Alien Eroticon - Nina Casement - E-Book

Alien Eroticon E-Book

Nina Casement

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Beschreibung

Verliebt in ein Alien? Wenn in fernen Galaxien Vertreter verschiedener Spezies in gegenseitiger Leidenschaft entbrennen, überwindet die Liebe dann wirklich alle Hindernisse und Konventionen? Wie ohne gemeinsame Sprache leidenschaftliche Empfindungen vermitteln? Was, wenn die Andersartigkeit des Objektes der Begierde keiner irdischen Lebensform ähnelt? Wie lassen sich körperliche Sehnsüchte erfüllen, wenn gänzlich unterschiedliche Körperform und -funktion eine Vereinigung verhindern? Diesen und anderen Fragen erstaunlicher Natur stellen sich 15 vom Herausgeber Detlef Klewer ausgewählte Sciencefiction-Stories über intergalaktische Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Begierde und Sinnlichkeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 347

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Alien Eroticon

– Erotische SF –

 

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-946348-22-1

ISBN 978-3-946348-21-4 (Print Ausgabe)

 

© Eridanus Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstraße 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Iwo – www.kritzelkunst.de

Umschlaggestaltung: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Jana Hoffhenke

Vorwort  

~ ~ ~

 

 

Der Begriff Erotik … Was jeder Einzelne als begehrenswert – als erotisch – empfindet, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch und von Kultur zu Kultur bisweilen sehr stark.

Wir fragten uns: Wenn das Empfinden erotischer Anziehungskraft auf zwischenmenschlicher Ebene schon so komplex ist, wie vielschichtiger wird es, wenn in einem reichlich bevölkerten Universum Lebewesen aufeinander treffen, die sich in mehr als Hautfarbe, Humor und Kultur unterscheiden. Wenn der eigene Maßstab von Schönheit einfach nicht anwendbar ist. Wenn trotz gegenseitiger Anziehung unüberwindbare physische Hürden einer Beziehung im Weg stehen. Wenn das Verständnis von Liebe und Sexualität von zwei Wesen so unterschiedlich ist, dass ihre körperliche Vereinigung im Chaos endet.

In einer Ausschreibung baten wir Autorinnen und Autoren, ihrer sinnlichen Phantasie in den unendlichen Weiten des Alls freien Lauf zu lassen. Zusammengekommen ist eine erotisch-kreative Sammlung von erstaunlichen Möglichkeiten.

Die Originalität der eingesandten Geschichten hat uns wahrlich beeindruckt, die Auswahl fiel daher alles andere als leicht. Dieses hier vorliegende »Alien Eroticon« zeigt die intergalaktische Liebe, Lust, Eifersucht, Begierde und Verführung in zahlreichen aufregenden Facetten.

Ein ausdrücklicher Dank geht an alle, die sich des inspirierenden Themas mit Kreativität und Sorgfalt annahmen und es mit Leidenschaft, Sinnlichkeit und Einfallsreichtum befüllten. Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir viel Spaß mit den 15 folgenden Geschichten.

 

Jana Hoffhenke (Verlegerin) & Detlef Klewer (Herausgeber und Illustrator) 

 

~ ~ ~

Auf den Schwingen der Sternenfrau (Alvar Borgan)

 

~ ~ ~

 

 

Marc liebte es, abends am Strand spazieren zu gehen. Wenn sein Blick über das dunkle Wasser zum fernen Horizont schweifte, begann er die wahre Größe des Ozeans zu erahnen. Doch selbst das weite Meer schrumpfte zur unbedeutenden Pfütze, sobald er zu den Sternen aufschaute. Zahllose Welten, unbegreiflich weit entfernt, funkelten als winzige Lichter am Firmament. Wie klein doch die Erde war, wie begrenzt unser Dasein angesichts der Unendlichkeit des Alls!

Gedankenverloren grub Marc die bloßen Füße in den warmen Sand und atmete tief durch. Auf den Dünen wisperten Gräser im Wind. Wellen rollten mit beruhigender Gleichmäßigkeit an den Strand – und ein Stern fiel vom Himmel. Marc blinzelte. Ein Stern fiel vom Himmel? Sein Verstand weigerte sich, zu akzeptieren, was die Augen sahen: Ein kleines blinkendes Licht zog sternschnuppengleich seine Bahn über den schwarzen Nachthimmel. Doch statt zu verglühen, nahm es an Größe zu, strahlte heller – und querte den Horizont, wechselte aus der himmlischen in die irdische Sphäre. Direkt vor ihm, über den Schaumkronen der ans Ufer rol­lenden Wellen, kam es zum Stillstand. Ungläubig rieb Marc sich die Augen, doch das handtellergroße Leuchten hing unverändert kaum einen Meter über dem seichten Wasser und driftete langsam auf den Strand zu. Bedächtig, wie man sich einem scheuen Tier nähert, ging Marc auf die Erscheinung zu. Um was in aller Welt mochte es sich handeln? Aus der Nähe betrachtet, schien das Objekt zu pulsieren. Als ob es atmet, dachte Marc, und ging in die Hocke, auf Augenhöhe mit dem Leuchten.

Er konnte nur noch zusammenzucken, als es auf ihn zuschoss. Gleißende Helligkeit blendete seine Augen, ein Schlag traf die Stirn, blitzartig stechender Schmerz durchfuhr seinen Kopf, als habe das Licht den Schädel durchdrungen und dabei sein Hirn aus den Angeln gehoben. Marc fiel hintenüber, hob reflexartig die Arme schützend vors Gesicht und wälzte sich brüllend im nassen Sand.

Nur Sekunden später zog sich das Licht ebenso so plötzlich aus seinem Kopf zurück, wie es eingedrungen war. Zurück blieb nichts als pochender Schmerz, aus dem erst nach und nach Gedanken wie Blasen aus den Tiefen seiner Erinnerung aufstiegen. Noch zusammengekrümmt am Meeresrand liegend, blickte Marc vorsichtig umher: nichts zu sehen, keine Spur des mysteriösen Leuchtens, nur dunkles Wasser unter mondlosem Himmel. Die Monotonie der Landschaft stand in krassem Gegensatz zu seinem aufgewühlten Inneren. Ein einziger Gedanke durchdrang die diffuse Angst, die seine Eingeweide zusammenzog: Schnell weg hier! Geduckt hastete er den Strand entlang, auf der Suche nach einem Pfad, der ihn heim zur Siedlung führen würde. Immer wieder warf er furchtsame Blicke über die Schulter – aber er blieb allein auf weiter Flur, begleitet nur vom steten Rauschen des Meeres.

Das Laufen beruhigte ihn. Einen Fuß vor den anderen zu setzen, die laue Nachtluft einzuatmen und den Wellen zu lauschen – die vertrauten Eindrücke waren Balsam für seine Nerven. Allmählich kam es ihm lächerlich vor, vor einem herabgefallenen Stern davongelaufen zu sein. War dieses Licht wirklich in ihn eingedrungen? Oder hatte er sich alles nur eingebildet?

Marc erklomm die Dünen auf einem markierten Pfad, blieb am höchsten Punkt stehen und blickte sich ein letztes Mal um. Nichts. Ein Bild der Ruhe und des Friedens. Eben wollte er sich zum Gehen wenden, da nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung in den Dünen wahr. Der Wind schien etwas heranzuwehen, eine schwach schimmernde Gestalt flog über die Gräser auf ihn zu.

»Bitte lauf nicht weg!«, hauchte sie ihm aus der Distanz zu. Er war nicht sicher, ob er die Worte tatsächlich hörte, oder ob sie nur in seinem Gehirn existierten. Marc hätte nicht einmal sagen können, ob es sich wirklich um Worte handelte, oder um reine, sprachlose Gedanken, die erst sein eigener Geist in Worte kleidete. Wie angewurzelt verharrte er auf dem Pfad und starrte der durchscheinenden Gestalt entgegen, die sich ihm zaghaft näherte.

»Ich wollte dir nicht wehtun.« Wieder diese Stimme, die vielleicht keine Stimme war. »Es tut mir leid.« Vor ihm stand eine Frau, deren schimmernde Konturen aus tintenblauer Nachtluft geformt schienen. Ihre langen, sanft im Wind wehenden Haare glänzten wie Silberfäden und die Augen funkelten diamantengleich in der Dunkelheit. Sie war überirdisch schön von Kopf bis Fuß – und vollkommen nackt.

»Verzeih, ich wollte nur mit dir in Verbindung treten«, sagte sie auf ihre sonderbare Art. »Deshalb habe ich vorhin versucht, deinen Geist zu berühren. Um einander wirklich zu verstehen, müssen wir uns öffnen und die Gedanken des anderen in uns aufnehmen, nicht wahr? Also …«, verlegen lächelnd hielt das zauberhafte Geschöpf den Kopf schräg, »zumindest kenne ich es so, von dort, wo ich herkomme. Jetzt weiß ich, dass es hier bei euch anders ist. Ihr nutzt eure Körper, um zu kommunizieren. Eure Stimmen. Ich hätte nicht einfach so in dich eindringen dürfen. Es tut mir leid.« Sie blickte beschämt zu Boden und schob sich die silbernen Haare hinters Ohr zurück. Zaghaft streckte sie ihm die Hand entgegen und ergriff die seine. Ihre schimmernde Haut fühlte sich an wie Wasser, kühl und weich. Obwohl ihm noch immer der Schädel brummte, verzieh Marc ihr auf der Stelle. Wer konnte schon einer solch außergewöhnlichen Schönheit böse sein? Ihre Diamantenaugen blickten fragend zu ihm auf.

»Ich könnte deine Hilfe gebrauchen. Es kostet Energie, einen materiellen Körper zu formen. Könntest du mich in die Arme nehmen und wärmen? Das tut ihr doch auf diesem Planeten, oder?«

Marc zögerte. So sehr er sich zu ihr hingezogen fühlte, saß ihm doch die Angst vor einem neuerlichen schmerzhaften Zusammenprall in den Knochen. Schließlich trafen seine Arme die Entscheidung für ihn – sie streckten sich wie von selbst der luftigen weiblichen Gestalt entgegen, die erfreut lächelte und sich sogleich zärtlich an ihn schmiegte.

»Du bist so gut zu mir«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »hab vielen Dank.«

Marc traute sich kaum zu atmen. Eine wunderschöne Frau lag nackt in seinen Armen! Ein zartes, aus Nachtluft und Sternenlicht geformtes Geschöpf, das sich sachte an ihn drückte, um die Wärme seines Körpers in sich aufzunehmen. War es womöglich nur ein Trugbild, das sich jeden Moment in Luft auflösen würde? Aber er spürte eindeutig den Druck ihrer Brüste und wie sich ihre Hüften an ihn schmiegten.

Vorsichtig strich seine Hand über ihren Rücken, der sich glatt und kühl wie Seide anfühlte. Erinnerungen an seine frühere Freundin, und wie er sie damals in den Armen gehalten hatte, kamen auf. Es fühlte sich an, als habe ihm eine magische Wendung des Schicksals zurückgegeben, was er verloren hatte – und diesmal würde er es festhalten. Es war nur Sehnsucht, die ihn dazu trieb, die Frau fest an sich zu drücken. Er wollte ihr nicht wehtun. Erst ihr schrilles Kreischen schreckte ihn auf, und erst als er sah, wie sie verzweifelt versuchte, sich seinem Klammergriff zu entwinden, wurde ihm schlagartig klar, dass seine Arme ihren noch im Werden befindlichen Körper zu zerdrücken drohten.

»Das wollte ich nicht!«, rief er ihr nach, denn als er losließ, verschwand sie in Windeseile zwischen den Dünen. »Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht verletzen!« Wieder und wieder rief Marc seine Entschuldigungen in die Dunkelheit, während er suchend durch die Dünen stapfte. Warum hatte er sich auch so unmöglich benommen! Ein wenig mehr Rücksicht, und dieses wundervolle Wesen wäre noch bei ihm. Bange Minuten lang glaubte er, sie verloren zu haben. Erst als er erschöpft im tiefen Sand stehen blieb, um wieder zu Atem zu kommen, entdeckte er den blassen Lichtschimmer, der die Gräser auf der nächsten Kuppe erhellte. Schritt für Schritt stieg er die Düne hinauf. Nur keine schnellen Bewegungen, die ihr Angst machen könnten. Die Arme um die angezogenen Knie geschlungenen, kauerte sie in der Sand­kuhle hinter der Kuppe. Sie sah nicht auf, als er leise Entschuldigungen murmelnd zu ihr herantrat, aber sie lief auch nicht davon. Marc hockte sich zu ihr in den warmen Sand. Gern hätte er ihr die silbernen Haare aus dem Gesicht geschoben, aber er traute sich nicht.

»Wie heißt du?«, fragte er.

Sie hob den Kopf. Ihre Diamantenaugen schimmerten wässrig.

»Wenn du mir helfen willst, musst du achtsamer mit mir umgehen. Du siehst doch, wie zerbrechlich ich noch bin. Schließlich wechsele ich nicht jeden Tag den Körper.«

Marc strich mit den Fingerspitzen zärtlich über ihren Unterarm. Diesmal war er sicher, dass sie wirklich mit einer menschlichen Stimme zu ihm gesprochen und nicht nur Gedanken übertragen hatte. »Versprochen.«

»Du kannst mich Krianna nennen. Mein früherer Name enthält Laute, die deine Stimmbänder nicht wiedergeben können, aber Krianna kommt ihm recht nahe.«

Ermutigt rückte Marc näher.

»Krianna …«, flüsterte er ihr ins Ohr, »was für ein wunderschöner Name für eine wundervolle Frau …« Ein zartes Lächeln huschte über ihr Gesicht, während sie sich durch die Augen wischte.

»Du kennst mich doch kaum«, flüsterte sie. Er strich ihr über die Wange.

»Aber ich möchte dich besser kennenlernen. Erzähl mir von dir.«

Krianna schlug die Augen nieder. »Ich kann nicht in Worte fassen, was ich dir sagen möchte. Deine Sprache ist mir noch so fremd. Können wir … nun, als ich vorhin in dein Bewusstsein geblickt habe, da sah ich … ihr Menschen macht das doch, wenn ihr euch näherkommt, oder? Dieses … küssen?«

Große Augen blickten ihn an. Marc war im ersten Moment verblüfft, nickte dann aber rasch. »Küssen, ja, natürlich.«

Sein Gesicht näherte sich dem ihrem.

»Sei bitte sehr vorsichtig, ja?«, murmelte sie, schloss die Augen und hob ihm ihren halbgeöffneten Mund entgegen. Als ihre Lippen sich berührten, blieb Marc fast das Herz stehen, denn ein prickelndes Gefühl wie von einem leichten Stromschlag durchfuhr ihn. Aus Angst, sie erneut ungewollt zu verletzen, wagte er kaum, sich zu rühren. So blieb es Krianna überlassen, ihre Lippen fest auf die seinen zu pressen und ihn in einen atemberaubend sinnlichen Kuss zu ziehen.

Marc konnte sich nicht erinnern, einen Kuss jemals derart intensiv empfunden zu haben. Es war, als fließe kosmische Energie durch ihn hindurch. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und in eine endlose Tiefe zu fallen.

Lichter winziger Sterne schimmerten in der Schwärze hinter seinen geschlossenen Augenlidern. Krianna war unsichtbar bei ihm, dort in der Dunkelheit. Gemeinsam schwebten sie an einem nächtlichen Himmel, umgeben von fremden Sternbildern. Auf einmal hingen maisgelbe Wolkengebilde in der Atmosphäre, und von einem Planeten tief unter ihnen stiegen schmutzig braune Staubwolken auf, die sich wie hässliche Wucherungen in alle Himmelsrichtungen ausbreiteten. Krianna zog sie beide mit aller Macht von dem Planeten fort – und etwas Glänzendes stürzte in die Tiefe: ihr Körper, den sie hinter sich ließ. Mit dem Körper verschwand auch das furchtsame Pochen eines fremden Herzens, das Marc schmerzhaft deutlich gefühlt hatte. Leicht und beschwingt flog er mit Krianna davon, schneller und schneller. Der Planet aus dreckig-gelbem Staub schrumpfte und verschwand schließlich ganz in der Dunkelheit. In rasender Geschwindigkeit rauschten am Rande ihres Blickfeldes Sterne vorbei – bis mit einem Mal alles still zu stehen schien. Nichts veränderte sich mehr. Als hätte jemand die Zeit angehalten, hingen Marc und Krianna bewegungslos inmitten der unendlichen Schwärze des Alls. Erst jetzt spürte er den sanften Druck ihrer Lippen wieder, die sich langsam von den seinen lösten. Verwirrt schlug Marc die Augen auf und mühte sich, seine Gedanken zu ordnen. »Wie kann das sein?«

»Was?«

»Erst sind wir immer schneller geflogen, aber dann hat sich plötzlich gar nichts mehr bewegt.«

Lächelnd schlang Krianna die Arme um seinen Hals und küsste ihn auf die Wange. »So sieht es aus, wenn man das Licht einholt und gemeinsam mit ihm weiterfliegt.«

Sehr vorsichtig legte er eine Hand auf ihre Taille. Kriannas Körper fühlte sich wärmer und vor allem bedeutend substanzieller an als bei ihrer ersten Umarmung. Langsam tastete er höher, in Richtung ihrer Brüste.

»Du kannst dich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen?«

»Als körperloses Bewusstsein, ja.«

»Wie weit bist du gereist? Die Sterne wirkten winzig – als wären sie Hunderte Lichtjahre entfernt.«

Ihr Lächeln war bezaubernd. Offenbar rührte sie seine Bewunderung für ihren Flug quer durch das Weltall. Vielleicht schmunzelte sie auch nur darüber, wie zaghaft seine Hand ihren Busen berührte.

»Keine Ahnung, wie weit der Weg hierher war. Aber mir scheint, er hat sich gelohnt.«

»Hast du dich während der langen Reise nicht furchtbar einsam gefühlt?«

Seine Hände wanderten weiter, spielten neugierig mit ihrem Silberhaar.

»Für mich war die Reise nicht lang.« Sie rückte eng an ihn heran. »Wenn man sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, steht die Zeit still. Genau wie bei einem Kuss.« Wieder prickelte es elektrisierend, als ihre Lippen sich trafen.

Das gleiche Bild wie zuvor erschien vor seinen geschlossenen Augen: Das eingefrorene All mit verzerrten Sternen am Rand des Blickfeldes. Plötzlich blähte sich ein einzelner Lichtpunkt direkt vor ihm auf, wurde zum hellsten Himmelskörper. Die Ringe des Saturns huschten vorbei, gleißend hell wie ein Schneefeld im Sonnenlicht – und dann lag auch schon die Erde vor ihm: eine schimmernde Perle auf schwarzem Samt. Leuchtend blau wie Kriannas Augen, in die er blickte, als der Kuss endete.

»Du tust mir gut«, flüsterte sie mit verschmitztem Lächeln, »ich fühle mich schon viel wohler in meinem neuen Körper. Er wird immer robuster …« Sie drückte sich an ihn und hauchte in sein Ohr: »Und allmählich verstehe ich dich auch besser. Jetzt weiß ich, was du wirklich von mir willst …«

Marc hielt den Atem an. Er hoffte einfach, dass sie tatsächlich darauf anspielte, wovon er gerade träumte.

»Aber du musst dich zurückhalten«, forderte sie, während ihre Hände bereits unter sein T-Shirt glitten und es hochschoben, »wenn du zu wild wirst, tust du mir womöglich wieder weh. Am besten entspannst du dich und lässt mich einfach machen.«

In einem Rutsch zog Marc sein Shirt über den Kopf.

»Versprochen.«

Er ließ sich hintenüber sinken, spürte den warmen Sand im Rücken und blickte zur nackten Krianna auf, die sich rittlings auf ihn setzte. Ihre Konturen leuchteten nicht mehr. Auch der magische Silberglanz ihrer Haare schwächte sich ab, doch ihre Augen funkelten noch immer, als strahle das Licht ferner Sterne aus ihnen. Marc breitete die Arme aus, grub die Finger in den Sand und überließ sich Krianna. Das Kitzeln ihrer Haare auf seiner Wange, ihre Lippen an seinem Hals, der sanfte Druck ihrer Brüste – mit fast übernatürlicher Klarheit spürte er jede Berührung. Mehr, dachte er, lass sie den nächsten Schritt tun! Da öffnete sie schon seinen Gürtel und zog ihm die Jeans aus.

»Was für seltsame Wesen ihr doch seid«, wunderte sich Krianna, während sie neugierig seine nackten Hüften streichelte, »welch ein Umweg, die Körper zu nutzen, um miteinander zu verschmelzen. Darum geht es doch bei diesem merkwürdigen Ritual, oder? Ums Verschmelzen …«

Gerade wollte Marc ihr bedingungslos zustimmen, da lag sie bereits der Länge nach auf ihm und verschloss seine Lippen mit einem Kuss. Es kostete ihn große Überwindung, die Arme ausgestreckt auf dem Boden liegen zu lassen. Wie gern hätte er sie umfasst und ihre geschmeidige Gestalt gestreichelt. Ihre weiblichen Rundungen kamen ihm nun ausgeprägter vor als zuvor. Hatte Krianna womöglich beim Küssen sein Unterbewusstsein erforscht und dort heimliche Wunschbilder entdeckt, nach denen sie nun ihren Körper formte?

Wieder kniete sie über ihm und griff ihm in den Schritt. Ihre Unbeholfenheit machte Marc zunächst nervös, aber nach einigem Suchen und Tasten erreichte sie ihr Ziel. Im selben Moment, in dem ihre beiden Körper miteinander verschmolzen, erschien vor Marcs geistigem Auge die Weite einer unter ihm liegenden Steppe, unwirklich ins Licht eines maisgelben Himmels getaucht. Aus großer Höhe betrachtete er eine Ebene, aus der hier und da riesige rötliche Felstürme aufragten. Vorsichtig blickte er senkrecht nach unten und erkannte, dass auch er selbst an der Kante einer solchen Felswand hockte: Elfenbeinfarbene Krallen umklammerten eine Art steinerne Stange am Rande des Abgrunds.

»Vertrau mir«, flüsterte Krianna ihm ins Ohr, da flog er schon vom Felsen. Sein Herz tat einen Sprung und er erwartete, jäh in die Tiefe zu stürzen. Stattdessen segelte er majestätisch hinaus über die Ebene, die Krallen ins Leere ausgestreckt. Zuerst glaubte Marc, in einen Vogel verwandelt worden zu sein, doch dann begriff er, dass Flügel und Krallen Krianna gehörten. Mit gleich vier Armen drückte sie ihn dicht an ihren von flauschigen Federn bedeckten Körper und flog mit ihm davon. Sobald er sich vom ersten Schreck erholt hatte, genoss er das erhebende Gefühl, windumströmt durch die Luft zu gleiten. In weiten Bögen kreisten sie vor der Felswand, die von zahllosen Öffnungen durchbohrt wurde, zwischen denen vogelartige Wesen mit silbrig glänzendem Gefieder und vier Armen hin und her flogen. Offenbar handelte es sich bei der Felswand um die vertikale Stadt eines gefiederten intelligenten Volkes!

In den Dünen am Meer bewegte Krianna ihre Hüften auf ihm – und in ihren Gedanken, die sie nun mit Marc teilte, ließ ihr früherer Körper im gleichen Rhythmus seine Flügel kraftvoll auf und ab schwingen. In Kriannas Erinnerungen einzutauchen und sie gleichzeitig vollkommen real auf sich zu spüren, verwirrte Marc anfangs. Doch der Gleichklang der Bewegungen ließ beide Welten schon bald harmonisch miteinander verschmelzen. In Gedanken zogen sie ihre Bahnen über den Himmel, einem glühenden Horizont entgegen. In der Ebene tief unter ihnen strömten orange-rote Flüsse wie Lava, zwischen denen dunkle Linien mäanderten, die Marc nicht zu deuten wusste. Handelte es sich um Hecken oder riesige, schlangenartige Kreaturen, die träge in der Hitze dösten? Marc wunderte sich kaum über diese fremdartige Welt, sondern gab sich ganz dem doppelten sinnlichen Erleben hin, dem Zauber des Fliegens und gleichzeitig den erregenden gemeinsamen Bewegungen in den Dünen. Krianna drückte ihn fest an sich und flog unter stetem auf und ab ihrer weiten Schwingen mit ihm davon. Am liebsten hätte Marc laut geschrien vor Freude, so großartig fühlte es sich an, so intensiv erlebte er diese fantastische Reise.

Doch dann überkam Krianna ein Zittern, als spürte sie bereits, was sich unter ihnen anbahnte: Die dunklen Linien, die Marc irrtümlich für Schlangen gehalten hatte, vermehrten sich im Sekundentakt. Immer neue schienen sich von den bestehenden abzuspalten, auch ihre Breite nahm ständig zu. Risse! Der Boden unter ihnen riss auf! Sofort wendete Krianna und flog wieder auf die hohe Felswand zu, von der sie gestartet waren. Marc spürte ihr Herz schneller schlagen, während sie mit raschem Flügelschlag vor dem drohenden Unglück floh.

Unter ihnen rutschten ganze Teile der Ebene in die unermesslich tiefen Spalten. Lavaflüsse ergossen sich ins Nichts, verschwanden dampfend und sprudelnd in den schwarzen Abgründen. Noch immer breiteten sich die Linien aus, bald schon würde das Land bis zum Horizont zerrissen sein. Konnte ihnen die Felsenstadt, zu der sie flohen, überhaupt Rettung bringen? Krianna schien inzwischen selbst daran zu zweifeln, denn sie machte keine Anstalten, in einem der unzähligen Eingänge zu landen, von denen aus Schwärme der silbern gefiederten Wesen entsetzt den Untergang ihrer Welt beobachteten. In der Ferne stürzte ein riesiger Felsenturm wie in Zeitlupe um, schlug donnernd auf den Boden, der unter dem Aufprall endgültig zerbarst und zusammen mit dem Felsen in der Tiefe versank. Der gesamte Planet war hohl, erkannte Marc. Während die Oberfläche der Erde stabil auf dem plastischen Gestein des Erdmantels ruhte, stützte sich die vor langer Zeit ausgehärtete Kruste dieses Planeten nur auf säulenartige Verbindungen zu einem Kern, der sich beim langsamen Abkühlen über viele Zeitalter hinweg zusammengezogen hatte. Solange die planetare Kruste intakt blieb, stabilisierte sie sich selbst. Mit den ersten Rissen setzte jedoch ein unaufhaltsamer Zusammenbruch ein. Was eben noch fester Boden war, stürzte ein und verwandelte sich in riesige Staubwolken, die als letzte Überreste der Planetenkruste bis zu den Wolken hinaufreichten und das Gelb des Himmels in ein schmutziges Braun verwandelten.

Auch die Felsenstadt konnte Marc und Krianna nicht retten, im Gegenteil: Der Stein mochte sie unter sich begraben, wenn die Wand so umstürzte, wie vorhin die ferne Felsnadel. Mit heftigen Flügelschlägen versuchte Krianna verzweifelt, zur Klippe an der obersten Spitze der Felswand aufzusteigen. »Ja, komm!«, feuerte Marc sie an, packte sie jetzt doch mit beiden Händen, sowohl ihren gefiederten Körper, dort in der Welt hinter seinen geschlossenen Lidern, als auch ihre wippenden Hüften, hier in den Dünen. Krianna keuchte, und auch Marcs Atem ging schneller. Fast schienen sie miteinander zu ringen wie zu Beginn des Fluges, als sie noch keinen gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten. Heftig prallten ihre Körper gegeneinander, trieben sich gegenseitig an. Marcs Knie wurden weich und auch Kriannas Schwingen schienen zu zittern. Er drängte sie, weiter zu fliegen, höher und höher hinauf. Wie von Sinnen stieg sie mit Marc in den Armen knapp vor dem Felsen empor, während weit unter ihnen der Boden aufriss und in der Tiefe verschwand. Die Klippe zum höchsten Plateau kam in Sicht, zum Gipfel der Felswand. Mit bebenden Flügeln, von Marc getrieben, dessen Finger sich in ihr verkrallten, schwang sich Krianna ein letztes Mal hinauf – und segelte über die oberste Felskante hinaus gen Himmel. Im gleichen Moment erzitterte der Felsen, bebte und explodierte förmlich von innen heraus. Steine flogen in alle Richtungen davon, die Felswand zerstob in tausend Bruchstücke, die donnernd in die Tiefe stürzten. Die Wucht des Ausbruchs schleuderte Marc und Krianna in die Höhe, dem Himmel entgegen. Am höchsten Punkt, kurz bevor die Schwerkraft sie wieder hinabziehen würde, entfuhr Krianna ein erleichtertes Seufzen. Sie ließ ihren gefiederten Körper zurück, der als leere Hülle in den Staub hinabfiel. Ihr Bewusstsein jedoch schoss schneller und schneller ins All hinaus, machte sich auf den Weg zur Erde.

 

Krianna öffnete die Augen. Sie lag auf dem Rücken und blickte zu den Sternen auf. Irgendwo dort oben leuchtete jene ferne Sonne, die einst ihre Heimat war. Gräser raschelten leise im Wind. Wellen rauschten. Nichts sonst zu hören. Auch nichts zu spüren. Kein fremdes Bewusstsein, dass sich wehrte. Gut. Einfach liegen bleiben, tief durchatmen und den neuen Körper genießen. Diesen männlichen Körper, der jetzt ihr gehörte. Marc. Sie würde sich erst noch daran gewöhnen müssen, von nun an so genannt zu werden.

 

~ ~ ~

 

– Über den Autor –

Seit der Jahrtausendwende lebt Alvar Borgan in Stuttgart. Er mag die dicht gedrängten Altbauten, die Steffele genannten Treppen und Weinberge mitten in der Stadt, die Vielfalt der Kultur und der Kulturen!

Alvar arbeitet als IT-Berater und ist in dieser Rolle auch als Blogger, Redner, und Fachautor aktiv. Lange Zeit hat er nur Sachtexte veröffentlicht und seine Geschichten rein als Fantasiewelten im eigenen Kopf leben lassen. Erst 2017 hat er begonnen, auch SF und fantastische Geschichten zu veröffentlichen.

Im Bann der Na’ruka(Anna Eichenbach)

 

~ ~ ~

 

 

Geruch von Dampfpfeifen, Schweiß und längst begrabenen Träumen erfüllte den Schankraum der Intergalaktischen Taverne auf Intos. Im gleichen Maße wie bereits zur Mittagszeit Gäste in die Hafenkneipe strömten, wechselten Unmengen an Spirituosen – und anderen, teilweise unter der Hand gehandelten Waren – über den Tresen des Wirtes Jar.

Zufrieden bedeutete Dan der Bedienung, sein Glas nachzufüllen. Den tiefen Einblick in ihren Ausschnitt erhielt er gratis, als sie sich lasziv lächelnd unnötig weit vorbeugte. »In einer halben Stunde habe ich Feierabend«, schnurrte sie während des Einschenkens und leckte sich mit gespaltener Zunge über volle Lippen.

»Danke, verzichte.«

»Wie du willst, Süßer.« Sich beleidigt umwendend, stolzierte sie mit wiegendem Hüftschwung zum nächsten Tisch.

Dan war zwar in Feierlaune, wollte die Einkünfte aus dem letzten Auftrag aber ungern binnen einer Nacht verjubeln. Seinen Notgroschen fraß die Schiffsreparatur vor Monaten. Ein paar Rücklagen für unvorhergesehene Ausgaben wären also nicht verkehrt. Doch ebenso sprach nichts dagegen, sich ein, zwei oder auch einige Gläschen mehr von Jars billigem Fusel zu gönnen, der …

Hart krachte Dans Stirn auf das klebrige Holz. Benommen glitt er vom Hocker, streckte Halt suchend die Hände aus und riss im Sinkflug klirrend Gläser mit zu Boden. Abgestanden warmes Bier ergoss sich über sein Haupt und seine Hose.

»Was zur …«

Ein Griff wie von Eisenketten umschloss seinen Nacken, zerrte ihn grob empor. Angestrengt blinzelte Dan gegen Sterne an, die vor seinen Augen einen wilden Tanz aufführten.

»Das Geld, Wilcox«, knurrte jemand ungehalten.

»Welches G…«

Wie in einem Schraubstock wurde seine Wange auf die Theke gepresst. Gelächter und Gespräche verstummten. Die Intergalaktische Taverne hielt den Atem an.

»Kommst wohl nicht mehr hinterher, wem du was schuldig bist, hä?«

Prickelnd stellten sich die Härchen an seinen Armen auf. Diese Stimme erkannte Dan unter abertausenden. Dass ihr Besitzer ihm nun direkt ins Ohr zischte, bedeutete nichts Gutes.

»Lass mich«, prustete er, bäumte sich auf, wurde jedoch unsanft in die Bierpfütze hinabgedrückt.

»Was hast du gesagt?« Der Tonfall bedrohlich beherrscht. Kalt wie Eis. Und ebenso schneidend. »Sprich deutlicher, Wilcox.«

Dan kniff die Augen zusammen, als sich das Gesicht des Knochenlosen in sein Blickfeld schob, dessen dunkelviolette Schuppen von der Farbe mehrere Tage alter Blutergüsse feucht schimmerten.

Ein schleimiger Tentakel glitt über seine Wange, schaukelte vor seiner Nase wie eine betrunkene Hafenhure. Dan kämpfte aufsteigende Galle nieder.

»Lass. Mich. Los«, gelang es ihm zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorzupressen.

»Sag das doch gleich.« Der andere gab ihn frei. Heftig donnerte Dans Herz gegen seine Rippen, als er den Kragen richtete und sich das biergetränkte Haar aus der Stirn strich.

»Ich … kann dir alles erklären.«

»Warte gespannt darauf, Wilcox.«

Sein Gegenüber schenkte ihm ein lippenloses Lächeln und nestelte scheinbar gedankenverloren an dem durch die Nase getriebenen elfenbeinernen Stab. Dan schluckte sein Unbehagen herunter. Der Knochenlose galt als wohl gefürchtetster Geldeintreiber dieser Galaxis, als effizientester – und als erbarmunglosester. Den Schmuck – vom Stab, über Ringe in der Augenbraue bis hin zur Kette – fertigte er Gerüchten zufolge selbst an. Mit Vorliebe aus einem Knochen säumiger Schuldner, auf die man ihn ansetzte. Unverschämtes Glück, blieb es nach einem seiner Besuche beim Verlust nur eines einzigen Knochens.

»Also … die Sache ist die …«, begann Dan zögerlich, rasch seine Umgebung taxierend. Rappelvoller Laden. Dicht an dicht drängende Gäste. Tische mit halbleeren Flaschen und Gläsern. Nebenan schwaches Glimmen einer nahezu erloschenen Dampfpfeife …

»Du meinst das Schiff, das der Große M. dir geliehen hat?«, fragte sein Häscher lauernd. »Geliehen, für die Durchführung eines Auftrags, um einen Teil deiner Schulden zu begleichen?«

Dan nickte langsam.

»Eben jenes Schiff, das du zerstört hast?«

»Zerstört? Nur ein wenig lädiert, würde ich sagen. Die paar Schrammen …«

Das bedrohliche Zischen, das er zur Antwort erhielt, ließ ihn verstummen.

»Der Große M. war gar nicht erfreut, dass du einfach abgehauen bist.« Gespielt bedauernd schüttelte er den Kopf. »Du weißt sicher, wie viel du ihm schuldest. Und dass er nicht gern wartet.«

Dan schluckte. So viel also zum Thema unvorhergesehene Ausgaben.

»Nun ja, momentan habe ich … eine kleine Pechsträhne. Eine Durststrecke, wenn man so will.«

»Oh, Danny Boy.« Knochenlosers Tentakeln zuckten geradezu wohlig. »Ginge es nach mir …« Lippenlos lächelnd tippte er an einen Knochenohrring.

»Eine Anzahlung kann ich leisten«, räumte Dan rasch heiser ein, nestelte umständlich an seiner Börse und rempelte dabei den Geldeintreiber an, der ihn barsch wegstieß. Gezielt taumelte Dan an den Nachbartisch, packte eine Schnapsflasche und eine noch glimmende Dampfpfeife, um dann – noch scheinbar benommen – herumzufahren. Klirrend zerschellte die Flasche am Schädel seines Widersachers. Die Dampfpfeife folgte – und entzündete den herabrinnenden Fusel.

»Du!«, brüllte der in Brand Geratene, doch Dan nutzte das entstandene Durcheinander bereits, um sein Heil in der Flucht zu suchen. Während er sich in größtmöglicher Geschwindigkeit einen Weg durch die verstopften Gassen im Vergnügungsviertel des Hafens bahnte, hämmerte sein Herz so laut wie seine raschen Schritte auf dem nachtdunklen Asphalt.

Verdammt, Wilcox! Den Knochenlosen anzünden? Du bist ein toter Mann.

Derart tief in der Klemme steckte er noch nie! Und jetzt hetzte er auch noch in die falsche Richtung, entfernte sich immer weiter von seinem Schiff. Laserstrahlen peitschten knapp über seinen Kopf hinweg. Dan roch versengtes Haar und hechtete in die nächstbeste Gasse. Stieß jeden beiseite, der ihm im Weg stand. Dem unablässigen Laserfeuer nach zu urteilen, haftete ihm sein Verfolger hartnäckig an den Fersen. Kurz durchschnaufend hastete er weiter, vorbei an Transportschiffen und Personengleitern, wobei das Sirren der Laserpistole als ständige Mahnung wirkte, in seinem halsbrecherischen Lauf bloß nicht nachzulassen.

In dieser Gegend zeigten sich die Straßen merklich menschenleerer. Nur noch in unregelmäßigen Abständen spendeten hier Laternen Licht, waren teilweise komplett ausgefallen. Fast wirkte es, als verschlössen die Helligkeitsspender die Augen vor dem, was sich in diesem Teil von Intos zutragen mochte, vor sich in den Schatten tummelnden dubiosen Gestalten – und dem, was die dort unternahmen.

Um ein Haar geriet Dan ungläubig staunend ins Stolpern: In nächtliche Schatten gehüllt, stand ein Gleiter am Ende des Flugfelds, den der Fliehende hier zu sehen nicht erwartete. Das Symbol der Liga prangte auf der dunklen Bordwand. Dan verschmolz mit der undurchdringlichen Finsternis hinter einer Hausecke und scannte rasch die Umgebung. Drei Männer. Unter wachsamem Blick des Piloten damit beschäftigt, die Schiffsladung zu löschen. Alle mit Rücken zur offenen Luke. Keine Zeit lange zu überlegen!

Dan schnellte aus dem Versteck, raste an den Beschäftigten vorbei, hechtete in den Merx-Transporter und bediente den Verriegelungsmechanismus. Auch nach all den Jahren beherrschten seine Finger noch immer alles Erforderliche, um den Flieger zum Schnurren zu bringen.

Wilcox klemmte sich hinter das Steuer, während es von außen wütend gegen die Bordwand hämmerte. Das Vibrieren der startenden Maschine erinnerte Dan an längst vergangene Tage. An der Akademie der Liga lehrte man ihn seinerzeit, nahezu jeden Gleiter des bekannten Universums zu steuern. Bis man ihn rausschmiss – und damit zwang, danach einen eher unehrenhaften Berufsweg einzuschlagen.

»Dann wollen wir mal.« Mit einem Ruck setzte sich das Schiff in Bewegung, löste sich vom Boden. Kaum ließ Dan nach kurzer Zeit die Einflugschneise von Intos hinter sich, als bereits ein roter Punkt auf dem Radar auftauchte. Mit rasanter Geschwindigkeit heftete sich dieser an sein Heck. Nur wenig später befanden sich dort nicht nur der Geldeintreiber, sondern auch zwei Ligagleiter. Aus eigener Erfahrung wusste Dan, dass die Föderation das Abhandenkommen eines Schiffes ganz und gar nicht billigte – selbst eines ausrangierten Merx-Transporters.

Der Pilot fuhr den Antrieb bis zum Äußersten hoch und flog eine scharfe Kurve. Seine Verfolger beeindruckte dieses Manöver wenig. Sie ließen sich nicht abschütteln – und eröffneten nun das Feuer auf ihn. Bald darauf drehte einer der Leuchtpunkte ab und verschwand vom Radar. Dan schluckte.

Eine Verfolgungsjagd unter Beteiligung der Liga ist anscheinend sogar dem Knochenlosen eine Nummer zu groß.

Einen Treffer am linken Flügel kassierend, geriet Dans Maschine ins Schlingern. Nur mit Mühe gelang es ihm, dem weiteren Beschuss auszuweichen und den Vogel auf Kurs zu halten. Ein Alarmsignal kreischte auf. Modulanzeigen spielten verrückt. Zwei weitere Einschläge schüttelten Dan ordentlich durch.

»Scheiße!«

Rapide verlor sein Gefährt an Geschwindigkeit – und an Höhe! Die Ligapiloten holten auf. Dans Schiff ließ sich inzwischen kaum noch steuern.

In der Ferne tauchten die grünen Nebelschwaden Verdans auf. Nervös leckte Wilcox sich über die Lippen.

Wenn ich dort runtergehe …

Den undurchdringlichen Dunst, die Urwälder und spitzen Felsnadeln Verdans mied jeder Pilot bei klarem Verstand. Auf dem Planeten gab es keine Zivilisation, sah man von der Handvoll dort ausgesetzter und ihrem Schicksal überlassener Gefangener ab.

Das Aufheulen des nächsten Warnsignals nahm Dan die Entscheidung ab. Erneut holte er alles aus dem Transporter heraus – und sank unter die grünen Schleier. Prompt schrumpfte sein Sichtfeld auf weniger als Armeslänge. Fluchend das Tempo drosselnd, huschte sein Blick immer wieder zum Radar, wo zwei ihm nach wie vor folgende rote Punkte noch immer fröhlich blinkten. Dann plötzlich, als Dan nicht mehr damit rechnete, drehten sie ab.

»Ha! Euch hab ich’s gezeigt!«

Triumphierend zog er die Nase des Gleiters höher. Da schälte sich eine riesige, dunkle Silhouette aus den Nebeln. Metallisches Kreischen – dann Dunkelheit.

 

Dans Schädel dröhnte, als er blinzelnd die Augen aufschlug. Sengender Schmerz schoss durch seinen Körper. Jeder Knochen – vor allem der Kopf – tat ihm weh.

Vielleicht hätte ich letzte Nacht bei Jar nicht so übertreiben sollen.

Mit kreisenden Bewegungen massierte er sich die Schläfen. Der Knochenlose!

Mit einem Schlag hellwach, kniff er angestrengt die Lider zusammen, bis sich die Welt zu drehen aufhörte. Durch die Scheibe bot sich ihm der Blick auf zerfurchte, lianenumschlungene Stämme mächtiger Urbäume. Ihre ausladenden Kronen verloren sich weit über Dan im Dunst, der sich mit zunehmender Höhe immer dichter zusammenballte.

Die grünen Nebel von Verdan. Verdammt!

Stöhnend erhob sich Dan umständlich aus dem Sitz. Am vorgesehenen Platz fand sich eine Kiste mit Notfallproviant und eine Laserpistole. Diese hinter den Gürtel gesteckt, trat er mit mulmigem Gefühl ins Freie, umrundete das Schiff und nahm den durch die Ligapiloten sowie seine Bruchlandung angerichteten Schaden in Augenschein.

Kein Totalschaden, aber es gibt einiges zu tun. Wie es aussieht, werde ich hier einige Tage verbringen müssen. Mit bangem Blick bedachte er seine Umgebung und kletterte seufzend zurück an Bord.

Bleibt nur zu hoffen, dass hier noch einige Nahrungs- und Trinkwasservorräte der Liga lagern.

Gerade suchte er nach Werkzeug, als ein Wimmern an seine Ohren drang. Mit einem Mal dörrte sein Mund aus. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, als er in die Stille lauschte.

Ein Tier? Oder spielen mir meine überspannten Nerven einen Streich?

Da! Wieder ein Laut! Leises Scharren, begleitet von metallischem Klirren. Dan atmete tief durch, näherte sich dem Laderaum. Durcheinandergefallene Kisten, Teile ihres Inhalts lagen verstreut über dem Boden.

Erneut diese Geräusche.

Scheint aus dem abgesonderten Teil am Heck zu kommen.

Aus dem Raum, in dem man für gewöhnlich Gefangene unterbrachte. Langsam schlich er näher, die Hand an der Laserpistole. Der Schließmechanismus der Tür musste beim Absturz beschädigt worden sein. Zumindest stand sie einen Spalt breit offen.

Mit mulmigem Gefühl und der Waffe im Anschlag, zog Dan die Zellentür auf – und wich keuchend zurück. Eine Frau kauerte dort, das Haupt auf die Knie gebettet. Kaskadengleich ergoss sich langes meerblaues Haar über milch­weiße Glieder. Dicke Eisenketten umschlangen zierliche Hand- und Fußgelenke.

Eine Na’ruka!

Dan schluckte schwer. Es war Jahre her, dass ihm eine dieses Volkes vor Augen kam. Auf den Planeten der Liga eine Seltenheit – und äußerst begehrt. So begehrt, dass man sie aus ihrer Heimat verschleppte, um sie auf dem Schwarzmarkt meistbietend zu verkaufen. Ein Geschäft, an dem sich beide Seiten eine goldene Nase verdienten. Die exotische Schönheit einer Na’ruka und ihr feines Gespür für Emotionen prädestinierten sie zur perfekten Konkubine für den Einsatz in einem der edlen Freudenhäuser – oder in einem Privatharem betuchter Oberschichtangehöriger. Die Na’ruka, der Dan vor Ewigkeiten in einem heruntergekommenen Hafenbordell begegnete, wies Verstümmelungen und entstellende Narben auf – dennoch kostete eine Nacht mit ihr mehr als sein Schiff.

Ich stecke wohl noch tiefer in der Scheiße als befürchtet. Solch kostbare Fracht gibt die Liga sicher nicht verloren.

Sein Herz machte einen Satz, als die Na’ruka den Kopf hob. Perfekte tiefblaue Lippen. Eine feingeschwungene Nase. Züge wie aus Marmor gemeißelt. Augen gleich Nebelseen, die ihm voller unbeugsamem Stolz entgegenblickten.

Erst jetzt entsann sich Dan des Lasers in seiner Hand, steckte ihn rasch weg und trat langsam näher. »Du … du musst keine Angst haben«, krächzte er. Wer fürchtet sich hier vor wem?, schoss ihm durch den Kopf, als er herantrat und nach dem Schlüssel an der Wand neben der Tür langte, ohne sie aus den Augen zu lassen.

»Entschuldige die Unannehmlichkeiten.«

Mit beruhigendem Lächeln, das gleichermaßen ihr wie ihm selbst galt, ging der junge Mann neben der Na’ruka in die Hocke.

»Ich bin Dan. Dan Wilcox.«

Jede Faser seines Seins sog ihren intensiven, betörenden Duft ein. »Normalerweise lande ich sanfter, glaub mir.«

Elektrisierendes Kribbeln durchfuhr seinen Körper, als seine Hände beim Lösen der Ketten flüchtig ihre Haut streiften.

»Ich hoffe, du bist nicht verletzt?«

Kaum war das letzte Schloss gelöst, wich er zurück. Brachte möglichst viel Distanz zwischen sich und die Fremde. Na’ruka, Metamorph, feines Gespür für Emotionen, hallte es in seiner Erinnerung.

»Du bist frei«, erklärte Dan. »Du kannst gehen, wohin du willst. Allerdings …«, verlegen fuhr er sich durchs Haar, »… würde ich empfehlen, dich nicht zu weit vom Gleiter zu entfernen. Wir sind in den grünen Nebeln von Verdan gestrandet.«

Damit wandte er sich ab.

»Hab Dank.«

Die Stimme, sanft wie das Wispern des Sommerwindes, jagte ihm wohlige Schauer über den Rücken. In dem Moment, in dem Dan sich langsam zu ihr umdrehte, erhob sich die Na’ruka geschmeidig, während die Eisenketten klirrend zu Boden glitten. Ein nahezu transparentes, zartes Gewand von der Farbe entfalteter Kirschblüten umfloss ihre schlanke Gestalt – und ließ der Fantasie nur wenig Raum.

Plötzlich bemerkte Dan beschämt, dass er diese verkörperte Anmut schon ungehörig lange anstarrte. Wenngleich seinen Unterhalt mit unlauteren Machenschaften verdienend, besaß er doch immer noch einen Funken Anstand! Rasch wandte er den Blick ab.

»Na ja, also … wir stecken vorerst in den grünen Nebeln fest. Aber ich kann das Schiff reparieren. Dank mir am besten erst, wenn ich uns hier rausgeholt habe.«

 

Ein Rascheln im Unterholz. Dan horchte auf, spannte den provisorischen Bogen und schob behutsam eine herabhängende Liane beiseite. Daumengroße Hufabdrücke im weichen Boden! Ungern wollte er mit leeren Händen zum Gleiter zurückkehren. Zwar verfügten sie noch über reichliche Vorräte, aber Nausikaas und sein Magen würden es begrüßen, endlich einmal frisches Fleisch kosten zu dürfen.

Nausikaa …

Bei dem Gedanken an die Na’ruka huschte ein Lächeln über seine Miene. Während der vergangenen Tage hatten sie sich einander vorsichtig angenähert. Nausikaa misstraute ihm – zu Recht, wenn man bedachte, was seinesgleichen ursprünglich mit ihr plante. Was Dan jedoch nicht verstand, bestand in den vehementen Warnungen vor den Na’ruk, die man ihm damals an der Akademie eintrichterte. Vielleicht einfach nur Relikte des Krieges, den die Liga lange Jahre mit diesem stolzen Volk um die reichen Rohstoffvorkommen seiner Heimat geführt, aber doch nicht für sich hatte entscheiden können?

Je mehr sich Nausikaa ihm gegenüber öffnete, je mehr der Mann über ihr Wesen und ihre Kultur erfuhr, umso mehr faszinierte sie ihn.

Den Menschen so ähnlich, aber doch anders. Fremder, exotischer …

Wie aus heiterem Himmel durchfuhr ihn ein Schlag, als er seinen Fuß auf eine Lichtung setzte. Benommen stolperte er weiter, rang um Atem. Mit jedem weiteren Schritt hämmerte es heftiger in seinem Hinterkopf. In Wellen pulsierte Schmerz durch seinen Leib. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Gleichsam wie auf einem defekten Monitor zerriss plötzlich der Anblick der Bäume. Für die Dauer weniger Wimpernschläge überlagerte dieses Bild flackernd der Eindruck von Neonlicht und Metall.

Atemlos hastete Dan zurück in den Schutz der Urbäume. Lehnte keuchend an einem Stamm, bis der Schwindel nachließ und das dumpfe Pochen in seinem Schädel zu einer Ahnung verblasste.

Woran habe ich eben noch gedacht? Warum habe ich mich so weit in die grünen Nebel gewagt?

Es gelang ihm nur, einige lose Gedankenfetzen zu packen: irgendetwas mit den Na’ruk. Die Erinnerung kehrte nicht zurück. Es blieb das unbefriedigende Gefühl, sich an etwas von entscheidender Bedeutung nicht erinnern zu können. Dan wusste beim besten Willen nicht, um was es sich dabei handeln mochte.

Ratlos betrachtete er den Bogen in seiner Hand. Sah zur Lichtung. Bin ich nicht eben noch …? Vielleicht liegt es an diesem vermaledeiten grünen Nebel, dass ich allmählich den Verstand verliere.

Langsam begab er sich auf den Rückweg, sammelte unterwegs ein paar Beeren und zerbrach sich den Kopf über das soeben Geschehene. Mit jedem Meter erschienen ihm die Vorkommnisse unwirklicher. Unverkennbarer Geruch bratenden Fleisches hieß ihn willkommen, als Dan schließlich aus den Schatten der Bäume trat. Ein saftiger Braten bruzzelte über dem Feuer.

Nausikaas Jagdbemühungen scheinen also erfolgreicher verlaufen zu sein.

»Du warst lange weg«, begrüßte ihn die Na’ruka.

Zeichnet Sorge ihre Züge, oder bilde ich es mir nur ein?

Mit scheuem Lächeln nahm sie Bogen und Beeren entgegen.

»Ist etwas passiert? Du wirkst … so nachdenklich.«

»Ich … ich weiß nicht«, gab Dan zu. »Vielleicht. Denke ich zumindest. Aber … irgendwie kann ich mich einfach nicht erinnern.« Er seufzte. »Ist wahrscheinlich nur Einbildung. Ein Anzeichen von Nebelkoller, oder etwas in der Art.« Zwar lachte er, doch klang es hohl und aufgesetzt.

»Hier«, ehe er sich versah, stand Nausikaa an seiner Seite und reichte ihm einen Becher.

»Auf meinem Streifzug durch den Wald habe ich einige Pflanzen gefunden, die auch auf Na’ruk heimisch sind.«

Ihr Lächeln vertrieb Dans trübe Gedanken und der süßliche Sud tat sein Übriges. Wohliges Kribbeln durchrann sein Innerstes, ließ ihn alles vergessen, von dem sein Unterbewusstsein glaubte – oder wusste? –, dass es geschehen war.

Sie aßen schweigend. Dan bemühte sich, die Na’ruka nicht allzu offensichtlich anzustarren.

Sie ist attraktiv, ohne Frage.

Jede anmutige Bewegung, jede ihrer flüchtigen Berührungen ließ ihn besser verstehen, warum manche Männer sich bereiterklärten, ein halbes Vermögen herzugeben – nur um sich für einige Zeit mit einer Frau ihres Volkes zu umgeben.

»Ich verdanke dir meine Freiheit, Dan Wilcox«, erklärte Nausikaa plötzlich ernst und nahezu akzentfrei in seiner Sprache. »Du weißt, wovor du mich bewahrt hast?« Sie rückte näher. Sanfter Wind spielte mit ihrem meerblauen Haar.