Wasser ist zum Waschen da - Hubert vom Venn - E-Book

Wasser ist zum Waschen da E-Book

Hubert vom Venn

4,7

Beschreibung

Beim Schlagwort Kriminalität fallen einem die Bronx, Rio de Janeiro, das Frankfurter Bahnhofsviertel und & die Eifel ein. In kaum einer Gegend gibt es so viele Gewalttaten wie in dem Schmelztiegel der Kulturen zwischen Trier und Aachen, Bonn und Eupen. Morde und Gewalttaten sind in der Eifel an der Tagesordnung, hinter jeder Buchenhecke kann die Fratze des Grauens lauern. Der umtriebige Monschauer Lokaljournalist Charly Nusselein und Gottfried Zimmermann, einziger Kripomann auf weiter Nordeifeler Flur, ermitteln wieder. Diesmal geht es ums Eifelwasser und die (noch fiktive!) Konstellation, dass die Eifeler Talsperren an französische Spekulanten verkauft werden sollen. Eine Erhöhung des Wasserpreises wäre somit eine logische Konsequenz. Doch es gibt Widerstand und einen Toten – ausgerechnet auf dem Parkplatz der „Wasserunion Eifel“ an der Monschauer Perlenbachtalsperre. Das Opfer ist angebliche dem Chef des Wasserwerks vor den Wagen gelaufen – bereits tot und mit der Lunge voll Wasser…. Das Ermittler-Duo Nusselein/Zimmermann steht vor einer Talsperre des Schweigens, zumal auch einige Politiker hinter den Kulissen kräftig an den Strippen ziehen. Wie immer hat Hubert vom Venn auch in diesem Krimi ein wenig Realität in die Fiktion einfließen lassen. Man denke in der Vergangenheit nur an die letzten vier Nusselein-Krimis, in denen es um Neugründung von Parteien, Bundesnachrichtendienst, Neonazis, Kunstdiebstahl und Klostergründung ging und wo so mancher (betroffene) Zeitgenosse „Verdammt, woher weiß er das?“ ausgerufen hat. Und diesmal geht es also um den Verkauf des Eifelwassers. Wie gesagt: noch kein Thema. Oder doch? Seinen Informanten musste der Autor Hubert vom Venn auf jeden Fall absolute Anonymität zusagen und sicher werden auch nach dem fünften Nusselein-Krimi wieder Stimmen leise werden, die raunen: „Verdammt, woher weiß er das?“

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© 2012 1. Auflage eBook-Ausgabe 2012RHEIN-MOSEL-VERLAGBrandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542/5151 Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-89801-818-0 Ausstattung: Cornelia Czerny Umschlag: Steffi Delfmann Foto Rückseite: Karim Azmani/Radio am Alex Korrektur: Thomas Stephan Druck: AALEXX Buchproduktion GmbH

Hubert vom Venn

Wasser ist zum Waschen da

Nusseleins fünfter Eifel-Fall

RHEIN-MOSEL-VERLAG

***

Für Jupiter Jones

»Du kriegst den Jungen aus der Eifel, aber die Eifel nicht aus dem Jungen.«

(Aus: »Eifelmagazin«)

***

Dichtung und Wahrheit

Dies ist ein Roman und kein Tatsachenbericht. Alle Handlungen, Gespräche und Personen sind frei erfunden, irgendwelche Ähnlichkeiten sind also rein zufällig. Halt! Einige reale Personen habe ich eingebaut – allerdings ist all’ das, was sie in diesem Buch sagen und machen, ebenfalls meiner Fantasie entsprungen.

***

Dank

Mein Dank gilt einigen, natürlich ungenannten Informanten, die mir – wissentlich und unwissentlich – immer wieder Geschichten aus dem Alltag der Eifel erzählt haben. Mein Dank gilt schreibenden, mitteilenden und mitteilungsbedürftigen Menschen, deren Originalzitate ich – meist satirisch – verfremdet habe.

Besonders bedanken möchte ich mich bei:

www.dein-allgaeu.de für die sprachliche Nachhilfe

Robert Deller, Oberstaatsanwalt, Aachen

Paul Kemen, Polizei-Pressesprecher, Aachen

einem Politiker, der nicht erwähnt werden möchte und mich in das Thema Eifelwasser einführte

sowie bei meiner Frau Ingrid, meiner Tochter Katharina und unserem Kater Paul, die mich über Monate in einer anderen Welt ließen

***

Prolog

Man kann es nicht oft genug sagen: Beim Schlagwort Kriminalität fallen einem die Bronx, Rio de Janeiro, das Frankfurter Bahnhofsviertel und … die Eifel ein. In kaum einer Gegend gibt es so viele Gewalttaten wie in dem Schmelztiegel der Kulturen zwischen Trier und Aachen, Bonn und Eupen. Morde und Gewalttaten sind in der Eifel an der Tagesordnung, hinter jeder Buchenhecke kann die Fratze des Grauens lauern. Oft mit den Zügen eines Saubermanns.

Und Charly Nusselein?

Nun ja …, der lebt immer noch mit seinem Kater Incitatus unbefraut in einem ehemaligen Zirkuswohnwagen in der deutschen, von Belgien umzingelten Enklave Ruitzhof unweit von Kalterherberg. Trotz einer Sekretärin am Rande des Nervenzusammenbruchs und einem resignierenden Verleger arbeitet Charly noch immer als Redakteur beim »Blättchen«, wie die Eifeler despektierlich sagen. Die Publikation – was für ein Wort – heißt laut Handelsregister »Der Hammer«, ein völlig idiotischer Name in einem ländlichen Verbreitungsgebiet.

Hinter Nusselein liegt eine Zeit des Vergessens, da sich im vergangenen Sommer eine Beziehung zu einer Roetgener Alternativen abgezeichnet hatte. Die Frau hatte durchaus Interesse signalisiert, die körperliche Umsetzung aber strikt von sich gewiesen, da sie den Journalisten in einem Zustand der noch nicht vollendeten Selbstfindung sah. Um ihm dabei behilflich zu sein, lud sie Charly Nusselein in ein Zeltlager bei Büllingen ein, wo drei Meditationstage unter dem Motto »Mit dem Ochsen das Ich ertrommeln« stattfanden. Man aß streng vegetarisch, meist einen schlappen Möhrensalat aus einem Eimer. Einmal pro Tag sprang ein von der Tarantel Gestochener, der sich »Engel« nannte, in Sandalen, Schlabberhose und blau-weiß-gestreiftem Seemanshemd auf die Wiese, schrie »Selbstfindung« und schlug sich dabei zwei rohe Eier auf den Kopf.

Den Rest des Tages trommelte die Gruppe, ganz versunken im Hier und Jetzt.

Am zweiten Abend zog die Alternative Nusselein in ein leeres Zelt und sagte nur:

»Ich werde dir jetzt etwas zeigen, was dir noch nie eine Frau gezeigt hat.«

»Na, na«, dachte Nusselein nur, »ganz so unerfahren bin ich nun auch wieder nicht.«

»Schließe die Augen, ich bin gleich fertig«, tat die Frau kund und Nusselein stellte sich vor, wie sie ihr wallendes Zenzi-von-der-Agäis-Kleid aus der »Fern-Ost-Boutique« über die Schultern zu Boden gleiten ließ und nackt vor ihm stehen würde. Aus Höflichkeit würde er so tun, als hätte er so etwas tatsächlich noch nie gesehen.

»Du kannst die Augen jetzt öffnen!«, hauchte die Alternative und Nusselein nahm eine völlig bekleidete Frau neben einem mit Kerzen erleuchteten Tisch wahr, auf dem zehn Zeichnungen lagen:

»Das sind die zehn Ochsenbilder, die werden dich zu dir selbst führen. Das ist mein Geschenk an dich, denn erst wenn du dir nahe bist, kannst du auch einem anderen Menschen nahe sein.« Sprach’s und verließ das Zelt in Richtung Möhrensalat.

Nusselein packte die spielkartengroßen Bilder ein, murmelte etwas von »Hau weg«, schlich zu seinem Wagen und war zwanzig Minuten später in Ruitzhof. Von der Roetgenerin hat er nie wieder etwas gehört, allerdings schaut er sich seit einigen Wochen jeden Tag eines der Ochsenbilder an, liest deren Erläuterung und versteht den Ochsen und die Welt nicht mehr. Kurzum: Trotz mehrerer Ochsentouren hat Nusselein noch nicht zu sich selbst gefunden.

Halt, halt, wir müssen auch noch ein paar Worte zu Gottfried Zimmermann sagen. Der einzige Kriminalkommissar in Monschau, verheiratet mit Helga Zimmermann-Preim, Wirtin des »Schwarzen Krug«, beschäftigte sich in den letzten Wochen in erster Linie mit Kleineinbrüchen, Hühnerdieben und dem einen oder anderen Exhibitionisten – mit oder ohne Trenchcoat.

Und da ist seit elf Monaten auch noch Leo, erstes Kind der Verbindung Preim-Zimmermann. Nach »Mama« und »Papa« erfolgte eine weitere Aufstockung des Vokabulars: »Schaly«, ein Ausspruch, der den Paten Charly Nusselein mit großem Stolz erfüllt.

***

Erster Tag – Mittwoch, 29. Februar

07.40 Uhr

»Diesen Tag gibt es nicht«, entschied Charly Nusselein, als sein Wecker, ein mechanisch trommelnder Affe, die Drums bearbeitete. Er brachte den Primaten zum Schweigen, drehte sich zur Seite und war Sekunden später wieder eingeschlafen. Sehr zum Unmut von Incitatus, der sofort vom Fußende zu seinem Katzenschüsselchen hechtete, da ihm der Sinn nach Nahrungsaufnahme stand. Ein vergebliches Ansinnen, wie ihm schnell klar wurde. So verdrückte er sich erst einmal durch die Katzenklappe, bezog auf einem Zaunpfahl zwischen den beiden Buchen, die Charly »Urbi« und »Orbi« nennt, Stellung und atmete kalte Eifeler Luft ein. Natürlich blieb ihm dabei die menschliche Kreatur nicht verborgen, die sich mit einem viel zu großen Rucksack die Straße hochschleppte und dann auch noch an die Tür des Wohnwagens hämmerte. Schlaftrunken öffnete Nusselein und musste spontan an eine blonde Hollywood-Größe denken – an Lassie, die blonde Colliehündin und Heldin seiner ersten schwarz-weißen Fernseherlebnisse. Lassies Herrchen Jeff hatte nämlich einen Freund, den dicken Porky, und dieser hatte eine verdammte Ähnlichkeit mit der Erscheinung vor dem Wohnwagen.

»Da bin ich, Alter«, maulte das noch namenlose Porky-Wesen, »Heinz-Willi, dein Neffe aus Pronsfeld. Du hattest mir doch bei meiner Kommunion gesagt, dass ich mal vorbeikommen sollte.«

»Das war vor gefühlten acht Jahren und ein Abkömmling des Kindes des Bruders meiner Mutter ist kein Neffe«, stellte Nusselein klar. Doch da hatte sich der nun nicht mehr namenlose Porky schon an Nusselein vorbei in den Wohnwagen gedrängt:

»Hübsche Absteige irgendwie!«

Incitatus verdrehte die Augen – doch, doch, das können Katzen – und trottete erst einmal in Richtung eines nahen Bauernhofs davon. Dort stehen die Katzenschüsselchen nämlich noch draußen – eine lobenswerte Gepflogenheit also.

Heinz-Willi hatte sich derweil krachend in den einzigen Sessel fallen lassen, schmiss die Beine über die Armlehne und rülpste herzerfrischend:

»Bin von Prüm getrampt, irgend so ein polnischer Penner im LKW, der irgend so ’ne Schokoladenpampe nach Warschau tuckert, hat mir ’ne Frikadelle an den Kopf gelabert. Wollte irgendwie …«

»Sag nicht dauernd irgend …«, schimpfte Nusselein.

»… wollte irgendwie wissen, wo in der Gegend hier en Puff ist. Als würde ich mich hier auskennen. Der Russenpuff in Niederprüm …«

»Hast du eigentlich keine Schule?«, beendete Nusselein das Thema.

»Zwei Wochen krank, vermute irgendwie Burn-out, zuviel Doppelbelastung, Schule, Weiber, Rock ’n’ Roll …«

»Das ist nicht doppelt, das ist dreifach.«

»… und da erinnerten sich meine Alten, dass du sie mit deinem »Kommt mich doch mal besuchen« schon seit Jahren nerven würdest. Da habe ich mich dann irgendwie geopfert.«

Nusselein konnte sich noch nicht einmal genau an die Eltern des pubertierenden Fleischklopses erinnern, war dagegen aber felsenfest überzeugt, niemals eine Einladung ausgesprochen zu haben.

Denn er sprach nie solche Einladungen aus …

Das Telefon beendete die Möglichkeit einer Vertiefung der ersten zaghaft geknüpften familiären Aufarbeitungen.

***

08.35 Uhr

Elli Breuer, Redaktionssekretärin des »Hammer«, hatte sich als Kommunikationsmittel für das Telefon entschieden, obwohl sie es mühelos von Monschau bis Ruitzhof ohne den Einsatz technischer Hilfsmittel geschafft hätte:

»Nusselein, du Vollpfosten, da gibt es einen seltsamen Todesfall unterhalb der Brücke am Wasserwerk …«

»Ach, der werte Ehemann plaudert Dienstgeheimnisse aus …«

»Sei doch froh. Dein Kripo-Busenfreund Zimmermann ist schon draußen. Der hätte dich doch auch wecken können, ihr scheißt doch sonst immer durch ein Loch.«

»Wecken!?! Ich bin seit Stunden wach und wollte gerade ins Büro kommen. Hatte den Zündschlüssel …«

»Lüg’ nur weiter«, schimpfte Elli und legte auf.

Nusselein warf seinem nicht klar zu definierenden Verwandten einen kurzen Blick zu:

»Kapitalverbrechen, mich hat gerade die Kripo angefordert«, log er, während Heinz-Willi-Porky ungehört hinter ihm herrief:

»Falls du irgendwie an nem Mäckes vorbeikommst …«

Sekunden später heulte der Mazda auf – nun ja, was man bei einem Wagen urälterer Bauart so Heulen nennen kann. Nach einer kurzen Fahrt durch Belgien erreichte Nusselein Kalterherberg und machte sich bis zum Ortsende gefühlter achtzehn kleinerer und mittlerer Verkehrsverstöße schuldig. Bei solchen Fahrten, die er Einsätze nennt, singt er gerne laut und … falsch.

»This land ist my land – from Ruitz to K’berg«

Vorbei an der Perlenbachtalsperre erreichte er die B 399, überquerte diese, indem er einen Niederländer zu einer Vollbremsung zwang, um dann mit erhöhter Geschwindigkeit das Wasserwerk anzusteuern. Ein vergebliches Unterfangen, da ihn ein Streifenpolizist niederen Dienstgrades am Weiterfahren hinderte. Unterstützt wurde diese staatsgewaltige Maßnahme durch ein quer über die Straße gespanntes Band:

»Crime Scene Do Not Cross.«

»Wo beziehen die deutschen Bullen eigentlich ihr Merchandising her?«, maulte er, während er nicht nur den deutschen Presseausweis, sondern auch noch den internationalen dem »Jungbullen«, wie Nusselein dachte, unter die Nase hielt.

»Damit habe ich nichts zu tun, ab hier wird gelaufen«, beharrte der Jungspund und wies Nusselein einen Platz am Straßenrand zu. Den Rest der Strecke lief Nusselein mit seiner für das Digitalzeitalter viel zu großen Kameratasche zu Fuß. Er fluchte:

»Und dann bin ich noch der Meinung, dass Schleiden zerstört werden muss, wie Cato, der alte Sack, immer sagte.«

Heiner Schepp von den »Eifeler Nachrichten« kam ihm nach getaner Arbeit entgegen:

»Na, auch schon wach?«

»Hab’ schon was rumtelefoniert. Unter uns: Nix Genaues weiß man nicht«, schwindelte Nusselein.

Heiner Schepp zuckte nur mit den Schultern:

»Seltsame Geschichte auf jeden Fall.«

Als Nusselein den Ort des Geschehens genau unter der Talbrücke erreichte, wimmelte es dort schon von Menschen. Hinter einem silbernen Mercedes Offroader lag zugedeckt eine Per- son.

»Kombiniere tot!«, schlussfolgerte Nusselein messerscharf, da weit und breit kein Notarzt nebst Krankenwagen zu sehen war.

Gottfried Zimmermann sprach mit einem Mann, der fassungslos an dem Wagen lehnte und den Kopf weit in den Nacken legte. Wenige Meter entfernt saß eine junge Frau schluchzend auf einem Stein, während eine blonde Polizeibeamtin beruhigend auf sie einsprach.

Zahlreiche Beschäftigte des Wasserwerks beobachteten das Szenario aus sicherer Entfernung.

Nusselein schob sich seitlich zu Benno Breuer:

»Grüß Gott, der Herr Polizeihauptwachtmeister. Schon auf den Beinen? Was ist denn hier passiert?«

»Frag’ doch deinen Intimfreund. Hau ab, wenn gleich die Aachen- er kommen, möchte ich nicht mit dir gesehen werden.«

»Diesen Satz werde ich gleich bestimmt noch einmal hören«, murrte Nusselein und vermied es, sofort zu Gottfried Zimmermann zu gehen. Dafür schlenderte er auf die Beschäftigten des Wasserwerks zu und sprach den erstbesten Blaumannträger an:

»Presse! Was ist denn hier passiert?«

Der Mann schaute ihn kurz an, dann starrte er wieder auf den Mercedes: »Unserem Chef ist einer vors Auto gelaufen.«

»Tot?«

»Klar tot! Meinste, der macht en Nickerchen unter der Decke?«

»Sprachnehler«, dachte Nusselein – zugegeben: sehr platt – und fragte dann:

»Einer von euch hier?«

»Ne, der Erwin hat den Mann gesehen. Keiner von uns. Hat sich wohl auf dem Firmengelände rumgetrieben. Sieht übel aus.«

»War zufällig ein Mann mit einem Riesen-Bernhardiner hier?«, fragte Nusselein.

Der Mann sah Nusselein fassungslos an:

»Was soll denn ein Bernhardiner hier.«

»Ach nix, nur so, dachte nur, ist so ein typisches Bernhardinergelände hier.«

Der Blaumann schüttelte den Kopf und ging grußlos weg.

»Schade«, murmelte Nusselein, »kein Bernhardiner. Das er-schwert die Sache ungemein.«

In den letzten Nusselein-Fällen, dies sei als Erklärung erlaubt, waren die Leichen immer von Hans Nießen und seinem Hund Barry vom Schlummerwölkchen gefunden worden …

Nusselein stellte seine riesige Kameratasche ab und kramte zwischen einer Butterbrotdose, einem Flaschenöffner, vier belegten Brötchen älteren Datums und mehreren Packungen Tempotaschentüchern einer No-Name-Firma eine winzige »Samsung« hervor, mit der er wild durch die Gegend fotografierte. Als der Opel der Spurensicherung eintraf, verzog sich Nusselein, da die Aachener ihn immer als ausgemachten Idioten beschimpften. Leise fluchte er:

»Und dann bin ich noch der Meinung, dass Schleiden zerstört werden muss, wie Cato, der alte Sack, immer sagte.«

***

09.20 Uhr

Kurz vor Schöneseiffen, auf dem Parkplatz, den Wanderer zur Oleftalsperre nutzen, stand schon seit geraumer Zeit ein völlig verrosteter Kastenwagen der Marke »Renault Estafette« mit belgischen Kennzeichen. Von Rocherath näherte sich ein schwarzer Golf und parkte direkt neben dem alten Lieferwagen. Als weit und breit kein weiteres Fahrzeug zu sehen war, verließen ein Mann und eine Frau den Renault, entfernten die Nummernschilder und stiegen schnell in den Golf um. Sofort raste dieser Richtung Hellenthal davon. Wenig später schlugen Flammen aus dem Renault, der bald lichterloh brannte und dann explodierte.

In Dreiborn heulten die Sirenen …

***

09.30 Uhr

Incitatus wusste, dass er diesen Hans-Willi »Porky« hassen würde. Der kramte nämlich in dem alten Küchenschrank eine Büchse »Haggis« hervor, die noch aus der Zeit stammte, als Nusselein einen Schottentick hatte. Da der Kater den Fremdling kritisch beäugte, hielt Porky ihn für einen idealen Ansprechpartner:

»Ist das irgendwie Katzenfutter?«

»Alles ist Katzenfutter!«, dachte der Kater nur und verzog sich auf seinen Sessel. »Mal gucken, ob der Idiot den Dosenöffner findet.«

***

09.45 Uhr

»Gottseidank! Keine Personen im Fahrzeug!«

Hermann Hilgers, Wehrleiter der Dreiborner Feuerwehr, war erleichtert, hatten die Wehrleute doch vor Jahren in der Nähe die verbrannte Leiche eines Selbstmörders bergen müssen.

»Die Karre haben welche warm entsorgt«, schob er nach. »Es gibt keinerlei Reste von Nummernschildern. Wir sollten auf jeden Fall die Kripo in Schleiden informieren.«

***

09.55 Uhr

Cornelius Damm von der Aachener Spurensicherung schüttelte den Kopf:

»So etwas habe ich auch noch nicht gesehen. Der hat, wie es scheint, fast sämtliche Knochen gebrochen. Sie müssen ja mit einem Affentempo hier gefahren sein.«

Der so Angesprochene war Hans Hüpgen, Betriebsleiter der »Wasserunion Nordeifel« (WUNE) und somit auch Chef des Wasserwerks. Dieser stand noch immer fassungslos an seinen Wagen gelehnt.

»Ich kann nur wiederholen, was ich auch schon Ihrem Kollegen gesagt habe: Ich bin Schritt gefahren und habe den Mann erst gesehen, als er mir vor die Scheibe schlug. Der rutschte dann über das Dach. Sie können meine Sekretärin fragen, die hat den Mann auch nicht gesehen.«

»Ihre Sekretärin war im Wagen?«

»Ja, natürlich, habe ich doch alles schon gesagt. Die kommt mit dem Bus aus Einruhr und steigt immer in Imgenbroich aus. Ich komme aus Roetgen und nehme sie jeden Morgen mit. Hier raus ist das ja schon etwas kompliziert.«

Gottfried Zimmermann, der bis dahin mit der Sekretärin gesprochen hatte, war zu den beiden gestoßen:

»Das stimmt. Die Sekretärin heißt Ursula Kramm und hat das auch so geschildert. Ich habe aber noch eine Frage: Kennen Sie den Mann?«

Hans Hüpgen schüttelte den Kopf:

»Nach dem Unfall habe ich ihn mir nur kurz angesehen, dann wurde mir schlecht und es kamen auch schon Leute von uns angerannt. Nein, ich glaube nicht, dass ich den schon einmal gesehen habe. Zuerst dachte ich ja auch, es sei ein Beschäftigter von uns. Fremde tauchen morgens hier so gut wie nie auf.«

»Können Sie sich die Leiche noch einmal genau ansehen?«, fragte Gottfried Zimmermann.

»Nein, nein, das kann, das will ich nicht. Das ist alles viel zu furchtbar.«

»Na gut«, warf Cornelius Damm ein, »dann schaffen wir den Toten in die Gerichtsmedizin. Wir hören uns.«

Damm winkte zwei Männern zu, die rauchend an einem Leichenwagen standen, auf dem »Der letzte Wagen ist immer ein Kombi« als Werbung stand:

»Ihr könnt dann, wie immer.«

Berthold Ott, ebenfalls von der Aachener Spurensicherung, zeigte sich äußerst zufrieden mit der schnellen Arbeit:

»Wahrscheinlich nur ein Unfall. Bei Mord hängen wir sonst immer ewig in dieser verdammten Eifel ab. Lass uns fahren, in der Kantine gibt es Kochklops mit Kapernsoße.«

»Wenn du nicht immer nur ans Essen denken würdest, wärst du nicht so ein Polizeiklops«, maulte Cornelius Damm.

Dann verließen die beiden in ihrem Dienstwagen das Gelände des Wasserwerks in Richtung Aachen.

***

10.05 Uhr

Der Hacker lehnte sich zufrieden zurück – seine Seite http://www.eifelwasser.biz/cms/index.php erschien bei Google an dritter Stelle. Das mattblaue Profil zeigte am oberen Rand die Bilder von verschiedenen Eifeler Talsperren und enthielt in der Mitte nur einen einzigen Satz: »Water Makes Money – Kein Eifelwasser für Spekulanten!«

Unten auf der Seite stand nur noch »Impressum«. Klickte man das an, kam der Hinweis:

Wir möchten den »Freunden von Eifelwasser« unnütze Arbeit ersparen:

»Eifelwasser« erscheint in Kuala Lumpur, Malaysia und ist daher nicht impressumspflichtig. Der Herausgeber wohnt in Spanien und ist ebenfalls nicht impressumspflichtig.

»Eifelwasser« ist nicht kommerziell und wäre daher ebenfalls nicht impressumspflichtig. Alle unsere Server stehen in Asien.

»Eifelwasser« bewegt sich im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit. Alle Inhalte sind sorgfältig recherchiert.

Dann wählte er einen Festnetzanschluss in Hasenfeld bei Heimbach an: »Ist drin!«

***

10.15 Uhr

Nachdem auch der Leichenwagen das Gelände verlassen hatte, wandte sich Gottfried Zimmermann wieder an den Leiter des Wasserwerks:

»Also, wir sehen das hier zunächst einmal als Unfall. Trotzdem müssen wir Ihren Wagen untersuchen lassen. Sie bekommen ihn so schnell wie möglich zurück. Sie können jetzt gehen, ich melde mich bei Ihnen.«

Hans Hüpgen gab seiner Sekretärin ein Zeichen, dann gingen beide grußlos zum Verwaltungsgebäude, während der Kommissar den ADAC in Lammersdorf anforderte, um den Wagen nach Aachen transportieren zu lassen. Anschließend schlenderte der Kommissar zu Nusselein, der schon seit geraumer Zeit auf einem Stein saß und mit dem Wagenschlüssel den Dreck unter seinen Fingernägeln entfernte:

»Bevor du dir auch noch die Socken ausziehst und dich an deinen Zehen zu schaffen machst, also …«

»Das war kein zusammenhängender Satz, was ist mit also?«

»Also: Der Leiter des Wasserwerks heißt Hüpgen, hat einen Mann überfahren, der keinerlei Papiere bei sich hatte. Hüpgen behauptet, dass er sich mit seiner Sekretärin unterhalten und den Mann erst gesehen hätte, als er vor die Windschutzscheibe knallte …«

»Vielleicht hat die ihm ja einen geblasen und der hat deshalb nicht auf die Straße geguckt«, warf Nusselein ein.

»Idiot! Auf dem Werksgelände, wo dauernd Leute rumrennen.«

»Das steigert doch nur den Kick bei so Büroferkelchen.«

»Das sind deine Wunschgedanken«, schnauzte Zimmermann.

»Jawohl, Herr Kommissar!«

»Auf jeden Fall sieht im Augenblick nichts nach einem Verbrechen aus. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es Selbstmord war. Vielleicht ist der ja gar nicht aus dem Gebüsch gerannt, sondern von da oben gesprungen.«

Zimmermann und Nusselein schauten gleichzeitig nach oben. Dort spannt sich die große Talbrücke der B 399 über das Gelände.

»Warum eigentlich nicht?«, nickte Nusselein. »Dann werde ich jetzt zur Redaktion fahren, wahrscheinlich wird das hier ja kein Fall für Zwei.«

»Manchmal habe eben auch ich Glück«, beendete Zimmermann das Gespräch.

***

10.20 Uhr

Incitatus gab alle Hoffnung auf.

Der fettleibige Mensch hatte über eine halbe Stunde mit allerlei Gegenständen versucht, die Dose »Haggis« zu öffnen – vergeblich. Als Porky dann auch noch furzte, stand der Kater auf und verließ durch die Katzenklappe den Ort der Flatulenz. Solches Verhalten war einfach nicht mit seiner kätzichen Vorstellung von Etikette zu vereinbaren. Die meisten Katzen wissen nämlich instinktiv, wie man sich bei der Nahrungsaufnahme stilgerecht verhält: Messer und Gabel lässt man weg, der Dosenöffner hat aber immer in der blauen Katzenfutterdose mit dem Aufdruck »Felix« zu sein. Dieses Wissen hatte er Heinz-Willi voraus.

***

10.25 Uhr

Nusselein hatte gewartet, bis der Kommissar gen Monschau davon gefahren war. Erst dann schlenderte er zu seinem Wagen, fuhr aber nur bis zum Beginn der Talbrücke. Gebückt rannte er über die Brücke, von einigen Autofahrern kritisch beäugt. An der Stelle, die sich über dem Unfallort befand, stutzte der Journalist. Im Restschnee, der noch vereinzelt auf der Brücke lag, war eindeutig zu sehen, dass ein Fahrzeug bis wenige Zentimeter an das Gelände gefahren war:

»Gepennt, Herr Kommissar«, pfiff Nusselein durch die Zähne. »Da war der kleine Charly wieder einmal schneller. Aber das bleibt erst einmal im Giftschrank.«

Nusselein machte aus verschiedenen Perspektiven einige Bilder, fotografierte auch noch mehrmals auf das Gelände des unter der Brücke liegenden Wasserwerks und fuhr dann zur Redaktion an der Monschauer Laufenstraße. Er war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass ihn sein Chef Alex Kufka und seine über alles verehrte Sekretärin Elli Breuer mit Ehrerbietungen begrüßen würden.

***

10.35 Uhr

»Vollpfosten, fauler Sack, Kollegenschwein. Wir müssen die Drecksarbeit machen, während der Herr Kollege wegen eines simplen Verkehrsunfalls über Stunden wegbleibt. Jetzt erzähl mir nix von Mord und Kriminalität, ich weiß alles«, schrie Elli Breuer zur Begrüßung und beförderte eine Hand voller Büroklammern in Richtung Nusselein. Kurz hatte sie überlegt, den Locher zu schmeißen, aber der Tag war ja noch jung.

»Ich wiederhole mich nur ungern: Der werte Ehemann Benno sollte nicht soviel aus dem Berufsleben plaudern.«

»Wenn der nicht geplaudert hätte, würdest du mit deinem faulen Arsch immer noch im Bett liegen.«

»Dann hat es, wenn ich den Faden aufgreifen darf, doch etwas gebracht. Sonst würde ich nach deiner Theorie ja immer noch mit dem nach meiner Meinung wohlproportionierten Körperteil auf der Schlafstatt liegen.«

»Quatsch nicht so geschwollen, du Hirni«, ereiferte sich Elli weiter, während Chefredakteur Alex Kufka die Treppe runterkam:

»Was für uns?«, fragte er.

Nusselein tat wichtig:

»Im Augenblick sieht es nach einem normalen Verkehrsunfall …«

»Mein Reden, mein Reden«, schrie Elli dazwischen.

»… mit Todesfolge aus. Aber da ist einiges, was mir zu denken gibt. Das möchte ich vertiefen und werde daher sofort …«

»Was sagt Zimmermann dazu?«, fragte Kufka.

»Verkehrsunfall!«, antwortete Nusselein kleinlaut.

»Dann wirst du sofort nur eins tun: An deinen Schreibtisch gehen und dich mit dem Tagesgeschäft beschäftigen. Wir brauchen noch einen Artikel, um den wir die Anzeigen von ›Eifeler Handwerker am Start‹ setzen.«

»Ein kümmerlicher Journalismus, nur noch zur Rahmenfüllung von Anzeigen.«

»Selbst bei van Gogh war immerhin der Inhalt wertvoller als der Rahmen.«

»Das Beispiel hinkt nicht nur«, schimpfte Nusselein, »das Beispiel ist beinamputiert«.

Dann trollte er sich in die erste Etage an seinen Schreibtisch und hörte »Jupiter Jones«, seine neue Lieblingsband. Kommen die Jungs doch fast alle aus seiner alten Prümer Heimat.

»Den habe ich jetzt ans Arbeiten gekriegt«, raunte Alex Kufka seiner Sekretärin zu und sah geflissentlich an einem Luft- polsterumschlag vorbei. Immerhin hatten die »Anonymen Luftpolsterumschläge-Zerdrücker« ihm nach zig Therapiesitzungen als geheilt entlassen.

***

11.00 Uhr

Die drei Personen, die das Rathaus in Hellenthal betraten, hatten nur ein Gesicht – das von Guy Fawkes. Die Anonymus-Maskenträger zündeten sofort ein bengalisches Feuer und mehrere Knallkörper und schmissen dann einen Packen Flugblätter in den Rathausflur. Eilig verließen die schwarz gekleideten Gestalten das Verwaltungsgebäude und stürzten zu einem dunkelblauen »Passat«, der mit laufendem Motor vor dem Rathaus stand. Guy Fawkes saß hinter dem Steuer – wie durch Zufall hingen Putzlappen über den Nummernschildern. Der Wagen raste Richtung Schleiden davon.

Schnell füllte sich der Rathausflur mit Verwaltungsmitarbeitern sowie Beschäftigten des Nationalpark-Infopunkts und der Tourist-Information, die im gleichen Gebäude untergebracht sind. Ein beherzter Mitarbeiter des Amtes »Fachbereich Zentrale Dienste und Finanzen« stürmte mit einem Löscher auf die Feuer zu, wurde aber von einem Kollegen gebremst:

»Das ist Silvesterkram. Das hört gleich auf. Mit dem Feuerlöscher wird der Schaden nur größer.«

Der zentrale Dienst- und Finanzenleister hielt sofort inne, wenig später gingen die Feuer aus. Die Mitarbeiter sammelten derweil die Flugblätter auf – einer las laut vor.

Water Makes MoneyLängst sind die geldgierigen Energiekonzerne auf die letzte wichtige Ressource Wasser gestoßen. Systematisch werden kommunale Wasserwerke – mit mafiösen Methoden – privatisiert. Wasserprivatisierung geht uns alle an! Wehrt Euch!

***

11.10 Uhr

Elli Breuer schrie in der Redaktion die Treppe hoch:

»Nusselein, du Tropf, wenn du dein Privatgespräch mit irgendeiner deiner Billignutten beendet hast, sollst du deinen Kripofreund Zimmermann anrufen, der verschafft dir wahrscheinlich wieder ein Alibi für deine Stinkfaulheit.«

»Ich telefoniere gar nicht«, entgegnete Nusselein ruhig, »ich habe nur den Hörer abgenommen, damit mein kreativer Prozess nicht gestört wird. Und du brauchst auch nicht so zu schreien, da ein Treppenhaus einen Kamineffekt hat. Und ich telefoniere auch nicht mit Nutten.«

Und nach einem Räuspern weitaus leiser:

»Wenigstens nicht oft.«

Nusselein wählte die Telefonnummer der Monschauer Polizeistation, Zimmermann meldete sich sofort:

»Elli sagte, dass du mit Nutten telefonierst.«

»Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.«

»Schnauze!«

»Falsch! Mark Twain.«

»Also, wir sollten uns in deiner Mittagspause …«

»Ich habe immer Mittagspause.«

»… bei uns im ›Krug‹ treffen. Meine Frau serviert dir auch was Leckeres – ein Getränk gibt es kostenlos.«

»Und ich serviere im Gegenzug meine genialen Gedankengänge – auch kostenlos.«

»Arschloch!«

»Ich habe auch noch einen Vornamen«, erwiderte Nusselein, doch Zimmermann hatte bereits aufgelegt.

***

11.20 Uhr

Heinz-Willi durchwühlte Nusseleins Wohnwagen noch immer nach etwas Essbarem. Als er sich langsam mit dem Gedanken anfreundete, Katzenfutter mit Maggi auf dem Herd zu erwärmen, stieß er im Buchregal hinter einer ausführlichen Karl-May-Sammlung auf eine Pappschachtel mit dem Aufdruck:

»Einmannpackung (EPa), div. Hauptgerichte, Bundeswehr Combat: Ration: Indische Reispfanne mit Geflügelhacksteaks, Hamburger mit Tomatensauce, Cevapcici.«

Porky jubelte. Ihn plagten auch keine Gedanken an so etwas wie Verfallsdatum, immerhin lag dem Paket eine Postkarte mit dem Aufdruck »Ihr Verteidigungsminister Georg Leber« bei. Das löste bei ihm Vertrauen aus.

Da sich die Verpackungen mit einem normalen Küchenmesser, von dem es tatsächlich im Hause Nusselein noch ein sauberes gab, öffnen ließen, verschlang der ungebetene Gast gleich alles. Trotz eindeutiger Hinweise des Katers, wie zum Beispiel auf den Rücken rollen, stand Porky nicht der Sinn nach Teilen. Incitatus schaute ihn finster an, drängte sich durch seine Katzenklappe und dachte nur: »Das merke ich mir, Alleinfresser!«

***

11.35 Uhr

Walter Ulrich, Oberkommissar aus Schleiden, machte es kurz. Ihm war die Sache klar:

»Keine Nummernschilder, war auch nix im Wagen drin. Da hat einer seine Kiste warm entsorgt. War ein Renault. Wahrscheinlich ein Belgier oder Franzose. Schnell über die Grenze, anzünden, es der Versicherung als Diebstahl melden. Ich lass den mal auf unseren Hof in Schleiden bringen und frag bei der Spurensicherung der Kreispolizeibehörde in Euskirchen nach. Vielleicht finden die so etwas wie eine Fahrgestellnummer, aber so Typen kloppen die vorher meistens raus.«

Der Beamte nickte den Feuerwehrleuten zu und rief seine Dienststelle an:

»Schickt mal einen Abschlepper mit Tieflader raus. Die sollen hier nen abgefackelten Wagen abholen und zu uns bringen. Den sollen sich die Euskirchener mal anschauen. Eilt aber nicht besonders.«

Walter Ulrich tippte sich kurz an die Stirn, dann fuhr er gen Hellenthaler Rathaus davon. Auch die Feuerwehrmänner aus Dreiborn packten ihre Sachen zusammen.

»Hey Chef, soll einer von uns hierbleiben?«, rief ein Wehrmann Hermann Hilgers zu.

Der Wehrleiter nickte: »Jupp, du hast doch die meiste Zeit. Bleib hier, bis der Abschlepper gekommen ist. Ruf mich dann an, dann komm ich dich abholen.«

***

11.45 Uhr

Paul Brosch, Braumeister und Alleininhaber von »Brosch-Bräu« in Monschau, überzeugte sich, dass seine Sekretärin Heike Berger nicht mithören konnte. Dann zog er sein Notizbuch hervor, suchte und rief eine Nummer an:

»Ja, Brosch hier. Morgen wird was in der Zeitung stehen. Noch nicht viel, aber ich pisse denen schon ein bisschen in die Suppe.«

Dann lachte er:

»Große Bouillontasse allerdings, eine ganze Talsperre.«

***

11.50 Uhr

Walter Ulrich grüßte die beiden Streifenbeamten, die vor der Rathaustür in Hellenthal standen und entschuldigte sich:

»Sorry, war noch bei nem Autobrand in Schöneseiffen. Also, was war jetzt hier?«

Polizeihauptwachmeister Albert Poensgen zückte seinen Notizblock und las daraus vor:

»Also, Chef, exakt so gegen …«

»Exakt oder so gegen?«, warf Ulrich ein.

»… also genau um 11 Uhr betraten drei Personen unbekannten Geschlechts …«

»… da gibt es ja viele Möglichkeiten!«

»… das Rathaus. Die Personen trugen schwarze Umhänge und so Masken, wie die das jetzt immer bei den Demos anhaben.«

»Anonymus!«

»Sie zündeten bengalische Feuer und Knallkörper und schmissen Flugblätter rum. Dann entfernten sie sich. Keiner hier im Haus hat aber gesehen, ob zu Fuß oder in einem Fahrzeug. Einzige Zeugin des Vorfalls war der, also das Verwaltungslehrling, also … Lehrlingsmädchen Annette Heinen, die hat sich sofort in Sicherheit gebracht. Die Feuerwerkskörper habe ich untersucht, das ist ganz normaler Silvesterkram. Hier ist das Flugblatt, geht wohl irgendwie um Wasserwerke.«

Der Polizist überreichte seinem Vorgesetzten das Flugblatt, dann fügte er hinzu:

»Kein großer Schaden, habe Fotos gemacht. Die Putzfrau da vorne fragt, ob sie den Dreck wegmachen kann.«

Die so Angesprochene mischte sich ein:

»Sonst fällt das alles hier wieder auf mich zurück. Das kennen wir ja schon …«

Walter Ulrich war ungehalten:

»Das hat noch ein paar Minuten Zeit, ich will mir das auch mal ansehen. Aber zuerst möchte ich das Lehrmädchen sprechen.«

Walter Poensgen ging zu der Gruppe von Rathausbeschäftigten, die die Szenerie beobachteten. Er kam mit einem rotzfrech aussehenden Backfisch zurück:

»Also das ist die einzige Zeugin. Und das ist der Kommissar.«

Ulrich wandte sich freundlich dem Mädchen zu:

»Also erzähl mal.«

Die Kleine legte sofort los:

»Also, das war voll krass. Ich so mit Akten hier rum, sollte im Kopierraum was guttenbergen, da kommen so drei Typen, voll der Zorro.«

»Männer oder Frauen?«

»Konnte ich nicht checken, die hatten so weiße Masken mit einer Grinsfratze an, alle gleich. Die waren aber voll swag …

»Auf Deutsch!«

»Cool.«

»Ach so!«

»Und zack die Feuerzeuge raus und was angezündet. Ich denk, wow, Handgranaten und hab sofort die Socken scharf gemacht. Ab ins nächste Zimmer und dann knallte es auch schon. Ich vorsichtig raus, alle weg und hier nur so ein harmloses Gebrenne und die Flugblätter. Mehr weiß ich nicht.«

»Danke«, nickte der Kommissar. »Und nur für die Zukunft: Handgranaten werden nicht mit dem Feuerzeug angezündet.«

Ulrich wandte sich wieder dem Streifenbeamten zu:

»Die Flugblätter alle einkassieren. Die Reste von dem Feuerwerk auch einsammeln und dann …«, zu der Reinigungskraft gewandt, »können Sie das hier wegmachen. Denn sonst fällt das alles wieder auf Sie zurück. Wir kennen das ja.«

Sprach’s und verabschiedete sich.

***

12.00 Uhr

Radio Euskirchen meldete:Hellenthaler Rathaus gestürmt: Vermummte Demonstranten haben heute das Hellenthaler Rathaus gestürmt und kurzfristig besetzt. Drei Personen seien in das Gebäude eingedrungen, hätten Flugblätter geworfen, die Eingänge besetzt und Feuerwerkskörper gezündet, sagte soeben ein Sprecher der Gemeindeverwaltung auf Anfrage von Radio Euskirchen. Umgehend sei die Polizei informiert worden, bei deren Eintreffen hätten sich die mit Anonymus-Masken vermummten Personen aber schon entfernt. In dem Flugblatt spricht man sich gegen die Privatisierung von Wasserwerken in der Eifel aus. »Das ist überhaupt kein Thema hier in Hellenthal«, versicherte ein Sprecher der Gemeindeverwaltung.

***

12.15 Uhr

»Recherche, Recherche«, rief Nusselein der Sekretärin zu, als er eilig die Redaktion verließ. Da dies in Sekunden geschah, prasselte der Büroklammern-Regen nur gegen die bereits geschlossene Eingangstür.

»Der geht sich wieder auf Kosten anderer Leute sattfressen«, schimpfte Elli Breuer – allerdings ungehört, da sich auch Redaktionsleiter Kufka schon gen heimischen Mittagstisch verabschiedet hatte.

»Dann bin ich eben wieder der letzte Arsch hier«, geiferte sie, »und ziehe mal selbst los, um mir irgendwo in diesem Drecksnest eine überteuerte Currywurst zu leisten.«

Währenddessen trabte Charly Nusselein in seiner typischen Letzten-Dodo-Gangart zum »Schwarzer Krug«. Ihn störten auch nicht die Blicke der leicht unterkühlten Touristen, die dem hüpfenden Mann entgeistert hinterhersahen, während Nusselein einen Song von »Jupiter Jones« sang:

»Alter Mann, wo willst du hin?

Fragst du manchmal nach dem Sinn?

Es wird Zeit zum Aufstehn!«

Er hielt kurz inne:

»Den Text hat bestimmt Elli in Auftrag gegeben. So oft verschlafe ich ja nun auch nicht. Und alter Mann, ich weiß nicht …«