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Als die legendäre Transsibirische Eisenbahn ratternd Moskau verlässt, kann Simon noch nicht glauben, dass er tatsächlich mitfährt. Und sich dann auch noch das Abteil mit dem attraktiven, selbstbewussten André teilt. Bald weiß er nicht nur die großartige Landschaft, sondern auch seinen Reisegefährten zu schätzen - wäre da nur nicht seine schreckliche Schüchternheit! Gelingt es Simon, sich zu überwinden, bevor die gemeinsame Fahrt endet? Eine romantische Kurzgeschichte auf Schienen.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Nina Casement
Der Gentleman
Eine Reise-Romanze
Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Gentleman
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- 3 -
- 4 -
Impressum
Moskau 2019
Ich konnte immer noch nicht recht fassen, dass ich wirklich in diesem Zug saß. Als Oliver vor einem halben Jahr nach ein paar Flaschen Bier vorgeschlagen hatte, gemeinsam mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking zu fahren, hatte ich ohne zu zögern zugestimmt. Keine zwei Tage später hatte ich mein bislang unangetastetes Sparbuch aufgelöst und das Ticket gebucht. Und nicht lange darauf hielt ich in meinen vor Aufregung zitternden Händen das lachsfarbene Billett, das mir einen Platz in der ersten Klasse bescheinigte. Das schien mir die erheblichen Kosten wert zu sein, denn schon die Vorstellung versetzte mich in Begeisterung. Nicht etwa, weil ich mich sonst durch außergewöhnliche Reiselust hervortat – genauer gesagt war ich bislang nie weiter gekommen als an Hollands Nordseeküste – oder gar Russland kennenlernen wollte. Im Gegenteil, das riesige, gravitätische Land wirkte auf mich eigentlich eher unheimlich. Sondern einfach nur, weil er mich gefragt hatte.
Oliver war einer dieser Männer, mit denen jeder befreundet sein wollte. Wo er auch hinging, sowohl männliche als auch weibliche Studenten umschwirrten ihn wie die Fliegen, sogar einige der Dozenten schienen um seine Gunst zu werben. Da bildete ich keine Ausnahme – wenn auch wesentlich zurückhaltender. Er war selbstbewusst, cool, witzig und vor allem so unverschämt gut aussehend, dass er ohne Schwierigkeiten als Model durchgegangen wäre. So wie er wollte jeder andere sein.
Und dann hatte er ausgerechnet so ein unauffälliges Nichts wie mich als Reisebegleitung haben wollen. Dabei waren wir an diesem Tag eher zufällig dank einer ausgefallenen Vorlesung gemeinsam im Park gelandet und ich hatte ihn in einem Anfall von Mut auf eine Flasche Bier vom Kiosk eingeladen. Er hatte währenddessen regelrecht von einer solchen Zugfahrt geschwärmt und mich sofort damit angesteckt. In seinen Schilderungen hatte Russland nicht gruselig, sondern exotisch und spannend gewirkt. Sein spontaner Reisevorschlag im Anschluss hatte viel zu schön geklungen, um wahr zu sein. War er dann ja auch.
Natürlich hatte ich ihn in den vielen folgenden Wochen immer wieder aufgeregt gefragt, wie es um seine Urlaubsvorbereitung stand – zumal es sich für mich bei dem Ticketpreis um keine geringe Summe gehandelt hatte. Doch Oliver hatte jedes Mal ausweichend geantwortet, die Buchung stets hinausgeschoben und neue Ausreden gefunden. Am Ende war er mir aus dem Weg gegangen und hatte schlussendlich bedauernd eine Absage per WhatsApp erteilt – ihm sei etwas dazwischen gekommen. Ich hätte es ahnen müssen und war trotzdem enttäuschter und trauriger, als ich erwartet hatte. Manchmal hasste ich mich für meine Naivität und nicht zum ersten Mal verfluchte ich zudem meine Schüchternheit: Vielleicht hätte ich ihm einfach sagen sollen, dass ich schon alles gebucht hatte.
Stattdessen verließ ich tagelang kaum die Wohnung und grübelte jede wache Stunde darüber nach, was ich nun tun sollte. Im Grunde war mein Interesse an Oliver weit mehr als freundschaftlicher Natur gewesen, doch das mochte ich nicht einmal vor mir selbst zugeben und schämte mich fast dafür - nach dieser demütigenden Zurückweisung mehr denn je. Sollte ich die Reise trotzdem antreten? Eigentlich hatte ich nicht die geringste Lust dazu. Ehrlich gesagt, hatte ich bis zu Olivers Frage nicht einmal wirklich gewusst, was die Transsibirische Eisenbahn überhaupt war, und mehr als zwei Wochen ganz allein damit zu fahren, klang bestenfalls beängstigend. Wie hatte ich derart gutgläubig sein können? Blöde rosa Brille. Unmittelbar fühlte ich mich an meine Schulzeit zurückerinnert, als ich mich ausgerechnet in den Klassenmacho verknallt hatte. Drei Jahre lang stummes Leid, während ich seine zahlreichen Flirts mit der Damenwelt beobachtete. Wenige Monate nach unserem Abschluss erfuhr ich durch einen Zufall, dass er in Wirklichkeit ebenfalls auf Männer stand, und hätte mir vor Ärger am liebsten in den eigenen Hintern gebissen.
Insgesamt betrachtet, waren meine Erfahrungen in Liebesdingen - speziell sexueller Natur - eher spärlich gesät, trotz meiner mittlerweile 24 Jahre. Und das lag mitnichten nur daran, dass ich ein ziemlich unsicherer, meiner Ansicht nach oft sogar unbeholfener junger Mann war. Ich konnte auf ein paar kurze Beziehungsversuche mit Frauen zurückblicken, wobei ich schnell gemerkt hatte, dass ich anscheinend eher auf der Suche nach einer Gefährtin denn einer Geliebten war. Der Sex war in Ordnung gewesen, manchmal sogar nett – aber eben nicht mehr als das. Spätestens nach Ende der Schulzeit stand fest: Ich mochte Frauen, aber vielleicht doch lieber nicht im Bett. Geahnt hatte ich das im Grunde ohnehin schon viel früher.
In den letzten Jahren hatte ich mich ein paar Mal in einschlägige Clubs nur für Männer getraut, ohne auch nur zu wissen, was genau ich mir eigentlich erhoffte. Die drei Gelegenheiten allerdings, bei denen ich es tatsächlich wagte, eine Offerte anzunehmen, waren wenig zufriedenstellend geendet. So sehr mich der Gedanke in den vielen einsamen Nächten auch erregt hatte, die Realität entpuppte sich stattdessen als ungeschickt und schmerzhaft. Außerdem benötigte es im Vorfeld eine erhebliche Menge Alkohol, um mich überhaupt zu überwinden. Schade eigentlich, denn den Anblick schöner Männer empfand ich ohne Zweifel als enorm faszinierend – umso enttäuschter hatte ich irgendwann aufgegeben. Vielleicht war ich einfach nicht der Mensch für sexuelle Abenteuer. Manchmal hatte ich Angst, nicht der Mensch für überhaupt irgendetwas zu sein.
Schlussendlich fuhr ich trotzdem, halb des Geldes wegen, das ich so kurzfristig nicht mehr zurückerstattet bekommen hatte, halb aus purem Trotz. Außerdem wollte ich Oliver eine Zeit lang lieber nicht begegnen, als zu erniedrigend empfand ich die Zurückweisung und meine eigene Hoffnung, zu sehr saß mir jene noch in den Knochen.