Den letzten beissen die WerWölfe - Hubert vom Venn - E-Book

Den letzten beissen die WerWölfe E-Book

Hubert vom Venn

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Beschreibung

Himmlers letzter Befehl? Beim Schlagwort Kriminalität fallen einem die Bronx, Rio de Janeiro, das Frankfurter Bahnhofsviertel und. die Eifel ein. In kaum einer Gegend gibt es so viele Gewalttaten wie in dem Schmelztiegel der Kulturen zwischen Trier und Aachen, Bonn und Eupen. Morde und Gewalttaten sind in der Eifel an der Tagesordnung, hinter jeder Buchenhecke kann die Fratze des Grauens lauern. Und da eine typische Eigenart des Eifelers sein Langzeitgedächtnis ist, gibt es dort Waffen, die ihr Ziel erst nach vielen Jahren treffen. Doch sie sind immer noch tödlich. Verdammt tödlich sogar. Erschossen aufgefunden wird der ehemalige Roetgener Bürgermeister Fritz Rumbach. Dieser war von den Amerikanern 1944 zum ersten Bürger des Dorfes am Rande von Aachen ernannt worden, als in Berlin noch Durchhalteparolen geschmettert wurden. Für den Nazi-Schergen Heinrich Himmler waren die neuen Bürgermeister im befreiten Westen Verräter - ein Werwolfkommando erhielt Mordaufträge. Nach den tödlichen Schüssen auf den Aachener Bürgermeister Franz Oppenhoff lief dessen Mörder beim Marsch in die Eifel auf eine Mine und wurde zerrissen - Roetgen wurde von den Werwölfen nie erreicht. Doch von diesem Nazi-Kommando gibt es immer noch Lebende! Führte da jemand Himmlers letzten Befehl aus? Allerdings gibt es nicht nur die Spur in die rechte Szene - Fritz Rumbach ließ nach dem Krieg einen US-Panzer verschwinden, mit dem er jahrelang schwunghafte Schmugglerfahrten betrieb. Und seine Schmugglergefährten nannten sich „Die Wölfe“ - nach einer Kneipe in Niederprüm. Der Journalist Charly Nusselein und der Monschauer Kriminal-Kommissar Gottfried Zimmermann sehen zunächst vor lauter Wölfen die Bäume nicht.

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© 2010 eBook-Ausgabe 2011RHEIN-MOSEL-VERLAGBrandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542/5151, Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-795-4 Umschlag: Steffi Delfmann Foto Rückseite: Ingrid Reinhardt-Franke Korrektur: Thomas Stephan

Hubert vom Venn

Den Letzten beißen dieWerWölfe

Nusseleins vierter Eifel-Fall

RHEIN-MOSEL-VERLAG

***

Dichtung und Wahrheit

Dies ist ein Roman und kein Tatsachenbericht. Alle Handlungen, Gespräche und Personen sind frei erfunden, irgendwelche Ähnlichkeiten sind also rein zufällig. Halt! Einige reale Personen habe ich eingebaut – allerdings ist all das, was sie in diesem Buch sagen und machen, ebenfalls meiner Fantasie entsprungen.

Dank

Mein Dank gilt einigen, natürlich ungenannten Informanten, die mir – wissentlich und unwissentlich – immer wieder Geschichten aus dem Alltag der Eifel erzählt haben. Mein Dank gilt schreibenden, mitteilenden und mitteilungsbedürftigen Menschen, deren Originalzitate ich – meist satirisch – verfremdet habe.

Ein besonderer Dank an:

Robert Deller, Oberstaatsanwalt, Aachen

Paul Kemen, Polizei-Pressesprecher, Aachen

Michael Lammertz, Nationalparkforstamt Eifel

Stamos Papas für täglich eine Stunde Ruhe zum Nachdenken

H. Jürgen Siebertz, www.lammersdorf-historie.de

Kurt Schreiber, Jede-Ecke-der-Eifel-Kenner

sowie an meine Frau Ingrid, meine Tochter Katharina und unseren Kater Leo, die mich über Monate in einer anderen Welt ließen.

Prolog

Beim Schlagwort Kriminalität fallen einem die Bronx, Rio de Janeiro, das Frankfurter Bahnhofsviertel und … die Eifel ein. In kaum einer Gegend gibt es so viele Gewalttaten wie in dem Schmelztiegel der Kulturen zwischen Trier und Aachen, Bonn und Eupen. Morde und Gewalttaten sind in der Eifel an der Tagesordnung, hinter jeder Buchenhecke kann die Fratze des Grauens lauern.

Und da eine typische Eigenart des Eifelers sein Langzeitgedächtnis ist, gibt es dort Waffen, die ihr Ziel erst nach vielen Jahren treffen.

Doch sie sind immer noch tödlich. Verdammt tödlich sogar.

Und Charly Nusselein? Der hat immer noch einen an der Waffe, pardon: Waffel, gewaltig an der Waffel sogar. Seit dem Kauf eines schottischen Grundstücks von der Größe eines Quadratfußes für 17,90 Euro bei eBay darf er sich nun »Laird of Camster« nennen – Nusselein denkt aber nicht im Traume daran. Er nennt sich vielmehr »Der Highlander von Ruitzhof«. Kurzum: Charly Nusselein hat einen Schottentick.

Allerdings: Einer hat das ganze Spiel durchschaut: Incitatus, Kater und dauerhafter Lebensgefährte des Anzeigenblatt-Journalisten. Als Nusselein eines Morgens seinen vierbeinigen Mitbewohner mit »Nessie« ansprach, pinkelte Incitatus umgehend in den Flokati. Es handelte sich bei dieser Protestaktion allerdings nicht um Schottenfeindlichkeit – nein, vielmehr war dem Kater die Vorstellung von einem Leben im Wasser unerträglich.

Nusselein hat nie wieder versucht, seinen Kater für Schottland zu begeistern.

***

Erster Tag – Dienstag, 4. Februar

07.40 Uhr

An jedem zweiten Dienstag im Monat steht dick »Wecker nicht stellen« in Nusseleins Terminkalender. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich der umtriebige Lokaljournalist an diesem Tage dem Müßiggang hingeben will, sondern vielmehr, dass die gelben Müllsäcke ab 7.30 Uhr mit einem infernalischen Lärm in Ruitzhof eingesammelt werden.

Wecker sind dann überflüssig – Handy-Klingeltöne übrigens auch.

Und so war es nicht verwunderlich, dass Nusselein die Melodie von »Where The Wild Roses Grow« nicht hören konnte, zumal sich das Handy auch noch in der Spitze eines spanischen Cowboystiefels mit aufwendigen Applikationen und Python-Schlangenledereinsätzen befand, den er – als Paar natürlich – vor rund dreißig Jahren im Rahmen einer Klassenfahrt in Lloret de Mar »schweineteuer, aber aus Rindsleder« erworben hatte. Darüber hinaus konzentrierte sich das Interesse des Journalisten im »Frühstücksfernsehen« auch auf einen Beitrag über Brustvergrößerungen bei sowieso schon üppig ausgestatteten Damen in Florida – es kann aber auch Alaska gewesen sein. Das Handy blieb somit ungehört, was nur wenige Kilometer weiter in der Monschauer Redaktion des »Hammer« einen Dauerfluchton von Elli Breuer, ihres Zeichens Redaktionssekretärin, erzeugte. Die Wiedergabe von so Kraftausdrücken wie »faule Sau, Flachwichser, haarloser Sack, Vollidiot und Flachbrettbohrer ohne Eier« können wir uns an dieser Stelle ersparen.

Das Niveau wird schon noch früh genug sinken.

Nusselein bereitete sein Frühstück – wie immer bestehend aus mörderstarkem belgischen »Jacqmotte« und drei Cantuccini, die er neuerdings nach einem Rezept aus dem »STERN« selbst herstellt.

Die Ruhe dieses Morgengenusses wurde durch die wilden Rosen erneut zerrissen. Unter gänzlichem Verzicht auf morgendliche Begrüßungsfloskeln kam Elli Breuer sofort zu Sache:

»Nusselein, du Penner, mach dich sofort auf die Socken, in Roetgen hat es einen Mord gegeben …«

»Äh, wo?«, läutete Nusselein seinen gefürchteten, glasklaren Fragenkatalog ein.

»Was weiß ich denn?«, schrie Elli. »Soll ich dir auch noch den Mörder liefern? Bin ich etwa mit dem einzigen Monschauer Kripomann verheiratet?«

»Nein«, dachte Nusselein, »du bist mit dem dämlichen Streifenpolizisten Benno verheiratet«, sagte dann aber schnell: »Der Kripomann ist mit der Schankwirtin Helga verheiratet und nicht mit mir.«

»Höre ich da Eifersucht?«, unterbrach Elli. »Los, schmeiß dich in deine Schrottkiste und mach dich auf die stinkenden Socken. Vielleicht solltest du mal die Mathias-Wilms-Straße ansteuern …«

»Ah, der werte Ehemann hat Dienst«, schlussfolgerte Nusselein messerscharf. Sein »Danke« blieb allerdings ungewürdigt, da Elli aufgelegt hatte. Kurz überlegte er, welche Kopfbedeckung der Highlander wohl bei einem Mord tragen würde:

»Glengarry oder Balmoral?«

Nusselein entschied sich für eine schwarze Army-Cap, die »mir so etwas cheguevarahaftes verleiht«.

Zu weiteren Fragen in Sachen Dresscode machte er sich, da journalistische Eile geboten war, nur wenige Gedanken. Kurz roch er an den Socken, der Unterhose und unter den Armen des seit Tagen wegbegleitenden Hemdes, nickte kurz und war nach noch nicht einmal einer Minute angezogen, einschließlich der bereits erwähnten spanischen Stiefel. Er stürmte, nach zwei freundschaftlichen Klapsen auf den Kopf seines Katers, aus dem Haus und startete wenige Sekunden später seinen »Mazda« durch. Incitatus verließ durch die Katzenklappe den Wohnwagen, der sich nun schon seit vielen Jahren auf einem Grundstück der deutschen Enklave Ruitzhof – von Belgien umzingelt – befindet. Er schaute dem davonbrausenden »Mazda« hinterher, nach seinem felligen Gesichtsausdruck dachte er so etwas wie »Armleuchter«, allerdings in einer weitaus gröberen, kätzischen Formulierung.

Als Nusselein nach kurzer Fahrt die Kalterherberger Kirche passierte, gab er die Kurzwahl von Gottfried Zimmermann, Kommissar bei der Monschauer Einmann-Kripo, ein. Als dieser sich meldete, krähte der Journalist sofort los:

»Rate mal, wer hier ist?«

»Das sehe ich doch auf meinem Display, du Idiot.«

»Diese modernen technischen Errungenschaften sind mir immer noch fremd«, maulte Nusselein und fuhr mit dem Satz fort, der ihn nun schon seit vielen Jahren durchs Leben begleitete:

»Und dann bin ich noch der Meinung, dass Schleiden zerstört werden muss, wie Cato, der alte Sack, immer sagte.«

»Diesen Satz habe ich in den letzten Monaten nicht vermisst. Also, was ist?«, schnauzte Zimmermann.

»In Roetgen soll es einen Mord gegeben haben, Mathias-Wilms-Straße«, tat Nusselein sehr wichtig.

»Der Breuer soll doch im Dienst nicht immer seine Tusse anrufen … Aber egal, ich hätte mich sowieso bei dir gemeldet.«

»Muss erst ein Mord passieren, damit der Herr sich bei einem treuen Weggefährten meldet? Zwischen Dienst und Ehebett nach Vorschrift müsste doch noch hin und wieder ein kleiner Freiraum für einen Freund aus alten Tagen an der Westfront sein«, maulte Nusselein.

»Kannst du einfach mal die Fresse halten! Also: Mathias-Wilms-Straße ist ok, der Tatort ist weiträumig abgesperrt, die Aachener Spurensicherer sind schon da, die müssen dich ja nicht unbedingt sehen, mach ein paar Fotos und verzieh dich dann. Ich melde mich. Ach noch etwas: Du glaubst nicht, wer die Leiche gefunden hat …?«

»Ich höre?«

»Hans Nießen und Barry vom Schlummerwölkchen. Irre was?«, prustete der Kommissar los.

»Aber die finden doch sonst immer nur in Monschau die Leichen«, bemerkte Nusselein.

»Der Nießen musste hier zum Arzt, und da hat ihn die Töle vor ein Haus gezerrt und da lag die Leiche.«

»Und es ist wirklich ein Mord?«

»Da kannst du so was von sicher sein«, beendete Zimmermann das Gespräch und drückte Nusselein in den Telekom-Orkus.

Nusselein »bretterte« – das ist allerdings seine eigene Formulierung – vorbei an Monschau, die Serpentinen hoch, dann weiter durch Imgenbroich, Konzen und das Hohe Venn nach Roetgen. Gegenüber dem »Theater am Venn« bog er rechts in die Faulenbruchstraße ab und erreichte nach einigen Hundert Metern die Abzweigung zur Mathias-Wilms-Straße. Diese wurde von einem Streifenwagen gesperrt. Nusselein hob seinen seit drei Monaten abgelaufenen Presseausweis in die Höhe und rannte mit seiner Kleinbildkamera an den protestierenden Polizeibeamten vorbei. Dabei schrie er, während er hyperventilierte:

»Presse, Presse im Einsatz. Es geht um Sekunden.«

Ralf Roeger von den »Aachener Nachrichten« war schon seit über einer Stunde da.

***

08.25 Uhr

In der Mitte der Straße, vor dem Haus mit der Hausnummer 73a, standen mehrere Polizeiwagen. Auf dem Hof des bäuerlichen Fachwerkanwesens hatte die Polizei mit Molton einen Sichtschutz geschaffen, hinter dem offensichtlich die Leiche lag. Ralf Roeger nickte nur kurz und überließ dem zu spät gekommenen Kollegen das Terrain. Nusselein erkannte den Rechtsmediziner Dr. Reinhard Weixler sowie Cornelius Damm und Berthold Ott von der Aachener Spurensicherung, die in ihren weißen Anzügen hin und wieder hinter dem Vorhang auftauchten. Als Nusselein sich – wie er meinte – unauffällig an den Tatort schieben wollte, hinderten ihn zwei bullige Polizeibeamte an diesem Tun.

»Rednecks in Uniform«, fluchte der Journalist unhörbar und zog sich in die Mitte der Straße zurück. Dort hatten sich schon fast zwei Dutzend Schaulustige eingefunden, von denen Nusselein die ersten Informationen erhielt.

»Dat war doch ’ne alte Mann, wer tut denn so was?«

»Jestern hab’ ich den noch jesehen. Der war für sein Alter topfit.«

»So einer hatte doch keine Feinde.«

»Über den habe ich nie ein böses Wort gehört.«

Nusselein machte sich einige Notizen, dann fragte er einen Mann, der neben ihm stand:

»Und wer ist der Tote?«

Der Angesprochene nahm eine fast offizielle Haltung an:

»Wahrscheinlich kennen Sie mich ja, ich war bis vor kurzem im Gemeinderat …«

»Erstens wollte ich das nicht wissen und zweitens habe ich dich Arschloch noch nie gesehen«, dachte Nusselein und fasste ungeduldig nach:

»Den Namen, den Namen wollte ich nur wissen!«

Beleidigt antwortete der Ex-Gemeinderat:

»Fritz Rumbach, das war der Fritz Rumbach. Ein echter Roetgener immer schon. Keiner von diesen Zugezogenen, die aus Aachen hier raufziehen, sich dann in den Gemeinderat wählen lassen und den dicken Max spielen. Der Rumbach hat jahrelang in der Musik gespielt« – dabei sprach der verdiente Gemeinderat »Musik« eifelerisch, wie »M’sick« aus:

»Dessen Frau ist schon ewig tot. Der lebte ganz alleine hier. Wenn Sie mich fragen, war das ein Raubüberfall. Was sich hier in Roetgen für ein Volk rumtreibt! Ich habe ja nix gegen den Osten, aber …«

Nusselein klopfte dem Mann auf die Schulter:

»Und dann bin ich noch der Meinung, dass Schleiden zerstört werden muss, wie Cato, der alte Sack, immer sagte.«

Der Ex-Gemeinderat sah ihn verständnislos an.

Da Charly Nusselein nirgendwo Kommissar Zimmermann sehen konnte, machte er noch einige Fotos vom Tatort und fuhr anschließend nach Monschau – in die Redaktion des »Hammer«.

***

08.45 Uhr

Auf dem Parkplatz vor der Kronenburg hielt schon seit geraumer Zeit ein schwarzer Geländewagen der »G-Klasse« von Mercedes mit französischem Kennzeichen, als sich von Baasem ein zerbeulter »Cherokee« näherte. Der Fahrer stoppte direkt neben dem Geländefahrzeug, stieg aus und nickte dem Mann im Mercedes kurz zu. Offensichtlich kannten sich die beiden Männer nicht.

»Parole!«, sagte der Cherokee-Fahrer.

»’ier wohnt BAP«, antwortete der Angesprochene mit französischem Akzent und schob seinerseits nach:

»Text?«

»Ahl Männer, aalglatt«, erwiderte der Deutsche, griff in seine Jackentasche, zog einen Umschlag hervor und überreichte diesen wortlos. Vorsichtig schaute der Franzose nach allen Seiten und steckte dem Deutschen im Gegenzug eine Pistole zu. Der nickte nur, tippte sich wie Stewart Granger in »Old Surehand« an den Hut, stieg grußlos in den »Cherokee« und fuhr Richtung Kylltal davon. Auch den Franzosen hielt nichts mehr im Schatten der Burganlage, zumal der Himmel bedeckt war und von Schatten nun wirklich keine Rede sein konnte.

Ein Pilger auf dem Eifeler Jakobsweg war fünfzehn Minuten später die nächste Kreatur, die an diesem einsamen Morgen vor dem Burgtor erschien, aber das sollte uns wirklich noch nicht einmal am Rande interessieren. Und wo es den Stempel für den Pilgerpass gibt, wissen wir auch nicht.

***

09.30 Uhr

Elli Breuer konnte ihr Glück kaum fassen:

»Ich mache gleich unter mich vor Freude! Dass ich das noch erleben darf! Der Kollege Nusselein ist vor zehn Uhr in der Redaktion und hat sogar zwei gleiche Schuhe an und den Hosenstall geschlossen!«

»Das sind Stiefel, keine Schuhe …«, holte Nusselein zu einem geplanten Disput über den Unterschied von Fußbekleidungen aus, wurde aber von Alex Kufka, Verleger und Chefredakteur in Personalunion, unterbrochen:

»Salaam alaykum – ich grüße den weisen Nusselein in unserer bescheidenen Hütte.«

»Wohl konvertiert«, maulte Nusselein, »während vor der Hütte das große Verbrechen tobt. Apropos Hütte: Die Kollegin sollte bei soviel Holz vor der Hütte nicht immer so enge …«

Weiter kam er nicht, da ihn ein Locher knapp verfehlte.

»Ich höre?«, sagte Kufka nur kurz.

»Also, wenn ich ehrlich bin …« begann Nusselein.

»Der Halbsatz ist schon gelogen«, unterbrach ihn Elli Breuer.

»… dann weiß ich nur, dass in Roetgen in der Mathias-Wilms-Straße ein Fritz Rumbach ermordet worden ist. Muss uralt gewesen sein. Die Polizei ist noch draußen, ich konnte mit keinem sprechen. Die sperren da alles großräumig ab. Ich klinke mich aber gleich …«

»Wenn das so ist«, unterbrach ihn Kufka, »dann kannst du noch ein paar Kleinmeldungen für die nächste Ausgabe bearbeiten. Ab Mittag wird der werte Herr Nusselein wahrscheinlich wieder für einige Wochen ausfallen …«

»… und uns die ganze Arbeit überlassen«, beendete Elli den Satz.

Nusselein war beleidigt:

»Wer liefert hier immer wieder die großen Knüller? Jahr für Jahr?«

»Wir sind aber ein Monatsblatt«, bemerkte Kufka trocken, während Nusselein sich ereiferte:

»Wer hat hier Tag und Nacht gearbeitet, als du jeden Tag bei den »Anonymen Luftpolsterumschläge-Zerdrückern« warst? Übrigens: Bis du von der Macke eigentlich geheilt?«

»Du hattest um einen Termin für eine Gehaltserhöhung nachgefragt?«, warf Kufka ein.

»Ist ja schon gut, ist ja schon gut. Ich schreite an mein Schreibgerät und stürze mich auf einen Artikel über die faire Bananen-Kampagne im Weltladen zu Mützenich. Und bei Bananen, werte Frau Kollegin, denke ich ausschließlich an Bananen …«

In einem Kugelhagel aus Büroklammern eilte Nusselein an seinen Schreibtisch. Eine Mail fesselte dort nur kurz sein Interesse:

»Our clients who have already married their Russian wives illustrate better than anything the work we do. Russian women are undoubtedly beautiful and sexy, loyal and trustworthy, family-oriented and very feminine.«

»Was soll ich mit so einer Oljenka?«, fluchte er und machte sich an einen Artikel über die Randale nach sogenannten Beatbällen in der Eifel. Sein Fazit war diskussionsbedürftig:

»Die Eifeler Jugendlichen bedienen sich derselben Rituale und spirituellen Kräfte wie urbane Aachener Heranwachsende, um Frust abzubauen. Das machen alle Urvölker auf der Welt so.«

***

10.05 Uhr

Gottfried Zimmermann verabschiedete die Kollegen der Aachener Spurensicherung, nachdem Rechtsmediziner Dr. Weixler bereits vor einer halben Stunde gen Aachen gefahren war. Cornelius Damm warf seinen weißen Anzug in den Kofferraum des Dienstwagens:

»Danke, danke, dass Ihr bekloppten Eifeler euch jetzt wenigstens stadtnah zu Aachen umbringt. Bei den letzten Morden mussten wir immer auf euer Mandschurei-Geisterschloss, dieses Kloster Reichenbach …«

»Reichenstein, … Stein – nicht Bach«, verbesserte Zimmermann.

»… ist auch egal«, konterte Damm, »wir liefern so schnell wie möglich. Die Gerichtsmedizin kann ich allerdings nicht beeinflussen. Die haben ihren eigenen Rhythmus. Fest steht auf jeden Fall, dass sich alles hier vor der Tür abgespielt haben muss. Der Täter hat das Haus auf keinen Fall betreten. Ich vermute, dass die Tatzeit so zwischen 5 und 7 Uhr war. Aber nix Genaues weiß man nicht.«

»Dann kann es der Zeitungsbote nicht gewesen sein, denn die ›Eifeler Zeitung‹ liegt schon auf dem Küchentisch«, schlussfolgerte Zimmermann.

»Das ist fein beobachtet, mein werter Kollege«, spöttelte Cornelius Damm, während Berthold Ott ungeduldig wurde:

»Können wir jetzt fahren? In der Kantine im Präsidium gibt es Spiegeleier mit Spinat und Bratkartoffeln. Da könnte ich mich drin versenken.«

Damm gab seinem Eifeler Kollegen kurz die Hand und setzte sich hinter das Steuer des Dienstwagens. Kurz winkte er dem Fahrer des Leichenwagens zu, der das Grundstück ebenfalls verlassen wollte.

»Könnt Ihr Sacknasen mal zur Seite gehen!«, schrie der Schwarzgekleidete aus dem Fenster des Begräbniswagens, da sich auf der Zufahrt zu dem kleinen Fachwerkhof inzwischen eine ansehnliche Schar von Schaulustigen angesammelt hatte. Mit quietschenden Reifen verließ der schon recht betagte Leichenwagen vom Typ »Citroen CX 25 RD« den Tatort in Richtung Aachener Gerichtsmedizin.

Da endlich Ruhe am Tatort eingekehrt war, betrat der Monschauer Kommissar das eingeschossige Haus, das nur aus wenigen Zimmern bestand. Links ging von einem winzigen Flur, in dem ein mit Brokatstoff überzogenes Telefon stand, eine Tür zu einem Schlafzimmer mit einem Doppelbett ab, von dem aber nur eine Hälfte benutzt war:

»Hier mieft es wie bei Nusselein«, murrte der Kripomann. Kurz schaute er in die beiden Nachttischkommoden, in denen sich aber nur wenige Gegenstände befanden. Das Badezimmer strahlte den Charme der 50er Jahre aus, wirkte aber trotzdem sehr sauber:

»Putzfrau?« notierte Zimmermann in seinem Notizbuch. Auch die Küche war für einen alleinstehenden Greis sehr sauber, kein Geschirr im Becken, nirgendwo Essensreste, auf dem Küchentisch lag nur die »Eifeler Zeitung« neben einer halb vollen Tasse Kaffee. Der Kommissar nahm sich alle Schränke und Schubladen vor, fand aber – außer dem Kalender eines Drogeriemarktes – keinerlei Unterlagen. Länger beschäftige er sich in dem letzten Zimmer des Hauses – in der Eifel nennt man so einen Raum »de Stuv«. Auch diese Räumlichkeiten wirkten, als sei hier in den letzten dreißig Jahren keine Veränderung vorgenommen worden. Ungläubig starrte der Kommissar einen Schwarzweiß-Fernseher an, der ihn stark an seine Kindheit erinnerte. In der Schranknische standen mehrere Bilder einer älteren Frau – und zwei Fotos, die offensichtlich bei einer Beerdigung aufgenommen worden waren. Bilder von anderen Personen gab es nicht:

»Wahrscheinlich kinderloser Witwer«, kombinierte Zimmermann und nahm sich dann die spärliche Bibliothek vor, die aus einer riesigen Sammlung des »Jahrbuch des Monschauer Landes« und einigen Romanen bestand, die Zimmermann an den Buchclub seiner Eltern in den sechziger Jahren erinnerte: Zuckmayer »Als wär’s ein Stück von mir«, Adenauer »Erinnerungen 1953 – 1955«, Böll »Ende einer Dienstfahrt«, Walser »Das Einhorn« und Zwerenz »Casanova oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden« – um nur einige zu nennen. Die Bücher wirkten ungelesen. Er schüttelte jeden Band, fand aber nur einen Zehnmarkschein aus D-Markzeiten. In den übrigen Schrankfächern befand sich nur Geschirr, Ausnahme waren ein Aktenordner und ein Fotoalbum. Beides nahm Zimmermann an sich und würde es später in Monschau in seinen Schreibtisch einschließen.

Dann verließ er das Haus, wechselte noch einige Worte mit den Streifenbeamten, die die Sperrung der Straße gerade aufhoben und die weiß-roten Bänder einrollten. Er winkte Benno Breuer heran, der mit einem Schaulustigen gerade ein tiefschürfendes Gespräch über die Aufstiegsmöglichkeiten des FC Roetgen in die Bezirksliga beginnen wollte.

»Könnt ihr«, so raunte Zimmermann ihm zu, »noch eine Stunde hier was rumstehen? Das macht einen schlanken Fuß. Wenn wir jetzt alle geballt hier abhauen, zerreißen sich die Leute wieder das Maul.«

»Kein Problem«, nickte Benno Breuer, »ich wollte sowieso gerade ein paar Anwohner befragen. Vielleicht hat ja einer was gesehen.«

»Sehr gut, vielleicht hat der FC ja zufälligerweise heute Morgen hier trainiert«, grinste Zimmermann, bevor er sich Richtung Monschau verabschiedete.

»Der weiß einfach immer noch nicht, wie man in der Eifel ein Gespräch beginnt«, schimpfte der Polizeihauptmeister und wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu:

»Also, wo waren wir stehen geblieben? Genau – FC!«

***

10.30 Uhr

»Warum, zum Teufel, heißt dieser Raum ›Free-Flow-Restauran‹, gibt es da keinen deutschen Namen?«, fragte sich der seriös wirkende, grauhaarige Mittachtziger, als er die Autobahnraststätte »Aachen-Land« betrat. Er war erst vor wenigen Minuten mit einem neuen »Jaguar XJ« aus Aachen gekommen und hatte den Wagen so geparkt, dass er das Fahrzeug aus der Raststätte immer sehen konnte.

Aus der Kalttheke stellte er einen Mozzarella-Teller und einen Multivitamin-Saft auf sein Tablett, ehe er zur Kasse ging und bezahlte. Man merkte ihm an, dass ihm das Gehen leichte Schwierigkeiten machte. Er schaute sich in dem Raum um und entdeckte an einem kleinen Tisch einen ebenfalls schon recht betagten Mann, der allerdings eher einfach wirkte. Der Mann trug derbe Handwerkerkleidung und sah wie jemand aus, der trotz seines hohen Alters noch täglich in der Werkstatt steht und mit seinen Ratschlägen den Erben gehörig auf den Wecker geht. Vor ihm stand lediglich ein Bier.

Mit einem gegenseitigen Nicken kamen Bier und Multivitamin zusammen. Multivitamin ergriff sofort das Wort:

»So sieht man sich wieder.«

»Dabei wollten wir uns nie wieder treffen«, antwortete das Bier.

»Wir werden uns auch nicht mehr treffen. Aber die Sache kann nur bar abgewickelt werden. Unser Mann ist schon bezahlt worden. Ich hoffe, du hast deinen Anteil dabei.«

»Natürlich, für wen hältst du mich?«

Das Bier griff in seine Jacke und zog einen Umschlag hervor, den er diskret über den Tisch schob.

»Das erinnert mich gerade an die alten Zeiten«, lachte der Multivitaminsaft, »wenn wir in ›Fringshaus‹ geteilt haben, wo uns keiner was konnte.«

»Deine alten Zeiten können mir geklaut bleiben, das ist alles schon ewig her. Und ich frage mich, ob es wirklich keinen anderen Weg gab!«

»Du kanntest ihn doch besser als ich.«

»Ehrlich gesagt: Bevor ich in die Kiste gehe, möchte ich von der Sache nichts mehr hören. Und auch von dir nicht.«

»Du erlaubst, dass ich noch meinen Mozzarella esse?«, giftete der Saft.

»Oh, Mozzarella, wir waren ja schon immer etwas Besseres. Ich esse bis zum heutigen Tage Käse, aber beim Herrn muss es ja etwas Ausgefallenes sein.«

»Mozzarella ist nichts Ausgefallenes.«

Das Bier stand auf, klopfte zweimal mit der Faust auf den Tisch und entfernte sich Richtung Ausgang. Wenig später fuhr ein betagter »Renault X53« Richtung Düren davon – in die andere Richtung wäre er auch Geisterfahrer gewesen.

***

10.45 Uhr

Nusselein hackte auf den Computer ein, als ginge es um sein Leben. Immer wieder schrie er »Fertig!« und schickte einen weiteren Artikel, bei denen es um so spannende Themen wie »Teilneuwahlen bei der Konzener Feuerwehr«, den »Wechsel des Taktstocks bei der Harmonie Imgenbroich« oder das »Eifelwetter im Frühjahr« ging, an den zentralen Redaktionscomputer, der unter dem Tisch von Elli Breuer steht. Wenige Minuten später ließ diese dann ein anerkennendes »Leck mich am Arsch, so viele Artikel hat das Arschloch an einem Tag noch nie fertiggebracht« vernehmen.

Die für ihre gepflegte Konversation bekannte Redaktionssekretärin wusste allerdings, dass Nusselein sehr bald auf die eher inaktive Seite der täglichen Arbeit wechseln und in höhere journalistische Gefilde eintauchen würde. Sekunden später klingelte das Telefon:

»Elli Breuer, der Hammer, was kann ich für Sie tun?«

»Hier ist der Gottfried, der Zimmermann, kannst du mir mal den Charly geben?«

»Ich hatte es geahnt! Ich hatte es geahnt!«, krakeelte Elli und schrie:

»Nusselein, der Kripomann, der verbotenerweise mit einem Schreiberling zusammenarbeitet, will dich sprechen.«

Nusselein hob ab, öffnete gerade den Mund, als Zimmermann ihn sofort unterbrach:

»Wenn du jetzt ›Bei der Arbeit‹ sagst, lege ich sofort auf. Also: In einer halben Stunde gehe ich nach Hause etwas essen …«

»Du sprichst von der noblen Schankwirtschaft ›Zum Schwarzen Krug‹ und der schönen, angetrauten Wirtin namens Helga Preim, die wohl jetzt Preim-Zimmermann heißt …«

»… dann können wir uns treffen und die Sache mal angehen. Natürlich nur, wenn du Interesse hast.«

»Und was ich für ein Interesse habe«, jubelte Nusselein wortlos, sagte dann aber wichtig:

»Ich schaue mal, ob es da einen terminlichen Freiraum gibt.«

»Dein Freiraum ist in einer halben Stunde auf einem freien Stuhl im ›Krug‹. Und merke: keinen blöden Spruch!«

»Blöde ich? Mit mir kann man doch reden wie mit einem Idioten – ich wollte doch sogar meine Einschulung aus Gewissensgründen verweigern. Und dann bin ich noch der Meinung, dass Schleiden zerstört werden muss, wie Cato, der alte Sack, immer sagte«, räsonierte Nusselein, doch da hatte Zimmermann bereits aufgelegt.

Eine halbe Stunde später verließ Charly Nusselein die Redaktion:

»Ich kümmere mich mal um den Mord. Glaube nicht, dass ich heute noch mal reinkomme.«

»Wenn ich dich sehe, denke ist ständig an Mord«, schnauzte Elli, doch da hatte Nusselein bereits die Tür hinter sich zugeschlagen. Eiligen Schrittes lief der »agile Vollblutjournalist« – so Nusselein in einer bisher unveröffentlichten Biografie – die wenigen Meter zum »Krug« und sang dabei »Walking in Monschau« (Nusselein feat. Marc Cohn).

Nur am Rande: Marc Cohn traf 2005 bei einem Überfall eine Kugel in die Schläfe. Durch glückliche Umstände brauchte er aber nur ambulant behandelt werden. Böse Zungen in Monschau dagegen behaupten, dass Charly Nusselein schon immer einen Kopfschuss hatte.

***

11.00 Uhr

Incitatus konnte Nusselein am ehesten ertragen, wenn dieser eine Dose mit Katzenfutter – zu Beispiel »Häppchen in Gelee« – öffnete. Sonst war der Kater gerne alleine und schlief in Nusseleins Bett. Er liebte besonders den Zustand, wenn die Bettwäsche seit Monaten nicht mehr gewechselt worden war, weil keine Dame ihren Besuch im Wohnwagen auf der einsamen Eifelhöhe angesagt hatte. Da dieser Zustand die Regel war, konnte der Kater immer wieder in diesen herrlichen Duft aus Transpiration von Mensch und Katze eintauchen.

Der raue Eifelwinter, bei dem der Kater nur selten den Wohnwagen verlassen hatte, verabschiedete sich langsam. Incitatus beschloss daher, seinen täglichen Rundgang durch Ruitzhof wieder zur Regel zu machen. Vielleicht gab es neue Katzen, die man begatten oder verprügeln konnte.

Und zwar genau in dieser Reihenfolge …

***

12.05 Uhr

Nach einem freundlichen »Geht aufs Haus« der Zimmermann-Gattin Helga verwarf Charly Nusselein das ursprünglich geplante Mineralwasser und bestellte ein Kölsch und ein Schweinerückensteak nach Großmutters Art mit Kaisergemüse und Pommes frites.

Dabei dachte er:

»Keine Ahnung, was Kaisergemüse ist, wahrscheinlich so was wie Leipziger Allerlei. Gab’s in der Eifel immer zu Kommunion. Ein Spargelköpfchen auf zwei Kilo Erbsen und Möhrchen. Und den Spargel fischte sich jedes Jahr Tante Maria raus.«

Gottfried Zimmermann unterbrach den nostalgischen Gedankengang aus kleckernden Kerzen, Schneider-Büchern (»Karlchen Kugelrund reist um die Welt«) und regelmäßigen Familienstreitigkeiten:

»Können wir jetzt mal zur Sache kommen.«

»Dafür eilte der Meister der Kommunikation an diesen behaglichen Ort.«

»Schnauze!«

»Fein formuliert.«

»Also«, begann der Kommissar, »wie ich dir am Telefon schon gesagt habe, wurde die Leiche eines gewissen Fritz Rumbach, Jahrgang 1918 …«

»Quem di diligunt, adulescens moritur!«, spottete Nusselein, »wen die Götter lieben, lassen sie jung sterben.«

»… somit 92 Jahre alt, schon wieder von diesem Kalb eines Bernhardiners gefunden …«

»Tatverdächtig?«

»Der Bernhardiner?«

»Nein, der Besitzer.«

»Glaube ich nicht«, schüttelte Gottfried Zimmermann den Kopf. »Der ist bloß immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Wir vermuten, dass der Mord in den frühen Morgenstunden passiert ist, da die Zeitung schon auf dem Küchentisch lag. Drei Schüsse wurden auf das Opfer abgegeben, sah furchtbar aus. Aber damit nicht genug …«

»Ein Bekennerschreiben?«, unterbrach Nusselein.

»Nicht direkt. An der Hausfront gab es frische Farbspuren, jemand hat 18 und 88 auf die Tür gesprüht.«

»Erinnert mich an 4711, das hatte ein Napoleon-Soldat in Köln doch auch auf die Hauswand gemalt«, nickte Nusselein.

»Doch der hatte bekanntlich keinen erschossen, somit ist dein Einwurf völliger Blödsinn«, raunzte Zimmermann.

»Ein Genie denkt eben in alle Richtungen!«

»Verwertbare Spuren wurden nicht gefunden. Die Jungs von der Spusi…«

»Von der was?«

»Spurensicherung.«

Nusselein schüttelte den Kopf:

»Ich hasse so bekloppte Abkürzungen. Demnächst nennt ihr ne Soko noch Soki oder die Mordkommission kurz und knackig Moki.«

»Halt an dich, Sprachästhet«, fuhr Zimmermann fort. »Also die Spusi hat weder Reifenspuren noch Fußabdrücke gefunden, bloß ganz viele Hundehaare, das Kalb muss wohl einen irren Tanz aufgeführt haben.«

Nusselein schwieg für seine Verhältnisse recht lange – also ungefähr 25 Sekunden:

»Vielleicht steckt hinter den Zahlen ja ein Geheimnis: Also 18 und 88 macht 106. Wir sollten mal über 106 nachdenken.«

Der Kommissar brach nicht gerade in Jubelschreie aus:

»Und was fällt dir dazu ein?«

»Nichts!«, sagte Nusselein. »Absolut nichts.«

»Das hatte ich befürchtet«, nickte Zimmermann. »Die Aachener rufen mich gleich an. Vielleicht sind die ein Stück weiter gekommen.«

Da Helga das Essen brachte, wechselte Nusseleins Interesse schlagartig von dem Toten nach Großvaters Art zum Schweine-rückensteak nach Großmutters Art.

***

12.30 Uhr

Elli Breuer hatte barsch »Mittagspause!« beschlossen. Da Nusselein bereits seit Längerem in Sachen Mord und Rückensteak unterwegs war und Alex Kufka von seiner Frau Heidi eine längere Einkaufsliste per Mail erhalten hatte (»Zucker, Curry, Büchsen-Rindfleisch aus Bundeswehrbeständen, Zameks Steinpilzsoße aus der Tüte, Kloputzmittel extra scharf und Zahnpasta – Deine Mutter besucht uns heute Abend«), verhallte ihre Dienstanweisung ungehört in den heiligen Hallen der »Hammer«-Redaktion. Die allseits beliebte Sekretärin – wenigstens behauptete sie das – beschloss einen Fastentag einzulegen und statt dessen in der nahen Buchhandlung »Lesezeichen« an der Eschbachstraße einen Krimi zu kaufen. Jutta Förster, die seit der Ermordung ihres Mannes, des Landtagsabgeordneten Ludwig Förster (siehe: »Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?«), die kleine Buchhandlung leitete, wollte ihrerseits gerade in die Mittagspause gehen, als sich Elli Breuer noch schnell zur Tür reindrängte:

»Ich bin auch sofort wieder weg, ich brauche nur schnell einen Krimi, irgendetwas, was hier in unserer Gegend so spielt – kann auch Aachen sein.«

Jutta Förster überlegte kurz:

»Da ist gerade was Neues reingekommen. Ein Alemannia-Aachen-Krimi: »Männer, die in Adiletten sterben.« Es geht um Fußballwetten, ausgebeutete Spieler aus Afrika, den Bau einer Fußgängerbrücke vor dem ›Tivoli‹ und den Aachener Ex-OB Jürgen Linden, der sich natürlich auch in die Arbeit der Kripo einmischt.«

»Und wer hat das geschrieben?«, forschte Elli Breuer nach.

»Muss wohl ein Insider sein«, klärte Jutta Förster auf, »der sich nicht die Finger verbrennen will. Als Autor steht nur XXX auf dem Umschlag. Kostet 9,90 Euro.«

»Nehme ich«, nickte die Redaktionssekretärin. »Wenn er mir nicht gefällt, kann ich den immer noch Nusselein zu Weihnachten schenken.«

Sie bezahlte und beschloss, dass eine Currywurst durchaus in die Vorstellung eines Fastentages passen könnte.

***

14.00 Uhr

Gottfried Zimmermann hatte sich, während Nusselein genüsslich einem »Ardenner Pinocchio Becher« den Garaus machte, Richtung Büro der Monschauer Polizei an der Laufenstraße verabschiedet:

»Die Aachener rufen mich gleich an. Komm in zwei Stunden in mein Büro, aber guck, dass dich nicht die halbe Stadt sieht.«

»Die halbe Stadt wären rund 7.000 Menschen, ich achte darauf, dass mich nur 5.000 Monschauer sehen.«

»Irgendwie nervt es«, schnauzte der Kommissar, »dass du nur blöde Sprüche drauf hast. Du weißt was ich meine, sonst bekomme ich wieder einen Anschieß aus Aachen.«

Nusselein verleibte sich den Rest von Pinocchio ein und rief Helga zu:

»Danke für die Einladung, werde Ihr gastliches Haus empfehlen.«

Auf der Straße achtete er peinlichst darauf, dass ihn nicht die halbe Stadt sah – vor allen Dingen Elli Breuer. Nusselein sah nicht ein, dass er für so eine kurze Zeit wie zwei Stunden unbedingt noch einmal in die Redaktion gehen müsste. Da er von der resoluten Redaktionssekretärin nicht entdeckt wurde, startete er wenig später seinen Wagen gen Ruitzhof. Seinem inneren Schweinehund begründete er das mit der Schweinekatzen-Ausrede:

»Incitatus braucht dringend etwas zu fressen.«

Dabei wusste er genau, dass sich sein haariger Lebensgefährte bei diesen frühlingshaften Februar-Temperaturen bereits in der gesamten Nachbarschaft durchgefressen hatte. Als Nusselein an der Perlenbachtalsperre Richtung Kalterherberg abbog, sang er laut:

»Workin’ on the highway, workin’ on the highway.«

Wobei der Vergleich der Straße nach Kalterherberg mit einem Highway nicht hinkte, sondern eher beinamputiert war.

»Workin’ on the highway, workin’ on the highway.«

Als er wenig später seinen Wohnwagen in Ruitzhof erreichte, war von Incitatus weit und breit nichts zu sehen. Vergeblich fahndete Charly nach einer Nachricht auf dem Küchentisch – allerdings hatte der Kater noch nie diese Art der Kommunikation genutzt. Nusselein beschloss, ein kleines Nickerchen in dem zerwühlten Bett zu machen, doch nach noch nicht einmal zwanzig Minuten meldete sich das Handy in seiner Hemd-Brusttasche mit »Where The Wild Roses Grow«:

»Gottfried hier, komm sofort in mein Büro. Die Sache entwickelt sich hochinteressant. Also Beeilung! In die Hufe!«

»Wie heißt das Zauberwort mit fünf Buchstaben?«

»Flott!«

»Für den alten Witz bekommst du in Restjugoslawien die Rente!«, maulte der Lokaljournalist, doch Gottfried Zimmermann hatte bereits aufgelegt.

***

15.05 Uhr

Nur wenige Meter vom Wohnwagen entfernt schlich Incitatus durch das hohe Gras einer Wiese, die von Ruitzhof bis zum Damm der ehemaligen Vennbahn reichte. Als er schließlich dort ankam, schwang er sich auf einen Baum, um sich auf einem hoch gelegenen Ast etwas zu sonnen. Da der Kater auch nicht mehr der Jüngste war, brauchte er fast zehn Minuten, bis er den Ast der Begierde in rund zehn Metern Höhe erreichte. Von dort beobachtete er eine Wandergruppe, die laut singend durch Fauna und Flora zog:

»Zwischen hohen Bergen liegt mein Eifelland,

von der Wälder dunklem Grün so traut umrand,

wo die Rur ihr brausend Lied schlägt an den Strand,

da ist meine Heimat, liegt mein Eifelland.«

Incitatus starrte von seinem hohen Ausblick gen Rur – einen Strand konnte er allerdings nicht ausmachen …

***

15.45 Uhr