Allein unter Juden - Tuvia Tenenbom - E-Book

Allein unter Juden E-Book

Tuvia Tenenbom

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Beschreibung

2013 hat sich Bestsellerautor Tuvia Tenenbom (Allein unter Deutschen) auf Entdeckungsreise durch Israel begeben. Dreißig Jahre nachdem er seine Heimat in Richtung USA verlassen hat, kehrte er, der Sohn eines Rabbiners, zurück, um sich ein eigenes Bild davon zu machen, wie sich die kulturelle und politische Identität Israels verändert hat.
Dafür ist er kreuz und quer durchs Land gereist: vom Gazastreifen bis zu den Golanhöhen, von Eilat bis zu den Hisbollah-Stellungen im Norden. Und schon bald erkennt er, dass man, um dieses Land wirklich zu verstehen, mit allen sprechen muss: mit Ultraorthodoxen und Atheisten, mit Fundamentalisten jeglicher Couleur, mit Kibbuzniks und Siedlern, Rabbis und Imamen, mit Mystikern und Intellektuellen, Militärs und Geheimagenten, mit israelischen Prominenten und palästinensischen Politikern, mit Journalisten und NGO-Aktivisten u.v.m.
Das Ergebnis dieser nicht immer ganz konfliktfrei verlaufenen Begegnungen ist eine ebenso unterhaltsame wie erhellende Erkundung eines Landes der Extreme, wie man sie so noch nie gelesen hat.

»Wer wirklich etwas über Israel erfahren will, dem sei dieses Buch dringend empfohlen.« MDR

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Seitenzahl: 656

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Ende 2012 erschien Tuvia Tenenboms furioser Reisebericht Allein unter Deutschen, der hier heftig diskutiert wurde und monatelang auf der Bestsellerliste stand. Nach seiner Deutschland-Tour hat sich Tenenbom 2013 auf Entdeckungsreise durch Israel begeben. Dreißig Jahre nachdem er seine Heimat in Richtung USA verlassen hat, kehrte er, der Sohn eines Rabbiners, zurück, um sich ein eigenes Bild von der veränderten kulturellen und politischen Identität Israels zu machen.

Dafür ist er wieder kreuz und quer durchs Land gereist: vom Gazastreifen bis zu den Golanhöhen, von Eilat bis zu den Hisbollah-Stellungen im Norden. Und schon bald erkennt er, dass man, um dieses Land wirklich zu verstehen, mit allen sprechen muss: mit Ultraorthodoxen und Atheisten, mit Fundamentalisten jeglicher Couleur, mit Kibbuzniks und Siedlern, Rabbis und Imamen, mit Mystikern und Intellektuellen, Militärs und Geheimagenten, mit israelischen Prominenten und palästinensischen Politikern, mit Journalisten und NGO-Aktivisten u.v.m. Es treten unter anderem auf: Schimon Peres und Guido Westerwelle, Amos Oz und Fania Oz-Salzberger, PLO-Spionagechef Dschibril ar-Radschub und Ex-Botschafter Avi Primor und viele, viele mehr.

Das Ergebnis dieser nicht immer ganz konfliktfrei verlaufenen Begegnungen ist eine ebenso unterhaltsame wie erhellende Erkundung eines Landes der Extreme, wie man sie so noch nie gelesen hat.

Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, stammt aus einer deutsch-jüdisch-polnischen Familie und lebt seit 1981 in New York. Er studierte u.a. englische Literatur, angewandte Theaterwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften sowie rabbinische Studien und Islamwissenschaften. Er arbeitet als Journalist, Essayist und Dramatiker und schreibt für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel, darunter für Die Zeit und The Jewish Daily Forward.

1994 gründete er das Jewish Theater of New York. In der Zeit veröffentlicht Tenenbom zweimal im Monat die Kolumne »Fett wie ein Turnschuh«. Allein unter Deutschen erschien 2012 und stand monatelang auf der Bestsellerliste.

Tuvia Tenenbom

ALLEIN UNTER JUDEN

Eine Entdeckungsreise durch Israel

Mit Fotos von Florian Krauss, Jan Sulzer und Isi Tenenbom

Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Adrian

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4530

Deutsche Erstausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Copyright © by Tuvia Tenenbom 2014

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlaggestaltung: Regina Göllner und Hermann Michels

Umschlagfoto: Jan Sulzer

eISBN 978-3-518-73729-3

www.suhrkamp.de

Dieses Buch ist meiner Frau und Partnerin Isi Tenenbom gewidmet, die mich stets furchtlos dorthin begleitete, wohin der Wind mich wehte, ob es dort sicher war oder nicht, und mir dabei ihre klügsten Gedanken und ihr schönstes Lächeln schenkte.

INHALT

Vorbemerkung

ABSCHIED UND WILLKOMMENMit dem Augenzwinkern und Lächeln einer schönen türkischen Lady gerüstet, beginne ich meine Reise ins Heilige Land

1. STATIONWas passiert, wenn die weibliche Seite Gottes, der Sohn Gottes und der Gesandte Gottes eine sexy junge Deutsche treffen, die den Arabern hilft, weil sie die Juden liebt?

2. STATIONWie wäre es mit einem islamischen Bierchen? Vielleicht ziehen Sie es aber auch vor, dass der Rabbi von Auschwitz Ihnen seinen Segen erteilt? Oder wäre Ihnen ein Date mit einer jüdischen Taliban-Lady lieber? Und woher in aller Welt soll ein Rabbiner wissen, wann seine Frau ihre Tage hat?

3. STATIONWürden Sie gerne unter tausend toten Juden leben, die von einem deutschen Konvertiten bewacht werden?

4. STATIONDie Fakten: Einen jüdischen Staat hat es hier nie gegeben. Palästina wurde vor 14000 Jahren gegründet. Und: Die Juden müssen den Arabern fünf Jahre Musikunterricht bezahlen.

5. STATIONEin amerikanischer Jude liebt seine alte Mama so sehr, dass er sie heimatlos machen möchte

6. STATIONEin israelischer Soldat hält Präsident Obama auf

7. STATIONDer kleine weiße Jude will keine kleine schwarze Jüdin heiraten. Deutsche Jugendliche hätten nichts dagegen, einer Steinigung von Juden beizuwohnen. Ein Soldat fährt neun Stunden, um bei seinem toten Kameraden zu sein

8. STATIONEine amerikanische Jüdin entdeckt die jüdische Libido, während sich eine israelische Bibelexpertin nicht an den Propheten Jesaja erinnert

9. STATIONEin Mann, der drei Wörter erfunden hat – »Na Nach Nachma« –, verändert das Land

10. STATIONGott ist nackt und schwul

11. STATIONWas macht ein deutscher Minister unter streunenden Hunden? Warum haben israelische Soldaten Angst, wenn arabische Halbwüchsige Steine auf jüdische Ladys werfen? Und warum gibt Katalonien Millionen für eine alte Dame aus?

12. STATIONEin Jude entdeckt das »rassistische jüdische Gen«

13. STATIONPalästinenser entdecken »Unsere liebe Frau von Palästina« sowie 368000 zionistische Kolonialisten

14. STATIONDeutsche im Heiligen Land: tot und lebendig

15. STATIONSie sind herzlich eingeladen zu drei Tagen voller romantischer Tänze in Jordanien, vorgeführt von Deutschen, die den Frieden und die Araber lieben

16. STATIONKatzen, die UN und die auserwählten Goldenen

17. STATIONMit Mitteln der Europäischen Kommission kommen italienische Jugendliche ins Heilige Land, um heimatlose Palästinenser zu fotografieren

18. STATIONAuf Gottes und der Engel Geheiß wird ein Rabbiner Sie davor bewahren, in eine Eselin verwandelt zu werden

19. STATIONDie Europäische Kommission lädt Sie herzlich zu einer Informationsreise unter Leitung eines ehemaligen Juden ein, der Sie in das Holocaust-Museum in Jerusalem führen und Ihnen das wahre Gesicht der verlogenen, brutalen, mörderischen, syphilisverseuchten Juden zeigen wird, ob tot oder lebendig

20. STATIONLernen Sie den charismatischsten Mann Palästinas kennen, einen genialen Meisterspion, einen wütenden, liebenswürdigen, ernsten, witzigen, skrupellosen Anführer, und werden Sie Zeuge, wie sich Tobi der Deutsche in einen saudischen Prinzen verwandelt

21. STATIONHeimatlose Palästinenser parken ihre Range Rovers vor ihren bewachten Villen

22. STATIONEin jüdischer Pilot mit einer Mission: Schnappt den Juden!

23. STATIONWaffenschwingende Männer auf der Suche nach Süßigkeiten und Deutschen

24. STATIONDie Universität an der Bushaltestelle blüht und gedeiht im Lande Israel

25. STATIONIch marschiere mit den Löwen Palästinas und schlecke ein Eis aus Solidarität mit Adolf Hitler seligen Angedenkens

26. STATIONAbgeordnete: von der Enkelin eines Zionistenführers, der der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt wurde, bis zur Enkelin eines verfolgten Models, das die Nazis überlebte

27. STATIONWas tun humanistische Auslandsberichterstatter, wenn ein halbtoter syrischer Zivilist vor ihnen liegt?

28. STATIONWie wird man internationaler Menschenrechtsrabbiner? Und was mag eine christliche Zionistin lieber, Männer oder Trauben?

29. STATIONKann sich eine gebildete, schöne Araberin in einen Juden verlieben?

30. STATIONAuf Anraten meiner streunenden Katzen fahre ich nach Norden, um zu sehen, wie sich die Menschen auf die neuesten Superkillerraketen aus den USA einstellen

31. STATIONFahrplan zum Frieden1: Gewinne einen internationalen Menschenrechtswettbewerb, indem du ein Hakenkreuz malst

32. STATIONFahrplan zum Frieden 2: Werde eine europäische Diplomatin und schlage israelische Soldaten

33. STATIONGönnen wir uns etwas Entspannung mit den Ladys der Nacht oder den treuen Hausfrauen im Zoo

34. STATIONEuropäische Diplomaten eilen Beduinen zu Hilfe, die gerne deutsche Frauen nackt zwischen ihren Ziegen herumspringen sähen

35. STATIONFriede und Vergewaltigung

36. STATION»Zum Glück hat Hitler keine deutschen Juden in die SS aufgenommen.« Jehuda, ein polnischer Jude, der Auschwitz überlebt hat

37. STATIONAllein unter Beduinen: Was passiert, wenn man in den Verschlag eines Beduinen hineinspaziert und die attraktivste Hidschabträgerin dort tätschelt?

38. STATIONÄrzte, die keine Grenzen kennen, und ein toter Rabbi, für den keine Züge fahren

39. STATIONWarum geben die Europäer so viel Geld dafür aus, einem jüdischen Soldaten beim Pinkeln zuzusehen?

40. STATIONDer EU-Botschafter erklärt Ihnen gerne alles

41. STATIONWürden Sie die Olivenhaine Ihrer Nachbarn anzünden?

42. STATIONEine Eröffnungssitzung der Knesset

43. STATIONAuf einem israelischen Kriegsschiff

44. STATIONJuden sind Barbaren

45. STATIONEin Professor findet heraus, wer die wahren Juden sind: die Araber

46. STATIONRaten Sie mal, welches Land am meisten Steuergelder für antiisraelische Kampagnen ausgibt?

47. STATIONWo Jesus Christus einst die Armen speiste, füttert heute ein deutscher Mönch den Besucher mit seinen tiefsten Gedanken über die Juden

48. STATIONJesus der Nazarener lebte hier, was heute aber kein Jude mehr darf

49. STATIONWer bin ich? Ein typischer Rechter oder ein linker Querulant?

50. STATIONEine Begegnung mit der Geschichte: Könige, Professoren und eine Toilette

51. STATIONEine Begegnung mit den guten Europäern

52. STATIONDas Rechtssystem1: Wer im israelischen Parlament am lautesten schreit, hat gewonnen

53. STATIONDas Rechtssystem2: Darf ein Mitglied der Knesset versuchen, Ihr iPhone zu demolieren?

54. STATIONVorhang auf: Journalisten finden sich mit Menschenrechtsaktivisten zu einer inszenierten Demonstration zusammen, bei der Brandsätze fliegen und zur Tötung der Juden aufgerufen wird

55. STATIONDas Ende. Das Rote Kreuz gegen den jüdischen Staat: Wie weiße Vans mit kleinen roten Kreuzen auf einem Kreuzzug dieses Land durchkreuzen, um alle seine Juden zu vertreiben

Epilog

Schlussbemerkung

VORBEMERKUNG

Mein Name ist Tuvia. Ich wurde in Israel geboren und wuchs dort in einer ultraorthodoxen, antizionistischen Familie im seinerzeit elitärsten ultraorthodoxen Umfeld auf. Mein Vater war Rabbiner, wie so viele der Väter unserer Nachbarn. Wir waren die Stellvertreter Gottes auf Erden. Mein Großvater hatte sich geweigert, nach Israel zu gehen, weil er nicht unter Zionisten leben wollte, wofür die Nationalsozialisten ihn und den Großteil seiner Familie damit belohnten, dass sie sie an Ort und Stelle umbrachten. Mein anderer Großvater war gerade noch rechtzeitig aus seinem Heimatland geflohen; von seinen zurückgebliebenen Angehörigen ward nie wieder einer gesehen.

Meine Mutter war eine Holocaust-Überlebende, mein Vater ein Flüchtling, ohne Adolf Hitler gäbe es mich also nicht. Ich entstamme einer Dynastie europäischer Rabbiner; meine Eltern taten alles dafür, dass auch ich ein Rabbiner würde. Ihr Plan ging anfangs auch auf: Ein paar Jahre lang übertrumpfte ich in jeder Hinsicht die Nichtgläubigen und brachte Tag und Nacht damit zu, Gottes Gesetze zu studieren und Ihn vor all Seinen ungläubigen Feinden auf Erden zu beschützen.

Dann aber geschah das, wovor mich meine ehemaligen Glaubensbrüder immer gewarnt hatten, und ich ging Satan in die Falle, indem ich beschloss, dass Gott auch gut ohne meine Hilfe auf sich aufpassen konnte. Vor 33 Jahren verließ ich Israel und zog in die Vereinigten Staaten, wo ich mich ganz der Wissenschaft und Kunst widmen wollte, was mir zuvor strikt verboten gewesen war. In den darauf folgenden 15 Jahren besuchte ich diverse Universitäten und studierte diverse Fächer, von Mathematik und Informatik bis hin zu Theater und Literatur. Vor nunmehr 20 Jahren gründete ich das Jewish Theater of New York, das ich bis zum heutigen Tage zusammen mit meiner Frau Isi leite.

Neben meiner Arbeit als Dramatiker bin ich auch als Journalist und Kolumnist für verschiedene Zeitungen in den USA und Deutschland tätig. Im Dezember 2012 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag mein Buch Allein unter Deutschen, einen Reisebericht über das heutige Deutschland, seine Menschen und ihre geheimsten Gedanken.

Mein Lektor bei Suhrkamp, Winfried Hörning, schlug mir im vergangenen Jahr vor, eine ähnliche Studie über Israel und seine Menschen anzufertigen. Die Aussicht auf einen sechsmonatigen Aufenthalt in Israel, in einem Land, dem ich vor so langer Zeit den Rücken gekehrt und danach nur noch sporadische Kurzbesuche abgestattet hatte, erschien mir als ebenso beängstigend wie aufregend. Ich fragte Winfried, wie viel Suhrkamp mir für diesen Auftrag bezahlen würde; er nannte mir eine Zahl, die mir nicht gefiel. Dann nannte er mir eine andere Zahl, und die gefiel mir.

Ich fahre nach Israel.

Abgesehen davon, dass ich mir ein Haus gesucht habe, das mir als Stützpunkt dienen wird, habe ich nichts geplant. Ich lasse mich treiben, wohin der Wind mich weht. Ich werde mein Möglichstes tun, um Fakten und Realitäten auf mich zukommen zu lassen und objektiv über das zu berichten, was mir begegnet. Ich werde über das berichten, was ich sehe, nicht über das, was mir lieb wäre. Aber ich werde Sie, meine Leserin, meinen Leser, in jedem Fall an dem teilhaben lassen, was ich denke und fühle.

Ich heiße, wie schon gesagt, Tuvia – aber das bleibt bitte unter uns. Tuvia ist ein hebräischer Name (»die Güte Gottes«), und ihn auszusprechen ist nicht immer ungefährlich. Um mich zu schützen, bediene ich mich deshalb gegenüber den von mir interviewten Personen gelegentlich einer anderen ›Form‹ meines Namens. Sie alle werden aber wissen, dass ich Autor und Journalist bin und dass das, was sie mir sagen, eines Tages veröffentlicht und somit verewigt werden könnte.

Bevor ich nach Israel aufbreche, in ein Land, das international als »Besatzungsmacht« bekannt ist, beschließe ich, ein paar Tage in einem anderen »besetzten Land« zu verbringen. Dann habe ich später eine Vergleichsmöglichkeit. Ich liebe die Berge – ihre schiere Größe macht mich demütig – und fahre nach Südtirol, ein Gebiet, das Italien 1918 besetzte und nie wieder herausrückte. Südtirol ist wie Tirol selbst einer der schönsten Flecken auf Erden; seine Besetzung durch die Italiener nach dem 1. Weltkrieg war ein politisches Meisterstück: Kein Mensch merkte etwas von der Besetzung. Die Italiener schlossen wie wild Verträge und Abkommen und klärten jede nur denkbare juristische Frage. Sie räumten den Einwohnern sogar einige Sonderrechte ein, damit sie den Mund hielten, und binnen kurzem begannen die deutschsprachigen Südtiroler, sich als Italiener zu bezeichnen. Also alles Friede, Freude, Eierkuchen.

Wäre das nicht auch ein Modell für Israel?

Ich nehme mir die Zeit, mit einigen gebürtigen Tirolern essen zu gehen. Nach drei »Milch mit Wasser«, wie man hier auch zum Bier sagt, und zwei der köstlichsten Portionen »Hitlerschmarrn«, wie man hier in alten Zeiten zum Kaiserschmarrn sagte, erregen sie sich lautstark darüber, dass sie von den vermaledeiten Italienern betrogen wurden.

Eine Besatzung funktioniert wohl doch nicht.

Ich nehme meine Lederhose, stopfe sie für den Fall, dass ich eine Gedächtnisstütze brauche, in den Koffer und bin startklar.

ABSCHIED UND WILLKOMMENMit dem Augenzwinkern und Lächeln einer schönen türkischen Lady gerüstet, beginne ich meine Reise ins Heilige Land

Im Hamburger Flughafen sage ich Deutschland und seiner Kultur Lebewohl.

Ich stehe am Schalter der Turkish Airlines, wo ich gerade mit meinen Koffern aufgekreuzt bin. Welch Überraschung: mehr als zehn Kilo Übergewicht. Der reizenden Dame am Schalter, die ich noch nie gesehen habe und deren Namen ich nicht kenne, erzähle ich, dass ein berühmter türkischer Schauspieler namens Mehmet ein dicker Kumpel von mir ist.

»Kennen Sie ihn wirklich?«

Was für eine Frage. Ich bin sein Regisseur!

Sie schenkt mir ein herzliches türkisches Augenzwinkern und Lächeln und lässt mich ohne Extragebühr passieren.

»Versprechen Sie mir, niemandem zu verraten, dass ich Sie mit so viel Übergewicht durchgelassen habe …!«

Versuchen Sie mal, zehn Kilo Übergewicht bei Air Berlin durchzuschmuggeln, indem Sie behaupten, Lady Merkel sei Ihre beste Freundin, und Sie werden sehen, was eine saure Miene ist.

Ja, ich bin vielleicht noch in Deutschland, aber schon auf dem Abflug.

Turkish Airlines ist übrigens eine ausgezeichnete Fluggesellschaft. Nicht wirklich pünktlich – aber wer ist das schon heutzutage –, ihre Flieger jedoch sind picobello, und das Essen, türkische Leckereien, ist eine Wucht. Kein Wunder, dass hier alle am Dauerlächeln sind, bis wir am Flughafen Istanbul-Atatürk eintreffen.

Und der ist eine echte Attraktion!

Man muss sich nur einmal umschauen: Zehn Damen in Nikabs widerstehen der Hitze unter ihrer Kleidung, indem sie köstliches türkisches Eis lecken. Das sieht hinreißend sinnlich aus. Die Männer, diese verrückten Geschöpfe der Natur, verziehen sich unterdessen in eine kleine Raucherzone namens »Terrasse«, wo sie unter ekstatischen Verrenkungen an ihren Glimmstängeln ziehen. Nichtraucher, mit und ohne Nikab, trinken Kaffee zu fünf Dollar den Becher, während unzählige Frauen mit Hidschabs in jeder erdenklichen Farbe Artikel kaufen, von denen sie gar nicht wussten, dass sie sie brauchen.

Zeit zum Einsteigen für den Flug nach Tel Aviv, aber nur rund zehn Menschen sitzen im Wartebereich. Ich meine in israelischen Zeitungen etwas über diese Situation gelesen zu haben: Da hieß es, dass die Israelis Turkish Airlines boykottierten, weil der türkische Staatschef Erdogan Israel seit einigen Jahren unentwegt kritisiere. Ich hätte nie geglaubt, dass Israelis jemals irgendetwas Türkisches boykottieren würden, aber jetzt sehe ich es mit eigenen Augen. Die israelischen Medien sind anscheinend bestens informiert.

Vor mir sehe ich drei Männer, die sich angeregt miteinander unterhalten, und setze mich zu ihnen. Ich denke mir: Wenn diese Jungs sich kennen, warum sollte ich sie nicht auch kennen?

Was soll ich in Israel als Allererstes tun, frage ich sie.

Michele, ein katholischer Architekt, der mit einer israelischen Jüdin verheiratet ist, ist ganz erpicht darauf, mir seine Meinung mitzuteilen: »Sie wollen wissen, was Sie als Erstes tun sollen, wenn Sie in Israel gelandet sind? Besorgen Sie sich ein Rückflugticket!«

Danke, aber ich muss dableiben. Worauf soll ich mich einstellen?

»Auf Hitze!«

Dann ist da Zaki, ein Bahai, der mir erklärt, dass seine Familie schon länger in Israel lebt, als es das Land überhaupt gibt. Seit 150 Jahren, um genau zu sein. Bahais, erklärt er mir, dürfen nicht in Israel leben, das verstößt gegen ihre Religion, aber seine Familie tut es trotzdem. Sein Ururgroßvater war Baha’ullahs Koch! Welch eine Ehre.

Der Dritte ist Hamudi, was auf Hebräisch ›Süßer‹ bedeutet, ein arabischer Israeli und Muslim. Hamudi, korrigiert er mich, steht nicht für ›süß‹. »Es ist eine Kurzform von Mohammed.« Vielleicht sollte auch ich mir einen kurzen Spitznamen zulegen. Wie wäre es zum Beispiel mit Tobi?

Ein Lautsprecher verkündet, dass das Gate gleich schließt. Ich gehe zum Gate, die drei Jungs aber rühren sich nicht vom Fleck. Seltsam: Am Gate steht auf einmal eine endlos lange Schlange. Wie haben sich all diese Juden bloß hier hereingeschlichen? Und was machen sie hier eigentlich in Istanbul, haben sie diese Stadt nicht eben noch boykottiert? Womöglich sind die israelischen Medien doch nicht so gut informiert.

An Bord habe ich den Eindruck, dass das Flugzeug vor lauter auserwähltem Volk aus allen Nähten platzt. Wusste gar nicht, dass es überhaupt so viele Juden auf der Welt gibt.

Bis auf ein paar Sitze ist der Flieger rappelvoll. Als gerade die Türen geschlossen werden, schlurfen die drei Musketiere aus dem Wartebereich herein. Neben mir ist ein freier Platz, hinter mir einer und vor mir ein weiterer. Wo also werden sich die drei hinsetzen? Sie schauen mich an, als wäre ich ein CIA-Agent, der die Sitzplatzbelegung dieses Flugzeugs bereits vorher kannte.

Da ich anscheinend ein so wichtiger Mann bin, sagt mir Hamudi: »Israel behandelt Muslime und Juden im Flughafen unterschiedlich. Muslime werden aufgehalten und befragt, wenn sie in Israel landen.« Er bereitet sich vermutlich innerlich darauf vor, nach der Landung zur Seite gebeten zu werden.

Wir landen kurz nach drei Uhr nachts, und das israelische Sicherheitspersonal hält nur einen Passagier für eine Befragung auf. Nicht den braunhäutigen Hamudi, sondern eine junge blonde Dame.

Hamudis und meine Blicke kreuzen sich, und ich sehe, dass er einigermaßen enttäuscht ist. Auf jede Frage der Sicherheitsleute war er vorbereitet, die aber interessieren sich bloß für eine junge Blondine.

Ich trete aus dem Flughafen. Es ist kühl hier draußen. Die Hitze, mit der ich gerechnet habe, hat sich genauso in Luft aufgelöst wie die blonde Lady.

Es ist schon ein komisches Gefühl, im Land seiner Geburt zu landen. Ich höre Hebräisch, kein Wort Deutsch oder Englisch, und vernehme die vertrauten Klänge meiner Kindheit. Schlagartig verwandle ich mich in ein Kleinkind und sehe mein Leben wie in einem rasanten YouTube-Clip vor mir. Kleinkind, Junge, Jugendlicher; die Person, die ich einst war, und die Jahre, die vergangen sind, ziehen an mir vorüber.

Allmählich komme ich wieder zu mir und mache mich auf die Suche nach einem Taxi, das mich zu meinem Wohnsitz für die nächsten sechs Monate bringen wird. Mein Ziel: ein Templerhaus in der deutschen Kolonie in Jerusalem.

Ich hörte in New York von diesem Haus. Es wurde von deutschen Templern erbaut, die vor langer Zeit in der Hoffnung ins Heilige Land kamen, hier Jesus Christus persönlich begrüßen zu können. Solche Geschichten mag ich und mietete das Haus deshalb an.

Von Deutschland zur deutschen Kolonie. Wunderlich sind die Wege des Herrn.

In meinem neuen Zuhause angekommen, gönne ich mir eine kurze Ruhepause und breche anschließend auf, um auf den Straßen zu wandeln, die ich vor so vielen Jahren hinter mir gelassen habe.

An einer Mauer in einer nahe gelegenen Straße sehe ich folgenden Anschlag: »Entschuldigung: Ist Gott mit Ihrer Kleidung zufrieden?«

Woher soll ich das wissen?

Dann erblicke ich dieses Plakat: »Barmherziges Volk Israel, bitte betet für meinen Vater, dass er sich von seinem iPhone und dem Internet trennt und unsere Familie intakt bleibt.«

iPhone raus, das muss ich fotografieren.

Wir sind hier nicht in Hamburg oder in Istanbul; dies ist eine Heilige Stadt.

Ja, das hier ist Jerusalem. »Jeruschalajim«, wie die Juden die Stadt auf Hebräisch nennen, »Al-Quds«, wie die Araber sie auf Arabisch nennen, und »Jerusalem«, wie die meisten anderen sie nennen.

Als ich Israel vor über 30 Jahren verließ, war meine erste Station das Amsterdamer Rotlichtviertel. Bei meiner Rückkehr zieht es mich zuerst in die Altstadt.

1. STATIONWas passiert, wenn die weibliche Seite Gottes, der Sohn Gottes und der Gesandte Gottes eine sexy junge Deutsche treffen, die den Arabern hilft, weil sie die Juden liebt?

»Don’t Worry, Be Jewish« und »Free Palestine« steht auf zwei der vielen gegensätzlichen T-Shirts, die mir in einem Souvenir- und Klamottenladen auffallen, nachdem ich auf der anderen Seite jener Stadtmauer angekommen bin, die der osmanische Sultan Süleyman der Prächtige auf den zerstörten Mauern früherer Zeiten um die Altstadt herum errichten ließ.

Innerhalb der Mauern, dort wo ich herumspaziere, ist der Suk. Was ist ein Suk? Die meisten Wörterbücher definieren dieses Wort als Markt, aber nur deshalb, weil den Übersetzern eine lebhafte Vorstellungskraft abgeht. Eine bessere Übersetzung wäre »antike Shoppingmall«. Jawohl. Aber kommen Sie besser nicht hierher, wenn Sie auf der Suche nach einem pinken Bikini oder einem iPhone sind; für so etwas ist das hier nicht der richtige Ort. Man sollte hierherkommen, wenn man nach einer Jungfrau Maria aus nativem Olivenholz sucht – bitte fragen Sie mich nicht, was das ist – oder wenn man in der Stimmung ist, Gewürze zu riechen, die es sonst nur im Himmel gibt. Die Architektur dieses Suk wird Sie an Legenden und Mythen glauben lassen. Dieser Suk ist ziemlich düster, aus uralten heiligen Steinen erbaut, mit Gewölben und Bögen, wohin man schaut, und wenn die Händler nicht für alles, worauf das Auge fällt, Mondpreise verlangen würden, könnte man meinen, man sei im Paradies.

Wobei, ein Rotlichtviertel würde hier eigentlich sehr gut hinpassen. Ich jedenfalls kann es mir lebhaft vorstellen.

Ein paar Schritte vor mir steht eine Gruppe junger Männer und Frauen. Es scheinen Touristen zu sein, mit Fotoapparaten und Stadtplänen, und ich hänge mich an sie dran. Keine Ahnung, wo sie hinwollen, aber da sie offensichtlich an einer bezahlten Führung teilnehmen, lohnt es sich wahrscheinlich, und ich mische mich unter die Gruppe.

Bald wird mir ihr Ziel klar. Sie wollen sich den Klagemauertunnel ansehen, der entlang der Westmauer führt, einem Überrest der heiligsten Stätte des Judentums. Auch unter dem Namen Klagemauer bekannt, ist dies der Ort, an dem sich seit den letzten 2000 Jahren die Schechina befindet, die Gegenwart Gottes. Was ist die göttliche Präsenz? Ganz klar ist das nicht, obwohl man sie für gewöhnlich mit der weiblichen Seite Gottes in Verbindung bringt. Einige Mystiker gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, sie sei Gottes Frau.

Ein Mann, vermutlich der Touristenführer, bringt uns zu den archäologischen Pfaden, die tief unter der Erde liegen. Wir sind direkt neben dem Har haBait, dem Tempelberg, auf dem einst der jüdische Tempel stand. Zweimal haben Feinde der Juden den Tempel zerstört, sagt der Mann, aber erst möchte er uns etwas über die Geschichte des Berges selbst erzählen, eine Geschichte, die tausende Jahre vor der Tempelzeit liegt.

Nein, der Times Square ist das nicht, sagt mir meine geniale Intuition. Ich bin in einer anderen Welt. Die Show, die hier gleich geboten wird, hat mit einem Broadway-Musical nichts zu tun.

Der Mann erzählt: »Die ganze Schöpfung nahm hier ihren Anfang. Das Universum wurde auf diesem Berg aus einem Felsen erschaffen, und hier prüfte Gott Abraham, indem er ihn aufforderte, seinen einzigen Sohn zu opfern.« Der biblische Garten Eden befand sich hier, und hier streifte auch der erste Mensch, Adam, umher, bis Gott ihn einschlafen ließ und aus einer seiner Rippen eine Frau erschuf. Und so liefen hier denn auch Adam und Eva nackt durch die Gegend, liebten sich Tag und Nacht und begründeten die Menschheit. Auf diesem Heiligen Berg also wurden die Sexualhormone aktiv. Genauer betrachtet heißt das ja, dass hier das erste Rotlichtviertel der Geschichte entstand.

Nein, im Ernst: Hier liegen die Anfänge Ihrer und meiner Kultur. Ganz gleich, ob Sie oder ich an Gott glauben oder nicht, ist dieser Berg der Ort, an dem die Grundlagen unserer gemeinsamen Kultur entstanden. Ohne diesen Berg und ohne dieses Land gäbe es kein Judentum, kein Christentum, keinen Islam, keine europäische Kultur, keine amerikanische Kultur, keine ›westliche‹ Kultur, wie wir sie kennen, und keine ›östliche‹ Kultur, wie sie heute praktiziert wird. Ohne diesen Berg und das, was auf und unter ihm stattfand, könnte immer noch Buddha auf die Welt gekommen sein, könnte es immer noch Kannibalen geben und könnten Sie und ich heute fanatische Anhänger des Elefanten, des Steins, des Winds oder der Sonne sein.

Wir sind am Anfang des Tunnels, und der Mann, der in der Tat ein Fremdenführer ist, bedient sich hölzerner Miniaturen, die er vor sich, und einer Videoanimation, die er hinter sich hat. Er erklärt uns alles, während Bilder des zerstörten Tempels auf dem Bildschirm und in Form eines Holzmodells auf dem Tisch vor ihm erscheinen. Er erzählt uns, dass der zweite Tempel, der im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde, seinerseits auf den Ruinen des ersten Tempels errichtet worden war, den die Babylonier 586 v.Chr. zerstört hatten:

»Genau hier, wo wir stehen, wurde der Tempel bis auf die Grundfesten niedergebrannt.«

Auf dem Bildschirm sehen wir, wie loderndes Feuer den zweiten Tempel verzehrt.

»Der Tempel wurde von König Herodes erbaut, der eine unbekannte Zahl von Fachkräften beschäftigte, um dieses massive, prachtvolle, kolossale Bauwerk zu errichten.«

Langsam zerfällt der Videotempel in Stücke – bis auf eine Mauer. Der Fremdenführer nimmt ein kleines Holzgebilde in die Hand, eine Moschee, und stellt sie auf die Ruinen.

»Viele Jahre später errichteten die Muslime direkt auf dem zerstörten Tempel eine Moschee.«

In der Tat, das ist keine Broadway-Show. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Off-off-off-Broadway-Vorstellung. Eine Show aber ist es nicht. Die kleinen Bilder, mit denen dieser Reiseführer hantiert, haben schon Millionen von Menschen das Leben gekostet. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass viele weitere Millionen diese Tradition auch in Zukunft fortsetzen werden.

Ein Mann in einem »Peace«-T-Shirt hört aufmerksam zu. Ein jugendlicher Tourist gähnt; vermutlich vermisst er seine Facebook-Freunde.

»Hat irgendjemand Fragen?«, fragt der Führer.

Als ich noch ein frommer Knirps war, habe ich mich immer über zwei biblische Statuen gewundert, die Cherubim, die sich in einem als »Allerheiligstes« bezeichneten Bereich des Tempels befanden: Wenn Statuen im jüdischen Glauben absolut verboten sind, warum gab es sie dann im Tempel, in Gottes ureigenem Haus?

Ich frage den Reiseleiter, der hier Holzmodelle 2000 Jahre alter Bauwerke einsetzt, ob er zufälligerweise nicht auch Miniaturmodelle der Cherubim hat.

Dem »Peace«-Touristen gefällt meine Frage.

»Woher kommen Sie?«, fragt er mich, als hätte er gerade den erstaunlichsten Menschen der Welt getroffen.

Aus Deutschland, sage ich.

Tut mir leid, aber ich habe nun mal diese seltsame Angewohnheit, dass ich gerne mit meiner Nationalität spiele. Durch eine Laune der Natur habe ich einen ›unbestimmbaren‹ Akzent, so dass man mir wunderlicherweise glaubt, wenn ich mich als Österreicher, Bulgare oder Chinese ausgebe, oder was mir sonst gerade in den Sinn kommt. Nun las ich aber unlängst von dieser internationalen Umfrage, der zufolge die Mehrheit der Befragten Deutschland für das tollste Land der Welt hält. Warum sollte ich also dieser Tage nicht ein Deutscher sein?

Mr. Peace aber mustert mich vollkommen enttäuscht. Er mag Deutschland nicht, das sehe ich und bin ein bisschen verschnupft.

Und Sie, woher kommen Sie?

»Aus Großbritannien«, sagt er mit stolzgeschwellter Brust und geht auf Abstand zu diesem hässlichen Deutschen.

Zu schade, dass wir Deutschen den Zweiten Weltkrieg verloren haben.

Okay, ich stamme nicht aus Deutschland, sondern aus Israel und interessiere mich für Cherubim. Von denen der Reiseleiter aber leider keine hat. Sorry. Vielleicht sind die Cherubim, die in der Bibel als geflügelte Wesen dargestellt werden, ja gerade ausgeflogen.

Der Reiseleiter führt uns nun durch das schier endlose Tunnelsystem und lässt sich dabei immer ausführlicher über die erstaunlichen Fertigkeiten aus, mit denen König Herodes diese Stätte errichtete. Er spricht von Herodes, als ob dieser noch lebte. »König Herodes beschließt« und »König Herodes baut« und »König Herodes will« – in der Gegenwartsform. König Herodes, lässt er uns darüber hinaus wissen, ist ein Genie in Geometrie und ein Größenwahnsinniger: Er will den spektakulärsten Tempel aller Zeiten bauen.

Während die Tunnel immer abgefahrener werden – kein Sonnenstrahl dringt hier herein, nicht einmal ein Starbucks- oder Jacobs-Kaffee ist hier erhältlich –, erfahren wir, dass Herodes auch ein sehr bösartiger Mensch ist. Er tötet fast alle Rabbiner in der Gegend. »Fast« bedeutet, dass er einen am Leben lässt, aber nicht, bevor er ihm die Augen ausgestochen hat.

Ein echter Sympathiebolzen.

Wir kommen an einem Abschnitt der Mauer vorbei, der aus einem einzigen Felsblock von 13,3 Metern Länge und 580 Tonnen Gewicht besteht. Kräne gab es damals noch nicht, und ich kann mir nicht im Traum vorstellen, wie König Herodes das hinbekommen hat.

Länge der Westmauer einschließlich der Abschnitte, die man nur von hier unten aus sehen kann: ein halber Kilometer.

Einfach erstaunlich.

Warum hat sich der Nichtjude König Herodes die Mühe gemacht, so einen riesigen Kasten hier hinzustellen?

»Er war Jude.«

Ist das der Grund, warum er alle Rabbis tötete, mit Ausnahme des einen, den er blendete?

»König Herodes trat zum jüdischen Glauben über.«

Das ist eine bedeutsame Antwort: Gebürtige Juden stechen einander nicht die Augen aus, das tun nur die Heiden.

Warum sollte ein Rabbinermörder und Augenausstecher einen Tempel errichten?

»Das ist eine lange Geschichte.«

Erzählen Sie sie mir!

Unser Führer lässt sich nicht zweimal bitten.

Nachdem König Herodes mit den Rabbinern fertig war, verkleidete er sich als einfacher Mann und schlenderte an dem Rabbiner vorbei, den er mit größtem Vergnügen geblendet hatte, und stellte ihm eine Frage: Würde der Rabbi einem Einfaltspinsel wie ihm zustimmen, dass König Herodes ein schrecklicher Mensch ist und man ihm deshalb den Gehorsam verweigern solle? Der blinde Rabbi antwortete: König Herodes ist unser König, wir schulden ihm Gehorsam.

Beeindruckt und ergriffen, fragte er den Rabbi, was König Herodes denn tun müsse, um sich von den furchtbaren Dingen zu entsühnen, die er den Rabbinern angetan hatte. Der Rabbi erwiderte, dass dem König vergeben würde, wenn er den Tempel wiederaufbaute.

König Herodes ging unverzüglich ans Werk und errichtete den zweiten Tempel. 516 v.Chr. wurde er fertig.

Gute Geschichte, muss ich schon sagen.

Gegen Ende der Führung spreche ich mit Osnat, einer der Touristinnen.

Sagen Sie mir in einem Satz: Was ist »Israel«?

»Oh, das ist keine leichte Frage. Darüber muss ich nachdenken.«

Nicht nachdenken, sondern frei von der Leber weg!

»Die Israelis kümmern sich umeinander.«

Andere Völker, die Deutschen etwa, tun das nicht?

»Nein.«

Nur die Juden haben diese Eigenschaft?

»Ja.«

Bevor ich Deutschland verließ, gab mir ein berühmter Deutscher folgenden Tipp: »Die Israelis«, sagte er mir, »sind das einzige Volk auf Erden, das sich nicht um andere Menschen kümmert. Wenn Sie dort sind, versuchen Sie herauszufinden, warum das so ist.« Er und diese Frau ergäben ein perfektes Paar.

Oberhalb des Tunnels befindet sich die Klagemauer, die man von so vielen Bildern kennt: eine Mauer, an der Juden beten. Sie stehen da, voller Ehrfurcht vor der Schechina, und beten zu Gott. »Mögest Du den Tempel rasch wieder aufbauen, noch zu unseren Lebzeiten. Amen.« Hoffentlich muss dafür nicht erst jemand geblendet werden.

Andere, kultiviertere Menschen schreiben Notizen und stecken sie in die Ritzen zwischen den Steinen der Mauer. Wenn man einen Brief an Gott schicken möchte, ist das besser als die Post, weil Seine Schechina den Brief sofort erhält.

Auf dem Platz vor der Klagemauer geht eine Gruppe amerikanischer Juden an mir vorüber. Sie lieben es, Hebräisch zu sprechen, ihre Art von Hebräisch. Hören Sie den mal, wie er zu seinem Freund sagt: »Lass uns gestern Nacht treffen, okay?«

Die Klagemauer ist nur ein winziger Teil jener riesigen Anlage, die heute als Al-Aqsa bekannt ist und nach der Al-Aqsa-Moschee auf dem Al-haram asch-Scharif (dem jüdischen »Tempelberg«) benannt wurde. Am nächsten Tag besuche ich die (ungefähr) 679 als drittes Heiligtum des Islams errichtete Al-Aqsa-Moschee, um ihr meine Aufwartung zu machen. Immerhin fuhr der Gesandte Gottes, Prophet Mohammed, von diesem Ort aus in den Himmel empor, nachdem er auf einem himmlischen Tier aus Mekka hier angekommen war. Ich selbst komme mit dem Taxi.

Der Taxifahrer versucht, Hebräisch mit mir zu sprechen, weil er mich für einen Juden hält, woraufhin ich ihm bedeute, dass er völlig falsch liegt. Sofort wechselt er ins Arabische und fragt mich, ob ich an »dem Tor« aussteigen möchte. Ich habe keine Ahnung, von welchem Tor er spricht, frage aber nicht nach und sage einfach ja.

Binnen Minuten erreichen wir eine Straße in Ostjerusalem, und er sagt mir, wir seien da.

Wo ist das Tor? Allah weiß es gewiss, ich aber nicht.

Ich gehe die Straße entlang und versuche, so etwas wie ein Tor zu finden.

Warum hat der Taxifahrer mich nicht direkt vor dem Tor abgesetzt? Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist dies: Hier ist ein Tor. Und vor dem Tor stehen Polizisten. Israelische Polizisten.

»Sind Sie Muslim?«, fragt einer von ihnen.

Bin ich, antworte ich wie aus der Pistole geschossen.

»Kennen Sie den Koran?«

Aber selbstverständlich!

»Zeigen Sie’s mir.«

Wie in aller Welt soll ich ihm das zeigen? Und warum? Allerdings hat er eine Waffe und ich nicht. Also sage ich: Aschhadu an la ilaha illallah wa aschhadu anna Muhammad ar-rasul-lallah. (Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Allah gibt, und ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist.) Das ist das Glaubensbekenntnis. Wenn jemand diesen Satz ausspricht, wird er nach islamischem Recht zu einem Muslim – falls er es nicht schon ist.

Dies sollte den Waffenbesitzer zufriedenstellen. Das Problem ist nur, dass Polizisten keine Imame und religiöse Gesetze nicht ihr Fachgebiet sind. »Sagen Sie die Fatiha!«, bellt er mich an wie einen jüdischen Hund.

Meine Islamstudien liegen lange zurück, und ich erinnere mich nicht mehr genau, nur noch an den Anfang.

Ich versuche es trotzdem. Und sage: Bi-smi llahi r-rahmani r-rahim, al-hamdu li-llahi rabbi l-alamin (Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Lob sei Allah, dem Weltenherrn.)

Das sollte reichen, denke ich. Der Polizist aber sagt: »Weiter!«

Für wen hält er sich, für Allah? Warum sollte ich ausgerechnet ihn anbeten?

Das tue ich nicht, woraufhin er mit seinem Kollegen erörtert, warum ich mich so merkwürdig verhalte. Sie reden und reden und kommen schließlich zu der Entscheidung: »Sie sind Christ. Zutritt verboten.«

Aber ich möchte zu Allah beten!

Nun, sagen sie, wenn ich so sehr beten möchte, soll ich die Moschee durch den Eingang für Juden und Christen betreten. Aber der Eingang für Ungläubige, protestiere ich, schließt um elf Uhr, also in 55 Minuten.

Die Polizisten lässt das unbeeindruckt. Von hier aus sind es zu Fuß 29 Minuten, sagt einer von ihnen und zeigt mir, welche Straße ich nehmen muss.

Ich sehe den Namen der Straße. Via Dolorosa.

Ich soll den Weg dieses alten Juden gehen, den Leidensweg Christi.

Ich gehe. Gehe und gehe. Gehe 29 Minuten, doch ein Eingang für Ungläubige ist nirgends in Sicht.

Aber, ein paar Meter vor mir, ein anderer Eingang – nur für Muslime. Ich schwöre meine Treue zum Propheten so lautstark, dass sogar der israelische Ministerpräsident in Westjerusalem es hören kann, aber der Polizist am Eingang ist offensichtlich taub und bellt mich an: »Fatiha!«

Nicht schon wieder!

Ich versuche es noch einmal und rezitiere den Anfang der Fatiha im Eiltempo, so wie manche chassidischen Juden in ihren Synagogen Gebete rezitieren, wenn sie nur deren Anfang laut aufsagen – bloß kennt dieser Polizist keine chassidischen Juden, sondern fordert mich auf: »Nicht aufhören, weiter im Text!«

Ich starre ihn an, als hätte er gerade meine tiefsten religiösen Gefühle verletzt.

Er mustert mich und ist offensichtlich überfragt, mit was für einem Geschöpf er es hier zu tun hat. Das muss er erst einmal mit seinem Kollegen auf Hebräisch erörtern.

Sie diskutieren, was für einer ich wohl sein könnte, und kommen zu dem Schluss: halb Muslim, halb Christ.

Sie weisen mir den Weg: Via Dolorosa.

Aber ich bin ein Muslim, väter- wie mütterlicherseits! protestiere ich. Ich flehe gewissermaßen um mein Leben, so wie Jesus die römischen Machthaber um sein Leben angefleht haben muss.

»Zeigen Sie mir Ihren Pass«, sagt der Polizist versöhnlich.

Ich habe keinen Pass.

»Via Dolorosa!«

Da ich offensichtlich keine andere Wahl habe, nehme ich den Kreuzweg des alten Juden wieder auf, bis ich tatsächlich den Eingang der Ungläubigen erreiche. Endlich bin ich drin.

Ich mache eine kurze Verschnaufpause, um nachzudenken.

Südtirol ist das hier nicht, sage ich mir. Die Israelis sind keine Italiener und die Araber keine Tiroler. Hier diktieren die Besetzten, die Araber, den Besatzern, den Juden, dass sie, die Juden, sie, die Araber, vor ihren Brüdern, den anderen Juden, und vor den Christen beschützen müssen.

Ich bin auf dem Vorplatz der Moschee. Zu meiner Rechten erhebt sich ein silberner Bau und zu meiner Linken der mit der goldenen Kuppel. Ich wende mich an einen Muslim und frage ihn, auf Arabisch, welcher der beiden die Al-Aqsa-Moschee ist. Worauf er natürlich sofort mit der Frage reagiert, ob ich Muslim bin, was ich natürlich sofort bejahe. Russe? fragt er. Nein. Deutscher. Er strahlt mich an. Willkommen! Die Al-Aqsa ist das silberne Gebäude, das goldene ist der Felsendom. Am Fels unter dem Dom, so erzählte es uns doch gestern der jüdische Fremdenführer, da begann die Welt.

Ich gehe hierhin und dorthin und schaue mir den Platz und das ganze Drumherum an. Hier sieht es wirklich aus wie im Paradies. Alle paar Schritte stößt man auf ein Hinweisschild, mit dem die Gläubigen, freilich nur auf Arabisch, daran erinnert werden, dass Spucken hier verboten ist. Ich bin mir nicht sicher, warum man so viele Spucken-verboten-Schilder braucht, vermute aber mal, dass die Einheimischen eben gerne spucken. Ich weiß es natürlich nicht. Ehe ich’s mich versehe, ist elf Uhr vorbei, und es gelingt mir, der israelischen Polizei zu entgehen, die um diese Zeit die Anlage schon von Nichtgläubigen geräumt hat. In aller Ruhe mache ich mich auf den Weg, um ein wenig für die Araber, die Christen und die Juden zu beten. Als ich am Dom ankomme, packt mich ein Araber am Arm. »Ihre Zeit ist um!«, blökt er mich an. »Raus hier!«

Und bevor nun auch dieser Kerl mich auffordert, die Fatiha zu rezitieren, mache ich auf dem Absatz kehrt. Das reicht für heute.

Ich verlasse die Anlage und schlendere durch die umliegenden Gassen, die von umwerfender Schönheit sind. Da nähere ich mich, ohne dass ich es gemerkt hätte, schon wieder einem Zugang zur Moschee. Ein vielleicht sechsjähriger arabischer Junge hält mich auf: »Sind Sie Muslim?«, will er wissen. Klar doch. Jetzt muss ich die Fatiha schon vor einem Kind aufsagen.

Troll dich und widme dich lieber deinen Facebook-Freunden, fluche ich insgeheim, sage aber kein Wort. Das hier ist eine heilige Stadt und dieses Bübchen am Ende noch ein Prophet. Und das ist das Letzte, was ich jetzt brauche, einen Streit mit einem Propheten.

Ich ziehe weiter, bis ich ein Café entdecke, das von hiesigen Muslimen frequentiert wird.

Auch ich bin von hier, ein deutscher Templer, der in der Heiligen Stadt auf die Ankunft des Messias wartet, wofür ich, bis es denn so weit ist, Kaffee brauche, um mich bei Kräften zu halten.

Ich trinke eine Tasse nach der anderen. Der arabische Kaffee, das dürfen Sie mir glauben, schlägt jeden Starbucks, Jacobs und auch jede beliebige italienische Sorte, die ich je probiert habe.

Ich trinke so viel Kaffee, dass ich irgendwann ein Bedürfnis verspüre.

Ich frage die Bedienung nach der Herrentoilette.

»Sind Sie Muslim?«, fragt er mich.

Ja, bin ich, bei Allah!

Ich bekenne mich heute öfter zum islamischen Glauben als der eiferndste Taliban in Afghanistan.

»Gehen Sie zur Al-Aqsa.«

Da war ich, aber die jüdische Polizei hält mich nur für einen halben Muslim. Die gehen mir auf die Nerven!

»Zeigen Sie ihnen Ihren Pass.«

Den habe ich nicht dabei.

»Dann müssen Sie zur jüdischen Mauer gehen.«

Ich gehe vom Café aus in Richtung jüdische Mauer und sehe arabische Graffiti auf einer arabischen Mauer neben dem Café: »Bald wird Al-Quds frei sein!«

»Al-Quds« (die Heilige) ist Jerusalem. »Frei« heißt frei von Juden.

Und ich frage mich: Wer wird die Moscheen vor Leuten wie mir beschützen, wenn die Juden erst einmal weg sind?

Weiß Allah.

Drei kleine, vielleicht fünfjährige Mädchen kreuzen meinen Weg. Schön sehen sie aus, wie kleine Engel, und tragen alle einen Hidschab. So jung noch, und schon sieht man in ihnen eine sexuelle Versuchung.

Ich brauche jetzt dringend eine Toilette und möchte keine Kirchen oder jüdischen und arabischen Mauern aufsuchen. Es muss hier doch irgendwo eine Toilette geben, es können doch nicht alle Menschen in dieser Stadt in den Behausungen ihrer Götter pinkeln.

Ich bin wild entschlossen, ein nichtreligiöses Klo zu finden.

Ich gehe weiter, bis ich an einem Haus vorbeikomme, vor dem ein Mann sitzt, der so aussieht, als würde er es bewachen. Wenn er dieses Anwesen bewacht, denke ich mir, muss es schon ein ganz ordentliches Anwesen sein, mit einer ordentlichen Toilette darin.

Logisch, oder?

Ich hänge mich an einen Mann, der freundlich mit dem Wächter spricht, als gehörten der Mann und ich zu einer Familie, und bin drin.

Keine Toilette in Sicht, dafür aber ein Seminar.

Eine Tafel an der Wand verkündet, dass wir uns in der Al-Quds-Universität befinden. Eine Universität muss über eine Toilette verfügen, denke ich mir, kann aber leider niemanden fragen, weil alle einer Vorlesung lauschen.

Also muss ich wohl noch eine ganze Vorlesung lang durchhalten und setze mich dazu.

Die Vorlesung, Teil einer von Europäern finanzierten Reihe, ist ziemlich interessant. Hier erfahre ich etwas über die Intifada, über die Besatzung, über Würde, über die Erfahrung »der Verweigerung ihrer Grundrechte«, die die Palästinenser machen, das alles enthusiastisch vorgetragen von palästinensischen Experten aus Europa. Während einer kurzen Pause verrät mir einer der Vortragenden, ein Brite, dass er eigentlich Palästinenser ist und aus Galiläa stammt. Damit sind Sie eigentlich ein Israeli, oder? frage ich ihn. Nein, sagt er. Ein Brite? Auch nicht. Er lebt in Großbritannien, wird von Europäern bezahlt, und seine Mission ist es, Palästina zu befreien. Bevor er aber Palästina befreit, brauche ich eine Toilette.

Gibt es hier eine Toilette, Professor?

»Ja, gehen Sie eine Etage höher, sie sind nicht zu übersehen.«

Großartig. Ich gehe hoch.

Die Toilette ist sauber, und ich kann sie benutzen, ohne die Fatiha aufsagen oder mir eine Kippa aufsetzen zu müssen.

Anschließend kehre ich zur Vorlesung zurück.

Es gibt einige Professoren hier, dazu Essen und Getränke so viel man will, alles gütigst bezahlt von großzügigen Europäern.

Anzahl der Palästinenser, die die Vorlesung besuchen: zwei. Dies ist die einzige Universität der Welt, in der jeder Student eine ganze Handvoll Professoren für sich alleine hat.

An einer Wand hängt das Bild eines Olivenbaums mit der Aufschrift: »Wir bleiben hier.«

Ein Laptop und ein Projektor sind im Einsatz. Der Redner spricht Arabisch, projiziert seine Folien aber auf Englisch. Wie bei dem Führer an der Klagemauer kommt es auch hier auf die Technik an, um eine gute Geschichte zu erzählen. Auch eine Videokamera sehe ich, dem Anschein nach ein teures Modell, das aber heute nicht gebraucht wird. Morgen vielleicht.

Auf dem Platz neben mir sitzt niemand, sondern liegt nur ein Buch, ein juristisches Buch von Raja Shehadeh, veröffentlicht vom »Institute for Palestine Studies« in Washington, DC. Sein Titel: Occupiers Law: Israel and the West Bank (Besatzungsrecht. Israel und das Westjordanland).

Herausgegeben, heißt es da, wurde es von der Internationalen Juristenkommission in Genf.

Ein trockenes Lehrwerk, wie ich es erwartet hatte, ist das nicht, sondern ein echt deftiges Buch über die israelische Grausamkeit gegenüber den Palästinensern, die Misshandlung arabischer Häftlinge, die Schikanen gegen palästinensische Studenten, die Zerstörung von Häusern und alle möglichen anderen Dinge, die nicht gut zu Kaffee und Backwerk passen.

Auf dem nächsten leeren Stuhl liegt noch ein Buch: Der Cambridge Companion to Hannah Arendt.

Was macht die denn hier?

Nachdem es ja praktisch keine Studenten hier gibt, entzündet sich eine lebhafte Diskussion zwischen den Gastprofessoren, die sich miteinander unterhalten müssen, weil die beiden anwesenden Studenten sich für nichts interessieren, nicht für die Besatzung und nicht für das Leid. Sehr leidend schauen sie mir auch nicht aus, aber was weiß ich denn schon. Ich bin ja nur hier, weil ich pinkeln musste, und zufällig über diese gelehrten Männer und Frauen gestolpert.

Um die Diskussion der Damen und Herren Professoren optisch zu unterfüttern, wird ein Bild von Frauen im Hidschab und einem Mann an die Wand projiziert. Wenn ich die intellektuellen Ausführungen hier richtig verstehe, dann sind die hidschabverhüllten Ladies glühende Feministinnen.

Und ich bin ein Mormone.

Warum die Europäische Kommission, die diese Veranstaltung finanziert, europäische Professorinnen und Professoren nach Jerusalem einfliegt, um sie miteinander ins Gespräch zu bringen, statt sie in, sagen wir, Südtirol zu bewirten, ist mir ein echtes Rätsel.

Ich wende mich an das nächste Sekretariat, um herauszufinden, was für eine Art von Universität das hier ist, mit zwei Studenten pro Vorlesung.

Ein Mann sitzt an seinem Schreibtisch und beantwortet gerne alle meine Fragen.

»Die Besatzung«, erzählt er mir über die Israelis, »wirft die muslimischen Anwohner aus ihren Häusern in Ostjerusalem und gibt diese dann an Juden.«

Wann? Jetzt?

»Die ganze Zeit!«

Wie viele Häuser?

»Viele!«

Wie viele?

»Überall.«

Wie viele?

»30!«

30?

»30.«

Wie lange sind sie schon hier in der Gegend, die Besatzer? Ich meine, wenn wir von 1967 aus rechnen, dann –

»Nein, von 1948 aus!«

Er spricht von der Gründung des Staates Israel.

Also gut. 1948. 30 Häuser seit 1948 sind weniger als ein halbes Haus pro Jahr –

»Wir können unsere eigenen Häuser nicht renovieren, sie lassen uns nicht!«

Dieses Gebäude hier sieht ziemlich picobello aus und ziemlich renoviert.

»Schauen Sie da oben! Sehen Sie, wie die Farbe abblättert?«

Sehe ich. Auf der Fläche einer halben Buchseite. Können Sie das nicht überstreichen?

»Nein! Die Besatzer lassen uns nicht!«

In diesem Moment spaziert eine junge Blonde herein, und der Mann verliert das Interesse an mir. Schlagartig.

Die junge Schönheit aus der Schweiz erzählt mir, sie sei in diese Gegend gekommen, um Israelis wie Palästinensern zu helfen. Sie gehört zu einer christlichen Menschenrechtsorganisation namens »Ökumenisches Begleitprogramm in Palästina und Israel« (EAPPI) und wird hier die nächsten fünf Monate ihres Lebens ehrenamtlich Juden und Arabern helfen.

Was werden Sie in den fünf Monaten tun?

»Arabisch lernen.«

Die liebreizende Lady heißt Anna Maria und zahlt 800 US-Dollar für einen Arabisch-Intensivkurs. Sie hilft den Juden nicht nur, sondern gibt auch noch Geld für sie aus. Sollte Ihnen das nicht einleuchten – mir leuchtet auch nicht immer alles ein, was manche Schweizer so tun und sagen.

Ich habe Hunger, und Professor Asma, die Koordinatorin der Vorlesungsreihe, ist bereit, mit mir in das beste Restaurant des Viertels zu gehen und mich mit echtem palästinensischem Essen bekannt zu machen.

Auf dem Weg nach draußen fällt mir ein Aushang auf, mit Datum vom Vortag, der verkündet, dass die EU und die UN für ebendieses Gebäude 2,4 Millionen Euro spenden, »um das palästinensische Kulturerbe zu erhalten« und »das Kulturerbe in der Jerusalemer Altstadt zu sichern«. Und weiter: »Das Programm will zur Entwicklung und Sicherung des palästinensischen Kulturerbes beitragen«, wozu auch »Hammam Al-Ayn und Hammam Al-Shifa« gehören.

Was genau verbirgt sich hinter all diesen wundervollen Formulierungen, frage ich mich. Asma verspricht, mir später zu zeigen, was sich dahinter verbirgt.

Wir kehren in einem Restaurant namens Al-Buraq ein.

Wie jeder sehen kann, trägt Prof. Asma keinen Hidschab.

Wieso nicht?

»Zur Zeit des Propheten (Mohammed) wurden die Frauen von den Männern missbraucht, Mädchen wurden getötet, und deshalb riet der Koran den Frauen, den Hidschab zu tragen, ›zu eurem Schutz‹. Aber schauen Sie, was heute passiert: Habe ich einen Hidschab über dem Kopf, wenn ich einen israelischen Kontrollposten passiere, dann schikanieren sie mich. Wenn ich so unterwegs bin, tun sie es nicht.«

Wir studieren die Speisekarte, und sie erzählt mir:

»Mein Mann wollte zusätzlich zu mir eine weitere Frau heiraten. Ich sagte nein. Und jetzt bin ich geschieden.«

Die Karte sieht vielversprechend aus, und die Professorin fährt fort:

»Früher dachte ich, dass die israelischen Linksintellektuellen uns, die Palästinenser, akzeptieren würden, aber heute weiß ich, dass sie es nicht tun. Als ich in Deutschland war, spürte ich, dass sich die Deutschen leidenschaftlich für uns interessieren, dass wir ihnen etwas bedeuten.«

Warum, glauben Sie, unterstützen die Europäer Sie?

»Wenn Europäer hierherkommen, dann führen wir sie an die Orte, wo Jesus lebte und wo die Israelis ihn kreuzigten, und das ist der Grund, warum sie uns unterstützen.«

Die »Israelis« haben Jesus gekreuzigt? Wie kommen die Israelis in diese Geschichte, vor 2000 Jahren?

Ich schreibe auf, was sie gesagt hat, und lese es ihr vor, um sicherzugehen, dass ich sie richtig verstanden habe. Sie bestätigt es.

Wir lassen uns großartige Kebabs und arabischen Kaffee munden, und nachdem wir fertig gegessen haben, führt mich Prof. Asma zu dem Ort, an dem die 2,4 Millionen Euro ausgegeben werden sollen.

Ein Hammam.

Ja.

Vorhin hat man mir gesagt, dass die Israelis der Al-Quds-Universität nicht einmal gestatten, einen Flecken an der Decke zu überstreichen. Aber sie gestatten ihnen, für Millionen von Euro einen Hammam zu rekonstruieren.

Entweder sind die Israelis Idioten oder die Araber Lügner.

Wie auch immer, die interessantere Frage in diesem Zusammenhang ist das Motiv der Europäer. Warum ist es den Europäern so wichtig zu beweisen, dass hier einst Araber lebten, sodass sie bereit sind, Millionen für einen Hammam auszugeben? Hoffentlich werde ich irgendwann in den kommenden sechs Monaten eine Antwort auf diese Frage finden. Vielleicht – nur vielleicht – träumen Europäer von nackten Arabern und zahlen deshalb für ein islamisches Spa.

Unterdessen spazieren die Professorin und ich in dem Bad herum, durch ein Labyrinth schöner Räume des Hammams, das sich im Wiederaufbau befindet. Anschließend führt sie mich aufs Dach, von wo aus sie mir Häuser in der Nähe der Al-Aqsa zeigt, die von der israelischen Regierung beschlagnahmt wurden.

Ich bitte sie, mir mehr über Al-Aqsa zu erzählen. Das tut sie gerne.

»Von Qubbat as-Sachra (dem Felsendom) aus flog der Prophet Mohammed in den Himmel, wo er Gott traf und Gott ihn lehrte, was Muslime tun und was sie beten sollen.«

Sie spricht von der berühmten Nachtreise des Propheten Mohammed, bei der er von Mekka auf einem himmlischen Tier namens Al-Buraq zur »Masdschid al-Aqsa« flog und von dort dann in den Himmel, um Allah zu treffen.

Wie ich ihr so zuhöre, erinnere ich mich plötzlich wieder an alles. Einst wurde die Westmauer von der örtlichen arabischen Bevölkerung »Het al-Mabka« (Klagemauer) genannt, aus Achtung vor den Juden, die hier beim Anblick ihres zerstörten Tempels weinten. Mit dem Anbruch des Zionismus jedoch änderten die Araber den Namen der Mauer in Het al-Buraq ab, Al-Buraqs Mauer. Die Geschichte von den weinenden Juden wurde aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht und durch eine andere Geschichte ersetzt: Als Mohammed in den Himmel auffuhr, band er sein himmlisches Tier an genau dieser Mauer fest, damit es ihm nicht weglief.

Da erscheint ein weiterer Professor, Omar. Omar ist ein netter Typ, warmherzig, umgänglich und mitteilsam. Er ist ganz aufgeregt, erzählt er mir, weil er heute Besuch von einem Reporter der Süddeutschen Zeitung bekommt, der ihn interviewen will. Er ist sich sicher, dass der deutsche Journalist nur Gutes über ihn schreiben wird, und kann das Gespräch kaum erwarten. Er wird dem Deutschen die Wahrheit sagen, zum Nutzen der deutschen Leser, die sich für die hiesigen Belange interessieren. Was ist die Wahrheit? Er verrät sie mir: Die Israelis verhindern, dass er als Palästinenser ein Haus besitzen kann. Ich sage ihm, dass das in der Tat furchtbar ist, und bitte ihn, mir mehr über sich zu erzählen. Er findet Gefallen an mir und vertraut mir an, dass er nicht nur ein Mann des Geistes ist, sondern auch ein Mann mit Geld: Er besitzt ein Haus in Ostjerusalem und ein weiteres im Stadtteil Schuafat.

Es gibt Alkoholiker, und es gibt Ex-Alkoholiker, solche, die mit dem Trinken aufgehört haben. Ich für meinen Teil bin zufälligerweise ein Ex-Intellektueller und zehre von meinem früheren Selbst, um diesen Intellektuellen zu verstehen. Logisch ist es unmöglich, dass ein Mann, der nichts besitzt, zwei Häuser besitzt. Intellektuell aber kann man alles wegerklären.

Prof. Omar gefällt es, dass ich alles so hinnehme, wie er es sagt, und nicht nachfasse. Er fragt mich, ob ich Lust hätte, einen interessanten Film zu sehen, der in dem EU-renovierten Hammam der Al-Quds-Universität gezeigt wird.

Nichts lieber als das.

Der Professor und ich spazieren zum Hammam zurück, wo ich mich auf einen Stein setze. Neben mir sitzen ein paar deutsche Mädchen. Sie sind hier, berichten sie mir, weil sie dem palästinensischen Volk helfen wollen.

Ich plaudere mit einer der deutschen Freiwilligen.

Was hat Sie dazu gebracht, den Palästinensern Ihre Hilfe anzubieten?

»Vor drei Jahren war ich ehrenamtlich in Israel, und ich habe mich in das jüdische Volk verliebt.«

Und deshalb beschlossen Sie, zurückzukommen?

»Ja.«

Vor drei Jahren verliebten Sie sich in die Juden, und deshalb helfen Sie jetzt den Palästinensern?

Sie schaut mich ungläubig an, sichtlich verärgert: »Was wollen Sie damit sagen?«

Ich hätte von meinen Intellektuellenjahren zehren sollen, bevor ich diese Schönheit verärgere.

Gott sei Dank beginnt der Film.

Sein Titel: Das Land spricht Arabisch.

Mittels Archivaufnahmen und dem endlosen Begleitkommentar eines weiteren Professors versucht der Film den Nachweis zu erbringen, dass »Zionisten« ohne ersichtlichen Grund in diesen Teil der Welt kamen und zahllose Massaker an unschuldigen Palästinensern verübten, beispielsweise tausende von Zivilisten mitten in der Nacht im Schlaf abschlachteten. Wen sie nicht töteten, vertrieben sie.

Auf diese Weise wurde 1948 der jüdische Staat gegründet.

Als der Film zu Ende ist, erklärt uns ein Professor das Wesen des Zionismus – für den Fall, dass der Film an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ: »Der Zionismus ist eine kolonialistische, rassistische Ideologie. Anders kann man das nicht erklären.«

Dank der großzügigen Finanzierung der EU, die praktisch alles hier fördert, habe ich heute zweierlei gelernt: Die Israelis haben Jesus gekreuzigt, und die Juden sind brutale Kreaturen.

Morgen, beschließe ich auf der Stelle, schaue ich mir die Christen der Heiligen Stadt an, die geistigen Vorväter der Gründer des heutigen Europa.

Die Grabeskirche. Hier wurde Jesus Christus, Gottes Sohn, begraben, und hier ist er wieder auferstanden von den Toten.

14 Stationen durchlief Jesus in der Via Dolorosa, dem Leidensweg, und ich bin jetzt auf den letzten von ihnen; an den anderen kam ich während meiner Al-Aqsa-Odyssee vorbei.

Zahlreiche Bücher wurden über die Grabeskirche geschrieben, von denen viele die verschiedenen christlichen Konfessionen behandeln, die unablässig um die Kontrolle über dieses Areal streiten. Die Angehörigen dieser diversen Konfessionen, darunter einige Mönche, tragen verschiedenartige Gewänder, auch Kutten, aber ich kann sie nicht wirklich zuordnen, sondern lediglich nach dem modischen Design ihrer Gewänder und Kutten unterscheiden.

Ich laufe um die Grabeskirche herum, treppauf und treppab, und habe mich bald verirrt. Da sehe ich eine Tür, hinter der ein Mann in heiliger Tracht sitzt, und trete ein.

»Dies ist ein Büro«, wird mir von einem bärtigen Mann beschieden, der wie ein Bischof aussieht, in gebrochenem Englisch. Anders gesagt: Verdünnisieren Sie sich! Ich aber bin ein tumber Bursche und verstehe nicht, was er von mir will. Sprechen Sie Hebräisch? frage ich ihn.

»Nein.«

Sprechen Sie Arabisch?

»Nein.«

Sprechen Sie Spanisch?

»Nein.«

Glück gehabt, ich auch nicht.

Sprechen Sie –

»Spreche Griechisch. Ausschließlich.«

Mein Griechisch ist so gut wie mein Spanisch, also versuche ich es auf Englisch und Arabisch mit griechischem Akzent. Vielleicht versteht er irgendetwas.

Ich möchte ihn für die Zeitung interviewen, große Zeitung. Aus Deutschland.

Er lächelt.

Shu esmak (wie heißen Sie)?

»Asimo«, antwortet er.

Ein Bild von Ihnen?

»Nein.«

Ein Bild von Ihnen und mir beim Händedruck, à la Rabin und Arafat?

»Okay. Aber nur ein Bild!«

Ich gehe einen Gang entlang und setze mich in eine Ecke, nur um bald von Priestern gestört zu werden, die mit brennendem Weihrauch umherziehen. Einer kommt und entfernt sich geräuschlos wieder. Dann kommt ein anderer mit Glöckchen, bleibt an bestimmten Stellen stehen und schüttelt sie. Ich überlege, ob sich an diesen Stellen eine Art WLAN-Verbindung zu bestimmten himmlischen Entitäten befindet. Sicher bin ich mir aber nicht. Auch dieser Priester geht wieder ab, und ein Dritter taucht auf. Dieser hier veranstaltet mithilfe einer anderen Art von Glocken ein bisschen mehr Lärm.

Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist das hier der Ort, an dem ursprünglich das Mobiltelefon erfunden wurde, und jeder dieser Priester nutzt eine andere App.

Ich gehe wieder nach oben. Richtung Golgatha, wo Jesus gekreuzigt wurde. Das Neue Testament sagt, Jesus sei außerhalb der Stadtmauern gekreuzigt worden, aber wenn sich Prof. Omar Geschichten aus den Fingern saugen kann, warum dann nicht auch die Christen.

Ich möchte das Grab Jesu besichtigen.

Eine lange Schlange von Menschen, die ich auf eine Zahl zwischen einer und sechs Millionen schätze, steht an, um in die Grabstätte eingelassen zu werden, vielleicht in der Hoffnung, dass auch sie nach ihrem Tod zu neuem Leben erwachen.

Es gibt einen Zutritt an einer Seite des Grabes und einen kleinen Raum an der anderen.

In dem kleinen Raum verkaufen sie Papier an diejenigen, die persönliche Briefe an Jesus richten wollen, was viele hier tun. Wenn sie fertig geschrieben haben, lassen sie ihre Botschaften am Grab fallen, damit Jesus sie lesen kann. Ich weiß nicht, warum sie das tun, zumal Jesus schon vor langer Zeit von den Toten auferstanden ist, und Gott allein weiß, wo er sich heute aufhält. Die Juden, die Briefe an Gott schreiben, sind ein bisschen klüger, sie deponieren ihre Briefe bei Seiner Frau, nicht am leeren Grab Seines Sohnes.

Manche der Briefschreiber versehen ihre Briefe auch mit Geldscheinen. Offensichtlich sind sie der Meinung, dass Jesus ein wenig Bares braucht. Mir ist nicht ganz klar, wie das Bare letztlich seinen Weg zu Jesus findet, aber wie ich sehe, sammeln die griechischen Mönche es gewissenhaft für ihn ein.

Doch gibt es hier neben Bargeld noch andere heilige Dinge.

Ein älterer Mönch nähert sich einer attraktiven Dame und sagt zu ihr, wobei er seinen Kopf und seinen Oberkörper berührt, dass er sehr glücklich ist, weil er Jesus in seinem Geist und in seinem Herzen hat. Weiter sagt er zu der Dame: »Wie ich sehe, ist Jesus auch in deinem Kopf und in deinem Herzen.« Er rückt näher an die Dame heran, presst seine Lippen auf ihr Gesicht und ihren Oberkörper, genau da, wo Jesus seinen Sitz hat, und küsst beides leidenschaftlich.

Genau in diesem Moment des Heiligen Pornos überkommt mich das Bedürfnis dazwischenzufunken. Dieser Mönch ist interessanter als der von vorhin, der wie ein Bischof aussah.

Sehen Sie Jesus auch in meinem Geist und in meinem Herzen? frage ich den Mönch.

»Ja.«

Sicher?

»Ja!«

Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich auch zu küssen? Meinen Kopf und mein Herz, da wo Jesus ist?

Der Mönch wirft mir einen gehässigen Blick zu, aber ich bestehe darauf, dass er Jesus küsst. Er weigert sich. Ich erhebe meine Stimme gegen ihn, zu Ehren des Herrn, und schwöre ihm, dass ich nicht von hier weichen werde, bis er meinen Körper leidenschaftlich geküsst hat, »wie Sie es bei der Lady taten«.

Die Dame bekommt unseren Wortwechsel mit und verlangt umgehend von ihm, dass er mich küsst.

Er tut es. Mönche gehorchen Damen.

Die Frau, die sich als Olga vorstellt, lacht lauthals.

Ich fordere leidenschaftlichere Küsse, während Olga ihn mit strengem Blick fixiert.

Als der Mönch sich mit seinen Lippen meinem Kopf nähert, um mir einen heißen Kuss zu geben, kommt eine junge blonde Frau vorbei. Noch während er mich küsst, wendet der Mönch seinen Kopf dem weiblichen Neuankömmling zu.

Ich kann mir schon denken, was dieser Mönch mit der Blonden machen würde, wenn er nicht damit beschäftigt wäre, mich auf Olgas Befehl zu küssen.

Die sexuellen Gelüste von Mönchen, die ein Grab bewachen, scheinen mir ein überaus interessantes Thema zu sein, das ich gerne weiter vertiefen würde. Ich mache mir eine geistige Notiz, dass ich auf meiner Reise durch dieses Heilige Land noch mehr Mönche treffen muss. Jetzt aber schwatze ich erst einmal mit ein paar von den Besuchern. Interessanterweise erzählt mir einer von ihnen, dass sich das echte Grab Jesu nicht hier befindet, sondern an einem Ort namens »Gartengrab«.