie übertreibe, nehme es mit der Wahrheit nicht so genau. Ein Vorwurf, der auch gegen ihre Zeitgenossin Lou Andreas-Salomé erhoben wurde. Diese war noch ein Kind, als sie von ihrer Begleiterin nach der Schilderung eines gemeinsamen Erlebnisses »phantastischer Beigaben zu den Wirklichkeitsvorgängen« beschuldigt wurde: »Aber du lügst ja!« Auch Lena Christ wusste, dass sie ihre Erlebnisse so spannend gestalten musste, dass sie den Leser nicht unberührt ließen. In ihrer Suche nach Glück war Gleichgültigkeit der gefährlichste Gegner. Sie hatte früh erkannt, dass sie das Gegenteil von Glück war und zerstörerisch wirkte. »Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit«, heißt es in Stéphane Hessels Schrift Empört euch! Und im Gespräch mit Alexander Kluge bezeichnet der Komponist Helmut Lachenmann Gleichgültigkeit sogar als eine Form von Gewalt.

Lena Christs Aufbegehren dagegen beginnt mit ihrem ersten Buch, den Erinnerungen einer Überflüssigen. Ihre eigene Überflüssigkeit hat sie schonungslos benannt und konnte sie dadurch einer Verwandlung unterziehen. Das Stigma wurde zur Chance: Wer zu nichts nutze ist, der ist auch zu nichts verpflichtet. Damit entsteht ein Freiraum. Lena Christ hat ihn genutzt, um das Glück zu suchen: »Glei frisch drauf los und mitten eine ins Glück!«, heißt es in ihrem Roman Die Rumplhanni. Im Schreiben hat sie es gefunden. Es wurde zur Fluchtlinie, die es ihr ermöglichte, das Leben nicht passiv zu erdulden, sondern aktiv zu gestalten. Aus Ohnmacht war Macht geworden, die Macht einer Schöpferin. »Der große, der einzige Irrtum ist der, zu glauben, eine Fluchtlinie bedeute, dem Leben zu entfliehen, sei eine Flucht ins Reich der Einbildung oder der Kunst. Stattdessen heißt fliehen, Reales erschaffen, eine Waffe finden«, erklärt Gilles Deleuze. Als solche ist Lena Christs Literatur zu verstehen. Damit hat sie sich und ihr Leben verteidigt, selbstständig und souverän, unterstützt von einem Begleiter. Eine Geschichtenerzählerin braucht ein Gegenüber, das neugierig ist. Diese Rolle hat Peter Jerusalem lange Zeit erfüllt. Er sollte wissen, wer sie war, ihm offenbarte sie ihr Selbst oder das, was sie dafür hielt. Das fünfjährige Kind, mit dessen Erlebnissen sie ihre Erinnerungen einer Überflüssigen begann, erschien »leibhaftig« vor ihm, genau wie die anderen Figuren ihres Romans, sie »wurden sichtbar mit einer so unheimlichen Deutlichkeit, dass man sie greifen konnte«, staunte Jerusalem. Eine dieser Figuren war die Schriftstellerin Lena Christ. Sie hat sie selbst geschaffen, das Leben denselben Gesetzmäßigkeiten unterworfen wie die Literatur. Daher war es nur folgerichtig, dass sie ihre Schöpfung verschwinden ließ, als es für sie nichts mehr zu erzählen gab. Lena Christ hat sich selbst erfunden und wieder ausgelöscht, ihr Ende 1920 inszeniert als Freitod einer großen Tragödin auf dem Münchner Waldfriedhof. An einem Tag, den es nicht gibt.

1Wo ist mein Vater?

In einer ihrer Lausdirndlgeschichten lässt Lena Christ die Ich-Erzählerin Leni, ihr Alter Ego, eine hoffnungsvolle Entdeckung machen: An einem Haus am Münchner Gärtnerplatz stößt sie auf den Namen ihres Vaters, der als verschwunden gilt. Sie beschließt, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen.

»Ich habe mich furchtbar fein angezogen, damit ich ihm gleich recht gefalle.

Und im Gehen habe ich es mir ausgemalt, wie ich ihn begrüße und so.

Aber wie ich angeläutet habe, ist mir auf einmal schlecht geworden.

Und ich habe schnell geschaut, ob ich nicht noch geschwind abschieben kann.

Es ist aber schon jemand dahergekommen und hat aufgemacht.«

Leni erklärt der überraschten alten Frau an der Tür den Grund ihres Besuchs. Nun erscheint auch der Ehemann der Frau, und Leni erkennt, dass er nicht der Richtige sein kann. »Aber er hat mich gleich ausgefragt, wer ich bin und was ich denn von ihnen will. Da habe ich gesagt, meinen wirklichen Vater.«

Lena Christ kam am 30. Oktober 1881 im oberbayerischen Glonn, etwa 30 km östlich von München, zur Welt. Als Mutter wurde auf dem Standesamt die ledige Maurerstochter Magdalena Pichler aus Glonn angegeben, als Vater der aus Mönchsroth bei Dinkelsbühl stammende ledige Bedienstete Karl Christ, der bei dem Münchner Rittmeister Hornig angestellt war. Am 7. Dezember 1881 erkannte er vor dem Ebersberger Amtsgericht die Vaterschaft und die damit verbundene Verpflichtung an, bis zum vierzehnten Lebensjahr des Kindes jährlich 120 Mark Alimente zu zahlen. Als Vormund wurde der verheiratete Maurer Mathias Pichler, Magdalena Pichlers Vater, eingesetzt. Im Protokoll heißt es: »Erstbenannte [Magdalena Pichler] bittet vor Allem, den sub 2 benannten Mathias Bichler als Vormund zu verpflichten über ihr am 30. Oktober 1881 außerehlich gebornes Kind Magdalena und bezeichnet dann auf Vorhalt als natürlichen Vater solchen Kindes den miterschienenen Charl Christ.« Das Protokoll wurde von den drei Anwesenden unterschrieben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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