Fleur - Die Lilie des Normannen - Vivian Hall - E-Book

Fleur - Die Lilie des Normannen E-Book

Vivian Hall

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Beschreibung

Als Belohnung für seine Verdienste erhält der normannische Krieger Raoul de Valois ein Lehen in Kent. Im Wald läuft ihm die junge Fleur in die Arme und eine aussichtslose Liebe nimmt ihren Anfang. Als Tochter eines Bauern steht sie gesellschaftlich weit unter ihm und der König hat Raoul längst die Ehe mit einer Adeligen befohlen. Auch Raouls Schwester verliert ihr Herz an einen Angelsachsen, doch die lebhafte Cecile erfährt durch den stolzen Engländer nichts als grausame Zurückweisung. Niemals wird Iwain of Whitfield seine Liebe einer Normannin schenken, egal wie sehr er sich insgeheim nach ihr verzehrt. Kann Liebe alle Grenzen überwinden? Eine romantischer Liebesroman in historischem Gewand. Erster Teil des Zweiteilers. Der zweite Teil erscheint im Frühsommer.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Historisch belegte Persönlichkeiten, die in diesem Roman erwähnt werden bzw. darin vorkommen

Impressum:

Impressum

Fleur-

Die Lilie des Normannen

von Vivian Hall

Vivian Hall

Fleur: Die Lilie der Normannen

©2022 Vivian Hall, alle Rechte vorbehalten

Korrektorat: Karin Ehrle

©Coverdesign: Guisy Ame Magicalcover.de

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin weitergegeben werden.

Klappentext:

Als Belohnung für seine Verdienste erhält der normannische Krieger Raoul de Valois ein Besitztum im angelsächsischen Kent. Im Wald läuft ihm die junge Fleur in die Arme und eine aussichtslose Liebe nimmt ihren Anfang. Als Tochter eines Bauern steht sie gesellschaftlich weit unter Raoul und der König hat ihm längst die Ehe mit einer Adeligen befohlen.

Auch Raouls Schwester verliert ihr Herz an einen Angelsachsen, doch die lebhafte Cecile erfährt durch den stolzen Engländer nichts als grausame Zurückweisung. Niemals wird Iwain of Whitfield sein Herz einer Normannin öffnen, egal wie sehr er sich insgeheim nach ihr verzehrt.

Kann Liebe alle Grenzen überwinden?

Ihr Lieben,

ich freue mich sehr, dass meine Geschichte den Weg zu euch gefunden hat.

Fleur, die Lilie des Normannen ist ein fiktional-belletristischer Liebesroman, der in frühmittelalterlicher Zeit spielt und lose mit geschichtlichen Ereignissen und Personen verknüpft ist.

Die meisten Figuren im Roman, sowie Whitfield Castle sind frei erfunden. Am Ende des ersten Teils findet ihr eine Auflistung der Persönlichkeiten, die tatsächlich gelebt haben und die in diesem Roman Erwähnung finden.

Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen.

Herzlichst,

Vivian Hall

Dieses Buch widme ich all den Leserinnen der ersten Stunde, die niemals die Hoffnung aufgegeben haben, dass ich diese Geschichte eines Tages beende.

Kapitel 1

England 1066, ein paar Stunden vor der Schlacht bei Hastings

Raoul betrat mit einer Handvoll normannischer Edelmänner das Zelt des Herzogs. „Kommt alle her!“ Wilhelm winkte sie mit ungeduldiger Miene zu sich. Gehorsam, da es ratsam erschien, die Laune des Herzogs nicht über Gebühr zu strapazieren, reihten sie sich rund um den Tisch, über den sich Wilhelm gerade beugte. Mit funkelndem Blick, durchzogen von Abenteuerlust und Erregung, fuhr er mit dem Finger an der Karte entlang.

„Seht her!“ Dank seiner dröhnenden, von fast schon unwirklichem Selbstbewusstsein durchdrungenen Stimme, wirkte Wilhelm im Kreis seiner Vertrauten beinahe übermächtig. „Harald Godwinson und seine Männer befinden sich hinter diesem Hügel“, erklärte er. „Sie haben keine Möglichkeit auf Deckung und sobald sie sich herauswagen, schlagen wir zu.“ Er wandte sich an den Edelmann zu Raouls Rechten. „Laurent, Ihr kommt von der linken Seite. Eure Bogenschützen müssen versuchen ihre Reihen zu durchbrechen. Sie sind geschwächt und werden uns nicht viel entgegenzusetzen haben. Godwinson hat viele seiner Männer während der Schlacht gegen Hardrade verloren. Sie sind gezeichnet von den Kämpfen und werden uns nicht lange standhalten. Solange sie damit beschäftigt sind, sich unserer Männer zu erwehren, werdet Ihr, de Brecy, mit den Katapulten bereitstehen.“ Er blickte auf den schlanken, blondhaarigen Edelmann, der ihm gegenüberstand, dabei umspielte ein leicht diabolisches Lächeln den strengen Mund des Herzogs. „Es ist ein Segen, dass Godwinson und sein Bruder Tostig zu zerstritten sind, um sich gemeinsam gegen mich zu verbünden.“

Raoul konnte seinem Herzog nur beipflichten. Die Brüder Harald und Tostig Godwinson beanspruchten beide die englische Krone jeweils für sich und bekriegten einander bis aufs Blut. Nachdem Tostig mithilfe des Norwegerkönigs Hardrade in den Norden Englands eingefallen war und Harald schwer zu schaffen gemacht hatte, nutzte Wilhelm nun die Schwachstellen von Godwinsons dezimierten Streitkräften eiskalt aus und niemand hier im Zelt zweifelte am Sieg der bevorstehenden Schlacht. Wilhelms Wille, England einzunehmen, verlieh ihm die unvergleichliche Ausstrahlung eines Eroberers. Gewiss würde er damit in die Geschichte eingehen und die Nachfahren der Normannen würden noch in den nächsten Generationen ein Loblied auf seinen Mut und seine Unbeugsamkeit singen.

„Mein Herzog, wir stehen an Eurer Seite im Kampf und wenn es sein muss, auch im Angesicht des Todes“, versicherte Wilhelms Vertrauter Rousel de Warenne. Dieser empfand die gleiche unerschütterliche Loyalität für den Herzog wie Raoul und jeder einzelne Normanne in diesem Zelt.

„Auf den künftigen König von England“, rief Raoul, überwältigt von der unterschwelligen Erwartung, die in jedem rumorte.

„Auf den künftigen König“, fielen die restlichen Männer mit ein und untermauerten so ihre Treue und Entschlossenheit, für Wilhelms Machthunger in die Schlacht zu ziehen.

Im Morgengrauen trafen sie dann aufeinander, die normannische Armee gegen angeschlagene Angelsachsen. Eine Ansammlung von zusammengedrängten Bauern und Handwerkern, die mit Äxten und Speeren ins Gefecht zogen und sich nicht einmal den Hauch einer Chance gegen die normannische Übermacht erkämpfen konnten. Ganze neun Stunden lang, bis in die Nacht hinein, hörte man das Aufeinanderprallen von Schwertern und das Knacken von zertrümmerten Schädeln. Die Schreie und das Stöhnen der Verwundeten hallten wie ein Echo des Todes durch die Luft. Brennende Pfeile ließen die Erde glühen und der rostige Gestank geronnenen Blutes verursachte selbst den unempfindlichsten Nasen Übelkeit.

Raoul und ein älterer Soldat namens Gaston suchten nach überlebenden Kämpfern aus den eigenen Reihen und hielten sich schützend ein Stück Stoff vor die Nasen, um den Geruch des Todes nicht einzuatmen.

„An diesen Gestank werde ich mich nie gewöhnen, egal an wie vielen Schlachten ich noch teilnehmen werde“, murmelte Gaston neben ihm und verzog angewidert das von Pockennarben verunstaltete Gesicht.

Dem konnte Raoul nur beipflichten. Sein Magen zog sich zusammen, purer Widerwillen kroch durch jeden Winkel seines Leibes, während sie über die leblosen Körper stiegen. Es roch nach beginnender Verwesung und getrocknetem Blut. Ein süßlich metallisches Gemisch, das sich mit Worten kaum beschreiben ließ.

„Beeilen wir uns, ich habe keine Lust, länger als nötig auf verstümmelten Leichenbergen herumzuklettern“, erwiderte Raoul, während er die Augen zusammenkniff, um etwas mehr von seiner Umgebung erkennen zu können. Wabernder Nebel verhüllte die grauenhaft zugerichteten Toten nur unzureichend, während sie das Schlachtfeld abschritten und Raoul ganz in der Nähe einen röchelnden Laut vernahm. So gequält und hilflos, dass ihn ein Schauer des Unbehagens erfasste. Unter dem eisenharten Panzer eines Kriegers schlug trotz all der Gräuel, die er in den letzten Stunden vollbracht hatte, immer noch das Herz eines menschlichen Wesens. Schnell entdeckte er die Quelle dieses Geräuschs. Es war keiner ihrer eigenen Männer, sondern ein schwer verletzter Angelsachse, der schon bald vor seinen Schöpfer treten würde. Blut von einer klaffenden Wunde im Gesicht machte die Gesichtszüge des Mannes fast unkenntlich. Zwischen der krustig-braunen Patina stachen die hellen Augen mit geradezu dämonischer Klarheit heraus, doch sein Blick hatte nichts Teuflisches an sich. Der Mann litt Qualen und sehnte den erlösenden Tod herbei. Langsam näherte er sich dem Engländer und ging neben ihm in die Knie. Er zwang sich, ihn bewusst anzusehen, und blickte dem Tod in die Augen. Auf dem Schlachtfeld dachte Raoul nicht darüber nach, wen und warum er tötete, er tat seine Pflicht und diente seinem Herzog, doch nun, nachdem die Kämpfe vorbei und die Schlacht gewonnen war, spürte Raoul sogar einen Hauch von Mitleid. Er beäugte die Verletzungen des Angelsachsen. Keine Macht auf Erden würde diesen Mann retten können. Mit bloßen Händen hielt er seine durch einen Schwerthieb aufgeschlitzte Bauchdecke zusammen. „Bringt … bringt es … zu Ende“, hechelte der Mann.

Seine Stimme wurde von einem Gurgeln durchsetzt, ein rotes Rinnsal quoll aus seinen Mundwinkeln, vermutlich erstickte er gerade qualvoll an seinem eigenen Blut. Raoul bewunderte den Mut des Mannes, ausgerechnet einen Normannen, um den Gnadenstoß anzuflehen. Er würde ihm diese letzte Bitte nicht verweigern.

„Schließt die Augen!“, befahl er in gebrochenem Englisch, ehe er sein Schwert zog. Sobald sich die Lider des Mannes senkten, holte er tief Luft und zögerte kurz. In vollem Bewusstsein zu töten, ohne dass sich der andere wehrte, löste einen tiefen Widerwillen in ihm aus. Dennoch stieß er die Klinge direkt ins Herz des Angelsachsen, da jeder weitere Moment die Qualen nur verstärkt hätte. Die Spitze durchdrang mit einem widerwärtigen Knacken den Brustkorb, glitt an nacktem Fleisch und Sehnen entlang und traf ihr Ziel. Der Mann keuchte und zeigte im Angesicht des Todes ein groteskes Grinsen.

„Wir sehen … uns in der Hölle … Normanne“, röchelte der Sterbende und Raoul überlief es eiskalt, denn in den Tiefen seiner unsterblichen Seele wusste er, dass die Hölle der Ort war, an dem sie alle enden würden. Jeder Einzelne hatte Schuld auf sich geladen. Auch an seinen Händen klebte Blut und keine Beichte der Welt würde ihn von seinen Sünden reinwaschen können oder ihm die zweifelnden Gedanken nehmen, die ihn immer dann überkamen, wenn die Ruhe ihn umhüllte und er über seine Taten nachdachte.

Er schüttelte diese ungesunden Anwandlungen ab. Sein Schicksal war ohnehin besiegelt, nun galt es das Leben möglichst auszukosten. Er erhob sich und wandte sich an Gaston, der dieser Szene stumm beigewohnt hatte.

„Lass uns weitersuchen“, erklärte Raoul brüsk und stieg einfach über den toten Leib des Angelsachsen hinweg, ohne ihm noch einen weiteren Blick zu gönnen.

Nach Stunden der vergeblichen Suche kehrte er mit Gaston zurück ins Lager. Dort feierten die normannischen Soldaten ihren Sieg, tranken und lachten. In Raouls Herz herrschte trotz der allgemeinen Heiterkeit Dunkelheit und keine Freude. Er war müde, der Gestank des Schlachtfeldes haftete an seiner Kleidung und er verspürte Hunger und Durst. Mit schnellen Schritten durchquerte er das Lager. Überall waren kleine Zelte aufgebaut. Davor saßen kleine Gruppen von Soldaten und wärmten sich an ihren Lagerfeuern. An Spießen darüber briet erbeutetes Wild und der köstliche Geruch ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Während die Männer ins Fleisch bissen und der Bratensaft ihnen übers Kinn lief, unterhielten sie sich leise. Alle waren sie des Kämpfens müde, sehnten sich nach Ruhe und einem willigen Weib. Ein paar Lagerhuren lungerten in der Nähe der Soldaten herum und warteten darauf, dass ihre Dienste in Anspruch genommen wurden. Raoul selbst verspürte keinerlei Verlangen danach, sich mit einer verlausten Dirne die Zeit zu vertreiben. Zusammen mit Gaston begab er sich schnurstracks zum Zelt von Wilhelm und begehrte Einlass, um ihm Bericht zu erstatten. Dieser wurde ihm gewährt und nach wenigen Augenblicken stand er dem baldigen König Englands gegenüber.

„Valois!“, grüßte dieser leutselig. Wilhelm war bester Laune, durch Godwinsons Tod auf dem Schlachtfeld war das größte Hindernis für seine eigenen Ansprüche beseitigt. Den Segen der römisch katholischen Kirche besaß er schon. Papst Alexander unterstützte Wilhelms Ambitionen sich den englischen Thron zu sichern. Sofern nichts Unvorhergesehenes geschah, musste der Herzog nur noch die Reise nach Thorney Island in London antreten, um sich in der Westminster Abtei krönen zu lassen.

Raoul verbeugte sich tief vor ihm. „Lasst mich meine Glückwünsche zur gewonnenen Schlacht aussprechen, Herzog. Dieser Tag wird Euch unsterblich machen.“

Wilhelm lachte dröhnend, das ganze Zelt vibrierte bei diesem Geräusch. „Valois, Ihr seid wahrlich einer meiner gewinnendsten Mitstreiter. Langsam wird mir klar, warum Ihr so erfolgreich bei den Weibern seid. Euer Charme macht nicht mal vor Eurem König Halt.“

Raoul lächelte verhalten. „Ich spreche nur die Wahrheit. Wenn dies zur Folge hat, dass ich meinem König gefalle, dann ist es wohl Gottes Wille.“

Wilhelm schüttelte immer noch leise lachend den Kopf. „Eure Zunge ist flink und Eure Worte wohlbedacht. Das gefällt mir. Ich brauche Männer wie Euch, um meine Macht in England zu festigen, und mir ist nicht entgangen, mit welchem Geschick Ihr das Schwert führt. Daher habe ich mich entschlossen, Euch nach meiner Krönung mit Ländereien und Titel zu belohnen.“

Diese Nachricht kam Raoul vor wie die Erfüllung all seiner Träume. Um Wilhelm seinen Respekt zu zollen, verneigte er sich tief vor ihm „Mein Herzog, ich werde es Euch mit absoluter Loyalität vergelten. Ihr werdet es nicht bereuen, mir Euer Vertrauen zu schenken.“

Ein ernster Ausdruck zeigte sich auf Wilhelms scharfkantigem Gesicht. „Missbraucht es niemals, Valois. Ihr genießt mein Wohlwollen und ich werde Euch zu einem mächtigen Mann machen, doch wendet Ihr Euch jemals gegen mich, werdet Ihr und alle, die Euch lieb und teuer sind, diesen Verrat mit dem Leben bezahlen.“

Raoul glaubte ihm aufs Wort. Wilhelm galt als gerecht, dennoch eilte ihm der Ruf voraus, Verräter mit gnadenloser Härte zu bestrafen. „Seid Euch zu jeder Zeit meiner Treue gewiss.“

Die undurchdringliche Miene Wilhelms blieb gleichbleibend unlesbar. „Wir werden sehen, was die Zukunft bringt“, erwiderte er, nicht ohne einen warnenden Unterton. „Nun genießt unseren Triumph und geht hinaus, um mit den anderen zu feiern. Ich lasse nach Euch schicken, sobald Eure Anwesenheit wieder benötigt wird.“

Nach einer weiteren ehrerbietigen Verneigung verließ Raoul das Zelt. Stolz und Genugtuung erhellten seine vorhin recht trüben Gedanken. Das Geschlecht der Valois würde nicht nur in Frankreich einen großen Namen tragen, sondern durch ihn, auch in England Wurzeln schlagen. Seine Schritte trugen ihn zu seinem Zelt, doch bevor er sich endgültig der verdienten Ruhe hingab, wollte er noch einen kurzen Abstecher ins Gefangenlager machen. Es interessierte ihn brennend, einigen Gegnern von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Die meisten von ihnen würden Wilhelm nach seiner Krönung wohl den Treueeid leisten. Taten sie es nicht, endeten sie früher oder später als verrottende Kadaver in den normannischen Kerkern oder am Galgen.

Die Engländer wurden etwas abseits vom Lager in Schach gehalten. Gefesselt an Händen und Füßen, bewacht von zwei Dutzend Normannen, bot sich ihnen keinerlei Fluchtmöglichkeit. Die hochrangigen Angelsachsen, die sich durch ihr arrogantes Gebaren und ihre Kleidung von den einfachen Soldaten abhoben, bedachten ihre Umgebung mit hasserfüllten Blicken. Darunter befanden sich zwei Männer, die Raouls Aufmerksamkeit weckten. Einer musste Anfang zwanzig sein, der andere wirkte dank einiger grauer Strähnen in seinem Bart, ein paar Jahre älter. Beide waren blondhaarig und sahen sich so ähnlich, dass sie wohl Brüder sein mussten. Die Schande der Niederlage stand ihnen in die Gesichter geschrieben und in ihren Augen schimmerte nackter Hass, sobald sich Raoul näherte. Der jüngere der beiden spuckte ihm vor die Füße, nichts als Verachtung auf den bartlosen Zügen. Ungewöhnlich für einen Angelsachsen, die sich wie die Nordmänner gerne mit struppigen Bärten verunstalteten.

Raoul begegnete dieser Provokation mit einem gleichmütigen Lächeln. „Ihr habt Glück, dass ich durch den Sieg milde gestimmt bin, sonst würdet Ihr diese Unverschämtheit mit dem Leben bezahlen“, erklärte er ruhig. Er benutzte die Sprache seiner Heimat, denn er wollte sie nicht wissen lassen, dass er ihren Gesprächen folgen konnte, auch wenn sein Englisch verbesserungswürdig war.

„Du musst dein hitziges Temperament kühlen, Iwain“, zischte der Ältere und verriet damit den Namen des jüngeren Bruders, ehe er rasch zu Raoul blickte, wohl um sich zu vergewissern, dass er nichts von dem verstand, was er von sich gab. Raoul bemühte sich, diesen in dem Glauben zu lassen, indem er eine ausdruckslose Miene aufsetzte.

Offenbar beruhigt, sprach der Bärtige dem Jüngeren weiter ins Gewissen. „Unsere Zeit wird kommen und dann jagen wir den normannischen Teufelsbastard mitsamt seinen dämonischen Soldaten zurück in die Hölle, wo sie alle hingehören.“

„Ich werde nicht vor diesen dreckigen Normannen katzbuckeln“, zischte der andere. Er war ein Heißsporn, idealistisch und bereit, für seine Heimat zu sterben, während der Bärtige ein hinterhältiges Lächeln zeigte. Letzteren hielt Raoul für den Gefährlicheren von den beiden. Ein verschlagener Charakter, glattzüngig wie eine Schlange, die sich an der Brust des Feindes nährte. Seine nächsten Worte bestätigten dies. „Irgendwann holen wir uns unser Land zurück, solange werden wir uns ruhig verhalten.“

„Das sind alles nur Träumereien, Eadgar“, erklärte Iwain, Resignation und Bitternis schwangen in seinen Worten mit. „Wir sind geschlagen, nichts kann das ändern. Wir müssen auch an Mutter und unsere Schwestern denken.“

„Du wirst schon sehen, dass ich recht habe“, raunte sein Bruder. „Sieh nur, wie selbstgerecht diese normannischen Hunde durchs Lager stolzieren. Ihnen wird das Lachen noch vergehen, wir müssen nur geduldig sein.“

Raoul schnalzte geringschätzig, was diesen Eadgar irritiert innehalten ließ. „Ihr seid dümmer, als ihr ausseht, Eadgar“, sagte Raoul auf Englisch und genoss den Schock auf den Gesichtern der Brüder, sobald ihnen aufging, dass er jede Silbe ihrer Unterhaltung verstanden hatte.

„Wie unvorsichtig von Euch anzunehmen, ich sei eurer Sprache nicht mächtig. Ich mag sie nicht in Perfektion beherrschen, doch es reicht, um die hinterlistigen Pläne zweier Ratten zu durchschauen. Ich kann nur raten, befreit euch von diesen verräterischen Gedanken und schwört Wilhelm die Treue.“

Bodenlose Schwärze, die vermutlich bis in den Grund seiner Seele reichte, lauerte in Eadgars Augen. „Lieber sterbe ich, als einen Bastard als künftigen König anzuerkennen“, raunte er. Raoul hatte genug gehört und hatte wenig Lust, seine Zeit weiter mit diesem aufrührerischen Brüderpaar zu verschwenden.

„Wachen!“ Er winkte zwei Soldaten heran, ehe er auf Eadgar deutete. „Dieser hier soll abseits vom Rest bewacht werden. Lasst ihn nicht aus den Augen und sorgt dafür, dass er nicht mehr in die Nähe seines Bruders gelangt.“

Sie zerrten den widerstrebenden, sich windenden Eadgar an einen entlegenen Platz des Lagers. Raoul wandte sich indessen an den Jüngeren. „Iwain war Euer Name, wenn ich mich recht entsinne. Bleibt zu hoffen, dass Ihr nicht so dumm seid wie Euer Bruder und Abstand nehmt von irgendwelchen Komplotten gegen Wilhelm. Es wird Euch nicht bekommen, das garantiere ich Euch.“

Raoul begegnete Iwains Blick. „Auch wenn es mir in der Seele wehtut, Normanne, so weiß ich doch, wann der Krieg verloren ist. Erwartet aber nicht von mir, dass mein Herz den neuen König je akzeptieren wird, selbst wenn der Verstand es mir gebietet.“

Raoul musterte ihn eingehend. Der Bursche gefiel ihm. Er war mutig und sagte, was er dachte.

„Was Euer Herz denkt, ist mir gleich. Solange Ihr Wilhelm den Gehorsam nicht verweigert, könnt Ihr die Normannen im Geheimen verabscheuen, solange Ihr wollt.“

„Das werde ich!“, versetzte Iwain prompt und mit einer Überzeugung, die Raoul beinahe ein Lächeln entlockt hätte.

„Dennoch rate ich Euch, den Treueeid zu leisten.“ Etwas wie Sorge flackerte über das Gesicht des jungen Angelsachsen, ehe Raoul fortfuhr. „Handelt weise, und schützt so Eure Mutter und Eure Schwestern, denn sie werden es sein, die unter Eurem Ungehorsam leiden werden, solltet Ihr Euch Wilhelms Willen nicht fügen.“

Iwains graue Augen versprühten blanken Hass. „Ich schwöre Euch, wäre ich allein auf der Welt, würde ich frohen Herzens den Gang zum Galgen wählen, anstatt zu kapitulieren.“

Raoul lachte schallend bei diesen Worten, was den Zorn des blondhaarigen Engländers schürte. Wütend zog und zerrte er an den Stricken, die sich um seine Handgelenke wanden. Raoul amüsierte die Wut, doch rang ihm das Verhalten des Gefangenen einen gewissen Respekt ab.

„Aber Ihr seid nicht allein und solltet Ihr den Eid auf Wilhelm schwören, will ich ein gutes Wort für Eure Angehörigen einlegen. Ihr müsst begreifen, dass Wilhelm England nicht zerstören will. Er möchte Ordnung und Frieden bringen und unsere Völker einen. Widersetzt Euch diesem Ansinnen nicht und Ihr werdet es nicht bereuen.“

Zitternd vor Zorn senkte Iwain den Blick. Es fiel ihm sichtlich schwer, sich zu fügen und einen fremden Herrn zu akzeptieren, doch Raoul war sich sicher, wenn er den Herzog einmal in Fleisch und Blut erlebte und ihn sprechen hörte, würde auch der junge Angelsachse begreifen, dass Wilhelm nach Wohlstand und Frieden für alle strebte.

„Wie heißt Ihr eigentlich mit vollem Namen?“, wollte Raoul von ihm wissen.

Der Angelsachse hob stolz das markante Kinn. „Iwain of Whitfield!“

„Nun, mein Name lautet Raoul Antoine de Valois“, erwiderte er, nicht ohne eine gewisse Selbstgefälligkeit an den Tag zu legen. „Merkt ihn Euch, Ihr werdet noch viel von mir hören!“

Kapitel 2

Raoul zügelte seinen Hengst und beäugte misstrauisch das vor ihm liegende Waldstück, das sich dunkel und verwunschen vor ihm erstreckte. Dichtgedrängt und hochragten die Bäume in den Himmel. Aus dem Boden wucherten wenig einladend Gestrüpp und zahlreiche Büsche. Trotz der üppig wachsenden Sträucher war er sich sicher, zwischen den Bäumen eine Gestalt gesehen zu haben. Einen Menschen, kein Tier. Womöglich ein armer Bauer, der unerlaubterweise seine Fallen aufstellte oder ein Mitglied der Rebellen, die ein echtes Ärgernis darstellten. Diese aufrührerischen Burschen versuchten alles Menschenmögliche, um Wilhelm größtmöglichen Ärger zu bereiten und den wackligen Frieden in der Region zu destabilisieren. Dieser Widerstand entwickelte sich zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung für den König, und es lag in Raouls Verantwortung, auf seinen Ländereien dem Treiben dieser Verräter Einhalt zu gebieten. Ein Unterfangen, das sich als heikel entpuppte. Die Köpfe des Widerstands agierten, wie es in der Natur der Sache lag, im Geheimen und die Kämpfer verbargen sich in den Wäldern. Im Gegensatz zu den Normannen fühlten sich die Angelsachsen hier zu Hause. Sie kannten jeden Winkel und jedes Erdloch. Tagsüber verkrochen sie sich, um sich des Nachts wie Schatten aus der Dunkelheit zu lösen. Seit der Schlacht bei Hastings häuften sich die Übergriffe und zwangen den König zu gnadenloser Härte. Doch die aufgeknüpften Rebellen, die im ganzen Land verteilt von den Galgen baumelten, schürten den Hass der einheimischen Bevölkerung auf die Eroberer nur noch mehr. Viele angelsächsische Edelleute weigerten sich, Wilhelm anzuerkennen, und der war kein Mann, dem man ungestraft den Respekt verweigerte. Nicht, dass Raoul sich vor ein paar angelsächsischen Kriegern gefürchtet hätte. Die meisten waren plump und besaßen keinerlei Ausbildung. Mit Pfeil und Bogen traten sie einem entgegen, bekleidet mit schlichten Ledergewändern und Stoffbeinkleidern, während die Normannen in voller Kampfausrüstung auf den ersten Blick zwar recht unbeweglich erschienen, dafür aber fast unverletzbar waren.

Wehmütig dachte er an seine Heimat. Sein Vater, der Comte von Amiens und Valois, war vor sechs Sommern am Gelbfieber verstorben. Nachdem Raouls Bruder als Erstgeborener alle Ländereien, Titel und Ehren geerbt hatte, blieb Raoul nur die Möglichkeit sich als Soldat in den Dienst eines mächtigen Adeligen zu stellen oder eine Laufbahn als Priester zu wählen. Letzteres kam für ihn nicht infrage. Er hielt nicht viel von diesen Pfaffen, die nichts mit der biblischen Demut gemein hatten, die von einem Geistlichen erwartet wurde. Etliche Gottesdiener waren längst nicht so fromm, wie sie vorgaben. Abgesehen von seinem Widerwillen, sich lebenslang in einem Kloster zu verkriechen, genoss er die weltlichen Annehmlichkeiten zu sehr, um sich diese für immer zu versagen. Schon als Kind war es ihm ein Gräuel gewesen, sich still und kniend dem Gebet zu widmen. Er war immer in Bewegung gewesen, nichts hatte seinen unruhigen Geist besänftigen können. So war es kaum verwunderlich, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nahm, indem er in den Krieg zog. Mit Mut und absoluter Treue hatte er sich bis an die Spitze von Wilhelms Gefolge gekämpft und wurde nach der Schlacht bei Hastings fürstlich entlohnt. Von jetzt an würde er den Rest seines Lebens auf englischem Grund verbringen und die alte Heimat nur noch selten wiedersehen. Ein äußerst schmerzlicher Gedanke, andererseits wäre es vermessen gewesen, sich an seinem neuen Titel und der damit erworbenen Macht zu stoßen.

Raoul beugte sich nach vorne, um seinem Hengst über den Hals zu streichen. „Was meinst du, Goliath? Soll ich es wagen und nachsehen, wer oder was sich in diesem Wäldchen versteckt hält?“

Das Tier warf mit einem Schnauben den Kopf nach oben, was Raoul als Ja wertete. Er ritt ein wenig näher heran. Seine Hand ruhte wie gewohnt in der Nähe des Schwertes. Jeder, der ihn von Weitem sah, musste vor Ehrfurcht erzittern, denn Raoul war hochgewachsen und die breiten Schultern ließen ihn übermächtig wirken. Sein von den Damen als schön bezeichnetes Antlitz bewahrte ihn davor, allzu finster auszusehen mit seinem dunkelbraunen Haar, das er der normannischen Tradition entsprechend kurz trug und den brütend dreinblickenden moosgrünen Augen. An mangelnden Bewunderinnen litt er wahrlich nicht, und wenn die Zeit reif war, würde er eine vom König ausgewählte Jungfrau zur Frau nehmen. Dass er nicht aus Liebe heiraten würde, dessen war sich Raoul schon immer bewusst gewesen. Die Ehe zwischen Mann und Frau war stets eine politische Angelegenheit, deswegen war es ihm gleich, welche Jungfer Wilhelm für ihn aussuchen würde. Falls sie nicht seinem Geschmack entsprach, würde er sich eine reizvolle Magd aus dem Gesinde herauspicken, die ihm geben konnte, was ihm fehlte.

Ein Geräusch riss ihn aus den Gedanken. Gaston ritt an seine Seite, um die nächsten Anweisungen entgegenzunehmen. „Mylord? Wir sollten hier am Bach eine kurze Rast machen und die Pferde tränken.“

Der grauhaarige Ritter mit der krummen Hakennase und den Pockennarben im Gesicht war schon seit Hastings an Raouls Seite und erwies sich als äußerst nützlich im Umgang mit den Soldaten. Er war besonnen, schon in fortgeschrittenem Alter und hielt die jungen Heißsporne in seinem Gefolge in Schach.

„Dann soll es so geschehen, ich sehe mich ein wenig um.“

Gaston runzelte beunruhigt die Stirn, wagte es jedoch nicht, seinem Herrn zu widersprechen. „Wie Ihr wünscht.“

Raoul stieg ab und ließ das Pferd stehen. Obgleich es klüger gewesen wäre, bei seinen Männern zu bleiben, konnte er dem Drang, sich dem Wald zu nähern, nicht widerstehen. Als würde ihn eine himmlische Macht an einer unsichtbaren Schnur ziehen. Während er sich durch das Unterholz bewegte, entdeckte er eine Art Trampelpfad und folgte diesem. Bis auf das leise Knacksen der Äste und dem Rascheln der Blätter in den Baumwipfeln war weder etwas Verdächtiges zu hören, noch zu sehen. Er war schon im Begriff umzukehren, da entdeckte er ein gutes Stück entfernt eine schmale weibliche Gestalt in gebeugter Haltung. Neugierig näherte er sich. Sie trug eine reizlose Tunika über dem groben Rock, sehr schlicht, was auf eine niedere Herkunft hindeutete. Noch kehrte sie ihm den Rücken zu, ein tiefdunkler Zopf baumelte über ihrer linken Schulter. Sie bückte sich und zog etwas aus dem Boden. Von hinten konnte er nicht erkennen, wie alt sie war, doch der geschmeidige Fluss ihrer Bewegungen ließ eine jüngere Frau vermuten. Interessiert pirschte er sich heran und trat unachtsam auf einen großen Ast. Das Knacken durchbrach die Stille. Sie fuhr herum und keuchte bei seinem Anblick, sichtlich erschrocken über seine plötzliche Anwesenheit. Den Korb gegen die Brust gepresst, verharrte sie, jeder zitternde Atemzug zeugte von der Furcht, die sie empfand.

„Was tust du hier?“, fragte er in gebrochenem Englisch.

Normalerweise empfand er es als unter seiner Würde, diese barbarische Sprache zu benutzen. Er beherrschte jedoch das Nötigste, da es ihm verhasst war, nicht zu verstehen, was sein Gegenüber sagte.

Statt zu antworten oder ihm in irgendeiner Form Respekt zu zollen, raffte sie den Rock und lief ihm einfach davon. Hölle und Teufel! Hatte dieses Weibsbild den Verstand verloren?

Fluchend setzte er ihr nach und stellte zu seinem Leidwesen fest, wie flink sie unterwegs war. „Bleib stehen!“

Sein gebrüllter Befehl stoppte sie keineswegs, das freche Ding rannte sogar noch schneller und warf dabei immer wieder gehetzte Blicke über ihre Schulter, wohl in der Hoffnung, er möge aufgeben und seine Verfolgung einstellen. Raoul dachte gar nicht daran, sie entkommen zu lassen. Der Reiz der Jagd erfasste ihn. Er beschleunigte und kam dem wieselflinken Wesen unweigerlich näher. Das Mädchen geriet in Panik und achtete im Zuge dessen nicht mehr darauf, wo sie hintrat. Sie verfing sich an einer aus dem Boden ragenden Baumwurzel und schlug der Länge nach hin. Raoul erreichte sie, bevor sie sich aufrichten konnte. Ungeschickt setzte sie sich auf, die Hände hinter sich abgestützt und starrte atemlos zu ihm hoch. Riesige veilchenblaue Augen, die Raoul in ihrer Klarheit ungewöhnlich fand, begegneten seinen grünen und die Unschuld, die sie ausstrahlte, besänftigte den brodelnden Zorn, den ihre Flucht entfacht hatte. Aus unerfindlichem Grund vertrieb diese unerwartete Begegnung die schwelende Unzufriedenheit, die in ihm rumorte, weil er sich nicht so recht mit seiner neuen Heimat anzufreunden vermochte.

„Was ist mir denn da so einfach vor die Füße gefallen?“

Er ließ sich neben ihr auf ein Knie nieder und besah sich die Kleine aus der Nähe. Überrascht sog er die von Nadelduft geschwängerte Luft ein, als er feststellte, wie hübsch sie war. Hübscher als jedes Weib, das er seit seiner Ankunft in England getroffen hatte. Nur die Frauen am französischen Hof konnten es mit dem Liebreiz dieses Mädchens aufnehmen. Ihre Wangen leuchteten dank des schnellen Laufs hochrot und hoben sich von der restlichen blassen Haut ab. Ihr dunkelbraunes Haar sorgte für einen interessanten Kontrast.

„Wie heißt du?“

Ihr Atem stockte nach seiner Frage, sie zitterte am ganzen Leib und das nicht zu Unrecht. Die meisten Männer scherten sich nicht um die Empfindungen eines Weibes, schon gar nicht, wenn sie von niederer Geburt war. Leibeigne besaßen keinerlei Rechte und wäre ihm danach gewesen, sie zum Vergnügen zu benutzen, hätte er niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Allerdings bevorzugte er seine Weiber willig und anschmiegsam. Raoul fand nichts Ergötzliches dabei, sich gewaltsam zu nehmen, was man ihm freiwillig nicht bot. Abgesehen davon mochte er erfahrene Frauen. Zwar schien das Mädchen nicht zu jung zu sein, doch ihre eher schmächtige Gestalt entsprach nicht seinem üblichen Geschmack.

„Willst du mir deinen Namen nicht nennen?“, fragte er so sanft wie möglich, ahnend, wie einschüchternd und brachial er auf dieses grazile Geschöpf wirken musste. Jemand wie er, der in blutigen Schlachten sein Lächeln verloren und beinahe seine gesamte menschliche Wärme eingebüßt hatte, war nicht dazu geeignet, Vertrauen zu erwecken.

Sie schüttelte unterdessen stumm den Kopf, ihre Lippen bebten noch stärker. Ihre Furcht widerstrebte ihm. Obschon sie nur ein gewöhnliches Weib war, verlangte es ihn danach, den panischen Ausdruck aus ihren Zügen zu wischen. Vorsichtig streckte er die behandschuhte Hand aus. Wie ein in die Enge getriebenes Tier wich sie nach hinten zurück.

„Pscht … hab keine Angst vor mir“, raunte er, um dieses zitternde Bündel zu seinen Füßen zu beruhigen.

Reglos verharrte sie und ließ zu, dass er sanft ihre Wange berührte. „Bist du allein hier?“

Ihre Antwort bestand abermals aus einem Nicken, was ihm ein Lächeln abrang. „Besonders gesprächig bist du ja nicht“, stellte er fest.

Seine Freundlichkeit schien sie zu verwirren. Vermutlich war sie überzeugt, er würde sie jeden Moment schänden.

Endlich fasste sie genug Mut zum Sprechen. „Lasst mich gehen, ich bitte Euch! Ich muss heim, man wird mich schon vermissen.“

Raoul betrachtete sie einige Momente, ehe er sich mit einer geschmeidigen Bewegung erhob und mit dem Kinn vorwärts wies. „Dann lauf, bevor ich es mir anders überlege.“

Pure Erleichterung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Sie rappelte sich ungelenk auf. „Habt Dank für Eure Barmherzigkeit!“, hauchte sie atemlos und für einen Moment tauchten ihre Blicke ineinander. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln, erst dann wandte sie sich um und fing an zu rennen.

Kopfschüttelnd sah Raoul der Kleinen hinterher. So ein leichtfertiges Ding! Wusste sie nicht, in welche Gefahr sie sich brachte, wenn sie hier so allein durch die Gegend streifte? Hätte einer seiner Soldaten sie hier erwischt, wäre sie gewiss nicht so glimpflich davongekommen. Trotz ihrer zierlichen Statur war sie kein Kind mehr und dank ihrer lieblichen Züge ein Leckerbissen für einen ausgehungerten Krieger, der sich nur zu gern an ihrem knospenden Leib erfreut hätte. Sie erinnerte ihn an eine Blume, eine Lilie vielleicht, und aus unerfindlichen Gründen bereitete ihm der Gedanke, die groben Hände eines ungeschlachten Soldaten könnten sie berühren, heftiges Unbehagen. Er blinzelte und fluchte leise. Was ging ihn die Unversehrtheit von diesem Fratz an! Über ihm bewegten sich die grünen Blätter raschelnd in dem Takt, den der Wind ihnen vorgab. Er sah sich um und machte sich auf den Rückweg. Bei seiner kopflosen Jagd nach dem Mädchen hatte er sich viel weiter ins Innere des Waldes gewagt als beabsichtigt. Mit weitausholenden Schritten legte er den Weg zurück, bis er aus dem Waldrand heraustrat. Kurz darauf gesellte er sich zu seiner Truppe an den Bach. Die Sonne stand hoch am Himmel und warf glitzernde Reflexe auf das plätschernde Wasser. Seine Männer hatten die Pferde längst getränkt und standen in kleinen Grüppchen beieinander. Gaston, der gestikulierend auf ein paar junge Soldaten einredete, entdeckte ihn und kam auf ihn zu. „Habt Ihr etwas von Interesse in diesem Wäldchen gesehen, Mylord?“

„Nur eine Blume, mein Freund. Eine hübsche und seltene Blume.“

Gaston runzelte irritiert die Stirn nach dieser Antwort. Raoul, noch immer überrascht über seine Nachsichtigkeit diesem Mädchen gegenüber, warf einen letzten Blick zurück. Seine Erinnerung beschwor ihr Gesicht herauf und er fragte sich, ob er ihr jemals wiederbegegnen würde. Ein wenig bedauerte er es, sie laufen gelassen zu haben. Er hätte sie mit auf die Burg nehmen und sich dort an ihrem Liebreiz erfreuen können, wann immer ihm danach der Sinn gestanden hätte. Er straffte den angespannten Leib und begegnete Gastons fragenden Blick. „Lasst uns aufbrechen, wir haben uns lang genug hier rumgetrieben.“

Gaston nickte auf seine üblich knorrige Art. „Ich sage den Männern Bescheid.“

Kurz darauf stieg Raoul auf und gab das Handzeichen zum Aufbruch. Auf dem Weg zurück ritten sie an Dover vorbei und er beschloss den geplanten Halt bei Sheriff Godric of Warringham zu verschieben, da sie für den Rückweg länger gebraucht hatten als geplant. Er würde einen Reiter in die Stadt schicken, der Warringham über sein Fernbleiben in Kenntnis setzen würde. Der Sheriff gehörte zu der überschaubaren Gruppe angelsächsischer Adeliger, die Wilhelm den Treueeid geschworen hatten. Sie ließen Dover hinter sich und erreichten die windige Küste. Man konnte schon von Weitem die Kreidefelsen erkennen. Die Front der Klippen mit ihrem kalkhaltigen Gestein ragte beeindruckend empor, ebenso die Umrisse von Dover Castle, das direkt am Rand erbaut worden war. Die Burg erstrahlte beinahe wieder in altem Glanz, nachdem Wilhelm sie während seines Feldzugs in Brand gesetzt hatte. Er hatte für die Reparaturen gesorgt und neue Befestigungen errichten lassen. Danach hatte er die Burg sowie die Führung der Grafschaft dem Bischof von Bayeux übergeben. Es war nicht der dümmste Schachzug, den eigenen Halbbruder zu seinem Vasallen zu ernennen.

Raoul spürte den Wind durchs Haar fegen, als er seinen Hengst zu größerer Eile antrieb und tiefer ins Landesinnere ritt. Dank des scharfen Tempos erreichte er schon bald seine eigenen Ländereien und die Mauern von Whitfield Castle. Er und seine Männer standen kurz darauf vor den geschlossenen Toren und passierten die Zugbrücke. Ein ohrenbetäubendes Quietschen ertönte, als das Fallgitter von den Wächtern hochgezogen wurde. Sie ritten in den großen Innenhof. Bei den Ställen stieg er vom Pferd und drückte die Zügel einem herbeieilenden Stallburschen zu, damit der sich um Goliath kümmerte. Jetzt wollte er erst einmal seinen Hunger stillen. Raoul überquerte den Hof der Vorburg und passierte das Tor zur Innenburg, um von dort aus den Palas aufzusuchen. Vom großen Saal aus erreichte man die persönlichen Räume, die schon bald auch seinen Schwestern ein neues Zuhause bieten würden. Raoul erwartete in Kürze die Ankunft der beiden und lächelte beim Gedanken an die so unterschiedlichen jungen Damen. Constance war ein blonder Engel, sanftmütig und fromm, während sich die schwarzhaarige Cécile recht hitzköpfig gebärdete, sofern ihr der Sinn danach stand. Sein älterer Bruder Robert hatte Raoul geschrieben und ihn gebeten, sich um möglichst vorteilhafte Eheschließungen für die zwei zu bemühen. Ursprünglich sollten sie in der Heimat verheiratet werden, doch ein aufstrebender normannischer Adeliger, der in England König Wilhelm diente, war in den Augen seines Bruders eine aussichtsreichere Partie. Daher hatte er Raoul die gewichtige Aufgabe übertragen, sich um eine möglichst einträgliche Verheiratung der Schwestern zu kümmern.

Sein englischer Vertrauter Guy of Eastbourne, einer der wenigen, der klug genug gewesen war, sich der Herrschaft der Normannen zu beugen, würde Constance und Cécile am Hafen von Dover abholen. Obgleich von angelsächsischer Abstammung hielt Raoul den jungen Engländer für vertrauenswürdig. Ohne Guys Beistand hätte er sich wahrlich schwergetan, das fremde Land und die Gepflogenheiten kennenzulernen. Zweifellos hatte er noch einen weiten Weg vor sich, bis er sich hier wirklich heimisch fühlen würde. An manchen Tagen vermisste er seine Heimat derart, dass er dem Teufel sogar seinen Erstgeborenen versprochen hätte, nur um wieder normannischen Boden unter den Füßen zu spüren. Jedoch vergingen diese Momente immer rascher und nun freute er sich auf ein deftiges Mahl.

Raoul ließ sich an der Tafel nieder und das Essen schmecken. Das warme Brot sowie das gut gewürzte Fleisch mundeten vorzüglich. Es dauerte nicht lange, bis er sich gesättigt zurücklehnte und sich umsah. Dabei fiel ihm unter dem Gesinde eine rothaarige Schönheit ins Auge, die ihn auf den ersten Blick ansprach mit ihren gleichmäßigen Gesichtszügen und dem üppigen Leib. Raoul verspürte ein unmissverständliches Zucken in den Lenden. Zu lange schon hatte er auf die fleischlichen Freuden verzichtet. Entschlossen, diesem unerquicklichen Zustand ein Ende zu bereiten, winkte er die Magd zu sich. Sie kam eilig näher und aus der Nähe betrachtet war sie sogar noch hübscher. Er verzog die Lippen zu einem anerkennenden Lächeln. „Wie heißt du?“

„Elswith, werter Lord“, antwortete sie und biss sich auf die rosigen Lippen, sich ihrer Wirkung durchaus bewusst. Das hier war keine unerfahrene Jungfrau, sondern ein Weib, das genau wusste, wie man einen Mann erfreute. Die Aussicht, endlich wieder einen willigen Frauenkörper in Besitz nehmen zu können, hob schlagartig seine Laune. Raoul erhob sich und streckte ihr die Hand entgegen, die sie mehr als willig ergriff.

***

Zwei Tage später sah Raoul dabei zu, wie das Fallgitter des äußeren Burgrings hinabgelassen wurde und der von Eastbourne begleitete Tross den Eingang zur Vorburg passierte. Sir Guy ritt voraus und stieg ab, sobald sie die Mitte des Hofes erreicht hatten. Umgehend begab er sich zum Reisekarren und half zuerst Cécile heraus, die, sobald sie ihren Bruder im Hof erblickte, einen freudigen Schrei ausstieß.

„Raoul, endlich sehen wir uns wieder!“

Quirlig wie eh und je, rannte sie in Ermangelung damenhafter Zurückhaltung auf ihn zu und bewegte sich dabei ähnlich flink wie das Mädchen im Wald. Cécile warf sich in seine ausgebreiteten Arme und Raoul drückte sie vorsichtig an seine Brust. Seine Schwestern lagen ihm sehr am Herzen und er hatte insgeheim befürchtet, dass Jahre vergehen könnten, ehe er eine von beiden wiedersah. Cécile seufzte selig und presste die Wange an seine Tunika, dabei hielt sie die Augen geschlossen.

„Das nenne ich eine Begrüßung“, meinte er schmunzelnd. Sie hob den Blick und stellte einen entzückenden Schmollmund zur Schau.

„Ich habe dich vermisst, Raoul“, erklärte sie und legte auf charmante Weise den Kopf schräg. „Hab ich dir auch gefehlt?“

Sie klimperte mit den Wimpern und er seufzte über ihre Koketterie. Ihre angeborene Frechheit könnte ihr eines Tages zum Verhängnis werden. Von einem Weib wurde züchtige Zurückhaltung erwartet. Eine Eigenschaft, die man seiner Schwester wohl kaum zuschreiben konnte, und doch verspürte er nicht den Drang, sie zu schelten. Ihre Zuversicht und die ehrliche Unbekümmertheit waren ein erfrischender Kontrast zum steifen Zeremoniell, dem sie sich immer wieder aussetzen mussten.

„Selbstverständlich hast du mir gefehlt, du kleiner Quälgeist“, antwortete er und blickte über ihren Kopf hinweg zu Sir Guy, der gerade Constance half, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Guy blickte verzückt auf seine Schwester nieder. Die Bewunderung stand ihm ins Gesicht geschrieben und Raoul registrierte dies mit einer gewissen Sorge. Auch wenn der junge Engländer sein Vertrauen genoss, besaß er nach den normannischen Eroberungszügen kein eigenes Land mehr und war daher kein geeigneter Bewerber um die Hand seiner Schwester. Constance bewegte sich indessen mit der ihr eigenen Eleganz auf ihn und Cécile zu, nachdem sie sich aus Sir Guys helfendem Griff gelöst hatte.

„Liebster Bruder“, begrüßte sie ihn mit ihrer sanften Stimme, „wie wundervoll, dich gesund und wohlbehalten anzutreffen.“

Auch sie umarmte ihn. Voller Zuneigung erwiderte er ihr Lächeln und hielt sie für einige Augenblicke dicht bei sich, ehe er zurücktrat. „Ich freue mich sehr, euch bei mir zu haben. Es ist zu viel Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben und ich hoffe, ihr werdet euch in der neuen Heimat wohlfühlen.“

Sofort umwölkten sich die Blicke seiner Schwestern. Raoul ahnte, wie schwer es ihnen fiel, das bekannte Zuhause hinter sich zu lassen. Dennoch empfand er Erleichterung darüber, dass Robert das Schicksal der beiden in seine Hände gelegt hatte. Er würde dafür Sorge tragen, dass die zukünftigen Ehemänner nicht nur über reichlich Goldmünzen verfügten, sondern auch über einen noblen Charakter.

„Ich bin sicher, England wird unsere Herzen im Sturm erobern“, erwiderte Constance diplomatisch, und er konnte sich ein Lächeln über diese geschickte Antwort nicht verkneifen. Raoul hing an beiden Schwestern gleichermaßen, doch es war Constance mit ihrer Sanftmut und ihrer Klugheit, die einen mäßigenden Einfluss auf sein mitunter jähzorniges Naturell ausübte. Genau wie Cécile konnte er aufbrausend und ungestüm sein. Besonders als Kind hatte ihm das die ein oder andere Backpfeife und einen schmerzenden Po eingebracht, weil sich sein Vater gezwungen sah, den Gürtel oder die Rute einzusetzen, um ihm Zucht und Ordnung beizubringen.

Beschützend legte er den beiden eine Hand an den Rücken und führte sie zum Eingang des Palas. „Lasst uns hinein gehen, ihr müsst hungrig sein. Dabei könnt ihr mir von der Heimat berichten und von unserem Bruder. Hat er mittlerweile ein Weib gefunden, das ihm zusagt?“

Constance lächelte. „Robert lässt dich herzlich grüßen, und nein, es gibt nichts Neues zu berichten. Allerdings ist er vollauf mit der Brautschau beschäftigt und scheint der Verzweiflung nah.“

„Es ist köstlich“, mischte sich Cécile ein und kicherte schadenfroh. „Je höher die Mitgift, umso unansehnlicher die Zukünftige. Ich fürchte, die nächsten Generationen der Valois’ werden aus krummbeinigen Gnomen mit spinnendünnen Fingern und hässlichen Hakennasen bestehen.“

Constance streifte die Jüngere mit einem tadelnden Blick. „Lass dieses unchristliche Gerede! Gott liebt alle Lebewesen, selbst wenn sie nicht so hübsch anzusehen sind.“

„Das stimmt und zur Not hilft ein Leinensack über dem Kopf“, erwiderte Cécile altklug.

Raoul lachte schallend und amüsierte sich köstlich. Er konnte sich Roberts Widerwillen, sich an eine reizlose Erbin zu binden, bildhaft vorstellen. Kurz darauf verpuffte sein Gelächter und er empfand Mitleid. Im Gegensatz zu ihm wussten die Schwestern nicht, dass Robert in inniger Liebe mit einer jüdischen Kaufmannstochter verbunden war. Eine hoffnungslose Liaison. Für die Ehe mit einer bürgerlichen und nicht katholischen Frau benötigte er die schriftliche Erlaubnis von Papst Alexander, und die würde man ihm niemals erteilen. Robert war trotzdem nicht bereit, mit den Konventionen zu brechen und auf den kirchlichen Segen zu verzichten. Als strengem Katholik wäre eine Exkommunikation die höchste Strafe für ihn.

Raoul wandte sich an Sir Guy, der sich zu ihnen gesellte. „Leistet Ihr uns beim Mahl Gesellschaft?“

„Es gibt nichts, was ich lieber täte“, antwortete er und ließ dabei den Blick auf Constance ruhen. Deren Wangen erglühten vor Verlegenheit, was Sir Guy ein Lächeln entlockte.

Zu viert liefen sie an der Kapelle vorbei, in der später die Abendmesse stattfinden würde. Der Kaplan galt als belesen und gütig und gehörte zu den wenigen Kirchenmännern, die Raoul respektierte. Wahrscheinlich würde er nach seinem Ableben in der Hölle schmoren, weil er so frevlerische Gedanken über einige Diener Gottes hegte, doch Raouls Reue hielt sich in Grenzen, da er sich sicher war, dass ihm etliche von ihnen im Fegefeuer Gesellschaft leisten würden. Er hatte einfach zu viele korrupte Würdenträger kennengelernt, die sich nicht an die Gebote der Kirche hielten. Todsünden wie Völlerei, Wollust und Habgier machten auch vor den Mitgliedern des Klerus nicht halt.

In der großen Halle nahmen sie Platz und genossen die zubereiteten Speisen. Wunderbar gewürztes Schweinefleisch mit wilden Pilzen, gedünsteter Fisch und dazu ein kräftiges Brot, das noch dampfte und gebackene Äpfel, die man mit feinem Honig übergossen hatte. Schon nach kurzer Zeit war der Hunger gestillt und Cécile wurde unruhig. „Raoul, Whitfield Castle ist ein wundervoller Ort, geradezu prächtig, der Inhalt meiner Kleidertruhen hingegen vergleichsweise trist.“ Sie verzog die Lippen. „Robert war immer so ein Geizkragen, wenn es um unsere Ausstattung ging, aber ich kann schwerlich in diesen alten Lumpen herumlaufen.“ Sie wies auf ihr hübsches weinrotes Gewand, an dem es nach Raouls Ermessen rein gar nichts auszusetzen gab.

„Constance und ich müssen unbedingt gebührend gekleidet sein“, fuhr sie fort. „Und wenn wir schon dabei sind, neues Geschmeide und Bänder fürs Haar könnte ich ebenfalls brauchen.“

Sie schenkte Raoul ein süßes Lächeln. Nachsichtig den Kopf schüttelnd, betrachtete er Cécile. Sie besaß eine ausgeprägte Schwäche für festliche Roben, Spangen, Kämme und Bänder, die sie zur Zierde zu benötigen glaubte. Dabei reichte schon ein Lächeln von ihr, um sie erstrahlen zu lassen. In einem Punkt hatte sie trotzdem recht, Robert litt an übermäßigem Geiz und trennte sich nur schwer von seinen Goldmünzen. Wenn seine Schwestern schon das geliebte Frankreich hinter sich lassen mussten, so konnte er wenigstens ihren Bestand an Schmuck und Kleidern aufstocken.

„In Dover gibt es alles, was dein Herz begehrt, liebste Schwester“, sagte er. „Wir werden baldmöglichst den Markt besuchen und ihr könnt euch mit allem Notwendigen ausstatten.“

Die Begeisterung stand Cécile ins Gesicht geschrieben, sogar die in dieser Hinsicht eher zurückhaltende Constance konnte ihre Freude über den anstehenden Ausflug in die Stadt nicht verbergen. Genauso wenig wie ihre schüchterne Bewunderung für Sir Guy, dessen Augen nachdenklich und voller Anbetung auf ihrem Gesicht und dem goldenen Haar ruhten, während sie hin und wieder zu ihm rüber sah und beim geringsten Blickkontakt verlegen die dichtbewimperten Lider senkte. Raoul fühlte Unbehagen bei diesem unterschwelligen Austausch und beschloss, die Entwicklung genauestens zu beobachten.

Später am Abend hielt er sich in seiner Kammer auf, da kündigte ein Klopfen die Ankunft von Elswith an, die man auf sein Geheiß hin hatte rufen lassen. „Herein!“, rief er. Die schwere Tür knarrte, sobald sie eintrat. „Ihr habt nach mir verlangt, Herr?“

Er trat an den Tisch und griff sich den gefüllten Kelch mit Wein. Den Becher in der Hand bewegte er sich auf sie zu und hielt ihn vor ihre vollen Lippen.

„Ganz recht, mir war ein wenig nach Gesellschaft. Trink, du wirst eine Stärkung benötigen.“

Sich seinem Befehl fügend, nahm sie gehorsam einen Schluck und folgte auch sonst jedem Wunsch, den er an sie richtete.

Kapitel 3

Fleur rannte mit wild klopfendem Herzen davon. Bisher war noch kein Normanne bis zu ihrem kleinen Dorf vorgedrungen und sie hatte noch nie einen der fremden Krieger leibhaftig gesehen. Dennoch sah dieser Mann genauso aus, wie sie sich einen normannischen Soldaten immer vorgestellt hatte. Seine scharfen Züge in dem kantig geformten Gesicht verrieten Entschlossenheit, die gerade Nase einen stolzen Charakter sowie eine ihm angeborene Arroganz. Er war ihr vorgekommen wie eine überirdische Erscheinung, so andersartig und erhaben zugleich. Aus jeder Pore strahlte er Macht und Selbstbewusstsein aus und vermutlich hatte sie mehr Glück als Verstand gehabt, weil diese Begegnung so glimpflich für sie verlaufen war. Nach einer Weile stockte ihr der Atem und die Seite tat ihr weh. Die Hand gegen die stechende Stelle pressend, taumelte sie erschöpft auf einen Baumstumpf zu und ließ sich für einen Moment darauf nieder. Nach und nach beruhigte sich ihr heftig pochendes Herz. Sie legte den Kopf in den Nacken und wurde geblendet von den Lichtreflexen, die durch die Blätter der Bäume hindurchbrachen. Die Lider schließend beschwor sie sein Bild herauf und erschauerte bei der Erinnerung an seine ehrfurchtsgebietende Gestalt. Wie groß und hübsch er gewesen war. Fleur spürte, wie eine ihr unbekannte Wärme durch ihren Leib kroch, beim bloßen Gedanken an ihn. Offensichtlich von hohem Stand, war er dennoch freundlich zu ihr gewesen. Wo doch die Normannen in dem Ruf standen, kaltherzig und grausam zu sein. Was sie ebenfalls überraschte waren seine Kenntnisse der englischen Sprache. Die Fähigkeit, sich mit den Einheimischen unterhalten zu können, eigneten sich nicht viele Normannen an. Zumindest erzählte man sich das.

Fleur merkte, wie sich ihre Gedanken verselbständigten und rappelte sich auf. Zeit aufzubrechen. Bald darauf erreichte sie das kleine Dörfchen Aylesham. Obgleich sie ihr ganzes Leben hier verbracht hatte, fühlte sie sich keineswegs heimisch, sondern ungewollt und geächtet. Onkel Rupert, der Bruder ihres verstorbenen Vaters, gehörte zu den wenigen Menschen im Dorf, der ihr und ihrer Mutter Freundlichkeit entgegenbrachte, was gewiss daran lag, dass er ihre Mutter Isabel maßlos bewunderte. Viele andere hingegen, beäugten sie mit Misstrauen. Ihre aus Frankreich stammende Mutter war aufgrund ihrer Schönheit vor allem den Frauen im Dorf ein Dorn im Auge. Ihre Mutter wurde blutjung von Menschenhändlern am Hafen von Marseille aus ihrer französischen Heimat nach England verschleppt und sollte verkauft werden. Doch ein Überfall auf den Tross, der sie und etliche andere weibliche Gefangene nach London bringen sollte, machte dieses Vorhaben zunichte. Der Angriff endete in einem blutigen Gemetzel und ihrer Mutter gelang verletzt die Flucht. Nach tagelangem Irrlaufen lief sie einem Bauern in die Arme und verlor erschöpft von den Strapazen das Bewusstsein. Der etwas schwerfällige, aber gutmütige Alfgar nahm sie zu sich und pflegte sie gesund. Ihre Mutter blieb bei ihm, erlernte die Sprache und wurde sein Weib, da sie nicht die Mittel besaß, um sich eine Überfahrt zurück nach Frankreich leisten zu können. Fleur kam zur Welt und sorgte dafür, dass ihre Mutter hier in England Wurzeln schlug und sich mit ihrem Schicksal abfand. Leider lernte Fleur ihren Vater niemals bewusst kennen. Er verstarb noch vor ihrem zweiten Lebensjahr an der Ruhr. Dennoch sprach ihre Mutter stets respektvoll und voller Zuneigung über den Mann, der sie so uneigennützig vor dem Tode bewahrt und ihr unter seinem Dach ein Zuhause geschenkt hatte. Um ihre Ursprünge nicht gänzlich zu vergessen, gab sie Fleur nicht nur einen französischen Namen, sondern lehrte sie auch die Sprache ihrer Heimat. Heimlich nur, und ohne das Wissen ihres Schwagers Rupert. Er hätte dies nicht gutgeheißen, da es ohnehin an ihm nagte, wie wenig Respekt seiner Schwägerin und Nichte im Kreise der Gemeinschaft entgegengebracht wurde. Aus diesem Grund versuchte er immer wieder Isabel zu der seinen zu machen, doch ihre Mutter weigerte sich standhaft und hielt weiter an der Treue zu ihrem toten Gatten fest. Fleur fragte sich oft, warum Isabel nie von ihrem alten Zuhause erzählte. Ihre Vergangenheit blieb ein unergründliches Mysterium, und wenn sie es wagte, Fragen zu stellen, verwies ihre Mutter stets auf ihr jetziges Leben und erklärte das Gewesene für unwichtig.

Die Sohlen ihrer Lederschuhe versanken im matschigen Untergrund, als sie das winzige Lehmhäuschen ansteuerte, das sie mit ihrer Mutter bewohnte. Ein paar Gänse kreuzten ihren Weg. Mit geblähten Flügeln rannten sie über den Dorfplatz, angetrieben von ein paar Burschen, die sie lauthals johlend mit Stöcken verfolgten und mit Steinen bewarfen. Die ungezogene Bande hatte ihre helle Freude daran, die Gänse zu quälen. Eadwina, eine korpulente Frau mit massigen Armen und ausladenden Hüften, trat aus der Schmiede ihres Mannes heraus und machte diesem Spuk ein Ende. Mit einer Geschwindigkeit, die man bei ihrer Statur nicht erwartete, stürmte sie auf die Gruppe zu und packte einen von ihnen am Ohrläppchen. „Du garstiger Bengel! Dir werd ich die Ohren langziehen und den Hintern versohlen, bis du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist.“

Fleur verzog das Gesicht. Sich mit Eadwina anzulegen war nicht sonderlich klug und da die Gänse ihrem Mann gehörten, verstand die Gute keinen Spaß. Mitleidlos schleifte sie den Jungen Richtung Dorfbrunnen, seine Freunde hingegen machten sich davon und verstreuten sich in alle Richtungen.

„Au … au … au!“ Der Bub heulte jämmerlich und Fleur empfand Mitleid mit ihm. Wie sehr er eine Tracht Prügel auch verdienen mochte, in seiner Haut wollte sie dennoch nicht stecken. Eadwina war für eine Frau ungewöhnlich kräftig und wenn sie in Wut geriet, brachte man sich besser aus ihrer Reichweite. Diese Möglichkeit blieb dem Kind verwehrt.

„Hör auf zu flennen, du kleine Kröte!“ Eadwina verpasste dem Kind eine Backpfeife, deren Knall über den ganzen Platz hallte.

„Das wird dir eine Lehre sein!“, keuchte sie und zerrte ihn zum Bänkchen am Dorfbrunnen. Dort zog sie den wild protestierenden Jungen quer über ihren Schoß und ihre von harter Arbeit schwielig gewordene Handfläche, sauste in schneller Abfolge auf sein Gesäß nieder. Der Junge schrie aus Leibeskräften, dicke Tränen rannen ihm über die schmutzigen Wangen. Die Wucht, mit der die Frau des Schmieds ihrer Wut freien Lauf ließ, musste ihm peinigende Schmerzen bereiten. Nach unzähligen Schlägen, die kein Ende zu nehmen schienen, konnte Fleur es nicht länger mitansehen und trat entschieden an Eadwina heran. „Jetzt ist es aber gut! Er hat seine Strafe bekommen.“

Eadwinas Hand stoppte mitten in der Luft, ungläubig starrte sie Fleur an, ihr von Falten durchzogenes, verschwitztes Gesicht zeigte nichts als Ablehnung. „Sei still, sonst hängst du auch gleich über meinen Knien!“

Der Junge nutzte Eadwinas kurze Unachtsamkeit, rollte sich blitzschnell auf den Boden und kroch von ihr weg, ehe er sich aufrappelte und davonstürzte, als seien sämtliche Dämonen der Hölle hinter ihm her.

Eadwina entwich ein knurrender Laut, mit vorwurfsvoller Miene wandte sie den Blick vom davonlaufenden Burschen ab und musterte Fleur, als sei sie ein lästiger Käfer, den sie am liebsten mit den Fingern zerquetscht hätte.

„Du dummes Ding! Da siehst du, was du angerichtet hast. Auf und davon ist er.“ Ihre Nasenflügel blähten sich wie die Nüstern eines wütenden Keilers. Sie erhob sich und näherte sich Fleur mit erhobener Hand. Sofort wich sie ein paar Schritte zurück, erschrocken über den Hass, der ihr von der Frau des Schmieds entgegenschlug.

---ENDE DER LESEPROBE---