Always only you - Vivian Hall - E-Book

Always only you E-Book

Vivian Hall

0,0
3,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Können aus besten Freunden auch Liebende werden? Kelly und Josh sind seit frühester Kindheit eng miteinander verbunden. Seelenverwandte, die täglich eine Dosis vom anderen brauchen, um glücklich zu sein. Nur als Mann für gewisse Stunden kommt er nicht in Frage, bis Kelly feststellen muss, dass auch sie nicht immun ist, gegen Joshs rauen Sexappeal. Verzweifelt versucht sie die neuen Gefühle für ihn zu ignorieren, außerdem ist Josh längst vergeben und will seiner eingebildeten Freundin Vanessa einen Heiratsantrag machen. Wird es für Kelly trotzdem ein Happy End geben?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Leseprobe Salvation: Brennende Herzen

Always only you

Vivian Hall

© 2020 Vivian Hall

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.weebly.com)

Korrektorat: Karin Ehrle

Impressum: Vesna Coenen, Höhenstr. 40, 89584 Ehingen

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin weitergegeben werden.

Inhaltsangabe:

Können aus besten Freunden auch Liebende werden? Kelly und Josh sind seit frühester Kindheit eng miteinander verbunden. Seelenverwandte, die täglich eine Dosis vom anderen brauchen, um glücklich zu sein. Nur als Mann für gewisse Stunden kommt er nicht in Frage, bis Kelly feststellen muss, dass auch sie nicht immun ist, gegen Joshs rauen Sexappeal. Verzweifelt versucht sie die neuen Gefühle für ihn zu ignorieren, außerdem ist Josh längst vergeben und will seiner eingebildeten Freundin Vanessa einen Heiratsantrag machen. Wird es für Kelly trotzdem ein Happy End geben?

Neuauflage nach Rechteübergabe vom ursprünglichen Zweiteiler „Immer nur du“, hier als Gesamtausgabe.

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Leseprobe Salvation: Brennende Herzen

Vorwort

In irgendeiner Frauenzeitschrift stand einmal geschrieben, Männer und Frauen könnten nicht befreundet sein, weil sie sich früher oder später immer als potenzielle Sex- und Fortpflanzungspartner ansehen würden. Es war sozusagen ein von der Natur vorgegebener Code, dem man sich nicht entziehen könnte. Ich hielt diese Behauptung für ausgemachten Schwachsinn, schließlich erbrachte ich bereits mein ganzes Leben lang den Gegenbeweis für diese Theorie.

Bis ich eines Tages einsehen musste, dass der Bericht durchaus der Wahrheit entsprach. Der Grund für meinen Meinungsumschwung hieß Josh Whittaker. Dieser Kerl war seit über zwanzig Jahren mein bester Freund und Seelenverwandter. Wir teilten alles miteinander. Geheimnisse gab es zwischen uns nicht. Er kannte sogar das Datum meiner ersten Periode, und dieses war ihm deswegen so gut im Gedächtnis geblieben, weil er damals für mich den Unterricht geschwänzt hatte, um mir eine Packung Tampons zu besorgen, während ich fassungslos und bitterlich heulend (ich war zu dem Zeitpunkt gerade mal zwölf Jahre alt und gar nicht darauf vorbereitet, schon so früh zur Frau zu werden) auf der Schultoilette saß. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, mit ihm ins Bett zu steigen, um unsere einzigartige und bis dato strikt platonische Beziehung durch etwas so profanes wie Sex zu ruinieren. Eher hätte ich mit einem stumpfen Messer Harakiri begangen oder mich während meiner Monatsblutung freiwillig in ein Haifischbecken geworfen.

Abgesehen von meinem Wunsch, meine Freundschaft zu Josh zu bewahren, gab es noch einen Grund, seine optischen Vorzüge zu ignorieren. Josh war seit etlichen Monaten in festen Händen und schwer verknallt in eine superblonde und superblöde Stewardess namens Vanessa Larson. Ein Umstand, der mich zuerst nicht weiter gestört hatte. Josh hatte schon vor ihr in puncto Frauen nichts anbrennen lassen. In seinem Leben gingen sie ein und aus, ich hatte im Scherz immer gesagt, er hätte eine Drehtür im Schlafzimmer, doch keine hatte je sein Herz erobern können. Erst Vanessa war es gelungen, ihm völlig den Kopf zu verdrehen. Die immer stabiler und inniger werdende Beziehung zu ihr machte mich mittlerweile sehr nachdenklich und – ich konnte es irgendwann nicht mehr leugnen – auch wahnsinnig eifersüchtig. Plötzlich war ich nicht mehr die Nummer Eins in Joshs Leben, das machte mir mehr aus, als ich mir anfangs eingestehen wollte, und als ich Vanessa mit der Zeit näher kennenlernte, war der Ofen ganz aus. In meinen Augen war sie nichts weiter als ein intrigantes, übermäßig verwöhntes Biest und der Stachel in meinem Fleisch. Ich traute ihr nicht weiter, als ich sie werfen konnte, musste jedoch zugeben, dass sie ziemlich heiß aussah. Stets perfekt gestyltes Haar, eine schlanke, gut proportionierte Figur und unter Garantie operierte Möpse. Neben ihr sah sogar die amtierende Schönheitskönigin unserer Stadt aus wie ein unscheinbares Mauerblümchen. Leider konnte Vanessas Charakter nicht mit ihrer äußerlichen Perfektion mithalten, und dass Josh sein Herz an so ein eingebildetes Biest verloren hatte, machte mich schlicht und ergreifend krank.

Dinge ändern sich, Menschen ebenfalls. Auch meine Freundschaft zu Josh erlebte eine Metamorphose und ich beobachtete voller Sorge, wie er sich immer mehr von seiner Vanessa beeinflussen ließ. Es gelang mir einfach nicht, mich für ihn zu freuen. Ich wünschte ihm eine liebevolle Frau, ein paar süße Kinder und ein glückliches Leben. Niemand verdiente es mehr als Josh, doch ich erkannte leider viel zu spät, dass ich die Frau sein wollte, mit der er all das teilen sollte.

Kapitel 1

„Popcorn, Chips, Schokoriegel …“

Während ich die Ausbeute aus meinen Schränken dokumentierte, packte ich alles auf ein Tablett und stellte es im Wohnzimmer auf dem niedrigen Holztisch vor meiner kuscheligen hellblauen Couch ab, die wunderbar zu der pastellblauen Tapete passte, die ich gemeinsam mit Josh an die Wände geklebt hatte. Danach richtete ich mich wieder auf, um in die Küche zurückzugehen und die Getränke zu holen. Auf dem Rückweg warf ich einen kurzen Blick auf die runde Uhr, die über dem Fernseher hing, und mein Herz schlug unwillkürlich schneller. Kurz vor zwanzig Uhr. Die Sonne war schon untergegangen und Josh würde jeden Moment an meine Tür klopfen.

Josh. Immer wenn ich an ihn dachte, erfasste mich ein wohliges Behagen. Ein bisschen so, als würde man nach einer langen Reise endlich nach Hause kommen. Ein vertrautes Gefühl, im Grunde nichts Besonderes, denn es begleitete mich schon mein ganzes Leben lang. Nur fühlte es sich heute viel intensiver an als sonst, irgendwie verwirrend und anders. Vielleicht lag es daran, dass ich trotz meiner Freude Josh nach fast zwei Wochen Abwesenheit wiederzusehen, ziemlich sauer auf ihn war. Er hatte eine KFZ-Messe in San Francisco besucht und war viel länger dort geblieben als ursprünglich geplant. Eigentlich wollte er drei Tage dort verbringen und nach seiner Rückkehr gemeinsam mit mir zum Campen fahren, um am Stausee von Sonoma Lake ein paar Tage auszuspannen. Für die meisten klang das sicher nicht sonderlich aufregend, doch ich hatte mich total darauf gefreut, ein bisschen Zeit mit meinem besten Freund zu verbringen, ohne dass die halbe Stadt uns ins Visier nahm und jeden unserer Schritte beobachtete und analysierte.

Man hätte meinen können, nach so vielen Jahren wären wir daran gewöhnt, dass einige Leute in uns das nächste Traumpaar sahen, doch seit meine Freundin und Chefin Shannon uns auf Teufel-komm-raus verkuppeln wollte, gingen uns die gut gemeinten Ratschläge und die Bemerkungen total auf die Nerven. Josh störte sich noch mehr daran als ich, auch wenn er sich nicht groß dazu äußerte. Doch allein die Anspannung in seinen Gesichtszügen, wenn wieder mal ein zweideutiger Kommentar fiel, sagte alles über seine Einstellung dazu aus. Fand er die Vorstellung mit mir zusammen zu sein, denn wirklich so schrecklich? Ein bisschen wurmte mich das schon, obwohl ich auch keine Ambitionen hegte, etwas an unserer Beziehung zu ändern. So wie es war, war es großartig. Sex hätte das nur ruiniert. Dennoch fühlte sich mein weibliches Selbstbewusstsein insgeheim angegriffen, obwohl ich das niemals zugegeben hätte.

Wie auch immer. Mein Urlaub mit Josh war ins Wasser gefallen und meine Enttäuschung über die kurz angebundene Absage per SMS setzte mir immer noch zu. Andererseits brach Josh sicher nicht grundlos sein Wort und deswegen hatte ich mir vorgenommen, ihn nach seiner Ankunft nicht mit Vorwürfen zu bombardieren. Stattdessen würde ich mir in Ruhe anhören, was er mir zu sagen hatte, und sollte seine Erklärung mich besänftigen, dann würde ich ihm doch nicht jedes Brusthaar einzeln mit einer Pinzette rausreißen, was ich ihm mal im Scherz angedroht hatte, sollte er mich jemals enttäuschen. Trotz meiner gegenwärtig widersprüchlichen Gefühle hatte ich ihn jeden einzelnen Tag fürchterlich vermisst und die Freude, ihn gleich wieder in die Arme schließen zu können, überlagerte zumindest im Moment meine Niedergeschlagenheit über den geplatzten Campingtrip. Schlussendlich musste ich seine Entscheidung akzeptieren, selbst wenn sie mir nicht gefiel, denn egal, wie nahe wir uns auch standen, wir waren kein Paar, sondern nur gute Freunde. Aber ohne Erklärung würde er mir nicht davonkommen.

Etwas besser gelaunt holte ich für mich eine Cola aus dem Kühlschrank und für ihn eine Dose Bier. Ich stellte die Getränke zu den anderen Sachen auf den Tisch und sah mich anschließend im Raum um. Ich hatte die Kekskrümel vom Vorabend vom Boden gesaugt, die unzähligen Zeitschriften, die sonst überall herumlagen, gestapelt und in der Holzkiste neben dem Bücherregal verschwinden lassen. Sogar die Kissen auf der Couch waren aufgeschüttelt und liebevoll drapiert, darüber hinaus hatte ich noch ein paar Blumen besorgt, die nun auf dem Esszimmertisch am Fenster standen und ein bisschen Farbe in mein Wohnzimmer brachten.

Pflanzen überlebten bei mir nur, wenn sie äußerst zäh und pflegeleicht waren und nicht viel Wasser benötigten. Aus diesem Grund besaß ich nicht sonderlich viele, und hätte sich Josh nicht hin und wieder erbarmt und sie gegossen, wären auch diese elendig verdorrt. So bekamen sie wenigstens ab und an ein bisschen Flüssigkeit ab.

Erneut sah ich zur Uhr. Es war mittlerweile nach zwanzig Uhr und von Josh fehlte jede Spur. Unsicherheit kroch in mir hoch. Ein Gefühl, das mir im Zusammenhang mit ihm völlig fremd war. Es war eine Mischung aus Besorgnis und Unbehagen, doch je weiter der Zeiger voranschritt, umso stärker ergriff es Besitz von mir, und das aus gutem Grund. Josh hasste Unpünktlichkeit und kam daher grundsätzlich etwas früher zu seinen Verabredungen, aber niemals zu spät. Ob er vielleicht gar nicht mehr auftauchte, weil er Schiss vor einer Standpauke hatte, nachdem er mich so hatte hängen lassen?

Nein! Josh ging niemandem aus dem Weg und trug seine Konflikte direkt mit den betreffenden Personen aus. Außerdem wusste er ganz genau, wenn er unseren Filmabend auch noch sausen ließ, würde es erst recht zu einem ernsthaften Krach kommen. Immerhin hatte diese wöchentliche Verabredung zwischen uns Tradition. Wir trafen uns bereits seit unserer Teenagerzeit jeden Mittwochabend und sahen uns gemeinsam einen Hollywoodstreifen unserer Wahl an.

Ein harmloses Vergnügen, mit dem wir uns damals die Zeit vertrieben hatten, da in einer Stadt wie Harmonville für Jugendliche nicht viel geboten wurde. Anfangs hielt sich die Begeisterung meiner Eltern darüber in Grenzen. Ich war fünfzehn und Josh hatte mit seinen siebzehn Jahren schon damals alles Kindliche hinter sich gelassen. Obwohl sie ihn liebten wie einen Sohn und ihm sogar mein Leben anvertraut hätten, galt das nicht für meine Jungfräulichkeit. Dabei hätten sie eigentlich am ehesten wissen müssen, dass Josh mich niemals für ein bisschen Spaß benutzt hätte. Schließlich waren wir Tür an Tür zusammen aufgewachsen und er war bei uns ein- und ausgegangen, als würde er zur Familie gehören. Doch sobald es um Sex ging, spielten auch meine Eltern verrückt.

Zum Glück mussten wir uns darüber keine Gedanken mehr machen. Mit meinen mittlerweile dreiundzwanzig Jahren war ich längst selbstständig und wohnte in meinen eigenen vier Wänden. Ich arbeitete als Kellnerin in Shannon Casparys Restaurant und kümmerte mich nebenbei um ihre Buchhaltung, da man vom Bedienen allein keine allzu großen finanziellen Sprünge machen konnte. In meinem Beruf als Buchhalterin fand ich keine Stelle in Harmonville und ich wollte auf gar keinen Fall wegziehen und meine Familie und meine Freunde wegen einer lukrativeren Arbeit zurücklassen. So begnügte ich mich mit einer Tätigkeit, die weit unter meinen eigentlichen Qualifikationen stand. Doch wie hieß es so schön: Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere. Bestimmt würde sich irgendwann eine berufliche Veränderung für mich ergeben, und bis dahin gab ich mich mit der aktuellen Lage zufrieden und machte das Beste daraus.

Ein erlösendes Klopfen holte mich aus meinen Gedanken. Gleich darauf hörte ich Joshs gedämpfte Stimme durch die Tür. „Hey, ich bin es. Lässt du mich rein?“

Zwar hatte ich mir vorgenommen, ihn ein wenig zappeln zu lassen, doch sobald ich ihn hörte, hielten mich nicht mal meine eigenen Vorsätze an Ort und Stelle. Ich rannte zur Tür und riss sie auf.

„Da bist du ja endlich“, begrüßte ich ihn und legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen. Er war so verdammt groß, neben ihm kam ich mir immer vor wie ein Zwerg. Obwohl das warme Glimmen in seinen hellgrünen Augen Wiedersehensfreude widerspiegelte, spürte ich eine gewisse Zurückhaltung bei ihm.

„Was ist, warum siehst du mich so komisch an?“, fragte ich geradeheraus.

Er räusperte sich und fuhr sich durchs mokkabraune Haar, ehe er mich leicht abschätzend ansah.

„Ich wundere mich nur ein bisschen über die freundliche Begrüßung. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass du mich vor der Tür stehen lässt oder mit einem Tritt auf die Straße beförderst“, sagte er schließlich und sah aus, als fühlte er sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut. Seine verhaltene Reaktion erinnerte mich daran, dass ich immer noch dezent sauer auf ihn war.

„Verdient hättest du es“, erwiderte ich ziemlich von oben herab.

Er seufzte. „Du bist also doch wütend.“

„Klar bin ich das! Wir wollten campen gehen, schon vergessen? Und dann bekomme ich eine lächerliche SMS mit einer Absage und du hast mir noch nicht mal den Grund dafür geschrieben. Ich hab mich auf die Tour gefreut, Josh. Und ich weiß, dass es dir genauso gegangen ist. Was war denn so wichtig, dass du mich so hast hängen lassen?“

„Kann ich erst mal rein?“

Der Zerknirschung in seinem Blick konnte ich nicht widerstehen und so trat ich beiseite. Nur wenige Sekunden später stand er in meinem Wohnzimmer und schien immer noch nicht so recht zu wissen, wie er mit mir umgehen sollte. Nun tat es mir leid, dass ich ihn so angefahren hatte, und meine kurzzeitig wiederbelebte Wut verpuffte. Obwohl ich darauf brannte, die Gründe für seinen verlängerten Trip nach San Francisco zu erfahren, wollte ich keine komische Stimmung zwischen uns aufkommen lassen und deutete auf seine leeren Hände. „Hast du die Filme nicht dabei?“

Falls ihn mein abrupter Themenwechsel überraschte, ließ er sich das nicht anmerken. „Sie liegen noch im Wagen. Ich war mir nicht sicher, ob wir sie überhaupt brauchen.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf zur Seite. „Weißt du, nach deiner SMS wollte ich dich eigentlich vor meiner Tür verrotten lassen, sobald du hier aufkreuzt, aber du bist nun mal mein bester Freund und egal, wie sauer ich auf dich bin, unseren Filmabend würde ich niemals sausen lassen.“

Ein amüsiertes Lächeln glitt über seine Lippen. „Dann hab ich also Narrenfreiheit, solange ich brav jeden Mittwochabend auf deiner Couch sitze?“

Böse funkelte ich ihn an und verkürzte den Abstand zwischen uns auf knappe zwanzig Zentimeter. Mit dem Zeigefinger stach ich ihm in die Brust.

„Übertreib es nicht, Joshua Whittaker. Ich bin immer noch stinksauer, weil ich meine freien Tage allein verbringen musste.“

Um das zu untermauern, bedachte ich ihn mit meinem vorwurfvollsten Blick, den ich allerdings nicht lange aufrechterhalten konnte, denn Josh nahm die Sache buchstäblich in seine eigenen Hände und packte mich um die Taille. Mit seinem typisch draufgängerischen Lächeln zog er mich an sich.

„Komm schon, sag, dass du mir verzeihst. Ich hatte einen wirklich guten Grund dafür, aber ich wollte dir nichts erzählen, bevor ich nicht sicher sein konnte, ob was daraus wird.“

„Aha …“, war meine etwas einsilbige Reaktion darauf. Mir schwante Böses. Wenn sich Kerle so verhielten, wie er es getan hatte, dann hing das meist mit einer Frau zusammen. Und wenn ich das plötzliche Aufleuchten in seinem Blick genauer analysierte, dann war ich mir sogar sicher, dass er jemanden kennengelernt hatte. Jemanden, der ihm genug bedeutete, um mir eine Abfuhr zu erteilen. Es hätte mich nicht weiter stören sollen. Josh war eben ein Mann und das Bedürfnis nach Sex war auch bei ihm nicht weniger stark ausgeprägt als bei anderen Vertretern seines Geschlechts. Nur dass ich diesen Teil seines Lebens lieber ausblendete. Ich war nicht scharf darauf, mich gedanklich mit dem Ausleben seiner Sexualität zu befassen, weil mich dabei immer ein undefinierbares Gefühl beschlich, das ich auf gar keinen Fall näher ergründen wollte.

„Hast du jemanden kennengelernt?“, fragte ich nach kurzem Schweigen. „Ist das der Grund, wieso du unseren Trip abgesagt hast?“

Ich musste unbedingt wissen, ob meine Vermutung stimmte, und das Strahlen auf seinem Gesicht machte eine Antwort eigentlich überflüssig. Er sah aus, als hätte er den Jackpot in der Lotterie geknackt.

„Oh ja, das habe ich. Auf dem Flug nach San Francisco. Sie war eine der Stewardessen und ich schwöre dir, sie ist das anbetungswürdigste Geschöpf, das mir je begegnet ist. Unglaublich sexy, intelligent.“ Er grinste übers ganze Gesicht. „Ich bin verdammt noch mal verrückt nach ihr.“

Mussten Männer immer so maßlos übertreiben? Umgehend baute sich spontane Antipathie gegen diese Fremde in mir auf, dabei war diese Empfindung nicht wirklich nachvollziehbar. Josh schleppte ständig scharfe Miezen ab, doch dieser Besitzanspruch, den ich ihm gegenüber auf einmal verspürte, wunderte mich sehr. Bis jetzt hatte ich seine Affären immer mit einer gewissen Nachsicht zur Kenntnis genommen und ihm höchstens geraten, es niemals ohne Gummi zu machen, damit er sich keinen Tripper einfing oder versehentlich einen kleinen Mini-Josh produzierte, obwohl er noch gar nicht bereit dafür war. Warum also störte es mich jetzt so sehr?

Weil er für die anderen Frauen noch nie eine Verabredung mit dir abgesagt hat, beantwortete eine fiese kleine Stimme in mir die Frage.

Genau das war der alles entscheidende Unterschied. Diese Stewardess hatte ihn dazu gebracht, mich an die zweite Stelle zu setzen, und obwohl mir immer klar gewesen war, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, traf mich die Realität völlig unvorbereitet. Ich hatte schlicht und ergreifend Angst, meinen besten Freund teilen zu müssen oder ihn sogar ganz zu verlieren.

Während ich stumm zu ihm aufsah und gegen die lähmende Furcht in mir ankämpfte, ließ Josh meine Taille los und nahm mich an der Hand. Sie fühlte sich heiß an und der unerwartet prickelnde Strom, der meinen Arm entlanglief, verstörte mich vollends. Solche Gefühle kannte ich nicht. Nicht bei Josh. Diese pure körperliche Reaktion hätte ich eher bei einer Berührung meines Schwarms Kyle Harmon erwartet, aber doch nicht bei meinem besten Freund! Schockiert über die Fülle der Empfindungen, die innerhalb von wenigen Sekunden auf mich einstürmten, konnte ich nichts tun außer dazustehen und ihm die Führung zu überlassen.

Josh merkte gar nicht, was gerade in mir vor sich ging, und zog mich zur Couch. „Komm, ich erzähl dir alles.“

Wir setzten uns. Tief atmete ich durch, darum bemüht, meine Verwirrung in den Griff zu bekommen. Mir war nicht ganz klar, was für merkwürdige Dinge da gerade in mir vor sich gingen, aber ich war wild entschlossen, ihnen einen Riegel vorzuschieben, ehe das Ganze außer Kontrolle geriet. Und zwar jetzt!

„Okay, dann lass mal ein paar Details hören“, meinte ich aufmunternd. Ehrlich, ich hätte einen Oscar für herausragende schauspielerische Leistungen verdient. Nach außen hin gab ich mich fröhlich, sicher klang ich auch so, doch es fiel mir wahnsinnig schwer, diese Maske aufrechtzuerhalten und ihn zu täuschen. Doch es gelang mir. Josh lächelte mich an, ganz im Vertrauen darauf, dass ich mich für ihn freute. Immer wenn er seine Lippen zu diesem charmanten Grinsen verzog, kam ein kleines Grübchen in seinem Kinn zum Vorschein. Nüchtern dachte ich daran, dass es wohl Dutzende Frauen gab, die mich wahnsinnig um meine Freundschaft zu Josh beneideten und die nicht verstehen konnten, wie ich so eine enge Bindung zu ihm pflegen konnte, ohne den Wunsch zu verspüren, ihm die Klamotten vom Leib zu reißen. Sie sahen nur sein Äußeres, sein schönes Gesicht, den vom Schwimmen und Laufen gestählten Körper, aber sie blickten nicht hinter die Hülle, denn da lag noch so viel mehr verborgen. Josh war ehrlich, beschützend, immer für einen da, wenn man ihn brauchte.

Er lehnte sich gegen die Couch, den Blick verklärt zur Wand gerichtet.

„Ihr Name ist Vanessa“, fing er an und ich schwöre, der schwärmerische Tonfall, mit dem er ihren Namen aussprach, löste dringenden Brechreiz in mir aus. Nur widerwillig hörte ich ihm weiter zu.

„Zwischen uns hat es sofort gefunkt. Glaub mir, wir hätten allein mit unseren Blicken die Tragflächen des Fliegers in Brand setzen können. Leider musste sie nach der Landung direkt zurück nach Santa Rosa fliegen, doch wir haben unsere Handynummern ausgetauscht und noch am selben Abend stundenlang miteinander telefoniert.“ Er sah kurz zu mir rüber. „Irgendjemand da oben“, er deutete mit dem Finger himmelwärts, „muss mich ziemlich gern haben, denn es hat sich rausgestellt, dass es ihr letzter Flug vor ihrem Urlaub war. Am nächsten Abend hat jemand an mein Hotelzimmer geklopft. Ich dachte zuerst, es wäre der Zimmerservice, doch als ich öffnete …“

„… stand sie vor deiner Tür“, beendete ich seinen Satz.

Sein vielsagendes Lächeln war ziemlich aussagekräftig, ebenso das anzügliche Lächeln, das sich nun auf seinem Gesicht ausbreitete. Ich konnte mir schon ausmalen, wie es danach weitergegangen war, und offensichtlich stellte sie seine früheren Freundinnen in sexueller Hinsicht bei Weitem in den Schatten, wenn ich sein leicht dümmliches Grinsen richtig deutete.

Ich hasste sie jetzt schon. Vanessa war also nicht nur sehr schön, sondern auch noch eine Granate im Bett. Darüber hinaus auch mutig, wenn man bedachte, dass sie einfach von sich aus zu Josh gegangen war, um den Sack zuzumachen, wie man so schön sagte. Ein bisschen beneidete ich sie um ihre Courage. Ich hätte niemals die Unerschrockenheit aufgebracht, einfach an die Tür meines Schwarms Kyle Harmon zu klopfen, der für mich den Inbegriff männlicher Perfektion darstellte. Wahrscheinlich hätte Kyle mir nur freundschaftlich auf die Schulter geklopft und mich dann meiner Wege geschickt.

Josh fuhr mit seinen Erzählungen fort.

„Wir haben die Nacht zusammen verbracht und danach war für uns beide klar, dass wir zusammenbleiben wollen. Deswegen auch die Absage.“ Josh griff nach meiner Hand und sah mich reuevoll an. „Kelly, ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen, aber es ging alles so schnell und ich konnte kaum noch klar denken. Ich befand mich in einer Art Rausch und wollte jede Sekunde davon auskosten. Vanessa hat nur selten frei und ist ständig unterwegs. Wir werden nur wenig Zeit zusammen verbringen können und ich wollte wenigstens diese Tage nutzen, um sie besser kennenzulernen.“

Er wirkte so glücklich. Seufzend sah ich ihn an. „Ist schon gut. Sie scheint ja was Besonderes zu sein und ich weiß ja, dass du mich niemals absichtlich enttäuschen würdest.“

„Dann ist alles gut zwischen uns? Du bist meine beste Freundin, ich will nicht, dass etwas zwischen uns steht.“

Dafür ist es längst zu spät, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Wie sollte ich ihm meine Angst, irgendwann nur noch eine untergeordnete Rolle in seinem Leben zu spielen, nur begreiflich machen, ohne ihm die Freude zu verderben? Unmöglich. Stattdessen richtete ich mich ein wenig auf. Wer wusste schon, wie sich alles entwickeln würde. Als Stewardess war sie andauernd weg und die Sache zwischen Josh und ihr würde sich wahrscheinlich von allein erledigen.

„Hör auf, dich zu entschuldigen, und leg lieber den Film ein“, erklärte ich burschikos und klammerte meine Sorgen bewusst aus.

„Ganz sicher? Du verstehst also, warum ich dir abgesagt habe?“

Mann, er war heute verdammt hartnäckig. Konnte er es nicht einfach gut sein lassen?

„Das hab ich doch eben gesagt. Mach dir keinen Kopf.“

Ich versuchte, eine gleichmütige Miene aufzusetzen, und sah ihm ins Gesicht. Immer wenn er die Stirn so wie jetzt in Falten legte, bildete sich über dem Nasenrücken eine kleine Kerbe, die aussah wie ein schmales Dreieck. Es juckte mich in den Fingerspitzen über die Unebenheit zu streichen und anschließend die glatt rasierte Haut seiner Wange entlangzufahren, bis hinunter zu seinem sinnlichen Mund …

Blinzelnd griff ich mir die Coladose, riss die Lasche auf und trank einen Schluck, während ich gegen den Wunsch ankämpfte, seine Lippen einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Am besten durch meine eigenen …

Noch nie zuvor hatte ich diesen verwirrenden Impuls verspürt, ihn auf diese Weise berühren zu wollen. Es gab in körperlicher Hinsicht eine ganz klare Grenze zwischen uns, die wir wirklich niemals überschritten hatten. Und das war auch gut so. Es existierte nun mal kein zweiter Josh, der mich trösten und auffangen konnte, wenn alles schiefging. Er vereinte alles Wichtige in einer Person. Ich mochte und respektierte seine Geradlinigkeit und seinen fast schon archaischen Instinkt, mich vor allem und jedem beschützen zu wollen. Ich liebte seinen Humor. Wir konnten wirklich über jeden Scheiß lachen, egal, wie sinnlos und dämlich es anderen erschien. Unser Verständnis füreinander befand sich einfach auf einer Wellenlänge, sodass keine Langeweile aufkam, wenn wir zusammen Zeit verbrachten.

Nur eines konnte und wollte ich nicht zulassen: Josh als potenziellen Liebhaber sehen. Deswegen verwirrte und erschreckte mich dieser plötzlich aufflackernde Wunsch nach mehr körperlicher Nähe, und ich schob diesen Impuls auf meine chronisch untervögelte Lebenssituation. Wahrscheinlich hatten die Staubmilben in meinen unteren Regionen schon neue Kolonien gegründet.

„Dann hol ich mal die Filme aus dem Wagen.“

Seine Ankündigung kam gerade zur rechten Zeit. Ich nickte automatisch und sah ihm nach, als er das Wohnzimmer verließ. Sobald er wieder da war, breitete er die Ausbeute auf dem Tisch aus.

„Transformers, die Schnulze mit Keanu Reeves und Charlize Theron oder doch lieber Das Schicksal ist ein mieser Verräter?“

Ich mochte Actionfilme nicht sonderlich, aber die anderen beiden klangen nach einer Menge Drama und einem frustrierenden Ende. So brachte mich Joshs Frage nach dem Film meiner Wahl in arge Bedrängnis. Leider machte mich keiner der mitgebrachten Streifen besonders an. „Hm, keine Ahnung, was willst du denn sehen?“

Er hob die breiten Schultern unter dem Shirt. „Unwichtig. Ich habe beim letzten Mal den Film ausgesucht. Jetzt bist du an der Reihe.“

„Okay, dann würde ich sagen, wir sehen uns Transformers an.“

Sofort schoss seine Augenbraue nach oben. „Seit wann schaust du dir freiwillig einen Actionstreifen an?“

„Keine Ahnung, muss denn immer alles einen Grund haben? Mir ist eben nicht nach romantisch-dramatischen Liebesromanzen. Das zieht mich nur runter. Schließlich können nicht alle im siebten Himmel schweben, so wie du.“

Er hob die Hände in die Höhe. „Okay, steck das Messer weg, es war nur eine Frage. Dann sehen wir uns eben Transformers an.“

War er jetzt beleidigt? Immerhin hatte ich ihn eben ziemlich knapp abgekanzelt, doch er sagte nichts weiter und schnappte sich den Film. „Ich leg ihn mal ein.“

Josh lief zum Fernseher und ging in die Hocke, um die Disk in den Rekorder zu legen. Dabei fiel mir auf, wie sich die Jeans über seinem Hintern spannte, und mir schoss brennende Hitze ins Gesicht. Schnell fächelte ich mir mit der Hand etwas Luft zu, in der Hoffnung, das Glühen auf meiner Haut damit zu mildern. Oh Gott, das ging jetzt aber wirklich zu weit. Was zur Hölle war denn auf einmal mit mir los? Dass Josh einen ansehnlichen Knackarsch besaß, war ja nichts Neues für mich. Um mich von meiner eigenen, ziemlich irritierenden Reaktion abzulenken, starrte ich auf seinen Nacken. Nacken war gut, ungefährlich, harmlos.

Sein dunkles Haar berührte hinten fast den Kragen seines T-Shirts und hätte einen neuen Schnitt vertragen können. Dabei war ich mir durchaus darüber im Klaren, dass die meisten Frauen sein leicht ungezügeltes Äußeres verdammt anziehend fanden mit seinen abgewetzten Jeans und den lässigen Harley-Davidson-Shirts, die er meistens trug. Um den Eindruck noch komplett abzurunden, wanden sich tätowierte Ornamente um seinen gesamten rechten Arm. Doch es war nicht sein gutes Aussehen, das ihn für mich so wertvoll machte. Ich liebte ihn auf eine Weise, die ich nur schwer in Worte fassen konnte und diese Zuneigung wurde von ihm auf die gleiche Weise erwidert. Schon seit wir uns als Kinder das erste Mal begegnet waren. Ein Band wie das unsere würde niemals reißen. Es sei denn, ich tat etwas unaussprechlich Dummes und fing an, mehr in ihm zu sehen. Ich verdrängte diesen Gedanken und beschwor geistig sofort Kyle Harmons schönes Gesicht herauf, um festzustellen, ob er mich immer noch heißmachen konnte. Zu meiner grenzenlosen Erleichterung empfand ich sofort prickelnde Aufregung und Sehnsucht. Glück gehabt. Alles war beim Alten, nichts hatte sich verändert, erst recht nicht zwischen mir und Josh.

Er kam zu mir zurück und setzte sich neben mich auf die Couch. Die Fernbedienung in der einen Hand griff er nach der Chipsschüssel und stellte sie zwischen uns. Irgendwie war ich ganz froh über diese Grenze, selbst wenn sie nur aus einer Plastikschale voller Junkfood bestand.

Ich wartete darauf, dass er endlich einschaltete, musste jedoch feststellen, dass er mich irritierend lange musterte. Seine hellgrünen Augen bohrten sich erbarmungslos in meine, bis ich es nicht mehr aushielt.

„Du weißt ganz genau, dass ich es nicht leiden kann, wenn du mich anstarrst und dann nichts sagst.“

Josh wurde unerwartet ernst. „Sorry, aber ich mach mir eben Sorgen um dich und ich kauf dir ehrlich gesagt nicht ab, dass alles in Ordnung ist. Sonst hättest du mich vorhin nicht so angeschnauzt.“

Manchmal fand ich es schon lästig, dass er mich so verdammt lange kannte und mir schon am Gesichtsausdruck meine Stimmung ansah. Josh und ich waren praktisch miteinander aufgewachsen. Als er als Dreijähriger nach dem tragischen Unfalltod seiner Eltern von seiner Großtante Liz aufgenommen wurde, wohnte sie direkt neben dem Haus meiner Eltern, die gemeinsam die Apotheke hier in Harmonville betrieben. Außer Liz war niemand aus seiner Verwandtschaft bereit, sich mit einem traumatisierten Kleinkind zu belasten, das von heute auf Morgen die Bezugspersonen verloren hatte. Ich selbst war gerade ein Jahr alt und nahm ihn damals noch nicht wahr. Das änderte sich jedoch, als ich drei wurde und meine Mom wieder halbtags in Dads Apotheke aushalf. Liz übernahm nachmittags meine Betreuung und von da an wurde er mit seinen gerade mal fünf Jahren zu meinem Beschützer und zu meinem engsten Vertrauten. Es wunderte mich also nicht, dass er sofort nachhakte, wenn ich mich nicht so verhielt, wie er es von mir gewohnt war.

„Es ist nichts“, wiegelte ich ab. Kurz überlegte ich, ob ich ihm weismachen sollte, ich wäre unglücklich wegen Kyle, doch ich wollte Josh nicht anlügen. Kyle Harmon hatte mit meiner gegenwärtig schlechten Stimmung nichts zu tun und ich wollte ihn nicht als Ausrede benutzen, nur um meine Eifersucht auf Vanessa zu verschleiern.

Ich klaute mir die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. „Lass uns endlich den Film ansehen. Mit mir ist alles in Ordnung.“

Er wusste, dass ich log, doch er kannte mich zu gut, um mich noch weiter zu löchern.

Der Vorspann lief an. Josh zog mich an seine Seite und legte mir seinen rechten Arm um die Schultern. So an ihn gekuschelt konnte ich mir einbilden, dass alles beim Alten war, doch tief in mir drin ahnte ich, dass die nächsten Monate einige Veränderungen mit sich bringen würden.

Kapitel 2

Acht Monate später

„Sieh mal, Kyle Harmon hat schon wieder eine Neue.“

Shannon Casparys spöttische Bemerkung lenkte meine Aufmerksamkeit Richtung Fenster und tatsächlich entdeckte ich Kyle, und zwar in Begleitung einer aufregenden Blondine. Sofort senkten sich meine Mundwinkel, denn natürlich war seine neueste Flamme eine absolute Sexbombe. Sie füllte nicht nur ihr Oberteil hübsch aus, sie besaß auch noch endlos lange Beine, die in hautengen Jeans steckten. Sie war genau der Typ Frau, mit dem er sich für gewöhnlich umgab und dem ich in keinster Weise ähnelte. Meine Chancen, jemals sein Interesse zu wecken, tendierten nach wie vor gen null. Er schlenderte mit ihr über die Hauptstraße von Harmonville, einer typischen amerikanischen Kleinstadt, deren Straßennetz im Schachbrettsystem aufgebaut war. Unser biederes Kleinstadtparadies war nach unserem Tal benannt, dem lieblichen Harmon Valley am Fuße eines fruchtbaren Weinberges, mitten im sonnigen Kalifornien. Quasi das Falcon Crest der Mittelklasse. Unsere kleine Stadt war ein beschaulicher Ort, in dem allgemein nicht viel passierte. Hier gab es ein paar Restaurants, eine Confiserie, zwei Bars und ungefähr fünf Kirchen, um den unterschiedlichen Konfessionen Genüge zu tun. Das öffentliche Leben verlief dementsprechend harmonisch, es gab sogar den obligatorischen fettleibigen Sheriff mit einem etwas dümmlichen Deputy. Beides keine Intelligenzbestien, doch bei dem Mangel an Kriminalität hier in der Gegend war ein besonderes Talent im Aufspüren von Verbrechern auch nicht nötig. Harmonville fehlte es an aufregenden Vorkommnissen, sodass nur die amourösen Eskapaden von Kyle Harmon den Klatschmäulern eine Daseinsberechtigung lieferten.

Gemächlich schlenderte er weiter, während sie mit einem albernen Grinsen zu ihm aufsah. Jetzt blieb er mitten auf der Straße stehen, um ihr einen heißen Kuss auf die Lippen zu drücken. Es interessierte ihn nicht, dass er fast den Straßenverkehr zum Erliegen brachte, weil die Fußgängerampel schon längst rot blinkte und die Fahrer aus beiden Richtungen bremsen mussten. Aber so war er eben. Kyle Harmon, der ungekrönte Prinz dieser Stadt, der machte, was er wollte, wann er es wollte und vor allem, mit wem er es wollte.

Dieses wem besaß die übliche blonde Lockenpracht und lächelte so zuckersüß, dass mir schon vom Zuschauen schlecht wurde. Vermutlich hatte Kyle sie bei einer seiner Partytouren in Santa Rosa aufgegabelt und sie über Nacht zu sich mitgenommen. Er musste mittlerweile außerhalb des Ortes wildern, denn in Harmonville gab es kaum noch eine Blondine, die seinen Ansprüchen genügte und die er noch nicht flachgelegt hatte. Dabei blieb er seinem allseits bekannten Grundsatz Nur eine blonde Frau ist eine gute Frau treu und ich schaute in die Röhre.

Meine Hoffnung, er würde sich aufgrund mangelnder Auswahl auch mal unter den Brünetten umsehen – also bei mir, um genau zu sein – hatte sich leider bis jetzt nicht erfüllt, und eigentlich wusste ich ganz genau, dass er mir durch seine Ignoranz eine Menge Kummer ersparte. Doch es fiel mir schwer, mir einzugestehen, dass Kyle niemals der richtige Mann für mich sein konnte.

Seit Josh in einer festen Beziehung steckte, klammerte ich mich noch mehr an meine Träume von einem Happy End mit Kyle und je weiter sich diese Fantasien von der Realität entfernten, umso mehr versuchte ich, sie aufrechtzuerhalten.

Während ich in völligem Stillstand erstarrte, drehte sich das Leben um mich herum erbarmungslos weiter. Vor allem bei Josh, der plante seine Zukunft mit erschreckender Effizienz. Er hatte noch jemanden in Teilzeit eingestellt, damit er während der Besuche von Vanessa ausreichend Zeit für sie erübrigen konnte. Nebenbei betrieb er noch einen Internetshop für KFZ-Ersatzteile, der ziemlich gut lief, genau wie seine Beziehung. Seit acht Monaten waren er und Vanessa nun ein Paar und es sah ganz danach aus, als würde er es zum ersten Mal im Leben richtig ernst mit einer Frau meinen. Das löste eine Kette von unangenehmen Gefühlsregungen in mir aus. Ich hasste es, sie gemeinsam zu sehen. Jedes Mal bildete sich ein dicker Kloß in meiner Kehle, der mich würgte, bis ich glaubte, daran ersticken zu müssen, denn es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn mir ganz wegnehmen würde. Sie hatte bereits angedeutet, dass sie die enge Bindung zwischen mir und Josh nicht dauerhaft tolerieren würde. Ich fürchtete den Tag, an dem sie ihren Wohnsitz in Santa Rosa aufgab, um zu ihm zu ziehen. Wenn er Vanessa Tag und Nacht um sich hätte, wäre dann noch Platz für mich in Joshs Leben?

Automatisch sah ich wieder zu Kyle und flehte um ein Wunder, das ihn in meine Arme trieb und mich vor der drohenden Einsamkeit bewahrte. Ich wollte nicht als einsames Mauerblümchen enden, während alle anderen glücklich und zufrieden ihr Märchen lebten.

„Schau ihn dir an“, lästerte Shannon unterdessen weiter und beobachtete Kyle aus zusammengekniffenen Augen durch die Fensterscheibe. Es war unübersehbar, dass sie ihn auf den Tod nicht leiden konnte. „Er benimmt sich wie ein eitler Gockel und merkt gar nicht, wie lächerlich er sich damit macht.“

Sofort hatte ich das Bedürfnis, ihn zu verteidigen. „Musst du ihn immer so schlecht machen?“

Ich drehte mich noch während des Sprechens zu ihr um und warf ihr einen strafenden Blick zu, den sie ohne mit der Wimper zu zucken erwiderte.

„Na und? Erstens hört er es nicht und zweitens ist er doch selber schuld daran, dass ich über ihn herziehe.“

Es war kein Geheimnis, dass sich Shannon seit Jahren einen erbitterten Kleinkrieg mit Kyle lieferte. Den Anfang nahm diese legendäre Feindschaft bereits in der Schulzeit. Die selbstbewusste und zielorientierte Shannon konnte einfach nicht verstehen, wieso alle Mädchen auf diesen leichtlebigen Frauenhelden abfuhren, und Kyle, eitel, wie er nun mal war, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass auf dieser Erde ein weibliches Wesen wandelte, das nicht in ihn verschossen war. Sie machte sich öffentlich über seine wechselnden Frauenbekanntschaften lustig und da die meisten seiner Freundinnen kaum intelligenter waren als die Frühstückseier, die sie jeden Morgen in die Pfanne schlug, war das auch nicht sonderlich schwer.

Im Gegensatz zu ihr konnte ich ihre Belustigung über seine Liebschaften nicht teilen. Ich fand es ganz und gar nicht komisch, ihn ständig in Begleitung von Blondinen zu sehen, die Fackeln im Sturm für eine Dokumentation über den amerikanischen Bürgerkrieg hielten. Hatte er die Haarfarbe denn nicht endlich mal satt? Brünette waren doch auch nicht übel, und wenn ich mich in Schale warf, konnte ich so ziemlich jede Blondine im Umkreis von hundert Meilen ausstechen.

Sehnsüchtig beobachtete ich ihn weiter durch die Scheibe und seufzte tonlos, weil ich ihn wirklich scharf fand und meine Schwärmerei auf so wenig Gegenliebe stieß. Natürlich war ich besser dran, wenn er mich weiter ignorierte und sich seinen Blondinen widmete. Kyle Harmon konnte nicht treu sein. Keiner Frau. Das musste ich mir immer und immer wieder ins Gedächtnis rufen und mein Kopf hatte es auch schon längst verstanden. Jetzt musste ich nur noch mein Herz davon überzeugen, doch das gestaltete sich nicht ganz so einfach.

Meine Augen klebten an seiner Gestalt. Groß, schlank, mit Muskeln an den richtigen Stellen, wobei ich mich hin und wieder fragte, wann er bei all den Weibergeschichten noch Zeit für sein Work-out fand. Da Josh ebenfalls einen gestählten Sportlerbody besaß und ich ihm oft beim Training half, indem ich ihn motivierte oder ihm einfach nur die Wasserflasche reichte, damit er nicht dehydrierte, wusste ich ganz genau, dass man einen solchen Körper nur in Form halten konnte, wenn man sich alles abverlangte. Auch Kyle musste enormen zeitlichen Aufwand betreiben, um so auszusehen. Sogar in Jeans und T-Shirt versprühte er glamourösen Sexappeal und dank seines übermächtigen Daddys verfügte er darüber hinaus über ein pralles Bankkonto. Ein Umstand, der auch nicht unbedingt abstoßend auf Frauen wirkte.

Als er nun mit seiner Blondine die Straße überquerte, wurde mir ganz schlecht. Das Restaurant würde in ein paar Minuten offiziell öffnen und es konnte durchaus sein, dass er nach einer leidenschaftlichen Nacht Blondie ein Frühstück spendierte.

Oh Gott, lass ihn bitte nicht hier reinkommen, nicht mit dieser Frau!

Ich wollte meinen Job gerne noch eine Weile behalten und so, wie ich im Moment drauf war, konnte ich nicht sicherstellen, dass mir nicht eine Tasse mit brühend heißem Kaffee aus der Hand fiel, und zwar direkt in ihren Schoß.

Gesicht wäre auch gut, schoss es mir durch den Kopf, als diese Tussi übertrieben strahlend zu ihm hochlächelte. Ihre weißen Zähne blitzten und blinkten und sahen aus, als hätte man sie an einer Schnur aufgereiht. Obwohl ich selbst über ein naturgesundes und weißes Gebiss verfügte, beschloss ich spontan, dass mir ein Bleeching nicht schaden würde.

Es war so unfair! Warum war ich nicht mit blonden Haaren auf die Welt gekommen? Dann wäre er ganz bestimmt mit mir ausgegangen. Doch zu meinem Leidwesen kam ich ganz nach meiner Mutter. Von ihr hatte ich die hellbraunen Locken geerbt, die dunkelgrauen Augen von meinem Vater. Die fand ich eigentlich ganz hübsch. Josh auch, er meinte, sie hätten die Farbe des Himmels, kurz bevor ein Gewitter losbricht. Rauchig, geheimnisvoll und voller sprühender Funken. Als sonderlich romantisch konnte man ihn wirklich nicht bezeichnen, und wenn meine Augen sogar ihn zu so romantischen Ergüssen animierten, mussten sie wohl was Besonderes sein.

Kyle beugte sich nun zu seinem Sexdate – mehr konnte sie in meinen Augen für ihn nicht sein – hinunter. Seine Lippen streiften ihre Wange und meine Finger krampften sich automatisch um den Lappen, den ich zwischen meinen Händen hielt und mit dem ich eigentlich die Tische abwischen sollte. Was er ihr wohl gerade zuflüsterte? Vermutlich ein Kompliment. Die verteilte er wie Bonbons und zumindest in dem Punkt war es ihm egal, ob er die Schmeicheleien einer Blondine, einer Brünetten oder einer Rothaarigen zuteilwerden ließ. Er hofierte alle Frauen, die er traf. Darin war er wirklich ein Experte.

Mir entwich ein leiser Seufzer. Shannon hörte ihn trotzdem und verdrehte die Augen, wie ich mit einem schnellen Blick in ihre Richtung feststellte. Meine Schwärmerei für Kyle ging ihr gewaltig gegen den Strich. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, jeden in ihrem Umkreis mit dem perfekten Partner zusammenzubringen. In meinem Fall hieß dieser Mr Right Josh Whittaker und ich musste zugeben, dass in Harmonville niemand erfolgreicher und effektiver Amor spielte als Shannon. Ihre Erfolgsquote war erschreckend hoch und so manche von den Alten flüsterten hinter vorgehaltener Hand, sie sei eine Hexe, die in ihrer Küche Verschwörungsformeln murmelte und den Leuten irgendwelche Kräuter ins Essen mischte.

An faulen Zauber glaubte ich nicht. Ich vermutete eher, dass Shannon einfach eine gute Beobachtungsgabe besaß und merkte, wann sich zwei Menschen mit besonderem Interesse betrachteten. Nur was Josh und mich anging, interpretierte sie das falsch. Wir liebten einander wie Bruder und Schwester. Mehr steckte da nicht dahinter, was sie aber nicht wahrhaben wollte. Stattdessen versuchte sie, uns mit pathetischen Sätzen vom Gegenteil zu überzeugen. Wir wären füreinander geschaffen, flötete sie übertrieben salbungsvoll, zwei Herzen, die im Gleichklang schlugen. Jedes Mal wenn sie mit dem Blödsinn anfing, kam ich mir vor wie die Protagonistin in einem vor Schmalz triefenden Barbara-Cartland-Roman.

Da wir ohnehin nichts dagegen unternehmen konnten, ohne Shannon vor den Kopf zu stoßen – und das wollten weder Josh noch ich, weil wir sie trotz alledem sehr gern hatten – trugen wir es mit Fassung und ließen sie reden, auch wenn ich hin und wieder ein flaues Gefühl deswegen verspürte, weil sie so eine Hartnäckigkeit an den Tag legte. Auch der Umstand, dass sie bisher immer ins Schwarze getroffen hatte, wenn sie ein neues Paar anvisierte, machte mich öfter nachdenklich. Doch meist schob ich den Gedanken daran weit weg.

„Wie viel Zeit willst du eigentlich noch an Kyle verschwenden?“, fragte sie mich in diesem Moment.

Ich drehte mich zu ihr um, zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und wartete ab, was als Nächstes kommen würde. Lange musste ich nicht warten.

„Sieh ihn doch an. Das ist schon die zweite Blondine diese Woche. Der Kerl ist eine männliche Schlampe, der wird nie einer Frau treu sein.“

Das wusste ich selbst am besten, aber ich hätte das ihr gegenüber niemals zugegeben. Daher kommentierte ich ihre Bemerkung nicht und wandte mich ab. Kyle und seine Freundin waren näher gekommen. Der außen angebrachte Schriftzug störte ein wenig die Sicht auf ihn, trotzdem konnte ich sein Gesicht gut erkennen: den Schwung seiner sinnlichen Lippen, den leichten Bartschatten an seinem Kinn und das dichte schwarze Haar, das einen fantastischen Kontrast zu seinen grünen Augen bildete.

Shannons lästernde Stimme erklang im Hintergrund. „Pass auf, dass dir nicht die Augen aus dem Kopf fallen.“

Die Hände in die Hüften gestützt drehte ich mich erneut um. „Wenn du nicht sofort aufhörst, dann kannst du dir eine neue Kellnerin suchen, und das meine ich todernst!“, schimpfte ich aufgebracht. Manchmal ging sie einfach zu weit.

Meine Beschwerde zeigte Wirkung. Sie hob ergeben die Hände in die Höhe. „Jetzt sieh mich nicht so böse an. Ich meine es doch nur gut mit dir. Glaub mir, Kelly, dieser Kerl“, sie zeigte anklagend mit dem Finger in seine Richtung, „wird niemals nur eine Frau lieben, selbst wenn er seinen albernen Schwur, nur mit Blondinen auszugehen, einmal vergisst. Ich warte nur auf den Tag, an dem du das einsiehst und merkst, wer wirklich der perfekte Mann für dich ist.“

Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit ein ernstes Wort mit ihr zu reden. Trotz der ständigen Rückschläge hatte ich die Hoffnung, Kyle eines Tages doch erobern zu können, noch nicht ganz aufgegeben, auch wenn ich insgeheim immer öfter daran zweifelte.

„Können wir aufhören über Josh und mich zu reden?“, bat ich Shannon inständig. „Du hast dich da in was verrannt, oder hast du bereits vergessen, dass er seit Monaten mit einer anderen zusammen ist? Und was Kyle angeht, werden wir beide sowieso nie einer Meinung sein.“

Sie hob in gespielter Gleichgültigkeit die Schultern. „Ist ja gut, ich sag ja schon nichts mehr.“

Shannon wandte sich von mir ab und widmete sich beleidigt der Reinigung der vollautomatischen Kaffeemaschine, die nicht nur schweineteuer, sondern auch ihr ganzer Stolz war, während ich mich wieder anschickte, die Oberflächen der Tische abzuwischen. Durch das Schaufenster durfte ich miterleben, dass sich die Blondine wie eine läufige Hündin an Kyles Luxuskörper rieb.

Was Shannon natürlich zu einer spitzen Bemerkung animierte. Ihre Augenbrauen zogen sich unheilvoll zusammen, sie schüttelte sich förmlich. „Gott, das ist ja fast ein Live-Porno, den die beiden da abziehen, und das am helllichten Tag. Widerlich, einfach nur widerlich! Und den willst du an dein Höschen lassen?“

Unbedingt. Lieber heute als morgen.

Ich nickte eifrig und amüsierte mich insgeheim über ihren angeekelten Gesichtsausdruck.

„Ich verstehe dich nicht“, beschwerte sich Shannon und klang ziemlich ratlos. „Wieso bist du so versessen auf diesen Kerl? So hübsch ist er doch auch wieder nicht.“

Also, das war eine glatte Lüge. Kyle kam der männlichen Perfektion schon verdammt nahe, das müsste sie, bei aller Abneigung, eigentlich anerkennen. Manchmal fragte ich mich, ob hinter ihrer Antipathie nicht mehr steckte. Es gab das Gerücht, Kyle hätte sie während ihrer gemeinsamen High-School-Zeit ordentlich verarscht, um eine Wette zu gewinnen. Ob das der Wahrheit entsprach, wusste ich nicht, und ich traute mich auch nicht, sie danach zu fragen. Falls es stimmte, wollte ich keinesfalls diejenige sein, die alte Wunden aufriss.

Erneut sah ich rüber zu Kyle. War er nur ein Zwischenstopp für mich? An manchen Tagen, wenn ich schlecht drauf war, fragte ich mich schon, ob ich nur noch aus purer Gewohnheit für ihn schwärmte. Es gab nicht viele brauchbare ledige Männer in Harmonville, und da Josh – entgegen Shannons fester Überzeugung – nicht für mich infrage kam, lag es doch auf der Hand, dass ich ein Auge auf Kyle warf.

Aber was, wenn Shannon recht behielt und ich nur meine Zeit verschwendete? Bis jetzt hatte er nicht mal einen Blick in meine Richtung geworfen, die Monate vergingen, gleichförmig, ereignislos. Verpennte ich mein Leben, während ich darauf wartete, dass Kyle Harmon endlich Notiz von mir nahm?

„Schlag ihn dir endlich aus dem Kopf“, meinte Shannon in diesem Augenblick, Mitleid schwang in ihrem Tonfall mit. Sie spürte vermutlich mein innerliches Schwanken, meine Zweifel. Die Gunst der Stunde nutzend, setzte sie gleich nach: „Es würde nicht von Dauer sein, Kleines. Kyle gehört nicht zu den Kerlen, die sich nur mit einer Frau begnügen. Nach ein paar Tagen würde er seine Fühler nach der nächsten ausstrecken und dir das Herz brechen.“

Damit erzählte sie mir nichts Neues, doch wenn man sich jahrelang auf etwas oder jemanden eingeschossen hatte, dann fiel es schwer, loszulassen. Unwillkürlich verglich ich Kyle mit Josh. Ich wusste auch nicht so genau, warum ich gerade jetzt an Josh denken musste. Vielleicht lag es an seiner Treue und an seiner Hingabe, mit der er seine Liebe zu Vanessa zelebrierte. Genau so eine Leidenschaft wünschte ich mir auch von meinem zukünftigen Freund. Kyle war dazu gar nicht imstande. Er liebte die Abwechslung und würde sich niemals festlegen. In der Hinsicht war Josh ihm meilenweit voraus. In Momenten wie diesen wünschte ich mir einen Knopf, mit dem ich meine Gefühle einfach ausschalten konnte.

Shannon sah mir meine zunehmende Frustration wohl an und witterte ihre Chance, zu mir durchzudringen. „Kelly, willst du wirklich nur eine von vielen sein?“

Diese Frage traf mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers und ich zwang mich zur Ehrlichkeit, vor allem mir selbst gegenüber. Nein, das wollte ich definitiv nicht! Betroffen senkte ich meinen Blick, weil ich es nicht schaffte, ihrem standzuhalten. Er machte sich ohnehin nichts aus Dunkelhaarigen, jeder wusste das. Seit er das Alter erreicht hatte, in dem man sich mit Mädchen verabredete, sah man ihn immer nur in Begleitung von Blondinen. Da ich nun mal eine hellbraune Haarpracht besaß – und diese Farbe bei aller Liebe auch nicht ändern würde – konnte ich mir eine Verabredung mit Kyle wohl abschminken. Vielleicht klappte es ja, wenn wir beide alt und grau waren …

In diesem Augenblick lehnte sich Kyles Blondine gegen die Scheibe des Lokals. Er stand direkt vor ihr und überragte sie um eine Kopflänge, seine Lippen verzogen sich zu einem anzüglichen Lächeln, dann beugte er sich ein Stück zu ihr runter und stützte die rechte Hand an der Fensterscheibe ab.

Oh weh, wenn da mal kein gut sichtbarer Abdruck zurückblieb. Dabei hatte Shannon das Fenster erst gestern blitzblank geputzt. Ich warf einen vorsichtigen Blick zu ihr rüber.

Sie ballte die Finger zu Fäusten und schäumte vor Wut. „Dieser rücksichtslose Grobian, schau dir an, was der mit meinem Fenster macht! Jetzt kann ich wieder von vorn anfangen.“

Völlig unbeeindruckt von dem Geschehen im Restaurant beugte Kyle sich über seine neue Freundin, um sie zu küssen. Es schien ihm egal zu sein, dass alle Welt ihm dabei zuschauen konnte. Mist, verdammter, was hatte die, was ich nicht hatte?

„Blonde Haare, das weißt du doch“, meinte Shannon mürrisch und ich riss geschockt den Kopf herum. Konnte sie etwa Gedanken lesen? Plötzlich hellte sich ihre grantige Miene auf und sie grinste frech.

„Du solltest dringend an deinem Pokerface arbeiten, Schätzchen. Du bist ein offenes Buch.“

„Na, dann brauch ich mir bei Kyle ja keine Gedanken zu machen, der schaut ja nicht mal in meine Richtung“, erwiderte ich mutlos und sah dabei zu, wie er sich wieder aufrichtete, kurz einen Blick durch die Scheibe warf und uns mit einem aufreizenden Grinsen zuzwinkerte.

Dieses Lächeln galt wohl eher Shannon. Sie zu ärgern war eines seiner liebsten Hobbys, trotzdem fühlte ich mich wie geblendet. Danach schlenderte er mit seiner Neuen zu seinem Pick-up, den er ungefähr drei Meter vom Lokal entfernt geparkt hatte. Dabei streichelte er besitzergreifend ihren runden Hintern.

Etwas Merkwürdiges geschah, als ich ihn dabei beobachtete. Ich weiß nicht, warum es ausgerechnet jetzt passierte, aber ich spürte ganz genau: Kyle und ich … das würde nichts mehr werden. Jedenfalls nichts Dauerhaftes, aber genau das wollte ich doch. Einen Mann, der mich auf Händen trug – und nur mich. Mühsam drängte ich die aufsteigenden Tränen zurück und spürte eine leichte Berührung an meinem Arm. Es war Shannon.

„Hey, nicht weinen. Er ist es nicht wert, Kelly, und wenn du die Augen aufsperrst und in dich gehst, wirst du merken, wer der Richtige für dich ist.“

Shannons letzter Satz machte mich wütend, weil sie schon wieder von mir und Josh anfing. Trotzdem schaffte ich es, die harsche Antwort, die mir schon auf der Zunge lag, herunterzuschlucken, und deutete auf die Tische.

„Wir sollten uns lieber um unsere Arbeit kümmern und nicht um Kyle Harmons Liebesleben.“

Oder um meins, fügte ich in Gedanken hinzu. Ohne sie anzusehen, beugte ich mich mit meinem Lappen in der Hand wieder über den Tisch und wischte hingebungsvoll die dunkelbraune Oberfläche ab. Danach breitete ich die weiße Tischdecke aus und stellte die bauchige hellblaue Vase mit dem gelben Sträußchen darauf ab. Shannon stand mit verschränkten Armen neben mir, betrachtete mich eine Weile nachdenklich und nickte dann.

„Na gut, ich denke, es wäre keine schlechte Idee, wenn wir uns den wirklich wichtigen Dingen zuwenden.“

Auch sie machte sich wieder an die Arbeit und verschwand in der Küche. Nach einigen Minuten steckte sie den Kopf heraus und sah mich fragend an. „Ehe ich es vergesse … weißt du, ob Josh heute vorbeikommt? Mein Lieferwagen macht mir Sorgen, er zuckt immer so komisch, wenn ich Gas gebe, und es wäre toll, wenn er sich das heute noch ansehen könnte. Wenn du ihn lieb bittest, schiebt er das sicher dazwischen.“

Ich verdrehte die Augen. „Ich werde ihn fragen, okay? Und hör auf, so zu tun, als wäre Josh der Mann meines Lebens. Er ist mein bester Freund, ich liebe ihn, aber da ist rein gar nichts Romantisches zwischen uns.“

Shannon grinste süffisant. „Wenn du meinst“, erwiderte sie und ließ durchklingen, dass sie mir kein Wort glaubte.

„Es ist so, wie ich es sage“, schob ich entschieden nach. „Außerdem hat er eine Freundin, auch wenn du das immer galant übergehst.“

Nun kam sie doch aus der Küche und schüttelte sich, sobald ich Joshs Freundin erwähnte. „Oh Gott, bitte sprich ihren Namen nicht aus.“

Ich konnte ihr diese Reaktion nicht übel nehmen. Mir ging es ja ähnlich. So lieb ich Josh auch hatte, aber Vanessa Larson zu seiner Freundin zu machen, war sicher nicht die intelligenteste Entscheidung seines Lebens gewesen.

Sobald es um diese Frau ging, floss das ganze Blut, welches Josh in seinem Hirn benötigte, in ein ganz bestimmtes Körperteil. Eine Entwicklung, die ich mit Besorgnis verfolgte, denn ich glaubte nicht daran, dass sie ihn genauso bedingungslos liebte wie er sie. Jemand wie Vanessa wollte kein Leben an der Seite eines einfachen Werkstattbesitzers inmitten einer Kleinstadt führen. Vanessa liebte Luxus in jeglicher Form und zeigte das auch. Immer nach den neuesten Trends gekleidet, trug sie Klamotten und Schuhe, für die ich ein ganzes Monatsgehalt hätte hinblättern müssen, und ganz sicher wäre sie niemals auf die Idee gekommen, sich ungeschminkt und in Jogginghose im örtlichen Supermarkt zu zeigen, so wie ich das ab und an machte.

Niemand in Joshs näherem Umfeld mochte sie, doch er übersah diese Tatsache geflissentlich und schwebte wie auf Wolken, sobald sie in Harmonville eintrudelte. Was glücklicherweise nicht oft vorkam. Durch ihren Job als Stewardess hielt sie sich eher selten in der Stadt auf, ein erfreulicher Umstand, der es mir leichter machte, seine Beziehung zu ihr zu akzeptieren, ohne ihr an die Gurgel zu springen.

„Wann kommt Vanessa eigentlich wieder zu Besuch?“, fragte Shannon.

Ich hob gleichgültig die Schultern. „Keine Ahnung, er hat nichts gesagt, aber lang wird es sicher nicht mehr dauern.“

Shannon verzog schmollend den hübschen Mund. „Also meinetwegen kann sie ruhig wegbleiben. Weißt du, was sie sich geleistet hat, als sie beim letzten Mal hier war?“

Ich schüttelte den Kopf. Josh und Vanessa kamen öfter zum Frühstücken hierher und die Anwesenheit der blonden Stewardess kostete Shannon stets ihren letzten Nerv. Ich tauschte dann meistens meine Schicht, weil ich dieses Aas nicht auch noch bedienen wollte.

„Sie hat sich darüber beschwert, meine Eier wären ihr zu trocken“, ereiferte sich Shannon bitterböse. Ihre Kochkünste zu kritisieren, war sicher der denkbar schlechteste Weg, um sich mit ihr anzufreunden. Nicht, dass Vanessa den Anspruch gehabt hätte, mit irgendeiner Frau in Harmonville befreundet sein zu wollen, aber wenn sie es mit Josh ernst meinte, wäre es sicher von Vorteil, sich nicht überall unbeliebt zu machen.

„Gräm dich nicht deswegen“, tröstete ich meine Chefin. „Frauen wie Vanessa sind zum Meckern geboren. Wenigstens kommt sie maximal einmal im Monat in die Stadt, das lässt sich ertragen.“

Geringschätzig verzog sie den Mund. „Nun, ich denke, es wird ohnehin nicht mehr lange dauern, bis es zwischen den beiden kracht.“

Stirnrunzelnd versuchte ich, aus dieser Bemerkung schlau zu werden. Hatte ich irgendwas verpasst? Josh sprach nicht oft über seine Beziehung. Wahrscheinlich spürte er instinktiv, wie unangenehm mir dieses Thema war.

„Wie meinst du das?“, wollte ich wissen.

„Ich spreche über ihren Charakter, Kelly. Frauen wie Vanessa verbringen ihr Leben nicht in einer Stadt wie Harmonville, egal, wie attraktiv der Kerl ist, und wenn Josh das merkt, ist Schluss mit lustig. Früher oder später wird er sie vor die Wahl stellen. Der Job oder er, und dann heißt es: Hasta la vista, Baby.“

Eine traumhafte Vorstellung … traumhaft egoistisch. Mich packte das schlechte Gewissen. Joshs Gefühle für Vanessa waren echt, auch wenn das keiner von uns richtig nachvollziehen konnte. Welches Recht hatten wir, ihn für seine Liebe zu kritisieren oder sie gar infrage zu stellen? Ich fühlte mich dazu verpflichtet, ihn zu verteidigen.

„Das ist gemein. Er liebt sie. Wir sollten ihm nicht wünschen, dass sie ihn verlässt, nur weil wir Vanessa nicht leiden können.“ Ich versuchte, möglichst viel Entschiedenheit in meine Stimme zu legen.

Shannon schenkte mir ein Lächeln. „Kelly, er liebt sie doch gar nicht, er ist höchstens verknallt, so wie du in Kyle, aber mit echten Gefühlen hat das nichts zu tun. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihr zwei einseht, dass ihr füreinander bestimmt seid, dann werdet ihr das glücklichste und süßeste Paar in ganz Harmonville sein.“

Sie seufzte übertrieben und malte sich wahrscheinlich meine Zukunft schon in allen möglichen Regenbogenfarben aus. Ihr war einfach nicht mehr zu helfen. Shannon würde bis an ihr Lebensende versuchen, mich und Josh zu verkuppeln, wahrscheinlich noch dann, wenn wir schon längst mit anderen Partnern verheiratet waren und die ersten Enkelkinder auf den Knien schaukelten.

„Also, dazu sag ich nichts mehr“, meinte ich entschlossen. „Vielleicht solltest du dich zur Abwechslung mal um dein eigenes Liebesleben kümmern, bevor du zu einem einsamen alten Drachen mutierst.“

So! Das sollte sitzen.

Shannons Begeisterung kühlte sich merklich ab und sie verzog sich eilig in die Küche.

Eins zu null für mich.

Kapitel 3

Der Rest des Vormittags verlief ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Shannon ließ mich zum Glück in Ruhe und werkelte in der Küche herum. Ein klein wenig bereute ich meinen Ausbruch vom Morgen, aber Shannon ging mir einfach auf die Nerven mit ihrem Gefasel über die wahre Liebe. Alle Caspary-Frauen sahen es als ihre hochheilige Pflicht an, Männer und Frauen, die in ihren Augen zusammengehörten, zu ihrem Glück zu verhelfen. Total verrückt, aber sie waren schon seit Generationen so schräg drauf, dass keiner das infrage stellte. Um ehrlich zu sein, gab es einige Frauen in Harmonville, die dem Urteil einer Caspary mehr vertrauten als ihren eigenen Gefühlen, was ich persönlich total ablehnte. Ich wollte diejenige sein, die bestimmte, wem ich meine Liebe schenkte. Niemand, auch Shannon nicht, war in der Lage, in mein Herz zu schauen.

Die einzig Normale in dieser Familie war meine Kollegin Jenny. Auch sie gehörte zum Caspary-Clan – sie war eine Cousine von Shannon –, doch bislang war sie noch nicht von diesem „Kuppel-Virus“ befallen und machte sich hin und wieder sogar darüber lustig, indem sie sich als schwarzes Schaf bezeichnete. Sie glaubte genauso wenig wie ich daran, dass Shannon und die anderen irgendwelche übersinnlichen Kräfte besaßen. Wahrscheinlich war es vielmehr eine Form von selbsterfüllender Prophezeiung. Wenn man jemandem lange genug einredete, dass etwas der Wahrheit entsprach, dann glaubte man irgendwann daran.

Nach einer kurzen Pause erwartete ich die ersten Mittagsgäste und verlor mich in Fantasien über Kyle Harmon, der seine Leidenschaft für Brünette entdeckte und mich endlich als weibliches Wesen wahrnahm. Gedankenverloren verrichtete ich meine Arbeit und überhörte sogar das Klingeln der altmodischen Türglocke, die uns immer den Eintritt eines Gastes ankündigte. Erst als sich eine schwere Hand auf meine Schulter legte, fuhr ich wie vom wilden Affen gebissen herum und schlug gegen Joshs muskulösen Brustkorb, der mir die Sicht nahm.

---ENDE DER LESEPROBE---