Am Rand der Macht (Das letzte Leben Buch 5): Progression Fantasy Serie - Alexey Osadchuk - E-Book

Am Rand der Macht (Das letzte Leben Buch 5): Progression Fantasy Serie E-Book

Alexey Osadchuk

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Max Renard ist zurückgekehrt nach Herouxville, der Hauptstadt von Vestonia. Und schon wird er in das gefährliche Spiel einer höfischen Intrige hineingezogen. König Carl III. ist schwer krank und durch seine Verwundung geschwächt. Das führt zu Spannungen zwischen den verschiedenen Prinzen am Hof und ihren Anhängern. Der Kampf um den Einfluss im Land erreicht eine völlig neue Stufe. Die Feinde von Carl III. im Ausland machen sich seine Schwäche zunutze und erhöhen den Druck. Es steht viel auf dem Spiel, und Max muss das schwierige Gleichgewicht zwischen seinen eigenen Interessen und denen der Mächtigen in dieser neuen Welt finden. Er wird all seine List und Schläue einsetzen müssen, um einerseits an Macht zu gewinnen und dabei gleichzeitig am Leben zu bleiben. Davon abgesehen hat Max einen äußerst starken neuen Feind gewonnen – einen, gegen den seine üblichen Methoden nichts erreichen können. Max wird sich an alles erinnern müssen, das er von seiner Adoptivmutter gelernt hat, wenn er diese Auseinandersetzung gewinnen will.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Über den Autor

Alexey Osadchuk

Am Rand der Macht

Das letzte Leben

Eine Progression Fantasy-Serie

Buch 5

Magic Dome Books

Am Rand der Macht

Das letzte Leben Buch 5

Originaltitel: The Edges of Power (Last Life Book #5)

Copyright © Alexey Osadchuk, 2023

Covergestaltung © Valeria Osadchuk, 2023

Designer: Vladimir Manyukhin

Deutsche Übersetzung © Irena Böttcher, 2024

Erschienen 2024 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch ist nur für deine persönliche Unterhaltung lizensiert. Das Buch sollte nicht weiterverkauft oder an Dritte verschenkt werden. Wenn du dieses Buch mit anderen Personen teilen möchtest, erwirb bitte für jede Person ein zusätzliches Exemplar. Wenn du dieses Buch liest, ohne es gekauft zu haben, besuche bitte deinen Shop und kaufe dir dein eigenes Exemplar. Vielen Dank, dass du die harte Arbeit des Autors respektierst.

Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

Laden Sie unseren KOSTENLOSEN Verlagskatalog herunter:

Geschichten voller Wunder und Abenteuer: Das Beste aus LitRPG, Fantasy und Science-Fiction (Verlagskatalog)

Neue Bestellungen!

Aufgetaut (Unfrozen) LitRPG-Serie

von Anton Tekshin

Die triumphale Elektrizität Steampunk Roman

von Pavel Kornev

Phantom-Server LitRPG-Serie

von Andrei Livadny

Der Neuro LitRPG-Serie

von Andrei Livadny

Einzelgänger LitRPG-Serie

von Alex Kosh

Deutsche LitRPG Books News auf FB liken: facebook.com/groups/DeutscheLitRPG

Kapitel 1

„DEN GÖTTERN SEI DANK — wir sind wieder zu Hause!“ Bertrand seufzte erleichtert.

Ich erinnerte mich, dass er so etwas schon einmal gesagt hatte. Und ebenso wie damals, an dem Tag, an dem ich Herouxville das erste Mal gesehen hatte, standen wir auf einem Hügel und schauten hinab auf die Stadt, die unter uns ausgebreitet lag.

Die Alte und die Neue Hauptstadt, der Übelkeit erregende Gestank von Unrat aus dem Fluss Legha, die endlose Reihe von Menschen, die kamen und gingen, in die Stadt und aus der Stadt... Es fühlte sich alles ebenso an wie an jenem ersten Tag.

Es stimmte zwar, der Himmel war bewölkt. Der Winter hatte es offensichtlich nicht eilig, seine Herrschaft über das aufzugeben, was eigentlich der erste Frühlingsmonat hätte sein sollen. Allem Anschein nach standen uns mehr Schneematsch und nasser Schnee bevor, obwohl wir das Zeug nach unserer Reise herzlich satt hatten.

Ich fühlte mich glücklich, straffte mich im Sattel und tätschelte Meise den Hals. Dann drehte ich mich um und betrachtete meinen kleinen Trupp. Fünf Wagen, bis zum Rand beladen mit Trophäen und allen möglichen nützlichen Gegenständen, die ich im Handwerksbezirk von Fjordgrad gekauft hatte. Rüstungen, Waffen, Stoffe, Schattenartefakte, Tränke und Zutaten — ich hatte eine Menge Geld dafür hinblättern müssen, aber ich bedauerte es keine Sekunde lang.

Erneut betrachtete ich die Stadt in der Ferne unter uns und verfiel ins Grübeln. Wir sind zu Hause, hatte Bertrand gesagt — und er hatte recht. Ich hielt mich zwar noch nicht sehr lange in dieser Welt auf, aber diese Stadt war dennoch zu einem Heim geworden. Oder vielmehr, mein „Fuchsbau“ war mein Heim. Zwar war es der Herzog de Clairmont, der die Burg erbaut hatte, aber es kam mir so vor, als hätte man die Errichtung speziell mit dem Gedanken an mich geplant. In dieser Villa fühlte ich mich sicher, ebenso wie ein Fuchs in seinem Bau.

Der Gedanke an Schutz ließ mich die Stirn runzeln. Angesichts der neuen Bedrohung, der ich ausgesetzt war, würde ich die Verteidigung der Burg verstärken müssen. Und damit meinte ich keineswegs eine Verstärkung mit schlichtem Holz und mit Steinen.

Wände bildeten für meine neuen Feinde kein Hindernis. Nein, ich brauchte Hexenmagie, uralt und gefährlich, die Art von Magie, die es niemandem verzieh, wenn er sie missbrauchte. Und für die man überdies spezielle Zutaten brauchte. Die ich leider nicht besaß. Was bedeutete, dass ich mich bei einigen Leuten einschmeicheln musste, mit denen ich am liebsten nicht das Geringste zu tun gehabt hätte.

Die Nitte hatte meine Überlegungen bestätigt, während einer Unterhaltung an dem Abend, nachdem der geisterhafte Bote meines Feindes sich in Luft aufgelöst hatte.

„Das ist eine üble Brut“, hatte Itta geseufzt, als der Schatten verschwunden war. Dann ergänzte sie: „Aber du, Meister... Das war beeindruckend! Ich hatte bereits den sicheren Tod für dich vorausgesehen. Ich glaubte, das wäre dein Ende. Aber du hast mich überrascht, Bannspruch-Schwinger. Man hat dich einige uralte Hexenbeschwörungen gelehrt. Ein solches Wissen teilen die Hexen keineswegs mit jedem. Meine letzte Herrin zum Beispiel — sie kannte keine solch mächtigen Bannsprüche. Und du kannst es mir glauben, ihre Begabung war alles andere als schwach.“

Die Nitte warf mir einen durchdringenden Blick zu.

„Meine Adoptivmutter war eine mächtige Hexe“, bemerkte ich.

„Das erklärt Vieles!“ Die Augen der Nitte weiteten sich. „Ein Bannspruch-Schwinger, ein Seher, und großgezogen von einer mächtigen Hexe — das ist mein neuer Meister!“

Itta strahlte und rieb sich die Hände.

„Freu dich nicht zu früh.“ Ich lachte. „Meine Mutter hat zwar ihr Wissen an mich weitergegeben, aber bislang habe ich es noch nicht oft eingesetzt, außer für Kleinigkeiten. Zum Beispiel um jemanden dazu zu bringen, mich zu übersehen. Oder um dafür zu sorgen, dass etwas zerbricht. Ich werde mich an viele Dinge erst wieder erinnern müssen. Schließlich hatte ich bis vor kurzem geglaubt, dass ich all das, was sie mir beigebracht hat, niemals würde verwenden müssen. Damit meine ich das, was sich auf Geister und solche Wesen bezieht. Vor dem heutigen Tag habe ich an solche Kreaturen nicht geglaubt...“

„Nun, ob du nun an Geister geglaubt hast oder nicht — du hast diesen Bannspruch heruntergerattert wie ein Experte, und du hast genau die richtige Menge Macht hineingesteckt.“ Itta lächelte. „Man kann sofort sehen, dass sie sich mit deiner Erziehung große Mühe gegeben hat.“

„Das auf jeden Fall, ja“, bestätigte ich lachend und strich mir über den Hinterkopf. Vadoma wusste genau, wie sie bekam, was sie wollte...

„Du, Meister, wirst dich an alles Wissen erinnern müssen, das deine Mutter dir jemals beigebracht hat.“ Ohne es zu ahnen, hatte die Nitte Vadomas Ermahnung wiederholt, nahezu Wort für Wort. „Wer auch immer diesen Schatten geschickt hat — er wird dich nicht in Ruhe lassen.“

Sie kniff die Augen zusammen, sah mich erneut an und bemerkte:

„Anscheinend weißt du längst, wem du auf die Zehen getreten bist?“

Eigentlich gab es da mehrere Möglichkeiten. Die offensichtlichste waren jedoch die Priester des Frosttempels. Ich erzählte der Nitte von ihnen, und von den Trophäen, die wir in der Festung des Händlers erbeutet hatten. Das schien mir die wahrscheinlichste Ursache für dieses neueste Durcheinander zu sein.

„Daran habe ich auch sofort gedacht“, bestätigte die Nitte meine Vermutung mit einem schweren Seufzen. „Ich habe schließlich alles gesehen, in jener Nacht, als du das Anwesen angegriffen hast...“

In einem sehr ernsten Ton fügte sie hinzu:

„Wir müssen diesen Ort verlassen, Meister. Je weiter wir in den Süden vordringen, desto besser. Es stimmt zwar, man wird uns so oder so jagen. Aber ich bin mir sicher, dass du auf diese Weise genügend Zeit gewinnst, dich auf sie vorzubereiten.“

„Bedauerst du es, bei einem Meister wie mir gelandet zu sein?“, fragte ich lächelnd. „Wie du sehen kannst — ich habe eine Menge Spaß im Leben. Werwolf-Meuchelmörder, Magier, und jetzt auch noch Priester — ich bin einer Menge Leute auf die Zehen getreten.“

„Ohne dich wäre ich inzwischen tot“, erwiderte die Nitte mit einem betrübten Lachen. „Und was deine Feinde betrifft — die sind auch meine Feinde. Welchen Unterschied macht das schon, ob es einen mehr oder weniger davon gibt? Außerdem war es die richtige Entscheidung, diese Priester umzubringen. Während ich auf die Rückkehr meiner Herrin wartete, habe ich viele ihrer Handlungen beobachten können. Sie haben in dieser Festung viele üble Taten begangen. Es ist gut, dass du ihr Nest den Flammen überantwortet hast. Ich gebe zu, es bereitet mir ein wenig Sorge, was du ihnen geraubt hast. Aber wenn ich das richtig verstehe, weißt du das alles bereits sehr gut selbst...“

„Oh ja, ohne Zweifel“, erklärte ich und ergänzte:

„Übrigens, ich wusste gar nicht, dass Priester die Macht besitzen, über Schatten zu befehlen.“

„Offensichtlich befindet sich in ihren Reihen ein mächtiger Seelenfänger.“ Die Nitte zuckte mit den Schultern. „Solche Leute können sich Schatten untertan machen, und sie auch auf lange Reisen schicken, weit entfernt von der Grenze.“

„Das muss also der Herrscher sein, von dem der Schatten geredet hat...“, überlegte ich.

„Was hast du denn gedacht, wer dieser Herrscher ist?“

„Nun ja, dieser kleine Gott, den sie anbeten“, murmelte ich. „Raureif der Böse...“

Itta schnaubte verächtlich.

„Er ist kein Gott. Er ist einer der Hrimthurs. Einer der Altehrwürdigen. Bevor man ihn nach Nilfheim ins Exil geschickt hat — und genau dort gehört er hin! –, hat er sehr viel Böses im Land angestellt. Meine Großmutter hat mir oft erzählt, dass die nordischen Lande während dieser Zeit fast ihrer gesamten Bevölkerung beraubt wurden. Die Eisdämonen, wie man die Hrimthurs auch nennt, sind blutrünstige Kreaturen. Vor allem die Altehrwürdigen unter ihnen.“

„Wer hat Raureif denn ins Exil geschickt?“

„Die Zauberer der Brejvin-Öde. Sie haben einen Pakt mit dem Imperator geschlossen, der damals herrschte“, antwortete die Nitte. „Man nannte sie auch Auringe. Ich weiß nicht, was ursprünglich das Interesse des menschlichen Imperators an ihnen geweckt hat, aber ich bin mir sicher, er musste einen hohen Preis zahlen. Doch das ist alles schon sehr lange her. Es geschah, bevor der größte Teil des Imperiums, ebenso wie die Öde selbst, vom Schatten erfasst wurde. Niemand erinnert sich mehr richtig an all diese großen Ereignisse. Mit Ausnahme solcher Kreaturen wie ich...“

Die Geschichte der Nitte hatte mich verblüfft. Was war das nur für eine Hölle, in die ich geraten war? Dämonen, mysteriöse Auringe irgendeiner Art, die Dämonen ins Exil schicken konnten, in andere Bewusstseinsebenen, und natürlich der Schatten... Ich konnte mir gut vorstellen, wie fröhlich sich der mysteriöse „Wohltäter“ die Hände rieb, der mich in diese Welt geschickt hatte.

Andererseits hatte all das auch sein Gutes — all diese übermächtigen Kreaturen schienen schon lange vor meinem Erscheinen ausgestorben zu sein. Wenigstens hoffte ich das.

„Und diese Schatten — was sind die eigentlich?“, stellte ich meine nächste Frage.

„Aus irgendeinem Grund war die sonst so schweigsame Nitte an diesem Abend bereit, ihre Informationen mit mir zu teilen. Vielleicht hatte ich das der belebenden Wirkung des zurückgeschlagenen Angriffs dieses Schattens zu verdanken.

„Es sind die Seelen der Menschen, die die Magie der Grenze getötet hat, und die aus irgendeinem Grund nicht in den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt zurückkehren“, erklärte mir die Nitte. „So etwas passiert, wenn auch ziemlich selten. Anschließend sind sie an der Grenze zum Schatten unterwegs und jagen diejenigen, die der Grenze zu nahe kommen. Sie sind umso stärker, je näher sie der Grenze sind. Der Schatten, der uns gerade einen Besuch abgestattet hat, muss sich zu weit vom Schatten entfernt haben. Und schon hat ihn sich ein Seelenfänger gegriffen und lässt ihn nun für sich arbeiten...“

Freudige Rufe meiner Leute unterbrachen meine Überlegungen.

„Endlich!“ Jacques seufzte erleichtert, als die Mauern sichtbar wurden, die meine Burg umgaben. Er schluckte laut und fügte hinzu: „Agnès und ihr Essen haben mir verdammt gefehlt. Ich könnte momentan einen ganzen Bullen verschlingen!“

„Und ich zwei!“, warf Lucas ein, der etwas weiter entfernt an meiner Seite ritt.

Ich wiegte mich sanft im Sattel und lachte. Meine Leute hatten schon seit dem Frühstück von dem Abendessen geschwärmt, das uns im „Fuchsbau“ erwarten würde.

Um sicherzustellen, dass mein Butler Marc Ducos auch darauf vorbereitet war, die Rückkehr des Herrn des Hauses nach seiner langen Reise in den Norden gebührend zu feiern, hatte ich bereits gestern noch vor Morgengrauen Gunnar mit einem Brief an ihn losgeschickt.

Und während Gunnar sein Pferd sattelte, hatten Jacques und Lucas ihm alle möglichen Anweisungen zugeflüstert, betreffend das Menü des Festmahls. Bestimmt würden die Lieblingsgerichte meiner Nahkämpfer auf dem Tisch stehen, wenn wir eintrafen.

Sigurd ritt rechts von mir. Er grunzte zustimmend und lächelte. Aelira, die mit Leichtigkeit Schritt mit uns hielt, straffte sich sogar im Sattel und hob die Nase in die Luft wie ein Tier. Auch die anderen Krieger unserer Gruppe wurden sofort lebhafter. Nach einer langen, anstrengenden Reise stand ihnen nun ein köstliches Mahl und die Gelegenheit zum Ausruhen bevor.

Ich hatte keine Zweifel, dass für unsere kleine Karawane alles bereit war, sobald wir das Anwesen erreichten. Man konnte Marc Ducos vieles vorwerfen, aber keine mangelnde Professionalität. Der Mann wusste genau, was er tat.

„Ich verstehe das nicht...“ Als wir durch das weit offene Tor der Burg einritten, runzelte Jacques die Stirn. „Was ist denn hier los?“

Tatsächlich — der Haupteingang meiner Burg war versperrt. Dort standen etliche Karren und Wagen. Einige Leute, die ich nicht kannte, liefen in mein Heim, kamen wieder heraus und beluden diese Wagen mit Möbeln, Kisten und Bildern. Soweit ich das einschätzen können, hatte alles kurz vor unserem Eintreffen begonnen.

„Schließt das Tor!“, rief ich verärgert und wandte mich an Jacques. „Setz dich in Bewegung. Tu niemandem etwas, wenn es nicht nötig ist. Und bring mir den Anführer der Gruppe.“

Jacques und meine anderen Krieger warfen die Zügel beiseite und stürzten los. Wenige Minuten später saß ich auf einem Sessel, der auf einem der Wagen stand. Man hatte ihn mit der Ladefläche unmittelbar an die breite Plattform herangefahren, die zum Eingang des Hauses führte. Mit übereinandergeschlagenen Beinen betrachtete ich die unerwarteten Gäste, die in einer Reihe vor mir standen.

Fünf von ihnen, die versucht hatten, meinen Leuten Widerstand zu leisten, lagen am Boden, die Gesichter ins Kopfsteinpflaster des Hofes gedrückt. Aus ihren leichten Rüstungen und den Waffen, die nun auf einem Haufen zusammengetragen worden waren, konnte ich schließen, dass sie wohl die Aufgabe hatten, die Wagen zu bewachen, sobald man mein Hab und Gut aufgeladen hatte.

Die anderen Leute waren Diener und Leibeigene, die sich rasch ergeben hatten. Hinter ihnen standen meine Krieger im Halbkreis.

Und hinter denen wiederum hatten sich meine Diener und Lakaien versammelt, in deren Gesichtern sich Unglaube, Überraschung und Freude spiegelte. Allerdings waren weder Marc Ducos noch Charles Simon unter ihnen. Auch Gunnar, der bereits am gestrigen Tag eingetroffen sein musste, suchte ich vergebens. Was war hier bloß los?

Das war die Frage, die ich dem breitschultrigen Mann stellte, der vor mir auf den Steinen kniete, die Hände auf dem Rücken gefesselt und mit einer frischen Prellung über seinem rechten Auge.

Ich erkannte ihn sofort. Es war Bruno Foulon, einer der obersten Helfer des Verwalters für den Grafen de Gramont. Er hatte meiner Burg bereits einmal einen Besuch abgestattet. Auch damals waren die Dinge für ihn nicht gut gelaufen, wie ich mich erinnerte. Allerdings hatte es dabei sein linkes Auge erwischt...

Das Gesetz des Landes gab mir jedes Recht, diese Leute zu töten. Sie waren unrechtmäßig in mein Anwesen eingedrungen und hatten etwas begangen, das man nur einen Raub nennen konnte. Schließlich hatte ich, sobald Max‘ Villa mir zurückgegeben worden war, einen privaten Anwalt beauftragt. Der hatte sichergestellt, dass der Eigentumsübergang ordnungsgemäß dokumentiert worden war. Um es kurz zu fassen: Der „Fuchsbau“ gehörte mir. Das war peinlich genau festgehalten worden.

Was mich davon abhielt, mein Recht in Anspruch zu nehmen, war die Tatsache, dass dies die Leute meines Onkels waren. Und der war das Oberhaupt der Familie, zu der ich gehörte.

Bruno Foulon antwortete nicht. Er sah mich nur unter seinen buschigen Brauen hinweg böse an.

Ich warf Jacques einen Blick zu. Der verstand instinktiv, was ich wollte, und verpasste dem Hünen einen sanften Tritt in die Seite. Bruno ächzte und zuckte zusammen.

„Euer Gnaden“, stammelte er. „Wir sind alle... Wir sind keine freien Männer. Wir müssen tun, was immer unser Meister uns befiehlt.“

„Wer hat dir den Befehl gegeben?“, wollte ich wissen.

Der grobschlächtige Mann schürzte die Lippen und zögerte. Ohne auf mein Signal zu warten, ließ Jacques ihn erneut seine Stiefelspitze spüren.

„Argh...“ Bruno wich zurück, dann begann er rasch zu sprechen. „Ihre Ladyschaft die Gräfin de Gramont hat uns angewiesen, den Wein, die Möbel und alles andere, das ihrem jüngsten Sohn gehört, von hier in dessen neue Villa zu bringen. Aus dem Norden erreichte uns die Nachricht, dass Sie im Turnier kämpfen würden... Und, nun ja, Ihre Ladyschaft...“

Bruno brach ab und senkte beschämt den Kopf.

„Sie halten mich alle für tot...“ Ich lachte und blickte mich unter meinen Kriegern um, die ebenfalls in Lachen ausbrachen.

„Du Idiot!“, rief Jacques und verpasste Bruno einen Knuff gegen den Hinterkopf. „Seine Gnaden hat die Große Prüfung gewonnen! Dank seines Sieges wird Seine Hoheit Prinz Louis die Tochter von Konung Scharfzahn heiraten!“

Aus Jacques‘ Stimme waren Stolz und Respekt herauszuhören. Ebenso wie ungezügelte Freude. Kein Wunder — mit ihren Wetten für das Finale hatten meine Leute einen hübschen Gewinn gemacht.

Foulon zuckte erneut zusammen und hob den Kopf. In seinen Augen stand ungläubiges Unverständnis.

„Weiß mein Onkel darüber Bescheid, was hier vor sich geht?“, wechselte ich rasch das Thema.

Bruno antwortete nicht. Stattdessen schüttelte er den Kopf, allerdings mit offensichtlichem Widerstreben. Das entlockte mir ein breites Lächeln. Sehr gut!

Inzwischen hatte ich ein klares Bild von der Situation gewonnen. Die Gräfin und liebste Mutti wollte ihrem Lieblingssohn geben, was er sich so sehr wünschte. Deshalb hatte sie, ohne ihren Ehegatten darüber zu informieren, die Diener losgeschickt, das Anwesen dieses frechen, unehelichen Balgs leerzuräumen. Valerie zufolge waren dies die Worte, mit denen die Gräfin de Gramont mich normalerweise beschrieb.

Im Grunde war alles auf Francois’ Weinsammlung zurückzuführen. Im Laufe der letzten Monate hatte diese Wunde für seinen Stolz geeitert und sich in den Augen seiner liebsten Mama in ein riesiges Loch von der Größe einer Faust verwandelt. Die Sache mit den Möbeln und dem anderen Zeug kam erst später dazu. Aber was spielte das auch für eine Rolle? „Das Balg“ war doch längst tot, oder?

Diese Entwicklung der Dinge belastete mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil — es freute mich, ein Druckmittel gegen meinen Onkel in die Hand bekommen zu haben. Ich hätte zu gern sein Gesicht gesehen, wenn er erfuhr, dass seine Frau und sein Sohn das Gesetz in die eigenen Hände genommen hatten. Es wäre auch interessant zu erfahren, wie die Herzogin du Bellay über all das dachte. Das war genau die Art von Skandal, die eine so respektierte Familie wie die Gramonts versuchen würde, geheim zu halten. In Gedanken rieb ich mir bereits in freudiger Erwartung die Hände.

Während ich noch überlegte, was ich mit Foulon anstellen sollte, sah ich in einer kleinen Gasse, die tiefer ins Gelände des Anwesens führte, Aelira und zwei Krieger aus dem Trupp von Tom Davis herankommen. Jeder von ihnen half einer anderen Person und stützte sie, und diese drei stellten sich als Marc Ducos, Charles Simon und Gunnar heraus.

Als sie den Hof erreichten, konnte ich sehen, dass ihre geisterhaft bleichen Gesichter mit blutigen Wunden und blauen Flecken bedeckt waren. Auch ihre Hemden waren mit Blut beschmiert. Angesichts ihres Alters konnten Marc und Charles sich nur mühsam bewegen. Gunnar allerdings marschierte eisern, wenn auch mit etwas unsicherem Gang. Obwohl er, wie ich sehen konnte, die schlimmsten Prügel abbekommen hatte. Ich vermutete, dass diese drei sich wahrscheinlich geweigert hatten, dem Ausräumen der Villa tatenlos zuzusehen, und für ihre Tapferkeit bestraft worden waren.

Glücklicherweise — wenigstens in diesem Fall — lebte Kevin nicht mehr im Anwesen. Mit Bertrands Hilfe hatte mein Schützling ein plötzliches Interesse an Finanzdingen und Handel entdeckt. Das kam nicht überraschend — schließlich stammte er aus einer Händlerfamilie. Angesichts dieser neu erwachten Leidenschaft hatte ich den Jungen vor unserer Abreise in den Norden als Lehrling bei meinem Makler untergebracht, Herrn Beron, damit er durch die Arbeit mit wertvollen Dokumenten die Tricks dieses Gewerbes lernen konnte. Kevins Schattengabe hatte sich noch immer nicht manifestiert. Deshalb hatte ich beschlossen, dass es einstweilen am besten für ihn war, einen Beruf zu erlernen, der nichts mit Magie zu tun hatte. All das bedeutete, dass Kevin, wie es für einen Lehrling üblich war, vorübergehend bei seinem Ausbilder wohnte. Wobei die Kosten von Unterkunft und Logis natürlich ich zu tragen hatte.

„Die drei haben wir gefesselt in den Ställen gefunden“, berichtete Aelira und führte die verwundeten Männer zu mir.

Als er Bruno Foulon im Hof knien sah, wollte Gunnar instinktiv auf ihn losgehen. Doch mein Gesichtsausdruck hielt ihn zurück. Allerdings durchbohrte er den Hünen mit einem hasserfüllten Blick.

Ich blickte zu Bruno Foulon hinab, der vor mir zurückwich. Wie ich mich erinnerte, war er bei unserer letzten Begegnung weit weniger höflich gewesen. Kein Wunder — damals war ich gewissermaßen auf mich allein gestellt gewesen. Aber jetzt stand ein ganzes Kommando aus Kriegern unter meinem Befehl, die die Männer mit einer solchen Leichtigkeit entwaffnet hatten, als wären es Wehrpflichtige vom Lande, die nicht einmal wussten, an welchem Ende man ein Schwert anpackte.

Und wo ich schon an die Männer des Grafen dachte... Ich beschloss, mir Foulon für später aufzuheben, wandte mich an Tom Davis und deutete auf die Kerle, die am Boden lagen.

„Bring sie auf die Füße.“

Als alle fünf vor mir standen, betrachtete ich ihre düsteren Gesichter. Keiner von ihnen war jung — sie waren alle über 30. Im Vergleich zu den schlanken, gefühllosen Tötungsmaschinen von Tom Davis wirkten diese Jungs wie überfütterte Hunde. Allerdings entdeckte ich keine Furcht bei ihnen — sie ahnten bereits, dass niemand sie töten würde.

Ich durfte mit Sicherheit annehmen, dass sie alle über Kampferfahrung verfügten. Allerdings waren sie im Dienst meines Onkels nachlässig geworden und verweichlicht. Die Männer, die Yveline und Valerie nach Abbeville begleitet hatten, waren weit beeindruckendere Gestalten gewesen. Anscheinend hatte der Graf seiner Tochter zu ihrem Schutz die besten Kämpfer mitgegeben.

Ich überlegte, was wohl der schnurrbärtige Hauptmann dieser Soldaten momentan mit seiner Zeit anstellte. Die Jungs, die vor mir standen, hatten schon lange kein Schwert mehr in der Hand gehalten. Oder vielleicht arbeiteten sie auch für jemand anderen? Wie auch immer — mir war das gleichgültig.

„So“, sagte ich in eisigem Ton. „Ihr seid in mein Haus eingedrungen. Ihr habt meine Leute zusammengeschlagen. Ihr habt versucht, mich auszurauben. Wenn ich jetzt und hier den Befehl geben würde, euch alle umzubringen, wäre ich vollends im Recht.“

Auf einmal wurden die Gesichter der Männer meines Onkels bleich und angespannt. Anscheinend erkannten sie endlich, dass sie in einer Situation steckten, die sie das Leben kosten konnte.

„Ihr dürft dieses Anwesen heute lebend verlassen — aber nur aus einem Grund: Ihr dient dem Oberhaupt meiner Familie“, ergänzte ich nach einer kurzen Pause. „Eure Waffen, eure Rüstungen und das Eigentum, das mein Onkel euch anvertraut hat, all das gehört nun jedoch von Rechts wegen mir. Und genau das werdet ihr wortwörtlich demjenigen erklären, der euch hierhergeschickt hat.“

Auf meine Handbewegung hin zerrten die Krieger von Tom Davis die Männer des Grafen zum Tor.

„Jetzt bist du an der Reihe.“ Mein Blick wanderte zu Bruno Foulon, der ängstlich den Kopf eingezogen hatte. „Du erinnerst dich, was ich dir bei unserer letzten Begegnung versprochen habe?“

Der Helfer des Verwalters des Grafen zuckte ein weiteres Mal zusammen, fand jedoch die innere Stärke für eine Antwort.

„Ja, Euer Gnaden...“, stieß er mit zitternder Stimme hervor.

„Ich halte immer meine Versprechen“, bemerkte ich kalt und befahl Jacques: „Bring ihn zu den Ställen und gib ihm die Auspeitschung, die er verdient hat. Aber übertreib es nicht — ich brauche ihn lebendig.“

Ich betrachtete meinen Butler, der der Szene mit großem Vergnügen folgte, und lächelte.

„Marc — ich könnte mir gut vorstellen, dass wir für den Helfer des Verwalters meines Onkels passende Arbeit finden, oder?“

„Aber ganz bestimmt, Euer Gnaden.“ Der Butler reagierte ungerührt, wie immer. „Wie der Zufall es so will, hatten wir für heute die Reinigung des Abwassersystems der Burg geplant, nun, wo der Winter vorüber ist.“

„Hervorragend.“ Ich schlug mit den Handflächen auf die Armlehnen des Sessels und stand auf.

Ich nickte Marc, Charles und Gunnar zu und wandte mich an Bertrand.

„Gib ihnen Heiltränke, und dann bereite ein Zimmer für Verena vor.“

Die junge Frau hatte die gesamte Zeit über in meinem Wagen gesessen und am Fenster die Entwicklung der Ereignisse mit großem Interesse beobachtet. Ich hatte sie mehrfach dabei ertappt, wie sie mich abschätzend musterte.

Nun, am Ende unserer Reise, war ich daran gewöhnt, dass sie mir besondere Aufmerksamkeit schenkte. Oder vielmehr, meiner Energiestruktur. Zuerst war sie sehr intensiv bei der Sache, aber im Laufe der Zeit war ihr Eifer ein wenig abgekühlt.

Ich behielt sie ebenfalls im Auge, während ich gleichzeitig versuchte, sie weitgehend in Ruhe zu lassen. Ich bemühte mich so sehr ich konnte darum, dass sie sich entspannen und in ihrer Wachsamkeit ein wenig nachlassen konnte. Denn bald stand uns eine ernsthafte Unterhaltung bevor...

Ich sah mich nach unserer Köchin um und sagte laut:

„Agnès, du willst uns doch hoffentlich nicht verhungern lassen?“

„Der Gedanke liegt mir fern, Euer Gnaden!“ Sie hob die Hände und setzte sofort ihre Handlanger in Bewegung. „In Kürze wird das Essen auf dem Tisch stehen!“

„Lucas soll eine Unterkunft für die anderen finden“, erklärte ich Bertrand und ging zur Tür.

„Wird erledigt, Euer Gnaden“, erwiderte Bertrand, folgte mir ins Haus und fragte: „Was soll mit den Dienern und Leibeigenen Ihres Onkels geschehen?“

Ich dachte kurz nach und antwortete leise:

„Hm... Diese Leute haben nichts Unrechtes getan. Sie haben lediglich ihre Befehle befolgt. Ich vermute, ich könnte die Leibeigenen als Trophäe behalten, aber das werde ich nicht tun. Zum einen will ich nicht 20 weitere Mäuler stopfen. Und zweitens ist die Zeit für eine offene Konfrontation mit meinem lieben Onkel noch nicht gekommen. Sie sollen alles zurück ins Haus bringen, was sie herausgeholt haben, und helfen, die Burg wieder in Ordnung zu bringen. Anschließend kannst du sie nach Hause schicken. Sie werden mir ohnehin schon bald gehören...“

Bertrand reagierte mit einem zufriedenen, verständnisvollen Nicken. Der alte Mann wusste bereits, was ich plante. Was ihn betraf, hatte ich meine Karten inzwischen auf den Tisch gelegt, zumindest teilweise. Um ehrlich zu sein, hatte er allerdings ohnehin längst geahnt, was ich vorhatte.

Der Gedanke, mir alles zurückzuholen, das Max‘ Vater es geschafft hatte zu verlieren, war mir zuerst bereits in Abbeville gekommen. Allerdings hatte ich die Idee rasch wieder fallenlassen. Der ins Exil geschickte uneheliche Sohn hatte nicht die geringste Chance gegen meinen mächtigen Onkel. Wie konnte jemand auch nur davon träumen, sich eine gesamte Grafschaft unter den Nagel zu reißen, wenn seine magische Quelle gerade mal so groß war wie eine Erbse? Noch dazu war ich damals dem Tode nahe gewesen, die Schuldner hatten mir die Tür eingerannt, und alle möglichen Leute wollten sich mit mir duellieren.

Im Laufe der Zeit hatte ich jedoch meine Macht wiedergewonnen, und zu den Problemen gesellten sich Lösungen. Der scharfe Verstand des Stehaufmännchens saugte gierig Informationen auf und passte sich schnell an die Realitäten dieser neuen Welt an. Aus dem Funken einer Idee entwickelte sich ein simpler Plan, den ich mit Bertrand teilte. In dem ich exakt den treuen Verbündeten fand, den ich zu gewinnen gehofft hatte.

Natürlich steckte alles noch in den Anfängen, aber einige Vorbereitungen waren bereits abgeschlossen. Meine Reputation als „tapferer Draufgänger, der Krone ebenso treu wie seinem Wort“, verfestigte sich über die gesamte Gesellschaft hinweg. Der nächste Schritt war eine Steigerung meines Status. Und genau daran würde ich arbeiten. Es wurde Zeit, die Dinge auf eine neue Ebene zu heben.

Natürlich hätte ich alles so belassen können, wie es war. Der Umfang meines magischen Vorrats war wiederhergestellt. Um genau zu sein, war er jetzt sogar größer als zu dem Zeitpunkt, als ich in diese Welt getreten war. Ich hatte keine Probleme, was Geld oder magische Zutaten betraf. Ich hatte ein Dach über meinem Kopf und verfügte sogar über eine kleine Armee. Viele Leute hätten es damit genug sein lassen — aber nicht ich.

Vor allem nicht, weil derzeit der Herzog du Bauffremont, einer der Prinzen oder sogar der König selbst mir alles im Handumdrehen wieder fortnehmen konnten.

Oder vielmehr, dazu brauchte es nicht einmal den König! Die Frau meines „lieben Onkels“ allein war schon fest davon überzeugt, mich in meiner Abwesenheit berauben zu können, offensichtlich ohne jeden Gedanken an die möglichen negativen Folgen. Und am schlimmsten war, dass ich als das jüngste Mitglied der Familie die Angelegenheit mit großem Taktgefühl, sogar einer gewissen Unterwürfigkeit handhaben musste. Es stimmte zwar, meine Verwandten erwarteten keineswegs etwas von mir, das einer „Unterwürfigkeit“ auch nur nahe gekommen wäre. Mein Plan hatte langsam, aber sicher Wirkung zu entfalten begonnen. Ich war nicht länger der unwichtige uneheliche Sohn, den niemand kannte und um den sich niemand scherte. Inzwischen war ich längst zu einer Kraft geworden, die man auf keinen Fall unterschätzen durfte.

Ich wollte mein letztes Leben auf eine solche Weise führen, dass selbst der König dreimal nachdachte, bevor er etwas gegen mich unternahm. Und zwar selbst dann, wenn er glaubte, das Ergebnis wäre dieses Kopfzerbrechen wert.

Ich trat über die Schwelle in die Burg, hielt kurz inne und atmete tief ein. Trotz des Chaos, das die Leute der Gräfin de Gramont verursacht hatten, fühlte ich mich wieder sicher. Die Wände meines Fuchsbaus schienen Ruhe und Vertrauen auszustrahlen. So lange Zeit schon hatten sie nun die Mysterien und Geheimnisse im Inneren geschützt.

„Wir sind zu Hause...“, bemerkte ich mit einem Lächeln, nachdem sich die Tür meines Büros hinter mir geschlossen hatte und ich endlich allein war.

Nun ja, nicht ganz allein...

„Du kannst herauskommen“, sagte ich leise.

An der nahegelegenen Wand schlug die Luft Wellen, und neben mir stand die Nitte. Mit vor Aufregung offenem Mund drehte sie den Kopf von Seite zu Seite und begutachtete ihre neue Umgebung.

„Und? Was hältst du davon?“, fragte ich.

Itta rieb sich die kleinen Hände und antwortete mit einem glücklichen Lächeln:

„Es wird eine Menge Arbeit bedeuten — aber mir gefällt es hier.“

Kapitel 2

WÄHREND DER NÄCHSTEN TAGE wirkte meine Burg weniger wie ein Fuchsbau und mehr wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen. Angesichts des unerwarteten Geschenks von etwa zwei Dutzend weiteren Arbeitern und unter Ausnutzung des frühlingshaften Wetters stürzte sich Marc Ducos in die Aufgabe, meine Villa in einen wenigstens halbwegs anständigen Zustand zu versetzen.

Über den Winter waren viele Aufgaben unerledigt geblieben. So mussten beispielsweise alle Zimmer und Vorratsräume gelüftet und die Kamine gefegt werden, der weiße Anstrich bedurfte einer Auffrischung, die Fußböden waren neu zu lackieren, der Garten war völlig außer Kontrolle geraten. Und natürlich stand eine Reinigung des Abwassersystems an. Letzteres geschah unter den wachsamen Augen von Bruno Foulon.

Anfangs ertappte ich den Helder des Verwalters des Grafen mehrfach dabei, wie er voller Hoffnung und Sehnsucht auf das Tor der Burg blickte. Offensichtlich war sein Glaube noch nicht erloschen, der Graf de Gramont könnte an der Spitze seiner prächtigen Armee aus Söldnern hereinstürmen, um das freche Balg für seine eingebildete Frechheit zu bestrafen. Und dabei selbstverständlich seinen treuen Diener retten.

Doch mit jedem Tag, der verging, verblasste die Hoffnung in Foulons Augen mehr und mehr, und am Ende der Woche war sie erloschen. Während der gesamten Zeit hatte mich niemand aus meiner geliebten Familie behelligt.

Das hatte einen guten Grund. Am Tag nach meiner Ankunft erhielt ich ein Schreiben von Valerie. Sie schien sich ehrlich über meine Rückkehr zu freuen und beschrieb mir in allen Einzelheiten den hysterischen Anfall der Gräfin de Gramont, als sie von den „unverschämten und ungeheuerlichen Eskapaden dieses verabscheuungswürdigen Balgs“ hörte.

Dem Brief zufolge rettete mich allein die Abwesenheit des Familienoberhauptes vor der „unvermeidlichen Strafe für meine unsägliche Schurkerei“. Der Graf würde gegen Ende des Monats nach Herouxville zurückkehren. Mit anderen Worten: Bis dahin waren alle Maßnahmen gegen mich auf Eis gelegt.

Allerdings reichten meine Taten unter Umständen aus, um Heinrich de Gramont vorzeitig zurückkehren zu lassen. Seine Frau hatte sich in einem Brief an ihn lauthals über mich beschwert, ihm haarklein berichtet, was geschehen war, und die Sünden des „fürchterlichen Balgs“ in allen Einzelheiten geschildert.

Valerie wusste über den Inhalt dieses Briefes Bescheid, weil die Gräfin ihre Kinder und ihre Nichten zusammengerufen hatte, um ihn laut vorzulesen, bevor sie ihn abschickte. Catherine de Gramont schien ernsthaft zu erwarten, dass ihr Schreiben sich in eine schreckliche Strafe für das „unbotmäßige Balg“ entwickeln würde.

Am Ende ihres Schreibens dankte mir Valerie für das Vergnügen, das es ihr bereitet hatte, all das mitanzusehen. Im Grunde dankte sie mir dafür, den stinkenden Sumpf und die schlimmste Kröte, Catherine de Gramont, ein weiteres Mal aufgerührt zu haben. Davon abgesehen gab meine Schwester ihrer Sorge Ausdruck, was die Zukunft für mich bereithalten könnte. Sie fürchtete, man könnte mich erneut ins Exil schicken.

Ich bezweifelte keine Sekunde lang die Aufrichtigkeit der Besorgnis meiner Schwester. Schließlich ängstigte sie sich nicht in erster Linie um mich, sondern um sich selbst. Daran hatte ich ebenfalls keinerlei Zweifel. Wenn sich mein Status erhöhte, brachte ihr das nur Vorteile.

In jedem Schreiben bemühte Valerie sich so geschickt sie nur konnte (wenigstens glaubte sie das) darum, meine Gefühle zu manipulieren und mich zu größeren Erfolgen anzustacheln, um meinen Stand in der hohen Gesellschaft zu verbessern.

Ha! Ein paar solcher Briefe hätten den alten Max gewiss dazu gebracht, Berge versetzen zu wollen, nur um den Hoffnungen gerecht zu werden, die seine kleine Schwester in ihn setzte.

Schließlich „betete sie Tag und Nacht um mein Wohlergehen“ und glaubte an eine „strahlende Zukunft für mich am königlichen Hofe“. Außerdem hoffte sie „demütig, dass ihr geliebter Bruder, ihr einziger Beschützer, seine liebende Schwester nicht vergessen würde“. Nadine oder Patricia wurden mit keinem Wort erwähnt. Für Valerie schienen ihre älteren Schwestern nicht mehr zu existieren.

In meinen Antwortschreiben gab ich mir große Mühe, taktvoll Valeries Glauben an ihre eigene Bedeutung zu stärken. Das war nur zu meinem Vorteil. Es würde ihr helfen, weniger achtsam mir gegenüber zu sein und ihr zeigen, dass wir tatsächlich auf der gleichen Seite standen. Kurz, ich hielt es für das Beste, sie glauben zu lassen, dass ihr schlauer Trick wirkte und ihr vertrauensseliger, leichtgläubiger Bruder all ihre Empfehlungen befolgte.

Was meinen Onkel und seine Reaktion auf meine Handlungen betraf... Ich musste zugeben, dass ich ungeduldig darauf wartete. Mein Widerstand war ein Test gewesen — es wurde Zeit herauszufinden, wie zäh das Oberhaupt dieser Familie tatsächlich war, und aus welchem Holz geschnitzt. Schwäche oder Stärke — beide Möglichkeiten waren mir recht. Ich musste lediglich wissen, womit ich es zu tun hatte.

Auf jeden Fall würden meine Verwandten langsam einsehen müssen, dass mein Eigentum und meine Leute für sie unantastbar waren. Jede Aggression mir gegenüber und jedes Eindringen in mein Anwesen würden auf eine scharfe Antwort treffen. Und das Gesetz des Landes war auf meiner Seite.

Man musste sich ja nur einmal Meister Grau ansehen. Er hatte den Befehl des Königs ignoriert, war in seine Ländereien zurückgekehrt und hatte dort mit eiserner Faust Ordnung wiederhergestellt. Er hatte nicht nur eine große Armee zusammengestellt und war wie ein feuriger Tornado durch die Gebiete des Angreifers gerast. Was ihm übrigens keinerlei Tadel eintrug. Nein, der Graf de Blois hatte sogar in die Hauptstadt fliehen und sich unter den Schutz des Königs stellen müssen.

Falls man den Gerüchten Glauben schenken durfte, die unter den Höflingen umgingen, hatte er damit wenig Erfolg. Der König weigerte sich nicht nur, seinen mächtigsten Stürmer dafür zu bestrafen, dass er das Gesetz in die eigenen Hände genommen hatte — anscheinend wollte er de Blois sogar zwingen, einen Friedensvertrag mit Meister Grau zu unterschreiben. Nach dessen Bedingungen der Graf dem Stürmer einen Teil seiner Ländereien zu überlassen hatte. Etwas sagte mir, dass de Blois am Ende seinen Stolz hinunterschlucken und zustimmen würde, um nicht alles zu verlieren.

Nebenbei bemerkt — soweit ich das sehen konnte, überraschte nichts in dieser gesamten Entwicklung diejenigen, die in dieser Welt die Macht besaßen. Ganz im Gegenteil. Es entsprach alles vollständig dem Geist der Zeit. Die Starken beherrschten die Schwachen. Und der König schien dies sogar in einem gewissen Ausmaß zu fördern.

Intuitiv war ich mir jedoch sicher, dass Carl III. Meister Grau eines Tages an die kleine Episode seiner „Selbstjustiz“ erinnern würde, um ihn zu erpressen, ihm einen Gefallen zu tun. Derzeit war schlichtweg nicht der geeignete Zeitpunkt für einen Konflikt mit einem treuen Avant, in dessen bewaffnetem Gefolge sich zudem mehrere mächtige Stürmer vom Rang eines Medius und Experten befanden. Der Sommer stand bevor, und schon bald würde die Militärkampagne gegen die Atalianer beginnen. Von der Verwundung des Königs einmal ganz zu schweigen, die nicht nur den Herzögen Sorge bereitete, sondern auch dem gewöhnlichen Volk...

Schon vor unserer Heimkehr hatte ich unterwegs erfahren, dass der König auf einer Feier zu Ehren irgendeines Heiligen erschienen war, um Gerüchten zu begegnen, was seine Wunde betraf, von denen eines undurchsichtiger und dubioser war als das andere.

Aus diesem Grund stand Carl III. eine ganze Stunde lang auf dem Balkon seines Palastes — wahrscheinlich unterstützt von den besten Heilern des Königreiches — und winkte der begeisterten Menge hin und wieder zu, die feierte und auf die Gesundheit Seiner Majestät trank.

Marc Ducos berichtete mir später, dass er an diesem Tag anwesend war und Seine Majestät mit eigenen Augen gesehen hatte. Die Mannhaftigkeit und Ruhe des Königs hatten meinen Butler mächtig inspiriert, ebenso wie alle anderen, die sich an diesem Tag auf dem Platz aufhielten. Und das waren mehrere tausend.

Carl hielt sogar eine feurige, mitreißende Ansprache über die Bedrohung, die die verabscheuungswürdige atalianische Armee für uns alle bildete. Er forderte seine Untertanen auf, in dieser schwierigen Zeit Tapferkeit zu zeigen und zusammenzuhalten.

Marc erzählte, wie die Rede des Herrschers in vielen ein entschlossenes Feuer entzündet hatte. Auf einmal waren sie bereit, für ihr Land und ihre Lieben zu kämpfen. Viele Leute weinten, überwältigt von Emotionen. Dann hatte man mehrere hundert Fässer Bier auf den Platz gebracht, und das „Erscheinen des Königs vor seinem Volk“ verwandelte sich in ein Fest, das viele Tage dauerte. Als ich dem begeisterten Bericht von Marc Ducos über dieses Ereignis lauschte, wurde mir wieder einmal bewusst, wie ähnlich unsere Welten im Grunde waren.

Obwohl der König und seine Berater sich große Mühe gaben, allen Gerüchten zuvorzukommen und dem gemeinen Volk zu zeigen, dass im Königreich alles in schönster Ordnung war, verriet mir ein inneres Gefühl jedoch das Gegenteil. Falls meine eigenen Augen und Ohren (einschließlich der Berichte von Kater, meinem Informanten in Sardent) mich nicht täuschten, brauten sich über Vestonia die Wolken der Veränderung zusammen.

Kater kommunizierte höchst detailliert, wie die Preise für Proviant, Waffen, Stoffe, Lasttiere und vor allem Sklaven explodierten. Und was letztere „Ware“ betraf, so waren die wertvollsten Sklaven auf dem Markt derzeit starke, gesunde Männer, bevorzugt solche mit Kampferfahrung.

Davon abgesehen erlebte Sardent den Zustrom von Händlern, großen wie kleinen, die aus den freien Grafschaften und Herzogtümern stammten und sich ihren Weg tiefer in Vestonia hinein suchten. Besonders viele Abenteurer kamen von den Nebelinseln.

Die Bürgerkriege dort hatten in letzter Zeit ein wenig nachgelassen. Deshalb suchten die Kriegshunde nun in Festland nach Gold und Beute. Beides winkte, sobald die Herzöge sich erst einmal in Bewegung setzten. Das erklärte übrigens auch, weshalb Meister Grau auf einmal in seinem Gefolge so viele Stürmer dazugewonnen hatte. Er hatte schlichtweg einen Aufruf an seine Landsleute geschickt.

Ich musste all die Informationen gut organisieren, die ich erhielt. Zu diesem Zweck hing ich an einer Wand im Keller einen großen Holzschild auf, der aus mehreren Planken zusammengehämmert worden war. Am Ende wirkte es wie die Tafel in einem Klassenzimmer. Daran brachte ich Stoffstreifen in drei Farben an, die für die drei prinzlichen Gruppen standen. Anschließend setzte ich Marker für alle einflussreichen Akteure in Vestonia und im Rest von Festland.

Während ich das alles zusammenstellte, fertigte ich kleine Zeichnungen an, Porträts der entscheidenden Hauptpersonen, die ich auf das Brett nagelte. Wollfäden verbanden diese Porträts miteinander, um die Beziehungen zwischen den Dargestellten zu repräsentieren. Ich hing auch Notizen und Anmerkungen auf, ebenso wie ich festhielt, was ich mir für die Zukunft unbedingt merken musste. Meine Arbeit an dieser grafischen Darstellung der politischen Situation enthüllte immer neue Details.

Als ich zum Beispiel alle Teile zusammenbrachte, wurde mir klar, dass die Situation von Prinz Louis im Grunde keine allzu schlechte war — teilweise natürlich aufgrund meiner Hilfe. Dank der Unterstützung von Prinzessin Astrid und ihrem lieben alten Papa bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Winzling von einem Sohn Carls III. sich am Ende seinen Weg zum vestonianischen Thron erkämpfen würde. Sobald Scharfzahn erst einmal Ordnung in Nordland geschaffen hatte, stand dem „grünen“ Prinzen dessen gesamte Armee zur Verfügung.

Astrid war sich jedoch bewusst, dass man sie als einen Eindringling betrachten würde, wenn sie an der Spitze einer fremden Armee die vestonianische Grenze überschritt. Die Kampagne, Prinz Louis auf den Thron zu heben — oder, diplomatischer formuliert, ihm den Thron „zurückzugeben“ — musste unter dem Banner einheimischer Adeliger erfolgen.

Aus diesem Grunde würde Prinzessin Astrid alles tun, um die ursprünglichen Verbündeten in die „grüne“ Gruppe zurückzubringen, solange der Konung sich den Norden mit Feuer und Schwert untertan machte.

Das Hauptproblem dieses Plans war die Tatsache, dass Prinz Louis anders als seine zukünftige Braut keinerlei Interesse an der Krone von Vestonia hatte. Um ehrlich zu sein, entsprach ihm die Rolle eines Herrschers auch nicht. Wenn man die Angelegenheit allerdings umfassender betrachtete, konnte eine solche Art von König, der sich mühelos manipulieren ließ, Astrid und ihrem Vater nur recht sein.

Man musste sich ja nur einmal Prinz Philippe betrachten, der vollkommen unter dem Einfluss des Herzogs de Bauffremont stand. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Blanca de Gondy in der Lage sein würde, den Bruder der derzeitigen Königin beiseitezudrängen. Auf friedliche Weise konnten sie und ihr Vater das jedenfalls nicht erreichen. Meine Vermutung war, dass eine Konfrontation dieser beiden Herzöge den Grund bilden würde, wenn das Land eines Tages in Flammen aufging.

Dann war da natürlich noch Prinz Heinrich, der den totalen Gegensatz zu seinen Brüdern bildete. Dieser Prinz war derjenige, der die Krone seines Vaters tatsächlich für sich selbst erringen wollte. Zumindest war er der Einzige, der höchstpersönlich eine Menge unternahm, um dieses Ziel zu erreichen.

Nachdem der König verwundet worden war, hatte Heinrich das Kommando über die vestonianische Armee übernommen, die sich derzeit in Bergonia aufhielt. Wenn man der Gerüchteküche von Herouxville Glauben schenken durfte, besaß der mittlere Sohn des Königs ein echtes Talent für einen solchen Oberbefehl.

Der Prinz hatte sich in zwei Schlachten hervorragend bewiesen, die allerdings, um der Wahrheit treu zu bleiben, nicht mehr als Scharmützel waren. Doch diese Siege wurden in der Gesellschaft breitgetreten als großartige, heroische Taten. Als Heinrich vor einem Monat nach Herouxville zurückgekehrt war, hatte man ihm einen Heldenempfang bereitet.

Und jetzt glänzten der Heldenprinz und seine Generäle bei jedem Ball in der Hauptstadt, während die Soldaten der vestonianischen Armee sich in den Grauen Vorbergen, der nördlichsten und am dünnsten besiedelten Region von Bergonia, den Arsch abfroren.

Allerdings war die Lage in Atalia noch schlechter. Das hatte ich von meinem Makler Herrn Beron erfahren, den ich Kevin vor wenigen Tagen gebeten hatte, zum Mittagessen einzuladen.

Solange Bergonia mit Vestonia verbündet war, hielt sich Alfonso V. — bekannt als der „Ehrenhafte“ — in feindlichem Gebiet auf, und er erlitt schwere Verluste durch die Angriffe der Bergonianer. Deren Armee hatte sich in kleine, bewegliche Trupps aufgeteilt, die die Versorgungsketten der Atalianer überfielen.

Zudem war in den Rängen der atalianischen Soldaten eine Epidemie ausgebrochen, was beinahe zu einer Meuterei geführt hätte. Am Ende wurde die Unzufriedenheit der Soldaten unterdrückt, aber nur dank des Eingreifens der Ritter vom Orden des Scharlachroten Schildes. Ich stellte mir lieber nicht vor, was sie als Entschädigung für ihre Dienste verlangt hatten.

Davon abgesehen hatten die Berater von König Alfonso diesen auch davon überzeugt, eine Anordnung zu verkünden. Diese Verfügung sorgte dafür, dass alle Schuldscheine von Firmen in Astland, die von atalianischen Adeligen ausgestellt worden waren, hinfort null und nichtig waren. Den astlandischen Banken war es verboten, auf diese Schuldscheine hin eine Zahlung zu verlangen, und den atalianischen Ausstellern der Schuldscheine war es verboten, eine solche Zahlung zu leisten.

Beim Mittagessen erklärte Herr Beron mir angeregt in allen Einzelheiten, dass die atalianischen Banker Atalia nun in Scharen verließen. Ihr Kapital nahmen sie natürlich mit, ebenso wie das Eigentum, das ihre Kunden als Sicherheit für ihre Darlehen hinterlegt hatten.

Die meisten dieser Banker wählten Vestonia als ihre neue Heimat. Die Herren Craonne waren davon verständlicherweise alles andere als begeistert. Schließlich bedeutete der Zufluss neuen Kapitals, dass sie den Launen von Prinz Heinrich nicht mehr so ohne weiteres nachgeben konnten.

Übrigens — angesichts der Situation in Nordland, die in der Entwicklung begriffen war, könnte es sehr wohl geschehen, dass die Adeligen mit Ländereien im Norden, die bislang den „blauen“ Prinzen unterstützt hatten, ihre Aufmerksamkeit auf die nordische Prinzessin richteten. Die konnte ihnen schließlich für ihre Ländereien den Frieden versprechen. Falls die Sache für Astrid gut lief, würden die Winterwalder bald zu ewigen Verbündeten von Vestonia werden. Meiner Vermutung nach hatte Astrid längst Boten zu diesen Baronen und Grafen geschickt.

Insgesamt schien sich das Land an der Schwelle zu großen Veränderungen zu befinden, und die Lage heizte sich mit jedem Tag mehr auf. Hätte man mich gefragt: Ich hielt das Chaos für das Geistesprodukt von Carl III. höchstselbst. Zwar war es mir derzeit noch ein Rätsel, was er mit einem solchen Durcheinander bezwecken könnte, aber meinem Gefühl nach hatte der König noch ein Ass im Ärmel.

Ich stand vor der Tafel und betrachtete nachdenklich mein komplexes Diagramm. Währenddessen spielte ich mit einem violetten Band und wand es mir um den Zeigefinger der rechten Hand. Dieses Band hatte mir Prinzessin Adèle gegeben.

Ich griff nach einem Blatt Papier und einem Stück Kohle und skizzierte rasch aus der Erinnerung das Gesicht der Prinzessin. Ich hielt die Zeichnung vor mich, legte den Kopf zur Seite und betrachtete sie kritisch. Es war eine verdammt gute Ähnlichkeit, das musste ich zugeben... Ich nahm eine Reißzwecke vom Tisch, versenkte sie im Porträt der Enkelin des Königs und befestigte ihr Bild an einer Ecke der Tafel. Anschließend brachte ich daneben ein kleines Fragezeichen an...

Ich lachte, als ich mir den Kohlenstaub von den Fingern wischte. Wer hätte wohl gedacht, dass ich einmal so viele Zeichnungen anfertigen würde? Und zwar alles andere als schlechte...

Von der Kenntnis fremder Sprachen einmal abgesehen, hatte ich von Max auch noch etwas anderes geerbt. Wie sich herausstellte, hatte der frühere Bewohner dieses Körpers als Kind sehr viel gezeichnet, und war darin wirklich gut gewesen.

Später hatte er dieses Hobby natürlich wieder fallen lassen. Laut Bertrand hatte Max eine solche Aktivität als unter der Würde eines echten Mannes betrachtet. Ich verstand zwar nicht, wie er die Erschaffung mittelmäßiger Gedichte als würdiger betrachten konnte, aber ich hatte es schon lange aufgegeben, die Logik der Handlungen des alten Inhabers meines Körpers verstehen zu wollen.

Meine neue Fertigkeit hatte ich erst vor kurzem entdeckt, während einer der Pausen auf unserer Reise nach Süden. Völlig unvermittelt verspürte ich auf einmal den Drang, ein Stück Kohle in die Hand zu nehmen und ein Blatt Papier, und Aeliras Gesicht zu zeichnen. Und ich hatte vorher in meinem alten Leben so gut wie nie einen Zeichenstift angerührt!

Die nordische Frau saß am Lagerfeuer, und dessen Hitze spielte auf verführerische Weise mit ihren schneeweißen Haaren. Normalerweise war sie immer so beherrscht und streng, doch an diesem Tag wirkte sie entspannter und freimütiger.

In ihren weit geöffneten Augen spielten Funken der Freude, und ihre dichten Haare bildeten einen Rahmen um ihr schmales Gesicht. Zusammen mit ihrem verträumten Lächeln schuf das den Eindruck, dass es keineswegs eine furchterregende Gestaltenwandlerin war, die sich dort am Feuer wärmte, sondern eine ganz normale Menschenfrau. Vielleicht sogar eine mit ihrer eigenen Familie und ihrem Zuhause.

Als ich meine kleine Zeichnung fertiggestellt hatte und sie Aelira zeigte, starrte sie eine Weile lang wie gebannt darauf. Und als sie mich wieder ansah, standen Tränen in ihren Augen.

Wie sich herausstellte, sah sie in dieser Zeichnung nicht sich selbst, sondern ihre Mutter, die starb, als Aelira noch ein Kind war. Anders als ihr strenger Vater und ihre schrille, immer zornige Stiefmutter war sie Aelira gegenüber immer freundlich und liebevoll gewesen. Im Laufe der Jahre war die Erinnerung an das Gesicht ihrer Mutter mehr und mehr verblasst, und am Ende war nichts als ein schwacher Eindruck zurückgeblieben. Doch nun hatte ich es völlig unerwartet — für Aelira ebenso wie für mich selbst — geschafft, ihr Bild zurückzuholen.

Ich erinnerte mich daran, wie Aelira unter den erstaunten Blicken von Sigurd und den anderen aufstand, mich schweigend umarmte und auf die Wange küsste. Anschließend presste sie, noch immer stumm, die Zeichnung gegen ihre Brust und ging zum Wagen.

Sigurd beobachtete seine Frau mit sichtlicher Besorgnis und wollte ihr folgen, doch sanft hielt Bertrand ihn davon ab und erklärte ihm, dass es besser wäre, sie eine Weile mit ihren Erinnerungen allein zu lassen.

Ich musste daran denken, wie Verena, die alles mitangesehen hatte, mich auf einmal noch interessierter betrachtete als zuvor...

Der Klang von Schritten über mir bereitete meinen Reminiszenzen ein jähes Ende. Jemand hatte mein Büro betreten.

„Es ist dein alter Diener“, murmelte die Nitte, die auf einem Tisch saß und sorgfältig Goldmünzen zählte, bevor sie sie sauberwischte und nach Prägejahr in verschiedene Stapel sortierte. „Er ist allein.“

Ich aktivierte den Zugang zum Keller, und kurz darauf stand Bertrand am Fuß der Treppe.

„Die Mannschaft steht bereit, Euer Gnaden“, informierte er mich und warf dem rothaarigen Waschbären einen schiefen Blick zu, der mit einem zusammengekniffenen Auge vorsichtig einen Goldtaler untersuchte. In den winzigen Pfoten wirkte die Münze groß und schwer.

Keiner von meinen Leuten wusste, dass mir inzwischen eine Nitte diente. Sobald sie erst einmal genügend Energie aufgesaugt hatte, konnte sie sich mühelos in meinem Wagen verstecken, ohne dass jemand sie bemerkte. Nicht einmal Aelira spürte sie.

Ich hatte Itta und Bertrand allerdings nach unserem Eintreffen in der Hauptstadt miteinander bekannt gemacht. Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, der alte Mann wäre schockiert gewesen. Was kaum überraschend kam — für ihn war eine Nitte schließlich eine Märchengestalt.

Jetzt behielten die beiden einander konstant im Auge. Und etwas sagte mir, dass sie früher oder später eine gemeinsame Basis finden würden.

„Okay.“ Ich nickte und stand auf, um zur Treppe zu gehen. Plötzlich hörte ich hinter mir Ittas besorgte Stimme.

„Sei vorsichtig, Meister. Du weißt ja, wie diese Leute sind — wenn du in deiner Aufmerksamkeit auch nur eine Sekunde lang nachlässt, kann das ohne weiteres damit enden, dass du bis zum Hals in ihrer Schuld stehst.“

Ich lachte und stieg die Stufen nach oben. Heute würde mein Weg mich auf den Geldwechsler-Platz führen. Dort hatte ich an einer der Säulen die Zeichen eines Adeligen entdeckt. Es wurde Zeit, mit dem Untergrund in Kontakt zu treten — dem wahren Herouxville.

Kapitel 3

ICH SETZTE MICH IN DIE KUTSCHE und warf, als wir daran vorbeirollten, einen raschen Blick hoch zu den Fenstern im ersten Stock. Ich musste lächeln, als ich dort eine winzige Silhouette vorbeiflitzen sah.

Der „Fuchsbau“ war keineswegs von normalen Handwerkern erbaut worden. Oh nein — dieses Anwesen hatte ein Artefaktor geschaffen, und der geheime Keller verriet mir, dass er ein Meister seines Fachs gewesen war. Doch seit der Ankunft der Nitte schien das Gebäude neu zum Leben zu erwachen. Es war, als hätte es nun endlich eine Seele.

Während der ersten beiden Tage nach unserer Rückkehr war Itta im gesamten Haus umhergewandert und hatte sich mit ihrem neuen Wohnort vertraut gemacht. Ich hatte sie nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Ich hatte sogar versucht, sie herbeizurufen, doch vergebens. Die seltsamen magischen Ausstrahlungen, die ich hin und wieder wahrnahm, verrieten mir jedoch, dass sie etwas Wichtiges plante.

Endlich tauchte die Nitte wieder auf, am Morgen des dritten Tages. Sie wirkte energiegeladen und glücklich. Ich hatte keine Ahnung, welche Art von Magie sie ausgeübt hatte, aber es schien ihr gut getan zu haben. Ihre Haare waren nicht länger ein Rattennest wie bei unserer ersten Begegnung, und ihre Kleidung war vollständig neu. Die zerrissenen Lumpen und löcherigen Mokassins waren verschwunden. Stattdessen trug sie eine süße Tunika aus Leinen und hohe Stiefel aus einem weichen Leder. Ich versuchte nicht einmal zu erraten, wo und wie sie sich diese Dinge besorgt hatte.

Die Farbe von Ittas Kleidung entsprach der Farbpalette der Burg. Dank dieser „Tarnung“ musste sie nicht mehr so oft ihre Magie einsetzen, um ihre Anwesenheit zu verbergen. Stattdessen verschmolz sie wie ein Chamäleon mühelos mit Wänden, Möbeln und Bildern. Vor allem jedoch war Ittas magischer Vorrat gewaltig gewachsen, und dabei war sie, wenn ich das richtig verstand, von dessen Maximum noch immer weit entfernt.

Als ich sie fragte, ob sie sich in der Burg eingelebt hatte, lächelte sie zufrieden und erklärte mir, welche Informationen sie bislang gesammelt hatte.

Wie ich nun herausfand, verfügte die Burg über drei geheime Lagerräume, von deren Existenz ich nicht einmal etwas geahnt hatte, obwohl ich bereits jede Ecke und jeden Winkel des Gebäudes gründlich abgesucht hatte. Was ich der Nisse auch sagte.

Sie zuckte nur mit den Schultern und murmelte etwas, das wohl bedeuten sollte, ich hätte einfach gründlicher hinschauen müssen. Wie auch immer — in zweien der Räume lagen mehr von den Münzen, die mir inzwischen bereits vertraut waren, geprägt in den sogenannten Vergessenen Königreichen, und ein wenig Schmuck. Im dritten entdeckte die Nitte einen großen Stapel lange zerfallener Papiere, die nicht mehr zu retten waren. Was ich sehr bedauerte — ich hätte leidenschaftlich gern gelesen, was dieser frühere Bewohner der Burg zu sagen hatte.

Alles in allem gab es im „Fuchsbau“ also, vom Hauptlagerraum einmal abgesehen, neun Verstecke. Die ich der Nitte befahl, mit neuen Münzen zu füllen und sorgfältig zu versiegeln. Das konnte mein Notgroschen in schlechten Zeiten sein.

Übrigens brauchte Itta nicht einmal ein Amulett, um sich Zugang zum Geheimkeller zu verschaffen. Oder zu irgendeinem beliebigen anderen Winkel der Burg. Das hing mit ihren Fertigkeiten und der magischen Verbindung zwischen ihr und mir zusammen.

Davon abgesehen war die Nitte ohnehin über alles informiert, das in der Burg vor sich ging. Und zwar wortwörtlich — das reichte von den Gesprächen zwischen den Dienern und Lakaien bis hin zur Zahl der Spinnen, die im Haus lebten.

---ENDE DER LESEPROBE---