Väter unser ... - Hubert vom Venn - E-Book

Väter unser ... E-Book

Hubert vom Venn

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Beschreibung

„Väter unser…“ heißt der neue satirische Eifel-Krimi von Hubert vom Venn. Das Buch ist die Fortsetzung von „Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?“. In Monschau geht die Angst um: In nur wenigen Tagen werden gleich drei Mitglieder eines örtlichen Honoratioren-Stammtisches ermordet: Erdrosselt, in die Luft gesprengt, erschossen. Doch damit nicht genug: Auch das Grab eines längst verstorbenen Stammtischlers explodiert laut krachend in den nächtlichen Eifelhimmel – genau wie auch ein Lastwagen voller WM-T-Shirts auf der 'kleinen Himmelsleiter' zwischen Roetgen und Fringshaus. Kommissar Zimmermann, wieder einmal hoffnungslos überfordert und sein journalistischer Helfer, der völlig durchgeknallte Charly Nusselein, stehen vor einem Rätsel. Zum Showdown kommt es im Simmerather Krankenhaus, früher beliebte Geburtsstätte für alle Eifeler aus den ehemaligen Kreisen Monschau und Schleiden.

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© 2006 eBook-Ausgabe 2011RHEIN-MOSEL-VERLAGBrandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542/5151, Fax 06542/61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-794-7 Autorenporträt: Katharina Franke Korrektur: Thomas Stephan

Hubert vom Venn

Väter unser …

Nusseleins zweiter Eifel-Fall

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Für keine Stadt – aber das Land: Eifel – bis der Vorhang fällt.

»Eine Brücke schwingt sich, über die jeder gehen muss, der ganz verstehen will, was Eifel heißt.« (Clara Viebig)

Prolog

Das Hohe Venn hat seine Unschuld verloren.

Besungen als Hort der Ruhe, bejubelt als Landschaft, deren Schönheit einem das Herz zuschnürt, gemalt in den buntesten Farben und beschrieben in den höchsten Tönen.

Und doch:

Auch das Hohe Venn ist nur ein Ort, dem seine Jungfräulichkeit abhanden gekommen ist, als der erste Mensch diese Landschaft betrat.

Erster Tag: Montag

Das Messingschild über dem Stammtisch ließ keinen Zweifel zu:

»Hier sitzen die, die immer hier sitzen.«

Im ›Schwarzen Krug‹ an der Monschauer Stadtstraße saß zu dieser frühen Stunde allerdings keiner. Und einer, der immer da saß, hing oberhalb der Rur im Stadtwald:

Tot – zwischen zwei Bäumen:

Der Bauunternehmer Ralf Voeltz wurde mit heruntergelassener Hose, in der sich neben schweren Steinen auch noch 10.000 Euro befanden, von dem Rentner Hans Nießen gegen 7.30 Uhr beim Bernhardiner-Ausführen gefunden.

Warum das Kalb von einem Hund allerdings »Barry vom Schlummerwölkchen« heißen muss, wurde an diesem Tag von keinem hinterfragt.

***

Von Mund zu Mund: Schnell hatte sich der Leichenfund in Monschau rumgesprochen. Einer wusste allerdings nichts davon:

Lokalredakteur Charly Nusselein, der erst gegen 9.00 Uhr in seinem Wohnwagen in Ruitzhof vom Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde, der als Klingelton mit mechanischer Stimme ein Volkslied sang:

Wo bist du denn gewesen,

Mein ziegender Bock?

In der Mühle,

In der Mühle,

Mein gnädigster Herr.

Was hast du denn getan,

Mein ziegender Bock?

Gestohlen,

Gestohlen,

Mein gnädigster Herr.

Was hast du denn gestohlen,

Mein ziegender Bock?

Weizenmehl,

Weizenmehl,

Mein gnädigster Herr.

Wer hat dich denn gesehen,

Du ziegender Bock?

Die alte,

Dicke Magd,

Mein gnädigster Herr.

Hat sie dich auch geschlagen,

Mein ziegender Bock?

Hm, ja,

Hm, ja,

Mein gnädigster Herr.

Wie hast du denn geschrien,

Mein ziegender Bock?

Mäh, mäh,

Mäh, mäh,

Mein gnädigster Herr.

Da der Wecker, der zu allem Überfluss auch noch die Form eines Ziegenkopfes mit synthetischem Bart haben musste, ein Geschenk seiner Mutter vom letzten Westerwaldurlaub in Ziegenhain war, hörte sich Nusselein gehorsam jeden Morgen alle sechs Strophen an. Erst dann schwang er sich aus dem Bett, öffnete eine Dose Katzenfutter und füllte seinem Kater Incitatus die Schüssel. Danach brühte er sich einen belgischen Mokka von ›Jacqmotte‹.

Als an jenem Morgen der Ahnungslosigkeit sein Handy mit Johann Sebastian Bachs ›Komm o Tod du schlafes Bruder‹ klingelte, brauchte Nusselein nur wenige Sekunden, um das Telefon zwischen den Resten von ›Eierravioli an Sauce Bolognese in der Dose‹ und einem Tetrapak mazedonischen Rotwein ›Rubinello‹ vom Vorabend ausfindig zu machen. Da er im Display erkannte, dass der spätnächtliche Anrufer ein Monschauer Kripomann war, meldete sich Nusselein konsequenterweise gleich mit dessen Namen:

»Zimmermann!«

»Arschloch!«, antwortete dieser, wie aus der Dienstpistole ge-schossen.

»Von dieser Namensänderung hast du mir noch gar nichts gesagt. Wäre mir im ›Hammer‹ sicher eine Kleinmeldung wert gewesen.«

»Pass mal auf, Eifel-Bild, in Kurzfassung: Im Monschauer Stadtwald, oberhalb von dem Kinderspielplatz, hängt der Bauunternehmer Ralf Voeltz tot zwischen zwei Bäumen. Ich war gerade draußen. Also: Selbstmord war das nicht, zumal auch jemand ›Brücke der schwarzen Brüder‹ auf dessen nackten Hintern geschrieben hat.«

»Ich habe noch nicht gefrühstückt, mein schwarzer Bruder«, bemerkte Nusselein.

»Dann verlegen wir dein Frühstück in mein Büro. Ich könnte nämlich deine Hilfe gebrauchen.«

»Ah, die Staatsmacht verlangt nach mir. Dabei bin ich doch im-mer nur der Meinung, dass Schleiden zerstört werden müsste.«

»Arschloch!«, sagte Gottfried Zimmermann und legte auf.

»Das sagtest du bereits!«, verklang ungehört in Nusseleins Wohnwagen.

Als dieser darauf zwei gleichfarbige Socken suchte, wurde dieses vergebliche Tun erneut von Johann Sebastian Bach unterbrochen. Diesmal erkannte er auf dem Handy die Nummer der geschätzten Elli Breuer, Redaktionssekretärin und somit inoffizielle Vorgesetzte:

»Bin schon unterwegs zum Tatort«, meldete sich Nusselein, »seit über einer Stunde recherchiere ich bereits in der Mordsache.«

»Du lügst, wie immer«, entgegnete Elli freundlich, »seit einer Minute suchst du Socken, vor zwei Minuten hat dich der Zimmermann angerufen, denn vorher hat er sich hier gemeldet. Und!!!! Vor fünf Minuten schliefst du noch fest.«

»Nur Frauen, die oft bei mir übernachten, kennen diese kleinen Geheimnisse.«

»Davon wüsste ich was«, antwortete Elli schnippisch, »der Chef will, dass du noch ein Foto machst, wenn überhaupt noch etwas zu sehen ist, und dann umgehend in die Redaktion kommst. Aber ein vernünftiges Foto, hörst du, keins aus deiner berühmten Serie: Auf diesem Stein saß der Mörder in seiner Jugend. Verstanden!«

Als Nusselein seinen bunten Wohnwagen sockenlos verließ, schrie er ins Handy:

»Ich bin schon fast in Monschau, biege gerade an Perlenau …«

»Du lügst schon wieder«, sagte Elli und legte auf.

Nusselein startete seinen angerosteten Mazda und fuhr von Ruitzhof über Küchelscheid und Kalterherberg nach Monschau, wo er kurz hinter dem Parkplatz unterhalb der Mädchenrealschule ›St. Ursula‹ mehrere Streifen-, Rettungs-, Feuerwehr- und einen Leichenwagen stehen sah. Der Weg zum Stadtwald, der über eine Fußgängerbrücke führt, wurde von einem kahl geschorenen Streifenpolizisten abgesperrt, sodass die zahlreichen Schaulustigen durch die Rur vom Tatort getrennt wurden. Nusselein parkte hinter einem Feuerwehrwagen, klemmte seinen Presseausweis in den Mund und stürmte mit dem kavalleristischen Attacke-Schrei »Hier kommt die freie Presse, Herr Schily« an dem verdutzt dreinschauenden Polizisten vorbei über die Brücke. Zu diesem Zeitpunkt war Otto Schily schon lange nicht mehr Innenminister, aber auch das hinterfragte an diesem Morgen kein Mensch.

Nusselein eilte den Berg hoch, stolperte mehrmals, da er seine Olympus Digital-Kamera aus alter Gewohnheit vors Auge hielt und konnte dann auch tatsächlich einige Fotos von der zugedeckten Leiche des Bauunternehmers machen. Sehr zur Verärgerung von Berthold Ott, einem Beamten der Spurensicherung, der aus Aachen angereist war und Nusselein nicht kannte:

»Wer hat denn diese Witzfigur reingelassen?«, schrie er empört und wies einen Streifenpolizisten an, Nusselein sofort hinter die Absperrung zu ›verbringen‹, wie er es formulierte. Nusselein gehorchte, indem er die Hacken zusammenschlug, stramm salutierte und murmelte:

»Und dann bin ich noch der Meinung, dass Schleiden zerstört werden muss, wie Cato, der alte Sack, immer sagte.«

Nusselein machte, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, diesmal keinen Aufstand, bei dem er gerne die Pressefreiheit in Gefahr wähnte. Ein besseres Foto war sowieso nicht möglich und so gesellte er sich zu zwei gelangweilten Bestattungsunternehmern, die auf einem Zinksarg saßen und rauchten.

»Die haben doch Kohle. Denen verkaufen wir das Modell ›Simulant‹, Kiefer, Eiche furniert, für 1.149 Euro«, sagte der Ältere der beiden Männer. Der andere machte sich derweil Notizen und kalkulierte ein Angebot:

»Dazu Baumwollfüllung, Satin beige gesteppt, aufblasbare Polster, voll verrottbar, zusätzlich mit eingearbeiteter Sargmatratze aus Kugelkrepp mit Volant, ein Sterbehemd, einen Rosenkranz, lila Baumwollband mit schwarzen Holzperlen, eine Kinnstütze und eine 10er-Packung Armflor. Der Tag fängt ganz gut an.«

Der ältere Bestatter tat noch weitere Einnahmequellen auf:

»Dazu kommen dann noch Einweghandschuhe, Einwegschürzen, Einwegmäntel, Überschuhe, die Leichenhülle, Hygieneeinlagen und Balsamierungsspray.«

»Die Frau von dem nimmt doch bestimmt auch unsere Gedenkmappe ›Letzter Ruf‹, schwarz meliert mit Namenseindruck.«

»Sicher. Das war doch die Zweitfrau. Tausend Jahre jünger. Die erbt doch ein Schweinegeld, da lässt die sich doch bei einer Gedenkmappe nicht lumpen.«

»Ihr könnt ihn jetzt in die Gerichtsmedizin nach Aachen bringen«, rief der ganz in Weiß gekleidete Spurensicherer. Nusselein machte noch ein paar Fotos, als die Leiche von Ralf Voeltz in den Sarg gehoben wurde. Er war aber sicher, dass sein Chefredakteur und Verleger Alex Kufka diese im ›Hammer‹ nicht veröffentlichen würde, höchsten das Foto vom Abtransport des Zinksargs. Also rief er dem Beamten der Spurensicherung ein freundliches »Vergelts Gott!« zu und fuhr erst einmal zu Gottfried Zimmermann ins Polizeibüro an der Monschauer Laufenstrasse, die den meist lautstarken Touristen als Einflugschneise vom Busparkplatz zur historischen Altstadt dient.

***

Der westdeutsche Mundfunk sendete unentwegt.

Heinrich Kern, auch einer von denen, die im ›Schwarzen Krug‹ ›immer hier sitzen‹, schaute in seinem Büro im Imgenbroicher Gewerbegebiet fassungslos auf das Telefon, während das riesige Windrad vor seinem Fenster schnell huschende Schatten durch den Raum jagte. Der Besitzer der Firma ›Kern Handwerksbedarf‹, die Tischlerwerkzeuge und -geräte, Hobel und komplette Werkraumeinrichtungen herstellt, hatte gerade die Nachricht vom Mord an Ralf Voeltz erhalten. Eilig wählte er die Handy-Nummer von Erich Grümmer, ebenfalls Stammtischbruder im ›Schwarzen Krug‹ und Vertreter für Süßwarenprodukte der Aachener Schokoladenfabrik ›Mildt & Schoki‹. Dieser meldete sich schwungvoll:

»Genießen mit allen Sinnen: Unsere gefüllten Mini-Pralinés, hochfein. Sie sprechen mit Ihrem Schokoladenexperten Erich Grümmer.«

»Quatsch keine Mozartkugeln. Hier ist der Heinrich. Den Ralf haben sie eben tot an einem Baum im Monschauer Stadtwald gefunden.«

Der Pralinen-Experte antwortete mit einem langen Schweigen und der Handwerksbedarfhersteller bohrte nach:

»Hörst du mich überhaupt?«

»Ja, schon, ja, aber dem war doch gestern überhaupt nichts anzumerken?«

»Merkt man dir an, wenn du ermordet wirst?«

»Wie? Ermordet?«

»Wie? Ermordet?«, äffte Heinrich Kern seinen Stammtischbruder nach, der nach Meinung seiner Stammtischbrüder manchmal für den Gang seiner Gedanken etwas länger brauchte, »der hat sich nicht selbst aufgehängt. Der wurde ermordet. Eindeutig. Mich hat gerade der Dieter angerufen.«

Mit ›der Dieter‹ war Dieter Knipprath gemeint, die graue Eminenz in Monschau: Stellvertretender CDU-Vorsitzender des Stadtverbandes, Kreistagsabgeordneter und Hersteller von Textilien, die mit so unterschiedlichen Produktnamen wie ›Weltmeister‹, ›Lumumba‹ oder ›City-Fashion‹ mal als Hemd, aber auch schon mal als Hose für einen deutschen Riesendiscounter als Grabbeltisch-Angebot auf den Markt kommen.

»Du meinst …?«, fragte Erich Grümmer nach.

»Genau, ich meine«, bellte Heinrich Kern, »eindeutig ermordet. Die ganze Stadt spricht schon davon. Dieter hat auch schon Hans und Hubert angerufen.«

Mit Hans und Hubert waren Hans Graf, Sachbearbeiter für Abfallbeseitigung bei der Stadtverwaltung Aachen, und Hubert Bindenagel, stellvertretender Zweigstellenleiter der ›Daxweiler Ersatzkrankenkasse‹ in Simmerath, gemeint. Die beiden vervollständigten das Stammtisch-Sextett, das so plötzlich zum Quintett geschrumpft war.

»Wir müssen uns unbedingt alle treffen«, forderte Kern, »ich würde sagen: Um acht im Krug! Das will auch der Dieter so.«

»Aber, aber, ich bin gar nicht in Monschau«, stammelte Erich Grümmer in sein Handy, »ich bin, ich bin auf dem Weg nach Saarbrücken, da ist eine Fachmesse – ›Salon du Chocolat‹. Da muss ich unbedingt hin.«

»Dann legst du deinen faulen Arsch eben nicht in ein drittklassiges Hotelbett oder auf eine Nutte, sondern bewegst dich nach Monschau. In zwei Stunden kannst du von Saarbrücken hier sein. Die Messen schließen doch immer um sechs. Nach unserem Treffen kannst du ja wieder nach Saarbrücken fahren, wenn dir der Kopf nicht nach deiner Alten steht«, schrie Heinrich Kern schon fast.

Danach legte er grußlos auf und hört somit seinen Stammtischbruder nicht mehr, der nur noch murmelte.

»Nutte? Nutte! Der hat es gerade nötig.«

***

Als sich die Wintersonne über dem Hohen Venn langsam ihrem Höhepunkt entgegenwerkelte, wurde das Gebiet um den 658Meter hohen ›Steling‹ in klares Licht getaucht, sodass man an diesem späten Morgen die über achtzig Kilometer entfernte ›Hohe Acht‹ am Nürburgring deutlich erkennen konnte.

Von Mützenich kam ein Wagen über den viel zu gut ausgebauten Feldweg den Berg hoch und steuerte die Ausflugsstätte an, die im Volksmund ›Kaiser Karls Bettstatt‹ heißt. Es handelt sich dabei um einen riesigen Felsen, der – mit viel Phantasie – als Bett durchgehen könnte. Und genau auf diesem Felsen soll sich vor langer Zeit der Kaiser aus dem fernen Aachen nach einem Jagdausflug zur Ruhe gelegt haben.

Allerdings: Kein Mensch nennt den kleinen Felsen neben der kaiserlichen Schlafstatt ›Kaiser Karls Nachttischkommödchen‹ – aber dies nur am Rande.

Der Wagen parkte an der Holzhütte neben dem ersten Monschauer Beherbergungsbetrieb für Monarchen. Zwei Personen verließen das Fahrzeug und schauten sich um. Doch um diese Tageszeit ist selten ein Mensch oben auf dem Venn anzutreffen. Die beiden gingen die wenigen Meter bis zu dem wuchtigen Findling. Wieder schauten sie sich um, nickten sich zu und dann sprühte einer die Worte

S A T O R

A R E P O

T E N E T

O P E R A

R O T A S

mit Graffiti-Lack auf den Stein. Danach verließen die beiden das wohl unbequemste Nachtlager in der kaiserlichen Vita und fuhren wieder nach Mützenich zurück. In der Ferne war immer noch die ›Hohe Acht‹ zu erkennen, das einzige Motorengeräusch kam allerdings von dem davonfahrenden Wagen und nicht etwa von einem Boliden auf der Rennstrecke. Aber das dürfte wohl jedem klar sein.

Wenige Minuten später war wieder Stille auf dem Steling eingekehrt. Ein Fuchs, der gerade des Weges kam, überlegte kurz, ob er dem Hasen auf der Wiese zur Mittagszeit schon einmal ›Gute Nacht‹ zurufen sollte.

Er ließ es dann aber doch sein …

***

Das Büro von Gottfried Zimmermann beim ›Polizei-Bezirksdienst Südkreis‹ in Monschau strahlte den Charme eines Fahrkartenschalters in einem geschlossenen Provinzbahnhof aus. An einer Wand hing der obligatorische Kalender der ›Gewerkschaft der Polizei‹, auf dem eine behelmte Hundertschaft in einem Fußball-Tor unter der Überschrift ›Eine schlagkräftige Truppe: GdP‹ zu sehen war.

Weitere Produkte wie Mini-Ventilator, Taschenrechner, Zettelblock und Mouse-Pad der GdP machten den Großteil der Schreibtisch-Bestückung aus. Selbst der Bleistiftspitzer hatte die Form eines Polizeihelms. Eine Mini-Anhaltekelle mit dem Aufdruck ›Wir sichern die WM‹ rundeten das Bild eines fleißigen Give-Aways-Sammlers ab.

»Strammer Gewerkschaftler, was?«, konnte Charly Nusselein sich nicht verkneifen, während er seine Jacke über eine Olympus-Schreibmaschine vom legendären Typ ›Monica‹ warf, die offensichtlich dem Abtransport ins Polizei-Museum harrte.

»Halts Maul«, konterte Zimmermann, »›nimm Platz‹ brauche ich ja wohl nicht zu sagen, da du schon sitzt.«

»Bin ja nicht zum Verhör hier.«

»Ja, leider!«

»Wieso, foltert ihr noch?«

Zimmermann macht eine wegwerfende Handbewegung:

»Genug der Höflichkeitsfloskeln. Ich wollte dich nur fragen, ob wir in der Sache da im Stadtwald zusammenarbeiten? Ein Mord in Monschau ist für unsere Leute in Aachen natürlich nicht so wichtig wie ein Mord in der Stadt. Die haben mich zwar zum Leiter der ›SOKO Schwarze Brücke‹ …«

»Häääää?«, unterbrach ihn Nusselein.

»Erkläre ich dir später! Hatte ich zwar schon bei meinem Anruf, aber da lagst du wahrscheinlich noch im Koma, egal. Also: Die haben mich zum Leiter der SOKO gemacht. Aber das war es dann auch schon. Eine Ein-Mann-SOKO. ›Sie können natürlich auf alle Facheinrichtungen in Aachen zurückgreifen‹, hat mir der Leiter der Mordkommission mitgeteilt.«

Zimmermann äffte den Kollegen aus der so genannten Kaiserstadt mit Verachtung nach. Dann schaute er Nusselein an:

»Frage also: Arbeiten wir zusammen? Und bitte: Gib mir einfach eine Antwort, ohne etwas Blödes zu sagen.«

»Ich sage immer etwas Blödes«, antwortete Nusselein wahrheitsgemäß und hielt dem Monschauer Kriminalpolizisten die Hand hin. Dieser schlug ein:

»Also. Unser Deal ist wie immer. Eine Hand wäscht die andere. Offiziell lässt du nirgendwo ein Sterbenswörtchen fallen, dass wir zusammenarbeiten. Auch in deiner Redaktion nicht. Du weißt, der Alte von deiner Elli ist einer von uns …«

»Die schweigt. Allerdings kann man vor der auch nichts verbergen.«

»Trotzdem. Schnauze. Presse und Polizei, das kommt nicht so gut. Auch bei unseren Bossen nicht. Aber zu den Fakten: Opfer kennst du, Ralf Voeltz, Bauunternehmer aus Monschau, 52 Jahre. Selbstmord ist ausgeschlossen, da man ihn nicht nur aufgehängt, sondern zwischen zwei Bäumen in Form eines Andreaskreuzes … Sagt dir Ungläubiger das was?«

»Mein eigener Gott, Herr Schlüter, flüstert mir gerade, dass die schottische Fahne ein Andreaskreuz ist.«

»Meinetwegen. Also: … in Form eines Andreaskreuzes an Händen und Füßen festgebunden hat. Das kann kein Selbstmörder dieser Welt, da brauche ich noch nicht mal den Obduktionsexperten aus Aachen.«

»Darf Sherlock Holmes hier einen Einwurf machen. Du hast was von runtergezogener Hose erzählt. Das geht aber nicht. Wenigstens nicht beim Andreaskreuz, wenn ich Ungläubiger das einwerfen darf.«

»Doch. Man hat die Hose in der Mitte zerschnitten und auf den nackten Hintern dann mit schwarzem Edding ›Brücke der schwarzen Brüder‹ geschrieben.«

»Stimmt, ich erinnere mich schwach an deinen nächtlichen Anruf. Das sagtest du, als du im gleichen Atemzug etwas von einem Frühstück in diesen heiligen Hallen schwadroniertest.«

Zimmermann griff in seinen Schreibtisch und warf eine Brötchentüte auf den Tisch:

»Kaffee gibts da in der Kanne!«

»Und eine Tasse der GdP. Sieh an, wie originell, in Form eines Blaulichts. Gibts von der Gewerkschaft auch Milch?«

Zimmermann zeigte auf einen Tetrapack mit H-Milch, der neben einer angerosteten Blechdose ›Robusta-Kaffee – der Milde‹ aus den fünfziger Jahren stand. Unaufgefordert schmiss Zimmermann dem Journalisten ein Stück Würfelzucker zu, dessen Aufdruck ›Das kleine Landcafé, Hillesheim-Kerpen, just below the castle‹ auf eine weite Reise durch die Eifel schließen ließ. Nusselein verkniff sich eine Frage zum Grund der Reise, da Zimmermann mit einer schnellen Handbewegung jeden Einwurf unterband:

»Weiter: In der Hose befanden sich 10.000 Euro in dicken Scheinen, die der oder die Täter auf jeden Fall gesehen haben müssen. Wurden aber nicht angerührt. So, und nun meine Aufgabe an dich. Ich muss jetzt Familie, näheres Umfeld und so abklappern. Da habe ich für Feinheiten keine Zeit. Daher meine Bitte …«

»Die Staatsmacht wird förmlich, bevor Schleiden zerstört wird.«

»Schnauze!«

»Das ist der Ton, den ich an dir so schätze.«

»Du sollst mal dein Hirn anstrengen, was es mit ›Brücke der schwarzen Brüder‹ auf sich haben könnte. Und noch was, damit du dir ein Bild machen kannst, die Fotos vom Tatort. Rücke ich natürlich für deine Zeitung nicht raus.«

Der Kriminalkommissar warf drei Fotos über den Tisch, auf dem der ermordete Bauunternehmer mit heruntergerissener Hose zu sehen war, bevor man ihn von den Bäumen abgeschnitten hatte. Nusselein sah sich die Fotos lange an, dann nickte er:

»Jetzt weiß ich, warum der einen Porsche fahren musste.«

»Du bist geschmacklos, Eifel-Bild«, beendete Zimmermann das Gespräch.

***

»Dickes Ding, ein Dickmann’s ist nichts dagegen«, platzte es aus Charly Nusselein heraus, als er die Redaktion des ›Hammer‹ gegenüber dem ehemaligen Monschauer Kino erstürmte. Elli Breuer und Alex Kufka gestalteten gerade am Bildschirm eine Lidl-Anzeige für eine Weltzeit-Tischuhr. Die Annonce sollte in einem Text über den Sicherheitsstandard der Eifeler Talsperren erscheinen – in einem Text allerdings, den Nusselein noch schreiben musste:

»Was ist denn eine Countdown-Funktion?«, wollte Kufka gerade wissen und zerdrückte dabei die Kammer eines Luftpolsterumschlags.

»Das hat uns doch nicht zu interessieren«, keifte Elli gereizt, »das Inserat ist von der Werbeagentur vorgegeben, da können wir sowieso nichts ändern!«

Beide schauten Nusselein an, als sei ihnen gerade der Leibhaftige erschienen, und Kufka zerdrückte eine weitere Luftkammer:

»Sieh an, sieh an, der Herr Kollege beehrt uns mit seiner Visite. Oder sollte ich besser sagen: Kurzvisite?«

»Keine Vorwürfe, bevor Schleiden zerstört ist«, maulte Nusselein, »ich bin seit Stunden für unseren nächsten Aufmacher unterwegs. Sensationelle Fotos, Fakten, Fakten, Fakten …«

»Für den Ausspruch bist du zu mager«, warf Kufka ein.

»Fakten, Fakten. Ich arbeite natürlich wieder mit den höchsten Kreisen der Polizei zusammen …«

»Mit dem Zimmermann«, stöhnte Elli Breuer auf, ehe Nusselein sie streng, oder besser: was er für streng hielt, direkt ansprach:

»Das ist Redaktionsgeheimnis, Frau Kollegin. Also: Kein Wort zu deinem Mann!«

»Mit dem rede ich sowieso nicht mehr«, murmelte Elli ärgerlich.

»Falls da eine Stelle frei wird …«, warf Nusselein ein, was zur Folge hatte, dass Elli einen Aschenbecher zurückwarf und damit dokumentierte, dass sie ihre schlechte Laune nicht bremsen konnte:

»Halt einfach dein dummes Maul! Und wo ist dein Artikel über das Rockkonzert in der Roetgener Teestube? Ich hoffe, du bist überhaupt da gewesen.«

»Aber logisch«, log Nusselein nur wenig, da er sich wirklich zwanzig Minuten das Konzert angesehen, zwei Bier vom Veranstalter »für die Presse doch bestimmt umsonst« geschnorrt hatte und dann in ein nicht näher zu beschreibendes Etablissement in Büsbach gefahren war.

»Also los, alle Mann an die Maschinen!«, befahl Elli, ehe Nus-selein gehorsam zu seinem Schreibtisch trabte. Da er allerdings von den Feinheiten der Rockmusik nur wenig Ahnung hatte, griff er zu seinem beliebten Trick. Er gab einfach das Wort ›Konzertkritik‹ bei ›google‹ ein und verfremdete einen gefundenen Text mit ›Ersetzen‹ so, dass selbst der wahre Autor den Diebstahl seines geistigen Eigentums kaum bemerkt hätte. Diesmal wollte Nusselein ganz sicher sein und gab bei seiner Suche – quasi als Hommage an das gleichnamige Jahr – zusätzlich das Wort ›Mozart‹ ein. Er stieß auf eine Kritik in der ›Leipziger Volkszeitung‹, die er dann einrockte. So wurde die Eifeler Band ›Stoned Washed‹ klassiktauglich …

Ein edles Klangerlebnis

›Stoned Washed‹ in der Roetgener Teestube

Roetgen. – Wo über monotonem Bassfundament die Gedanken harmonisch gewagt Bahnen beschreiten, die progressiv anmuten und direkt in höhere Sphären zu führen scheinen, da treffen wir auf ›Stoned Washed‹ in der Roetgener Teestube. Nachdenken, analysieren, grübeln verboten. Sich lieber schwerelos treiben lassen und Höheres erfahren. Insofern haben ›Stoned Washed‹ durchaus Recht, wenn sie dem sonst häufig so dahingehetzten Kleinod der Oldie-Musik zu mehr Tiefe, ja sogar zu mehr Schwere verhelfen. Denn Verweilen im Sehnen muss nichts mit Nostalgie zu tun haben. Und auch die Mehrzahl der Anwesenden in der gut besuchten Roetgener Teestube scheint solchen Mut zur Bedeutungsschwangerschaft durchaus zu goutieren. Innerlich versunken, versteht sich. Sicher meisterte ›Stoned Washed‹ lückenlos alle Klippen des Partiturgestrüpps. Der exquisite Klang und die hingebungsvolle Inbrunst, mit denen die Eifeler Musiker antreten, suchen immer noch Ihresgleichen. Über jeden Zweifel erhaben meistert die Formation viele gespielte Oldies mit frappierender Souveränität und schickt sie bei aller Kraft und Eleganz in die Intimität der Rockmusik. Ein edles Klangerlebnis.

Nusselein ging davon aus, dass kein Mensch seinen Kritik-Diebstahl aus der ›Leipziger Volkszeitung‹ entdecken würde. Er las seinen Artikel auch nicht mehr gegen, da er sicher war, dass er ihn sowieso nicht verstehen würde. Wortlos ging er in Kufkas Büro und knallte ›sein‹ Werk auf den Tisch.

Kufka zeigte ebenfalls wortlos auf den einzigen Sessel in seinem Büro, zerdrückte die Kammer eines Luftpolsterumschlags und ließ einen fahren – genauer: ließ einen Modell-Oldtimer über seinen Tisch fahren, in dem eindeutig Tim und Struppi aus der Folge ›Tintin Au Congo‹ zu erkennen waren.

»Und jetzt«, fragte Alex Kufka, »wie gehen wir an die Sache ran? Was hast du schon? Aber bitte keine Übertreibungen, nur Fakten, Fakten …«

»So dick bist du ja nun auch wieder nicht«, warf Nusselein ein und schilderte dann, für seine Verhältnisse fast sachlich, ›den Wissensstand von Staatsmacht und Gazette‹, wie er es ausdrückte.

Kufka dachte in eine andere Richtung:

»Der Voeltz war doch Anzeigenkunde bei uns, wenn wir die Jahrsbeilage ›Bauen, Mörtel und Planen‹ machten. Da muss ich der Witwe ein Kärtchen schicken.«

»Schick ein weißes Kärtchen, die erbt ein Schweinevermögen.«

»Gibt es einen Verdacht in diese Richtung?«

»Überhaupt nicht. Der einzige Verdacht führt in eine Richtung, die ›Brücke der schwarzen Brüder‹ heißt.«

»Häääää?«, sagte Kufka und konnte gerade noch verhindern, dass Tim und Struppi vom Tisch in den Papierkorb stürzten.

»Genau das habe ich auch gesagt«, nickte Nusselein.

Kufka knackte noch eine Luftkammer, dann richtete er sich in seinem schwarzen Schreibtischsessel auf:

»Also: Die normale Redaktionsarbeit darf nicht leiden. Aber ich will, dass du dich voll in die Sache reinkniest. 5,00 Euro Spesen pro Tag.«

»Wow«, knurrte Nusselein, »also wieder unbezahlte Überstunden. Wie ist es eigentlich mal mit einer Gehaltserhö…«

Kufka unterbrach ihn:

»Denke an den journalistischen Ruhm, den journalistischen Ruhm.«

»Mit journalistischem Ruhm kann ich ›Hexy, 27 J. alt, 170 cm groß, Kf. 38, OW 80, teilrasiert, vielseitig und naturgeil‹ nicht bezahlen«, dachte Nusselein nur.

Als er wenig später die Redaktion verlassen wollte, hielt Elli ihn zurück:

»Warte mal, ich muss für dich noch ein Formular der AOK ausfüllen: Wann hast du Geburtstag?«

»12. Oktober«, nuschelte Nusselein geistesabwesend.

»Welches Jahr?«, fragte Elli genervt.

»Jedes Jahr!«, antwortete Charly und konnte nicht verstehen, warum Elli den Stempel ›Verbucht‹ nach ihm warf.

»Das Betriebs-Klimakterium ist hier einfach versaut«, schimpfte Nusselein und knallte die Tür zur Redaktion hinter sich zu.

***

Das Haus des ermordeten Bauunternehmers Ralf Voeltz lag am ›Heidgen‹, der steilen Verbindung zwischen der Monschauer Altstadt und Höfen. Von dort hat man einen großartigen Blick über die Stadt und das Rurtal.

Als Gottfried Zimmermann den dunkelblauen Ford der Monschauer Kripo in der Zufahrt zur Garage parkte, öffnete Heike Voeltz die Haustür aus Eichenholz, die aussah, als hätte sie bereits ein Vorleben in einer Waldkapelle gehabt – die Tür, versteht sich:

»Sie hatten angerufen? Von der Monschauer Kripo?«, fragte sie vorsichtig.

»Ja, eben, Zimmermann mein Name, Kriminalkommissar«, antwortete der Beamte und musterte unauffällig die schlanke Frau, die er auf Anfang dreißig schätzte. Heike Voeltz hatte ein hübsches Gesicht mit langen schwarzen Haaren und erinnerte ihn ein wenig an die junge Francoise Hardy, als diese einst den Abendwind besang. Die Frau des ermordeten Bauunternehmers trug einfache Jeans, an denen Designer noch keinen Schnickschnack angenäht hatten, und einen zu weiten Pullover, dessen Farbe mattblau war.

Heike Voeltz führte den Kommissar in ein handballfeldgroßes Wohnzimmer, das aussah, als wäre es von einem talentlosen Innenarchitekten in 45 Minuten eingerichtet worden.

»Alles stinkteuer, aber sau-ungemütlich«, dachte Zimmermann und nahm auf einem schwarzen Sofa Platz, auf dessen Armlehne ein winziges Metallplättchen mit der Aufschrift ›Benz‹ zu erkennen war:

»Ich wusste gar nicht, dass Mercedes auch Sofas baut«, murmelte Zimmermann unhörbar, ehe er der Witwe recht steif sein Beileid aussprach und dann überleitete:

»Ich muss nur einige Fragen stellen! Dann bin ich sofort wieder weg.«

»Ist schon gut, machen Sie Ihren Job!«, sagte Heike Voeltz, bei der Zimmermann keinerlei Emotionen feststellen konnte.

»Zu Ihnen, ich brauche zunächst Ihre Personalien.«

»Heike Voeltz, geborene Lutterbach, 33 Jahre, keine Kinder. Ich bin, em, war die zweite Frau von Ralf, dessen erste Frau vor sechs Jahren bei einem Verkehrsunfall auf der Monschauer Straße, am Waldfriedhof hinter Aachen, ums Leben gekommen ist. Wir kannten uns vorher nicht, falls diese Frage kommen sollte …«

»Die Frage wäre nicht gekommen«, versicherte Zimmermann.

»Gut! Ich bin von Beruf Illustratorin von Kinderbüchern, habe immer gearbeitet und mein eigenes Geld verdient. Ralf hat einen Sohn, 22 Jahre, Dieter, der in Berlin studiert. Er akzeptiert mich …« Zimmermann schaute von seinem Notizblock auf und Heike Voeltz fügte hinzu:

»Na ja, wie man eben so eine Stiefmutter akzeptiert. Aber es gab keine größeren Probleme.«

»Ist der schon informiert worden?«, fragte der Kommissar.

»Ja, von mir. Er nimmt einen Flieger, ›easyJet‹, nach Maastricht. Ich hole ihn um 20.55 Uhr ab.«

Gottfried Zimmermann fühlte sich nicht wohl und so stellte er eine Frage, auf die selbst ein unerfahrener ›Tatort‹-Zuschauer gekommen wäre:

»Ist Ihnen an Ihrem Mann in letzter Zeit etwas aufgefallen?«

»Nein«, schüttelte Heike Voeltz ihre Hardy-Mähne, »er war wie immer. Zu lange im Büro, zu lange bei Geschäftsessen und viel zu lange am Stammtisch. Ein typischer Eifeler Mann eben.«

»Wie, entschuldigen Sie, war Ihre Ehe?«

»Ich würde sagen ok, sehr ok sogar. Wir haben uns gut verstanden. Und über den Altersunterschied redeten nur die Monschauer Klatschweiber. Die bekommen jetzt natürlich frisches Futter.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich bitte Sie! Junge Witwe, vermögender Mann. Steckt die womöglich dahinter? Hat die den vom geheimen Liebhaber um-bringen lassen? Sie brauchen gar nicht erst fragen. Ich erbe dieses Haus hier, sonst nichts. Immobilien, und die hatte mein Mann nicht zu knapp, Aktienpakete und was weiß ich, erbt alles Dieter. Und soll ich Ihnen etwas sagen: Ich finde das sogar richtig, dass mein Mann das so geregelt hat. War ich immer mit einverstanden.«

»Wenn Ihnen an Ihrem Mann nichts aufgefallen ist, wie war denn der gestrige Abend?«

»Ganz normal, mein Mann ging nur mehrmals in sein Arbeitszimmer und hat telefoniert. Da er auf eine Baustelle nach Köln musste, ist er heute Morgen schon um 5.00 Uhr aufgestanden und hat das Haus etwas später verlassen. Ich blieb im Bett, er verabschiedete sich, ich bin wieder eingeschlafen und wurde erst wach, als ihr Kollege kam und … Sie wissen schon.«

Plötzlich brach es aus Heike Voeltz heraus. Sie weinte hemmungslos und Gottfried Zimmermann konnte ihr nur die Hand auf die Schulter legen:

»Ich gehe dann jetzt. Wenn noch etwas ist, hier ist meine Karte.«

Zimmermann wusste, dass sich sein großes Vorbild Charly Muhamed Huber, der ehemalige Assistent des ›Alten‹, in dieser Situation ganz anders verhalten hätte.

***

Auch Charly Nusselein war in Sachen Stadtwald-Mord nicht untätig gewesen – und zwar zwischen 16.35 Uhr und 16.59 Uhr, um ganz genau zu sein. Vorher hatte er auf Kufkas Anweisung den Terminkalender ›on-the-road‹ für die Nordeifel getippt und dabei ausgiebig über Vereinsnamen geflucht, die über fünfzehn Buchstaben hinausgingen – wie zum Beispiel ›Hansa-Gemeinschaft 21 e. V. Simmerath‹.

Endlich fertig, gab er ›Brücke der Schwarzen Brüder‹ in die Suchmaschine ein und stieß mehrmals auf einen Mord im Umfeld des Vatikans, sowie auf Grabungen an einer schwarzen Brücke in der ehemaligen DDR mit lokalpolitisch-archäologischer Un-Bedeutung. Auch unter ›Eifel Schwarze Brüder‹ und ›Eifel Schwarze Brücke‹ fand sich nichts Verwertbares. Lediglich auf der Seite der ›Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf‹ entdeckte er einen Satz von Clara Viebig, den er sich »für spätere Zeiten« notierte:

»Eine Brücke schwingt sich, über die jeder gehen muss, der ganz verstehen will, was Eifel heißt.«

Nusselein war allerdings sicher, dass ihm auch Clara Viebig nicht weiterhelfen würde, und so fuhr er in seinen Wohnwagen, um zunächst einmal ›Incitatus‹ zu füttern, der vor Hunger mehrere Koma-Anfälle vor dem Schrank mit Katzenfutter vortäuschte. Nach einer doppelten Ration ›Häppchen von Ocean Fish und Chicken‹ legte sich die vegetative Dystonie des Katers, sodass sich Nusselein in Ruhe seinem frugalen Abendbrot, bestehend aus ›Pikante Chorizzo Ringsalami mit Paprikagewürz‹, trockenem Brot und einer ›Lieblichen Auslese aus Übersee‹ zuwenden konnte. Dann rief er Zimmermann an und erwischte diesen noch in seinem Büro:

»Was gibts?«

»Hier Nusselein, aus den Tiefen des Recherche-Sumpfs!«

»Angebern wir erst ein paar Minuten oder konzentrieren wir uns auf die Tatsachen?«

»Dann du zuerst.«

Gottfried Zimmermann schilderte seinen Besuch bei der Voeltz-Witwe, betonte aber nachdrücklich, dass er sie nicht des Mordes verdächtige.

»So dicke Dinger hat die?«, konnte Nusselein sich nicht verkneifen, schlug dann aber schnell eine schwarze Brücke zur Mafia:

»Also: In der ganzen Eifel gibt es keine Schwarze-Brüder-Brücke. Im Internet bin ich aber auf eine ›Blackfriar’s Bridge‹ in London gestoßen, unter der sich 1982 ein Bankier des Vatikans namens Roberto Calvi erhängt haben soll. Inzwischen ist man sicher, dass es Mord war, da Calvi nicht nur italienische Politiker sondern auch hohe Vatikan-Brüder und die Mafia erpressen wollte. Die Sache ist aber nie aufgeklärt worden.«

»Eifel-Bild«, unterbrach ihn Zimmermann, »diesen Fall kennt doch jeder. Jetzt bin ich nur gespannt, wie deine Londoner Bridge over troubled Water auf den Hintern unseres Monschauer Bauunternehmers kommt?«

»Das weiß ich doch nicht«, maulte Nusselein beleidigt, »ich berichte nur, was ich im Internet gefunden habe. Für endgültige Schlüsse ist die zimmermannsche Staatsgewalt zuständig.«

»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen. Sehe aber da wirklich keinen Zusammenhang. Trotzdem: Danke!«

»Sagte er, bevor die Vatikan-Mafia ihn umlegte …«

Die beiden verabredeten, dass sie sich am nächsten Tag ›zusammentelefonieren‹.

Danach kehrte Ruhe in dem bunten Wohnwagen in Ruitzhof ein, wenn man einmal von ›Die Toten Hosen unplugged im Wiener Burgtheater‹ absieht, mit denen Nusselein und seine ›Liebliche Auslese aus Übersee‹ die Schaffensperiode an diesem Tag sehr früh beendeten.

***

Da waren ’s nur noch fünf, die immer da saßen.

Lange vor dem vereinbarten Termin war der Stammtisch im ›Schwarzen Krug‹ vollzählig versammelt. Dieter Knipprath rief zunächst recht gravitätisch zu einer Schweigeminute für den ermordeten Ralf Voeltz auf. Dabei standen die fünf Männer mit gesenktem Kopf um den Stammtisch und starrten auf die Tischplatte und in ihre Biere.

Dies geschah zur Verwunderung der Teilnehmer eines Betriebsausflugs der Lechenicher Landmetzgerei ›Rheinische Wurstspezialitäten‹ am Nebentisch, die unter dem Motto ›Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?‹ nach Monschau gefahren waren.

»Ich danke euch, dass Ihr euch von den Plätzen erhoben habt«, beendete Dieter Knipprath die Schweigeminute.

Ein Metzgereigehilfe, der die Situation offensichtlich falsch eingeschätzt hatte, rief begeistert:

»Bravo! Bravo!«

Die, die immer da sitzen, gingen auf den Einwurf nicht ein und besprachen zunächst den Ablauf der Beerdigung.

Heinrich Kern hatte mit der Witwe gesprochen:

»Also, die Heike sagt, dass es noch keinen Termin gibt, da die Leiche von der Gerichtsmedizin noch nicht freigegeben ist. Ich bleibe aber dran und rufe dann rund.«

Hans Graf, ganz Beamter einer Stadtverwaltung, hatte sich schon einmal um den Kranz gekümmert. Umständlich nestelte er einen Zettel aus seiner Brieftasche:

»Ich habe da ein Angebot eingeholt. Frischblumensteckmasse, Efeublätter und Ranken, Taxuszweige, getrocknete Hortensienblüten, Koniferengrün und frische Blüten. Gar nicht so teu …«

»Ja, ja ist gut«, fiel ihm Dieter Knipprath ins Wort, während vom Nebentisch mit einem weiteren »Bravo«-Ruf der Metzgergehilfe einen erneuten, vergeblichen Versuch der Kontaktaufnahme mit den Einheimischen startete.