Always only you - Vivian Hall - E-Book

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Vivian Hall

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Beschreibung

Können aus besten Freunden auch Liebende werden? Kelly und Josh sind seit frühester Kindheit eng miteinander verbunden. Seelenverwandte, die täglich eine Dosis vom anderen brauchen, um glücklich zu sein. Nur als Mann für gewisse Stunden kommt er nicht in Frage, bis Kelly feststellen muss, dass auch sie nicht immun ist, gegen Joshs rauen Sexappeal. Verzweifelt versucht sie die neuen Gefühle für ihn zu ignorieren, außerdem ist Josh längst vergeben und will seiner eingebildeten Freundin Vanessa einen Heiratsantrag machen. Wird es für Kelly trotzdem ein Happy End geben?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Epilog

.

Very Bad Influence

Shattered Love

Vivian Hall

©2019 Vivian Hall, alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Linda Mignani

Korrektorat: Karin Ehrle

©Coverdesign: Art for your Book

Impressum: Vesna Coenen, Höhenstr. 40, 89584 Ehingen

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin weitergegeben werden.

INHALTSANGABE

Die Ehe von Julie und Dylan sollte ewig halten, doch während Dylan seine junge Frau zunehmend vernachlässigt, um seine Karriere voranzutreiben, umwirbt ihn seine sexy Kollegin Alicia. Mit bösartigen Intrigen treibt dieses Biest einen Keil zwischen das einst so glückliche Paar und obwohl Julie wie eine Löwin um ihren Mann kämpft, hat sie in Alicia eine Gegnerin, die vor nichts zurückschreckt, um ihre Ziele zu erreichen.

Romantikthriller. Der Roman (133000 Worte) ist ein Einzelband und in sich abgeschlossen.

Kapitel 1

Julie

Ich starrte mein Handy wie einen Feind an als es klingelte, da ich genau wusste, was der Anruf zu bedeuten hatte. Tief durchatmend nahm ich das Gespräch an und verlieh meiner Stimme einen betont normalen Klang.

„Dylan … was gibt’s?“

Die Frage könntest du dir eigentlich sparen, wisperte meine zynische Seite.

„Hey Baby.“ Er klang locker, gutgelaunt. Vielleicht war ich zu voreilig und er meldete sich aus einem anderen Grund.

„Hör mal, mir ist was Wichtiges dazwischengekommen, es wird also spät werden“, erklärte er und zerschmetterte zum wiederholten Mal meine Hoffnung auf einen gemeinsamen Abend. Was wichtiges.

So langsam begriff sogar ich, dass meine Wenigkeit nicht in diese Kategorie gehörte.

„Ich verstehe“, erwiderte ich dumpf und fühlte, wie sich ein zäher Klumpen in meiner Kehle bildete.

„Es tut mir ehrlich leid. Die Gegenseite hat unerwartet einen Zeugen aus dem Ärmel geschüttelt. Alicia und ich müssen unsere ganze Strategie umschmeißen und das wird den ganzen Abend in Anspruch nehmen.“

Allein der Name seiner Kollegin triggerte jeden eifersüchtigen Nerv, den ich im Leib hatte. Normalerweise hielt ich mich mit Beschwerden zurück, doch hin und wieder drängte der brodelnde Frust an die Oberfläche.

„Dir ist schon klar, dass du mittlerweile mehr Abende im Büro verbringst, als Zuhause?“, fragte ich und verabscheute insgeheim den weinerlichen Tonfall, den ich anschlug. Ich wollte nicht diese Art Frau sein, jemand der klammerte und ständig Aufmerksamkeit beanspruchte, nur ließ Dylan mir keine andere Wahl und ich hatte doch das Recht, ihm meine Enttäuschung zu zeigen. Oder etwa nicht?

„Baby, bitte … nicht jetzt, okay. Ich kann es nicht ändern.“

Er klang genervt. Offensichtlich hatte er keine Lust, sich mit mir und meiner Sorge, um unsere Beziehung auseinanderzusetzen, schließlich hatte er ja was Wichtiges zu tun. Er hatte wirklich Nerven. Dabei war er doch derjenige, der jedem Mann mörderische Blicke zuwarf, der mich attraktiv fand und seiner Bewunderung für mich Ausdruck verlieh. Dabei gab es für mich nur Dylan. Schon immer. Trotzdem reagierte er immer extrem argwöhnisch, wenn mich ein anderer Kerl nur schief ansah. Dylan müsste also ganz genau wissen, wie ich mich fühlte, wenn er so viel Zeit mit einer anderen Frau verbrachte. Prompt vernahm ich im Hintergrund Alicias Stimme und verdrehte die Augen. Wenn man vom Teufel spricht oder in diesem Fall an ihn denkt. Ich konnte diese Frau nicht ausstehen. Seit ihrem Auftauchen vor einigen Monaten arbeitete sie Seite an Seite mit meinem Mann und verbrachte den Großteil des Tages mit ihm. Sie war smart, schön und atemberaubend sexy. Das widerliche Gefühl nagender Eifersucht überkam mich schon beim bloßen Gedanken an Alicia und die Nähe, die sie mit Dylan teilte und so plapperte ich einfach weiter, ohne mich zurückzuhalten.

„Möglicherweise solltest du darüber nachdenken, ob du noch verheiratet sein willst? Du brauchst keine Ehefrau, Dylan, sondern nur jemanden, der dir ein gemütliches und perfekt funktionierendes Heim bietet. Das kriegt auch eine Haushälterin hin und was den Sex angeht …, da du mich sowieso kaum noch anrührst, wirst du mich auch in der Hinsicht kaum vermissen.“

Die Worte waren heraus, bevor ich es verhindern konnte, dennoch bereute ich meinen Ausbruch nicht, selbst wenn es dumm sein mochte, ihn mit Vorwürfen zu überhäufen, wenn zwei Meter weiter eine Frau auf ihn wartete, die im Vergleich zu mir viel lockerer und unkomplizierter erschien. Aber ich konnte nicht länger so tun, als würde mir seine ständige Abwesenheit nichts ausmachen.

Dylan atmete geräuschvoll aus. „Das war jetzt wirklich unter der Gürtellinie. Du weißt verdammt genau, dass ich das alles nur für uns mache, für unsere Zukunft.“

Ich sah ihn förmlich vor mir, wie er in seinem Bürosessel lungerte und sich ungeduldig durchs dunkelblonde Haar fuhr, bis es in alle Richtungen abstand. Und seinen klischeehaften Spruch konnte er sich in den Hintern schieben, so einen Scheiß brauchte ich mir wirklich nicht anhören.

„Für mich sieht es so aus, als würdest du das nur für dich tun. Ich brauche keine weitere Null auf dem Konto, um glücklich zu sein. Was ich will, bist du. Aber so wie es aussieht, beruht dieser Wunsch nicht auf Gegenseitigkeit.“

Er schwieg, sprachlos über meine Attacke und den giftigen Ton, den ich ihm gegenüber anschlug. Gewöhnlich zeigte ich Verständnis, aber ich fühlte mich heute nicht normal, sondern zurückgewiesen und verdammt einsam.

Dylan hatte mit seinem Anruf die Büchse der Pandora geöffnet. Die Enttäuschung, die sich in den letzten Monaten angesammelt hatte, floss wie ein unaufhaltsamer Strom aus mir heraus.

„Julie, bitte, sei nicht so melodramatisch, das passt nicht zu dir.“

Er bemühte sich um eine normale Tonlage, doch ich kannte ihn gut und ich filterte problemlos den gereizten Unterton heraus. Er war sauer, weil ich kein Verständnis für seine Arbeit und die damit verbundenen Überstunden aufbrachte. Ich fand das so unfair. Immerhin saß ich regelmäßig abends allein hier, während er mit Alicia fachsimpelte und das war noch das harmloseste Szenario, das sich während dieser einsamen Stunden in meinem Kopf abspielte.

„Ich veranstalte kein Drama, ich … ich vermisse dich einfach.“

Endlich drang ich mit meinem Kummer zu ihm durch. Seine Stimme wurde weicher. „Du fehlst mir auch, Baby. Denk niemals etwas anderes, weil ich dich verdammt noch mal liebe. Ich stehe nur zurzeit enorm unter Druck und darf mir keine Patzer erlauben. Eins kannst du mir glauben, sobald dieser elende Prozess abgeschlossen ist, machen wir ein paar Tage frei. Nur du und ich. Was hältst du davon?“

Die Vorstellung versetzte mich in Verzückung, dennoch fehlte mir der Glaube daran, dass er dieses Versprechen wahrmachen würde. Irgendwas kam doch immer dazwischen. Sobald der Malloy-Prozess vorbei war, stand bestimmt schon der nächste superwichtige Mandant in den Startlöchern, der Dylans gesamte Zeit beanspruchen würde. Die Arbeit war die aktuelle Konstante in seinem Leben. Nur wo blieb ich dabei? Ihm konnte doch unmöglich entgehen, worauf wir unaufhaltsam zusteuerten.

Und trotzdem lässt er dich hängen, immer und immer wieder, wisperte die aufwieglerische Seite meiner Persönlichkeit in den Untiefen meines Verstandes.

„Wir werden sehen“, murmelte ich nach einer unangenehmen Pause. „Mach dir meinetwegen keine Gedanken. Ich komm schon klar.“

Eigentlich hätte ich die Sache viel lieber ausdiskutiert, doch es machte keinen Sinn am Telefon mit ihm zu streiten. Das fehlte noch, dass er sauer auf mich war und dann die nächsten Stunden mit der ach so verständnisvollen Alicia verbrachte, die bestimmt danach geiferte, ihn zu trösten. Obwohl ich ihm gerade grünes Licht gegeben hatte, schien er endlich zu begreifen, wie sehr mich das alles betrübte, denn er entschuldigte sich ein weiteres Mal. „Es tut mir wirklich leid.“

Ich blinzelte die aufsteigenden Tränen weg. „Dein Job steht eben an erster Stelle. Ich hab’s begriffen.“

Mein Kommentar stachelte ihn umgehend wieder auf. „Das ist doch Unsinn. Findest du nicht, dass du dich da in etwas hineinsteigerst?“

So war es jedes Mal, wenn wir uns in letzter Zeit unterhielten. Sobald ich etwas sagte, fühlte er sich angegriffen und umgekehrt genauso. Wir waren gar nicht mehr in der Lage eine normale Unterhaltung ohne gegenseitige Vorwürfe zu führen. Und aufgrund seines Verhaltens fühlte ich mich wie ein ausrangiertes Möbelstück, das man irgendwo auf dem Speicher aufbewahrte, weil einen die damit verbundenen, schönen Erinnerungen davon abhielten, es endgültig zu entsorgen. Egal wie oft ich mir einredete, wie unsinnig solche Gedanken waren, vertreiben konnte ich sie nicht. Die Eifersucht war wie ein bösartiger Dämon. Ließ man ihn einmal hinein, ging er nicht mehr fort und ergriff Besitz von Seele, Herz und Verstand, bis er jeden einzelnen Gedanken vergiftet hatte. Genauso erging es mir gerade. Wollte er überhaupt noch Zeit mit mir verbringen oder war sein Bedauern nur gespielt? Wann hatte er mir das letzte Mal diesen speziellen Blick geschenkt, der mein Herz zum Rasen brachte und mein Inneres mit Hitze durchdrang? Ich konnte mich nicht erinnern und das fand ich erschreckend. Mittlerweile stellte ich nicht nur seine Liebe infrage, sondern auch sein körperliches Interesse an mir.

Befanden wir uns wirklich schon an diesem Punkt?

Ich war nicht naiv. Natürlich ebbte das Feuer der Leidenschaft im Lauf der Jahre irgendwann ab. Was absolut in Ordnung war, die Prioritäten und Begehrlichkeiten änderten sich eben und es kam eher auf die Qualität und nicht auf die Anzahl der Orgasmen an. Aber doch nicht bei Dylan und mir! Wir waren noch jung und hatten stets ein erfülltes Liebesleben geführt. Aber vielleicht sah er das längst anders und vermisste diese verrückte Lust, die man nur zu Beginn einer neuen Beziehung spürte. Was, wenn er sich im Bett langweilte und sich nach Abwechslung sehnte?

Mich mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen brachte mich fast um, dennoch musste ich mich dieser Möglichkeit stellen. Unser Sexleben existierte praktisch nicht mehr und die wachsende Vertrautheit zwischen ihm und Alicia war mehr als offensichtlich. Dylan mochte sie, schwärmte geradezu von ihr, und ich hegte keinerlei Zweifel daran, dass diese Schlange ihr gesamtes Repertoire an verführerischen Blicken einsetzte, um meinen Ehemann in ihr Bett zu locken.

Dylans Stimme riss mich wieder aus meinen Gedanken. „Julie, bist du noch dran?“

„Ähm … ja“, antwortete ich so leise, dass er es vermutlich kaum hören konnte. Er atmete tief durch, als müsste er sich selbst ermahnen, seinem Ärger über mein mangelndes Verständnis freien Lauf zu lassen. Es half nicht viel, wie ich gleich darauf feststellte.

„Ehrlich Julie, ich habe gerade keine Zeit für dein persönliches kleines Drama. Wenn du mir noch etwas zu sagen hast, dann tu es jetzt. Man erwartet mich.“

Die Kälte, die er mir gegenüber gerade an den Tag legte, tat weh. Früher hatte er nie auf diese Weise mit mir geredet. Ich kam mir wie ein dummes Mädchen vor, dem man die Welt erklären musste.

„Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte“, antwortete ich heiser. „Soll ich dir das Essen warmhalten?“

Gott, wo kam das denn her? Ich klang wie meine eigene Mutter.

„Nicht nötig. Wir lassen uns etwas vom Chinesen kommen. Ich muss jetzt auflegen. Alicia wird schon ungeduldig und will endlich an die Arbeit. Diese Frau steht einfach immer unter Strom.“

Unverhohlene Bewunderung schwang in seinem letzten Satz mit und ich biss mir auf die Lippen, um das aufsteigende Schluchzen im Keim zu ersticken. Eigentlich neigte ich nicht zu emotionalen Ausbrüchen, doch die gesamte Situation zerrte an meinen Nerven und ich war viel dünnhäutiger als gewöhnlich.

„Ich wünsch dir noch einen erfolgreichen Ta…“

Dylan drückte mich weg, bevor ich den Satz zu Ende bringen konnte. Fassungslos starrte ich den Hörer an. Ich würde nicht heulen, sondern lächeln.

Fake it, till you make it.

Ungeachtet meines Vorsatzes flossen bereits die ersten Tränen aus meinen Augenwinkeln. Er hatte mich gerade behandelt wie eine Zufallsbekanntschaft, die man nicht schnell genug loswerden konnte und nicht wie seine Ehefrau. Dabei hatte alles so wundervoll begonnen, nie hätte ich gedacht, dass ich irgendwann mal an seinen Gefühlen zweifeln würde. Ein paar Monate nach meinem Collegeabschluss hatte er mir einen Antrag gemacht. Wie jung und idealistisch wir damals doch gewesen waren. Er wollte als Anwalt die Bösen hinter Gitter bringen und ich träumte von einer Karriere als Schriftstellerin. Die Realität hatte uns längst eingeholt. Seit er für seinen Onkel Ian in dessen Kanzlei tätig war, verblassten seine Ideale zur Bedeutungslosigkeit. Ob schuldig oder unschuldig spielte keine Rolle mehr. Es ging nur noch um Geld und Macht und Prestige. Früher hatte er nur Verachtung für diese Dinge übriggehabt, nun waren sie zu seinem neuen Lebensinhalt geworden und er hatte sich so wahnsinnig verändert, ich erkannte ihn manchmal kaum wieder. Ich hingegen war immer noch die Gleiche und fühlte mich wohl in meiner Haut. Die Arbeit als Lektorin bei einem kleinen, aber sehr erfolgreichen Verlag machte mir unglaubliche Freude und meine schriftstellerischen Ambitionen befriedigte ich als Autorin einer süßen Kinderbuchreihe. Leider verstärkte sich mein Eindruck, dass diese vergleichsweise bescheidene Karriere nicht zu seinem Image als Staranwalt passte. Vielleicht verbrachte er deshalb soviel Zeit im Büro mit Alicia. Sie hatten viel gemeinsam.

Ich schleppte mich lustlos in die Küche und aß ein wenig von der Lasagne, die ich vorbereitet hatte. Nachdem ich den Rest im Kühlschrank untergebracht hatte, überlegte ich, was ich mit dem verbliebenem Abend anfangen sollte. Schreiben wollte ich nicht. Dafür musste ich in der entsprechenden Stimmung sein und wenn der Kopf voll war mit mutmaßlichen Ehebruchsszenarien, fiel es einem schwer, sich in kindlichen Fantasiewelten zu verlieren. Nach fernsehen war mir ebenfalls nicht zumute. Ich beschloss mich ins Schlafzimmer zurückzuziehen und noch etwas zu lesen. Vorher duschte ich noch und cremte mich sorgfältig ein. Anschließend schlüpfte ich in den seidenen Pyjama, der über dem Stuhl vor dem Schminktisch hing. Der diente eigentlich eher der Dekoration, da ich so gut wie kein Make-up benutzte. Dylan mochte meine Natürlichkeit, zumindest hatte er sich immer so geäußert. Ob er das immer noch so sah? Vielleicht stand er mittlerweile nicht nur auf Geld und Macht, sondern auch auf Alicias perfekt geschminktes Gesicht und ihre superelegante Aufmachung. Die Frau konnte jedem Covermodel Konkurrenz machen, mit ihrer roten Mähne und den hellen blauen Augen. Ich setzte mich auf den weißgepolsterten Hocker und betrachtete eingehend mein Spiegelbild. Die Person, die mir entgegenblickte, sah unglaublich traurig aus. Unglücklich, einsam und müde. Schließlich schlief ich in letzter Zeit wahnsinnig schlecht. Da ich meinen eigenen Anblick nicht mehr ertragen konnte, erhob ich mich und legte mich hin. Das mit dem Lesen ließ ich sein, ich konnte mich momentan auf nichts konzentrieren und tatsächlich dämmerte ich irgendwann weg, schreckte allerdings während eines Alptraums auf und blickte schweratmend zur Seite. Die andere Bettseite war nach wie vor unberührt und mir wurde richtiggehend schlecht vor lauter Misstrauen. Wo blieb er nur? Irgendwann musste doch selbst Dylan zu müde werden, um bis spät in die Nacht hinein zu arbeiten.

Vielleicht vergnügt er sich gerade mit Alicia, soufflierte meine innere Stimme und ich hasste mich für diesen Gedanken. Das Gift in mir verrichtete zuverlässig seinen Dienst und tötete langsam auch die letzten Reste des Vertrauens, das ich noch in ihn setzte.

Plötzlich hörte ich Schritte im Flur. Die Tür des Schlafzimmers öffnete sich leise und er trat ein. Leise schlich Dylan sich hinein und legte fast geräuschlos die Kleidung ab. Es fiel genug Mondlicht in den Raum, um ihn beobachten zu können und wie immer raubte er mir den Atem. Dylan trug zwar seine Anzüge wie eine zweite Haut und verbrachte viel Zeit hinterm Schreibtisch, doch seine körperliche Fitness war dank regelmäßigen Workouts mehr als beeindruckend. In meinen Augen war er das schönste, männliche Wesen der Welt und ich liebte ihn fast bis zur Selbstaufgabe. Trotzdem tat ich so, als ob ich schlief und hörte, wie er nach nebenan ins Bad ging. Die Tür schloss sich, dahinter hörte man das Brummen der Zahnbürste und kurz darauf das Rauschen der Dusche. Wusch er sich gerade den Geruch einer anderen Frau von der Haut?

Hör auf damit, ermahnte ich mich. Es war nichts ungewöhnliches, wenn man sich nach einem langen anstrengenden Tag kurz unter die Dusche stellte und so den ganzen Stress runterspülte. Kurz darauf kam er zurück und legte sich ins Bett. Noch immer stellte ich mich schlafend, spürte aber die Wärme seines Körpers, als er näher rückte und mir einen sanften Kuss aufs Haar drückte. Zum ersten Mal am heutigen Tag hatte ich das Gefühl normal atmen zu können. Obwohl er annehmen musste, dass ich schlief, war er zärtlich zu mir. Eine Welle der Erleichterung durchlief mich und ich öffnete seufzend die Lider.

„Du bist ja wach“, wisperte er und strich mir mit dem Handrücken über die Wange. Seine sanfte Liebkosung beruhigte mich effektiver als jedes Versprechen. Ein Teil von mir fand es erschreckend, wie abhängig ich von ihm und seiner Liebe war, von seiner Fürsorge und dass ich ihm ungeachtet unseres heutigen Disputs so leichtherzig verzieh.

„Ich wollte nicht einschlafen, ohne dich noch einmal gesehen zu haben.“

Er antwortete nicht, sondern küsste mich auf die Stirn. Seine Lippen verharrten kurz an dieser Stelle, ehe sie langsam über die Schläfe auf meinen Mund zuhielten. Ich öffnete mich augenblicklich seinem Kuss und er beantwortete meine willige Erwiderung mit einem sanften Stöhnen. Seine Zunge glitt an meiner entlang, zog sich zurück und kam wieder. Dylan katapultierte mich augenblicklich in den siebten Himmel. Es war wie früher, innig und leidenschaftlich. Am liebsten hätte ich geweint.

„Du hast mir so sehr gefehlt“, flüsterte ich und schlang die Arme um ihn, während sich sein Mund an meinem Hals festsaugte.

„Julie.“ Er keuchte meinen Namen und zog mein Oberteil herab, entblößte mich. Sofort heftete er den Mund auf eine Brust, erforschte die schlafwarme Haut und die Fülle, bis ich mich unter ihm wand. Meine Pyjamahose stellte für ihn kein großes Hindernis dar, ebenso wenig mein knapper Slip, der nur wenige Momente später durchs Zimmer flog. Dylan setzte die Erkundungsreise meines Körpers fort. Schon bald lag ich völlig willenlos unter ihm und genoss seine Berührungen und Küsse. Es war einfach zu lange her und verehrt von seinen Lippen, konnte ich endlich die Angst vor der sich anbahnenden Entfremdung ablegen. Doch ich wollte nicht nur der passive Part sein und schob ihn auf den Rücken. Mit der Zungenspitze zog ich einen feuchten Pfad über seine nur leicht behaarte Brust, die Vertiefungen seiner ausgeprägten Bauchmuskulatur und tauchte sie in seinen Bauchnabel.

„Ich liebe dich so sehr“, murmelte ich und fuhr mit offenem Mund über seinen Bauch. Die Muskeln unter der seidigen Haut zuckten. Ich lächelte und spürte, wie er mir ins Haar griff und mich tiefer dirigierte. Mir war sofort klar, was er wollte. Ohne Scheu zog ich ihm die engen Boxershorts herunter und erregte ihn mit einer Erfahrung und Vertrautheit, die man nur während einer langjährigen Beziehung erlangte.

„Wenn du so weitermachst, ist es schneller vorbei, als dir lieb ist,“ raunte er heiser. Ich grinste und bevor ich mich versah, landete ich wieder auf dem Rücken. Quälend langsam, als wollte er jede Sekunde davon auskosten, versank er in meinem warmen Leib und nahm mich in Besitz. Alles verblasste. Meine Furcht ihm nicht länger zu genügen, das Gefühl, dass er mir mehr und mehr entglitt und schlussendlich die Befürchtung, Alicia könnte ihm mehr bedeuten, als er zugab.

Dylan liebte mich erst zärtlich und sanft, doch mit jedem Eindringen steigerte sich unsere Lust. „Komm mit mir gemeinsam“, befahl er und packte meine Handgelenke. Er presste sie neben meinem Kopf in die Matratze, während seine Hüften immer härter zustießen. Ich zog mich bereits um ihn zusammen, spürte verzückt, wie sein massives Geschlecht, mein Inneres massierte und hob ihm keuchend die Hüften entgegen. Sein Mund suchte erneut den meinen. Wir küssten uns wie Verdurstende, während er mit jedem Eindringen diesen besonderen Punkt in mir erwischte. Das drängende Verlangen geriet außer Kontrolle, er stöhnte dumpf auf, während ich seinen Namen hinausschrie. Dylans Orgasmus folgte unmittelbar auf meinen. Die Schultern angespannt, gab er sich seinem Höhepunkt hin und ich liebte jede einzelne Sekunde, in der wir uns ineinander verloren. Nicht gewillt, ihn jemals wieder loszulassen, schlang ich die Beine um seine schmalen Hüften und hielt ihn dicht bei mir. Dylan sackte erschöpft und mit einem befriedigten Lachen auf mir zusammen und rieb die stoppelige Wange an meiner. Nichts fühlte sich besser an, als dieser Mann.

Natürlich konnten wir nicht ewig in dieser Position verharren. Dylan schob sich von meinem ermatteten Leib und zog mich dicht an seine Seite. „Gott, das war wirklich nötig“, sagte er und küsste mich auf die Nasenspitze. „Sorry für die Verspätung.“

Zu glücklich für Vorwürfe, kuschelte ich mich an ihn, während er gedankenverloren meinen Rücken streichelte. Aber irgendwie … keine Ahnung … war er anders als sonst. Trotz der physischen Nähe schien er weit weg zu sein. Etwas stimmte nicht, das spürte ich, und war doch nicht imstande nachzufragen. Zu feige, um schlafende Hunde zu wecken, kuschelte ich mich tiefer in seine Arme und schob die komischen Empfindungen einfach fort.

Als ich am nächsten Morgen gegen sechs erwachte, lag ich allein im Bett. Ein wenig enttäuscht darüber, dass er mich nicht geweckt hatte, damit wir zusammen frühstücken konnten, streifte ich mir den Bademantel über und machte mich auf den Weg in die Küche. Ich beschleunigte meine Schritte, als ich ihn telefonieren hörte und freute mich, weil er noch zuhause war und nicht schon längst im Büro. Automatisch blieb ich vor der Tür stehen, weil ich sein Gespräch nicht unterbrechen wollte, indem ich wie ein Elefant im Porzellanladen einfach hineinplatzte, da registrierte ich mit wem er sprach und konnte mich nicht davon abhalten, zu lauschen.

„Keine Sorge, Alicia. Sie war nicht böse.“ Er lachte auf eine Weise, die mir gar nicht behagte. So von oben herab. „Ich hab mein Zuspätkommen wieder gut gemacht. Julie ist da sehr entspannt.“ Wieder dieses herablassende Lachen, das ziemlich deutlich machte, auf welche Weise er mich besänftigt hatte. Gott, ich konnte es nicht fassen. Er sprach mit seiner Kollegin und stellte mich hin wie ein kläffendes Hündchen, das man mit ein paar Streicheleinheiten ruhigstellen konnte. Da die Tür einen schmalen Spalt breit offenstand, lugte ich durch die Lücke, um seinen Gesichtsausdruck sehen zu können. Dylan verlagerte sein Gewicht aufs andere Bein und drehte sich in meine Richtung. Am liebsten wäre ich davongelaufen. Ich kannte diesen Blick. Dylan war zum Flirten aufgelegt und da er nicht mit mir sprach, kroch mir Eiseskälte durch die Adern.

„Keine Sorge, ich bin in spätestens einer Stunde bei dir.“

Er lauschte ein paar Sekunden lang Alicias Antwort. Auf seinen Lippen lag ein entspanntes Grinsen, verführerisch und neckend zugleich und außerdem so was von verschwendet, da die dumme Kuh es sowieso nicht sehen konnte. Erneut brach er in Gelächter aus.

Ach, was ist die liebe Alicia wieder witzig.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ich dir so abgehe, wäre ich eine Stunde eher aufgestanden, damit du mich wieder in die Mangel nehmen kannst.“

Zorn und Verwirrung wechselten sich ab. Ich stand kurz davor auszurasten. Seine Stimme klang aufreizend, subtil verführerisch. Verdammt, nicht mal mir gegenüber hatte er je so einen flirtenden Tonfall angeschlagen. Was vermutlich daran lag, dass wir bei unserem Kennenlernen einfach zu jung für derartige verbale Spielchen gewesen waren. Er war viel direkter gewesen und hatte einfach beschlossen mit mir auszugehen, und ich, bis über beide Ohren verknallt, besaß zu keinem Zeitpunkt den Wunsch oder die Kraft, ihm zu widerstehen. Der heutige Dylan hatte nichts mehr mit dem rotzigen Draufgänger von damals gemein, sondern hatte sich zu einem erfolgreichen, dynamischen Mann entwickelt. Der mich, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, meilenweit hinter sich gelassen hatte. Ich mochte noch immer dieselbe Musik, Burger und Bier und den Anblick eines Sonnenuntergangs. Sein Geschmack hingegen, war inzwischen um einiges exquisiter. Dylan strebte nach Höherem, wollte ganz nach oben und genoss den Luxus und den Glamour, den ihm seine berufliche Position und der damit verbundene Erfolg mittlerweile bescherten. Nichts davon war mir wichtig, nicht das Geld und schon gar nicht die Anerkennung von irgendwelchen wildfremden Personen, die sich zu den oberen Zehntausend zählten. Gestern Nacht hatte ich für kurze Zeit das Gefühl, wir wären uns wieder nähergekommen, doch dieses Telefonat mit Alicia kurierte mich von dieser Illusion.

Unfassbar enttäuscht stand ich an der Tür und mir entwich ein erstickter Laut. Dylan hörte es und seine Augen weiteten sich kurz, als er mich entdeckte. Vermutlich befürchtete er, dass ich jedes Wort mitgehört hatte.

Volltreffer, Liebling. Zieh dich schon mal warm an.

Er räusperte sich, Unbehagen zeichnete sich auf seinen Zügen ab.

An deiner Stelle hätte ich jetzt auch Bammel, dachte ich grimmig und stieß die Tür auf. Äußerlich gefasst betrat ich die Küche.

„Ich muss jetzt auflegen. Wir sehen uns“, meinte er und ließ mich dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. Bebend beobachtete ich, wie er das Handy in die Innentasche seines Jacketts gleiten ließ, erst dann ließ ich meiner Wut freien Lauf.

„Kannst du mir vielleicht verraten, was das eben sollte?“, fauchte ich. Er hatte doch tatsächlich die Nerven und lächelte. „Ich weiß nicht was du meinst.“

„Ich hab es wieder gutgemacht“, äffte ich ihn gekonnt nach. „Julie ist da sehr entspannt“, setzte ich hinzu. Den Blick auf ihn gerichtet, kam ich näher. „Verdammt Dylan, stell dir vor, ich würde so mit einem anderen Mann über dich reden.“

Stirnrunzelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. Er war bereits fix und fertig angezogen, grauer Anzug und ein hellblaues Hemd mit passender Krawatte. „Baby, bitte, das war total harmloses Geplänkel. Ein Spaß, den weder Alicia noch ich wirklich ernst nehmen. Aber dass du mir zutraust, es könnte anders sein, gibt mir gerade ganz schön zu denken.“

„Geplänkel“, wiederholte ich tonlos. Eigentlich hätte ihm der Mangel an Emotionen in meiner Stimme eine Warnung sein sollen, doch er blieb gelassen und schien nach dem ersten Schock nicht sonderlich besorgt zu sein.

„Geplänkel, ganz richtig“, bestätigte er. „Reg dich nicht wegen einer Lappalie auf. Du bist erwachsen, du weißt doch, wie das läuft. In meinem Job stehen wir jeden Tag unter wahnsinnigem Druck, da ist ein lockeres Verhältnis zu den Kollegen unheimlich wichtig.“

„Zwischen einem lockeren Verhältnis und schamlosem Flirten ist aber ein himmelweiter Unterschied. Außerdem hast du durchblicken lassen, dass du mich mit Sex ruhiggestellt hast. Weißt du, wie demütigend das ist? Ihr habt über mich gelacht und ihr wirkt vertrauter, als das unter Kollegen üblich ist. Ich schwöre dir, Dylan. Wenn du eine Affäre hast und ich kriege das raus, dann war’s das mit uns. Hast du gehört? Ich bin vielleicht nicht so supererfolgreich und supersexy wie deine Alicia, aber das bedeutet nicht, dass ich dumm bin und nicht merke, wenn etwas vor sich geht, das ganz und gar nicht in Ordnung ist.“

Meine Stimme brach bei den letzten Silben. Wie hatte es nur so weit kommen können? Gingen ihm meine Gefühle total am Arsch vorbei? Witze auf meine Kosten zu reißen, riss den Graben zwischen uns noch weiter auf und anscheinend merkte Dylan endlich, wie tief mich das verletzte. Er überbrückte die wenigen Meter, die uns trennten und schloss mich in die Arme. „Baby, bitte wein doch nicht. Das war doch nicht böse gemeint und dass du annimmst, ich könnte dich betrügen, macht mir richtig Angst. Herrgott, du warst doch letzte Nacht dabei. Denkst du, ich könnte so berauschenden Sex mit dir haben, wenn ich eine Affäre hätte?“

Trotzig wischte ich die Nässe von meinen Wangen und schob ihn weg. „Nicht, fass mich nicht an.“

Schockiert blinzelte er und schluckte sichtbar. Das war das allererste Mal überhaupt in zehn Jahren Beziehung, dass ich seine Berührung ablehnte.

„Es tut mir leid. Okay?“ Erneut griff er nach mir und dieses Mal wehrte ich ihn nicht ab.

„Du weißt, ich liebe dich. Ich würde dir nie absichtlich wehtun und sie ist auch nicht meine Alicia, sondern einfach eine Kollegin.“

Er küsste mich aufs Haar, so wie letzte Nacht.

Nein, Julie, du darfst jetzt nicht nachgeben.

Stocksteif blieb ich stehen und machte keine Anstalten, mich an ihn zu schmiegen. Er bog den Kopf ein wenig zurück, um mich anzusehen, dabei strich er mir über die Wange. „Wie kommst du nur darauf, ich könnte dich so hintergehen? Wir sind schon so lange zusammen, das würde ich dir niemals antun.“

Seine Worte klangen so ehrlich und doch blieb der Hauch eines Zweifels zurück.

„Wenn du aufhörst, mich wie ein Möbelstück zu behandeln, würde ich mich in unserer Beziehung wahrscheinlich sicherer fühlen.“

Meine Wut war verraucht, zurück blieb nur diese niederdrückende Traurigkeit, die sich nun auch in seinem Blick widerspiegelte. Dylan seufzte schwer und fuhr sich durchs Haar. „Das letzte wonach mir der Sinn steht, ist, dich zu verletzen. Ich weiß, es ist nicht einfach für dich, so viel allein zu sein, aber was soll ich denn machen?“

„Du könntest aufhören mit ihr zu flirten, das wäre schon mal ein guter Anfang“, fuhr ich ihn an. „Das ist ja nicht das erste Mal. Immer wenn ich euch zusammen erlebe, habe ich das Gefühl, zwischen euch läuft was.“

Er sah Richtung Decke, als wolle er um Beistand flehen. „Zum allerletzten Mal, da ist nichts. Ich versteh mich gut mit ihr und diese Neckereien bewahren mich davor, bei all dem Stress und dem ganzen Druck den Verstand zu verlieren. Im Moment ist alles so angespannt. Der Prozess läuft beschissen und die Presse sitzt uns ständig im Nacken. Da tut es manchmal gut, ein paar lockere Worte zu wechseln.“

„Aber nicht auf meine Kosten.“ Ich hielt inne und sammelte mich. Er sollte mich nicht für eine hysterische Kuh halten und daher überlegte ich genau, was ich ihm sagen wollte, um die Situation nicht noch zu verschlimmern. „Ich will das nicht unnötig dramatisieren“, erklärte ich und sah, wie er bei meiner Wortwahl leicht zusammenzuckte. Genau das hatte er mir ja vorgeworfen. „Du bist mein Mann und ich baue darauf, dass du mich nicht betrügst. Aber versetz dich mal in meine Lage! Es war so demütigend, wie du über mich gesprochen hast. Das würde jede Frau verunsichern. Hinzu kommt, dass wir uns fast permanent streiten. Merkst du nicht, wie wir uns immer mehr voneinander entfernen? Ich habe Angst, dich zu verlieren.“

„Das wirst du nicht“, erwiderte er sanft. Er nahm mich in den Arm, drückte mich an sich und begann mich liebevoll zu küssen. Gerade, als er dabei war, die Liebkosung zu vertiefen, klingelte sein Handy. Das war Ians Klingelton. Sein Onkel rief nur an, wenn es dringend war und daher löste sich Dylan mit einem entschuldigenden Blick von mir. „Ich muss da ran“, murmelte er und holte das Telefon hervor. „Ian, was gibt’s?“

Er lauschte, was sein Onkel ihm zu sagen hatte und wirkte dabei hochkonzentriert. Vor Ian hatte er einen mordsmäßigen Respekt, dabei war der gar nicht so viel älter als er. Mit gerade mal neununddreißig Jahren befand sich Dylans Onkel auf dem Höhepunkt seiner Attraktivität. Mit seiner skrupellosen Ausstrahlung und einem ganz speziellen Charme ausgestattet, verfolgte er seine Ziele und erreichte praktisch alles, was er wollte. Dylan sah ihn als Vorbild und wurde ihm immer ähnlicher. Die beiden hatten einen guten Draht zueinander und kamen mir eher wie Brüder vor und nicht wie Onkel und Neffe.

Wenig später steckte Dylan das Handy weg und berührte mich am Oberarm. „Baby, es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich los.“ Er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und bedachte mich mit einem eindringlichen Blick. „Ich sag dir was. Reservier für heute Abend einen Tisch im Angelini. Wir essen eine Kleinigkeit, trinken ein Glas Wein und unterhalten uns in Ruhe. Dabei klären wir alles und dann fangen wir nochmal bei null an. Wie findest du das?“

„Das wäre schön“, antwortete ich, wieder weich geworden. Ich konnte ihm einfach nicht widerstehen.

„Bis heute Abend“, flüsterte er und küsste mich zart auf den Mund.

Als er weg war, machte ich mich fertig für die Arbeit und schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht gelang es uns am Ende doch, die Differenzen aus der Welt zu schaffen. Nach der Dusche zog ich eine dunkelblaue Jeans und eine passende taillierte Bluse aus dem Schrank. Wenig später, schnappte ich mir die Handtasche und stieg in meinen Chrysler, um zur Arbeit zu fahren. Sobald ich den öffentlichen Parkplatz schräg gegenüber vom Verlagsgebäude erreichte, sah ich schon vom Wagen aus die schlanken Umrisse meiner Kollegin Daisy, die vor dem Eingang stand und in ihrer riesigen Umhängetasche herumkramte. Vermutlich suchte sie wieder ihr Handy. Grinsend zog ich den Schlüssel ab und stieg aus. Während ich auf sie zulief, betrachtete ich das vierstöckige Gebäude mit den ungefähr 1500 m² Nutzfläche. Der Verlag war nicht riesig, nicht zu vergleichen mit Harper Collins oder anderen Häusern, doch wir spielten durchaus eine tragende Rolle.

Daisy durchsuchte immer noch ihre Tasche, als ich mich ihr näherte.

„Probleme?“, sagte ich anstatt einer Begrüßung.

Sie sah auf und der mürrische Zug um ihren hübschen Mund verschwand, sobald sie meiner ansichtig wurde. „Hey, du bist ja auch schon da!“

Sie schob den Henkel der Tasche höher und seufzte. Ihre grauen Augen blickten betrübt drein. „Ich fürchte, ich habe mein Handy auf dem Küchentisch liegen lassen. Ich kann es nicht finden, und du weißt doch, wie ich mich dann fühle.“

„Als wärst du komplett von der Außenwelt abgeschnitten“, betete ich pflichtschuldig herunter und verkniff mir ein Lachen.

„Grins nicht so. Es ist wirklich traumatisch, auch nur wenige Stunden ohne Snapchat, Twitter, Instagram und Co. auskommen zu müssen“, meinte sie schmollend.

Sie schob sich eine Strähne ihres überlangen Pony hinters Ohr. Ich hakte mich bei ihr unter. „Du wirst es überleben. Jackson sieht es sowieso nicht gern, wenn wir ständig mit dem Telefon rumspielen. Und wir wollen den guten Mr. Whitmore doch nicht verärgern.“

Ich winkte Stanley zu, während wir die kurze Strecke zum Aufzug zurücklegten. Daisy drückte auf den Knopf, um den Aufzug herunterzuholen.

„Was ist denn mit dir über Nacht passiert?“, fragte sie mit einem kurzen Seitenblick auf mich. „Woher kommt plötzlich die gute Laune?“

Sie wusste von meinen Problemen mit Dylan und meine Gemütsverfassung war in den letzten Wochen wirklich nicht die beste gewesen. Ich war also nicht überrascht über ihr Erstaunen. Ich setzte sie mit der Kurzversion der Ereignisse ins Bild und auch über meine Pläne für den heutigen Abend. Man konnte Daisy beim besten Willen nicht als Dylans größten Fan bezeichnen und daher rümpfte sie empört die Nase, als ich ihr vom belauschten Telefonat erzählte.

„Wieso machst du es ihm so leicht?“

Sie trat nach mir in den Aufzug. Ohne sie anzusehen, drückte ich auf den Knopf und es ging nach einem kleinen Ruck aufwärts. Ihre kritische Haltung Dylan gegenüber war mir unangenehm, auch wenn ich sie nachvollziehen konnte. Immerhin war sie diejenige, bei der ich mich ausheulte, wenn mein Mann mich zu sehr vernachlässigte. „Ich liebe ihn und sein Verhalten hat ihm wirklich leidgetan“, verteidigte ich Dylan. „Er steht enorm unter Druck. Wie könnte ich ihn da mit unangemessenen Forderungen belasten?“

„Unangemessen?“ Daisy schüttelte energisch den Kopf, sodass ihr schulterlanges Haar wild hin und her flog. „Julie, du willst einfach nicht ständig beiseite geschoben werden. Daran ist überhaupt nichts unangemessen. Er ist derjenige, der Mist baut. Nicht du. Vergiss das bitte nicht.“

Sie hatte ja recht. „Das werde ich nicht. Okay. Er hat endlich gemerkt, in welche Richtung wir steuern und heute Abend könnte ein Neustart für uns sein. Bitte sag, dass du es verstehst.“

Daisys kämpferische Miene wurde merklich weicher. „Klar, tu ich das. Ich will nur nicht, dass dir wehgetan wird, und Dylan hat sich in den letzten Monaten nicht gerade wie ein Vorzeigeehemann verhalten. Versuch einfach, dich nicht von ihm überrumpeln zu lassen und sei nicht zu nachgiebig. Der Kerl soll sich gefälligst ein bisschen für dich ins Zeug legen.“

Das klang so leicht, wenn sie das sagte. Ich rang mir ein Lächeln ab und nickte. „Ich werd’s versuchen.“

Der Aufzug hielt im dritten Stock und wir traten in einen langen Flur. Seite an Seite marschierten wir über den dunkelgrünen Teppich in unser Büro.

„Soll ich uns einen Kaffee holen?“, fragte ich, bevor wir uns an unsere Rechner setzten. Daisy nickte und daher eilte ich in den Gemeinschaftsraum mit der kleinen Küche. Es dauerte dank des Vollautomaten keine drei Minuten, bis ich wieder zurückkam und Daisys Tasse neben ihrer Tastatur abstellte. „Hier, für dich.“

„Danke.“ Sie lächelte zu mir hoch und konzentrierte sich dann wieder auf ihr Manuskript. Bevor ich mich an die Arbeit machte, reservierte ich online noch den Tisch für mich und Dylan in unserem Lieblingslokal. Sobald die Buchung bestätigt wurde, schickte ich Dylan eine Nachricht mit der Uhrzeit, auf die er nicht antwortete. Hatte ich auch nicht erwartet.

Anschließend vertiefte ich mich in das Manuskript, das ich derzeit editierte. Circa eine Stunde später schneite unser Boss höchstpersönlich herein. „Guten Morgen, die Damen. Immer fleißig wie ich sehe.“

Jackson lehnte mit verschränkten Armen an der Tür und lächelte zurückhaltend. Ein Sonnenschein war er nicht gerade, er blieb jedoch immer freundlich und fair. Ich bemühte mich redlich ein amüsiertes Grinsen zu unterdrücken, wegen Daisys verklärtem Gesichtsausdruck. Das Mädchen war total verknallt in Jackson, schon seit dem ersten Tag, an dem er hier aufgetaucht war und nach dem Tod seines Vaters die Zügel in die Hand genommen hatte. Manchmal tat sie mir leid deswegen, da sie so gar nicht seinem bevorzugten Frauentyp entsprach. Groß, mit endlosen Beinen und wenn möglich blond oder rothaarig. Da fiel sie mit ihren gerade mal 1,57 Meter total aus dem Rahmen und auch ihre rabenschwarze Mähne entsprach wohl eher nicht seinem Geschmack. Das nagte fürchterlich an ihr. Jackson blieb unerreichbar, trotzdem schmachtete sie ihn unbeirrt an und gab die Hoffnung nicht auf. Er sah aber auch wirklich gut aus. Dichtes hellbraunes Haar, kombiniert mit blitzenden blauen Augen. Vielleicht war es ganz gut, dass er so weit über ihrer Liga spielte. Selbst wenn er eines Tages Interesse zeigte, würde es wohl nicht von Dauer sein. Am Ende würde er ihr nur das Herz brechen und sie verdiente etwas besseres, als nur eine von vielen zu sein. Und doch bildete ich mir ab und an ein, ein liebevolles Funkeln in seinen Augen zu entdecken, wenn sie ihm stotternd vor Verlegenheit über den Stand ihrer Arbeit in Kenntnis setzte. Dabei war sie sonst überhaupt nicht schüchtern. Nur bei ihm verschlug es ihr regelmäßig die Sprache. Natürlich hütete ich mich davor, ihr von diesen Blicken zu erzählen. Das hätte nur Hoffnungen in ihr geweckt und wirklich sicher war ich mir nicht.

„Ich denke, ich werde pünktlich vor der Deadline abgeben können“, antwortete ich, während Daisy mit roten Wangen auf ihren Bildschirm starrte.

„Freut mich zu hören, Mrs. Cage.“

Obwohl er mit mir sprach, sah er rüber zu Daisy und erneut zeigte sich dieser warme Ausdruck auf seinem Gesicht. Interessiert sah ich zu, wie er zu ihr ging und sich über ihre Schulter beugte, den Blick auf ihren Bildschirm gerichtet. So langsam bekam ich den Eindruck, dass er das absichtlich machte, um sie zu verunsichern oder aus der Reserve zu locken. Mir sah er nie über die Schulter.

„Wie sieht’s bei Ihnen aus, Daisy?“, fragte Jackson und sah von oben auf sie herab. „Schaffen Sie den Termin?“

Daisy zuckte zusammen und versteifte sich. Ich seufzte und litt mit ihr. Im Gegensatz zu mir hatte sie aktuell einen besonders schwierigen Text zu bearbeiten. Der Autor war unfassbar talentiert, mit irren Ideen und Wendungen in seinen Geschichten, dafür aber sehr chaotisch in seiner Schreibweise. Man musste zuerst eine gewisse chronologische Ordnung in den Text bringen, bevor es an die tatsächliche Arbeit ging. Daisy, die mit einem absoluten Sprachgefühl gesegnet war und einem scharfen Sinn für einleuchtende, ineinandergreifende Logikstränge, war die Einzige, die mit ihm klarkam und sich auch traute, in den Text einzugreifen, wo es nötig wurde. Dabei vermied sie es peinlich genau, dem Roman ihren eigenen Stempel aufzudrücken und so die Arbeit des Autors abzuwerten.

„Also … ich … ich denke schon.“

Ihre Wangen sahen mittlerweile aus, als stünden sie in Flammen. Ein leises Lachen entfuhr ihm und er zwinkerte ihr zu. Was war denn das? Daisy sah auf jeden Fall so aus, als würde sie jeden Moment wegen akutem Sauerstoffmangel in Ohnmacht fallen.

„Nun, dann will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten.“

Nach einem letzten tiefen Blick in Daisys Augen, verschwand er und sie legte stöhnend die Stirn auf der Tischplatte ab.

„Ich bin ja so dämlich“, jammerte sie. „Da ist er mal nett zu mir und ich stottere herum, wie eine Vollidiotin.“

„Mach dir nichts draus. Ich glaube, er fand es niedlich.“

Sofort hellte sich ihr Blick auf und sie sah in meine Richtung. „Meinst du?“

„Ganz bestimmt“, erwiderte ich überzeugt. „Glaub mir, der Kerl findet dich süß.“

Julie, du wolltest ihr doch keine Hoffnungen machen,.

„Ach was!“ Sie verzog mit einem Ausdruck von Resignation den Mund. „Wahrscheinlich hat er einfach Mitleid, weil man mir auf zehn Meilen Entfernung ansieht, wie verknallt ich in ihn bin.“

Ich erwiderte nichts darauf, da sie wohl gar nicht so daneben lag mit ihrer Einschätzung. Zwischen Sympathie und Mitleid lag nur eine schmale Grenze.

Der Rest des Tages verlief ereignislos. Ich schaffte es, mein Manuskript an die Autorin zurückzuschicken und nach einem kurzen Plausch mit den zwei Kolleginnen aus der Buchhaltung fuhr ich heim, um mich für den Abend mit Dylan hübsch zu machen. Ich wählte ein auf Figur geschnittenes dunkelblaues Kleid, da er die Farbe an mir mochte und schminkte mich aufwendiger als sonst. Da ich rechtzeitig losfuhr, saß ich pünktlich um zwanzig Uhr im Restaurant und wartete auf Dylan.  Es wäre auch zu schön gewesen, wenn er es heute pünktlich zu unserer Verabredung geschafft hätte. Sozusagen als Zeichen seines guten Willens, mich in Zukunft etwas mehr wertzuschätzen. Trotzdem nahm ich es ihm nicht übel. Dylan trudelte öfter einige Minuten später ein, daher machte ich mir keine Sorgen und bestellte mir einen Aperitif, um mir die Wartezeit zu verkürzen. Als er um einundzwanzig Uhr immer noch nicht da war und ich auch keine Nachricht von ihm erhalten hatte, die seine Abwesenheit erklärte, fragte mich der Kellner, ob ich schon bestellen wolle. Fest überzeugt davon, dass er noch kommen würde, lehnte ich ab und versuchte ihn auf seinem Handy zu erreichen, als im Büro niemand ranging. Fehlanzeige. Irgendwann wurde ich nur zur Mailbox umgeleitet und nach einer weiteren halben Stunde, wurde mir klar: Er würde nicht kommen. Unser erster gemeinsamer Abend seit Wochen und er ließ mich hier einfach sitzen. Ich fühlte mich wie eine Vollidiotin, weil mein Mann offensichtlich besseres zu tun hatte, als unsere angeknackste Ehe zu kitten. Ob er sich lieber mit Alicia vergnügte? Mein Blut schlug Blasen vor lauter Ärger und ich kippte den Inhalt meines Glases in einem Zug herunter. Momentan war ich zu wütend, um Kummer über diese erneute Zurückweisung zu empfinden und egal, was er als Entschuldigung vorbringen würde, um seine Abwesenheit zu erklären, dieses Mal würde das nicht reichen. Ich folgte einer plötzlichen Eingebung und rief bei uns daheim an. Vielleicht hatte er unsere Verabredung einfach vergessen und war schon längst dort. Der letzte Funke Hoffnung erstarb, als nach ewigem Klingeln, niemand abhob. Er war doch nicht etwa mit Alicia …

Nein! Die bloße Vorstellung ertrug ich nicht und so verdrängte ich die Bilder, die mir meine Fantasie vorgaukelte. Dylan in den Armen dieser Frau! Ich musste wohl etwas blass geworden sein, da der Kellner plötzlich neben mir stand. „Verzeihen Sie, geht es Ihnen nicht gut? Sie sehen ein wenig angegriffen aus“, erkundigte er sich besorgt.

Dank meiner von Natur aus sehr hellen Haut war es schon bemerkenswert, dass ihm das auffiel.

Anscheinend schenkt mir jeder mehr Beachtung als mein eigener Ehemann, dachte ich selbstmitleidig.

„Nein. . . nein, es ist alles in Ordnung“, antwortete ich gezwungen. Innerlich musste ich lachen. Nichts war in Ordnung! Rein gar nichts. „Leider ist meinem Mann etwas dazwischengekommen. Es tut mir unendlich leid, dass ich den ganzen Abend den Tisch blockiert habe.“

„Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Kann ich Ihnen vielleicht noch etwas bringen?“, fragte er freundlich und ich fühlte mich merkwürdig getröstet.

„Nein danke, ich werde jetzt gehen.“

Ich drückte dem Kellner ein mehr als großzügiges Trinkgeld in die Hand und verließ das Lokal. Draußen zog ich fröstelnd die Schultern zusammen. Die dünne Jacke war wahrlich nicht das richtige Kleidungsstück, für die kühleren nächtlichen Temperaturen. Aber ich hatte ja auch damit gerechnet, dass Dylan bei mir wäre, um mich zu wärmen.

Nicht nachdenken, Julie. Einfach nicht darüber nachdenken.

Meine Augen brannten vor Anstrengung, da ich krampfhaft die Tränen zurückhielt. Ich versuchte mich abzulenken, indem ich mich auf das klackernde Geräusch meiner Absätze konzentrierte, bis ich endlich am Auto war. Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis es mir gelang die Autoschlüssel aus meiner Handtasche zu fischen. Zitternd schloss ich den Wagen auf und sank dann völlig fertig in die weichen Ledersitze. Meine Stirn legte ich auf das Lenkrad und atmete tief ein und aus. Es dauerte Minuten, bis ich mich soweit im Griff hatte, um den Wagen zu starten. Einigermaßen gefasst fuhr ich aus der Parklücke und schlug gar nicht erst den Weg nach Hause ein, sondern fuhr geradewegs zu Alicias Wohnung. Da wir bei ihrer letzten Geburtstagsparty eingeladen gewesen waren, wusste ich genau, wo sie wohnte.

Sollte ich ihn wirklich bespitzeln? Das würde das endgültige Ende meines Vertrauens zu Dylan bedeuten. Kurz kam mir der Gedanke einfach umzudrehen, doch ich verspürte den übermächtigen Drang, herauszufinden, ob er bei ihr war. Schon bog ich die letzte Querstraße ein und biss mir die Zunge blutig, um den herausbrechenden Schluchzer herunterzuschlucken. Dylans Wagen war nicht zu übersehen, stand er doch direkt vor dem Eingang des Gebäudes, indem Alicia wohnte. Übelkeit stieg in mir hoch und hinterließ ein bitteres Gefühl in meiner Kehle. Mein Blick verschwamm, die Tränen ließen sich kaum noch aufhalten und doch drängte ich sie zurück. Nicht jetzt.

Mit quietschenden Reifen wendete ich mitten auf der Straße und fuhr heim. Als ich das Haus betrat, war es stockduster, daher nahm ich das Blinken des Anrufbeantworters besonders deutlich wahr. Die Hand ausstreckend, betätigte ich die Wiedergabetaste, und schon hörte ich Dylans Stimme.

„Julie, Alicia hatte im Büro einen Schwächeanfall und ich musste sie nach Hause bringen. Solltest du versuchen, mich auf dem Handy zu erreichen, wirst du keinen Erfolg haben. Ich hab das blöde Ding irgendwo verloren und deine neue Handynummer nicht im Kopf. Es tut mir unendlich leid, Baby, dass es wieder nicht geklappt hat. Aber ich werde es wieder gutmachen, das verspreche ich dir hoch und heilig. Sobald ich Alicia versorgt habe, komme ich nach Hause. Ich liebe dich!“

Mit dem Rücken an der Wand, ließ ich mich langsam zu Boden sinken. Alicia, Alicia und immer wieder Alicia. Hatte sie denn niemanden, der sich um sie kümmern konnte? Dylan schien sich wirklich um jeden zu sorgen, nur nicht um mich. Eine Träne rann mir über die Wange und ich wischte sie mit dem Handrücken weg. Die Geschichte mit dem Schwächeanfall konnte er sich sonst wohin stecken. Das war doch eine lahme Ausrede. Er hätte ja auch einfach im Angelini anrufen können, doch das hatte er sich wohl nicht getraut. Stattdessen ließ mich der Feigling lieber zwei Stunden lang im eigenen Saft schmoren. Mir konnte niemand weismachen, dass es solange dauerte, sich um eine unpässliche Kollegin zu kümmern. Mittlerweile war es fast dreiundzwanzig Uhr und er war immer noch nicht hier. Dylan wollte einfach keine Zeit mit mir verbringen. So sah es doch aus.

Mein Körper krampfte, weil ich so zitterte. Eine wahre Sintflut an Tränen strömte nun aus meinen Augen, solange, bis nur noch von Zeit zu Zeit ein trockenes Schluchzen aus meinem Mund herausbrach. Teilnahmslos saß ich auf dem Boden. Irgendwann rappelte ich mich mühsam auf, ging in unser Schlafzimmer und zog meinen Koffer aus dem Ankleideschrank. Mir reichte es. Egal, wie sehr ich ihn liebte, wenn ich jetzt nicht handelte, würde ich eines Tages als rückgratloses Elend enden und meine Tage damit zubringen, mich selbst von der Liebe meines Mannes zu überzeugen, während er sich anderweitig beschäftigte.

Ich packte nur das Nötigste ein, da ich nicht wusste, ob ich dieses Haus wirklich für immer verlassen würde. Insgeheim hoffte ich ja doch, dass sich alles als riesengroßer Irrtum herausstellte und Dylan eine plausible Erklärung vorbringen konnte, wieso er sich so lange in Alicias Wohnung aufgehalten hatte.

Sei keine naive Gans. Ist doch klar, dass er sie vögelt. Von wegen Schwächeanfall. Die hat höchstens weiche Knie von seinen Küssen.

Nur daran zu denken, wie sie in seinen Armen lag, fühlte sich an, als würde ich innerlich sterben. Schluchzend zog ich den Reißverschluss der Reisetasche zu und sah mich blinzelnd um. Es fiel mir schwer, mein Zuhause zu verlassen. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, aus vier Wänden und einem Dach ein richtiges Heim zu machen. Einen Rückzugsort, an dem wir uns vor der Welt verstecken und ganz für uns sein konnten. Nur hatte der Plan einen Haken, den ich nicht bedacht hatte: Er wollte das gar nicht. Dylan strebte nach dem Rampenlicht, sehnte sich danach, eine ganz große Nummer zu werden. Ich fiel zurück und schlussendlich hatte mich Alicia überholt und jagte an seiner Seite die Karriereleiter hinauf. Selbst wenn er nicht mit ihr ins Bett stieg, wer sagte mir, dass er mich eines Tages nicht leid wurde, weil ich nicht so glamourös und sexy daherkam, wie die Frauen mit denen er tagtäglich zusammenkam. Kolleginnen, gegnerische Anwältinnen, Mandantinnen. Möglicherweise würde er sein Ego pushen, indem er Affären mit Frauen begann, die dem erfolgreichen und eiskalten Anwalt mit bewundernden Augen direkt in sein Bett folgten.

Stockend atmete ich ein und schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Ich schnappte über. Definitiv. Bis jetzt hatte ich noch keinen Beweis für seine Untreue, egal wie belastend die Umstände auch sein mochten. Es war nicht fair von mir, ihn vorauseilend zu verurteilen, allerdings hatte ich auch nicht die Kraft, ihm heute noch gegenüberzutreten, sollte er sich doch noch daran erinnern, dass er eine Ehefrau besaß, die er angeblich so sehr liebte. Bei Daisy würde ich erst einmal Unterschlupf finden.

Etwas später klingelte ich an ihrer Tür. Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe sie mir öffnete. Ich musste sie aus tiefem Schlaf geweckt haben, denn ihre Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und ihre Augen wirkten klein und wahnsinnig müde. Sobald sie meiner ansichtig wurde, weiteten sich ihre Pupillen. „Julie, was in aller Welt tust du hier um diese Zeit?“

Den Blick nach unten senkend, bemerkte sie die beiden Koffer zu meinen Füßen. Ihr Blick ruckte hoch und jetzt registrierte sie auch meinen aufgelösten Zustand.

„Kann … kann ich für ein paar Tage bei dir bleiben?“, flüsterte ich kläglich.

Meine Stimme klang fremd und rau vom vielen Weinen. Pure Anteilnahme breitete sich auf Daisys Zügen aus und sie trat einen Schritt zurück, um mich reinzulassen. „Der Abend mit Dylan ist wohl nicht so gelaufen wie geplant“, fragte sie behutsam und schloss die Tür hinter mir.

Ich schüttelte den Kopf und drehte mich ihr zu. Ihre Mimik verzerrte sich vor Wut. „Der Mistkerl, was hat er jetzt schon wieder angestellt?“

Mir war so elend zumute, ich konnte nur hilflos mit den Schultern zucken.

Schweigend breitete meine Freundin die Arme aus und ich ließ mich einfach hineinfallen. Endlich fand ich die Sprache wieder. „Oh Daisy“, murmelte ich bekümmert, „er ist nicht gekommen. Er hat mich einfach versetzt. Wegen Alicia.“

Langsam wurde mir das ganze Ausmaß der Situation klar. Wenn er so einen wichtigen Abend platzen ließ – immerhin musste ihm klar gewesen sein, wie viel auf dem Spiel stand - dann war die Kluft zwischen uns tiefer, als ich angenommen hatte.

Meine Freundin zog mich an der Hand ins Wohnzimmer und parkte mich auf dem Sofa. „Du wartest hier. Ich mach dir eine heiße Schokolade und dann unterhalten wir uns in aller Ruhe.“

Sie verschwand für ein paar Minuten in der Küche und kam kurz drauf mit einer Tasse zurück. Mit mitfühlender Miene setzte sie sich zu mir auf die Couch und ergriff meine Hand.

„So, und jetzt erzählst du Tante Daisy, was zur Hölle, heute Abend abgelaufen ist.“

Ich seufzte und begann zu sprechen.

Dylan

Nachdem ich Alicia versorgt hatte, fuhr ich so schnell ich konnte nach Hause, denn im Restaurant hatte ich Julie nicht mehr angetroffen. Natürlich nicht. Selbst sie saß nicht fast drei Stunden an einem leeren Tisch, um auf mich zu warten. Meine Abwesenheit konnte ich nicht mit einer simplen Entschuldigung aus der Welt schaffen und mein Magen schnürte sich beim Gedanken an sie zusammen.

Leider war heute einer dieser Tage gewesen, an denen alles schief ging. Erst verschwand mein Handy spurlos und zu allem Überfluss verdichteten sich meine Zweifel an der Unschuld meines Mandanten. Der neue Zeuge belastete Malloy schwer und die Blicke der Geschworenen wurden immer missbilligender, je weiter der Prozess voranschritt. Das Ganze war eine absolute Katastrophe und ich würde all mein Geschick einsetzen müssen, um ihn da wieder rauszupauken. Nach diesem lauten und hektischen Tag hatte ich mich wahnsinnig auf den gemeinsamen Abend mit Julie gefreut. Vor allem, weil sie sich so vernachlässigt fühlte, konnte ich es kaum erwarten, sie von ihrer Wichtigkeit in meinem Leben zu überzeugen. Momentan hatte sie es nicht leicht. Sie fühlte sich einsam, dennoch ärgerte es mich, dass sie mir wegen Alicia ständig Vorhaltungen machte und mir sogar zutraute, sie zu betrügen.

Ja, Alicia war wunderschön und stand mir näher, als es unter Kollegen üblich war. Ich konnte mich nur mit ihr über bestimmte Fälle austauschen und das schuf eine gewisse Vertrautheit. Julie, die sehr sensibel auf ihre Umwelt reagierte, spürte das und begriff auch, wie ähnlich Alicia und ich tickten. Sie liebte ihren Beruf als Anwältin ebenso leidenschaftlich wie ich und investierte viel Zeit und Energie in ihre Arbeit. Trotzdem hatte ich keine Affäre mit ihr. Wenn ich mir gegenüber ganz ehrlich war, hatte es da schon den ein oder anderen Moment gegeben, an dem ich in Versuchung geraten war, einen Schritt weiter zu gehen und diese Beziehung in eine intimere Richtung zu führen. Meist dann, wenn Julie und ich mal wieder gestritten hatten und ich mich unverstanden fühlte. Alicia hatte mir des Öfteren suggeriert, dass sie mich nicht von der Bettkante schubsen würde. Bisher war ich dieser Versuchung nicht erlegen, ein bisschen Verstand besaß ich glücklicherweise noch und ich weigerte mich, meine Ehe zu gefährden und Julies Herz zu brechen. Allein der Gedanke daran, wie sie sich fühlen würde, sollte ich ihr Vertrauen derart missbrauchen, hinderte mich daran, eine große Dummheit zu begehen. Daran änderte auch die zunehmende Entfremdung zwischen uns nichts. Wir würden einen Weg finden, um unsere Schwierigkeiten zu überwinden. Ich musste nur endlich diesen verdammten Prozess hinter mich bringen, danach konnte ich mich auch wieder mehr auf meine Ehe konzentrieren.

Ja klar, lästerte meine innere Stimme. Lächerliche Ausreden, es wird immer einen Malloy geben, den du vertreten musst. Irgendwann wirst du dich entscheiden müssen. Julie oder deine Karriere.

Ich hasste es, wenn sich mein Verstand einschaltete, sobald es um meine Eheprobleme ging. Die Wahrheit war, dass wir uns in dermaßen unterschiedliche Richtungen entwickelt hatten, dass ich insgeheim nicht sicher war, ob wir unsere Ehe wirklich retten konnten. Ich wollte mir einen Namen machen, Geld verdienen, Erfolge feiern. Sie war noch immer das süße Mädchen von nebenan, mit einem großen Herzen, mit Idealen und Träumen. All das hatte in den Kreisen, in denen ich mich bewegte, keinen Platz und das Wissen machte mich fertig, weil ich sie auf keinen Fall verlieren wollte. Nur wie sollte ich die beiden Welten vereinen?

Die Antwort blieb ich mir selbst schuldig und doch würde ich mir eher die Hand abhacken, bevor ich ihr bewusst wehtat, egal, wie groß die Versuchung auch manchmal war. Trotz unserer Probleme liebte ich Julie mehr als ich in Worte fassen konnte, nur manchmal vergaß ich wie viel wir einander bedeuteten und wie sehr ich sie begehrte. Auch nach zehn Jahren Beziehung fand ich sie unglaublich sexy. Ihr seidiges, braunes Haar, die großen saphirblauen Augen und dieser zierliche, wohlproportionierte Körper verfehlten ihre Wirkung nie auf mich. Für mich war sie das Kostbarste, was ich im Leben hatte. Sie war nicht nur meine Geliebte, sondern auch meine beste Freundin, die ich sträflich vernachlässigt hatte, das konnte ich nicht leugnen. Auf einmal konnte ich es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und ihr zu zeigen, wie sehr ich sie vermisste. Uns vermisste. Klar, sie würde mich erst einmal runterputzen, was ich auch verdiente. Ich würde es wie ein Mann ertragen und sie anschließend um den Verstand küssen. Das war der Plan.

Es dauerte nicht lange, bis ich endlich am Ziel war und ins Haus stürmte. Die Lichter waren aus, sie schlief vermutlich schon. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief ich über die Treppe nach oben, drosselte jedoch auf dem Gang mein Tempo. Schließlich wollte ich sie nicht zu Tode erschrecken, indem ich wie ein Sondereinsatzkommando des FBI ins Zimmer platzte. Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat ein. Das Licht vom Gang schien in den Raum und ich sah sofort, dass sie nicht im Bett lag.

Bestürzt schaltete ich das Licht an und entdeckte sofort den Brief, der an meiner Nachttischlampe lehnte. Ich schluckte das ungute Gefühl, das in mir aufstieg herunter und nahm ihn an mich. Schon die ersten Zeilen zeigten, wie sehr ich es verbockt hatte. Die Anrede, liebster Dylan, hatte sie durchgestrichen, stattdessen stand dort: Du selbstsüchtiges Arschloch! Oh fuck. Ich schluckte und las weiter.

Es wäre besser, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen, da ich mir über einige Dinge klar werden muss. Ich hätte dir meine Gedanken und Gefühle gerne persönlich mitgeteilt, aber du warst wie üblich unabkömmlich. Vielleicht solltest du die Zeit nutzen und darüber nachdenken, ob ich noch die Frau bin, mit der du dein Leben teilen willst. Im Moment glaube ich nicht daran.

Julie

Erschüttert ließ ich den Brief sinken und musste mich erst mal setzen. Mein Herz hämmerte hektisch, meine Hände zitterten und mit einigen Sekunden Verspätung begriff ich, dass ich es zu weit getrieben hatte und mit arroganter Selbstverständlichkeit angenommen hatte, mir alles erlauben zu können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Nun wurde ich brutal eines Besseren belehrt. Julie hatte die Schnauze voll von Versprechungen, die ich nie einhielt, weil mir alles wichtiger war als sie. Zumindest in ihrer Wahrnehmung.

Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen? Nun stand ich kurz davor, meine Ehe endgültig in den Sand zu setzen und Julie für immer zu verlieren.

Wie vom Katapult abgeschossen sprang ich auf, ihr Brief zerknitterte, während ich die Fäuste ballte und mir schwor, das niemals zuzulassen. Immerhin war ich ein Cage und die gaben niemals her, was ihnen gehörte. Julie war mein und ich gehörte ihr. Es wurde Zeit, endlich danach zu handeln und meine Frau zurückzuerobern. Und danach, das schwor ich mir, würde nicht mal mehr ein Blatt Papier zwischen uns Platz finden.

Kapitel 2

Julie

„Guten Morgen! Frühstück ist fertig und die Arbeit ruft.“

Brummend kehrte ich Daisy und ihrer widerlich guten Laune den Rücken und presste das Gesicht ins Kissen, nicht bereit, den neuen Tag mit all seinen Konsequenzen und Problemen zu begrüßen.

Daisy zupfte an meinem Schlafshirt. „Hey, nicht einschlafen. Wir müssen bald los und wenn du nicht in totale Hektik verfallen willst, solltest du deinen niedlichen Hintern aus dem Bett schwingen.“

Verschlafen setzte ich mich auf und schielte auf die Uhr. Stöhnend ließ ich mich zurück aufs Kissen sinken. „Daisy, es ist noch mitten in der Nacht!“

Es war erst halb sieben. Noch über eine Stunde Zeit, um sich auf den Weg zu machen. Wenn ich mich beeilte, benötigte ich allerhöchstens zwanzig Minuten, um mich fertigzumachen.

„Ach was, stell dich nicht so an! Ich hab Frühstück vorbereitet. Nach der ganzen Heulerei gestern, brauchst du was Anständiges im Magen. Der Nährwert der Schokolade, die du gestern vertilgt hast, war doch gleich Null. Also, husch, husch, raus aus den Federn.“

Ich kapitulierte vor dermaßen viel Energie und Fröhlichkeit und kroch aus dem Bett, nicht ohne einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die kuschelige Decke zu werfen, unter der man sich so prima vor der Welt verstecken konnte. Ein bisschen wacklig auf den Beinen, tapste ich ins Bad. Dafür benötigte ich nur wenige Schritte. Die Wohnung war wie Daisy selbst. Winzig.

Ein Blick in den Spiegel ließ mich zurückschrecken. Ich sah aus wie der Tod auf Raten. Bleiches und fleckiges Gesicht, meine Augenlider waren geschwollen und da ich in der letzten Zeit nur wenig Appetit verspürt und zu viel abgenommen hatte, wirkte ich hohlwangig und alles andere als attraktiv.