Das Labyrinth des Schreckens (Außenseiter Buch #5) - Alexey Osadchuk - E-Book

Das Labyrinth des Schreckens (Außenseiter Buch #5) E-Book

Alexey Osadchuk

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Beschreibung

Nachdem Eric das Nest der Draks vernichtet hat, steckt er in der Falle. Um dem Tod in der einstürzenden Höhle zu entgehen, aktiviert er das Manuskript, das er für den Sieg über die Herrin der Anomalie erhalten hat. Sofort bringt ein Portal Eric zu einem Aussichtspunkt oberhalb der mysteriösen Zitadelle des Chaos. Der Eingang zur Zitadelle wird bewacht vom Torwächter, einem riesigen Troll, der von Kopf bis Fuß in einer aus einzelnen Platten zusammengesetzten Rüstung steckt. Dank seines Amuletts „Freund der Trolle“ gelingt es Eric, einem Kampf gegen den Torwächter zu entgehen. Auf diese Weise besteht er den ersten Test und darf die Zitadelle des Chaos betreten, um an ihren Mysterien teilzuhaben. Aber Eric interessiert sich gar nicht für diese Mysterien, und das erklärt er dem Troll auch sofort. Er geht sogar so weit, ihm zu sagen, dass er am liebsten sofort umkehren und die Zitadelle wieder verlassen würde. Doch der Torwächter informiert Eric, dass es so leicht nicht werden wird, den Rückweg anzutreten. Schließlich hat Eric das Manuskript aktiviert, und nun muss er sich einem Test unterziehen, der sich „Einheit mit dem Chaos“ nennt. Einerseits ist sich Eric sehr wohl bewusst, dass es ihn nicht nur Zeit, sondern vielleicht sogar das Leben kosten kann, sich dieser zweifellos gefährlichen Aktivität zu unterziehen. Andererseits erinnert er sich sehr genau daran, was die Chaos-Magie zustande bringt. Was, wenn Eric in der Lage wäre, diesen Test zu bestehen? Würde das Chaos ihm dann Macht gewähren? Eric weiß sehr gut, so sehr er sich auch verändert hat, und so viel stärker er auch geworden ist – er ist nicht einmal ansatzweise so mächtig wie der Stahlkönig, der Maya und Mee gefangen hält. Ist dies vielleicht ein Signal der Götter, dass nun die Zeit für Eric gekommen ist, sich die Worte des Waldmanns zu Herzen zu nehmen? Die Zeit, an Stärke zu gewinnen?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Impressum

Das Labyrinth des Schreckens

Ein Roman von Alexey Osadchuk

Außenseiter

Buch 5

Magic Dome Books

Das Labyrinth des Schreckens

Außenseiter Buch 5

Originaltitel: Labyrinth of Fright (Underdog Book #5)

Copyright © Alexey Osadchuk, 2020

Covergestaltung © Valeria Osadchuk, 2020

Designer: Vladimir Manyukhin

Deutsche Übersetzung © Irena Böttcher, 2021

Lektorin: Lilian R. Franke

Erschienen 2021 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00 Praha 9

Czech Republic

IC: 28203127

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Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Kapitel 1

„EINE VERFÜHRERISCHE EINLADUNG, aber ich muss dennoch ablehnen.“

Meine Reaktion veranlasste den Troll zu einem Stirnrunzeln.

„Anscheinend hast du nicht verstanden, was ich gesagt habe – du kannst nicht einfach wieder verschwinden.“

„Sieh mal, ich bin sicher, dass das hier ein netter Ort ist, aber ich muss dennoch gehen.“ Während des Sprechens starrte ich betont auf die düstere Steinbrüstung und den rissigen Boden der Beobachtungsplattform.

Der Torwächter verdrehte mit einem schweren Seufzen die Augen und verkündete: „Kommt nicht infrage.“

„Ich dachte, wir lägen miteinander nicht im Streit.“

„Das stimmt“, erklärte der Troll und nickte. „Das ist auch der Grund, warum du noch immer am Leben bist. Andere Bewerber … solche wie du … die hatten nicht so viel Glück.“

„Solche wie ich?“ Der Vorbehalt des Torwächters hatte meine Aufmerksamkeit geweckt.

Der Troll zuckte zusammen. Offensichtlich hatte er mehr verraten als beabsichtigt. Dennoch beantwortete er mir die Frage und deutete dabei auf den Boden zu meinen Füßen.

„Wenn jemand einen Vertreter des Chaos tötet und anschließend das Manuskript aktiviert, tritt er durch dieses Portal. Und ich begrüße ihn.“

Erneut betrachtete ich die Steinplatten unter meinen Füßen. Hier und dort konnte ich auf den im Laufe der Zeit verwitterten Steinen verblichene Inschriften erkennen. Endlich ging mir ein Licht auf. Die gesamte Aussichtsplattform war das Portal. Aber warum reagierte sie dann nicht auf mich?

„Hast du es endlich kapiert?“, knurrte der Torwächter.

„Du blockierst das Portal?“, fragte ich verblüfft.

Der Troll schnaubte. „Ich bin das nicht.“

„Und wer sonst? Halt, warte mal … Es ist das Große System!“

„Himmel, du hast ja lange gebraucht!“

„Willst du mir damit sagen, dass ich mir in dem Augenblick, in dem ich mich für die Teilnahme an deinem Test entschieden habe, selbst den Weg zurück verbaut habe?“ Ich wartete die offensichtliche Antwort nicht ab, sondern stellte eine weitere Frage. „Gibt es eine Möglichkeit, das wieder rückgängig zu machen?“

„Ja.“ Der Troll nickte. „Aber warum?“

„Ich bin in Eile.“

Der große Kerl schnaubte verwirrt. „Das ist merkwürdig. Viele Leute würden ihr halbes Leben für die Chance geben, hierher zu kommen und stärker zu werden. Du hingegen willst nichts anderes als weglaufen. Ich verstehe das nicht.“

„Ich bin in Eile“, wiederholte ich entschieden. Obwohl die Bemerkung über das „stärker werden“ doch meine Neugier geweckt hatte.

Lethargisch zuckte der Troll mit den Schultern, wie um zu sagen, das wäre nicht sein Problem. Anschließend drehte er sich seitwärts und deutete auf die Tür.

„Du hast gesagt, es gäbe eine Möglichkeit, das wieder rückgängig zu machen“, beharrte ich.

Nachdem er erkannt hatte, dass ich nicht bereit war, nachzugeben, seufzte der Torwächter erneut. Ich kannte das Temperament der Trolle. Bestimmt musste er sich schwer zusammenreißen, nicht loszubrüllen. Wie lange konnte mein Amulett den Zorn dieses hünenhaften Grobians wohl in Schach halten?

Nachdem er seine Verärgerung teilweise überwunden hatte, wischte der Torwächter sich mit den breiten Händen über die Augen, wie Menschen dies tun, und sagte langsam: „Es gibt verschiedene Optionen. Zum Beispiel kann ein Magister unserer Fraktion Bewerber wegen einer Vernachlässigung ihrer Pflichten ausschließen. Um ehrlich zu sein – wäre ich ein Magister, würde ich genau das tun.“

Meine fehlende Bereitschaft, an den Mysterien des Chaos teilzunehmen, frustrierte ihn mehr als meine Sturheit.

„Auf jeden Fall wirst du alles bald erfahren. Ein Magister unterhält sich mit jedem neuen Bewerber. Gehen wir!“ Anschließend drehte der Troll sich um und ging auf einen dunklen Eingang zu. Er marschierte ein paar Schritte in den Durchgang hinein, wandte den Kopf halb zurück und bemerkte düster: „Da ist etwas, das du meiner Meinung nach wissen solltest. Du bist seit 200 Jahren der erste Neuling, der durch diese Tür tritt.“

Meine Empörung und mein Zorn verblassten. Doch bevor Apathie meinen Verstand vollständig lähmen konnte, begann mein Gehirn mit einer fieberhaften Analyse meiner Umstände.

Der Troll setzte sich wieder in Bewegung. Mein Blick bohrten sich in seinen Rücken. Ich sah kein Level und keine Zahlen. Über seinem Kopf schwebte lediglich lakonisch ein Wort: Torwächter. Wessen dieser Troll wohl fähig war? In den 200 Jahren, die er das Tor bewacht hatte, war sein Eifer wahrscheinlich viele Male getestet worden. Kombiniert mit der Tatsache, dass die Manuskripte bestimmt ausschließlich für das Töten hochrangiger Mächte des Chaos vergeben wurden, summierte sich das zu einer schlichten Schlussfolgerung: Dieser Troll konnte es wahrscheinlich ohne Weiteres mit den Urwesen aufnehmen. Ich dankte den Göttern, dass ich nicht mit ihm hatte kämpfen müssen.

Nun seufzte auch ich schwer und folgte dem Torwächter. Wenn ich mich erst mit dem Magister unterhalten musste, bevor ich wieder verschwinden konnte – nun, dann war dies eben so.

* * *

Wir schritten eine lange steinerne Treppe hinunter und gingen ein paar dunkle Korridore entlang, bis wir endlich vor einer breiten Tür anhielten.

„Du musst hier warten”, erklärte der Troll mir und öffnete die Tür, hinter der ein großer Raum lag. „Ich werde den Magister über deine Ankunft informieren.“

Ich hatte es nicht eilig, die Schwelle zu überschreiten, und schaute mich rasch um. Wände aus Stein, eine breite Pritsche, ein schwerer, grob zusammengezimmerter Hocker und ein Tisch. Das nüchterne Gesamtbild wurde abgerundet durch ein schmales Fenster mit einem Gitter davor, durch das ich die Blitze des Gewitters sehen konnte, das mittlerweile die Zitadelle erreicht hatte.

„Das sieht aus wie eine Gefängniszelle“, bemerkte ich skeptisch.

Der Torwächter betrachtete das Innere des Raums und zuckte leicht mit den Schultern.

„So habe ich das noch nie betrachtet“, murmelte er verlegen.

Die Reaktion des Trolls überraschte mich. Es wirkte, als hätte ich ihn beleidigt. Da kam mir eine Erleuchtung.

„Einen Augenblick!“, rief ich mit gerunzelter Stirn. „Ist das etwa dein Zimmer?“

Der Troll nickte und erklärte: „Du bist ein Freund der Trolle. Also muss ich gastfreundlich sein.“

Ich lief knallrot an. Wie peinlich!

„Ich wollte nicht …“

„Ist schon in Ordnung“, unterbrach der Torwächter mich. „Ich hatte schon seit Ewigkeiten keine Gäste mehr. Geh hinein und fühl dich wie zu Hause. In dem Raum ist nichts, wofür du dich fürchten müsstest. Darauf gebe ich dir mein Wort.“

Ich machte ein paar Schritte ins Zimmer hinein und drehte mich um.

Bevor er die Tür hinter sich schloss, ergänzte der Troll leise: „Aber du hast recht – dieser Ort ist tatsächlich wie ein Gefängnis. Es gab eine Zeit, in der ich das ebenfalls gedacht habe.“

Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Bedeutete das etwa, dass der Troll gegen seinen Willen hierhergebracht worden war? Oder war das nur eine Redewendung gewesen? Im Grunde war es mir egal. Wichtig war nur, dass ich diese Zitadelle so rasch wie möglich wieder verließ. Allerdings nicht, ohne vorher meinen exakten Standort erfahren zu haben. Schließlich hatte ich noch immer keine Ahnung, in welchem Teil meiner Welt ich mich befand. Sobald ich mich wieder gefasst und die Trauer in die hintersten Winkel meines Unterbewusstseins verbannt hatte, produzierte mein Gehirn all die Fragen, die mir vorhin hätten einfallen sollen.

Das Erste, das ich tat, nachdem ich mich auf den klobigen Hocker gesetzt hatte, bestand darin, den Harn herbeizurufen. Schlingers Eintreffen erfüllte mich mit Erleichterung. Mein Freund spürte meine Stimmung und versuchte, mich aufzuheitern, indem er mir mit dem flachen Kopf gegen die Schulter stieß und mir mit seiner heißen Zunge die Wange leckte.

„Ich werde sie niemals wiedersehen“, flüsterte ich und schloss die Finger fest um Nerz‘ kleine Puppe. Die Worte ließen Entsetzen in mir aufwallen.

„Hrn …“

„Du hast recht, Bruder. Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, mich in Selbstmitleid zu ergehen. Irgendetwas sagt mir, dass wir eine Chance wie diese so bald nicht wieder bekommen.“

Ich wollte den Bestand meiner Beute überprüfen, doch da Schlinger knurrte warnend, und eine Sekunde später bewegte sich der Türgriff. Der Torwächter war zurück.

Er war schnell gewesen, in gewisser Weise zu schnell.

Bevor die Tür sich vollständig öffnete, schaffte ich es gerade noch, Schlinger wieder verschwinden zu lassen. Noch wollte ich mein Haustier nicht vorzeigen. Doch als ich sah, wer im Türrahmen auftauchte, bedauerte ich es sofort, ihn nicht an meiner Seite zu haben.

Die Herrin der Anomalie! Jorogumo! Die Schwarze Witwe höchstpersönlich! Sie stand da, lächelte versonnen und entblößte dabei perlweiße Reißzähne.

Ich wollte sofort meine Schilde aktivieren, doch der Troll, der hinter der Schwarzen Witwe stand, meldete sich zu Wort und stoppte mich.

„Das ist unsere Magisterin“, verkündete er. „Und dies ist der neue Bewerber. Er …“

„… hat meine Schwester ermordet“, beendete die Frau den Satz und trat ins Zimmer.

Ich versuchte zu schlucken, doch meine Kehle war zu rau.

Kurz darauf stand auch die massige Gestalt des Trolls im Raum. Seine gesamte Erscheinung strahlte enormes Unbehagen aus, und sehr bald wurde mir der Grund dafür klar.

„Du hast ihn für würdig befunden?“, fragte die Magisterin spöttisch, während ihre Blicke mich durchbohrten.

„Jawohl, Magisterin“, antwortete der Torwächter bestimmt.

Er richtete sich kerzengerade auf und straffte die Schultern.

„Merkwürdig“, schnaubte die Magisterin.

Ich hatte keine Ahnung, was sie so merkwürdig fand – die Antwort des Trolls, oder die Tatsache, dass sie mit ihrer mentalen Magie nichts gegen mich ausrichten konnte. Das System hatte mir brav berichtet, dass sie jetzt bereits dreimal versucht hatte, verschiedene Bannsprüche einzusetzen.

„Nun denn – was hast du selbst zu sagen?“, wandte sie sich endlich an mich.

Das Versagen der Magisterin machte mir Mut. Mein Wille hatte ihr widerstanden. Wie hätte mich das nicht ermutigen sollen?

„Ich möchte diesen Ort verlassen“, erwiderte ich so ruhig und höflich, wie ich nur konnte. „Und ich weiß bereits, dass ich das Manuskript nicht hätte aktivieren dürfen. Aber so, wie die Dinge sich entwickelt hatten, blieb mir keine andere Wahl, denn …“

Die Magisterin ließ mich den Satz nicht zu Ende bringen.

„Er scheint recht zäh zu sein, nicht wahr?“, sagte sie zum Troll, während sie mich weiter eindringlich musterte. Dann fragte sie rasch: „Sag mir: Wie ist es dir gelungen, meine Schwester zu besiegen?“

„Ich? Ich habe sie nicht besiegt“, entgegnete ich knapp.

Mir gefiel es nicht, wie sie mit mir redete.

„Aber sie ist dahingeschieden.“ Die Magisterin runzelte die Stirn.

„Ja.“ Ich nickte. „Das Herz des Waldes hat sie vor meinen Augen in Stücke gerissen.“

Als ich das Herz des Waldes erwähnte, erschauerte die Magisterin leicht, hatte sich jedoch sofort wieder im Griff. Mich hingegen freute die Wirkung meiner Worte. Und innerlich war ich über mich selbst erstaunt. Hier stand ich, nur zwei Schritte von einer Frau entfernt, deren Schwester zum Teil durch meine Taten der Tod ereilt hatte, und ich trat ruhig und selbstbewusst auf. Alle anderen hätten sich bestimmt längst vor Angst unter dem Hocker versteckt, aber ich spürte keine besondere Furcht. Woher stammte bloß diese draufgängerische Unbekümmertheit? Lag es womöglich daran, dass ich mich weder durch den Torwächter noch durch die Magisterin bedroht fühlte? In gewisser Weise betrachteten beide mich auf ähnliche Weise – es war, als ob sie mich abschätzen wollten. Hatte der Test womöglich bereits begonnen, und sie hatten lediglich versäumt, mir das mitzuteilen?

„Das Herz des Waldes, sagst du?“, wiederholte die Magisterin nachdenklich.

Es war deutlich zu sehen, dass die Nachricht vom Tod ihrer Zwillingsschwester sie nicht sonderlich störte. Eher das Gegenteil … Ich hörte ihrer Stimme Untertöne von Freude und scheinbar auch Erleichterung an.

„Sie hatte sich das selbst zuzuschreiben“, platzte es aus mir heraus.

„Was meinst du damit?“, fragte die Magisterin neugierig.

„Sie war in der Lage, das Herz des Waldes zu unterjochen und eine gefährliche Anomalie zu erschaffen, die ständig größer und mächtiger wurde. Sie hat jede lebende Kreatur im Wald verwandelt und sie alle zu hässlichen Monstern gemacht. Der Waldmann …“

„Hast du gerade ‚Waldmann‘ gesagt?“ Erneut erschauerte sie und trat einen Schritt vor.

„Ja.“ Ich nickte langsam.

„Hm … Jetzt verstehe ich … Wie auch immer, sprich weiter. Ich bin neugierig.“

„Nun, viel mehr gibt es nicht zu berichten.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Der Waldmann hat mich als Ablenkung eingesetzt, und als … hm … deine Schwester die Kontrolle verlor, hat das Herz des Waldes die Gelegenheit genutzt.“

Die Magisterin kicherte.

„Das klingt ganz nach ihm …“

Selbst ein Volltrottel hätte sofort gewusst, worauf sie damit anspielte. Der alte Waldmann war ein Meister der Manipulation. Sie musste ihn persönlich kennen. Mir wurde jedoch noch etwas anderes klar – sie wusste, wo ihre Schwester sich aufgehalten hatte. Der alte Mann hatte mir schließlich erklärt, dass nicht mehr viele seiner Art übrig waren.

„Also gut. Und weshalb willst du wieder gehen?“, fragte die Magisterin unerwartet.

„Ich bin in Eile.“

„Das musst du mir erklären“, verlangte sie. „Um ehrlich zu sein, verstehe ich nicht, wie etwas reizvoller sein könnte als die Einheit mit einem der Elemente. Eine solche Chance bietet sich nur einmal im Leben, und lediglich wenigen Auserwählten.“

Mir war klar, dass es von ihr abhing, ob ich dem Test entgehen konnte oder nicht. Daher bemühte ich mich, überzeugend zu klingen.

„Man hat meine Freunde gefangen genommen. Ich muss sie retten.“

„Und wer hat sie gefangen genommen?“, wollte sie wissen.

„Der Stahlkönig.“

„Ach ja?” Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. „Je länger wir uns unterhalten, desto mehr Fragen habe ich. Und wie bitte hattest du vor, deine Freunde aus dem Kerker des Stahlkönigs zu befreien? Ich will deine Talente und Fähigkeiten keineswegs infrage stellen, aber … wie könnte eine solche Null wie du, so ungewöhnlich du auch sein magst, sich einem der mächtigsten Wesen der gesamten Welt widersetzen? Und das ist nicht einmal alles. Ich habe gute Gründe, zu vermuten, dass unter seinem Befehl auch mehrere Urwesen stehen.“

Es kam mir vor, als hätte ich die gesamte Zeit mit einem staubigen, alten Sack über dem Kopf verbracht. Die Welt, die ich zu kennen geglaubt hatte, hatte sich schlagartig von einem winzigen Punkt in ein riesiges Universum verwandelt.

„Ich sehe, dass du nicht die geringste Ahnung von der wahren Macht des Mannes hast, der dir dank der Göttin Fortuna über den Weg gelaufen ist.“ Die Magisterin lachte. „Übrigens, was hat er denn davon? Wenn er deine Freunde als Gefangene hält, musst du einen gewissen Wert für ihn besitzen. Aber welchen? Auch ohne jede Information des Systems kann ich sehen, dass du von den Altehrwürdigen abstammst, doch da muss noch etwas anderes sein. Habe ich recht?“

Mein beharrliches Schweigen zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, das allerdings eher wie ein raubtierhaftes Grinsen wirkte.

Die Magisterin wandte sich an den Troll und sagte: „Gut, dass du ihn nicht getötet hast. Wobei ich den Grund dafür noch immer nicht verstehe, aber das kannst du mir später erklären. Anscheinend ist unserer Fraktion ein Glück zuteilgeworden, wie man es nur alle paar Jahrhunderte einmal erlebt. Ein sehr vielversprechender Bewerber! Das Chaos hat meine Gebete erhört!“

„Ich möchte jetzt gehen“, erinnerte ich sie stur.

„Ach, richtig!“, schnaubte die Magisterin ungerührt. „Das hätte ich beinahe vergessen! Ja, ja – du kannst gehen. Schau mich nicht so an! Ja, es steht dir frei, die Zitadelle zu verlassen.“

Um ihre Worte zu bestätigen, erschien ein kurzer Text vor meinen Augen:

- Möchtest du dich vom Test „Einheit mit dem Chaos“ zurückziehen?

- Ja/Nein?

Ich las die Systemmitteilung zweimal und warf der Magisterin einen skeptischen Blick zu. „Wo ist der Haken?“

„Es gibt keinen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir haben kein Interesse daran, Lehrlinge dazu zu zwingen, eins mit dem Chaos zu werden. Ich bin nicht meine Schwester. Gelegentlich haben unsere Methoden sich unterschieden. Ich glaube fest daran, dass es eine bewusste Entscheidung sein muss. Ein aufrichtiger Wunsch. Nicht eine zufällige Verkettung von Umständen.“

Hilfesuchend sah ich den Troll an, doch sein Gesicht war ausdruckslos.

„Es war übrigens keineswegs ein Versehen, als ich dich einen Lehrling genannt habe“, ergänzte sie. „Ich bin mir sicher, dass du den Test bestehen würdest.“

„Aber was habe ich davon?“, erkundigte ich mich. „Warum sollte ich mich von deinem Chaos abhängig machen?“

Die Magisterin lachte laut und begeistert. Selbst auf den Lippen des Trolls zeigte sich der Anschein eines Lächelns.

„So betrachtest du also die Einheit mit dem Chaos? Was meinst du mit ‚abhängig‘, du Narr? Das Chaos gewährt dir Freiheit. Du kannst deinen Körper verändern und an seiner Macht teilhaben. Deine Bannsprüche werden sich verbessern, und das Chaos wird dich auf dem Weg zur Vollkommenheit unterstützen. Du hast dir ein paar mächtige Feinde gemacht. Da brauchst du einen ebenfalls mächtigen Verbündeten wie das Chaos! Im Laufe der Zeit wird man dir die Mysterien des Chaos enthüllen, wenn du dich als würdig erweist. Man wird dir den Zugang zur Waffenkammer unserer Fraktion verschaffen. Unsere Alchemisten werden dich gern mit ihren Tränken versorgen, und du wirst neue Bannsprüche lernen und Fähigkeiten erwerben, von denen normale Sterbliche nur träumen können!“

Während ich dem Vortrag der Magisterin lauschte, wurde mir langsam klar, dass ich mich an einem Ort befand, der ähnlich strukturiert war wie der Orden der Mobjäger. Als der Fuchsmann seinen Orden in den höchsten Tönen gelobt hatte, waren ähnliche Worte gefallen. Aber die Chaos-Fraktion war eine lebendige Organisation, die noch immer bestand. Die Vorstellung, den Zugang zu funktionierenden Waffenkammern und Alchemie-Labors zu gewinnen, statt nur zu Bergen von Staub und Asche, begeisterte mich. Selbst wenn die Elixiere des Chaos nur halb so wirkungsvoll waren wie die Flecken oder die Sättigungstränke, war das alle Male wert, hierzubleiben.

Vor allem aber musste ich zugeben, dass ich gegen den Stahlkönig keine Chance hatte. Insbesondere, wenn ich das bedachte, was ich gerade erfahren hatte. Wenn das Chaos mir helfen konnte, ihn zu besiegen – nun, dann stand meine Entscheidung fest.

Ich warf einen weiteren Blick auf die Systemmeldung vor meinen Augen und wählte ohne die geringste Reue das Wort „Nein“.

„Du hast die richtige Wahl getroffen, mein zukünftiger Lehrling“, bemerkte die Magisterin ernst und verließ das Zimmer. Dabei befahl sie dem Troll: „Bring ihn zu den anderen und erkläre ihm alles.“

Als die Schritte der Magisterin im Labyrinth der Gänge nicht mehr zu hören waren, drehte der Troll sich zu mir um und fragte: „Hast du Hunger?“

Mein Magen antwortete ihm unerwartet mit einem lauten Knurren.

Der Troll lachte und nickte verständnisvoll. „Gehen wir in die Küche. Wir können uns dort weiter unterhalten.“

* * *

Das Essen in der Zitadelle des Chaos war einfach, aber lecker und nahrhaft. Um ehrlich zu sein, gefiel es mir allerdings überhaupt nicht, wieder zu dem genullten Zeug zurückzukehren, nachdem ich die Köstlichkeiten genossen hatte, die Nerz kochte. An dem Tag stand ein Gemüseeintopf auf dem Speiseplan.

„Die Magisterin hat gesagt, dass du mich zu den anderen bringen sollst“, bemerkte ich und leckte den Löffel sauber. „Gibt es noch andere wie mich?“

„Nicht wie du, nein“, antwortete der Troll, der gierig seinen Eintopf in sich hinein schaufelte. Er war bereits bei seinem fünften Nachschlag angekommen.

Außer uns war niemand in der Küche. Wir saßen an einem langen, breiten Tisch in der Nähe einer lodernden Feuerstelle. In der Mitte des Tischs stand ein riesiger Kessel voll frisch zubereitetem Eintopf. Als ich wissen wollte, wer den gekocht hatte, wischte der Troll meine Frage beiseite wie eine lästige Fliege, beantwortete sie aber dennoch. Wie sich herausstellte, hatten alle eine solche Angst vor ihm, dass er nahezu nie jemanden zu Gesicht bekam. Irgendjemand bereitete das Essen zu und machte sich anschließend aus dem Staub.

„Und wer sind diese ‚anderen‘?“, erkundigte ich mich.

„Diejenigen, die das Zeichen des Chaos empfangen haben“, erklärte der Troll knapp, was mir verriet, dass er mir nicht mehr erklären würde. Doch sein nächster Satz machte mir Hoffnung. „Morgen wirst du es selbst sehen.“

„Was genau ist dieser Test?“, kam ich zur Sache.

„Endlich stellst du die richtigen Fragen! Nun, du musst Chaosteilchen sammeln, und anschließend wirst du an einem Altar in die Fraktion aufgenommen.“

Hm … Ein altbekanntes Verfahren.

„Du wirkst nicht sehr überrascht.“ Die Augen des Trolls unter den buschigen Brauen musterten mich. „Wurdest du bereits in eine andere Fraktion aufgenommen?“

„Wäre das ein Problem?“

„Ja, wenn es die der Feuer- oder Wald-Magie wäre.“

Verneinend schüttelte ich den Kopf.

„Dann ist es in Ordnung“, versicherte der Troll mir und aß weiter.

„Wo finde ich denn diese Chaosteilchen?“

„Im Labyrinth des Schreckens. Du bekommst sie, wenn du die Kreaturen tötest, die dort leben.“

„Und was ist das für eine Art Ort?“

„Es ist ein uralter Ort mit seinen eigenen Regeln. Ich könnte dir stundenlang davon berichten, und du würdest dennoch nichts aus meinen Worten lernen. Es ist etwas, das du selbst erleben musst.“

„Aber …“

„Du musst immer auf einen Kampf vorbereitet sein – das ist alles, was du wissen musst“, fiel der Troll mir ins Wort. „Halte einfach die vorgeschriebene Zeit durch, und du hast es geschafft.“

Ähem … Was die Qualität betraf, waren diese Anweisungen höchstens mittelmäßig. Entweder wollte der Troll mir nicht mehr verraten, oder er durfte es nicht.

„Und wie lange ist das?“, wollte ich wissen.

„Das ist jedes Mal anders“, antwortete der Torwächter. „Es kann eine Stunde sein, ein Tag oder eine Woche. Der Rekord steht bei 28 Tagen. Was mich betrifft – ich habe 16 Tage durchgehalten.“

Beunruhigt kratzte ich mich am Hinterkopf.

„Mach dir keine Sorgen“, winkte der Troll ab, bevor ich meine Bedenken äußern konnte. „Im Labyrinth bemerkst du kaum, wie die Zeit vergeht. Sie läuft dort anders als in unserer Welt.“

„Werde ich das Labyrinth allein betreten?“

„Nein, ihr begebt euch alle gemeinsam hinein. Aber ob du deinen Test allein oder in einer Gruppe bestehst, das ist etwas, das du mit den anderen absprechen musst.“ Er legte den Löffel ab, hob den Finger und mahnte ernst: „Und lass mich dir einen letzten Rat geben – verlass dich dort auf niemanden, nur auf deine eigene Stärke. Aus deinem Gesichtsausdruck schließe ich, dass du meinen Rat wohl nicht beachten wirst, aber tut mir leid, mehr darf ich dir nicht sagen. Und jetzt wird es Zeit zu gehen. Morgen wird ein harter Tag – für mich, und für dich. Um genau zu sein, wird dies der wichtigste Tag in deinem ganzen Leben sein.“

Ich stand vom Tisch auf und ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich keine Angst hatte. Der Waldmann hatte recht – ich musste stärker werden.

Kapitel 2

ERNEUT FÜHRTE der Troll mich durch schwach erleuchtete Flure und steinerne Tunnel. Schweigend gingen wir nebeneinanderher. Weder er noch ich machten Anstalten, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. In Gedanken versunken, fiel mir etwas Merkwürdiges zunächst nicht auf – je länger wir unterwegs waren, desto mehr war ich überzeugt, dass der Troll uns schon längst ans Ziel hätte bringen können. Aus irgendeinem Grund, der ihm allein bekannt war, führte er mich jedoch in weiten Kreisen unnötig im Gebäude herum.

An manchen Stellen, an denen verschiedene Korridore aufeinandertrafen, hielt er an und betrachtete die Wand, als ob er Ausschau nach Markierungen halten würde. Für einen Außenstehenden wirkte es beinahe, als hätte er sich verirrt. Aber mir war klar: Irgendetwas ging hier vor sich.

Als der Torwächter erneut stoppte und einen völlig unauffälligen Abschnitt der Wand betrachtete, kam mir endlich die Erleuchtung, und ich aktivierte den sechsten Sinn des Skolopenders.

Kaum entfaltete der Bannspruch seine Wirkung, bot sich mir ein völlig anderes Bild. Wände, Boden und Decke waren bedeckt mit violetten, magischen Symbolen. Nachdem ich mich an das schwache Licht gewöhnt hatte, blendete mich die Helligkeit der unbekannten Magie zunächst, und ich bedeckte sogar die Augen mit der Hand. Diese Bewegung entging meinem Begleiter natürlich nicht. Der Troll deutete mit einer Kopfbewegung auf die Decke und legte den Zeigefinger gegen die Lippen, wie um mir Stillschweigen zu gebieten. Dann winkte er mich zu sich. Ich tat so, als ob ich verstehen würde, und trat näher.

„Schau!“, flüsterte er und zeigte auf eine nur schwach sichtbare Linie, die sich von seinem magischen Vorrat bis zu den Zeichen an der Wand erstreckte.

Ich nickte, um ihm deutlich zu machen, dass ich kapiert hatte. So etwas hatte ich bereits zu Gesicht bekommen. In Steinstadt und Fort Stark hatte ein ähnliches System magischer Kanäle existiert. Wie der Golem, der uns geholfen hatte, im Steinwald mit den Feinden aus anderen Welten fertig zu werden, mit der Festung verbunden gewesen war, so war der Troll mit der Zitadelle des Chaos verbunden. Daher stammte also seine Macht. Wie groß sein persönlicher Mana-Vorrat war, konnte ich allerdings nur schwer bestimmen.

Der Troll bedeutete mir, ihm zu folgen, und führte mich in einen weiteren, dunklen Gang. Nach ein paar Schritten blieb er erneut stehen und zeigte auf die Decke. Neugierig schaute ich nach oben. Danach hatte er also gesucht …

An der betreffenden Stelle befand sich eine Lücke in den magischen Ornamenten. Der Torwächter machte einen weiteren Schritt und stand nun direkt darunter. Die magische Linie von seinem Mana-Vorrat wurde dünner und verschwand am Ende vollständig.

„Wir haben nicht viel Zeit“, sagte er hastig. „Das Loch wird sich bald schließen. Stell deine Fragen. Aber verschwende deine Zeit nicht damit, dich zu erkundigen, warum ich dir vorher nichts gesagt habe.“

„Ist es wahr?“ Ich hatte mich rasch gefasst. „Werde ich alles bekommen, was die Magisterin mir versprochen hat?“

„Das, und mehr“, bestätigte der Troll mit einem Nicken. „Es liegt ganz bei dir.“

„Das Labyrinth …“

„Es ist der älteste Ort unserer Welt, und wie ich vermute, aller Welten“, fiel der Troll mir ins Wort. „Niemand weiß, wer es geschaffen hat und wann. Das Labyrinth des Schreckens hat seine eigenen Gesetze. Niemand besitzt Macht darüber.“

„Wie kommt man ins Labyrinth?“

„Jede Fraktion verfügt über ihr eigenes Portal hinein.“

„Brauchen die anderen auch Chaosteilchen?“, wollte ich wissen.

„Nein“, antwortete der Troll und beobachtete ängstlich die sich langsam schließende Lücke in der magischen Beschriftung. „Das Labyrinth hat bestimmte Ressourcen für jede Fraktion.“

„Du sprichst darüber, als sei es lebendig“, schnaubte ich.

Der Troll sah mich an, und in seinen schwarzen Augen stand nicht ein Fünkchen Humor.

„Ja, lach nur“, knurrte er. „Aber ich glaube tatsächlich, dass das Labyrinth über eine Art Seele verfügt. Und alles, was darin passiert, sind Träume. Manchmal sind es kurze Träume, manchmal lange.“

„Was meinst du damit?“

„Im Labyrinth des Schreckens wirst du viele Anomalien finden“, erklärte der Troll geduldig. „Sie bestehen aus Abschnitten von Zeit. Es sind Ereignisse aus der fernen Vergangenheit. Sie können Stunden oder Monate dauern. Während du durch die Tunnel des Labyrinths wanderst, kannst du dich in einer uralten Schlacht zwischen zwei feindlichen Armeen wiederfinden. Oder entdecken, dass du in einer längst verschwundenen Stadt stehst. Die Anomalien sind groß oder klein, und alle, die an der Anomalie teilnehmen, verschwinden zusammen mit der Anomalie selbst, wie Geister, sobald ihre Zeit abgelaufen ist. Davon abgesehen kann es auch vorkommen, dass die Akteure im Labyrinth selbst zu Anomalien werden, ohne jede Veränderung in der Umgebung. Manche nennen sie Geister, aber das ist eine fundamentale Fehlinterpretation. Schließlich bestehen sie aus Fleisch und Blut. Andere kommen, wie ich, zu ihrer eigenen Auslegung dessen, was im Labyrinth geschieht.“

Verwirrt rieb ich mir den Nacken.

„Ich weiß, dass das schwer zu begreifen ist“, bemerkte der Troll verständnisvoll. „Aber wenn du ein paar Male dort gewesen bist, wirst du es schon verstehen.“

„Ein paar Male? Was meinst du damit?“, fragte ich erstaunt.

„Nun, warum denn nicht?“, schnaubte der Troll. „Hier in der Zitadelle sind Chaosteilchen die wertvollste Ressource. So werden zum Beispiel morgen viele das Labyrinth zusammen mit dir betreten, aber nur zwei davon müssen erst noch in die Fraktion eingeführt werden. Alle anderen wagen diese Unternehmung keineswegs zum ersten Mal.“

„Sollte ich mich vor ihnen fürchten?“

„Natürlich!“ Der Troll nickte eifrig. „Sobald du das Labyrinth betrittst, wirst du zu einem Teil davon. Also bekommen sie auch dann Chaosteilchen, wenn sie dich umbringen.“

„Sind es viele andere, die durch das Portal treten werden?“

„Zwei Gruppen und ein paar einzelne.“

Ich nickte, um ihn wissen zu lassen, dass ich aufmerksam zuhörte.

„Die erste Gruppe ist eine Meute von Gestaltwandlern“, erklärte der Torwächter. „Du nennst sie vielleicht Werwölfe. Das Chaos liebt ihre Art. Sie werden alle mit dem Zeichen des Chaos geboren. Die zweite Gruppe setzt sich aus Leuten des Schlangenvolks zusammen, Mitgliedern von Nure-onnas Leibwache.“

„Wessen Leibwache?“, fragte ich verwirrt.

„Nure-onna“, wiederholte der Troll ruhig. „Das ist der Name unserer Magisterin.“

Aha – das war also der Name der Schwester der Schwarzen Witwe! Auch sie war Gegenstand vieler Geschichten, mit denen man Kindern Angst machte. Sie war eine Schlangenfrau, die das Blut aus ihren Opfern heraussaugte, ein uraltes Monster, das sich in eine schöne Frau verwandeln und gewöhnliche Sterbliche mit ihren klagenden Gesängen betören konnte.

„Ich sehe, dass du diesen Namen kennst.“ Der Troll lachte.

„Das kann man wohl sagen“, erwiderte ich leise.

„Du hast bestimmt jede Menge Altweibergeschichten über sie gehört“, kommentierte der Troll skeptisch, und fügte nachdenklich hinzu: „Viele von denen entsprechen allerdings der Wahrheit.“

Er erschauerte und blickte zur Decke.

„Beeil dich – die Lücke schließt sich immer schneller.“

„Warum hilfst du mir?“

Meine Frage überraschte den Torwächter.

„Ist das alles, was du wissen willst?“, erwiderte er mit gerunzelter Stirn. „Ist das momentan wichtig?“

„Oh ja“, antwortete ich zuversichtlich. „Ich muss sicher sein können, dass ich hier tatsächlich einen Verbündeten habe. Oder zumindest jemanden, der mir nichts tun wird. Also – warum gehst du das Risiko ein, mir zu helfen?“

„Die Gesetze meines Volkes sind alles, was ich noch habe“, erklärte der Troll und hob stolz das mächtige Kinn. „Und das Amulett, das du mir gezeigt hast, wird keineswegs jedem x-Beliebigen geschenkt. Du musst dir das Recht verdient haben, es zu tragen, richtig?“

Ich verstand, worauf der Troll hinauswollte. Er wollte wissen, wie ich mir das Amulett verdient hatte.

„Es war im Steinwald“, begann ich.

Die Augen des Torwächters leuchteten auf.

„Wir haben Seite an Seite mit einem Stamm von Trollen gegen Unmengen dunkler Kreaturen gekämpft, die durch ein Portal strömten, das in andere Welten führte“, fuhr ich fort. „Wir konnten sie zurückschlagen und das Portal schließen. Nicht für immer, aber lange genug, damit der Schamane die Frauen und Kinder tiefer in den Wald hineinführen konnte. Ich hoffe aufrichtig, dass es ihnen gelungen ist, sich in Sicherheit zu bringen.“

„Du hast gesagt, ‚wir‘ …“

„Ja, ich hatte Freunde an meiner Seite“, bestätigte ich. „Einer von ihnen ist ein Heiler. Er hat an diesem Tag viele gerettet.“ Deutlich stand mir Mees Gestalt vor Augen. Lächelnd fügte ich hinzu: „Glaub mir, er hat von den Trollen weit mehr Amulette bekommen als ich.“

„Ich vermute, dass er derjenige ist, den der Stahlkönig gefangen hält?“, riet der Troll.

Ich nickte. „In der Tat.“

„Dann hast du recht daran getan, hierzubleiben“, bemerkte der Troll. Nach einem Blick auf die Lücke, die sich nun geschlossen hatte, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. „Gehen wir. Ich werde dich jetzt zu den anderen bringen.“

Ein breiter, runder Raum, gesäumt mit hohen, steinernen Säulen, begrüßte uns mit Schweigen. Doch es dauerte nicht lange, bis ich es in den Schatten rascheln hörte, und dann vernahm ich gedämpfte Unterhaltungen.

Dank meines sechsten Sinns konnte ich sehr gut sehen, mit wem ich es zu tun hatte. Rechts pulsierte ein magischer Schild mit 1.000 Verteidigungs-Punkten. In seiner Nähe bewegten sich mehrere Kreaturen. Das musste die erste Gruppe sein, die der Troll erwähnt hatte, die Werwölfe. Ich zählte sechs dieser Raufbolde. Der mit dem magischen Vorrat war wohl das Alphatier des Rudels.

Ihnen gegenüber entdeckte ich drei kleinere magische Vorräte. Diese Kreaturen hielten sich von den anderen fern und begrüßten das Eintreten des Torwächters mit einem lang gezogenen Flüstern, das eher wie Zischen klang. Auch hier war keine Frage, wen ich vor mir hatte – Wesen vom Schlangenvolk, von der persönlichen Leibwache der Magisterin.

Davon abgesehen sah ich jedoch eine weitere, kleine Gruppierung magischer Vorräte. Die Situation musste sich also vor Kurzem weiterentwickelt haben, und es gab eine neue Gruppe, von der der Troll nichts gewusst hatte. Mit sieben Mitgliedern, zwei davon Magier, schien es sogar die zahlreichste und stärkste zu sein.

Es gab allerdings auch Außenseiter. Ich zählte drei davon. Einer war ein Magier mit einem Mana-Vorrat von 2.000 Punkten. Er war der Einzige, der auf unser Eintreffen nicht reagierte, sondern weiter friedlich vor sich hin schnarchte.

Wo ich schon die Reaktionen der anderen erwähnt habe – vor dem Torwächter fürchteten sich eindeutig alle. Manche mehr und manche weniger, aber ich konnte Furcht inzwischen riechen. Um genau zu sein, hatte Schlinger mir beigebracht, meine neuen Fähigkeiten auch auf diese Weise zu nutzen. Daher wusste ich nun, dass Angst ihren eigenen Geruch besaß.

Ansonsten erlebte ich das, was ich erwartet hatte – eine Mischung aus Verachtung und Spott. Mich hielt man offensichtlich für eine Art Diener, bis der Troll wieder verschwand und ich im Raum zurückblieb. Erst als seine schweren Schritte in der Ferne verhallt waren, wurde den anderen klar, dass ich das Labyrinth mit ihnen gemeinsam betreten würde.

Von den Werwölfen hörte ich herablassendes Kichern. Das Schlangenvolk ignorierte mich betont. Auch die dritte Gruppe ignorierte mich nach einer Weile. Wahrscheinlich hatte man sich überlegt, dass ein genullter Junge wie ich ihnen nicht viel nutzen konnte. Mein scharfes Gehör sorgte jedoch dafür, dass ich hören konnte, was man über mich sagte.

„Es ist falsch von ihnen, dich zu unterschätzen, nicht wahr?“, sprach mich eine spöttische, raue Stimme aus der Dunkelheit an.

Er hatte sich nicht an mich heranschleichen können. Das war schon lange niemandem mehr gelungen. Ich hatte ihn herankommen sehen, nachdem ich mich hingesetzt hatte. Dennoch tat ich so, als hätte ich nichts bemerkt. Der Troll hatte mich gewarnt, dass Kämpfe in der Zitadelle verboten waren.

„Ich hoffe, dass du nicht vorhast, den gleichen Fehler zu begehen“, erwiderte ich ruhig, ohne mich umzudrehen.

Die Stimme verwendete die geläufige imperiale Sprache, aber ein paar ungewöhnliche Betonungen verrieten mir in etwa, mit wem ich es zu tun hatte. Juvess, ein Kobold im Haushalt von Papa Gino, hatte mit einem ähnlichen Akzent gesprochen.

Um ehrlich zu sein, fiel es mir schwer, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Schließlich lag das geringste Level in diesem Raum bei 22 – von mir einmal abgesehen. Der Kobold hinter mir zum Beispiel hatte Level 29. Außerdem verfügte er über einen magischen Vorrat von 9.000 Punkten. Und nur der böse Bug allein wusste, was er sonst noch an Überraschungen auf Lager hatte.

„Du bist eine Null, aber der Torwächter selbst hat dich hierhergebracht“, brummte die Stimme hinter mir amüsiert. „Nein, ich habe nicht vor, jemanden anzugreifen, der einen Vertreter des Chaos getötet hat. Ich langweile mich nur. Wir sind schon ein paar Tage hier unten und warten darauf, dass die Magisterin das Portal öffnet. Hast du eine Ahnung, wann es so weit ist?“

„Ich vermute, dass der große schwarze Felsen mitten in diesem Raum das Portal ist?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage.

„Ja“, bestätigte der Kobold und zeigte endlich sein Gesicht. Er setzte sich einen Schritt von mir entfernt auf einen steinernen Vorsprung und sagte mit einem merkwürdigen Tonfall: „Mein Name ist Dobbess.“

„Bergbewohner“, stellte ich mich knapp ebenfalls vor.

Ich hatte beschlossen, meinen wahren Namen nicht zu verwenden.

„Also gut, Bergbewohner. Weißt du, wann sie das Portal öffnen werden?“

„Soweit ich gehört habe, morgen.“

Unerwartet laut brüllte der Kobold allen anderen zu: „Morgen!“

Sein Ausruf wurde aus allen Ecken des Raums mit Jubel begrüßt.

„Du bist ein Neuling, nicht wahr?“, erkundigte der Kobold sich.

Ich bejahte.

„Dann schaust du dich besser nach Verbündeten um.“

„Ist das ein Angebot?“, fragte ich.

„N-e-e-e-in.“ Der grüne Winzling kicherte. „Ich gehe nur hinein, um diesen Mistkerl zu töten.“

Mit einer Kopfbewegung deutete Dobbess auf den schlafenden Magier. Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, beeilte er sich, mir die Sache zu erklären.

„Du musst wissen, Bergbewohner, dass die Mächte des Chaos sich nicht gegenseitig umbringen dürfen. Das ist gegen das Gesetz. Aber es gibt eine Möglichkeit, dieses Verbot zu umgehen.“

„Im Labyrinth gelten andere Gesetze“, vermutete ich.

„Richtig.“ Wieder kicherte der Kobold. „Gred hat mich beleidigt, und morgen wird er für das bezahlen, was er gesagt hat.“

Dieser Kerl stellte sich als ausgesprochen redselig heraus. Und als neugierig.

„Und wen von uns hast du umgebracht, um hier zu landen?“, erkundigte Dobbess sich mit einem anzüglichen Grinsen.

Zuerst wollte ich nicht antworten, doch dann änderte ich meine Meinung. Ich wollte sehen, was passierte, wenn ich es ihm sagte.

„Die Schwester eurer Magisterin“, erwiderte ich ruhig und sah dem Kobold in die Augen.

Es dauerte einen Augenblick, bis er kapiert hatte, doch als es ihm klar wurde, erstarb das Grinsen auf seinen Lippen.

„Habe ich das richtig gehört?“, keuchte er mit trockener Kehle, stand auf und wich Schritt für Schritt zurück. „Die Schwarze Witwe ist tot?“

„Du hast mich schon verstanden“, antwortete ich.

Inzwischen hatte ich den Blick von ihm abgewandt.

Ich glaubte bereits, mein neuer Bekannter würde mich nun in Ruhe lassen, aber er blieb, wo er war. Sein Blick war so durchdringend, dass ich ihn beinahe bis in die Knochen hinein spürte.

„Und die Magisterin hat dich nicht bestraft?“, stieß der Kobold endlich hervor.

„Sieht es etwa danach aus?“ Ich zuckte mit den Schultern.

Ein paar Minuten lang herrschte Schweigen. Er versuchte offensichtlich, die neue Information zu verarbeiten, während ich ihn misstrauisch beobachtete. Ich hatte wenig Hoffnung, im Labyrinth allein gelassen zu werden. Bestimmt kam jemand auf die schlaue Idee, den Neuling umzubringen und auszurauben.

Nun, sollte Bug ihm beistehen …

Endlich brach ich das ausgedehnte Schweigen. „Nun habe ich eine Frage an dich, Dobbess. Könntest du mir vielleicht sagen, wo wir sind? Ich weiß, dass das hier die Zitadelle des Chaos ist. Aber ich will wissen, in welchem Teil der Welt sie sich befindet.“

„Meinst du das ernst?“ Erneut zeigte das Gesicht des Kobolds Überraschung.

„Oh ja.“

„Wir befinden uns auf einer Insel“, erklärte Dobbess. „Wir Kobolde kennen sie als die Schlangeninsel. Deine Art nennt sie Schlangenzahn.“

Ich versuchte, mich an das wenige geografische Wissen zu erinnern, das ich in der Schule gelernt hatte, aber leider fiel mir zu einer solchen Insel nichts ein. Ich hatte vorher noch nie davon gehört. Ich wusste nur eines – es war eine große Insel. Die Berge, die ich auf der Beobachtungsplattform gesehen hatte, erstreckten sich weit über den Horizont hinaus, und sie umgaben die Zitadelle auf allen Seiten.

„Und in welchem Teil der Welt liegt diese Insel?“, verfeinerte ich meine Frage.

Verständnis trat in die Augen des Kobolds.

„Die Schlangeninsel ist die größte einer Gruppe von Inseln im Norden des Dunklen Kontinents“, erwiderte er geduldig.

„Ich bin also noch immer auf dem Dunklen Kontinent“, flüsterte ich gedankenvoll.

„Das könnte man sagen, ja“, bestätigte Dobbess.

Er wollte noch etwas anderes fragen oder sagen, aber ein Geräusch am Eingang unterbrach ihn. Fünf weitere Wesen vom Schlangenvolk glitten in den Raum, musterten mich verächtlich und schlossen sich ihren Landsleuten an.

„Langsam wird es interessiert“, bemerkte der Kobold versonnen und stand auf.

Das Gleiche hatte ich ebenfalls gedacht. Die Magisterin hatte es mir offensichtlich doch nicht verziehen, dass ich geholfen hatte, ihre Schwester umzubringen, und jetzt schickte sie mir Meuchelmörder auf den Hals, die mich umbringen sollten. Oder war das lediglich eine überkomplizierte Methode, sich an mir zu rächen?

„Möge die Göttin Fortuna dich mit ihrem Lächeln segnen, Bergbewohner“, verabschiedete der Kobold sich von mir und verschwand in der Dunkelheit.

Aus seinem Tonfall schloss ich, dass er fest davon überzeugt war, dass ich den nächsten Tag nicht überleben würde.

Das Eintreffen der fünf weiteren Schlangen löste Unruhe unter den anderen aus. Ich wurde zum Ziel vieler neugieriger Blicke. Am Ende hatte ich die Nase voll von all der unerwünschten Aufmerksamkeit, folgte dem Beispiel des Kobolds und verzog mich an eine Wand, fern der Mitte des Raums.

Ich lehnte den Rücken dagegen und stellte fest, dass die Wand unerwartet warm war. Dann legte ich die Hände auf den Knien ab und dachte nach. Erst jetzt, nachdem die Spannung vorübergehend ein wenig nachgelassen hatte, wurde mir vollends klar, was in den letzten paar Stunden geschehen war. Ich hatte die Königin der Draks besiegt, war durch das Portal in die Zitadelle des Chaos gelangt und hatte mich bereiterklärt, mich einem Test zu unterziehen. Wie ein Blatt, das ein starker Windstoß vom Zweig gerissen hatte, flog ich hinein ins Unbekannte.

Wieder und wieder dachte ich zurück an meine Unterhaltung mit dem Troll, und an die mit der Magisterin. Und jedes Mal kam ich zum gleichen Ergebnis – ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Es wurde Zeit, nicht länger ständig davonzulaufen, sondern stehen zu bleiben. Nun ja, und die Tatsache, dass man morgen versuchen würde, mich umzubringen, lag nicht vollständig jenseits meines Erfahrungshorizonts. Davon abgesehen verfügte ich über jede Menge kleiner Geschenke, die ich potenziellen Gegnern überreichen konnte.

Allmählich drifteten meine Gedanken wie von selbst zurück zu Nerz. Es war, als würde mein Herz von einem Schraubstock zusammengepresst. In meiner Hand lag ihr kleines Figürchen. Das war alles, das mir von meiner Geliebten geblieben war.

Rasch wischte ich mir die heißen Tränen mit dem Ärmel ab und bemühte mich, die Fassung wiederzugewinnen. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, Trübsal zu blasen. Mir stand ein harter Tag bevor. Ich musste mich bereitmachen.

Kapitel 3

MEINE VERMUTUNG über die schimmernde Tafel erwies sich als korrekt.

Achtung! Die Höheren Mächte sind dir hold! Du hast die legendäre Heldentat von Ramilia der Erlauchten wiederholt und ein magisches Wesen auf einem Level besiegt, das mehr als 80 über deinem eigenen liegt!

Gratuliere! Du erhältst:

Erfahrungsessenz (16.000)

Silbertafel (50)

Diamanttafel (3)

Schimmernde Tafel „Königin der Draks“ (1)

Vorsichtig sah ich mich um, um sicherzustellen, dass mich niemand beobachtete. Es war alles in Ordnung. Die anderen kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten, die anfängliche Neugier war rasch wieder versiegt. Der Einzige, der mich noch immer anstarrte, war der Kobold. Er konnte sich offensichtlich nicht vorstellen, welche magischen Tricks ich eingesetzt haben könnte, um die Schwarze Witwe zu besiegen. Allerdings zog er nicht etwa los, um seinen Ordensbrüdern und -schwestern davon zu berichten. Ich konnte nur vermuten, weshalb er eine solche Zurückhaltung übte. Schließlich hatte Dobbess sich erst vor wenigen Minuten als ausgesprochen redselig herausgestellt. Wahrscheinlich hatte er Angst, die anderen könnten ihn ein Klatschmaul schimpfen, und wollte erst überprüfen, dass ich ihn nicht belogen hatte.

Nur für alle Fälle tauchte ich tiefer in meine Systemmeldungen ein, nachdem ich den sechsten Sinn erneut aktiviert hatte. Je mehr ich über die letzte Schlacht las, desto runder wurden meine Augen vor Erstaunen. Die vernichtenden Fähigkeiten der „Bebenden Erde“ übertrafen alle Bannsprüche, die ich vorher aktiviert hatte. Das konnte es einem also einbringen, wenn man am richtigen Ort Angriffsmagie einsetzte!

Ich hatte keine Ahnung, wie es dem Berg ergangen war, in dem das Lager der Königin der Draks gelegen hatte. Auf die eine oder andere Weise war dies einmal eine Stadt der Mobjäger gewesen, bevor diese unzivilisierten Widerlinge sich dort niedergelassen hatten. Und meine altehrwürdigen Vorgänger hatten viel von sicherer Konstruktion verstanden. Das vollständige Ausmaß der Zerstörung konnte ich höchstens erahnen, aber die Anzahl der Benachrichtigungen über tote Feinde bewies mir, welches Unglück mein Besuch für die Kreaturen mit sich gebracht hatte, die diese Höhlen ihr Zuhause nannten.

Insgesamt zählte ich um die 300 Siegmeldungen. Etwas über 200 davon waren Kreaturen von geringem Level gewesen, verschiedene Arten von Insekten und Echsen und sogar ein paar Fische. Anscheinend hatte das Erdbeben auch einige unterirdische Wasserreservoirs erreicht. Die „Wachen“ der Schlangenherrscherin waren ebenfalls gewaltig dezimiert worden. Die Zahl der toten Draks, Anführer und Giftzähne beliefen sich auf knapp 150. Es gab allerdings auch bemerkenswertere Mobs, deren Tod mir gutgeschrieben worden war. 28 schwarze Vipern mit Leveln zwischen 40 und 45, ebenso wie 16 Höhlenüberwacher mit Leveln von über 50.

Als ich endlich die gesamte Beute betrachtete, dir mir das eingetragen hatte, musste ich mir die Augen reiben. In Esses allein hatte mir das etwa anderthalb Millionen verschafft. Ähem … Die nächsten Jahre musste ich mir über Nachschub keine Sorgen machen. Insgesamt lagen in meinem Rucksack nun etwas mehr als fünfeinhalb Millionen Erfahrungsessenzen. Die Belohnungen für das Einsammeln der legendären Ressourcen in der Anomalie waren geradezu schmerzhaft großzügig gewesen.

Als ich mir die Tafeln betrachtete, vor allem ihre Anzahl, stockte mir der Atem. Knapp 2.400 Silbertafeln, 408 Steintafeln, je 120 Eisen- und Bronzetafeln, fast 50 Diamanttafeln, und die Krönung war eine weitere schimmernde Tafel.

Als ich mir das zweite perlmuttfarbene Blatt betrachtete, lachte ich glücklich. Ich konnte mich nicht zurückhalten. Wie hatte ich das bloß übersehen können?

Sofort trafen mich etliche interessierte Blicke. Man hielt mich offensichtlich für einen Narren. Die Werwölfe kicherten hämisch, machten Witze und behaupteten, ich hätte den Verstand verloren. Der kleinste von ihnen mutmaßte, ich hätte die Spannung nicht verkraftet und wäre vor Angst durchgedreht. Kurz darauf verteilten sie, völlig schamlos, bereits meine Besitztümer. Diese Kerle verloren keine Zeit. Nun, ich hatte noch viele Überraschungen für sie auf Lager …

Das Schlangenvolk dagegen reagierte auf meine „Hysterie“ mit verächtlichen Blicken und Zischen. Ich fragte mich, worüber sie wohl flüsterten. Aber leider teilte das System mir mit, dass ihre Sprache mir infolge anatomischer Unvereinbarkeit verschlossen blieb. Was natürlich höchst bedauerlich war, aber was sollte ich machen? Um ehrlich zu sein, hätte es mir schon gereicht, sie zu verstehen, ohne ihre Sprache selbst sprechen zu können. Allerdings war es nun einmal nicht möglich, ein Sprachpaket lediglich teilweise zu aktivieren. Für das Große System gab es nur alles oder nichts.

Endlich ignorierte ich die kichernden Werwölfe und das zischende Schlangenvolk und kehrte zur Betrachtung meiner Beute zurück. Der Zeitstempel verriet mir, dass die Benachrichtigung über die zweite schimmernde Tafel mit einer gewissen Verzögerung und erst nach meinem Wechsel zur Zitadelle des Chaos erfolgt war. Wahrscheinlich hatte ich sie automatisch beiseite gewischt, während ich mich mit dem Torwächter unterhalten hatte.

Die Tafel war mir von diesen mysteriösen Höheren Mächten zugeteilt worden, die, wie schon so oft, beeindruckt von meinen Taten waren. Der Grund war der meisterhafte Einsatz eines mächtigen Bannspruchs, der das Massensterben von 300 blutrünstigen Kreaturen herbeigeführt hatte. Was die Draks und ihre Königin betraf, so hatten sie den Tod eindeutig verdient. Aber das Ableben der unschuldigen kleinen Fische und Echsen löste Schuldgefühle in mir aus. Es war eine Sache zu jagen, um sich Nahrung zu beschaffen, also um zu überleben. Zufällig ins Kreuzfeuer eines unausgebildeten jugendlichen Magiers zu geraten, war eine völlig andere. Obwohl, wer konnte denn sagen, was für eine Art von Fischen das gewesen war? Womöglich waren sie ebenfalls böse gewesen.

Um mich von den unwillkommenen Gedanken abzulenken, öffnete ich nacheinander die Beschreibung beider Tafeln. Die erste, die ich für das Töten der Königin der Draks bekommen hatte, war eine standardmäßige schimmernde Tafel, wie ich sie auch für den Aal oder das Gierschlund-Weibchen erhalten hatte. Aus der langen Liste der verfügbaren Bannsprüche wählte ich den aus, der mir am besten gefiel.

Schadensverteilung

- Level: 0 + 5 (0/20)

- Art: Bannspruch

- Seltenheit: episch

- Beschreibung:

- Mithilfe von Magie kann die Königin der Draks 70 % des erhaltenen Schadens auf alle zu dem Zeitpunkt von ihr kontrollierten Wesen verteilen.

- Anforderungen:

- Verstand: 95

- Kosten: 4.000 Mana-Punkte

- Hinweis:

- Der Bannspruch bleibt aktiv, bis alle kontrollierten Wesen tot sind.

Als ich die Beschreibung gelesen hatte, strich ich mir nachdenklich das Kinn. Jetzt verstand ich, warum das Biest so lange hatte durchhalten können. Sie hatte den Schaden, der für sie bestimmt war, mit all ihren Untergebenen „geteilt“ und ihnen dadurch Stück für Stück das Leben genommen.

Während ich das Lesezeichen für diesen Bannspruch erstellte, dachte ich nicht etwa an Schlinger oder Mee. Selbst jemand, der nur über ein halbes Hirn verfügte, hätte sofort gewusst, dass ich nicht plante, den neuen Bannspruch bei meinen Freunden einzusetzen. Vielmehr dachte ich an Jorogumos Maske. Sie ermöglichte mir, die Macht über fünf nicht intelligente Wesen gleichzeitig zu ergreifen, und bei denen konnte ich die Schadensverteilung einsetzen. Jetzt musste ich nur noch eine Sache erledigen – mein Geist war noch immer ein wenig zu gering, um die Maske verwenden zu können.

- Gratuliere! Du hast deinen Geist um 10 Punkte gesteigert.

- Derzeitiger Wert: 26

Ich führte mein Experiment fort und setzte die Maske der Schwarzen Witwe auf. Sie fühlte sich warm an. Es gab keine Bänder oder anderen Möglichkeiten, sie zu befestigen. Stattdessen war es, als würde sie mit meinem Gesicht verschmelzen und zu einem Teil von mir werden. Ich spürte keine negativen Empfindungen oder Unbehagen, und das Ding war sehr leicht wieder abzunehmen. Ich musste es dem System nur sagen, und schon lag sie wieder in meinem Inventar. Ich überprüfte das mehrere Male.

Nachdem ich meinen Spaß gehabt hatte, beschloss ich, die Experimente ein Stück weiter voranzutreiben. Ich legte die Maske wieder an und sah mich langsam im Raum um. Zu meinem großen Erstaunen teilte das System mir mit, dass mein Wille hoch genug war, um die Kontrolle über alle Kreaturen zu ergreifen, die sich an diesem Ort befanden! Das einzige Hindernis entstand, wenn eines meiner Zielobjekte über Geist verfügte. In diesem Augenblick wurde mir klar, wie mächtig Meister Chi gewesen sein musste. Einerseits machte mir das Angst, doch andererseits weckte es Selbstvertrauen. Kaum vorzustellen, was dieses Artefakt in seinem ursprünglichen, unbeschädigten Zustand zustande gebracht hatte. Welche enormen Möglichkeiten es dem Träger wohl eröffnen konnte?

Ich tagträumte noch eine Weile und legte die Maske anschließend in den Rucksack zurück. Das war wieder etwas, wovon die anderen nichts erfahren durften. Hoffentlich liebten meine Feinde Überraschungen …

Mit einem boshaften Grinsen las ich die Beschreibung der zweiten schimmernden Tafel. Anders als die erste, wirkte diese eher so wie eine Tafel, die man für das Sammeln von Ressourcen bekam, und sie enthielt einen legendären Angriffs-Bannspruch der Erdmagie.

Steinzacken

- Level: 0 + 5 (0/30)

- Art: Bannspruch

- Seltenheit: legendär

- Beschreibung:

- Mithilfe von Erdmagie kann ein Magier dafür sorgen, dass im Nu scharfe Steinzacken unter den Füßen seines Gegners wachsen.

- Wirkung:

- Fügt 15.000 Punkte Schaden zu

- Anforderungen:

- Verstand: 60

- Kosten: 1.000 Mana-Punkte

- Hinweis:

- Abklingzeit: 9 Stunden

- Reichweite: 40 Meter

Anscheinend wussten es die Höheren Mächte enorm zu schätzen, was ich in der Schlangenhöhle veranstaltet hatte. Sie beschafften mir sogar einen Bannspruch des entsprechenden Elements.

- Gratuliere! Du hast deinen Willen um 10 Punkte gesteigert.

- Derzeitiger Wert: 134

Angesichts der jüngsten Nachrichten und speziell der Tatsache, dass der Stahlkönig mehrere Urwesen befehligte, hatte es für mich oberste Priorität, meinen Willen weiter zu steigern. Ich musste an den alten Magier denken, der bei all meinen Unterhaltungen mit dem König anwesend gewesen war. Er hatte voller Zuversicht erklärt, er könnte meinen Willen ohne Probleme „knacken“. Damals hatte ich über weniger als die Hälfte dessen verfügt, was mir jetzt zu Gebote stand. Aber wer wusste denn schon, wessen der alte Mann wahrhaft fähig war?

Nachdem ich mich ausreichend mit den neuen Bannsprüchen befasst hatte, beschloss ich, mir erneut die Bonus-Kristalle und die Kugel zu betrachten, die ich für das Sammeln der Steine des Vergessens und der Herzen der Wächter erhalten hatte. Wenn meine Erinnerung mich nicht täuschte, hatte der Waldmann behauptet, ich würde nicht über ausreichend Geist verfügen, um ihre Beschreibungen zu lesen. Wenige Sekunden später musste ich feststellen, dass 26 Punkte leider noch immer nicht ausreichten. Die Eigenschaften dieser rätselhaften Objekte blieben mir weiter verborgen.

Aber die Steigerung meines Geistes war dennoch nicht vergebens gewesen. Nun konnte ich nicht nur die Maske benutzen, sondern ich hatte auch eine weitere nützliche Fähigkeit erworben: Ich war jetzt in der Lage, Schlingers Eigenschaften zu verbessern, ohne ihn zu diesem Zweck herbeirufen zu müssen. Wahrscheinlich hatte der höhere Geisteswert noch andere Vorteile, aber bisher hatte ich sie nicht bemerkt. Nun, ich würde es schon noch herausfinden.

Als ich die Verteilung der Tafeln plante, wurde mir klar, dass Schlinger trotz seiner hohen Regenerierungsfähigkeit so viele, wie ich ihm geben wollte, unmöglich „verdauen“ konnte. Natürlich hätte ich versuchen können, ihm dennoch alle Tafeln auf einmal zu geben und ihn durch Sättigungstränke und Regenerierungs-Bannsprüche zu unterstützen, aber ich fürchtete, ihm dadurch möglicherweise zu schaden. Besser, ich ließ es langsam angehen.

Ich beschloss, mit den Steintafeln zu beginnen – und las schockiert die Systemmeldung, die mir mitteilte, dass ich sie nicht verwenden konnte.

Kurz darauf ging es mir auf – Schlingers Weiterentwicklung hatte dazu geführt, dass Tafeln aus Ton und Stein nun keine Wirkung mehr entfalten konnten. Jetzt konnten lediglich Tafeln aus Eisen und höherwertigere Tafeln seine Werte steigern.

Ich setzte die Bronze- und Eisentafeln ein und brachte Schlingers Level auf 20. Es gab keinen Grund, diese Tafeln aufzusparen. Außerdem hatte ich mit zwei wiederkehrenden Problemen zu kämpfen, die ich angehen wollte. Zum einen hoffte ich, den Höchstwert für den Geist meines Harn anheben zu können, und zum anderen wollte ich das Level seines Bannspruchs auf 4 bringen. Zum Glück verfügten wir nun über eine wahre Fülle an Tafeln.

- Achtung! Dein Haustier hat Level 19 erreicht!

- Freie Eigenschaftspunkte: 3

Zu meinem großen Bedauern änderte sich der Höchstwert für Schlingers Geist nicht, sondern lag weiter bei 1. Langsam kamen mir Zweifel, ob ich in der Lage war, das zu ändern. Was, wenn das Große System den Harn nun einmal auf diese Weise erschaffen hatte und ich nichts dagegen machen konnte? Außerdem sollte ich mich nicht beschweren. Mein Schlinger war bereits klüger als etliche meiner alten Nachbarn und Mitschüler.

Anschließend brachte ich wie geplant den Sprung des Dornschwanzes auf Level 4. Die Steigerung kostete mich 80 Silbertafeln, aber das war es wert. Sobald er den Bannspruch aktivierte, war Schlinger nun 40 Sekunden lang unsichtbar. Und seine neue Sprungweite lag bei 25 Metern. Natürlich verbrauchte der verbesserte Sprung auch mehr Mana. Die Kosten waren um 100 Punkte gestiegen, doch das ließ sich verkraften. Dieser Bannspruch hatte uns schon mehr als einmal das Leben gerettet.

Als ich mir Schlingers Fähigkeiten betrachtete, erwartete mich eine angenehme Überraschung.

- Achtung! Dein Haustier hat eine neue Kampffähigkeit erworben: Schwanzschlag!

Die Beschreibung verriet mir, dass der Stachel, der nach und nach an der Schwanzspitze des Harns entstanden war, nun endlich zu einer beachtlichen Waffe geworden war. Sofort investierte ich 100 Silbertafeln in die neue Fähigkeit und baute sie bis zur Höchstgrenze aus. Im Kopf überschlug ich den ungefähren Schaden, den der Harn mit seiner neuen Waffe zufügen konnte, und lächelte befriedigt. Ich freute mich bereits auf Schlingers Reaktion.

Was mich störte war lediglich, dass jeder einzelne Schlag so viel Energie verbrauchte – 250 Punkte. Und sein Vorrat lag bei lediglich 2.000. Wenn Schlinger die neue Fähigkeit zu sehr ausnutzte – und das würde er, dazu kannte ich ihn zu gut –, würde er rasch ermüden. Verdammt! Ich wünschte, ich hätte auch Beute erhalten, um das zu verbessern. Es wäre fantastisch, wenn ich den Umfang seiner Vorräte zumindest verdoppeln könnte.

Während ich über die Launen des Schicksals nachdachte, setzte ich Stück für Stück 450 Silbertafeln für die Steigerung von Schlingers Eigenschaften ein. Dabei vergaß ich keine Sekunde, ein Auge auf meine Umgebung zu haben. Am Ende kostete es uns 400.000 Esses und nahezu 1.000 Tafeln verschiedenster Art, Schlinger standesgemäß auf Level 20 zu bringen. Je höher das Level, desto mehr musste ich für Verbesserungen ausgeben. Aber darüber machte ich mir keine Sorgen. Ich hatte nicht einmal die Hälfte von dem verbraucht, was in meinem Rucksack lag. Und wichtiger war ohnehin etwas anderes – Schlinger verwandelte sich nach und nach in ein höchst gefährliches Monster, und darüber konnte ich mich nur freuen. Mir war klar, dass unsere Reise erst begonnen hatte, aber die ersten Schritte, die die schwersten und wichtigsten waren, hatten wir nun hinter uns.

Die Magisterin der Fraktion des Chaos erschien im gleichen Augenblick, in dem ich überlegte, ob ich Schlingers Level weiter anheben sollte. Sie betrat den Raum mit einem Gefolge von zehn oder mehr Mitgliedern ihres Schlangenvolks, alle über Level 50. Die Wesen im Raum begrüßten ihr Eintreffen auf unterschiedliche Weise. Das Schlangenvolk zischte unterwürfig, die Werwölfe knurrten zufrieden. Andere, wie ich, begaben sich ruhig in die Mitte des Raums. Anscheinend hatte die Schwester der Schwarzen Witwe beschlossen, doch nicht bis zum nächsten Morgen zu warten, und wollte das Portal zum Labyrinth des Schreckens jetzt öffnen.

Die einzige Person, die auf das Auftauchen der Magisterin nicht reagierte, war der schlafende Magier. Er schnarchte weiter vor sich hin. Witzigerweise beachtete die Meisterin der Zitadelle ihn nicht, ebenso wenig wie die anderen. Mehr und mehr Warnsignale blinkten auf, was dieses Individuum betraf.

Die Prozession stoppte ein paar Schritte vom Portal entfernt.

Die Magisterin hielt sich nicht mit langen Vorreden auf, sondern befahl barsch: „Bewerber – vortreten!“

Wie der Torwächter es gesagt hatte, gab es insgesamt drei von uns. Außer mir löste sich ein junger Werwolf aus der Gruppe, angefeuert von scharfem Knurren und ermutigendem Heulen. Er war bis zur Taille nackt und die personifizierte Stärke. Harte Knoten von Muskeln, Tätowierungen auf Brust, Schultern und Bauch, leicht verlängerte Reißzähne und Fingernägel, die an Krallen erinnerten – der schwarzhaarige Junge sah aus, als ob er sich jeden Augenblick in einen Wolf verwandeln könnte.

Aus dem Schlangenvolk trat ein ranker, schlanker Krieger hervor, in allem der komplette Gegensatz zu dem Gestaltwandler – biegsam und anmutig. Der Ausdruck in seinen Schlangenaugen war so arrogant, dass selbst ich es für eine Übertreibung hielt. Ich vermutete, dass sich hinter seinem dramatischen Auftreten nichts als gewöhnliche Furcht verbarg.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Kobold sich offensichtlich geirrt hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---