Alles für die Katz - Hubert vom Venn - E-Book

Alles für die Katz E-Book

Hubert vom Venn

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Beschreibung

Kater Theo ist auch nur ein Mensch – pardon ein Tier. Daher findet er es höchst unverschämt, dass man ihn unweit der Mosel einfach aussetzt. Doch Theo will nach Hause und macht sich auf den abenteuerlichen Weg nach Monschau. Bei seiner Wanderung lernt er die unterschiedlichsten Typen kennen und die Frage kommt auf, ob er jemals sein Ziel erreicht? Dieses Buch vermittelt auf lustige aber auch auf ernste Weise, die Welt der Menschen aus der Sicht eines Katers.

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© 2002 eBook-Ausgabe 2011RHEIN-MOSEL-VERLAG Zell/Mosel Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542/5151, Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-787-9 Korrektur: Thomas Stephan Titelbild: Sabine Weiss

Hubert vom Venn

Alles für die Katz

Kater Theos abenteuerliche Eifelwanderung

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Für Archie, Leo und Theo – unsere Kater, die mir alles erzählt haben …

FAMILIEN-BANDE

Die Menschen sangen viel zu laut von stillen Nächten.

Als danach der muffige Karton, in den »er« mich gestopft hatte, geöffnet wurde, glotzten mich vier Gesichter gleichzeitig an.

Ich stand unter einem leuchtenden Baum, der eindeutig nach Piesel roch, das ich allerdings nicht kannte. Aus der Erinnerung würde ich heute sagen, es war Reh – auf keinen Fall Katze. Da fehlte einfach unsere Deftigkeit …

Aber halt, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt!

Ich heiße Theo, bin ein schwarzer Kater – wenn man einmal von den weißen Stellen um meine Nase, meinen Hals und meine Füße absieht. Von meiner Herkunft kann ich nur wenig erzählen. Ich erinnere mich lediglich, dass mich Kinder aus einer Mülltonne mit Fischresten fischten und ausriefen: »Den bringen wir ins Tierheim Monschau!«

Monschau – damals wusste ich natürlich noch nicht, dass ihr Menschen Dörfer und Städte bewohnt und diesen auch noch Namen gebt.

Im »Tierheim Monschau« verbrachte ich einige sehr nette Wochen mit regelmäßigem Futter – das ist mir immer das Wichtigste. Der Frieden wurde nur hin und wieder von einer dickleibigen Frau gestört, die sich immer mit den gleichen Worten vorstellte: »Juhu, die Nettefraubongard von der ›Katzenhilfe Nordeifel‹ ist wieder da!«

Die Nettefraubongard nahm mich dann hoch und rief immer den gleichen Satz: »Huch, was ein nettes Kerlchen!«

Dann ließ sie mich wieder auf den harten Boden meines Zwingers fallen, um ihren Lieblingssatz loszuwerden: »’nen Kater unterzubringen ist gar nicht so einfach!«

Eines Morgens, die Nacht war verdammt kalt gewesen, erschien ein Mann, der würdevoll wie ein Pfau die Zwinger abschritt und uns Katzen unter die Lupe nahm. Bei mir blieb er stehen: »Den da, ja ich glaube, das ist er! Der scheint sauber und ordentlich zu sein.«

Willi, unser Pfleger, schob schnell nach: »Ja, ja, ein sehr gepflegtes Tier! Und so ordentlich.«

Willi brachte mich zu einem dieser rollenden Dinger, die von euch »Auto« genannt werden. Viele Fenster hatte das Teil und ich freute mich schon auf eine gemütliche Fahrt, bei der ich mir auf der Ablage die verschneiten Wiesen anschauen wollte. Doch der Mann steckte mich einfach hinten in einen dunklen Raum, in dem es schlimm roch. Ich glaube, nach Hund. Wenn nicht sogar nach Dackel …

Ekelhaft!

Ich glaubte fest, dass mein letztes Stündchen schlagen würde. Im Tierheim hatte mir nämlich eine ältere Katze erzählt, dass die Menschen uns in Säcke stecken und dann ins Wasser werfen.

Doch der Mann schmiss mich in keinen Bach, der in Monschau übrigens Rur heißt. Aber auch das erfuhr ich erst viel später – unter recht traurigen Umständen.

Erlaubt mir an dieser Stelle einen kleinen Einwurf.

»Monschau« und »Rur«, ihr habt bestimmt gemerkt, dass ich gerne mit meinem Wissen prahle, an anderer Stelle aber eher bescheidene Beschreibungen wie »rollende Dinger« abgebe. Natürlich weiß ich inzwischen auch, dass es »Auto« oder »Audi Quattro« heißt – aber mir gefallen meine Formulierungen oft besser. Gestattet mir also die Freude, wenn ich – trotz besserem Wissen, das betone ich noch einmal – lieber die Dinge auf meine Art beschreibe. Ihr werdet es noch merken …

Der Mann fuhr mit dem »Auto« direkt in ein Zimmer, in dem fein ordentlich sauberes Werkzeug nach der Größe geordnet an der Wand hing und sich die »rollende Kiste« ausruhen sollte. Als der Unbekannte den dunklen Raum öffnete, war er nicht mehr alleine. Eine Frau mit hellen Haaren stand neben ihm und wollte wissen, ob ich auch geimpft und stubenrein sei. Das Letzte, was ich an diesem Morgen von ihr hörte, waren geflötete Worte, die aber sehr scharf klangen: »Dass sich die Kinder auch unbedingt eine Katze zu Weihnachten wünschen mussten! Goldfische hätten es doch auch getan, nicht wahr, Eduard?«

Aha, Eduard hieß die Figur also!

Eduard brachte mich weit von sich haltend in einen muffigen Raum, in dem er mich in einen völlig zerbissenen Korb legte, der eindeutig nach Dackel roch. Ihr müsst wissen, dass ich Dackel hasse! Im »Tierheim Monschau« machten die nämlich immer einen Höllenlärm, wenn wir Katzen schlafen wollten und bissen fast ihren Zaun kaputt, wenn nur mal eben eine dicke Elster durch das Gehege stolzierte. Nun gut, mein Verhältnis zu Dackeln hat sich kaum verbessert. Noch mehrmals begegnete ich diesem Viehzeug während meines Abenteuers in der Eifel.

Und genau davon will ich euch erzählen …

Die helle Frau, ich weiß heute, dass sie blond ist und Hildegard heißt, konnte mich nie leiden. Gleich am ersten Abend, an dem die Familie so furchtbar laut von den stillen Nächten sang und kleine Feuerstäbchen an dem nach Reh riechenden Baum brennen ließ, hat sie mich dreimal heimlich mit ihren hochhackigen Schuhen getreten. Die anderen, die um einen Tisch saßen und tote fliegende Tiere aßen, haben es nicht bemerkt.

Ich esse übrigens auch tote fliegende Tiere – also versucht nicht, in dem letzten Satz eine gesellschaftspolitisch-tierschützerische Aussage zu entdecken.

Eduard trank aus einer grünen Flasche eine durchsichtige Milch, die albern machte. »Durchsichtige Milch« – das ist übrigens so eine meiner Formulierungen, obwohl ich weiß, dass das Zeug »Wein« heißt. Aber dies nur am Rande. Als die Menschen später in ihre Körbchen gingen, hat Eduard mir sogar dreimal auf den Kopf geklopft und Geistreiches abgelassen: »Du süße, süße Pussi du, du!«

Aber Hildegard musste sich wieder einmischen: »Na, ich weiß nicht. Also haaren tut das Vieh auf jeden Fall. Schau dir nur mal das Sofa an.«

»Über ›das Vieh‹, du dumme Kuh, reden wir später noch einmal«, dachte ich.

Die übrigen Mitglieder der Familie beachteten mich an diesem Abend kaum.

Da war zunächst ein dicker Junge namens Helmut, der immer über den Tisch rief: »Noch’n Kloß für Helmut!«

Das Mädchen dagegen sah mich nur schüchtern an. Sie hieß übrigens Sandra. Und ich liebe sie! Ich hätte sie allerdings noch mehr geliebt, wenn ihr Name nicht Sandra gewesen wäre. Denn wenn Hildegard ihr »Saandraa« aus der Terrassentür schallen ließ, war mir das Mädchen ganz kurz recht unsympathisch.

Wie gesagt: Die Kinder beachteten mich an diesem Abend kaum.

Sandra, was für ein schlimmer, ordinärer Name, streichelte mich erst nach ein paar Stunden. Ganz lieb! Ganz zart! Und ich muss zugeben, dass es mir gefallen hat. Sehr gut gefallen hat.

Zum Abschluss des stillen Abends schoss mir der dicke Helmut eine Stange mit einem Gummipuffer auf mein Hinterteil.

Ich wusste, dass ich ihn hassen werde!

Hildegard, diese getönte Hässlichkeit von Mensch, ordnete dann mit spitz geformten Lippen an: »Das Vieh kann in der Garage schlafen!«

Doch Eduard, mutig durch die albern machende Milch, rettete mich vor den ordentlichen Werkzeugen und dem schlafenden Auto: »Es ist doch Heilige Nacht, auch für Katzen!«

Sandra, ich verspreche, dass ich den Namen zum letzten Mal gebrauche und in Zukunft nur noch von »dem Mädchen« sprechen werde, hat mich dann mit in ihr Zimmer genommen und aus Kissen ein wundervolles Bett gebaut. Ich habe herrlich geschlafen, viel besser als auf diesem harten Boden im Tierheim. Sicher hätte ich noch länger geschlummert, wenn nicht dieses blonde Menschen-Monster, die Haare sahen an dem Morgen wie ein aufgeschichteter Heuhaufen aus, am nächsten Morgen donnernd im Zimmer erschienen wäre. Sie ordnete an, dass das Mädchen mit der ganzen Familie zu einer Frau namens »Omama« fahren sollte.

Warum konnte Hildegard nicht zur Hölle fahren …???

Das Mädchen sah mich traurig an, sagte nichts und zog sich ihr Fell an. Jaja, heute weiß ich natürlich auch, dass ihr Menschen euer Fell Kleider nennt. Damals dachte ich, dass ich krank sei, weil ich abends mein Fell nicht in einen Wäschekorb stecken konnte.

Aber ich schweife wieder ab. Das mache ich übrigens gerne.

Nachdem sich das Mädchen, ihr merkt, ich brauche diesen schrecklichen Namen nicht mehr, ihr Fell über die Ohren gestreift hatte, traf sich die Familie zum Frühfutter, das ihr Menschen Frühstück nennt. Mir gab man nichts. Ich stellte mich also neben den Tisch und wartete, dass jemand mir einen Stuhl anbieten würde. Doch so höflich waren sie nicht, noch nicht einmal das Mädchen.

»Auch das noch, die Katze bettelt schon am Tisch, das werde ich ihr aber beibiegen.«

Ihr habt es erraten, die dumme blonde Kuh musste mal wieder auf sich aufmerksam machen: »Was frisst so eine Katze überhaupt? Küchenabfälle?«

»Küchenabfälle! Das werde ich dir noch beibringen, du dämliches Spitzmäuschen«, dachte ich.

Im »Tierheim Monschau« hatten wir ein Gemisch aus Fleisch und Körnern bekommen, das ich später nur noch einmal in einer Wohngemeinschaft, leider ohne Fleisch, gegessen habe.

Doch Eduard, den ich damals noch nicht für einen ausgemachten Volltrottel hielt, schlug sich vor die Stirn: »Ich habe ja noch eine Palette Katzenfutter im Auto.«

Und dann passierten Dinge, die ich mir damals nicht erklären konnte, die aber bis zum heutigen Tage ihre Nachwirkungen zeigen. Eduard holte ein totes Tier, dass rund war und weder Beine, Kopf, Fell noch Schwanz hatte. Mit einer Maschine tötete er das Tier und schlug es aus. Das Fleisch schmeckte köstlich.

Heute weiß ich, dass das Tier kein Tier war, sondern ein Gefäß, das Dose genannt wird. Die Tötungsmaschine nennt ihr Dosenöffner.

Menschen, ich sage euch: Das ist die beste Maschine, die ihr je erfunden habt. Wunderbar!

Nun gut!

Nach dem Frühstück brach die Familie auf. Allerdings nicht sofort! Hildegard sprang noch etwas vor einem Fenster rum, in dem sie bei jeder Bewegung ihr eigenes Bild sehen konnte, juckte an ihrem Heuhaufen rum, malte sich blaue Farbe um ihre stechenden Augen und tupfte mit Schwämmen rote Farbe auf ihre Backen – pardon: Wangen.

Unter uns: Bei Hildegard würde ich doch lieber von Backen sprechen …

Ehe Ruhe einkehrte, tönte Hildegard noch etwas durchs Haus: »Ist auch alles abgeschlossen?«, »Ist der Herd wirklich abgeschaltet?«, »Hat einer die Kaffeemaschine ausgemacht?«, »Wo ist Omamas Geschenk?«

Trottel Eduard flitzte darauf durch das Haus und gab Entwarnung: »Alles in Ordnung, mein Schatz!«

Dann waren sie weg: Ruhe, endlich Ruhe.

Nun konnte ich mir mal alles ansehen. Das ganze Haus, das, wohl oder übel, mein Zuhause werden sollte.

MENSCHEN-KÖRBCHEN

Die Küche war Hildegards Reich!

Wichtig: Hier lagerte der Dosenöffner. Ich muss zugeben, dass mir der Raum sonst überhaupt nicht gefiel. Lediglich die kalte Maschine war sehr interessant. Darin versteckte Hildegard all’ die Dinge, die mir soviel bedeuten: Katzenfutter, Menschenfutter und diese kleinen Dosen, in denen die Milch steif ist und nach Nüssen schmeckt. Für diese Dosen braucht man übrigens keinen Dosenöffner, man muss nur an einem Deckel ziehen, auf dem draufsteht, was unter die steife Milch gerührt wurde. Wie gesagt – wiederhole ich mich eigentlich oft? – die steife Milch, die nach Nüssen schmeckt, hatte es mir besonders angetan, aber auch der Geschmack nach kleinen blauen Beeren aus dem Wald.

Im Wohnzimmer stand die scheinende Kiste. Damit sind wir beim nächsten Zimmer, das ich mir anschaute. Es müssen übrigens zwei Zimmer in einem sein. Eduard nannte dieses Zimmer nämlich »Wohnzimmer«, während Hildegard ihr mit roter Farbe beschmiertes Mündchen zuspitzte und von »Living« redete. Sie sah, wenn sie »Living« sagte, besonders blöde aus.

Eine ganze Wand wurde darin von einem riesigen Stück Holz ausgefüllt, das man auf- und zumachen konnte. Hildegard verwahrte darin ihre Menschenschüsselchen, meine Katzenschüsselchen waren dagegen in der Küche. In dem Holzstück hatten sie die durchsichtbaren Gefäße stehen, aus denen Eduard trank und albern wurde.

Prunkstück der Holzkiste war eine mit Hirschen beschnitzte Tür, hinter der die strahlende Kiste stand. Eduard saß jeden Abend davor, ließ aber das Mädchen und den dicken Jungen nur selten mitsitzen: »Fernsehen ist nicht gut und schränkt die Kreativität ein!«

Ich weiß nicht, ob Kreativität eine Krankheit ist. Aber Eduard muss sie haben, denn er sitzt immer vor dieser Kiste.

Ich werde darauf bestimmt noch einmal zurückkommen.

Dann war in diesem Zimmer noch der Nur-alle-Sieben-Tage-Tisch. Hier wird alle sieben Tage, ich habe das genau gezählt, das Menschenfutter eingenommen. Damit das Futter nicht auf die Hose fällt, legen sich die Menschen alle sieben Tage kleine Tischtücher auf ihre Kleider – an den anderen Tagen darf man offenbar auf die Hose kleckern.

Hildegard, dieses herrschende Menschentier, holte am siebten Tag immer die Esswerkzeuge raus, die besonders blinken. Die musste Eduard nach dem Futtern immer mit einem besonderen Lappen abwischen. Hildegard prüfte nach: »Auf dem Löffel ist aber noch ein Fingerabdruck!«

Die blumenbemalte Liege brauche ich nicht näher zu erklären, ihr könnt sie euch bestimmt vorstellen: denkt nur an das große Stück Holz mit der strahlenden Kiste. Das Holzstück, so weiß ich inzwischen, nennt man übrigens »Altdeutsche Schrankwand«.

Die alten Deutschen müssen einen sehr, sehr schlechten Geschmack gehabt haben.

Das Zimmer des Mädchens war mein Lieblingszimmer: überall weiche Spielfiguren und bunte Tierbilder. Bloß das Dackelbild störte.

Das Zimmer des dicken Jungen habe ich nur ganz selten betreten. An einer Wand hing das Bild eines Mannes, der wie der Teufel aussah und eine Gummimaske und einen schwarzen Umhang trug.

Manchmal, wenn die Eltern weg waren, lief Helmut mit genau so einer roten Gummimaske durch die Wohnung, stand vor dem Spiegel (das Wort habe ich schon in meine Sprache übernommen) und nannte sich »Darth Maul« oder so ähnlich. Mit seinem fetten Bauch unter dem schwarzen Umhang sah er dann besonders dümmlich aus.

In Helmuts Zimmer lagen überall Dinge, die ich später bei den Soldaten in Gerolstein gesehen habe. Ich glaube aber, dass die Helmut-Dinger nicht so richtig funktionierten, da bei ihnen vorne nichts rauskam. Dafür rief Helmut immer: »Peng, Peng, ich habe dich erschossen«.

Bei den Soldaten riefen sie nie »Peng, Peng«.

Helmut, dieses fette Ferkel, hat mir einmal einen ganzen Tag einreden wollen, dass ich ein gefährlicher Tiger sei und ihn anfallen müsse. Er sei nämlich ein Mann namens Dachzahn und würde mich dann töten. Dann zog er sich eine Badehose an, band einen Gürtel um, steckte eine Schneidestange aus einem weichen Zeug in den Gürtel und sprang von seinem Bett auf mich zu. Dabei rief er so etwas wie: »Huahuahu«.

Ich hatte weder Lust, Helmut anzufallen, noch wollte ich von ihm getötet werden. Bei einem Sprung fügte er sich übrigens Schmerzen zu, weil er auf eines dieser kleinen Autos sprang und der Breite lang hinklatschte. Ein herrlicher Anblick. Mir schob er natürlich die Schuld zu, jagte mich aus dem Zimmer und sprach mir den Tiger-Titel ab: »Dafür bist du einfach zu blöde!« Am nächsten Tag nannte sich Helmut nicht mehr »Darth Maul« oder »Dachzahn«, sondern »Der Alte«. Er lief den ganzen Tag mit einer hässlichen Jacke rum und sprach mit einem Mann, den ich nicht sehen konnte. Er nannte diesen Mann »Heimann«.

Ich glaube, der Gute hatte Wahnvorstellungen. Auf jeden Fall einen gewaltigen Dachschaden.

Soweit zu Helmuts Zimmer.

Aber auch Eduard und Hildegard hatten einen eigenen Raum, in dem ein besonders großes Menschenkörbchen stand. Um das Menschenkörbchen, ich weiß, das Ding heißt Bett, hatten sie an beide Seiten Teppiche gelegt, die aber völlig überflüssig waren, da nie jemand dort schlief. Auch ich durfte darauf nicht schlafen. Noch nicht einmal, wenn die Sonne warm schien. Über dem Bett von Hildegard und Eduard hing eine große Abbildung von einer jungen Frau. Hildegard nannte das Bild: »Unsere realistische Zigeuner-Darstellung!«

Mein besonderes Interesse erweckten aber die Knöpfe. Abends drehte Eduard an diesen Knöpfen und Musik kam aus dem Bett, morgens lärmte es von alleine los.

Ein Glück nur, dass in meinem Körbchen keine Musik eingebaut war.

Weiter befand sich in dem Zimmer noch eine große Kiste, in der Hildegard und Eduard ihre Felle aufhängten. Eduard hatte aber nur ganz wenige, der größte Teil gehörte Hildegard. Trotzdem stand sie fast jeden Morgen vor der Kiste und jammerte: »Ich habe nix für zum Anziehen!«

Dann war da noch ein Tisch mit einem Spiegel. Davor stand ein Stuhl, der mit einem Fell in einer ganz fürchterlichen Farbe überzogen war. Das Fell roch allerdings nicht nach Tier.

Hildegards saß jeden Morgen da und machte Dinge, die ich nicht verstehen konnte, euch aber schon geschildert habe. Sie wusch sich aber nicht, wie ich zunächst angenommen hatte. Waschen tat sich die Familie in einem ganz kalten Zimmer, mit Steinen an den Wänden und auf dem Boden.

Ich weiß bis heute nicht, wie ihr Menschen euch wascht. Leckt ihr euch auch, wie wir Katzen? Wenn ihr das macht, dann muss euch das aber sehr peinlich sein, denn ihr schließt euch immer zum Waschen ein. Ich habe auch nie gesehen, dass Eduard dieser Hildegard den Heuhaufen geleckt und dann die Haare ausgekotzt hat.

Aber ich schweife wieder einmal ab.

Als ich mir bei meiner Hausdurchsuchung gerade den oberen Teil vornehmen wollte, hörte ich Lärm in dem Autozimmer. Schnell legte ich mich auf eine Liege im Wohnzimmer und tat, als würde ich schon Stunden schlafen. Eduard, den ich, wie gesagt, damals noch nicht für einen ausgemachten Volltrottel hielt, packte mich, schleppte mich in das Autozimmer und zeigte mir eine Schüssel, in die er Katzenstreu geschüttet hatte: »Und hier ist dein Katzenklöchen! Auf das musst du immer gehen, wenn du einmal musst.«

Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen.

Ich habe Eduard aber erzählen lassen, da ich ihm nicht auch noch wie Hildegard ins Wort fallen wollte.

Apropos: Hildegard musste sich an diesem Abend noch etwas über meine Haare auslassen, denen sie mit einer Lupe nachspürte. Sie meckerte auch, dass ich bei dem Mädchen im Zimmer schlief und gebrauchte dabei so Formulierungen wie »Krankheiten übertragen« und »Wer-weiß-wo-die-sich-wälzen« und andere Unverschämtheiten, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte.

Der Abend ging ruhig zu Ende.

Eduard trank die lustigmachende Milch, Helmut stopfte Futter in sich rein, Hildegard redete über Dinge, die keinen Menschen und auch keine Katze interessierten und das Mädchen kraulte mich. Sie sagte wenig, war aber sehr lieb.

Halt, fast hätte ich vergessen, dass an diesem Abend noch etwas Entscheidendes passierte:

Aus mir wurde Theo.

Mich störte zwar nicht, dass ich bis dahin nur »die Katze« oder »der Kater« hieß. Aber euch Menschen macht es nun einmal Freude, Dinge mehrmals mit Namen zu belegen.

In solch’ kleinen Dingen bin ich kein Spielverderber.

Am Tisch entwickelte sich eine wilde Aktivität. Hildegard wollte mich »Pussy« nennen, da hätte ich was dagegen gehabt. Das Mädchen konnte mich mit »Mimmi« auch nicht gerade begeistern und Eduard bewies mit »Fritz the Cat«, dass er ein Freund jener Bücher ist, in der die Rölligkeit eine entscheidende Rolle spielt.

Ausgerechnet der dicke Helmut musste die Lösung finden!

Er erzählte, dass ich so dünn wie ein Theo sei, der es einmal in der strahlenden Kiste gegen den Rest der Welt aufgenommen hatte.

So wurde Theo aus mir.

Doch wie die Menschen nun einmal sind, konnten sie es bei der bloßen Namensgebung nicht bewenden lassen. Hildegard hielt mich fest und Eduard, dieser Trottel, schüttete mir durchsichtige Milch über den Kopf.

Es war fürchterlich!

Das Zeug stank!

Als ich mich von der schlechten Milch, die auf meinem Kopf klebte, leckend befreien wollte, gingen auch in mir seltsame Veränderungen vor.

Allerdings wurde ich nicht albern. Mir wurde nur schlecht. Ich taumelte, wollte nur noch in mein Körbchen. Die Familie sah ich auch nicht mehr ganz klar und befürchtete, dass ich bald zwei gläserne Scheiben vor den Augen haben müsste. Dann schlief ich ein, erinnere mich nur noch an das schrille Lachen und Keifen von Hildegard, die wohl unheimliche Freude daran haben muss, wenn es anderen nicht so gut geht. Das gleiche Lachen habe ich von ihr später gehört, wenn sie mit der Nachbarin, eine ganz schlimme Person übrigens, über andere Menschen herzog: »Haben Sie schon gehört, Frau Maaßen. Das scharfe Luder von Lennartz kriegt mit 18 Jahren schon einen Bastard. Hoffentlich nicht auch noch von einem Neger – das soll nämlich auf die Kinder abfärben. Hahahaha.«

Am nächsten Morgen ging es mir sehr schlecht. Daher blieb ich im Zimmer des Mädchens, das mich aber bald verließ, da die ganze Familie in das Haus mit dem Turm ging. An diesem Tag hatte ich, trotz der günstigen Gelegenheit, keine Lust, die Räume unter dem Dach zu erforschen.

KÄTZISCHER ALLTAG

Ich kann euch beruhigen.

Am nächsten Tag ging es mir besser. Die Familie trug nun andere Felle. Eduard war schon früh mit einem Koffer, der so groß wie zwei Dosen Trockenfutter war, weggefahren. Hildegard ging mit einem Katzenkörbchen, das man tragen konnte, Futter besorgen.

Im Hause waren das Mädchen und der dicke Helmut, der sich Federn auf den Kopf steckte und Laute wie »Huhahuhau« von sich gab. Dazu schlug er sich mit der flachen Hand vor den Mund. Er nannte sich an diesem Morgen »Großer Bär«. Dabei sah er aus wie ein ungewöhnlich überfüttertes Wildschwein.

Das Mädchen legte immer mehr ihre Schüchternheit ab. In ihrem Zimmer baute sie mir aus Kissen und Büchern ein Häuschen, in dem ich herrlich schlafen konnte.

Natürlich musste Hildegard die Ruhe stören.

Immer, wenn fremde Menschen zu Besuch kamen, belästigte sie uns mit ihrer traditionellen Hausführung. Dann sagte sie Dinge, die sie überhaupt nicht so meinte: »Du quälst doch das liebe Kätzchen nicht? Vielleicht will unser Theochen ja überhaupt nicht auf den Kissen liegen!«

Bei allen Katzen im Himmel: »Theochen«!

Gerade diese menschliche Ausgabe einer Sumpfkuh musste von quälen reden! War sie es doch, die mir mit Riesenfreude die durchsichtige Milch über den Kopf gegossen hatte! Nun gut, aufmerksame Leser wissen, dass Eduard der Schütter war.

Aber, so frage ich euch: Ist der Festhalter nicht auch schuldig?

Pardon! Ich erschrak gerade über meine eigenen Worte. Das hörte sich ja an, als hätte ein Mann aus dem Haus mit dem Turm gesprochen.

Von denen werde ich euch später noch berichten.

Kurzum, das Mädchen quälte mich überhaupt nicht und ich verlebte herrliche Monate. Ein Glück, dass wir Katzen eure Sprache nicht reden. Mir wäre es nämlich sehr peinlich gewesen, wenn ich mich vor der Nennung ihres Vornamens gedrückt hätte. So schnurrte ich einfach etwas in meinen Bart …

Manchmal streifte ich durch den Garten, der an das Haus grenzt. Das machte ich aber nur, wenn das Mädchen in dem Haus war, das die Familie »Grundschule Mützenich« nannte. Wenn sie nach Hause kam, blieb ich in ihrer Nähe.

Wie gesagt: Ich verlebte herrliche Monate, könnte jetzt noch vom Dachboden und dem Garten erzählen. Aber belassen wir es bei einem weißen Springbrunnen mit »unserer wasserspeienden Venus« (O-Ton Hildegard), gezirkelten Blumenbeeten und in die Erde gesteckten Flaschen. Das dürfte als prägender Eindruck genügen.

Sicher würde ich noch heute gemütlich mit dem Mädchen leben, mich über Hildegard und den fetten Jungen ärgern und über Eduard schlapplachen, wenn nicht eines Tages das Mädchen aus der Schule nach Hause gebracht worden wäre. Sie sagte nichts zu mir, ich glaube, sie erkannte mich überhaupt nicht und Hildegard legte sie sofort in das Bett. Vor dem Lehrer, der Wollsocken, Sandalen, ein Holzfäller-Hemd und eine geriffelte, braune Hose trug, spielte sie zwar noch ihre bekannte Show-Nummer. Doch als der Mensch auf seiner seltsamen Fußbekleidung davongetrottet war, sah ich erstmals Züge an Hildegard, die ich ihr nicht zugetraut hätte:

Sie weinte.

Das Mädchen sprach kein Wort.

Eduard wurde durch diese lästige Bimmel-Maschine, in die Menschen dauernd quatschen, nach Hause gerufen. Auch er war sehr aufgeregt. Fast gleichzeitig mit ihm traf ein Mann ein, der weiße Schuhe trug, aber sonst kein schlechter Mensch war. Dieser Mann wühlte aus einer Tasche die schrecklichsten Folterinstrumente: Er stach das Mädchen, spritzte etwas unter die Haut und saugte gleichzeitig Blut ab, hantierte mit Kopfhörern wie Eduard an der Musik-Kiste und machte ein immer ernsteres Gesicht.

Ich gebe zu, dass ich mir eure Spezialausdrücke schlecht merken kann, doch das Wort, das der Weiß-Schuhträger dann sagte, werde ich nie vergessen: »Gehirnhautentzündung!«

Die Familie erschrak fürchterlich!

Hildegard legte ihren Kopf auf Eduards Schulter, dabei achtete sie überhaupt nicht auf ihren Heuhaufen. Sogar der dicke Helmut konnte nur dümmlich aus seinem Fell schauen. Hildegard weinte, tat aber dann etwas, dass ich ihr bis zum heutigen Tage sehr übel nehme. Sie fragte den Weißschuh: »Das kriegt man doch von Katzen?«

Ihr könnt mir glauben, mir blieb das Herz im Fell stecken. Ich, gerade ich sollte das Mädchen krank gemacht haben? Ich sollte eine Krankheit in das Haus geschleppt haben? Ich? Wie denn?

Auch wenn ihr es mir nicht glaubt: Ich dachte in diesem Augenblick zuerst an das Mädchen, das ich ja liebe, wie ihr wisst. Wenig später kam mir allerdings schon der Gedanke, dass ich nun in einen Sack gesteckt und ins Wasser geworfen würde.

Doch der Weißschuh rettete mich.

Er erklärte dieser verdammten blöden Kuh, dass die Krankheit nicht von Katzen übertragen würde und nur Hamster als Krankheits-Einschlepper in Frage kämen. Hamster strich ich sofort von meinem Speiseplan – ich hatte allerdings auch noch keinen vor die Zähne bekommen.

Mir fiel, da könnt ihr sicher mitfühlen, ein Stein vom Herzen. Wenigstens, was die Angriffe gegen mich betrugen.

Wenig später wurde mir aber bewusst, dass das Mädchen immer noch keinen Ton von sich gab. Der mit den weißen Schuhen ging zu der Reinsprech-Maschine und rief nach einem roten Auto, das eine blaue Lampe auf dem Dach hatte. Auch darin waren Weißschuh-Träger. Sie brachten das Mädchen in dieses große Auto mit einem Zimmer hinten drin und fuhren weg.

»Ins Simmerather Krankenhaus …«, sagte Eduard nur.

Ich glaube, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie so traurig gewesen bin.

Das Mädchen blieb lange weg. Jeden Tag fuhr die Familie nach Simmerath (toll, wie ich mir auch die schwersten Namen merke). Sogar der dicke Helmut musste mit. Er meuterte immer. Wenn die Familie nach Hause kam, schlich ich unauffällig um sie rum, da ich unbedingt Neues von dem Mädchen erfahren wollte.

Mir sagte natürlich wieder keiner was.

Mein Wissen musste ich also aus zweiter Hand beziehen. Zu meiner Freude ging es dem Mädchen von Tag zu Tag besser, und nach einigen Wochen, es waren übrigens die langweiligsten Wochen meines Lebens, kam sie wieder nach Hause.

Die ganze Familie, der dicke Helmut natürlich mit Einschränkungen, freute sich gewaltig.

Meine Begrüßung fiel natürlich am überschwänglichsten aus. Das Mädchen hob mich hoch, drückte mich und rieb ihre Wange an meiner. Als Hildegard einmal aus dem Raum ging, hat sie mich sogar geküsst. Herrlich! Dafür durfte sie meinen Bauch kraulen, eine Stelle also, an die ich sonst keinen Menschen ranlasse.

Doch meine Freude wurde bald getrübt. Das Mädchen erzählte mir, endlich einmal eine Information aus erster Pfote (erlaubt mir dieses kleine Wortspiel), dass sie bald weit wegfahren müsse, in ein »Erholungsheim an der Mosel«. Ich musste mich mit dieser Aussage zufrieden geben, da ich, wie die Pfiffigsten unter euch bestimmt bemerkt haben, nicht nachfragen kann.

An dieser Stelle sei es gestattet, darauf hinzuweisen, dass ihr euch oft sehr schluderhaft ausdrückt. Doch dies nur am Rande. Was soll sich unsereins denn unter »Mosel« vorstellen?

Aber zurück zum Mädchen: Bei der Nennung des Namens »Heim« dachte ich natürlich an das Tierheim in Monschau.

Würde das Mädchen auch in einen Zwinger gesperrt? Würden andere Menschen es kaufen können? Würde eine Frau von der »Menschenhilfe« an ihr rumgrapschen?