Als die Braut verloren ging - Gudrun Leyendecker - E-Book

Als die Braut verloren ging E-Book

Gudrun Leyendecker

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als die Braut verloren ging ist der 12. Band der Reihe: Liebe und mehr. In der historischen Kleinstadt Sankt Augustine freut man sich auf den Weihnachtsmarkt im Märchenpark, der ein besonderes Ereignis werden soll. Auf dem romantischen Gelände wird die Hochzeit der Schauspielerin Silvia Vinci vorbereitet. Ganz überraschend verschwindet die Braut, und die Journalistin Abigail Mühlberg hilft dem unglücklichen Bräutigam bei der Suche. Ein Erpresserbrief taucht auf und bringt Verwirrung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 264

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Handlung der Geschichte, sowie sämtliche Personen sind frei erfunden und entsprechen in keiner Weise der realen Geschehnisse oder lebenden Personen. Ähnlichkeiten mit Handlungen, Gegebenheiten oder Personen sind rein zufällig.

In diesem Jahr fielen die ersten Schneeflocken in Sankt Augustine am 8. Dezember. Leise tanzten sie herab und schmiegten sich sanft an den kühlen Untergrund. Es dauerte eine ganze Weile, bis aus den hellen Flecken auf der Wiese im Märchenpark eine feine weiße Decke entstanden war.

„Deine Mütze ist auch schon ganz weiß“, teilte mir Carla lachend mit. „Gleich siehst du aus wie ein Schneemann.“

„Zum Glück haben wir die elektrischen Lichterketten schon gestern installiert“, freute ich mich, während ich die Girlande aus Tannenzweigen an der kleinen Holzbude befestigte. „Unser Weihnachtsschmuck ist vollkommen wetterfest. Ich denke, wir werden mit unserer kleinen Bäckerei noch heute Abend fertig werden.“

Carla sah in die Wolkendecke über uns. „Wenn wir nicht bis dahin eingeschneit sind. Immerhin hätten die Schneeflocken abwarten können, bis wir fertig sind. Zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes morgen sieht das ja dann ganz hübsch aus, heute bin ich nicht darauf vorbereitet.“

Ich wischte mir eine Schneeflocke aus dem Gesicht. „Du kannst gern drinnen weitermachen! Da sind auch noch ein paar kleinere Girlanden aufzuhängen. Meine Mütze ist wasserdicht, dann mache ich den Rest hier draußen“, schlug ich ihr vor.

Carla freute sich. „Das ist lieb von dir. Ich muss ein bisschen auf meine Frisur aufpassen, die schönen Locken sind sonst futsch, die ich mir vorhin extra gedreht habe. Denn Bernhard will mich später hier abholen, er hat mich zum Abendessen in den Gasthof „Zur Traube“ eingeladen. Wir feiern unser Jubiläum.“

„Was für ein Jubiläum?“

Carla blinzelte mich vergnügt an. „Wir sind heute auf den Tag genau drei Monate zusammen. Erinnerst du dich an das Konzert in Frankreich im Haus der Florence de la Maison?“

Ich nickte eifrig. „Natürlich. Das war ein ganz besonderer Nachmittag. Du hattest ihm den glückbringenden Anhänger geschenkt, und er hat so wundervoll auf der Klarinette gespielt, dass alle Zuhörer begeistert gelauscht haben. Und dann hat er sich auch noch bei dir bedankt, weil du eine so gute Agentin für ihn bist.“

„Genau, und am Abend waren wir dann noch im Park spazieren, es war solch eine romantische Sommernacht. Du erinnerst dich bestimmt noch an die duftenden Rosen?“

„Ja, an die verschiedensten Sorten, auch an die intensiv duftende Blüte der „Elbflorenz“. Die hatte es mir dort wirklich angetan.“

„War es da ein Wunder, dass er mich genau dort küsste?!“ Ihre Augen leuchteten, sie lächelte. „Weißt du, Abigail, dass ich es eigentlich dir zu verdanken habe, dass wir so schnell zusammenkamen? Deine ganze Idee mit der Frankreichreise, diese Erlebnisse haben uns wirklich schneller zusammengeführt, als es sonst passiert wäre. Du hast ein bisschen Schicksal gespielt, und dafür bin ich dir dankbar.“

„Ach Unsinn!“ wehrte ich ab. „Das Schicksal geht immer seinen Weg. Ich bin dem Zufall nur gerade begegnet und war dann diejenige, die für deinen Lebensweg gerade richtig kam. Ich habe das Gefühl, ihr beide seid sehr verliebt, oder?“

„So verliebt war ich noch nie!“ schwärmte sie. „Er hat sogar schon von Verlobung gesprochen und redet die ganze Zeit davon, dass wir eine Verlobungsreise nach Dresden machen. Diese fantastische Stadt will er mir unbedingt einmal zeigen.“

„Es wird dir gefallen, Carla. Diese Stadt mit dem historischen Kern ist wirklich bezaubernd. Man nennt sie nicht umsonst „Elbflorenz“ mit all ihren besonderen Sehenswürdigkeiten. Ich finde gar nichts Schlimmes dabei, wenn er schon von Verlobung redet. Manchmal ist man sich eben schnell sicher. Aber nun geh endlich rein, sonst erkältest du dich wirklich hier noch mit all den geschmolzenen Schneeflocken auf deiner Mütze.“

„Komisch, gerade habe ich davon gar nichts gemerkt. Wenn ich an Bernhard denke, verschwindet die übrige Welt plötzlich und ist nicht mehr wichtig. Na ja, genau genommen hast du schon Recht. Immerhin kennen wir uns schon drei Monate und haben uns tatsächlich jeden Tag gesehen. Das ist eigentlich unglaublich.“

Ich befestigte einen großen Stern an der Tannengirlande. „Ja, ihr habt wirklich Glück. Weißt du übrigens, dass die Schauspielerin Silvia Vinci ihren Bräutigam Gerd auch erst seit drei Monaten kennt?“

„Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Meinst du die Silvia Vinci, die morgen hier auch im Märchenpark heiratet?“

Ich nickte. „Diese Silvia meine ich. Laura hat es mir erzählt, und die kommt extra morgen zu der Hochzeit angereist, weil sie damals mit Silvia in der gleichen Schauspielschule war.“

„Das musst du mir aber genauer erzählen! Weißt du die ganze Geschichte, die von Silvia und Gerd? Komm doch erst einmal mit hinein! Solange es schneit, können wir beide gemeinsam drinnen weitermachen. Vielleicht hört es nachher wieder auf.“

Ich befestigte den letzten goldenen Stern an der grünen Girlande. „Ich bin jetzt hier draußen fertig. Dann helfe ich dir gleich drinnen beim Schmücken.“

Carla half mir, die leeren Kartons hinter die Hütte unter das kleine Vordach zu stellen. „Bis Weihnachten können sie dort stehen bleiben“, hoffte ich und hielt ihr die Holztür auf, die in das Minihäuschen führte. Hier gab es eine Menge an Regalen aus hellem Holz, deren Fächer auf den morgigen Tag warteten, um mit kleinen Kuchen, Lebkuchen und Weihnachtsgebäck gefüllt zu werden.“

Aus der Thermosflasche schenkte ich uns einen heißen Tee ein.

„Ein Glühwein wäre mir jetzt lieber“, wünschte sie sich das aromatische Weihnachtsgetränk.

„Da musst du noch bis morgen warten, bis Märchenpark und Weihnachtsmarkt geöffnet sind“, bedauerte ich.

Wir setzten uns auf die schmale Holzbank und wärmten uns die Hände, indem wir sie über dem kleinen Ofen aneinanderrieben.

Carla nahm einen Schluck Tee. „Also, los! Was weißt du über die Liebesgeschichte dieser Schauspielerin?“

„Letzte Woche habe ich mich mit Laura darüber unterhalten. Sie hat mir ein bisschen über Silvia erzählt, die hier in Sankt Augustine geboren wurde. Ihre Mutter war eine Sängerin und ihr Vater ein Dirigent, der sehr früh gestorben ist. Er war viele Jahre älter als ihre Mutter, und Silvia kann sich kaum noch an ihn erinnern, weil sie noch sehr klein war, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hat. Silvias Mutter hatte es sehr schwer, ein vernünftiges Engagement zu finden, und so hat sie dann auch meistens in Nachtklubs gesungen, wie das früher noch so Mode war. Später, als das Fernsehen viele Leute zum Daheimbleiben einlud, hatte sie nur noch Aushilfsjobs, mit denen sie sich und ihre Tochter über Wasser hielt. Da mussten Mutter und Tochter auf viele Annehmlichkeiten verzichten. Aber Silvia war unheimlich ehrgeizig, schon als kleines Kind wollte sie Schauspielerin werden. Vom Typ her hat sie mit Laura überhaupt keine Ähnlichkeit. Laura ist ja die wunderschöne, blonde Französin mit dem typischen Schmollmund, wie man sie von den großen Filmdiven vergangener Jahrzehnte kennt. Silvia dagegen hat glänzendes schwarzes Haar und leuchtende, fast schwarze Augen dazu, die in ihrem Gesicht wie Sterne funkeln. Ich habe sie noch nicht wirklich gesehen, aber auf den Fotos sieht sie aus wie Schneewittchen. Laura bezeichnet sie als ein braves Mädchen, aber als ich sie nach einer näheren Erklärung dazu fragte, meinte sie. „Bei allem Ehrgeiz, den die Kleine hat, ist sie doch immer total rücksichtsvoll, liebenswürdig und fast schüchtern, wenn es um die Durchsetzungsfähigkeit geht. Ja, sie hat gebüffelt und gelernt, jede Ausbildung mitgemacht, die sie sich leisten konnte und ist zu jedem Casting gegangen, bis sie im letzten Jahr von Werner Donsek entdeckt wurde, einem der bekanntesten Regisseure dieses Landes. Ihr Ehrgeiz belebt vor allen Dingen auch ihren Fleiß, und ihr guter Wille, sich ständig zu bemühen und sich für nichts zu schade zu sein, bringt sie voran.“ Da hat Laura natürlich oft schon zu ganz anderen Mitteln gegriffen, wenn sie vorankommen wollte“, wusste ich.

„Silvia scheint ein sympathischer Mensch zu sein“, fand Carla. „Aber bis jetzt kann ich mir noch kein Bild von ihr machen. Hat sie denn eine Ausstrahlung?“

„Und was für eine! Auf der einen Seite wirkt sie wie ein liebenswerter Engel, aber auf der anderen Seite auch wie eine geheimnisvolle junge Frau.“

„Und was ist jetzt mit ihrer Liebesgeschichte? Wie ist sie jetzt an diesen Gerd gekommen und wer ist er?“ Sie nahm die Mütze ab und griff sich mit den Fingern durch die Locken.

„Deine Haare sind noch in Ordnung“, versicherte ich ihr. „Also, geboren sind er und sein Bruder auch in Sankt Augustine. Sie waren sogar einmal alle drei in demselben Kindergarten. Oscar und Gerd haben einen großen Verlag gegründet, der in alle Welt Bücher liefert. Das Haupthaus ist in Hamburg, es wird von Oscar geleitet und befasst sich hauptsächlich mit Export. Und hier in der Nachbarstadt Wittentine befindet sich die etwas kleinere Tochterfirma, die Gerd leitet.“

„… Und die befasst sich vermutlich mit Import“, ergänzte Carla.

„Unter anderem, ja. Er hat sich im letzten Jahr ein hübsches kleines Fachwerkhaus im Stadtkern von Sankt Augustine gekauft, und es renoviert. Dort möchte er auch ganz gern mit Silvia wohnen. Sein Bruder ist auch schon wegen der Hochzeit hier angekommen, er hat sich im Rosenturm eingemietet, wo sich damals unsere Schlossherrin ganz versteckt aufgehalten hat, bevor sie zu Moro Rossini ins Schloss gezogen ist.“

„Richtig, Sankt Augustine hat so viele schöne Liebesgeschichten, und die von unserem alten Pärchen, die sich nach Jahrzehnten endlich gefunden haben, das ist die größte und schönste. Aber wie ist das jetzt mit Silvia und Gerd gewesen? Du hast mir noch nicht erzählt, wie sich die beiden wiedergefunden haben.“

Ich nahm einen Schluck Tee und genoss seine wärmende Wirkung. „Silvia hatte schon einmal eine Beziehung mit einem Polizisten. Die beiden lebten in einem Nachbardorf, nicht weit weg von hier. Aber dieser Andreas war leider ein Choleriker, und fast jedes Mal, wenn sie sich stritten, ist er ausgerastet und hat Dinge zerstört. Einmal hat er Silvia sogar geschlagen. Da hat sie es nicht mehr ausgehalten und sich von ihm getrennt. Zu der Zeit war sie noch nicht entdeckt worden und tingelte so ein bisschen herum, überall da, wo sie gerade eine kleine Rolle fand. Tja, und dann kam es so, wie es kommen musste. Gerd hat ein Hobby, er finanziert hier momentan die Laienspielgruppe von Sankt Augustine, die hier im Gemeindezentrum einmal wöchentlich probt. Nächstes Jahr soll ein Musical aufgeführt werden, und dafür wurde ein Tag festgesetzt, an dem das Casting stattfinden sollte. Eigentlich ist Gerd sonst nicht dabei, aber genau an diesem Sonntag hatte er einmal große Lust dazu, sich anzuschauen, wofür er sein Geld spendet. Für diese Laiengruppe suchte man natürlich keine Profis, und nun kannst du dir denken, wie es weiter ging.“

„Sicher hat sich Silvia beworben, und wurde direkt genommen, oder?“

„Sie suchten also Laien, die gut singen können. Silvia ist ja keine Sängerin, sondern eine Schauspielerin mit Gesangsausbildung und hat die wunderschöne Stimme ihrer Mutter geerbt. Gerd saß dann im Publikum und sah dann das bezaubernde Schneewittchen auf der Bühne. Ihr Gesang hat wohl alle bewegt, und der edle Spender hat sich sofort in die schöne junge Schauspielerin verliebt.“

„Und sie?“

„Sie hat ihn zuerst gar nicht wahrgenommen. Sie war so vertieft in ihre Rolle, die ihr auf den Leib geschnitten schien.“

„Und wie heißt dieses Stück?“

„Der Tod des Eisvogels.“

„Ach! Diesen Titel kenne ich doch. Hat nicht unser guter Gärtner Marius diesen Titel für seinen Roman benutzt, den er als junger Mann einmal geschrieben hat?“

„Genau, liebe Carla. Und unsere gute Musikfreundin Florence de la Maison aus Frankreich hat sofort, nachdem sie es gelesen hat, ein Musical dazu in Auftrag gegeben. Es soll im Frühling schon aufgeführt werden, vermutlich im Mai, wenn hier wieder einmal das Frühlingsfest stattfindet.“

„Das ist doch ein biografischer Roman von Marius, nicht wahr? Dann spielt doch Silvia bestimmt die junge Florence“, vermutete Carla.

„Richtig. Das ist dann die weibliche Hauptrolle, und sie soll das auch ganz fantastisch machen. Die übrige Gruppe und der Regisseur Niki Canterbury, sind ganz begeistert. Deswegen hat er Silvia auch sofort unter Vertrag genommen, damit sie nicht plötzlich abspringen kann, falls sie in dieser Zeit ein anderes, großes Angebot bekommt. Danach hat er extra noch einmal ein Casting für die männliche Hauptrolle veranstaltet.

Sie haben einen Franzosen gefunden, der in Jérôme Tessiers Team arbeitet, aber extra für dieses Schauspiel beurlaubt wurde.“

„Ein Schauspieler aus dem Team des großen Puppenspielers Jérôme Tessier? Dann muss es wirklich ein besonderes Talent sein. Dieser Franzose hat ja nur die allerbesten engagiert.“

„Ja, auf dieses Musical werden wir uns wohl alle sehr freuen können. Aber Silvia und Gerd freuen sich bestimmt erst einmal auf ihre morgige Hochzeit.“

„Gibt es denn dann heute auch noch einen Polterabend?“ Carla nahm den Taschenspiegel aus ihrer Handtasche und betrachtete ihre Frisur. „Na ja, so perfekt liegen die Haare nicht mehr.“

Ich lächelte. „Er wird dich trotzdem schön finden, wollen wir wetten? Ja, ein bisschen poltern wollen sie, Silvia und Gerd. Aber nur im kleinen Kreis, die Schauspieltruppe ist dabei und Jasmin und Senta vom Gutshof, das sind auch alte Freunde von ihnen. Als Trauzeugen gibt es da noch den Clemens, unseren Tierarzt und Cordula, Sekretärin und Bibliothekarin in unserem Stadthaus.“

„Ach, Cordula! Hat sie nicht inzwischen ein Baby?“

„Genau, sogar Zwillinge, und wie alle Babys zum Verlieben süß.“

„Darfst du als Journalistin nicht auch zum Polterabend gehen?“

„Ich arbeite ja nicht für die Zeitungen dieser Stadt, sondern für meinen Verlag, und der gute Jens Wieland hatte bis jetzt noch kein Interesse an Silvia Vinci.“

„Kannst du denn da nicht ein bisschen nachhelfen? Er hat doch oft schon über berühmte Leute aus dieser Stadt etwas schreiben lassen. Ich finde die Geschichte von Silvia und auch ihre dazugehörige Liebesgeschichte sehr erzählenswert.“

Ich überlegte. „Ich weiß nicht so richtig. Das fühlt sich für mich so ein bisschen nach Klatsch und Tratsch an. Man müsste dann schon die künstlerische Note aller Beteiligten etwas stärker herausholen. Dazu müsste ich natürlich alle etwas näher kennen lernen. Ob das so schnell geht? Morgen ist schon die Hochzeit, und für heute Abend ist sicher schon alles festgelegt.“

Carla lachte und sah mich herausfordernd an. „Ich kenne dich aber sonst etwas spontaner. Selbst wenn dein lesefauler Chef heute deine fragende E-Mail oder SMS nicht mehr liest, so könntest du doch immer noch das Brautpaar selbst fragen.“

„Sieht etwas blöd aus, wenn ich mich so aufdränge. Aber wenn dir der Polterabend so wichtig ist, dann könntest du auch diese Sache in die Wege leiten. Wenn ich mich richtig erinnere, hilfst du doch dem Ehepaar Bühler in der Traube gleich noch bei den Vorbereitungen in der Küche, oder?“

„Klar, das hatte ich Frau Bühler versprochen. Ich bin für die Nachspeise zuständig. Sie ist schon vorbereitet, und ich muss nachher nur noch alles in die kleinen Schalen verteilen und ein bisschen verzieren.“

Ich nahm eine von den kleinen bunten Lichterketten aus der Schachtel und befestigte sie über der Theke. „Das ist doch prima. Dann servierst du einfach die Schalen und machst für die Braut etwas ganz Besonderes als Dekoration, stellst ihr das auf den Platz und gratulierst ihr persönlich zum Polterabend.“

„Das ist eine prima Idee. Jetzt weiß ich auch, wie es weitergeht. Jeder kennt dich hier in Sankt Augustine, Abigail. Jeder hat von dir schon einmal etwas in der Presse gelesen und davon gehört, wie du einige Kriminalfälle gelöst hast. Und jeder weiß auch, wie sehr du dich für die Kultur engagiert hast. Silvia ist ja praktisch im Kulturgewerbe tätig. Wahrscheinlich wird sie auch neugierig sein, dich kennenzulernen. Also hältst du dich auch hinten bei den Bühlers auf, während ich ganz nebenbei erwähne, dass du mir gerade in der Küche geholfen hast, weil du meine Freundin bist. Sicher weiß Silvia auch, dass du damals Laura zum Erfolg verholfen hast, und zwar durch deine Verbindung zu den berühmten Regisseuren und Managern.“

„Gut, ein bisschen hast du schon übertrieben mit den vielen Beziehungen, aber im Prinzip hast du Recht. Wenn sie mich also tatsächlich sehen will, dann wird sie es dir schon sagen. Ansonsten schauen wie ihr beim poltern einfach durchs Fenster zu. Vermutlich hat sie es absichtlich so eingerichtet, dass dieser Polterabend im kleinen Kreis stattfindet und nicht unter Aufsicht der großen Presse.“

Carla reichte mir die nächste Girlande an. „So sieht es doch hier schon ganz hübsch aus, richtig weihnachtlich. Die große Presse? So berühmt ist Silvia nun auch noch nicht. Ja, wenn Laura hier wäre!“

„Laura! Ich freue mich schon auf sie. Vielleicht schafft sie es wieder einmal, Sankt Augustine auf den Kopf zu stellen. Sie wird uns morgen bestimmt einiges aus Hollywood und Philadelphia erzählen können.“

„Wieso Philadelphia?“

„Lauras Vaters ist Regisseur in Hollywood, aber mit ihrem Mann, Kevin Braun dreht sie meist in Philadelphia und Umgebung. Wie willst du das denn heute Abend alles unter einen Hut bekommen? Dein Treffen und deine Feier mit Bernd und der Polterabend von Silvia. Hast du dir da nicht ein bisschen zu viel zur gleichen Zeit vorgenommen?“

„Nein, das klappt schon alles. Mit Bernhard bin ich um 18:00 Uhr in der Gaststube der Traube verabredet. Im großen Saal beginnt das Essen für die Festgesellschaft von Silvia um 20:00 Uhr. Und eine halbe Stunde später bin ich mit Frau Bühler in der Küche verabredet, um die Nachspeisen zu dekorieren. Das weiß mein Schatz, und er hat sogar versprochen, mir, wenn nötig, dabei zu helfen. Immerhin müssen wir uns ja auch noch steigern können. Wenn wir schon unsere Jubiläumsfeier nach drei Monaten im großen Stil feiern, in welchem Ausmaß soll dann mal unsere Silberhochzeit sein?“

Ich lachte. „Du hast Recht, ihr müsst euch langsam steigern, sonst müsst ihr nachher eure goldene Hochzeit mit allen Staatshäuptern von Europa in Schloss von Versailles feiern.“

Bald hatten wir auch noch den letzten Weihnachtsschmuck an den Wänden und an der Decke verteilt, es blinkte und glitzerte überall.

„Jetzt fehlt nur noch der Duft von frischem Gebäck“, fand Carla. „Aber es ist auch schon gleich 17:00 Uhr, und es ist völlig dunkel geworden. Wie sehen meine Haare aus?“

„Es haben sich immer noch einige Locken gehalten, und wenn du die jetzt gleich unter die inzwischen trocken gewordene Mütze stopfst, kannst du auch noch die restliche Frisur retten.“

„Fein. Ich glaube, es lohnt sich jetzt nicht mehr, noch einmal zum Schloss zurückzugehen. Kommst du gleich mit in den Gasthof? Dann können wir noch einen Glühwein trinken.“

„Wie wäre es stattdessen mit einer heißen Schokolade, damit du nicht schon einen Schwipps hast, wenn du bei Bernhard ankommst.“

Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Seit unseren Erlebnissen in Frankreich bin ich ein bisschen vorsichtiger geworden. Die heiße Schokolade erinnert mich immer an Florence und ihren vermeintlichen Freund, der ihr so übel mitgespielt hat.“

„Justin ist Hunderte von Kilometern weit von uns entfernt, vermutlich längst im Gefängnis und kann uns sowieso nicht schaden, weil wir beide kein Vermögen haben, sondern nur zwei ganz normale Frauen sind, gerade mit so viel Geld, dass wir unser Auskommen haben.“

Sie lachte. „Gut, wenn du mir versprichst, dass wir nicht schon wieder in eine Kriminalgeschichte hineingeraten, da nehme ich heute Abend seit langer Zeit mal wieder eine Tasse mit heißer Schokolade.“

Ich hob die Augenbrauen. „Gern, meine liebe Carla, und die lassen wir uns gleich schmecken, denn bei Frau Bühler schmeckt sie ausgezeichnet. Aber die Sache mit dem Kriminalfall, die kann ich dir leider nicht versprechen.“

***

Carla hatte Recht behalten, Silvia zeigte großes Interesse daran, mich kennen zu lernen und lud mich und die junge Dessertköchin für den späteren Abend in den Hof des Gasthofs ein, wo der geräuschvolle Teil des Polterabends stattfinden sollte.

In ihrem goldgelben Seidenkleid sah die Braut wie eine echte Prinzessin aus. Ich reichte ihr zur Begrüßung die Hand. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es da noch eine Steigerung gibt. Sie sehen fantastisch aus, Frau Vinci!“

„Darf ich Abigail und Du sagen?“ erkundigte sich die junge Frau. „Abgesehen davon, dass ich mit meinem Beruf auch verpflichtet bin, besonders gut auszusehen, habe ich auch privat etwas für schöne Kleider übrig. Da bin ich gespannt, was du morgen zu meinem Hochzeitskleid sagen wirst. Es ist wirklich ein Traum in Weiß.“

„Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Gelegenheit hätte, es zu sehen. Du hast einen guten Geschmack.“

„Morgen Mittag im Märchenpark, da findet die Trauung statt, ganz hinten am See, dort, wo im Frühling das Schwanenpaar brütet, da wird morgen eine große Rosengirlande aufgebaut, unter der wir uns das Ja-Wort geben. Ich habe schon mit Petrus gesprochen, damit es zu dieser Zeit nicht allzu viel schneit. Sonst werde ich nämlich nicht die einzige Person in Weiß sein, die dort herumläuft.“ Sie lachte und führte mich zu ihrem Bräutigam, einem großen, schlanken jungen Mann mit rötlichbraunem Haar und einem sympathischen Gesicht, das mich offen anblickte. „Das ist Gerd, mein Verlobter. Er steht nicht so auf vornehme Garderobe, hat sich aber heute extra für mich in Schale geworfen.“ Er trug zu einem dunklen Jackett eine helle Hose und Wildlederschuhe. Der junge Mann reichte mir eine große feste Hand zur Begrüßung. „Schön, dich kennen zu lernen, Abigail! Wir sagen ja alle Du zueinander, ich hoffe, du hast nichts dagegen. Silvia kennt sich in Modedingen tatsächlich besser aus, deswegen habe ich ihr auch die ganze Planung der Hochzeit überlassen. Sie hat sich da sehr romantische Sachen ausgedacht, auch wenn wir dann tatsächlich deswegen morgen ein bisschen auf gutes Wetter angewiesen sind. Der Wetterbericht kündet beides an: Schneeschauer und Sonnenschein. Ihr dürft euch auch gleich von diesem alten Porzellan etwas nehmen und ein bisschen poltern, wenn ihr möchtet.“

„Dankeschön, Gerd! Das ist sehr nett, wir hatten nämlich keine Gelegenheit mehr, uns etwas zu besorgen.“

Der Bräutigam servierte uns persönlich den Sekt auf einem Tablett. Gemeinsam mit den anderen wünschten wir dem Brautpaar Glück, erst einmal für den heutigen Abend.

Silvia trat erneut zu mir. „Laura hat mir schon erzählt, dass du eine wichtige Rolle in ihrer Karrierelaufbahn gespielt hast. Und Freundinnen seid ihr auch, wie sie mir sagte. Könntest du nicht vielleicht auch einmal über mich etwas schreiben? So eine Art Künstlerbiografie?“

„Was hattest du dir denn da gedacht? An einen Artikel für eine Zeitung von Sankt Augustine, oder eine kleine Geschichte über dich, die du selber drucken lassen könntest?“

„Das habe ich mir noch nicht so genau überlegt. Es ist mir nur eben eingefallen, als Carla zu mir kam und mir von dir berichtete. Vielleicht ist das jetzt auch nicht so der richtige Augenblick, um das näher zu diskutieren. Vielleicht machen wir das morgen einmal?“

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Ich dachte mir schon, dass der heutige Polterabend für ein solches Gespräch für dich etwas ungünstig ist. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass du morgen, an deinem Hochzeitstag noch viel weniger Zeit hast, um da etwas gründlich zu planen. Ich kann aber gern heute und morgen ein paar Fotos von euch machen, die ich auf jeden Fall dann schon einmal für eine Geschichte von dir zurücklege. Und ihr habt doch sicher zu den Feierlichkeiten auch einen eigenen Fotografen dabei, der könnte mir dann ein paar schöne Schnappschüsse von euch hinüberleiten.“

„Eine super Idee, Abigail. Aber du versprichst mir, dass du mich nicht vergisst?“

„Auf gar keinen Fall. Ich habe dich jetzt fest in mein Programm eingeplant, versprochen. Voraussichtlich bin ich auch in der nächsten Zeit in Sankt Augustine, da kannst du dich dann jederzeit einmal bei mir melden.“

Sie atmete auf. „Dann bin ich beruhigt. Ich träume nämlich noch von einer ganz großen Karriere. Meine Freundin Laura hatte ich auch schon gefragt, schließlich ist ihr Vater in Hollywood der bekannteste und beste Regisseur aller Zeiten. Und Lauras Mann ist auch schon ein Starregisseur. Aber, obwohl sie selbst doch so viele Beziehungen hatte, ist sie nicht bereit, mich diesen beiden Herren vorzustellen oder wenigstens zu empfehlen.“

„Ich kann sie morgen gern auch noch einmal darauf ansprechen“, schlug ich ihr vor. „In dieser Beziehung war sie selbst nicht ganz konsequent. Manchmal suchte sie einen Vermittler, aber manchmal wollte sie auch die Dinge lieber aus eigener Kraft schaffen. Ich rede morgen mal mit ihr.“

Sie strahlte mich an mit ihren leuchtenden dunklen Augen. „Das finde ich ganz Klasse von dir! Und jetzt darfst du dir auch ganz viel von dem alten Geschirr nehmen und nach Herzenslust Krach machen.“

Sie führte uns zu einem großen Tisch, der in der einen Ecke des Hofes stand und zeigte uns große Stapel von Tellern und Schüsseln, die offenbar nicht mehr für den täglichen Gebrauch gedacht schienen.

„Und das hier ist Gerds Bruder Oscar“, stellte sie uns den jungen Mann vor, der daneben stand. Er ist derjenige, der aufgepasst hat, dass niemand vor Beendigung der festlichen Reden zu poltern anfing.“

Oscar sah seinem Bruder nicht ähnlich, sie waren lediglich beide groß und schlank, Oscar jedoch erschien mir auf Anhieb vom Äußeren her, so, wie man sich einen alten römischen Gott vorstellt: sein dunkles Haar glänzte über einem ausdrucksvollen, herb männlichen Gesicht. Aufmerksam sahen mich die fast schwarzen Augen an, ich entdeckte einige Funken darin, die von einem feurigen Temperament sprachen. Die charaktervolle, gebogene Nase verlieh dem Gesicht einen mutigen Ausdruck, der fein geschwungene Mund drückte Sensibilität aus.

Carla stieß mich an und flüsterte mir zu. „Wenn ich nicht schon verliebt wäre, dieser Mann hier konnte mir gefährlich werden. Der ist ja umwerfend!“

„Du hast Recht, er könnte wahrscheinlich reihenweise Herzen brechen.“

Er nickte uns freundlich zu und reichte uns ein paar Teller. „Ihr dürft anfangen, dem glücklichen Paar mit ein paar Scherben noch mehr Glück zu bringen.“

Anfangs zögerten wir etwas, immer wieder bei solchen Gelegenheiten spürte ich zunächst einmal eine Hemmung, aus Tellern Scherben zu fabrizieren, aber als die anderen Gäste mit großem Elan und viel Spaß ein klirrendes Spektakel veranstalteten, schlossen wir uns ihnen mutig an.

Die Gastwirtin, Frau Bühler gesellte sich hinzu und tippte mich leicht an der Schulter. „Hallo Abigail! Kommt ihr mit den Buden vom Weihnachtsmarkt zurecht? Ist alles soweit fertig?“

Ich nickte. „Wir sind heute Nachmittag fertig geworden. Jetzt warten die leeren Becher nur noch auf die Backwaren, die morgen früh aus der Schlossküche kommen werden.“

„Wenn ihr noch etwas braucht, dann meldet euch bitte!“ bot sie uns an. „Wegen der Hochzeit backen wir morgen früh auch allerlei besondere Sachen für die Gäste zum Frühstück. Da kommt es auf ein paar Teilchen mehr oder weniger nicht an. Wie wäre es zum Beispiel mit ein paar Brezeln? Es gibt süße und salzige.“

„Eine gute Idee“, ich wandte mich an Carla. „Brezeln haben wir gar nicht in unserem Sortiment.“

„Dann ist es abgemacht, ich lasse für euch morgen früh ein paar mehr backen. Das kommt gar nicht darauf an. Wollt ihr einmal die Hochzeitstorte ansehen? Mein Mann hat sie angefertigt, es ist ein Meisterwerk geworden.“

Ich sah zu den polternden Gästen. „Gut, es fällt wohl im Moment nicht auf, wenn wir uns hier wegstehlen.“

Wir folgten der Gastwirtin in die Hotelküche. Das große Prachtstück stand in der durchsichtigen Kühlvitrine und entlockte Carla einen Entzückensschrei.

„Das ist wirklich ein Kunstwerk!“ rief sie aus.

Die 5-stöckige Torte zeigte zu Ehren der Braut ringsherum zwischen goldenen Filmpreisen und kleinen Blüten-Bouquets aus Zucker, die Fotos vieler Filmgrößen der Hollywood-Film-Geschichte auf Marzipan. Auf dem oberen kleinsten Kuchen prangte das Brautpaar in Miniaturgröße, sich zärtlich küssend, dem echten täuschend ähnlich nachgebildet.

„Diese Torte hat so der Bräutigam bei uns in Auftrag gegeben“, teilte uns Frau Bühler mit. „Er ist ganz stolz auf seine kleine Schauspielerin und will ihr damit eine Freude machen, das wird ihm sicherlich auch gelingen. Einmal nach Hollywood zu kommen, ist wohl ihr größter Traum, den sie schon als kleines Kind geträumt hat. Das hat mir jedenfalls der Bräutigam so erzählt.“

„Was für ein Paar!“ freute sich Carla. „Dabei kann ich mir vorstellen, dass sie auch sehr verschieden sind. Er als Geschäftsmann mit seinem Verlag, und sie mit ihrer Traumwelt. Er verkauft Träume und sie verkörpert Träume.“

Frau Bühler nickte zustimmend. „Und sie werden auch nicht viel Zeit miteinander verbringen. Er muss sicher oft im Verlag zugegen sein, während Schauspieler häufig von Ort zu Ort ziehen.“

„Aber das muss nicht unbedingt schlecht für die Partnerschaft sein“, wandte ich ein. „Ermanno und ich, wir sind auch nicht so viel zusammen und machen sehr unterschiedliche Dinge. Das wirkt sich auf unsere Partnerschaft belebend aus. Wir haben uns immer sehr viel zu erzählen.“

„Du hast eben Glück mit deinem Ermanno“, fand Frau Bühler. „Dein Ex, der Rolf, war ja auch recht nett, aber der war ja immer auf Reisen, das hält natürlich auch keine Partnerschaft aus. So, jetzt muss ich aber wieder weitermachen. Und ihr wollt bestimmt noch etwas poltern mit den jungen Leuten da draußen. Ich wünsche euch noch viel Spaß!“

„Ich denke, wir werden auch nicht mehr so lange bleiben“, teilte ihr Carla mit. „Es ist schon recht spät, und ich denke, unsere Freunde warten auch schon auf uns.“

Ich stimmte ihr zu. „Ich möchte tatsächlich gern noch ein bisschen Zeit mit Ermanno verbringen, er fährt morgen wieder für ein paar Tage nach Italien zu einem Kongress und dann zu einer Geburtstagsfeier von Verwandten in die Dolomiten. Und das ausgerechnet jetzt in dieser besinnlichen Weihnachtszeit. Da werde ich ihn sehr vermissen.“

Lächelnd drängte uns Frau Bühler zur Küchentür hinaus. „Dann macht, dass ihr nach Hause kommt, ihr Verliebten!“

Im Hof verabschiedeten wir uns von dem leicht beschwipsten Brautpaar und winkten den anderen Gästen freundlich zu. Arm in Arm eingehakt machten wir uns auf den Weg zum Schloss.

Es hatte aufgehört zu schneien, der fast runde Mond beleuchtete uns den Heimweg, hinaus aus dem Städtchen bis hin zur Allee, die in den Vorplatz des Schlosses mündete. Dunkle Wolken, rund und aufgeplustert zogen über den Himmel und hübsch der Reihe nach auch über das Gesicht des Mondes.

Vor uns bauten sich die hohen Mauern des alten Gebäudes auf, aus einigen Fenstern leuchtete uns warmes Licht entgegen.

„Das sieht aus wie ein schon teilweise geöffneter Adventskalender, der vor einer Kerze steht“, fand Carla. „Das erinnert mich stark an meine Kindheit. Und die beiden Schlossbesitzer, unser talentierter Maler Moro Rossini und seine geliebte Adelaide gehören auch in die Märchen meiner Kinderzeit.“

Ich nickte. „Ja, die Liebe dieser beiden älteren Menschen ist für mich auch immer wie ein Märchen gewesen. Eine Geschichte wie ein Roman, traurig, aber dann doch mit einem späten Happy End.“

Carla sah einer weißen Wolke nach, die tatsächlich wie eines dieser Schäfchen aussah, von denen man in alten Liedern sang. Aus einem der erleuchteten Fenster flog uns mit dem Wind Schumanns Liebestraum entgegen.

„Heute ist ein märchenhafter Abend, die verschneite Welt sieht so romantisch aus, eben ein Polterabend von zwei Verliebten im alten Hof der Traube, die Feier im Schein der mittelalterlichen Laternen, und hier im Schloss die ewig Liebenden Moro und Adelaide, eingesponnen im Schleier der verzaubernden Musik.“

Leise öffneten wir das Tor, Wärme drang uns entgegen. Eilig tauschten wir die Schuhe gegen weiche Pantoffeln und schlichen uns durch die große Halle.

Gerade als wir die ersten Stufen hinter uns gelassen hatten, hörten wir aus dem Foyer die Stimme der Schlossherrin.

„Hallo, ihr beiden!“ Die ältere Dame eilte uns entgegen. „Möchtet ihr noch einen Schlaftrunk? Moro hat vorhin eine gute Flasche seines italienischen Lieblingsweines geöffnet. Eben ist er bei der Musik von Schumann eingeschlafen, nachdem er heute von ziemlich starken Schmerzen geplagt wurde. Seid ihr gut fertig geworden mit eurer Weihnachtsbude? Ihr seid doch bestimmt fast erfroren, oder?“

Wir folgten ihr in den kleinen Salon, dort im Kamin verglühten soeben die letzten Holzscheite. „Eben waren wir noch beim Polterabend eingeladen“, verkündete Carla stolz. „Mit der Bude sind wir schon am Nachmittag fertig geworden und haben uns dann bei Frau Bühler mit einem heißen Kakao wieder aufgewärmt. Jetzt hatten wir eigentlich vor, so schnell wie möglich unsere Liebsten zu trösten, weil wir sie den ganzen Abend alleingelassen haben.“