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Nach Ashtons Verrat hat Maxine zutiefst verletzt, jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Sie will nicht als Spielzeug eines reichen Mannes enden und doch ist sie der Übermacht ihrer Gefühle hilflos ausgeliefert und erliegt ständig ihrer Sehnsucht nach Ashs Küssen. Nur, wie soll sie einem Mann vertrauen, der sich nie zu ihr bekennen und immer eine andere lieben wird? Teil 2. der Liebe kann man nicht kaufen -Trilogie
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Erfüllung
Teil 2.
Vivian Hall
Liebe kann man nicht kaufen - Erfüllung
©2018 Vivian Hall, alle Rechte vorbehalten
Korrektorat: Linda Mignani
Lektorat: Stefanie Johann
©Coverdesign:
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Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin weitergegeben werden.
Inhalt:
Nach Ashtons Verrat hat Maxine zutiefst verletzt, jeden Kontakt zu ihm abgebrochen. Sie will nicht als Spielzeug eines reichen Mannes enden und doch ist sie der Übermacht ihrer Gefühle hilflos ausgeliefert und erliegt ständig ihrer Sehnsucht nach Ashs Küssen. Nur, wie soll sie einem Mann vertrauen, der sich nie zu ihr bekennen und immer eine andere lieben wird?
Erniedrigt flüchtete ich vor Ash und der Verachtung, die mir von ihm entgegenschlug, weil ich das Andenken seiner großen Liebe besudelt hatte. Dabei beschmutzte er es selbst durch sein Verhalten und die Herzlosigkeit, die er seit Jahren an den Tag legte. Meine Informationen über Caroline waren dürftig. Sie bestanden lediglich aus einzelnen Fragmenten, immerhin reichten sie aus, um ein ungefähres Bild ihres Charakters zu zeichnen. Ob sie den heutigen Ash gemocht hätte? Diesen eiskalten Egomanen, der keine Gefühle zuließ und jede zarte Regung in seinem Inneren erstickte, bevor sie sich entfalten konnte? Wohl eher nicht.
Verstört taumelte ich den Gang entlang und stürzte zurück in den Clubraum. James entdeckte ich wartend an unserem Tisch. Sobald ich ihn erreichte, erhob er sich und warf mir ein Lächeln zu, das sicher manches Frauenherz höherschlagen ließ. Nur meines nicht. Ashs Kälte hatte es betäubt und unbrauchbar gemacht. Trotzdem empfand ich James offenen Charakter als wohltuend. Es gelang mir, den Schmerz tief im Inneren zu verschließen und Ashs Freund und Geschäftspartner, halbwegs gefasst entgegenzutreten.
„Entschuldigen Sie, dass ich so lange weggeblieben bin.“
James Lächeln erlosch und Sorge blitzte in seinem Blick auf. „Sie haben geweint“, stellte er fest.
Unangenehm berührt, redete ich mich mit einer Notlüge heraus. „Mir ist nur eine Wimper ins Auge gerutscht.“
Ob er mir das abkaufte, ließ sich schwer einschätzen. Er kommentierte diese Behauptung nicht, stattdessen setzte er sich wieder auf seinen Platz. Ich glitt neben ihn auf den Hocker und überlegte fieberhaft, wie ich mit ihm reden sollte, ohne versehentlich meinen Kummer über Ashs Verhalten zu offenbaren. Den äußeren Schein zu wahren, hatte oberste Priorität, abgesehen davon konnte es sowieso nicht mehr schlimmer werden. Ein Eindruck, den ich revidieren musste, als Ash wenige Minuten später mit Natasha im Arm an uns vorbeistolzierte. Sie schmiegte sich eng an seine Seite. Dabei suhlte sie sich in ihrer eigenen Selbstgefälligkeit, weil sie es geschafft hatte, Seattles begehrtesten Junggesellen an sich zu binden. Obwohl die beiden nur einen knappen Meter von uns entfernt vorbeiliefen, würdigten sie uns keines Blickes. Was James keineswegs entging. Stirnrunzelnd sah er Ash hinterher. „Offenbar hat er vor den restlichen Abend in Natashas Gesellschaft zu verbringen“, kommentierte er konsterniert. „Er hätte sich wenigstens verabschieden können.“
Gespielt gleichgültig zuckte ich die Achseln, gleichzeitig kämpfte ich gegen die aufsteigenden Tränen an, nachdem er mir so dreist seine Verbundenheit zu Natasha demonstriert hatte. Dieser grausame Mistkerl genoss es bestimmt, mich zu quälen, weil ich ihm rücksichtslos die Wahrheit an den Kopf geknallt hatte.
Meine Stimme klang rau vor unterdrückten Gefühlen. „Er hält es eben nicht lange ohne sie aus. Das kommt vor, wenn man frisch verliebt ist. Das sollten Sie nicht so eng sehen.“
Ich sprach betont ausdruckslos, obwohl es mich innerlich auffraß, diese Frau an seiner Seite zu wissen und absichtlich von ihm ignoriert zu werden. Ungeachtet dessen gelang es mir meine seelischen Qualen zu überspielen. Mit ein bisschen Übung würde ich mir sogar selbst weismachen können, dass Ash mir vollkommen egal war.
James durchschaute mich trotzdem. „Ich höre Ihre Worte, es fällt mir bloß schwer, sie mit dem bedrückten Ausdruck in Ihren Augen in Einklang zu bringen. Sie sind in ihn verliebt. Nicht wahr?“
Das war im Grunde keine Frage, sondern eine Feststellung. Ertappt wandte ich den Blick von Ashs Rückansicht ab. Er dirigierte Natasha gerade Richtung Ausgang, dabei lag seine Hand gefährlich nahe über dem Ansatz ihres appetitlich gewölbten Hinterns. Mein Magen überschlug sich bei diesem Anblick, ich atmete tief durch und suchte fieberhaft nach einer Erwiderung, die James’ Behauptung widerlegte.
„Das bilden Sie sich nur ein“, hielt ich tapfer entgegen und verlieh meiner Stimme den Ton rechtschaffener Empörung. „Er ist mein Chef, ich bin keineswegs …“
Gebieterisch hob James die Hand. Ich verstummte schlagartig und er schüttelte sachte den dunkelblonden Schopf, ein mitleidiges Lächeln auf den Lippen. „Maxine, mir machen Sie nichts vor. Ich kenne Ash, insbesondere seine Wirkung aufs weibliche Geschlecht, besser, als Sie es sich vorstellen können.“
„Das verstehe ich jetzt nicht. Was wollen Sie mir damit sagen?“
Er zögerte kurz, dann ließ er die Katze aus dem Satz. „Meine Verlobte hat sich vor einigen Jahren in Ash verliebt. Danach war ich abgemeldet.“
Vor Verblüffung stand mir der Mund offen. Ich wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte. „Oh wow, mit so etwas hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet“, presste ich hervor.
„Solche Dinge passieren. Bestimmt fragen Sie sich, wieso ich überhaupt noch mit ihm rede.“
„Ich brenne vor Neugier.“
Der Anflug eines traurigen Lächelns geisterte über seine Züge. „Gut, dann weihe ich Sie in die schmutzigen Details ein. Aber eines sollten Sie davor wissen: Für mich hat die Vergangenheit keine Bedeutung mehr. Eine Zeitlang ist es mir enorm schwergefallen, an Ash zu denken, ohne ihm den Schädel einschlagen zu wollen. Das gebe ich offen zu. Immerhin hat er mir das Mädchen gestohlen. Mittlerweile stehe ich darüber. Ich war nicht der Richtige für sie, das ist mir im Nachhinein klargeworden.“
„Dann hassen Sie ihn nicht?“
Er schüttelte mit Bedacht den Kopf. „Die Geschichte belastet mich schon lange nicht mehr. Ich gehöre zu den Menschen, die nach vorn blicken und genieße lieber mein heutiges Leben. Warum also kostbare Zeit mit negativen Gefühlen verschwenden? Das wäre nicht besonders klug und darüber hinaus äußerst uneffektiv.“
Unbegreiflich, wie gelassen er mit diesem heiklen Thema umging. Himmel, Ash hatte ihm die Verlobte ausgespannt! Ich fand das ungeheuerlich. Gut, der Ruf eines Egoisten eilte ihm voraus, aber einem Freund die Partnerin abspenstig zu machen, ging zu weit.
„Wie konnte er Ihnen das antun?“ Fassungslosigkeit schwang in meiner Stimme mit. „Und das alles wegen einer dummen Affäre“, fügte ich empört hinzu.
„Wäre es eine bedeutungslose Bettgeschichte gewesen, hätte ich ihm auch niemals verziehen.“
Mir schwante Böses, doch ich verdrängte die aufsteigende Ahnung und warf James einen prüfenden Blick zu. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das so gleichmütig hingenommen haben, wie Sie es gerade darstellen.“
Jetzt rede schon, dachte ich insgeheim.
James genehmigte sich einen Schluck aus dem Glas und drehte es anschließend zwischen den Fingern hin und her.
„Ash hat mir nicht aus Spaß oder purer Geilheit die Verlobte ausgespannt. Er hat sich ebenfalls in sie verliebt und wenn man einmal von diesem Gefühl gepackt wird, kann man es nicht mehr abschütteln.“ James Lächeln bekam eine bittersüße Note. „Sie war ein Engel, nur leider nicht für mich bestimmt. Sie hat immer zu Ash gehört und keine Verlobung der Welt hätte die beiden davon abhalten können, zusammen zu sein. Es hat eine Weile gedauert, ehe ich Carolines Entscheidung akzeptieren konnte. Am Ende setzt sich die Liebe durch, egal wie unvernünftig die Verbindung auch erscheinen mag. Deswegen bin ich über meinen Schatten gesprungen. Was hätte es mir gebracht, die zwei bis in alle Ewigkeit zu verdammen?“
Sobald er den Namen seiner ehemaligen Verlobten erwähnte, schnürte sich meine Kehle endgültig zusammen und die losen Puzzleteile fügten sich zu einem Gesamtbild. „Ashs Caroline …“, murmelte ich und unterdrückte den Wunsch, entsetzt die Augen zu schließen, weil meine Ahnung, zur schrecklichen Gewissheit wurde. Wie vielen Menschen würde ich noch begegnen, die sich von ihrem Liebreiz hatten bezaubern lassen? Ich kam mir vor, als sei ich von ihren Fans umzingelt und obwohl sie ihn für Ash verlassen hatte, schien James ihr Andenken genauso in Ehren zu halten, wie Ash.
James furchte indessen die Stirn. „Sie wissen von ihr?“
Ein schwerer Teppich aus verdrängten Emotionen senkte sich über mich. Mein Herz verkrampfte sich vor Kummer. „Ash hat mir von ihr erzählt, nachdem wir …“
Da es mir schwerfiel, dieses in mir tobende Gefühlswirrwarr in Worte zu kleiden, ohne indiskret zu werden, verstummte ich. James war derjenige, der den Finger auf die Wunde legte. „Haben Sie eine Affäre mit Ash?“
Seine behutsame Frage beinhaltete keinerlei Missbilligung, im Gegenteil, es schwang Verständnis darin mit.
„Nein, aber in einem Punkt haben Sie ins Schwarze getroffen. Ash ist mehr als mein Boss. Ich liebe ihn, so sehr, dass es mich zerreißt, während er …“
Ich brachte es nicht zustande, den Satz zu beenden. Die Augen schließend, sperrte ich für einen kurzen Moment die Welt aus, ehe ich mich der Realität stellte und erneut James Blick begegnete.
„Reden Sie ruhig weiter“, wurde ich von ihm ermuntert. „Was ist mit Ash?“
Ob er es als Arroganz auslegte, wenn ich ihm meine Vermutungen mitteilte? Das Risiko musste ich eingehen und die Möglichkeit nutzen, offen mit jemandem über dieses Thema zu sprechen.
„Ich glaube, er fühlt sich zu mir hingezogen. Ob er verliebt ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, trotzdem empfindet er etwas, gibt uns aber keine Chance, weil er nach wie vor an ihr hängt. Jedes Mal, wenn ich ihm näherkomme, stößt er mich weg.“
„Er schiebt Caroline also vor, um Sie auf Abstand zu halten.“
„Genauso ist es“, bestätigte ich James’ Mutmaßung und warf ihm einen waidwunden Blick zu.
Seine Miene verzog sich mitfühlend. „Das bedaure ich sehr, Maxine, da ich nachvollziehen kann, was in Ihnen vorgeht. Man macht sich Hoffnungen, schwelgt im Glück und ehe man sich versieht, kommt der harte Aufprall, weil die eigene Liebe nicht im gleichen Maße erwidert wird. Nachdem ich von den beiden erfahren habe, stand ich wochenlang unter Schock. Wut, Hass und Trauer haben sich abgewechselt, bis ausschließlich Resignation übrigblieb. Das hat erst nach Carolines Tod ein Ende gefunden. Ashs unendliches Elend hat mich beschämt.“
„Benton hat mir erzählt, wie heftig ihn ihr Verlust getroffen hat.“
James entfuhr ein ungläubiges Lachen. „Das ist eine Untertreibung. Seine Eltern haben eine Zeit lang befürchtet, er könnte sich was antun. Es sind Monate vergangen, ehe er sich einigermaßen gefangen hat. Irgendwann ist es ihm gelungen, die schlimmste Phase des Trauerprozesses zu überwinden. Er hat erneut am Leben teilgenommen, doch ihr Tod hat ihn verändert. Ash war bereits vor Caroline kein Kind von Traurigkeit, aber nach ihr trieb er es wilder als je zuvor. Er hat getrunken, rumgehurt, und ein Vermögen beim Roulette verspielt. In seiner Verzweiflung hat er versucht, den Kummer mit oberflächlichen Vergnügungen zu betäuben. Eine Zeitlang funktioniert sowas vielleicht, die Wirkung blieb jedoch bald aus und Ash hat begonnen, sein Leben mit gefährlichen Hobbys aufs Spiel zu setzen. Man wurde den Eindruck nicht los, dass er den Tod herausfordern wollte, ihn nachzuholen.“
Nach diesen Bekenntnissen schwiegen wir eine Weile. Jeder starrte in sein Glas, bis James die Stille mit einer Information brach, die mich total aus der Bahn warf.
„Wissen Sie eigentlich, dass er nie mit ihr geschlafen hat?“
Meine Augen weiteten sich. „Das ist nicht ihr Ernst? Die beiden waren doch verlobt und Ash gehört nicht zu den Männern, die sich in Geduld üben.“
Damit lag ich offenbar falsch.
„Normalerweise würde ich Ihnen Recht geben, trotz alledem heißt es auch, Ausnahmen bestätigen die Regel. Ash hat sich um ihretwillen zurückgenommen, da Caroline jungfräulich in die Ehe gehen wollte. Sie wurde dank ihres Großvaters ungewöhnlich christlich erzogen und hat niemanden rangelassen. Ash und ich haben das akzeptiert, weil wir sie geliebt haben.“
Unfassbar, wie leicht es dieser Frau gelungen war, zwei Löwen in fügsame Lämmer zu verwandeln. „Sie muss eine außergewöhnliche Person gewesen sein.“
„Oh, das war sie. Die Beste.“
Ein weiterer Dämpfer, den ich ertragen musste. Carolines Perfektion gab mir das Gefühl eine totale Niete zu sein. Selbst James schwärmte nach all den Jahren von ihr, das schlug mir aufs Gemüt und schwächte mein Selbstbewusstsein. Vor allem, nachdem mich Ash vorhin so eiskalt abserviert hatte.
Ich sah auf. James’ fuhr fort, Carolines positive Eigenschaften zu glorifizieren, und merkte nicht, wie sehr mir das zusetzte. „Sie hat immer zuerst an andere gedacht. Bei unserer Trennung hat sie wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben egoistische Züge gezeigt. Sie wollte um jeden Preis mit Ash zusammen sein.“
„Und was war mit Ihnen?“
Er hob in einer gleichgültigen Geste die Schultern. „Mir wehzutun, hat sie schwer mitgenommen. Konsequentermaßen hat sie ständig versucht, mich zu verkuppeln.“ Er schüttelte den Kopf, als wäre die bloße Idee absurd gewesen. „Caroline hat rundweg verdrängt, dass ich ausschließlich sie geliebt habe.“
Genau wie Ashton stilisierte er sie in seinen Erinnerungen zur Heiligen hoch. „Das ist alles sehr entmutigend für mich“, flüsterte ich.
Sein Seufzen klang mitleidig, mir drehte sich bei diesem Ton der Magen um. „Maxine, es ist mir wichtig, keine unnötigen Hoffnungen zu wecken. Einen gutgemeinten Rat möchte ich Ihnen dennoch mit auf den Weg geben.“
„Der da wäre?“
„Sollten Sie Ash wirklich lieben, dann kämpfen Sie um ihn. Seit Caroline hat er keine Frau so angesehen, wie Sie. Es mag ihm eventuell nicht bewusst sein, aber er scheint tiefe Gefühle für Sie zu hegen und versteckt sie hinter einer Wand aus Eis. Ich kann das verstehen. Wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, scheut man davor zurück, sich erneut verletzbar zu machen. Nur eines darf man dabei nicht außer Acht lassen: Furcht ist die Mutter allen Übels. Sie schafft Bedenken, wo keine angebracht sind, und beeinflusst den gesunden Menschenverstand.“
Ähnlich philosophisch hatte sich Benton geäußert. Nach der Abfuhr, die ich vor einigen Minuten erlitten hatte, war es eben diese Angst, die mich davor bewahren sollte, meine Gefühle über das Pflichtgefühl zu stellen. Während des Streits mit Ash hatte ich den Kopf verloren. Das würde mir nicht noch einmal passieren. Gegenwärtig galt es, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren, und das war Danny. Er brauchte eine stabile Mutter, kein von Liebeskummer geplagtes Geschöpf ohne Rückgrat.
Deswegen schüttelte ich nach James Ermutigung bedauernd den Kopf. „Aktuell fehlt mir die Kraft, gegen Ashs Vergangenheit anzukämpfen. Ich benötige meine Energie für Wichtigeres.“
„Was gibt es denn Bedeutsameres als die Liebe?“
„Meinen Sohn!“, antwortete ich ruhig.
„Sie haben ein Kind?“
Beim Gedanken an Danny kämpfte sich die Andeutung eines Lächelns zurück an die Oberfläche. „Sein Name ist Daniel“, sagte ich. „Er ist sechs Jahre alt und mein ganzer Stolz.“
James’ Miene wurde weich. „Ich verstehe. Dann liegen Ihre Prioritäten natürlich woanders.“ Er räusperte sich und warf mir einen neugierigen Blick zu. „Sie erwähnten gerade, dass Sie Ihre Kraft für Wichtigeres bräuchten. Haben Sie Probleme?“
Zuerst war ich unschlüssig, ob ich ihm von dem Anwaltsbrief erzählen sollte, sah jedoch keinen Grund, es nicht zu tun. „Dannys Vater möchte das Sorgerecht für ihn beantragen. Bestimmt können Sie verstehen, dass angesichts dieser Entwicklung, meine problematische Beziehung zu Ash in den Hintergrund rückt.“
James nickte. „Nachvollziehbar, wenn Sie sich gegenwärtig nicht mit Ihrem Liebesleben beschäftigen wollen. Obwohl ich es schade finde. Ash würde eine bodenständige Partnerin guttun. Eine Frau, die er nicht nur lieben, sondern auch respektieren kann.“
Genau das wollte ich nicht hören und schon gar nicht darüber nachdenken. Mir wuchs die Situation über den Kopf. Ebenso die Gefühle für Ash, die Zukunftssorgen, selbst diese Unterhaltung verlangte mir alles ab.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, den Abend zu beenden? Der Tag war nervenaufreibend und ich bin schrecklich müde.“
James zeigte Verständnis und bestand darauf, mich persönlich zu Hause abzuliefern. In meiner Wohnung herrschte nach dem Krach im Club eine wohltuende Stille, dennoch gelang es mir lange nicht, in den Schlaf zu finden. Als ich doch einschlummerte, träumte ich von Ash und einer gesichtslosen Frau, die mich lachend verspottete, weil ich einen Mann liebte, der meine Gefühle nicht erwiderte.
***
Die kommenden Tage brachten weitere Veränderungen mit sich. Benton teilte mir mit, dass ich von nun an in der Lage sei, das Restaurant eigenständig zu leiten. In gewisser Weise war ich froh, dass er ging, da er mein letztes Bindeglied zu Ash darstellte. Jedes Mal, wenn ich mich mit ihm unterhielt, kämpfte ich gegen den Drang, mich nach Ash zu erkundigen. Bentons gütige Augen und die Ruhe, die er ausstrahlte, würde ich trotzdem vermissen.
Seit dem Fiasko im Club herrschte zwischen Ash und mir absolute Funkstille. Wie angekündigt verschwand er aus meinem Alltag und das tat weh. Sehr sogar. Daher tat ich das einzig Mögliche und versuchte die Lage zu akzeptieren und mich nicht unterkriegen zu lassen. Das Leben ging weiter. Ich sah keinen anderen Weg, außer den Kummer zu überwinden und meine gesamte Konzentration darauf auszurichten, Danny eine gute Mutter zu sein. Bevor ich jedoch einen Neuanfang wagen konnte, musste ich den Termin mit Coreys Anwältin überstehen. Noch hegte ich die leise Hoffnung auf eine friedliche Einigung. Da Corey über keinerlei Verantwortungsgefühl verfügte, fand ich ein regelmäßiges Besuchsrecht mehr als ausreichend. Hoffentlich gab er sich damit zufrieden und verzichtete auf einen Sorgerechtsprozess, der am Ende nur Dannys Psyche schaden würde.
Zwei Tage vor dem Treffen kam Riley nach kurzem Klopfen gutgelaunt ins Büro. Ihr Strahlen konnte man nicht übersehen. Sie und Colin lebten ihre Beziehung im Eiltempo aus und sie hatte bereits seine Eltern kennengelernt. Die Hunters empfingen meine Freundin mit offenen Armen und schienen so etwas wie Standesdünkel nicht zu kennen. Beide wollten ausschließlich das Glück ihrer Söhne. Was sie wohl von Ashs geplanter Hochzeit hielten?
Diese Frage beschäftigte mich, trotzdem scheute ich davor zurück, Riley deswegen auszuhorchen. Immerhin würden sie und Natasha eines Tages Schwägerinnen sein und ich beabsichtigte nicht, sie negativ zu beeinflussen.
„Brauchst du was oder kommst du nur zum Plaudern?“
Ich wählte einen bewusst leichten Tonfall, dabei war mir gar nicht danach zumute. Innerlich fühlte ich mich wie gelähmt vor Angst, aufgrund des bevorstehenden Termins mit Coreys Anwältin. Außerdem schlug mir das trübe Wetter der letzten Tage aufs Gemüt.
Rileys Lächeln schwächte sich ein wenig ab. „Du wirkst so angespannt seit einigen Tagen, besonders heute. Ich dachte, ich lege eine kurze Pause ein und muntere dich ein bisschen auf. Cynthia und Jenna kümmern sich um die Gäste.“
Sobald sie die beiden erwähnte, breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht auf. Cynthia lebte seit Jennas Einstellung richtiggehend auf. Die hatte sich der Aufgabe verschrieben, unsere graue Maus optisch aufzupeppen, und die Veränderungen fielen sogar George auf, der er es endlich geschafft hatte, sich gegen seine übermächtige Mutter durchzusetzen und sich den Freiraum schuf, den ein erwachsener Mensch benötigte. Es schien, als wären ihm schlagartig die Scheuklappen abhandengekommen und seit einigen Tagen zeigte er steigendes Interesse an Cynthia. Ihre stille Würde imponierte ihm offenbar und er kam nun fast täglich vorbei, um einen Kaffee zu trinken und einen kurzen Plausch mit ihr zu halten. Die schüchterne Annäherung fand ich rührend und mein romantisches Herz hoffte auf eine Lovestory mit Zukunftspotenzial. Sie passten wunderbar zusammen und dank Jenna entwickelte Cynthia immer mehr Selbstbewusstsein. Bedauerlich, dass meine Freundin ihr Talent, aus vermeintlich wenig das Beste herauszuholen, nicht nutzte, um sich zur Stylistin ausbilden zu lassen. Jedes Mal, wenn ich das Thema anschnitt winkte sie nur ab und erklärte, sie wäre glücklich mit ihrem Leben und ihrem Job. Oberflächlich betrachtet, mochte das stimmen, doch meines Erachtens belog sie sich selbst. Sobald sie sich unbeobachtet wähnte, verschleierte sich ihr Blick und ich hätte meinen Hintern darauf verwettet, dass sie in diesen Momenten an Aaron dachte. Genau wie ich litt sie wie ein Hund wegen eines Mannes, der ihre Gefühle nicht erwiderte. Ein bitteres Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln. Wie lange würde es dauern, bis der Schmerz verging und wir unbeschwert in die Zukunft schauen konnten? Musste eine Seele wirklich erst zu Asche zerfallen, ehe wieder Frieden in sie einkehren konnte?
„Maxine? Hörst du mir überhaupt zu?“
Rileys sanfte Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Ich hüstelte verlegen. „Entschuldige, was hast du gesagt?“
„Ich wollte wissen, was du von einem Mädelsabend hältst?“
Seufzend rieb ich mir über den Nasenrücken. „Tut mir leid, aber bevor die Sache mit Corey nicht geklärt ist, habe ich keinen Nerv für solche Dinge. Ich wünschte, er würde dahin verschwinden, wo er hergekommen ist.“
Tränen brannten hinter meinen Augenlidern und schon kam sie um den Tisch herum. „Hey, nicht weinen!“
Sie ging neben dem Stuhl in die Hocke, ergriff meine eiskalten Hände und drückte sie beschwichtigend. „Es wird alles gut werden, Maxine. Der Kerl hat sich jahrelang nicht um Danny gekümmert und nie einen Cent Unterhalt bezahlt. Allein durch diese Tatsache sind seine Chancen irgendwelche Ansprüche geltend zu machen, praktisch bei null. Niemand würde so jemandem ein Kind anvertrauen.“
Mein Verstand sagte mir, dass sie recht hatte. Wieso sollte mir ein Richter Danny wegnehmen? Er entwickelte sich hervorragend, besuchte die Schule, war gesund und fröhlich. Abgesehen davon, verdiente ich mittlerweile ausreichend Geld, und dank Bibi war ich imstande, eine lückenlose Betreuung zu garantieren.
„Du denkst also, ich drehe durch und mache mich umsonst verrückt?“
Riley nickte entschieden. „Exakt. Deine Sorgen sind bestimmt unbegründet. Du wirst sehen, alles wird gut.“
Beruhigt blinzelte ich die Tränen weg und atmete tief durch. „Wenn das so ist, sollte ich wieder an die Arbeit gehen.“
Meine Freundin lächelte sanft. „So gefällst du mir gleich besser.“
Kurz darauf saß ich allein im Büro und bemühte mich, nicht ständig an Corey und sein ungewöhnliches Interesse an unserem Sohn zu denken. Ein Mensch änderte sich nicht von Grund auf und deswegen blieben letzte hartnäckige Zweifel haften.
***
Endlich stand der Termin in der Anwaltskanzlei an. Nervlich am Ende zupfte ich an meiner weißen Bluse herum und strich zum vermutlich hundertsten Mal die Hose glatt, ehe ich mich mit ziemlichen Bauchschmerzen auf den Weg machte. Ob Corey ebenfalls anwesend sein würde? Oder zog er es vor, sich davor zu drücken, so wie es seinem Charakter entsprach.
Angespannt bis in die Zehenspitzen betrat ich das hochmoderne Bürogebäude, in dem die Räumlichkeiten von Mendelsohn & Finch untergebracht waren. Im Foyer vor den Aufzügen stand bereits Bibis Anwalt und nickte mir zu, sobald ich ihn erreichte. „Ms. Nichols, schön Sie zu sehen.“
„Hallo, Mr. Rodriguez.“ Ich schüttelte ihm die Hand und versuchte, das aufgeregte Blubbern im Bauch abzustellen.
„Kommen Sie, wir werden schon erwartet.“ Er wies auf den Aufzug, dessen Türen sich gerade auseinanderschoben.
Gemeinsam betraten wir den innen verspiegelten Lift und fuhren hoch ins vierzigste Stockwerk. Ich verhakte die Finger ineinander, mein Atem kam flach und unregelmäßig. Oh Gott, ich starb fast vor Angst. Corey womöglich nach so vielen Jahren wieder gegenüberzustehen, jagte mir Wirbel für Wirbel kalte Schauer über den Rücken.
Mr. Rodriguez warf mir einen kurzen Seitenblick zu. Ihm entging sicher nicht, dass ich wie Espenlaub zitterte. „Sind Sie nervös?“
„Das trifft es nicht einmal annähernd.“ Mir gelang ein klägliches Lächeln.
Er tätschelte mir den Handrücken. „Nur keine Angst. Meiner Meinung nach haben Sie wenig zu befürchten, es sei denn, Sie haben ein paar Leichen im Keller, von denen Sie mir nichts erzählt haben.“
„Ich schwöre, ich bin der langweiligste und gesetzestreueste Mensch auf der Welt. Ich habe mir bisher nicht einmal Strafzettel geleistet.“
„Dann zeigen Sie ein hübsches Lächeln und seien Sie guter Dinge. Wir sorgen dafür, dass Ihr Junge bei Ihnen bleiben kann.“
Er grinste und strahlte dabei eine unheimliche Weitsicht und Ruhe aus. Bibi war eine Zeitlang mit ihm ausgegangen, bis sie feststellten, dass sie lieber Freunde blieben. Kaum stiegen wir aus dem Lift, standen wir in einem langen Gang, der zu einer Glastür führte. Wir bewegten uns darauf zu, traten ein und befanden uns in einem Licht durchfluteten Raum mit einer Empfangstheke. Links von mir verlief eine durchgehende Fensterfront. Man konnte direkt auf die Skyline von Seattle schauen. Rechts reihten sich einige Türen.
Eine topgestylte Blondine hinter der Theke blickte von ihrem Bildschirm auf und kam anschließend auf uns zu. Wir wurden mit einem unpersönlichen Lächeln begrüßt. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Mr. Rodriguez straffte seinen Körper und hob den Kopf. Die Dame besaß Modelmaße und war sicher zehn Zentimeter größer als er.
„Wir haben einen Termin. Mrs. Mendelsohn erwartet uns.“
„Ah, natürlich.“ Das schmale Grinsen der Blondine wurde eine Spur herzlicher. Sie setzte sich in Bewegung und wir liefen ihr hinterher. Vor einer verschlossenen Tür blieb sie stehen und klopfte. Von innen ertönte ein gedämpftes „Herein.“
Sie öffnete und trat dann mit einer einladenden Handbewegung beiseite. „Bitte sehr.“
Wir folgten der Aufforderung. Eine weitere Blondine kam uns in atemberaubend hohen Stöckelschuhen entgegen. Ich schätzte ihr Alter auf ungefähr vierzig. Sie trug ein feuerrotes Kostüm. Eine aggressive Farbe, die ihr eine fast schon unbesiegbare Ausstrahlung verlieh. Ich musste zugeben, sie schüchterte mich ein. Ihre maskenhaften und perfekt geschminkten Züge wirkten trotz des Lächelns starr. Vermutlich lag die letzte Botox Behandlung noch nicht allzu lange zurück. Um der Wahrheit die Ehre zu geben war sie dennoch eine wunderschöne Frau. Ihre äußerliche Perfektion erstreckte sich bestimmt auch auf ihre beruflichen Qualifikationen. Sonst hätte sie es nicht als Partnerin in diese Kanzlei geschafft. Was wiederum die Frage aufwarf, wie viel Skrupellosigkeit und Härte nötig war, um so eine Karriere hinzulegen. Mein Körper spannte sich an, sobald ich ihrem Blick begegnete. Kalt wie Eis. Instinktiv baute ich ihr gegenüber eine Art Abwehrhaltung auf. Mit der war nicht gut Kirschen essen, das ahnte ich, ohne bislang einen Satz mit ihr gewechselt zu haben.
„Ms. Nichols, Mr. Rodriguez.“ Ihre exaltierte Stimme hallte übertrieben süßlich durch den modern eingerichteten Raum. „Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind. Bitte, setzen wir uns doch hin. Mr. Hatfield wird jeden Augenblick eintreffen.“
Wir schüttelten ihr die Hand und folgten ihr zu einer eleganten Sitzgruppe aus schwarzem Leder.
„Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Wasser, Saft, eventuell Kaffee?“
„Nein, danke.“ Schon beim Gedanken daran, etwas zu mir zu nehmen, sei es in flüssiger oder fester Form, schnürte sich meine Kehle zu. Mr. Rodriguez lehnte ebenfalls ab und wechselte daraufhin ein paar Worte mit ihr. Ich sah mich unauffällig um. Jeder Quadratzentimeter des Büros war von kühler Eleganz geprägt, genau wie die Frau, die es nutzte. Wohin man blickte, nur Chrom und Glas, den Boden bedeckte ein weicher Teppich und an den Wänden hingen urbane Fotodrucke. Vermutlich von irgendwelchen ultra-hippen Künstlern. Ausstattung und Equipment waren definitiv vom Feinsten. Die Kanzlei gehörte mit Sicherheit zu den besten Adressen in der Stadt. Woher besaß Corey die finanziellen Mittel, um sich so eine teure Anwältin leisten zu können?
Es klopfte. „Ah, das wird Mr. Hatfield sein“, freute sich Mrs. Mendelsohn. „Kommen Sie herein!“
Gleich darauf trat die Rezeptionsblondine mit Corey im Schlepptau ein. Bei seinem Anblick zog sich das unsichtbare Seil um meinen Hals noch fester zusammen. Er war vom Jungen zum Mann herangereift und hatte deutlich an Muskelmasse zugelegt. Das hellblonde Haar trug er kürzer als damals. Der Schnitt betonte Coreys attraktive Gesichtszüge und das arktische Blau der Augen. Das triumphierende und hinterlistige Funkeln in ihnen, sobald sich unsere Blicke über den Raum hinweg begegneten, traf mich wie ein Schock. Warum war er so gutgelaunt?
„Corey“, grüßte ich steif und rang mich zu einem sparsamen Lächeln durch.“
„Maxine, gut siehst du aus. Hast dich prima gehalten.“
Wohlwollend wanderte sein Blick über mich hinweg, sein Grinsen bekam eine schlüpfrige Note. Anscheinend gefiel ihm, was er sah. Nicht zu fassen! Der verlogene Mistkerl checkte mich ab wie ein Stück Fleisch in der Auslage einer Metzgerei. Was für ein Kotzbrocken! Und wie mich sein schleimiges Getue anwiderte. Als junges Mädchen war ich voll drauf reingefallen, heute war ich mir darüber im Klaren, dass über Corey Hatfields Lippen Lügen flossen wie Wasser aus einem Krug.
Er begrüßte Mrs. Mendelsohn und mein Anwalt beugte sich zu mir: „Bevor es losgeht, noch eines: Überlassen Sie mir das Reden. Die Mendelsohn mag ja einen leutseligen Eindruck erwecken, aber sie ist ein gerissenes Luder, das Ihnen jedes Wort im Mund umdreht. Antworten Sie möglichst mit Ja oder Nein. Den Rest erledige ich.“
„Okay“, stimmte ich verunsichert zu und musterte meinen Ex voller Misstrauen. Gott, sein Anblick verursachte mir Brechreiz. Nach so vielen Jahren hatte ich angenommen, die negativen Empfindungen überwunden zu haben. Was für ein Trugschluss! Der Hass auf diesen skrupellosen Kerl hatte sich nur in mein Inneres zurückgezogen und flammte in diesen Augenblicken mit unverminderter Kraft wieder auf. Eine Welle an Emotionen spülte über mich hinweg und schürte die Ängste, die alles unter sich begruben.
Mir war klar, dass ich mich nicht querstellen konnte, wenn ein Richter ihm Besuchsrechte einräumte. Sollte Corey ehrlich versuchen, eine Beziehung zu Danny aufzubauen, war ich durchaus bereit, unsere Differenzen hintenanzustellen. Schließlich brauchte der Kleine wirklich eine Vaterfigur. Leider kaufte ich meinem Ex die Daddy-Nummer nicht ab. Er scherte sich einen Dreck um ihn. Mein Mutterinstinkt warnte dennoch eindringlich davor, diesen Mann zu unterschätzen. Sollte er charakterlich nicht eine wundersame 180 Grad Wendung hingelegt haben, verfolgte Corey mit Sicherheit einen ganz bestimmten Plan. Und falls seine Klage doch auf ehrlichem Interesse beruhte, würde er seinen Pflichten trotzdem bald überdrüssig werden. Für den Kleinen würde eine Welt zusammenbrechen, sollte sich Corey eines Tages aus dem Staub machen. Ich wusste ohnehin nicht, wie ich Danny beibringen sollte, dass sein Erzeuger plötzlich aufgetaucht war.
„Lassen Sie uns beginnen“, erklärte Mrs. Mendelsohn in diesem Moment. „Irgendwelche Einwände?“
Mr. Rodriguez räusperte sich verhalten. „Nein, je eher wir anfangen, umso besser.“
Kaum verhallten die Worte, änderte sich die Mimik von Coreys Anwältin. Die aufgesetzte Freundlichkeit wurde durch einen unterkühlten Gesichtsausdruck ersetzt, ihre gesamte Haltung strahlte Überlegenheit aus. „Nun, wie Sie bereits dem Schreiben entnehmen konnten, möchte mein Mandant das Sorgerecht für seinen Sohn Daniel Nichols beantragen.“ Sie grinste verschlagen und warf mir einen scharfen Blick zu. „Ms. Nichols, darf ich in Erfahrung bringen, ob Sie sich derzeit in einer Beziehung befinden?“
Empört suchte ich Blickkontakt zu Mr. Rodriguez. Der signalisierte mir mit einem angedeuteten Nicken, dass es okay wäre, zu antworten. „Aktuell lebe ich in keiner Partnerschaft. Allerdings interessiert es mich brennend, wieso das von Belang sein soll.“
„Oh, ich finde das durchaus wichtig, Ms. Nichols. Sie sind offenbar alleinstehend und da niemand von Luft und Liebe leben kann, müssen Sie für Ihr finanzielles Auskommen arbeiten. Das wirft die Frage auf, wer in dieser Zeit Ihren Sohn betreut und ob derjenige so einer verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen ist.“
Ihre Taktik lag klar auf der Hand. Sie zielte darauf ab, mir Unfähigkeit als Mutter zu unterstellen. Es war ein Hohn, dass ausgerechnet Corey das anzweifeln wollte.
Mr. Rodriguez schaltete sich endlich ein. „Ich möchte Sie bitten, meine Mandantin nicht unter Druck zu setzen. Die Betreuung ist geregelt und das Kindeswohl sichergestellt. Im Übrigen finden wir das plötzliche Interesse von Mr. Hatfield am Leben seines Sohnes sehr irritierend. Bislang hat er nie versucht, Kontakt zu Danny aufzunehmen. Meines Erachtens ist es Mr. Hatfield, der seine Eignung als Vater beweisen muss. Ms. Nichols hat sich in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen und sollte das alleinige Aufenthalts- und Bestimmungsrecht weiterhin behalten.“
Mein Ex schwieg und hörte Mr. Rodriguez Ausführungen sichtlich entspannt zu. Dabei umspielte seinen Mund ein enervierend gelangweiltes Grinsen. Dieses Verhalten passte so gut zu ihm. Er nahm andere Menschen nicht ernst und suhlte sich in seiner vermeintlichen Überlegenheit. Auch hielt er es nicht für nötig, selbst zur Unterhaltung beizutragen. Das Reden übernahm Mrs. Mendelsohn für ihn und die wetzte bereits die Messer.
„Wir werden uns eingehend mit der Lebenssituation des Kindes befassen. Davon können Sie ausgehen, Mr. Rodriguez. Und was den fehlenden Kontakt angeht, gibt es eine plausible Erklärung. Mr. Hatfield hat jahrelang ein sehr unstetes Leben geführt, mit wechselnden Wohnorten und Aushilfsjobs. Er wollte dem Jungen keinen Vater zumuten, der ihm nichts bieten konnte und hat abgewartet, bis sich seine persönliche und wirtschaftliche Lage verbessert hat.“
Mir blieb fast die Spucke weg. Ich schaffte es nicht, mir einen bissigen Kommentar zu verkneifen.
„Danny braucht kein Geld oder Spielzeug, sondern einen Vater, der für ihn da ist. Das ist doch nur eine verlogene Ausrede, um sein Fernbleiben zu rechtfertigen.“ Mit einem verächtlichen Lächeln wandte ich mich meinem Ex zu. „Du hast dich nicht verändert, bist immer noch der oberflächliche Mistkerl, der mich damals schwanger hat sitzenlassen.“
„Ms. Nichols, mäßigen Sie sich!“, bat Mrs. Mendelsohn und notierte etwas in ihren Block.
Mr. Rodriguez wirkte nicht sehr glücklich und legte beschwichtigend die Hand über meine. „Bitte, halten Sie sich zurück“, zischte er mir leise zu. „Ich weiß, wie unangenehm das alles ist, aber wenn Sie Ihre Wut nicht zügeln, schaden Sie sich nur selbst.“
Räuspernd setzte ich mich aufrechter hin. „Verzeihen Sie mir diesen Ausbruch. Es kommt nicht wieder vor.“
„Fein, dann können wir ja weitermachen“, erwiderte Mrs. Mendelsohn gleichmütig.
„Fahren Sie fort“, stimmte Mr. Rodriguez zu.
„Wie bereits erwähnt, fühlte sich Mr. Hatfield dazu berufen, sein Leben erst auf die Reihe zu bekommen, bevor er sich der Aufgabe als Vater gewachsen sah. Seit einigen Monaten ist er verheiratet und lebt in geordneten Verhältnissen. Der perfekte Zeitpunkt, um sich seinem dringendsten Anliegen zu widmen und Danny endlich die Aufmerksamkeit zu schenken, die er zweifellos verdient.“
Dieser miese Heuchler! Er spielte hier den geläuterten Vater und machte einen auf Familienmensch, doch mich konnte er nicht so täuschen, wie seine Frischangetraute. Unfassbar genug, dass Corey tatsächlich eine Dumme zum Heiraten gefunden hatte. Erst jetzt nahm ich die qualitativ hochwertige Kleidung und die teure Uhr am Handgelenk bewusst wahr. Entweder hatte er in der Lotterie gewonnen oder Mrs. Hatfield besaß haufenweise Geld. In jedem Fall erweckte er den Eindruck, finanziell gutsituiert zu sein, und wirkte wie ein achtbarer Bürger. Vermutlich lebte er in einem schönen Vorort, in einem Haus mit Garten und netten Nachbarn, die sich samstags zum Grillen und Plaudern trafen. Mir sank das Herz. Wenn sich das tatsächlich so verhielt, konnte er Danny all das bieten, wovon ich nur träumen durfte: die besten Voraussetzungen, um in Ruhe ein Kind großzuziehen.
Was hingegen hatte ich anzubieten? Nichts, außer mir selbst! Ich lebte in einem verrufenen Viertel, musste jeden Tag stundenlang arbeiten und Danny fremdbetreuen lassen. Dass Bibi quasi zur Familie gehörte, würde das Gericht sicher wenig interessieren. Eine gewiefte Anwältin wie Mrs. Mendelsohn konnte mit Leichtigkeit mein Leben in sämtliche Einzelteile zerpflücken und alles, was mir lieb und teuer erschien, in einem schlechten Licht darstellen. Die Frau verzog die rotgeschminkten Lippen.
„Mr. Hatfield“, fuhr sie fort und bestätigte gleich darauf meine schlimmsten Befürchtungen, „ist mittlerweile ein angesehener Bürger. Da er den Pflichten als Vater viele Jahre lang nicht nachkommen konnte, möchte er dieses Versäumnis nachholen. Daher beantragen wir das alleinige Sorgerecht für Daniel Nichols, damit der Junge bei ihm und seiner Frau aufwächst.“
„Nur über meine Leiche!“
Aufgebracht schoss ich nach oben und wurde gleich darauf von Mr. Rodriguez wieder in den Sessel gedrückt.
„Setzen Sie sich!“ Warnend schüttelte er den Kopf, als ich protestierend den Mund öffnete. Ich zügelte mich und schwieg, den Blick grimmig auf Corey gerichtet, der vor lauter Selbstgefälligkeit zerfloss. Seine plötzliche Schweigsamkeit nach der plumpen Begrüßung machte mich ebenfalls wahnsinnig. Er hatte keine Hemmungen, seiner blondiert-blasierten Rechtsverdreherin das Wort zu überlassen, während ich hier die Nerven verlor.
Mr. Rodriguez behielt sie glücklicherweise und wirkte wie die Ruhe selbst. „Für Ms. Nichols hat das Wohl ihres Sohnes oberste Priorität. Was Mr. Hatfield erst noch unter Beweis stellen muss. Ein schwieriges Unterfangen, da er es in all den Jahren nicht für nötig gehalten hat, auch nur einen einzigen Dollar Unterhalt zu zahlen. Sogar in einer finanziell prekären Lage hat man doch wenigstens ab und zu eine kleinere Summe für sein Kind übrig. Auf diesen Punkt werde ich zu einem späteren Zeitpunkt detailliert eingehen.“ Er räusperte sich, ehe er fortfuhr. „Wenn Mr. Hatfield nachweisen kann, dass er bereit ist, Danny ein richtiger Vater zu sein, wird meine Mandantin einem geregelten Besuchsrecht unter gewissen Auflagen zustimmen. Das schließt regelmäßige Besuche während der Ferien mit ein, aber das alleinige Sorgerecht wird Ms. Nichols behalten. Notfalls setzen wir das gerichtlich durch.“
„Das werden wir ja sehen.“ Mrs. Mendelsohn lächelte verschlagen. Sie erinnerte mich an eine Viper, die kurz davorstand, ihrer ahnungslosen Beute den lähmenden Biss zu verpassen.
„Darf ich etwas sagen?“, warf ich ein. Mr. Rodriguez machte keinen sonderlich begeisterten Eindruck, gab jedoch dennoch mit einem leichten Nicken seine Zustimmung. Ich wandte mich an die Anwältin. Meinen Ex ignorierte ich komplett.
„Mrs. Mendelsohn, ich weiß nicht, woher Coreys plötzliches Interesse an Danny rührt, aber ich will ihm nicht absprechen, dass er sein Verhalten bereut. Das gibt ihm trotzdem nicht das Recht hier aufzutauchen und irgendwelche Forderungen zu stellen. Allein der Gedanke, ihm das Sorgerecht zuzusprechen ist lächerlich. Mein Sohn und ich haben eine sehr innige Beziehung, es würde ihn völlig durcheinanderbringen, wenn man ihn aus seiner gewohnten Umgebung herausreißt und zu einem Vater bringt, der ein Fremder für ihn ist. Was, wie ich betonen möchte, nicht an mir liegt.“
Es war leicht, meine Verzweiflung herauszuhören. Leider waren Emotionen an jemanden wie Corey und diese blonde Hyäne verschwendet.
„Das sind sehr rührige Worte, Ms. Nichols“, antwortete Mrs. Mendelsohn. „Aber wir sollten bei aller Gefühlsduselei nicht das Wichtigste außer Acht lassen: Was Daniel will oder was gut für ihn ist, kann er gar nicht beurteilen. Der Junge wächst momentan in einer sozial schwachen Gegend auf und befindet sich in der Obhut einer Mutter, die ihn sicherlich liebt, jedoch zu beschäftigt ist, um sich ausreichend zu kümmern. Soweit ich weiß, arbeiten Sie als Geschäftsführerin eines Diners. Das ist gewiss ein sehr aufreibender und anstrengender Job, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Da stellt sich schon die berechtigte Frage, ob er bei Mr. Hatfield und seiner Gattin nicht besser aufgehoben wäre. Mrs. Hatfield verfügt über ein nicht unbeträchtliches Vermögen, das sie und ihren Mann dazu befähigt, sich vierundzwanzig Stunden am Tag um das Kind zu kümmern. Beide müssen nicht arbeiten. Das ist ein Aspekt, den man nicht außer Acht lassen darf.“
Mrs. Mendelsohn neigte sich mir mit einem beschwörenden Lächeln entgegen. „Ms. Nichols, Sie lieben Ihren Sohn, das kann ich sehen. Wäre es nicht wundervoll, wenn Daniel die Möglichkeit bekäme, in einer intakten Familie außerhalb eines sozialen Brennpunktes aufzuwachsen? Wollen Sie ihm so eine Chance aus reinem Egoismus verwehren?“
Erschlagen von diesem Angriff brachte ich kein Wort heraus. Hilflos suchte ich Beistand bei Mr. Rodriguez, der nur den Kopf schüttelte. Eine stumme Bitte, mich nicht provozieren zu lassen.
„Dazu sage ich jetzt nichts mehr.“ Ich verschränkte die Finger ineinander, um mich davon abzuhalten, meine Nägel quer über Coreys hübsches Gesicht zu ziehen.
„Weil Sie wissen, dass ich recht habe“, meinte Mrs. Mendelsohn selbstzufrieden. „Sie können ihm nicht bieten, was ein Kind heutzutage braucht und genau das werden wir vor Gericht beweisen.“
Unmöglich, mich nach so einer Unverschämtheit zurückzuhalten.
„Danny ist glücklich!“ Meine Stimme überschlug sich fast vor Empörung. Diese schreckliche Frau zog alles in den Dreck. Mein Leben, Dannys Umgebung. Als wären wir Menschen zweiter Klasse. „Sie können den Leuten nicht die Kinder wegnehmen, nur weil sie arm sind und für ihr Geld arbeiten müssen.“
Zum ersten Mal meldete sich Corey zu Wort. „Maxine, du darfst jetzt nicht an dich denken. Danny wäre bei mir und Elaine in guten Händen. Wir würden für ihn sorgen und ihn lieben. Auf ihn wartet ein komplett eingerichtetes Zimmer, ein Haus mit einem riesigen Garten und angrenzendem Pool, die besten Schulen, sowie die Aussicht auf eine großartige Zukunft. Bei dir wird er höchstens im Ghetto enden. Oder willst du mir erzählen, dass du ihm später einen Collegebesuch finanzieren kannst?“
Mir reichte es. Geld war nicht die Antwort auf alles im Leben. „Egal, was du dir einbildest, das dicke Bankkonto deiner Frau wird dir nicht helfen. Ich werde euch Danny nicht kampflos überlassen, das schwöre ich dir.“
Peinlich berührt beobachtete Mrs. Mendelsohn meinen Ausbruch und räusperte sich. „Nun, ich würde sagen, beide Parteien wissen nun, woran sie sind. Da sich aktuell keine außergerichtliche Einigung abzeichnet, werde ich im Namen meines Mandanten den Antrag für eine Sorgerechtsverhandlung stellen.“
Mr. Rodriguez erhob sich und lächelte dünn. „Tun Sie das. Mal sehen, ob Geld allein ausreicht, um ein Kind von seiner Mutter zu trennen.“ Er umfasste behutsam meinen Arm. „Kommen Sie, Ms. Nichols. Wir sollten jetzt gehen.“
Gemeinsam verließen wir das Büro. Benommen taumelte ich neben Mr. Rodriguez her und bekam nur am Rande mit, wie Corey ebenfalls aufstand und mit einem widerlichen Grinsen die Anwältin umarmte. Innerlich erstarrte ich vor Angst, ich konnte kaum atmen, kalter Schweiß benetzte meine Stirn. Erschüttert schob ich die Finger in die Taschen des Mantels und ließ zu, dass Mr. Rodriguez mich zum Aufzug dirigierte. Wir stiegen ein und fuhren abwärts ins Foyer. Vor dem Gebäude traf kühle Luft auf meine erhitzten Wangen. Die frostigen Temperaturen brachten mich halbwegs zur Besinnung, was den auf mir lastenden Druck nur verstärkte. Verzweifelt griff ich nach Mr. Rodriguez Hand. „Bitte seien Sie ehrlich. Besteht die Möglichkeit, dass Corey das Sorgerecht zugesprochen wird?“
Mein Anwalt schwieg. Allein dieser Umstand jagte mir eine Heidenangst ein. Gewiss überlegte er, wie er mir am schonendsten nahebringen sollte, welche Konsequenzen mir im schlimmsten Fall drohten. Als er endlich sprach, geschah es mit Bedacht.
„Eins vorweg. Ich bin Ihr Rechtsbeistand und werde immer ehrlich zu Ihnen sein.“
„Das weiß ich.“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Erneut überkam mich das Gefühl absoluter Hilflosigkeit, gleichzeitig blieb ich bemüht, seinen Ausführungen zu folgen.
„Maxine, auch mir ist es nicht möglich, den Ausgang des Prozesses vorherzusehen. Prinzipiell stehen Mr. Hatfields Chancen schlecht. Die Tatsache, dass Sie sich schon seit Dannys Geburt allein um den Kleinen kümmern und der Vater bislang kein Interesse gezeigt hat, wird sich günstig für Sie auswirken. Darüber hinaus ist die Betreuung des Jungen durch Bibi … pardon … Mrs. Vogelman, ein weiterer Pluspunkt. Für Danny ist sie eine wichtige Bezugsperson. Aber es wäre ein Fehler, die Argumentation der Gegenseite zu unterschätzen. Sie sind alleinstehend und Mr. Hatfield ist zumindest theoretisch in der Lage, Danny ein intaktes Familienleben zu bieten. Ein Heim in einem bezaubernden kleinen Vorort, vielleicht einen Hund und gleichaltrige Kinder in der unmittelbaren Nachbarschaft. Und dass er den Jungen nicht genauso umsorgen wird, wie Sie, ist reine Spekulation. Ein Richter urteilt nach Fakten, von vagen Vermutungen lässt er sich nicht beeinflussen.“
„Was bedeutet das für mich?“
„Dass ich Ihnen nicht hundertprozentig versprechen kann, dass die Sache für Sie gut ausgehen wird.“
Schockiert hörte ich Mr. Rodriguez zu und war kaum zu einem klaren Gedanken fähig. Es bestand durchaus die Möglichkeit, Danny zu verlieren. Schon die Aussicht, vor Gericht eine Niederlage zu erleiden, brachte meine Welt ins Wanken. Mit zitternden Händen stand ich da, schwitzend und eigenartig benommen.
„Ich glaube, mir wird schlecht“, flüsterte ich.
Mr. Rodriguez führte mich an den Rand eines kleinen Springbrunnens, der nur wenige Schritte von mir entfernt vor sich hin plätscherte und ich ließ mich auf die Mauer sinken.
„Besser? Darf ich Ihnen etwas zu trinken holen oder soll ich einen Arzt anrufen?“
Kopfschüttelnd hielt ich ihn davon ab. „Das ist nicht nötig. Ich brauche nur einen Moment. Das ist alles ein bisschen viel für mich.“
„Das ist doch verständlich. Seien Sie versichert, dass ich sämtliche Tricks anwenden werde, damit Danny in Ihrer Obhut bleibt.“
„Sind Sie tatsächlich der Meinung, Corey könnte gewinnen?“, flüsterte ich und schloss bei dieser grauenhaften Vorstellung die Augen.
„Das müssen wir in Betracht ziehen, allerdings halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Zugegebenermaßen würde ich ruhiger schlafen, wenn Sie einen festen Partner hätten, der es Ihnen ermöglicht, beruflich etwas kürzer zu treten. Das dürfte die Situation sehr vereinfachen.“
Ein hysterisches Kichern stieg in mir hoch. Ich und eine stabile Partnerschaft. Das klang wie der Witz des Jahrhunderts. Männer waren doch allesamt schuld an meinem Dilemma. Und ausgerechnet eines dieser unzuverlässigen Exemplare sollte mir den Hintern retten?
„Das bedeutet, um kein Risiko einzugehen, raten Sie mir dazu, mir schnellstmöglich einen Kerl anzulachen.“
„Ganz so hätte ich es nicht ausgedrückt, aber im Kern trifft es zu.“
„Das ist doch Wahnsinn“, sagte ich tonlos und seufzte. Ich warf Mr. Rodriguez einen müden Blick zu. „Ich muss das erst sacken lassen. Danke für Ihre Unterstützung.“
„Das ist mein Job, Maxine. Ich kontaktiere Sie, sobald die Gegenseite den Antrag gestellt hat und dann besprechen wir unser weiteres Vorgehen. Bleiben Sie optimistisch. Aktuell ist nichts verloren.“
„Das mag sein. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, die Sache wäre positiver gelaufen.“
Umständlich erhob ich mich und schob den Henkel der Handtasche zurecht. Wir tauschten ein paar Abschiedsfloskeln, danach marschierte ich zur Haltestelle und nahm den Bus nach Hause. Die ganze Zeit dröhnte mir der Schädel, je länger ich aus dem Fenster starrte, desto stärker verschwamm mein Blick.
Einige Minuten später stieg ich aus und legte das letzte Stück des Weges zu Fuß zurück. Sobald ich tief in Gedanken versunken das Treppenhaus betrat, stieß ich mit jemandem zusammen und torkelte rückwärts. Ein fester Griff um den Oberarm, bewahrte mich vor einem Sturz.
„Hoppla, das wäre beinahe schiefgegangen.“
Erst jetzt registrierte ich, wer mich davon abgehalten hatte, mit dem Hintern den schmutzigen Boden zu küssen. George stand mit verlegenem Gesichtsausdruck vor mir. „Hab ich dir wehgetan? Es tut mir leid, ich konnte dir nicht rechtzeitig ausweichen.“
„Schon gut, es ist ja nichts weiter geschehen.“ Ich versuchte mich an ihm vorbei ins Haus zu schieben, da ich keinerlei Lust auf belanglosen Smalltalk verspürte. Überrascht sah ich zu ihm auf, als er mir den Weg vertrat.
„Warte mal, Maxine. Du wirkst mitgenommen? Ist etwas vorgefallen?“
„Es ist alles in bester Ordnung.“ Mein spröder Tonfall konnte nicht über meine tatsächliche Gemütsverfassung hinwegtäuschen. George beäugte mich indessen eingehend und schüttelte dann wenig überzeugt den Kopf. „Ich glaube dir nicht. Irgendwas beschäftigt dich.“
„Blödsinn, ich bin einfach nur müde.“
Ihn so anzuschwindeln gehörte sich nicht, ich tat es trotzdem, weil die Wahrheit kaum zu ertragen war.
„Du flunkerst mich doch an. Du siehst irgendwie … verloren aus. Ist was passiert?“
Er traf den Nagel auf den Kopf. Genauso fühlte ich mich. Verloren und absolut verzweifelt.
„Ich will dich nicht mit meinem Kram belasten“, flüsterte ich und wich Georges Blick aus.
„Hey, das ist keine Last. Falls du eine Schulter zum Anlehnen brauchst, dann bin ich für dich da.“
Der liebevolle Klang seiner Stimme gab mir den Rest. Tränen lösten sich aus meinen Augenwinkeln und rannen an meinen Wangen hinab.
„Oh George, ich weiß nicht mehr weiter“, brach es aus mir heraus.
Er legte mir fürsorglich den Arm um die Schultern und zog mich vom Hauseingang fort. „Du beruhigst dich erst mal und dann suchen wir uns ein Plätzchen, wo wir uns ungestört unterhalten können.“
Eine Viertelstunde später saßen wir uns in einem kleinen Bistro gegenüber. George bestellte uns einen Kaffee. Sobald die Bedienung Richtung Theke verschwand, musterte er mich mit ernster Miene. „So, jetzt erzählst du mir, was dich dermaßen aus der Fassung gebracht hat.“
Nach kurzem Zögern folgte ich einem inneren Bedürfnis und erzählte George von meinem Ex. Dabei schilderte ich auch in allen Einzelheiten den Besuch bei der Anwältin. Er lauschte aufmerksam und verzog mitfühlend das Gesicht. „Das klingt beunruhigend. Da würde ich ebenfalls ausflippen“, meinte er schließlich.
„Das kannst du laut sagen.“ Verzagt hob ich die Hände. „Im Augenblick komme ich mir vor wie in einem Albtraum. Wie soll ich damit umgehen, dass fremde Menschen über das Schicksal meines Sohnes entscheiden? Es wird verdammt schwer, gegen Corey und sein supertolles Leben zu bestehen.“
„Wenn du mich fragst, ist er es, der ein Problem hat, nicht du. Dein Ex wird es schwerhaben, eine Mutter anzuschwärzen, die sich so aufopferungsvoll um ihr Kind kümmert, wie du. Jeder Richter wird das genau so sehen.“
„Nicht unbedingt“, wandte ich ein. „Mein Anwalt meint, es besteht durchaus die Möglichkeit, das Sorgerecht zu verlieren. Es sei denn …“
„Ja?“ Fragend sah er mich an.
„Es sei denn, ich biete Danny ein Heile-Welt-Umfeld, am besten mit einem festen Partner an meiner Seite.“
George schüttelte verständnislos den Kopf. „Was stimmt mit der jetzigen Umgebung nicht?“
„Wahrscheinlich nichts, das Problem ist, dass Coreys Ehefrau in der Lage ist, sich nonstop um Danny zu kümmern. Ich sehe ihn lediglich beim Frühstück und eine Weile am Abend, bevor ich ihn zu Bett bringe. Bibi verbringt deutlich mehr Zeit mit ihm, als ich, aber kündigen darf ich nicht. Wir können ja nicht ausschließlich von Luft und Liebe leben.“
Unglücklich barg ich das Gesicht in den Händen und versuchte nicht in Panik zu verfallen. Mein Hals schnürte sich zusammen, je länger ich darüber nachdachte, welches Unwetter sich direkt über mir zusammenbraute, ohne dass ich Einfluss darauf nehmen konnte.
„Maxine?“
Ich bog die Finger auseinander und schielte durch die Lücken. George nestelte an seinem Kragen herum und wirkte nervös. „Was ist denn?“, fragte ich mit hauchdünner Stimme.
„Ich glaube, ich habe die Lösung für dein Problem.“ Er rückte die Brille zurecht, zog sie dann herunter und putzte die Gläser, den Blick von mir abgewandt. In diesen Sekunden erinnerte er mich sehr an jenen George, der vor lauter Schüchternheit kaum einen Ton herausbekam und bei jeder Gelegenheit rot anlief. Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet er mir helfen sollte.
„Was schlägst du vor? Ich möchte dir keineswegs zu nahetreten, aber wenn selbst Mr. Rodriguez kein Schlupfloch sieht, wie willst du eines entdecken?“
„Er hat dir den Ausweg doch schon längst mitgeteilt.“
Irritiert suchte ich in Georges Miene nach einer Erklärung für diese kryptische Äußerung. „Wie meinst du das?“
„Es ist total simpel. Wenn der einzige Weg, ihn zu behalten, eine Ehe erfordert, musst du eben einen Mann finden, der dich heiratet. Und das so flott wie möglich.“
„George, wir reden hier nicht über eine Belanglosigkeit. Ein Ehemann ist kein Apfel, den man bei Bedarf vom Baum pflückt. Mal abgesehen davon, dass ich gar nicht wüsste, wo ich auf die Schnelle jemanden kennenlerne, wird es vermutlich Monate oder Jahre dauern, bis es zu einer Eheschließung kommt.“
„Nicht unbedingt.“
„Das verstehe ich nicht.“
George setzte sich umständlich die Brille wieder auf und räusperte sich. „Maxine, würdest du mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?“
Bestürzt über diesen Antrag schnappte ich nach Luft. „Das ist total verrückt. Ist das dein Ernst?“
„Und ob. Du brauchst einen Ehemann und ich stehe zur Verfügung.“
Regungen, die zwischen Beklemmung und Dankbarkeit schwankten, überfielen meinen verunsicherten Verstand. Er bot mir einen Ausweg, doch der Preis dafür wäre hoch. Wie sollte ich mich an einen Mann binden, für den ich niemals mehr als freundschaftliche Gefühle aufbringen konnte?
„George, ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen, aber ich glaube nicht, dass ich es annehmen kann.“
„Wieso nicht?“
„Es wäre dir gegenüber nicht fair. Du solltest keine solche Verpflichtung eingehen für jemanden, den du kaum kennst.“
Hoffentlich musste ich nicht deutlicher werden. Ich wollte ihm nicht wehtun, indem ich ihm auf den Kopf zusagte, wie absurd mir der Gedanke erschien, neben ihm in einem Bett zu liegen und meinen Alltag mit ihm und Elsa zu teilen. Um so einen Schritt zu wagen, sollte doch zumindest ein Hauch körperlicher Anziehung vorhanden sein. Leider hatte mich Ash in dieser Hinsicht für alle Männer verdorben. Ich konnte mir noch nicht einmal vorstellen, jemals einen anderen begehren zu können.
„Maxine, ich muss da was klarstellen“, warf George beschwichtigend ein. „Es wird natürlich keine echte Ehe sein. Ich bin nicht naiv, ich weiß, dass ich nicht in deiner Liga spiele. Ich empfinde wirklich nur Respekt und Sympathie für dich.“ Mit beschwörender Miene beugte er den Oberkörper ein Stück über den Tisch und griff nach meiner Hand. „Du magst doch diesen Hunter, nicht wahr?“
Mir war nicht klar, ob ich es einfach nur traurig oder beunruhigend finden sollte, dass die bloße Erwähnung von Ashs Namens ausreichte, um erneut diesen dumpfen Schmerz in mir loszutreten. Ich senkte den Kopf und fühlte mich wie ein Häuflein Elend, weil das Schicksal mir immer und immer wieder zusetzte. Irgendwann musste es doch mal genug sein!
„Ash und ich … das ist eine endlose Geschichte. Sie wird zu keinem Happyend führen.“
„Aber du liebst ihn?“
Noch nicht einmal Bibi gegenüber hatte ich es gewagt meine wahren Gefühle für Ash klar in Worte zu fassen und so schreckte ich auch jetzt davor zurück. „Es ist doch völlig unerheblich, was ich für ihn empfinde.“
Wie lange würde es dauern, bis die Sehnsucht nach ihm nicht mehr schmerzte? Monate, Jahre. Erschauernd zog ich die Schultern hoch. Alles schien sich gegen mich verschworen zu haben, dabei wollte ich doch nur in Frieden leben und Danny großziehen.
George nahm diese lapidare Antwort zum Anlass, mir sein Angebot weiter schmackhaft zu machen. „Wenn dich nichts mehr mit dem Kerl verbindet, kannst du meinen Antrag ja ohne Gewissensbisse annehmen.“
„Aber…“
Er fiel mir ins Wort. „Maxine, du hast mein Leben auf so positive Weise verändert, völlig uneigennützig, und nun bietet sich unverhofft die Möglichkeit, mich zu revanchieren.“
„Das musst du nicht“, warf ich ein.
„Ich möchte es so! Endlich kann ich etwas Heldenhaftes tun und jemandem in einer Notsituation beistehen. Ich bin nicht Superman, aber dafür finanziell gut abgesichert, auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussieht, weil ich mit Mama in einer so heruntergekommen Gegend wohne. Das liegt aber nur daran, dass sie ein bisschen geizig ist und nicht einsieht, in ein teureres Viertel zu ziehen. Aber ich habe Geld, Maxine.“ Sein Tonfall wurde noch eine Nuance eindringlicher. „Ich bekomme ein fürstliches Gehalt. Falls nötig, gibst du einfach für eine Weile deinen Job auf und spuckst diesem Möchtegern-Vater ordentlich in die Suppe. Dann ist der einzige Vorteil, den sie dir gegenüber ausspielen könnten, hinfällig.“
Das klang plausibel und verführerisch. Ich geriet in Versuchung, Georges Plan zuzustimmen, war aber noch nicht restlos überzeugt.
„Ich weiß nicht. Das ist wirklich eine Riesensache. Stell dir vor, du lernst während unserer Ehe eine Frau kennen, an der dir etwas liegt. Möglicherweise ist das sogar schon längst geschehen.“
Sofort legte sich leichte Röte über seine Haut. Mit der letzten Vermutung lag ich also goldrichtig und der freundschaftliche Kontakt zu Cynthia hatte sich tatsächlich in eine Romanze gewandelt. Zwar gingen die beiden nicht miteinander aus, das hätte sie mir bestimmt erzählt, doch die zarte Annäherung ließ sich beim besten Willen nicht ignorieren.
„Falls du auf Cynthia anspielst, hast du recht. Ich mag sie und wir verstehen uns großartig.“
„Siehst du! Allein deswegen muss ich dieses großzügige Angebot ablehnen. Das möchte ich Cynthia nicht antun.“
„Ich werde mit ihr reden und ihr die Situation erklären. Maxine, es geht nicht darum, einen lebenslangen Bund zu schließen. Ich verschaffe dir lediglich Zeit. Sobald du den Prozess gewonnen hast, warten wir ein paar Monate und gehen wieder getrennte Wege. Lehn nicht ab, nur weil du zu gutherzig bist. Sei einfach mal egoistisch. Für dich und Danny. Wäre es wirklich in deinem Sinne, dass er von einer wildfremden Frau bemuttert wird?“
Solchen Argumenten konnte ich mich nicht verschließen. Angespannt versuchte ich, pro und kontra abzuwägen. George legte noch einmal nach, um mich von der Richtigkeit dieses verrückten Plans zu überzeugen.
„Also, was denkst du? Heiraten … oder willst du darauf warten, dass ein Richter über Dannys Zukunft entscheidet?“
Was blieb mir anderes übrig? Danny zu behalten hatte oberste Priorität, und wenn George bereit war, so ein Opfer für mich zu bringen, musste ich meine Skrupel loswerden.
Ich zögerte nicht länger und streckte den Arm aus, um diesen Pakt mit einem Handschlag zu besiegeln.
„Also gut, wir haben einen Deal. Ich werde dich heiraten!“
Ich versuchte nicht daran zu denken, wie falsch sich der Plan anfühlte. Einen Mann zu ehelichen, den ich zwar mochte, aber nicht liebte, empfand ich als Höhepunkt meines Versagens, weil ich nicht imstande war, das Sorgerecht ohne die Unterstützung Dritter zu behalten.
„Mach dir keine Sorgen, Maxine. Dein Ex wird dir Danny nicht wegnehmen, das werden wir verhindern.“
