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Merkwürdiges und Einfaches aus dem Leben der Menschen in Hamburg-Altona. Christiane Handke-Schuller (Elbe-Wochenblatt) sagt: "Sein subjektiver Blick auf die Welt ist scharf aber niemals bösartig, seine Texte haben einen ganz eigenen Ton. [...] Er beobachtet, hört hin und schreibt; schräge, sprachlich bezaubernde Texte über die Lage der Menschen in Altona-Altstadt."
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Seitenzahl: 59
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Hans-Jürgen Andresen
Altona
Das skurrile Leben der Menschen
Dieses eBook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Die gierigen Blicke der Männer
Die Ärzte, ach die Ärzte
Über die Hellhörigkeit alter Bauten
Beziehungsstress
Sag mir quando, sag mir wann
So viel Zeit muss sein
Muskelbepackte Männer auf der Großen Bergstraße
Traumatisches in der Bibliothek zu Ottensen
Sie trug dunkle Haare
Beim Porno-Dreh
Winken
Warm anziehen (Busfahrt durch Altona)
Schluss
Laudatio
Herr K. und seine Sex-Geschichte
Von der Kunst, bei grün, die Straße zu überqueren
Eine Frau, ach eine Frau
Sexuelle Belästigung
Überfälle der einen und der anderen Art
Fünfzig Prozent
Und plötzlich wird man gemocht
Karl als Journalist
Miau
Tony's Suizidversuch in der Altstadt Altona's
Schwanger
Der Kommissar auf der Großen Bergstraße
Du willst es doch auch, oder?
Mirko hat einen neuen Job
Die Jobberhöhle ist nicht mehr
Fertig ist kein Wort dafür
Impressum
Die gierigen Blicke der Männer
Fred's neue Kollegin ist eine Nette, ein bisschen unbedarft, aber das hat Männer noch nie gestört, schon gar nicht Fred. „Es lässt sich so unkompliziert mit ihr plaudern!“, sagte er mir kürzlich im Gespräch und ließ durchblicken, dass er sich einiges von ihr versprach. Und damit meinte er keinen gepflegten und freundlichen Umgang im Arbeitsleben, nein.
Ich traf die beiden am Briefmarkenautomaten der Großen Bergstraße, sie kamen wohl gerade von der Arbeit und klönten noch ein wenig miteinander. Das heißt: Fred erzählte und sie hörte zu.
„Hi“, sagte ich zu den beiden und Fred verzog seinen Mund, er wollte sie für sich alleine haben.
Die Kleine mit dem unschuldigen Blick hantierte am Automaten, sagte aber freundlich „Hallo“.
Fred hingegen beließ es bei einem Knurren
Sie arbeiteten in einem nahen Supermarkt und es ist ungewohnt, diese Leute einmal nicht in ihrer Arbeitskluft zu sehen, ja, außerhalb des Marktes scheinen das ganz normale Menschen zu sein.
Monika, so hieß das Mädchen, hielt schließlich eine frisch gedruckte Briefmarke zwischen den Fingern, den dazugehörigen Brief hatte sie auch parat. Was hinderte sie daran, die Marke abzulecken und den Brief ein zu werfen? Ich war mir unserer gierigen Blicke bewusst. Schon standen einige Männer um uns herum, die zuvor friedlich über die Große Bergstraße bummelten, und nun plötzlich eine erotische Situation witterten. Dabei gibt es hier jede Menge Eis-Cafe´s, Frauen und Männer, die an Eisbällen lecken. Es ist nichts außergewöhnliches. Aber im Gewöhnlichen den Reiz zu entdecken, spricht auch für unsere Männerschar.
Jedenfalls lutschte sie gerade an einem Bonbon, hingebungsvoll, möchte ich meinen. Und wer schon einmal eine Automaten-Marke abgeleckt hat, der weiß, dass die häufig nicht kleben; zumal dann, wenn man gleichzeitig an einem Bonbon lutscht und im Mundraum ein Früchte-Zucker-Gemisch vorherrscht.
Also machte sie das einzig richtige, sie hielt die Marke in die Luft und rief aus: „Wer leckt mal bitte?“
Und schon tauchten fünf Männerköpfe zu der Marke hinab, alle mit ausgestreckten Zungen.
Da waren kahlgeschorene Köpfe dabei und Männer mit Frisur, akkurat gezogen der Scheitel. Einer trug einen Hut, darunter wallte sein graues Haar auf die Schulter. Ein Typ im Anzug war auch darunter, gepflegt und adrett. Fred durfte den Job schließlich übernehmen.
Anschließend hoben wir sie in die Höhe und riefen „Juchhu“ und „Juchz. Lob und Preis der Monika!“
Das hat es so nicht gegeben, meinen Sie?
Die Ärzte, ach die Ärzte
Als Herr K., wie mir von ihm berichtet wurde, kürzlich zu seiner Psychiaterin/Neurologin in die Große Bergstraße ging, brav ausgestattet mit einem Überweisungsschein seines Hausarztes, entspann sich der folgende Dialog zwischen der Arzthelferin und besagtem Herrn K.
Arzthelferin: „Haben Sie denn einen Termin, werter Herr K.?
(Ich bezweifele übrigens, dass sie „werter“ gesagt hat. Das scheint mir heutzutage dann doch nicht mehr üblich zu sein, höchstens mit einem eher höhnischen Hintergrund versehen.)
Herr K.: „Nö.“
A.: „Was haben Sie denn überhaupt?“, fragte sie, während sie doch die Diagnose auf dem Überweisungsschein zu lesen vorfand.
K.: „Ein Taubheitsgefühl in einem Teil der rechten Hand, was die Ärztin als Neurologin angeht. Und in ihrer Funktion als Psychiaterin, nun, wie soll ich es ausdrücken, eine Art depressive Verstimmung.“
Im Anmeldezimmer hatten sich inzwischen einige neu angekommene Patienten versammelt, die dem Gespräch Interesse abgewinnen konnten. Sie spitzten die Ohren und dachten sich vermutlich: Aha Aha.
A.: „Ist es denn akut?“
K.: „Natürlich ist es akut, sonst wäre ich ja nicht hier!“
A.: „Ich meine das im strengeren Sinn.“
K.: „Dass ich etwa im Begriff bin, mich am nächsten Baum aufzubaumeln, oder was?“
A.: „Aber nein nein. Nun, ich gucke mal, wann wir da einen Termin für Sie hätten. Ja .also, das wird leider erst im nächsten Jahr etwas.“
K.: „Im nächsten Jahr? Wir haben den 12. Dezember, Fräulein!“
A.: „Ja, leider leider. Am 30. Januar, wäre Ihnen das recht, hätten Sie dann Zeit?“
K.: „Soll ich so lange mit einer tauben Hand herum laufen? Und vielleicht doch noch auf die Idee kommen, mich beiseite zu schaffen? In die tiefe Elbe hinein?“
A.: „Nein nein, warten Sie doch bitte im Wartezimmer, ich frage die Frau Ärztin noch einmal, ja, ob sich da nicht etwas machen ließe.“
Herr K. wartete folglich im Wartezimmer, seinen Angaben gemäß eine halbe Stunde. Zeit genug, das Muster der Tapete eingehend zu betrachten und auf sich wirken zu lassen. Es milderte seine zornige Stimmung nicht wirklich. Schließlich wurde er aufgerufen und sah sich wieder mit der, nicht unfreundlichen, Arzthelferin konfrontiert.
A.: „Leider leider, Herr K., es bleibt beim 30. Januar nächsten Jahres, Wir könnten Sie eventuell auf die Warteliste setzen, falls jemand seinen Termin platzen lässt, hm?“
K.: „Nein, dürfte ich wieder um meinen Überweisungsschein bitten? Du kannst mich von Eurer Patientenliste streichen, Kleines, das ist mir hier unsympathisch. Ich suche mir einen anderen Psychiater/Neurologen!“
(Das mit dem „Kleines“ glaub ich ihm übrigens nicht.)
Und wie er mir diese Geschichte erzählte, sprach er weiter von den zahlreichen Telefonaten, die er anschließend mit sämtlich in Frage kommenden Ärzten/Ärztinnen führte.
Und hast du schließlich jemanden gefunden?, fragte ich ihn.
Ja, stöhnte er.
Und für wann?
Für den 12. Februar. Immerhin, oder?
Über die Hellhörigkeit alter Bauten
Dieser Text nimmt stellenweise unappetitliche Beispiele auf, die aber notwendig zu schildern sind, weil sie schlicht der Wahrheit entsprechen und eine Vogel-Strauß-Taktik in solchen Fällen auch nicht weiter hilft.
Sie weilte bei unserem Herrn K., wohnhaft in Altonas Altstadt, zu Besuch. Er rechnete sich alle Chancen aus, lange genug hatte die vorhergehende Balzzeit schließlich gedauert. Er wurde allmählich müde davon, immer diese Restaurant-Besuche, diese Blumen-Mitbring-Geschichten, er wollte es jetzt wissen.
Ah, so zart und so schön, dachte er, wie sie sich beim Kaffeetrinken gegenüber saßen. Ja, und solch eine verständige Frau, da geht was!, dachte dieser Mensch mit seinen eingeölten, dunklen Haaren, streng nach hinten gekämmt. Auf der Nase die im dunklen Rahmen gefasste Brille, weil er ja schon längst nichts mehr sieht.
Dieser arme Mensch.
Es „ging“ überhaupt nichts.
Und schuld waren die Nachbarn, das heißt, die Hellhörigkeit dieses scheints aus Pappe zusammen gezimmerten Nachkriegsbaues. Man hört in der Behausung Herrn K.'s alles.
ALLES.