Als die Liebe stärker war - Gudrun Leyendecker - E-Book

Als die Liebe stärker war E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

"Als die Liebe stärker war" ist der 24. Band der Romanreihe "Liebe und mehr". Schwere Schicksalsschläge treffen die Bewohner des Schlosses in Sankt Augustine. Während Carla und Bernhard bemüht sind, ihr Leben neu zu orientieren, kümmert sich die Journalistin Abigail Mühlberg um Adelaide, die in einer Lebenskrise steckt. Liebe, Leid und ein schwer lösbarer Kriminalfall bewegen die Gemüter.

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Inhaltsangabe:

Als die Liebe stärker war

ALS DIE LIEBE STÄRKER WAR ist der 24. Band der Romanreihe LIEBE UND MEHR.

Schwere Schicksalsschläge treffen die Bewohner des Schlosses in Sankt Augustine.

Während Carla und Bernhard bemüht sind, ihr Leben neu zu orientieren, kümmert sich die JournalistinAbigail Mühlberg um Adelaide, die in einer Lebenskrise steckt. Liebe, Leid und ein schwer lösbarer Kriminalfall bewegen die Gemüter.

„Es wird Herbst“, meinte Carla, die neben mir auf der weißen Gartenbank saß. „Schau dir die bunten Blätter an! Der wilde Wein verfärbt sich schon. Das erinnert mich an meine Kindheit, als wir das Weinlaub in Seiten der Schulbücher gepresst haben, um später damit dekorative Bilder anzufertigen.“ Verträumt blickte sie den ziehenden Wolken nach.

„Ich finde, die Erde duftet jetzt nach all ihren Erinnerungen des ganzen Jahres, man findet sie heraus, die leichten und unbeschwerten Tage des Frühlings, die intensiven des trägen Hochsommers, das wehmütige Lächeln des sanften Herbstes. Ein bisschen melancholisch ist es schon.“

Meine junge Freundin nickte. „Vielleicht fühle ich das jetzt besonders, weil Bernhard schon seit zwei Wochen bei seinen kranken Vater ist. Da fühle ich mich schon ein bisschen einsam.“

„Wenn du magst, kannst du heute Abend wieder in meiner Wohnung schlafen, dann machen wir es uns zusammen gemütlich. Ermanno ist mit seinen Studenten immer noch in den Dolomiten, und wird noch ein paar Tage dort bleiben.“

Sie lächelte. „Du bist schon oft Strohwitwe gewesen. Ermanno ist beruflich häufig unterwegs, aber ich muss mich erst einmal daran gewöhnen. Schließlich sind wir noch in den Flitterwochen, da ist man nicht so gern allein.“

Ich schenkte ihr einen verständnisvollen Blick „Flitterwochen? Die sind bei euch wohl über einige Monate. Aber besser so als anders. Wir bekommen in den nächsten Tagen noch viel Abwechslung. Zum Herbstfest sind ganz viele Gäste eingeladen. Ich bin nur ziemlich sprachlos, dass es Laura wirklich wagt, mit dem kleinen Baby von Philadelphia hierher zu kommen. Das ist schließlich ein langer Flug, und Linda ist noch so winzig.“

„Das würde ich mich auch nicht trauen. Aber ich glaube, die meisten Schauspieler sind da etwas anders als wir. Natürlich glaube ich, dass Laura ihr Baby sehr gern hat. Aber ihre Karriere steht doch immer im Mittelpunkt. Ich denke, sie ist sich selbst immer sehr wichtig, und sie wird das Kind einfach immer nur in ihrem Schlepptau haben.“

„Sie hat mir geschrieben, dass sich Kevin sehr gut um sein Töchterchen kümmert. Er nimmt sich jetzt sehr viel Zeit dafür, sodass Laura sogar schon ein bisschen eifersüchtig war, weil er sich für sie angeblich nie so viel Zeit genommen hat.“

Carla lächelte. „Diese Laura! Sie ist schon eine kapriziöse Frau! Ein bisschen Starallüren hat sie ja doch. Die vielen Koffer, die sie hierhin vorausgeschickt hat! Dabei bleibt sie doch nur für eine Woche.“

„Sie ist aber auch inzwischen eine berühmte Persönlichkeit geworden. Man kennt sie nun wirklich schon fast überall. Und ihr letzter Film hat mir besonders gut gefallen, es war eine Biografie, und da hat sie die Rolle der Florence Nightingale gespielt. Da war sie ganz grandios.“

„Den Film habe ich gar nicht gesehen, ist der im Fernsehen gelaufen?“

„Nein, ich habe ihn im Kino gesehen, dort ist er gerade vorgestellt worden. Sie hat diese Frau so gut verkörpert, dass ich meine anspruchsvolle Diva Laura beinahe gar nicht erkannt hätte.“

Meine junge Freundin lächelte. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, an die Geschichte, wie ihr euch kennengelernt hat.

Da war sie dir so sehr böse, weil sie von unserem Schlossherrn gemalt werden wollte, und du ihr kein Date mit Moro Rossini verschafft hast. Und dann hat sie sich ganz gemein an dir gerecht, und wollte dir deinen damaligen Verlobten Rolf ausspannen. Und was hast du gemacht, zum Dank dafür hast du sie mit einem tollen Manager bekannt gemacht, durch den sie dann wiederum den interessanten Kevin Braun, den berühmten Regisseur kennengelernt hat. Und dann hat sie ihn sogar geheiratet, und hat jetzt als i-Tüpfelchen ein süßes kleines Baby von ihm.

Solch eine Karriere macht nicht jeder, und schon gar nicht jemand durch eine Freundin, der man einmal so übel mitgespielt hat, wie sie dir. Dabei seid ihr jetzt doch ein Herz und eine Seele.“

„Sie hatte immer schon einen guten Kern. Der war nur am Anfang von vielen Schleiern umhüllt. Du darfst auch nicht vergessen, dass sie eine sehr tragische Kindheit hatte.“

„Richtig! Sie hat ihre Eltern, die auch Schauspieler waren, so früh durch einen Verkehrsunfall verloren. Und dabei war der Mann, dieser schöne Franzose, den sie für ihren Vater hielt, gar nicht ihr leiblicher Vater!“

„Genauso war es, Carla! Und was für ein besonderes Schicksal wurde ihr dann beschert! Sie hat den berühmtesten Regisseur der Welt, Johnny Deep immer verehrt und bewundert und erfährt eines Tages, dass er ihr leiblicher Vater ist. Ich muss sagen, das Leben schreibt immer die verrücktesten Geschichten.“

„Sie ist so berühmt geworden und verkehrt in den Kreisen der Promis und Stars. Da sollte man doch annehmen, dass sie uns hier im bescheidenen Sankt Augustine ganz vergessen hat. Aber nein, sie kehrt immer wieder in dieses Schloss und zu den beiden lieben alten Rossinis und zu dir zurück, um dich und euch zu besuchen.“

„Ja, uns und ihre liebe Tante Frau Ackermann, die ihr auch ein bisschen unter die Arme gegriffen hat. Die verwöhnt ihre Nichte ganz schön und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab.“

„Das ist auch ganz verständlich“, fand Carla. „Schließlich ist Laura ihre einzige Verwandte. Aber inzwischen verdient Laura bestimmt mehr als genug, und ist auf das Vermögen ihrer Tante nicht mehr angewiesen.“

„Da hast du Recht. Als Weltstar verdient sie viel mehr als ihr Mann, und sie haben sich jetzt in Philadelphia ein hübsches Häuschen gekauft. Das Kinderzimmer müsstest du einmal sehen! Ein Traum! Wie ein kleines Märchenparadies. Sie hat sogar dort eine deutsche Kinderfrau, die kleine Linda.“

„Adelaide freut sich schon wahnsinnig auf das Kindergeschrei hier im Schloss“, erzählte mir meine Freundin. „Sie hat auch einige Geschenke für die Kleine gekauft, dabei wette ich, dass das Baby mehr Spielzeug hat, als die meisten Kinder hier in Sankt Augustine.

Trotzdem haben sie Laura und das Baby in ein geräumiges Gästezimmer einquartiert, gleich neben Henriette, der jungen Musikstudentin. Wahrscheinlich, damit Moro nachts nicht durch das Kindergeschrei geweckt wird.“

„Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Adelaide dabei daran gedacht hat, dass Henriette selbst ein kleines Kind hat, und es ihr da nichts ausmacht, wenn zwei Kinder in der Nacht schreien. Der kleine Tom ist auch gerade zwei Monate alt, genau wie Linda.“

„Dann können die beiden ja schon miteinander spielen“, scherzte Carla. „ Wann wird Laura hier eintreffen. Müsste sie nicht schon längst hier sein?“

Ich schaute auf meine Uhr. „Eigentlich schon. Aber vielleicht ist das Taxi irgendwo auf dem Weg vom Flughafen bis nach Sankt Augustine in den Stau geraten. Schade, dass dein Mann Bernhard momentan nicht hier ist, der hätte sie sonst bestimmt abgeholt.“

Auf dem Weg hinter uns näherten sich Schritte, und wir drehten uns um, um den Ankommenden in Augenschein zu nehmen. Wir entdeckten Adelaide, die aufgeregt auf uns zukam. Atemlos blieb sie vor uns stehen und teilte uns mit, was sie bewegte. „Es ist etwas Schreckliches geschehen. Der Kommissar Niklas Meyers hatte gerade mit mir telefoniert.“

Carla riss die Augen auf. „Was denn, um Himmelswillen?“

„Laura ist entführt worden.“

Meine Freundin blickte die ältere Dame verständnislos an. „Was erzählst du da? Laura ist entführt worden? Wie kommt Niklas denn darauf. Das ist bestimmt irgendein Missverständnis. Wie soll denn das passiert sein?“

Ada seufzte. „Leider ist das kein Scherz, sondern ein schreckliches Ereignis. Der Taxifahrer war mit Laura und dem Baby auf dem Weg hierher. Aber am Ortseingang ist sie kurz ausgestiegen um am Blumenstand einen Strauß für Moro und mich zu kaufen.

Dieses kleine Geschäft liegt etwas unübersichtlich hinter einer Wegbiegung, und kurz vor dem Lädchen zweigt noch eine Seitenstraße ab. Der Taxifahrer hat eine ganze Weile gewartet, aber Laura kam nicht zurück.

Da ist er dann ausgestiegen und bis zu diesem Blumenstand gelaufen. Aber dort war nur noch die Verkäuferin mit ihren vielen bunten Sträußen.“

„Aber woher weiß er denn, dass sie entführt worden ist. Vielleicht hat sie sich nur verirrt, oder es ist ihr schlecht geworden.“

„Nein, die Verkäuferin hat ein Auto wegfahren sehen, in einem rasenden Tempo. Und an der Wegbiegung hat die schnell herbeigerufene Polizei dann einen Zettel gefunden. Darauf stand: Lösegeldforderung folgt.“

„Wie schrecklich!“ rief ich aus. „Was können wir jetzt tun?“

„Niklas meint, wir sollen Ruhe bewahren“, fuhr die Schlossherrin fort. „Er hat sofort Frau Ackermann angerufen. Sie wird bald bei uns eintreffen und auf Nachrichten warten. Denn der Kommissar nimmt an, dass die Lösegeldforderung an sie geht und nicht an Kevin Braun, Lauras Mann.“

„Wie seltsam!“ fand Carla. „Dann muss doch einer über alles sehr gut informiert sein, über die ganzen Familienverhältnisse von Laura.

Es ist ja ganz schrecklich. Aber was ist jetzt mit der kleinen Linda? Das Baby muss doch versorgt werden. Wo ist es denn jetzt?“

„Im Augenblick kümmert sich eine Polizistin um das kleine Kind“, wusste Adelaide. „Aber da hatte Niklas schon eine Idee. Er wollte das Baby zu uns ins Schloss bringen. Er dachte, weil sich Henriette um den kleinen Tom kümmert, sei es ihr vielleicht möglich, da etwas zu kombinieren. Irgendwie hatte er die Idee, es sei gut, wenn die beiden Babys zusammen wären.“

Carla hob die Augenbrauen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Henriette mit beiden Kindern fertig wird. Ein kleines Baby macht schon genug Arbeit und kostet Nerven. Ich denke, das müssen wir irgendwie anders regeln. Vielleicht können wir uns in die Betreuung teilen, Henriette, Abigail und ich.“

Der Vorschlag gefiel mir. „Dann muss sich wenigstens keiner um Linda Sorgen machen. Das können wir so einrichten. Aber was macht die Polizei jetzt wegen Laura? Wo kann sie nur sein?“

Adelaide zeigt uns ihren verzweifelten Gesichtsausdruck. „Wir haben überhaupt keinen Anhaltspunkt. Der Kommissar hat einmal einen Beamten in Zivil mit seinem Privatauto diese kleine Seitenstraße fahren lassen, aber sie führt zu keinem vernünftigen Ziel. Sie ist praktisch nur eine kleine Umleitung und führt nach zwei oder drei Kilometern wieder auf die Hauptstraße zurück. Von dort kann das Auto dann in die beiden verschiedenen Richtungen eingebogen sein und sich wer weiß wohin entfernt haben. Mehr darf Niklas ja jetzt nicht tun, um Laura nicht zu gefährden.“

Carla atmete tief. „Was sind das nur für Menschen! Und wieso tun so etwas die Menschen, nur für ein bisschen Geld, das doch nicht glücklich macht.“

„Das Geld nicht glücklich macht, damit hast du absolut Recht, Carla“, stimmte ihr die Schlossherrin zu. „Aber in diesem Fall wird es sich doch eher um eine große Summe handeln, denn jeder weiß, wie reich Katharina Ackermann ist. Die Arme tut mir schon sehr leid. Immerhin ist sie nicht mehr so jung, und die Aufregung wird ihr bestimmt nicht gut tun. Niklas hat selbstverständlich auch Kevin sofort benachrichtigt. Der wollte auch sofort den nächsten Flug nehmen und hierher kommen. Vermutlich ist er auch ganz verrückt vor Sorge. Ich weiß doch, wie sehr er seine Frau Laura liebt.“

Carla sah Adelaide mit großen Augen an.

„Und was können wir jetzt tun?“

Ada seufzte. „Ich fürchte, es sind uns im Moment die Hände gebunden, und es bleibt uns im Moment nichts anderes übrig, als abzuwarten.“

***

Etwas später saßen wir gemeinsam in der alten Schlossküche und stärkten unsere Nerven mit einer Tasse heißer Schokolade.

Henriette hatte sich mit dem kleinen Tom zu uns gesellt und uns versichert, dass sie sich gern gemeinsam mit uns um Linda kümmern wollte.

„Das ist wirklich eine schreckliche Geschichte“, fand sie. „Und ich glaube, es wird für alle eine Geduldsprobe sein. Ich habe schon von einigen Entführungen gehört, da werden die Nerven der wartenden Angehörigen immer sehr strapaziert. Es ist nur gut, dass die kleine Linda noch nicht allzu viel davon mitbekommt. Sicherlich wird sie ihre Mutter vermissen, sie wird merken, dass irgendetwas nicht stimmt, aber mit uns hier als Ersatzmüttern, und dir, Adelaide, als Ersatzgroßmutter wird es ihr nicht an Zuwendung fehlen. Aber was machen wir mit Frau Ackermann? Sie ist doch auch nicht mehr so jung. Sollte man sie nicht lieber von einem Arzt betreuen lassen?“

„Ich habe eine liebe junge Freundin, Vanessa, eine junge Krankenschwester engagiert“, berichtete uns die Hausherrin. „Sie hat gerade Urlaub und wird sich um Lauras Tante kümmern. Sie muss auch bald hier eintreffen, das hat sie mir versprochen.“

„Kevin, Lauras Mann wird auch Trost brauchen“, vermutete Henriette. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie er diesen weiten Flug von Amerika überhaupt aushalten wird.“

In diesem Augenblick hörte man die Glocke am Schlosstor. Carla sprang auf und eilte hinaus. Eine kurze Zeit später erschien sie mit einer älteren Dame, die sich zu allererst in Adelaides Arme stürzte und heftig weinte. Ich erkannte Katharina Ackermann, die sich in einem erregten Gemütszustand befand.

Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, begrüßte sie uns und bedankte sich für unsere Unterstützung. „Wie lieb von euch, dass ich hier bei euch unterkommen darf. Bei mir zu Hause in Wittentine könnte ich es jetzt allein gar nicht aushalten. Ich würde ja vollkommen verrückt werden. Nun heißt es: warten. Das ist immer das Schlimme bei solch schrecklichen Ereignissen. Man muss Ruhe bewahren, obwohl man doch innerlich fast von Unruhe zerfressen wird. Niklas hat übrigens schon mein Handy soweit vorbereitet, dass man die Gespräche bei der Polizei mithören kann. Jetzt warten wir alle ganz gespannt auf eine Meldung der Entführer.“

Die Schlossherrin reichte ihr einen Tee, der etwas beruhigend wirkte, aber wir atmeten auf, als wenige Minuten später Vanessa, die Krankenschwester eintraf und sich eingehend um die ältere Dame kümmerte. Es gelang der jungen Frau, Frau Ackermann soweit zu beruhigen, dass sie begann, statt der Verzweiflung, etwas Hoffnung zu zeigen.

Sie seufzte und bemerkte mit schwacher Stimme. „Dann wollen wir jetzt alles mit klarem Verstand angehen!“

Zu dieser Zeit gesellte sich auch Niklas zu uns und besprach mit uns das weitere Vorgehen.

„Wir haben auch ein paar Beamte rundherum postiert. Man kann ja nie wissen, möglicherweise müssen wir einmal etwas ganz schnell unternehmen.“

„Könnte es denn sein, dass man mit Laura gar nicht sehr weit weg gefahren ist?“ erkundigte sich Carla. „Vielleicht hält man sie irgendwo in der Nähe versteckt. Da gab es doch einmal diesen Turm in der Nähe des Flusses, bei dem die Schiffe im Mittelalter ihren Zoll bezahlen mussten. Ich erinnere mich an dieses unterirdische Verließ. Hat man da schon einmal nachgesehen?“

„Ja, an diesen bekannten Orten hat die Polizei schon nachgeschaut, sogar im Märchenpark, in dem es ja viele gute Plätze gibt, etwas oder sogar auch eine Person zu verstecken. Leider haben wir hier in der Nähe doch einige Großstädte. Und wir befürchten, dass man Laura in irgendeinem der vielen alten, leerstehenden Gebäude versteckt hält.“

„Es wird schon nichts passieren“, versuchte uns die Krankenschwester Vanessa zu beruhigen. „Wenn die Entführer das alles so gut geplant haben, werden sie Laura bestimmt gut behandeln. Denn wenn es um eine Lösegeldforderung geht, müssen sie auch beweisen, dass die Schauspielerin noch am Leben ist.“

„Das will ich doch schwer hoffen“, auch Adelaide hatte Sorgenfalten auf der Stirn. „Aber jetzt musst du auch erst einmal heimisch werden.“ Sie wandte sich an mich. „Bist du so lieb und zeigst Vanessa ihr neues Heim, das Zimmer mit der Nummer 27 im Gästetrakt, Abigail?“

„Natürlich, gern, im Moment können wir alle hier doch nichts tun.“ Ich nahm den Schlüssel entgegen und führte die junge Frau aus der Schlossküche.

***

Während wir durch die Gänge liefen, sah sich Vanessa aufmerksam um. „Ihr habt es hier alle wunderschön. So ein Leben im Schloss ist doch etwas ganz Besonderes. Wie kommt es denn eigentlich, dass du hier wohnst. Bist du mit Moro Rossini oder seiner Frau Adelaide verwandt?“

„Nein. Ich bin vor ein paar Jahren hierhergekommen, weil ich den großartigen Maler, Bildhauer und Fotografen Rossini interviewen sollte, und zwar für meinen Chef, Herrn Wieland, den Inhaber eines großen Kunstverlages. Ich habe mich dann ganz schnell hier in dem historischen Städtchen wohl gefühlt, aber ganz besonders bei den beiden schon etwas älteren Rossinis, die für mich fast so wie Großeltern, oder tatsächlich so etwas wie Verwandte wurden. Und dann habe ich in dem Schloss den Fotografen Rolf kennen gelernt. Meist haben wir eine Fernbeziehung geführt, und die gehen selten gut. So kam es dann auch, dass wir uns auseinander gelebt haben, Rolf fand eine andere Frau und ist dann weggezogen, und ich lernte im Norden Italiens Ermanno kennen, mit dem ich jetzt seit wenigen Monaten verheiratet bin.“

Vanessa seufzte. „Oh ja, diese Fernbeziehungen! Ich war mit einem Franzosen zusammen, der eine große Firma in Paris besitzt. Und ich habe bis jetzt eine ältere Dame betreut, die leider verstorben ist. René und ich, wir haben uns nur jedes zweite Wochenende sehen können. Das war einfach zu wenig für meinen Freund. Das hat dann auch nicht geklappt, weil er in Paris eine nette Französin kennengelernt hat. Aber ich habe gehört, dass Moro und Adelaide über lange Zeit getrennt waren, und es trotzdem geschafft haben, ihre Liebe aufrechtzuerhalten.“

Ich nickte lächelnd. „Das schaffen tatsächlich nur wenige. Adelaide war siebzehn Jahre alt, als sie Moro kennenlernte, und er sechsundzwanzig. Sie haben sich sogar aus der Ferne verlobt. Ein Jahr lang haben sie versucht, eine Fernbeziehung zu halten. Aber er war damals ein sehr fescher junger Mann und hatte viele Verehrerinnen. Da hat er einem Skihäschen nicht widerstehen können, und Adelaide konnte ihm das nicht wirklich verzeihen. Als er sie dann ein Jahr später um ihre Hand bat, da sagte sie aus lauter Angst „Nein“, obwohl sie ihn über alles liebte, und er verstand die Welt nicht mehr. Als sie sich dann später nach siebenundzwanzig Jahren wieder sahen, spürten sie, dass ihre Liebe noch genauso groß war wie am ersten Tag des Kennenlernens. Erst dann konnten sie sich aussprechen, und er erfuhr, warum sie ihn nicht geheiratet hatte. Aber seitdem, seit dem Jahr 2002 sind die beiden unzertrennlich geworden. Zuerst schrieben sie sich, jeden Tag morgens und abends, dann trafen sie sich, und vor zwei Jahren haben sie dann hier im Schloss geheiratet und sind auch zusammengezogen.“

Vanessa sah mich erstaunt an. „Warum haben sie das nicht schon vorher getan?“

„Sie waren eine lange Zeit noch mit einem anderen Partner verheiratet. Adelaides Mann ist dann verstorben, und Moro hat sich scheiden lassen. Danach haben sie sich erst einmal heimlich getroffen.“

„Eine ganz besondere Liebesgeschichte“, fand die junge Frau. „Und hier hängen überall seine wunderschönen Bilder. Das Schloss ist fast wie ein Museum.“

„Es gibt hier mehrere Zimmer, die wie eine Gemäldegalerie aussehen. Ein Zimmer ist gefüllt mit seinen Skulpturen, und oben im ersten Stock findest du einen Raum, in dem die Wände mit seinen Fotos bedeckt sind. Dazu hat er dann noch ein Atelier, in dem er früher gearbeitet hat, als er noch gesund war.“ „Und woher hat er das viele Geld für das Schloss und die tolle Ausstattung?“

„In all den Jahren hat Adelaide dafür gesorgt, dass ihr Liebster berühmt wurde. Sie hat sogar einige Bücher mit seinen Gedichten veröffentlicht und eigene Zeichnungen eingefügt. Sie hat sehr viele Ausstellungen veranstaltet und hat keine Mühe gescheut, ihn auf der ganzen Welt berühmt zu machen. Das hat sich dann natürlich irgendwann auch ausgezahlt. Moros Gemälde stehen in den berühmtesten Museen der ganzen Welt. Mittlerweile sind seine Bilder sehr wertvoll geworden. So wertvoll, dass ich mir keines seiner Originale leisten könnte.“

„Das hört sich gut an, dann war also Adelaide auch seine Managerin, die ihn immer gefördert hat.“

Ich nickte. „Und manchmal war sie auch seine Muse. Seit einiger Zeit zittern seine Hände, und er hat Osteoporose und schon gebrochene Wirbel. Er kann kaum noch laufen. Aber Adelaide versorgt ihn gut, und das hält ihn am Leben. Sie genießen jede Stunde, die sie miteinander verbringen können.“

Vanessa hob die Augenbrauen. „Und sie lieben sich immer noch?“

„Ja, wie am ersten Tag, oder noch mehr, wie mir Ada und Moro selbst versichert haben.“

„Das hört sich an wie im Märchen“, fand die junge Frau. „So etwas gibt es aber nur ganz selten, und klingt furchtbar romantisch. Sind die Bilder, die hier überall hängen, alle von ihm, von Moro Rossini?“

„Nein, die hier im Gästetrakt nicht. Die haben die Kunststudenten gemalt, die hier vorübergehend wohnen. Die anderen hängen alle im Hauptgebäude und natürlich in den Privatzimmern von Adelaide und Moro. Es gibt dort einen Salon, in dem nur Gemälde hängen, die Rossini extra für seine Frau gemalt hat. Du glaubst gar nicht, welche Ausstrahlung dieser Raum hat. Er hat ihn so sehr mit Liebe für sie eingerichtet.“

Vanessa sah mich mit feuchten Augen an. „Dann wünsche ich den beiden, dass sie jetzt im Alter noch recht lange leben.“

„Oh ja, das wünschen wir ihnen alle hier.“, stimmte ich ihr zu. „Sie sind beide sehr gläubig und hoffen, dass es nach diesem Leben weitergeht. Sie haben sich bei ihrer Hochzeitstags-Zeremonie fest versprochen, dass sie in alle Ewigkeit zusammenbleiben wollen.“

„Das hört sich nach einer innigen Liebe an“, stellte die junge Frau neben mir fest. „Ich glaube, dass nur wenige Menschen das Geschenk einer solchen großen Liebe erhalten.“

Wir waren an dem Zimmer mit der Nummer 27 angekommen. Ich schloss die Tür auf und führte Vanessa hinein. „Mach es dir gemütlich! Fühl dich hier wie zu Hause, das kann man hier in diesem Schloss und in dieser wohnlichen Atmosphäre, in der so viele Menschen etwas Positives ausstrahlen.“

Sie sah sich im Zimmer um. „Das sehe ich hier schon. Ja, hier könnte ich direkt wohnen bleiben. Der Raum ist sehr gemütlich eingerichtet, so hell, und dann noch mit dem Fenster zum Park, in denen sich die Blätter der Bäume gerade schon etwas herbstlich bunt färben.“

„Ich denke, du kannst hier eine Weile bleiben“, überlegte ich. „Für das nächste Semester sind alle Studenten eingetragen. Und es sind noch mehrere Zimmer frei. Aber du suchst sicher wieder eine feste Stelle?“

„Das wäre mir am liebsten. Ich hatte schon mal im Stillen daran gedacht, ob mich nicht vielleicht die beiden Rossinis einstellen können?“

Ich überlegte einen Moment. „Warum eigentlich nicht. Adelaide hat im Schloss viel zu tun. Carla, meine Freundin aus dem Hotelfach geht ihr zwar seit einiger Zeit zur Hand und seit kurzer Zeit haben wir auch einen echten Sterne-Koch aus Italien. Er heißt Horatio, und ich habe ihn auf einer Yacht in Venedig kennengelernt.“

Sie staunte. „Auf einer Yacht in Venedig? Was hast du denn dort gemacht? Eine Mittelmeerkreuzfahrt?“

„Nein. Ich war dort um zu recherchieren. Es ging um ein vertauschtes Gemälde einer bekannten Künstlerin. Eine sympathische italienische Familie ist wie ein paar deutsche Gäste in den Kreis der näheren Verdächtigen geraten. Er war gerade von seiner Verlobten enttäuscht, die ihn betrogen hatte, und er hatte sich in Carla verguckt. Da ist er uns kurzerhand nach Deutschland gefolgt. Aber inzwischen hat er eingesehen, dass sie mit ihrem Bernhard glücklich verheiratet ist.“

„Und er ist trotzdem hiergeblieben? Vermisst er das schöne Italien denn nicht?“

„Ihm gefällt es hier sehr gut. Er will bleiben, und die meisten Studentinnen hier im Schloss lieben ihn.“

Vanessa sah mich verwundert an. „Alle?“