Als das Glück im Käfig kam - Gudrun Leyendecker - E-Book

Als das Glück im Käfig kam E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

In dem Schloss des berühmten Malers Moro Rossini dreht der Filmregisseur Kevin Braun den Film über eine Liebschaft des sächsischen Kurfürsten August des Starken. Plötzlich steht das Leben der Schlossbewohner auf dem Kopf. Die Journalistin Abigail versucht, mysteriöse Geschehnisse zu klären, verschwundene Requisiten aufzuspüren und eine unglückliche Liebesgeschichte zu einem Happy End zu führen.

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INHALTSANGABE:

In dem Schloss des berühmten Malers Moro Rossini dreht der Filmregisseur Kevin Braun den Film über eine Liebschaft des sächsischen Kurfürsten August des Starken. Plötzlich steht das Leben der Schlossbewohner auf dem Kopf. Die Journalistin Abigail versucht, mysteriöse Geschehnisse zu klären, verschwundene Requisiten aufzuspüren und eine unglückliche Liebesgeschichte zu einem Happy End zu führen

Über dem Sommerflieder schwebten kleine Wespen, und zwei braune Schmetterlinge zeigten mir ihre großen blauschwarzen Augen auf den Flügeln.

Während Dinah neben mir aufmerksam die Rosenbüsche betrachtete, berichtete ich ihr von meiner Freundin Laura, der berühmten Schauspielerin aus Amerika, die wir am Abend im Schloss erwarteten.

„Du kannst es mir glauben, Dinah, ihr Mann, der Regisseur Kevin Braun, hat sie nicht deswegen für diese Rolle bestimmt, weil er mit ihr verheiratet ist, sondern weil sie wirklich genial ist.“

Die junge blonde Frau neben mir sah mich etwas zweifelnd an. „Ich habe vor längerer Zeit einmal einen Artikel über Laura Camissoll gelesen, das war aus der Zeit, als sie noch nicht verheiratet war. Zu der Zeit muss sie ja noch eine ziemliche Zicke gewesen sein. Und zu dieser Zeit hätte ich ihr meine beiden Lieblinge bestimmt nicht anvertraut. Nicht einmal für eine einzige Szene.“

„Oh, da kann ich dich aber beruhigen“, tröstete ich sie. „In den letzten Jahren hat sich meine Freundin sehr verändert. Als Künstlerin ist sie zwar eine Diva, aber menschlich ist sie jetzt total in Ordnung. Und Tiere hat sie übrigens sehr gern.“

„Das will ich ihr aber auch raten!“ Dinah schien noch nicht ganz überzeugt. „Meine Riesenkatzen sind schon etwas ganz Besonderes, und es hat mich sehr viel Zeit und Mühe gekostet, sie so zu dressieren. Diese zauberhaften Wesen sind nämlich sehr eigenwillig und lassen sich nicht so leicht leiten wie beispielsweise ein Hund.“

Wir setzten uns auf die weiße Holzbank vor dem Pavillon. „Hier werden die meisten Szenen des Films gedreht“, wusste ich. „Ich bin schon sehr gespannt. Und natürlich auch auf deine Lieblinge.“

Sie nahm ihr Handy und blätterte in den Fotos herum. „Hier! Das sind die beiden wunderbaren Wesen“, sagte sie mit Begeisterung in der Stimme und zeigte mir verschiedene Fotos der beiden Riesenkatzen.“

„Sie sehen ein bisschen aus wie siamesischen Katzen“, fand ich, „nur halt sehr viel größer.“

„Es sind Riesenkatzen. Es gibt sie zwar als Zucht in dieser Rasse noch nicht so sehr lange, aber der Tierforscher Peter Simon Pallas hat diese Art schon im Jahre 1793 an der Wolga gesehen. Auffällig ist die Point-Zeichnung, so nennt man das bei diesen Maskenkatzen. Und diese Rasse heißt auch Neva Masquarada.“

Ich reichte Dinah das Handy zurück. „Sie sehen wirklich fantastisch aus! So, als hätten sie wirklich eine Maske an. Aber wenn du sagst, dass dieser Tierforscher sie erst kurz vor 1800 entdeckt hat, dann lässt sich die Drehbuchautorin Katie Williams auf ein ziemlich gewagtes Spiel ein. Unser guter Kurfürst August der Starke, der von 1670-1733 gelebt hat, der ist zwar auch in Warschau gestorben, aber ob er tatsächlich einer Mätresse eine Katze von der Wolga mitgebracht hat, das halte ich für mehr als unwahrscheinlich.“

Dinah lachte. „Na, vielleicht hätte er sie nicht selbst von dort geholt. Er war ein bedeutender Mann, der Luxus liebte und er hatte große Vorstellungen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er von überall her fast alles besorgen konnte. Denk nur an die 40-tägige Hochzeit seines Sohnes und all die großen Feste und Feiern die er täglich da veranstaltet hat. Und für diese Feierlichkeiten hat er auch Künstler aus aller Welt bestellt.“

Ich beobachtete ein paar Schwalben, die neben dem Vordach kreisten „Das stimmt. Und Kevin wird hier bestimmt einen großartigen Film drehen. Das Schloss des italienischen Künstlers Moro Rossini ist schon fast fertig renoviert.“

Dinah sah mich neugierig an. „Ich dachte, es ist jetzt alles fertig, damit die Dreharbeiten pünktlich beginnen können.“

„Es wird fast nur im Garten und im kleinen Pavillon gedreht, ein paar Szenen im gelben Salon und mehrere im großen Ballsaal. Aber das alte Fürstenzimmer, dort wird nicht gedreht, das ist ab morgen für die Besucher gesperrt. Das ist auch eine besonders heikle Sache“, überlegte ich.

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ist es so baufällig?“

„Oh nein! Für diese Renovierung hat der Bürgermeister extra einen Fond gegründet und Lauras Tante, die reiche Frau Ackermann hat auch eine große Summe dafür gespendet, um das Schloss wieder in seinen alten Zustand zu versetzen. Damit dort wieder alles in den Originalzustand kommt, musste Bürgermeister Schneider einen ganzen Koffer voll Blattgold bestellen, der morgen hier ankommen wird.“ „Ein schlechter Zeitpunkt“, fand Dinah. „Heute Abend kommen die Schauspieler und das Filmteam. Dann ist viel Hektik und Durcheinander im Schloss. Wer kann denn dann morgen noch die Schauspieler von den restaurierenden Handwerkern unterscheiden. Ein Koffer voll Blattgold ist doch bestimmt auch etwas wert.“

„Der Schlossherr, Moro Rossini selbst, wird mit seinem Gärtner Bernhard die Oberaufsicht übernehmen. Und zum Filmen kommen nur wenige Schauspieler aus Amerika, gerade mal die Hauptdarsteller. Viele Szenen wurden bereits in Amerika im Studio in Philadelphia gedreht. Der einzige Tag, der wirklich ein großes Durcheinander bringen könnte, das ist übermorgen, falls dann Komparsen aus dem Ort benötigt werden. Aber auch da kann ich dich ein bisschen beruhigen. Sie werden alle sehr sorgfältig von einer Castingfirma ausgesucht, die Filmcrew und Rossini waren sich einig, dass alle Teilnehmer aus dem historischen Städtchen Sankt Augustine sein müssen.“

„Ich hoffe, ihr habt einen Tresor im Schloss“, beharrte Dinah. „Ein solcher Goldschatz verführt doch gerade zum Klauen.“

„Du solltest nicht den Teufel an die Wand malen“, riet ich ihr. „In der letzten Zeit sind hier im Schloss schon einige Dinge weggekommen. Wir wollen doch Adelaide, der Schlossherrin nicht die ganze Freude verderben. Sie ist nämlich sehr glücklich darüber, dass hier mal wieder richtig Leben im Schloss ist. Sie hat mit Carla schon ein großes Essen zum Willkommen vorbereitet.“

Dinah sah mich verwundert an. „Und ich dachte, hier wohnen so viele Kunststudenten im Schloss. Sind die etwa alle ausgezogen?“ „Nein. Die sind nur gerade in Semesterferien, zum Teil in Urlaub, zum Teil bei ihren Eltern und zum Teil in ihren Ferienjobs. Da wäre es jetzt den Sommer über ziemlich ruhig geworden.“

Sie wechselte das Thema. „Und wo ist dein Ehemann? Adelaide hatte mir erzählt, dass du frisch verheiratet bist mit einem temperamentvollen Italiener.“

„Er ist bei seiner Familie in Italien. Im Frühling war seine Schwester länger krank, und jetzt ist sie in einer Reha, und da Ermanno auch gerade Semesterferien hat, kümmert er sich inzwischen um seine drei Nichten und Neffen.“

„Warum bist du nicht mitgefahren, Abigail?“

„Mein Chef, Jens Wieland, hat mir einen neuen Auftrag erteilt. Diesmal geht es hier um die Zeit des Mittelalters. Da muss ich noch einiges über Sankt Augustine dieser Epoche recherchieren. Und außerdem habe ich der Schlossherrin versprochen, während der Drehtage auch ein bisschen mitzuhelfen. Mittlerweile wohne ich ja doch schon ein paar Jährchen hier und kenne mich gut aus. Bei diesen vielen Zimmern könnte sich sonst der eine oder andere Gast auch verlaufen.“

Sie lächelte. „Danke übrigens, dass ich während dieser Tage mit dir in deiner Wohnung übernachten kann. Da habe ich wenigstens auch einen Ansprechpartner, wenn ich irgendetwas für meine Lieblinge brauche. Ich vermisse sie sehr und freue mich, wenn Stefan nachher mit ihnen hier ankommt.“

„Ist Stefan dein Freund?“

„Nein. Er ist nur ein guter Freund und mein Nachbar, aber überhaupt nicht mein Typ. Er hat ziemlich lange an seiner Scheidung zu kauen gehabt, und versteht sich gut mit Tieren. Und er ist auch sehr gefällig. Da habe ich natürlich gedacht, eine Hand wäscht die andere. Denn er unterrichtet in der Schule Kunst und wollte schon immer einmal den berühmten Maler Moro Rossini und sein Schloss kennenlernen. Also habe ich die Rossinis gefragt, ob ich ihn mitbringen darf. Mir ist Stefan zu ruhig und introvertiert, er bringt kaum ein Wort heraus. Das wäre mir in einer Partnerschaft viel zu langweilig.“

„Jeder, wie er mag. Aber du sprichst doch bestimmt mit deinen Katzen“, scherzte ich.

Sie lachte. „Ja, das stimmt. Augustus hört mir immer zu, wenn ich mit ihm spreche. Aber die große Königin, die besondere Diva, das ist Felicita, die besonders stolze Neva Masquarada.“

Ich lachte. „Augustus? Na, ob der mit August dem Starken zurechtkommt? Und deine schöne Katze heißt Felicita? Und du wagst es wirklich, sie in einem Käfig hierher zu bringen? Felicita, das heißt doch „Glück“. Darf man das Glück denn ungestraft einsperren?“

***

„Das ist wirklich nur für den Notfall“, versicherte mir Dinah. „Es ist auch ein sehr großer, gemütlicher Käfig, in dem sich viele kuschelige Kissen befinden. Und meine Lieblinge bleiben auch keine Minute länger darin als es unbedingt notwendig ist. Stefan kennt ihre Lieblingsmusik, die er auf einer CD während der Fahrt abspielt, damit sie sich wie zu Hause fühlen. Du musst dir also keine Sorgen um Augustus und Felicita machen!“

„Das war nur ein Scherz“, beruhigte ich sie. „Ich weiß doch, wie sehr du dich um sie sorgst. Deswegen dürfen sie auch bei mir in der Wohnung schlafen.“

„Ich habe sogar Clemens für heute Abend hierher bestellt, Abigail. Er soll sie nach der Fahrt und vor ihrem Einsatz noch einmal gründlich untersuchen.“

„Clemens? Du meinst unseren Tierarzt Dr. Clemens Lang, der bei den Schirmer-Zwillingen im Gutshof seine Praxis führt?“

Die junge Frau lächelte. „Natürlich, wen denn sonst. Er hatte doch früher seine Praxis bei uns in der Stadt, und ich war mit all meinen Tieren immer bei ihm. Wir kennen uns schon eine Ewigkeit.“

Ich horchte auf. „Das hört sich auch nach einer interessanten Geschichte an. Du weißt, dass er jetzt mit der Studentin Maria zusammen ist, die gut und gerne seine Tochter sein könnte.“

„Ja, das weiß ich. Und ich habe auch manchmal aus der Ferne alle seine Affären und Liebschaften verfolgt. Ich kenne diesen Macho, diesen unverbesserlichen Casanova und weiß, wie sehr er auf die Anbetung junger Frauen angewiesen ist.“

„War da mal was zwischen euch?“ erkundigte ich mich.

Sie seufzte. „Oh ja! Leider viel zu viel. Er war meine erste große Liebe, und er hat damals auch behauptet, dass ich seine einzige große Liebe sei. Aber du kennst ihn sicherlich. Er kann wirklich nicht treu sein, und findet an jeder Frau irgendetwas Schönes. Er besaß damals tatsächlich die Frechheit, eine Freundin von mir zu einem Rendezvous einzuladen, während wir beide zusammen waren.“

„Oh, das ist bitter. Solch eine Erfahrung hat nur unsere liebe Schlossherrin Adelaide gemacht, die aber nach vielen Jahren ihrem Moro verziehen und sich dann doch noch für ihn entschieden hat. Jetzt sind die beiden schon ein Weilchen glücklich miteinander.“

„Ja, vermutlich sieht man die Dinge im Alter etwas gelassener, Abigail. Aber ich bin erst Mitte 30, da habe ich noch andere Erwartungen an das Leben. Und ich kann das Clemens nicht verzeihen. Außerdem bin ich sicher, dass er sich inzwischen nicht geändert hat, obwohl man sich erzählt, dass er schon eine ganze Weile mit Maria zusammen ist.“

Ich nickte. „Ja, das stimmt. Und noch macht es ihr auch Spaß, ihn jeden Tag zu bewundern. Aber wie sieht das mit dir aus? Liebst du ihn immer noch?“

„Wie das eben so ist, mit der ersten Liebe. Die geht nie wirklich vorbei.“

Ich sah sie mit großen Augen an „Und dann tust du dir das an? Gibt es hier wirklich keinen anderen Tierarzt, der deine Lieblinge betreuen kann?“

Sie lächelte. „Das ist wie Konfrontationstherapie. Wenn ich ihn wieder sehe, hoffe ich jedes Mal, dass mein Herz dabei ruhig bleibt.“

„Und? Tut es das?“

Ein Schimmer von Traurigkeit huschte über ihr Gesicht. „Wo denkst du hin? Das wäre ein Wunder. Aber auf der anderen Seite merke ich dann doch jedes Mal, dass ich noch ganz lebendig bin. Das ist auch ein Erfolgserlebnis.“

„Es gibt bestimmt noch einen anderen netten Mann für dich“, tröstete ich sie. „Ich habe Ermanno auch erst vor zwei Jahren kennengelernt, und war da schon über 40. Und ich habe wirklich das Gefühl, dass er der Richtige ist.“

Sie lachte. „Das kann ich mir denken, sonst hättest du ihn wohl kaum geheiratet.“ Sie sah den Weg hinunter, auf dem uns zwei weibliche Personen entgegen kamen. „Wen bringt uns Adelaide denn dort hierher?“

Als die beiden etwas näher kamen, erkannte ich Adas Begleiterin. „Das ist Katie William, die Drehbuchautorin, ihr Mann ist der Produzent dieses Films, Tobias Paper. Ich habe mir die ganze Crew schon einmal im Internet angeschaut, nachdem mir Laura die ersten Informationen gab.“

„Ich habe sie mir ganz anders vorgestellt“, bekannte Dinah.

Ich grinste. „Wie denn? Ganz alt und ein bisschen mittelalterlich?“

„Ach, Quatsch! Irgendwie lebensfroh und lustig, übersprühend vor Temperament. So wie jemand, der im Gefolge von August des Starken arbeitet.“

„Na, du hast ja vielleicht Ideen! Ich finde, sie sieht etwas müde aus. Und das kommt bestimmt von der langen Reise.“

Adelaide stellte uns Katie vor. „Wie die Filmcrew sagen wir hier alle auch im Schloss mittlerweile Du zueinander. Abigail, ich vertraue dir hier die Drehbuchautorin Katie an. Und dich, Dinah nehme ich gleich mit ins Schloss, denn du wirst sehnlich erwartet. Und vermutlich kannst du es sogar schon erraten, von wem. Stefan ist da mit deinen heiß geliebten Katzen. Alle Bewohner im Schloss sind schon ganz neugierig auf diese besonderen Exemplare.“

„Das glaube ich“, freute sich Dinah und sprang von der Bank auf. „Jetzt könnte mich nicht einmal August der Starke hier festhalten. Ich bin schon bei dir.“

Adelaide lächelte Katie und mir noch einmal zu. „Wir sehen uns dann gleich beim Abendessen in der Schlossküche. Eigentlich hatten wir vor, auf der Terrasse zu bleiben, aber es ist für später Regen angesagt, da wollen wir nichts riskieren.“

Katie sah die Hausherrin etwas verlegen an. „Das tut mir leid, Ada. Tobias und mich musst du bitte entschuldigen. Er möchte heute Abend lieber allein mit mir im Appartement essen. Ich habe Carla schon darum gebeten, dass sie das berücksichtigt.“

„Kein Problem“, fand Adelaide. „Macht es euch nur da gemütlich, wo ihr wollt. Das Schloss ist jetzt euer Zuhause für die nächsten Tage. Und nach dem weiten Flug braucht ihr ganz bestimmt etwas Ruhe. Sicher werden die nächsten Tage sehr stressig.“

Sie winkte uns noch einmal zu und führte Dinah durch den Park zum Schloss zurück.

„Bei Adelaide brauchst du keine Hemmungen zu haben“, erklärte ich Katie. „Sie hat für alles Verständnis.“

Katie nickte. „Ich habe gleich gemerkt, dass sie ein sehr lieber Mensch ist, diese ältere Dame. Ich glaube, sie ist hier für alle Personen im Schloss wie eine Art Großmutter. Und ich will es dir gleich sagen, denn merken wirst du sowieso, wenn wir ein paar Tage hier sind. Mein Mann Tobias ist etwas merkwürdig, ein bisschen eigen. Wundere dich also über nichts!“

Ich sah sie fragend an. „Merkwürdig sind doch die meisten Menschen. Du meinst, er hat eine echte Macke?“

„Er gehört zu den Menschen, die oft ohne ersichtlichen Grund schlecht gelaunt sind. Manchmal meine ich, er hat es in der Kindheit zu gut gehabt. Aber dann denke ich, das waren vielleicht nur Äußerlichkeiten. Irgendetwas muss ihm doch gefehlt haben.“

Ich dachte an die Patienten meiner Freundin Greta. „Ist er vielleicht manchmal ein bisschen depressiv?“

„Seit er als Produzent viel beschäftigt ist und auch eine Menge Erfolg hat, eher nicht mehr. Aber seinen Launen scheint er nicht entkommen zu können. Wenn er lacht, dann nur aus Höflichkeit.“

Ich dachte nach, und mir fielen einige Menschen ein, bei denen ich Ähnliches erlebt hatte. „Vielleicht gehört er zu den Menschen, deren Seele immer etwas im Schatten steht. Ich habe eine meiner Tanten auch selten lachen sehen und hatte oft das Gefühl, dass sie für nichts wirklich brennen konnte. Wie lange seid ihr schon zusammen?“

„Wir kennen uns schon sehr lange, aber verheiratet sind wir erst seit 7 Jahren, und die waren nicht einfach. Manchmal wäre ich gern weggelaufen, aber einen kranken Menschen verlässt man nicht.“

„Du meinst, er ist seelisch krank? War er dann mal in einer Therapie?“

„Ja, nachdem er an Magengeschwüren gelitten hat. Aber seine Therapeutin meinte damals, er sei nur zu sehr verwöhnt worden in der Kindheit, und er habe nie gelernt, mit Problemen umzugehen.“

Ich wunderte mich. „Und das hat eine Therapeutin gesagt? Das ist sicher nicht die generelle Meinung aller Psychologen. Wenn man das so von ihm hört, möchte man doch meinen, dass da irgendein Trauma vorlag.“

„Das habe ich auch immer vermutet, und immer in seinem Leben herumgebohrt, die ganze Biografie rauf und runter. Aber da war nichts, das mir Aufschluss gab.“

„Eine gute Freundin von mir ist Psychotherapeutin, sie heißt Greta und wohnt auch hier in Sankt Augustine. Vielleicht hat sie in den nächsten Tagen einmal Zeit, um mit dir zu reden“, schlug ich ihr vor.

Sie sah mich zweifelnd an. „Ach, lassen wir das lieber erst noch einmal. Ich wollte dich ja nur warnen, damit du dich nicht wunderst. Wenn Tobias nämlich merkt, dass ich mit jemandem darüber geredet habe, könnte er sehr ungemütlich werden. Das möchte ich jetzt während der Dreharbeiten nicht riskieren.“

„Das würde Kevin Brown niemals zulassen“, vermutete ich. „Es ist nicht der erste Film, den er hier im Schloss dreht, und wir hatten hier immer eine sehr gute, teilweise auch fröhliche Atmosphäre. Mach dir also lieber nicht zu viele Sorgen!“

Sie lächelte mich dankbar an. „Nein, es ist schon gut. Ich wollte dich auch nur warnen. Aber wechseln wir lieber das Thema. Kennst du schon den Hauptdarsteller Eugenio Trento? Er ist in seiner Rolle wirklich genial.“

„Ich habe bisher nur sein Bild im Internet gesehen. Und er sieht wirklich dem Kurfürsten August sehr ähnlich. Mit ein bisschen Schminke ist er sicherlich die beste Besetzung.“

„Er ist auch wahnsinnig charmant, alle weiblichen Personen im Team schwärmen für ihn.“

„Ist er denn noch solo?“

„Ja, und leider ist ein großartiger Schauspieler“, meinte sie bedauernd.

Ich staunte. „Wieso leider?“

„Er spielt diesen draufgängerischen und anspruchsvollen Kurfürsten genial, aber privat ist er ein ganz anderer Mensch. Ziemlich schüchtern, manchmal sogar unnahbar.“

Ich lächelte sie an. „Schwärmst du auch für ihn?“

„Das tut doch jede. Aber keine Sorge, ich weiß, dass ich verheiratet bin. Er ist eben etwas ganz Besonderes. Trotzdem, selbst wenn ich frei wäre, ich glaube, dass niemand eine Chance hat, an ihn heranzukommen.“ Ihre Blicke schweiften über den Park. „Es ist wundervoll hier. Ich freue mich schon auf die Tage hier bei den Rossinis im Schloss.“

***

Als wir uns nach einem ausgiebigen Spaziergang durch den gepflegten Park in der Empfangshalle des Hauptgebäudes einfanden, trafen wir auf das Ehepaar Rossini, dass gerade die angekommene Film-Crew begrüßte.

Meine Freundin Laura, die berühmte Schauspielerin, flog mir wie erwartet sofort in die Arme, als sie mich erblickte. „Gut siehst du aus!“ schmeichelte sie mir. „Dein junges Eheglück bekommt dir.“

„Ihr seid auch noch kein altes Ehepaar“, erinnerte ich sie. „Was für eine gute Idee von Kevin und den übrigen Machern des Films, diese Szenen hier zu drehen.“

Sie nickte eifrig. „Ja, glücklicherweise waren sich da alle einig, die dabei etwas zu sagen haben. Sind eigentlich die beiden wunderschönen Katzen schon angekommen, die mir mein Filmliebhaber schenken wird. Ich bin schon sehr neugierig auf sie.“

Wir setzten uns auf das geblümte Sofa und sahen zu, wie sich die restliche Crew mit Moro und Adelaide bekannt machte.

„Ja, Dinah, ihr Frauchen ist schon etwas früher hier angekommen, und ihr Freund Stefan hat die Tierchen eben in einem besonders luxuriösen Käfig hierhergebracht. Ich habe bereits Fotos von ihnen gesehen, es sind unglaublich schöne Katzen mit besonderen Zeichnungen im Gesicht, die tatsächlich ein bisschen aussehen wie Masken.“

Laura staunte. „Und die haben sich tatsächlich dressieren lassen?! Dabei sind Katzen doch so eigenwillige Tiere. Da muss diese Dinah doch eine ganz besondere Katzenflüsterin sein.“

„Ja, sie ist eine sehr nette Tiertrainerin und besitzt eine Menge Empathie. Du wirst sie mögen, was wahrscheinlich auch wichtig ist, denn ich denke, sie wird bei allen Szenen im Hintergrund mit dabei sein und auf ihre Lieblinge aufpassen.“ Sie zeigte auf den Tierarzt Clemens, der gerade an uns vorbeilief. „Was will der denn hier? Ist Carlas Papagei krank?“

„Nein, Dr.Lang betreut Augustus und Felicita, die beiden Vierbeiner. Dinah möchte sie nach ihrer Reise einmal kurz untersuchen lassen. Sie ist sehr fürsorglich und verantwortungsbewusst. Die beiden Tierfreunde kennen sich schon aus der Stadt.“

Laura grinste. „Welche Frau kennt Clemens nicht? Da haben wir es doch besser mit unseren eigenen männlichen Exemplaren. Wir sind glücklicherweise nicht an solche Machos geraten, und ich kann immer noch nicht verstehen, wie Adelaide es so lange mit ihrem großen Künstler ausgehalten hat. Aber jetzt bin ich schon sehr gespannt, was du zu Eugenio sagst, dem männlichen Hauptdarsteller.“ Sie zeigte auf einen großen Mann mit breiten Schultern, dessen fröhliche ausdrucksvolle Augen lebhaft umherblickten.

Ich musste zugeben, dass er eine ungewöhnliche Ausstrahlung besaß. Tatsächlich traute man es ihm zu, dass er aus einem selbstbewussten, königlichen Geschlecht stammte. „Er besitzt eine natürliche Autorität“, fand ich. „Man hat das Gefühl, sich ihm anvertrauen zu können. Hast du schon einmal mit ihm gespielt?“

„Wir haben beide in einem gemeinsamen Film eine Nebenrolle spielt, aber da waren wir kein Paar. Diese Situation ist auch neu für uns.“

Ich sah sie aufmerksam von der Seite an. „Und Kevin ist nicht eifersüchtig, wenn du mit so einem faszinierenden Mann spielst?“

Sie lachte. „Nein, das ist nicht nötig. Ich liebe Kevin, und während ich spiele, bin ich auch gar nicht ich selbst, sondern schlüpfe völlig in die Rolle hinein. Da könnte sich nur Maria Eugenia in den Kurfürsten verlieben, aber nicht ich.“

„Das ist aber auch ein drolliger Zufall“, fand ich. „Dein Filmheld heißt Eugenio, und du heißt in der Filmrolle Maria Eugenia.“

„Nein, das ist kein Zufall. Die Drehbuch-Autorin Katie hat sich tatsächlich von diesem Schauspieler inspirieren lassen und nachträglich den Namen von Maria Helene in Eugenia umgeändert. Sie ist wohl, genau wie wir alle hier, von Eugenio sehr beeindruckt.“

„Katie habe ich auch schon kennengelernt, sie ist sehr sympathisch. Was sagst du denn von ihrem Mann, dem Produzenten Tobias?“

Laura hob die Augenbrauen. „Das ist ein ungemütlicher Mensch. Er ist immer schlecht gelaunt, und ich glaube, er behandelt Katie auch sehr schlecht.“

„Wird er handgreiflich?“

„Das weiß ich nicht so genau. Aber auch mit Worten kann man Menschen sehr verletzen. Ich glaube, Katie macht sich den ganzen Tag Gedanken, wie sie ihm alles recht machen kann, damit er keine schlechte Laune hat. Aber das sollte sie besser aufgeben, denn ihm ist nicht zu helfen.“

„Woher weißt du das denn? Ich dachte, ihr hättet nur einmal kurz miteinander zu tun gehabt.“

Laura schüttelte den Kopf, ihre glänzenden Locken flogen um ihr schönes Gesicht. Ihr zauberhafter Schmollmund kam zum Vorschein. „Kevin hat mit uns alle Szenen schon durchgesprochen, und Tobias war dabei und hatte dauernd etwas an ihm und an uns zu meckern. Aber am schlimmsten war es, wenn es um Katies Drehbuch ging. Da hat er kein gutes Haar dran gelassen, und wollte immer alles ändern. Aber du kennst ja Kevin, der lässt sich nicht beirren. Wir andern alle sind nämlich vom Drehbuch begeistert.“

Ich dachte an ein Gespräch, dass ich in den letzten Tagen mit Greta geführt hatte. „Es könnte auch sein, dass er sich seinerseits in einer Verlust-Angst befindet“, überlegte ich. „Wenn er so eklig zu ihr ist, kann er auch versuchen, sie damit ganz klein zu halten, damit sie sich nicht traut, von ihm wegzulaufen.“

„Davon habe ich keine Ahnung, Abigail. Ich wünschte nur, er wäre in den nächsten Tagen heiser und wäre gezwungen, den Mund zu halten. Dann könnten die Dreharbeiten etwas gelassener laufen. Wer ist denn nun schon wieder dieser gut aussehende Mann?“ erkundigte sie sich bei mir, als Moro mit einem älteren, grauhaarigen Herrn eilig an uns vorbei strebte.

Ich entdeckte den großen Koffer an der Hand des Mannes und eine kleine Kette, mit der das Gepäckstück an seinem Handgelenk befestigt war.

„Das ist sicher das Blattgold für den Salon, der noch restauriert werden soll. Moro wird den Schatz jetzt sicher im Tresor einsperren, damit er nicht abhanden kommt.“

Laura stöhnte. „Auch das noch. Ich hoffe, dass davon nicht alle Gäste hier unterrichtet sind.“