Der Gründer (Spiegelwelt Buch #5): LitRPG-Serie - Alexey Osadchuk - E-Book

Der Gründer (Spiegelwelt Buch #5): LitRPG-Serie E-Book

Alexey Osadchuk

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Beschreibung

Für Olgerd war der Monat in der Reha nach seinem Monat Immersion in der Spiegelwelt zwar so schnell vergangen wie ein Tag. Doch während er sich im Schoße seiner liebenden Familie erholte, überschlugen sich die Ereignisse im Spiel. Die Clans des Lichts und der Dunkelheit setzen ihre Blitzexpansion ins Niemandsland fort. Berichte von heftigen Zusammenstößen zwischen Clan-Spähern – sowohl mit anderen Spielern als auch hochstufigen Monstern – füllen die Seiten der Spiel- und Multimedia-Newsfeeds, während jeder versucht, sich die saftigsten Stücke dieser neuen Gebiete zu sichern. Olgerd weiß, dass die Spieler der dunklen Seite einen Groll gegen ihn hegen – und dass ihr instabiler Waffenstillstand mit den Spielern des Lichts jeden Moment gebrochen werden kann. Dann werden die Täler der Silberberge neuen Eindringlingen in die Hände fallen. Olgerd muss den Calteanern helfen, eine Verteidigung für ihre neue Siedlung aufzubauen. Es ist Zeit für ihn, ins Spiel zurückzukehren.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Alexey Osadchuk

Der Gründer

von Alexey Osadchuk

Spiegelwelt

Buch 5

Magic Dome Books

Der Gründer. Spiegelwelt Buch 5

Buch 5 Originaltitel: The Founder (Mirror World Book #5)

Copyright ©A. Osadchuk, 2022

Covergestaltung ©V. Manyukhin, 2022

Deutsche Übersetzung © Tanja Braun, 2023

Erschienen 2023 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

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Kapitel 1

FRISTGERECHT war mein Offline-Urlaub zu Ende gegangen. Der beinahe einmonatige Aufenthalt in der Ergotherapie war wie ein einziger Tag an mir vorübergeflogen.

Jetzt saß ich mit mehreren anderen Gamern in einem Bus zum Flughafen. Unser Flieger ging in drei Stunden. Wir waren auf dem Rückweg. Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen.

Berlin grüßte uns zum kühlen Abschied mit kaltem Regen, schweren, düsteren Wolken und einem beißenden Wind. Ich starrte durch die Fensterscheibe und sah Bäume und Häuser vorbeifliegen, Fußgänger im Laufschritt davonhasten, um den Elementen zu entgehen.

„Was für ein Wetter“, murmelte ich vor mich hin.

Der Typ neben mir lachte. „Kannst du laut sagen.“

Er verzog das Gesicht, eindeutig verkatert. Seinem Zustand nach zu urteilen musste er die letzten paar Tage damit verbracht haben, durch Berlins Kneipen zu ziehen. Soweit ich wusste, war sein Name im Spiel „Krake“.

„Oh nein! Nicht dieser Volltrottel wieder!“, rief jemand von vorne.

Ich warf einen trägen Blick auf die Abfolge bunter Plakate, die die Autobahn säumten. Natürlich. Das größte zeigte einen fröhlich grinsenden Romulus, der einen Bierkrug umklammert hielt.

Ja, ganz genau. Romulus vom Clan der Steel Shirts, in Lebensgröße, und derzeit der Spitzenspieler der Spiegelwelt.

In den letzten Monaten hatte unser Planet, wie wir ihn bis dahin gekannt hatten, einige sehr kuriose Entwicklungen durchlaufen. Die Werbebranche hatte eine neue, trendige Nische entdeckt, nämlich Glashaus-Spieler. Nicht die echten Menschen dahinter, sondern ihre Avatare aus dem Spiel. Sportler und Hollywood-Stars hatten ihren Platz für diese neuen Prominenten räumen müssen, denn die Spitzenspieler der Spiegelwelt waren jetzt auf dem Gipfel ihrer Popularität.

Die Reflex Group Corporation pumpte unanständige Geldmengen in Werbung. Wo man sich auch hinwandte, auf allen verfügbaren Flächen, T-Shirts und Kaffeetassen, Ansteckern und Baseballmützen, überall sah man die Gesichter der Top-Spieler in Kampfrüstung oder auf beeindruckenden Reittieren sitzend. Selbst einige der bekanntesten Fast-Food-Ketten waren auf den Zug aufgesprungen: Nie werde ich vergessen, wie wir einmal die winzige Plastikfigur eines der Top-Ten-Spieler in Christas Kinder-Menü fanden. Ganz aufgeregt hatte mein Mädchen vermutet, dass es uns auch bald zu kaufen geben würden — mich, Strolchi und Boris.

Damals hatten wir darüber gelacht. Doch im Lauf des Abends hatte ich meine Frau immer wieder dabei ertappt, wie ihr Blick nachdenklich auf mir ruhte. Sie hatte etwas vor, so viel war klar. Tatsächlich hätte es mich nicht überrascht, wenn sie ihren Plan bereits Rrhorgus verraten hätte. Einmal hatte ich die beiden bei einer angeregten Videokonferenz erwischt. Auf beiden Schreibtischen hatten sich die Papiere, Taschenrechner und Büroutensilien gestapelt. Als ich sie nach dem Grund dafür gefragt hatte, war mir versichert worden, dass es sich nur um ein noch unfertiges Projekt handelte, dessen Zweck es war, uns alle stinkreich zu machen, und das mir bald zur Beurteilung und Freigabe vorgelegt werden würde. Außerdem hatten sie hinzugefügt, dass ich mich nicht mit derlei Kleinigkeiten aufhalten, sondern mich stattdessen auf meine Hauptaufgabe konzentrieren sollte, und zwar, der härteste Hund im gesamten Glashaus zu werden und so viel fette Beute wie irgend möglich zu horten.

Wir hatten herzlich darüber gelacht, aber ich hatte sie auch eindringlich gewarnt, nichts zu tun, ohne es vorher mit mir abzusprechen. Die zwei hatten synchron salutiert und dann ihre Diskussion an dem Punkt fortgesetzt, an dem sie unterbrochen worden war.

„Die sind nur neidisch“, riss mich Krakes Stimme aus meinen Gedanken. „Gierige Mistkerle.“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung der Spieler auf den Vordersitzen, die immer noch über Romulus‘ Glück meckerten. „Die wären doch überglücklich, wenn das Unternehmen ihnen einen Werbevertrag anbieten würde. Ich jedenfalls wäre überglücklich! Mit so viel Geld hast du fürs Leben ausgesorgt, Mann. Nur, wer würde uns mit unserem mittelmäßigen Level und erbärmlichen Rang haben wollen? Dazu muss man es mindestens in die Top 500 schaffen. Oder Charisma eimerweise haben wie der Typ mit dem geflügelten Reittier.“

Sein letzter Satz kam völlig überraschend für mich. Ich musste all meine Selbstbeherrschung aufbieten, um ein Pokerface zu bewahren und nur etwas Zustimmendes zu murmeln.

„Genau mein Gedanke“, mischte sich der Typ hinter uns ein und steckte sein schmales, sommersprossiges Gesicht durch die Lücke zwischen unseren Rücklehnen. Soweit ich mich erinnerte, hieß er Puma. „Ich hab die Schnauze voll von den ganzen Fußballspielern und Filmstars, die auf Plakaten und im Fernsehen Zeug verkaufen. Immer dieselben Gesichter! Es ist längst überfällig, dass Gamer mal ihre Chance kriegen. Dann kommt wenigstens mal ein bisschen Abwechslung rein.“

„Wenn ihr mich fragt, ist das nur der Anfang“, sagte Krake mit Nachdruck. „Die Besitzer des Glashauses haben noch nicht mal richtig losgelegt. Gebt ihnen ein bisschen Zeit. Zum Beispiel bin ich neulich mit den Jungs in Berlin um die Häuser gezogen. Wir sind in diese Bar, um ein paar Bierchen zu trinken...“

Puma und ich konnten uns ein Grinsen nicht verkneifen.

„Wir kriegten die Bierkarte in die Hand gedrückt, wie immer“, fuhr er fort, ohne unseren Sarkasmus zu beachten. „Und was glaubt ihr? Ich schau mir die Karte an, und ratet mal?“

„Du bist beim Anblick der Preise aus den Latschen gekippt?“, vermutete Puma mit dröhnendem Lachen.

„Ach, halt die Klappe.“ Kraken winkte den Seitenhieb ab und fügte nach einer Pause hinzu: „Wobei das auch stimmt. Aber davon rede ich nicht! Ratet mal, was auf der Getränkekarte stand? Zwergischer Zweifachregenbogen! Schwarzgnom! Alvisches Altbier! Insgesamt ein gutes Dutzend! Und das war noch nicht alles! Als ich mir die Speisekarte geben ließ, standen da Lammbraten nach Mellenville-Art, Papa Grudos Wackelpudding und lauter so Zeug drauf. Versteht ihr, was ich meine?“

Puma hob die Schultern. „Was gibt‘s da zu verstehen? Mittlerweile serviert jedes Restaurant, das etwas auf sich hält, Glashaus-Essen. Und es schmeckt genauso wie im Spiel. War ja zu erwarten. Und das ist erst der Anfang. Gerade habe ich gelesen, dass sie jetzt eine Fernsehserie drehen, die in der Spiegelwelt spielt.“

Sie redeten weiter und sprachen über alle möglichen neuen Sachen, die der Konzern eingeführt hatte. Bier, T-Shirts, Spielzeuge, Fernsehserien... Und trotzdem hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass wir nur die Spitze des Eisbergs sahen. Der Rest war ein riesiger Eisblock, der tief unter der Oberfläche lauerte.

Auch wenn das, was wir sehen konnten, schon eine Menge war. Neben allem möglichen Werbekram besaß die Reflex Group mindestens eine Fluggesellschaft, eine Tankstellenkette und weit über ein Dutzend Kliniken und Forschungslabore. Ironischerweise hatte sich herausgestellt, dass die Klinik, in der meine Tochter Christa ihre Herzoperation gehabt hatte, auch eine von ihren war. Ebenso wie das Ergotherapiezentrum, in das mein Bruder mich hatte überweisen lassen. Und ebenso wie das japanische Labor, in dem sie ein neues Herz für meine Tochter gezüchtet hatten.

Nach etwas Qualitätszeit im Internet hatte ich herausgefunden, dass die Besitzer des Glashauses aktiv in medizinische und pharmazeutische Spitzenforschung investierten. Überall, wo man hinsah, gab es Anzeichen ihrer Anwesenheit: von Weltraumprogrammen über Informationstechnologie bis hin zu alternativen Energien.

Die VR-Kapsel, die ich in letzter Zeit benutzt hatte, war unendlich viel fortschrittlicher als die, die in den Gemeinschafts-Modulzentren installiert waren. Auch wenn meine erweiterte Immersion mich einem Wachkoma nahegebracht hatte, hatte ich mich nach den ersten paar Tagen zurück im wirklichen Leben bemerkenswert schnell erholt. Darüber hinaus war ich jetzt, obwohl ich so viel Zeit damit verbracht hatte, mit dem Bauch nach oben in der Kapsel zu liegen, tatsächlich fitter als vor der Immersion. Selbst meine Sehkraft hatte sich verbessert.

Und das war noch nicht alles! Jetzt, nachdem Christa ihre Herztransplantation erhalten hatte, erholte sich ihre Gesundheit in Riesensprüngen — alles dank der neuesten Medikamente von Samura Pharmaceuticals, die ganz zufällig auch zur Reflex Group gehörten.

All das führte auf eine logische Frage hin: Was war der eigentliche Zweck, zu dem sie die Spiegelwelt geschaffen hatten? War sie ein Spiel, oder stellte sie einen Testgelände für irgendwelche revolutionären neuen Technologien dar? Denn wenn Letzteres zutraf, wollte ich mir gar nicht vorstellen, in welchem geistigen Zustand sich die ersten Freiwilligen befanden, die es gewagt hatten, sich in einen der ersten Prototypen der VR-Kapseln zu legen. Es musste ja wohl irgendwelche freiwilligen Betatester gegeben haben, oder? Im Internet hatte ich allerdings nichts über sie gefunden.

Wenn also jemand über Glashaus-Bier und die aggressiven Werbestrategien des Unternehmens lästerte, lächelte ich nur. Das ganze Buhei um die Top-Spieler und ihre Ränge war nur ein buntes Bonbonpapier.

Ich machte mir nicht die Mühe, auf Krakes neue Schmährede zu antworten, nickte nur zustimmend und gähnte demonstrativ, um zu sagen, quatscht ihr nur weiter und lasst mich eine Mütze voll Schlaf kriegen. Als sie sahen, wie ich die Augen schloss, redeten die beiden Männer mit gedämpfter Stimme weiter.

Ganz ehrlich, das war nicht der richtige Moment für mich, mir Gedanken darüber zu machen, wie ein Megakonzern seine Milliardengewinne am besten investierte. Von allem anderen abgesehen war es ihren Aktivitäten zu verdanken, dass mein Mädchen noch am Leben war. Es stimmte, dass ihre Dienstleistungen einen hohen Preis hatten — aber mir persönlich war für das Leben meiner Tochter kein Preis zu hoch.

Beim Gedanken an meine Familie umspielte ein Lächeln meine Lippen, als ich mich an ein kürzliches Gespräch mit meiner Frau erinnerte...

* * *

„Sie werden uns nicht in Ruhe lassen“, hatte Sveta gesagt.

Eine schmale Falte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. Sie hatte die Lippen gespitzt und die Mundwinkel nach unten gezogen.

Es war fast einen Monat her, dass sie mich „freigelassen“ hatten — und nicht ein Tag war vergangen, ohne dass wir meine zukünftige Vorgehensweise im Spiel im Detail besprochen hatten. Was meiner Frau besondere Sorgen bereitete, waren die Clans. Die langen Stunden, die sie mit dem Studium der Glashaus-Foren verbracht hatte, hatten die Flammen ihrer Clan-Phobie nur weiter angefacht. Auf welche Schrecken sie dort gestoßen war! Ich hatte einen der Posts überflogen — und wäre ich über dieses Forum gestolpert, bevor ich mir ein Spiegelwelt-Konto angelegt hatte, hätte ich dieses Spiel nicht von vornherein so auf die leichte Schulter genommen.

Die ganze Zeit hatte ich versucht, Sveta zu überzeugen, dass sie sich nicht mit Gruselgeschichten aus dem Internet verrückt machen sollte. Ich dachte, sie hätte auf mich gehört, aber manchmal konnte sie alles, was sich in ihr aufgestaut hatte, einfach nicht mehr für sich behalten. Und das hier war so ein Moment.

„Ist ja gut, mein Schatz“, sagte ich lächelnd und nahm sie in den Arm. „Vertrau mir, ich habe denen, die versuchen, mich oder die Roten Eulen anzugreifen, schon etwas entgegenzusetzen. Du solltest nicht vergessen, dass dein Ehemann kein blutiger Anfänger auf Level 0 ist.“

Sie seufzte schwer, sagte aber nichts. Sie machte sich einfach Sorgen um mich. Ich war kurz davor, zu einer neuen Immersion aufzubrechen. Und dass unsere Lieben sich um uns sorgen, ist das Natürlichste auf der Welt.

Christa war es, die die Situation entschärfte. „Papa? Glaubst du, dass Strolchi und Boris noch weiter wachsen werden?“

Sveta und ich drehten gleichzeitig die Köpfe.

Unser Mädchen lag halb aufgerichtet auf der Couch, wo sie die letzte halbe Stunde geschlummert hatte, nachdem sie über einem Buch eingeschlafen war. Ihre Augen waren noch verschlafen, ihr Gesicht warm und rosig.

Sveta und ich blickten uns an. Ihre Operation lag erst zwei Monate zurück, aber sie war schon weit von dem kränklichen Kind entfernt, das sie einst gewesen war. Ihr Körper hatte ihr neues, japanisches Herz gut angenommen. Sogar der Chirurg selbst konnte sich nur immer wieder über die Werte ihres Körpers wundern. Das Mädchen erwachte vor unseren Augen zum Leben.

„Natürlich, meine Süße“, sagte ich und nahm zu ihren Füßen auf dem Sofa Platz. „Ich glaube, sie wachsen mit jedem Levelaufstieg weiter.“

Prompt kletterte Christa auf meinen Schoß und schlang mir die Arme um den Hals. „Du weißt noch, was du mir versprochen hast, ja?“, flüsterte sie und kitzelte mich mit ihrem warmen Atem sanft am Ohr.

Ich lächelte. „Natürlich. Du hast es doch selbst gelesen, oder nicht? Sehr bald schon werden sie auch Kindern erlauben können, die Spiegelwelt zu betreten. Unter einer Bedingung...“

Sie seufzte. „Klar. Ich weiß. Sie brauchen ein ärztliches Attest.“

„Nimm‘s nicht so schwer, okay?“

„Okay“, stimmte sie in sehr erwachsenem Ton zu, bevor sie das Thema wechselte. „Kann ich dann auch das Niemandsland sehen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Wir haben nur über Mellenville gesprochen. Aber dort kannst du viele spannende Sachen unternehmen, glaub mir.“

Christas hellblaue Augen wurden noch größer und sanfte Röte stieg ihr in die Wangen. Während ich die Aufregung auf ihrem Gesicht bewunderte, dämmerte es mir plötzlich, dass sie das Ausmaß meines Widerwillens, mich wieder ins Spiel zu begeben, überhaupt nicht verstehen würde.

Aber mir blieb nichts anderes übrig. Das Bankdarlehen würde sich nicht von selbst zurückzahlen...

* * *

„Olgerd! Wach auf, Mann!“

Jemand rüttelte an meiner Schulter. Ich öffnete die Augen und blickte mich kurzsichtig um. Krake war schon aufgestanden, zerrte seinen Rucksack aus dem Gepäckfach über sich und hatte ein fröhliches Lächeln im Gesicht.

„Ich hab noch nie jemanden so schlafen sehen wie dich! Auf mit dir! Große Taten erwarten uns!”

* * *

„Hallo, Fliegerass“, begrüßte mich die Meisterin.

Dieses Spiel und seine Spitznamen! Es hatte nur ein paar Monate gedauert, bis dieser neue Beiname unauslöschlich mit mir verbunden war. Niemand in den Foren schien sich noch an meinen echten Namen zu erinnern. Nicht, dass mich das störte, ich fand es nur etwas seltsam.

„Guten Tag“, entgegnete ich.

Vor mir stand die Meisterin, mit der Rrhorgus mich in Kontakt gebracht hatte. Sie war eine echte blaue Gnomin, wie sie im Buche stand, mit Händen wie Baggerschaufeln und grimmig unter ihren zusammengezogenen Brauen hervorstarrenden Augen. Ihr Gesicht war von einem komplizierten Muster geometrischer Tätowierungen bedeckt.

In ihrem steingrauen Blick las ich einen Hauch Verwirrung. Diese Reaktion hatte sie ganz offenbar nicht erwartet, sondern eher eine Stichelei oder ein höhnisches Grinsen.

„Meine Erscheinung scheint Euch nicht zu überraschen, oder?“, fragte sie schließlich und bestätigte meine Vermutungen. Sie verzog den breiten Mund zu einem durchtriebenen Grinsen und entblößte dabei zwei Reihen stählerner Zähne.

Ich hob die Schultern. „Sollte sie das? Ich hab meine Lektion am ersten Tag im Spiel gelernt, als ich eine gewisse junge Dame kennenlernte, die sich als 3-Meter-Horrud getarnt hatte. Die Charakterauswahl anderer Leute kann mich schon lange nicht mehr schocken.“

Die Gnomin lachte schallend. „Akzeptiert!“ Sie öffnete die beiden Flügel einer dicken Stahltür und fügte hinzu: „Willkommen in meinem Versteck, Herr Olgerd!“

Was sie ihr Versteck nannte, war in Wirklichkeit ein großes, zweistöckiges Steinhaus mitten im Zentrum von Reetal, einer kleinen Stadt im Osten der Lande des Lichts. Die Mobs hier waren ungefähr auf Level 30 bis 40 — nicht gerade ein Provinznest, aber nicht genug, um einen stetigen Besucherfluss zu garantieren.

Der Ort stand unter der Kontrolle eines ebenso mittelmäßigen Clans mit der recht ehrgeizigen Bezeichnung „Krieger des Lichts“. Wir hatten sie schon recherchiert. Offenbar war der stärkste Spieler des Clans eine gewisse Leslie, eine Alven-Bogenschützin auf Level 200. Nach dem, was Rrhorgus mir erzählt hatte, war der Clan eine Art Familienunternehmen.

Sie hielten ihre Stadt schön sauber und in Ordnung. Ließen sich nie in irgendwelche größeren Skandale verwickeln. Im Grunde verdienten sie Geld durch ehrliche Arbeit und traten dabei niemandem auf die Füße. Interessanterweise hatten sie es abgelehnt, mich zu treffen, bis die Spielforen schließlich davon berichtet hatten, dass ich ein Friedensabkommen mit Tanor eingegangen war.

„Tee oder Kaffee?“, fragte die Gnomin, als wir eine geräumige, ziemlich gemütlich eingerichtete Halle betraten. „Oder hättet Ihr lieber etwas Stärkeres?“

„Kaffee wäre nett, danke. Schwarz, kein Zucker.“

Sie zwinkerte mir zu. „Einen Moment.“ Sie ging zur gegenüberliegenden Tür und blaffte: „Hey, Küche, wer immer da drin ist! Zwei Solos!“

Von hinter den dicken Mauern war ein gedämpftes Grummeln zu hören, das die Bestellung offenbar bestätigte.

„Macht es Euch bequem, Olgerd.“ Sie deutete auf einen wuchtigen Ledersessel und ließ sich dann in sein Gegenstück mir gegenüber fallen. „Es wird Euch guttun, Eure Füße zu entlasten.“

Während ich es mir gemütlich machte und unauffällig die typisch gnomische Einrichtung des Hauses musterte, beobachtete Lara jede meiner Bewegungen. Ich sah, dass sie meine Ausrüstung zu schätzen wusste: Ihrem feurigen Blick nach zu urteilen schienen sie meine purpurnen Klamotten auf über 300 ziemlich zu beeindrucken.

Nachdem sie mich lang genug angestarrt hatte, kam sie endlich zum Geschäft. „Na dann, zeigt mir mal Eure Panzerbüchse.“

Voller Vorfreude auf die Reaktion dieser erfahrenen Schmiedin auf meine bescheidene Waffe reichte ich ihr mein Kleineres Taschenkatapult.

Ihre Reaktion ließ nicht zu wünschen übrig. Sie lachte so herzhaft, dass ich befürchtete, sie würde einen Schlaganfall bekommen.

„Oh neeein! Ist nicht Euer Ernst! Ein Kleineres... Taschen......katapult!“, rief sie, während sie sich vor Lachen krümmte und sich den Bauch hielt.

Ich ertrug ihren Sarkasmus achselzuckend. „Genau. Jetzt stellt Euch nur vor, wie ich mich gefühlt habe, als ich mich das erste Mal einloggte...“

Ungläubig schüttelte Lara den Kopf. „Das ist doch nicht die Möglichkeit!“

Ein junger Gnom, der eben mit einem Getränketablett aus der Küche kam, warf ihr verständnislose Blicke zu. Ein paar andere bärtige Gesichter spähten aus der Küchentür hervor und wirkten ebenso verwundert, da Laras Lachanfall die Zubereitung unserer Getränke beschleunigt haben musste.

Nach einigen weiteren Minuten hatte sie sich endlich genug beruhigt, um ihren Kaffee schweigend zu trinken, wobei sie sich gelegentlich mit einem weißen Taschentuch eine Lachträne abtupfte und etwas von dem „großen Eroberer des Niemandslands und seinem Kleineren Taschenkatapult“ vor sich hin murmelte. Ich lächelte in meinen Bart. Wir wussten beide, dass mein Katapult nicht meine einzige Geheimwaffe war.

„Tut mir so leid“, sagte Lara mit einem schuldbewussten Lächeln. „Ich kann nicht anders, als mir Euer Gesicht vorstellen, als sie Euch diese Wunderwaffe ausgehändigt haben!“

Ich nickte.

„Aber gleichzeitig muss ich daran denken, was Ihr durchgemacht haben müsst. Allein bei dem Gedanken bekomme ich Gänsehaut! Ihr seid Euch bewusst, dass ihr für viele Eurer Clanmitglieder ein Vorbild geworden seid, ja? Noch so viele Erschwernisse und Clananfeindungen konnten Euch brechen.“

„Schmeichelt mir nicht so“, winkte ich ab. „Es gibt haufenweise Leute, deren Probleme wesentlich schlimmer sind als meine. Und die sind auch nicht unter dem Druck eingeknickt. Selbst Ihr — so wie Ihr darüber sprecht, möchte man meinen, dass das Schlimmste schon vorüber wäre.“

„Ist es das etwa nicht?“, fragte sie mit gespielter Überraschung.

Ich lachte. „Schön wär‘s!“

„Wie auch immer“, sagte Lara und schlug mit ihrer Schaufelhand auf die lederne Armlehne des Sessels. „Kommen wir zur Sache. Ich erzähle euch besser etwas über potenzielle Verbesserungen für Eure Waffe.“

Sie brauchte fünf Minuten, um klarzumachen, dass sie mein Katapult auf etwa 15 verschiedene Arten modifizieren konnte. Das ist mal eine ordentliche Meisterin, dachte ich, mental bewundernd pfeifend. Wenn man ihr glauben durfte, würde man, war sie mit meiner Waffe erst einmal fertig, kaum mehr Katapult dazu sagen können.

„Sie wird von aktuell grün auf blau hochgestuft“, verkündete sie. „Theoretisch verfüge ich über ausreichend hohe Kenntnis, um sie purpurn zu färben — aber leider fehlen uns dazu im Moment bestimmte Steine“, fügte sie grimmig hinzu. „Sie sind eine seltene Ressource. Seien wir ehrlich, unser Clan ist noch nicht so weit, dass er solche Dinge farmen kann.“

„Und was für einen Bonus kann man davon erwarten?“, fragte ich.

„Ihr meint von purpurn? Eine Menge. Zum Beispiel 20 % auf alle Werte, vorausgesetzt, die Waffe ist bereits blau.“

„Ach ja? Nicht schlecht.“

Wirklich nicht schlecht, wenn ich so darüber nachdachte. Das Katapult hatte ich als Waffe schon lang abgeschrieben und all mein Vertrauen auf meinen kleinen Zoo gesetzt. Aber wenn das so war... wer war ich, dass ich nein zu einem Extrabonus sagen würde?

„Nehmt zum Beispiel Euer Katapult“, fuhr Lara fort. „Es auf purpurn zu steigern, würde eine bestimmte Anzahl von Rezepten und technischen Zeichnungen erfordern. Das wisst Ihr ja selbst, nicht? Außerdem braucht Ihr logischerweise jemanden, der besagte Rezepte entwickeln kann.“

Ich nickte.

„Und“, fuhr sie fort, „ich kann nicht alle 15 Modifikationen selbst machen. Ich brauche Hilfe von einem Juwelier und einem Gerber. Beide müssen natürlich Meister sein.“

Beim Anblick meines offenstehenden Mundes hob sie beruhigend die Hand. „Das ist kein Problem. Ich habe sie beide hier, sie arbeiten in unserem Keller. Wir haben hier so eine Art Fertigungsstraße.“

„Großartig. Zugegebenermaßen habe ich keine Zeit, überall nach der richtigen Sorte Meister zu suchen.“

„Überhaupt kein Problem.“ Lara winkte ab. „Es sind die Steine, die eine Schwierigkeit darstellen... und derjenige, der sie abbaut, muss ebenfalls ein Meister sein“, fügte sie düster hinzu. „Als Sahnehäubchen auf dem Problemkuchen wurden alle Orte, an denen sich diese Ressourcen finden, bereits von den stärkeren Clans beansprucht.“

Ich blickte in ihr trauriges Gesicht. Sie hatte mir nichts erzählt, was ich nicht schon wusste. Dieser Mangel an hochstufigen Ressourcen war es, der die Entwicklung eines Großteils der Glashaus-Clans ausgebremst hatte. Was mir jetzt in die Hände spielte.

Außerdem wusste ich, dass das, was ich in Begriff war zu tun, die Zukunft ihres Clan drastisch ändern würde.

Diese Entscheidung hatte ich nicht spontan getroffen. Rrhorgus und ich hatten die enormen Mengen an Informationen über jeden einzelnen Glashaus-Clan durchforstet, bevor wir eine der Gruppen der Seite des Lichts kontaktiert hatten.

Eine Zeitlang hatten wir mit dem Gedanken gespielt, einem der größeren Clans unsere Zusammenarbeit anzubieten — doch bald hatten wir diese Idee aufgegeben. Das wäre in etwa so, als würde man einen erfahrenen Fuchs in einen Hühnerstall lassen. Sie würden uns bald ihre eigenen Regeln aufzwingen und uns schließlich einfach schlucken.

Natürlich war das nicht das Szenario, das wir uns wünschten — auch wenn die Versuchung, uns an den Totenclan zu wenden, recht groß war. Rrhorgus arbeitete bereits eng mit einigen ihrer Mitglieder zusammen, aber wenn wir mit der Allianz des Lichts Probleme bekommen würden — und die Chance, dass das nicht passieren würde, war gering — bezweifelte ich stark, dass der Totenclan sich auf unsere Seite stellen würde.

Was wirklich schade war. Er war einer der vielversprechendsten Clans, der es schnell in die Top 20 geschafft hatte — ein Bündnis mit ihnen wäre ein gutes Ass im Ärmel gewesen.

Nach vielen hitzigen Diskussionen, zu der meine ganze Familie und meine Waffenbrüder ihren Teil beigetragen hatten, waren wir schließlich auf einen gemeinsamen Nenner gekommen: Wir würden uns unsere Verbündeten unter Unseresgleichen suchen.

All das ging mir durch den Kopf, bevor ich meine Aufmerksamkeit Laras enttäuschtem Gesicht zuwandte.

Na dann. Zeit für den ersten Schritt auf unsere zukünftige Kooperation zu. Mal sehen, aus welchem Holz die Krieger des Lichts geschnitzt waren. Schließlich war das der Clan, den wir uns nach reiflicher Überlegung ausgesucht hatten.

Sie schienen perfekt zu passen. Ein Familienunternehmen, das sein eigenes Ding machte, ohne jemandem auf die Füße zu treten — das aber auch nicht aus Weicheiern bestand. Und es wurde von Erwachsenen geführt. Am wichtigsten jedoch war, dass die Krieger des Lichts einer der ältesten Clans der Spiegelwelt waren. Das hieß, sie bevorzugten es, den Ball flach zu halten und ihr eigenes Spiel zu spielen.

Mal sehen, aus welchem Holz sie geschnitzt waren. Jetzt war es an mir, sie zu überraschen.

„Sagtet Ihr 30 Prozent auf alle Werte?“, fragte ich und griff in eine kleine Tasche an meinem Gürtel.

„Ja“, nickte sie langsam und folgte meiner Hand mit misstrauischem Blick.

„Dann sucht Euch mal aus, was Ihr braucht“, sagte ich, zog drei purpurne Steine hervor und legte sie langsam neben die Kaffeetassen auf das Tablett.

Kapitel 2

WÄHREND ICH EINEN NACH DEM ANDEREN immer mehr Steine hervorzog, wurden die bisher unergründlichen Augen der Gnomin schnell groß wie Wagenräder. Besonders beim Anblick der letzten paar Steine war sie sprachlos.

„Das ist... Woher...? Warum?“, murmelte sie. Ihre Augen verrieten in schnellem Wechsel Überraschung und Erstaunen, die schließlich von einer Mischung aus Besorgnis und Ungläubigkeit verdrängt wurde. Sie schluckte und fragte heiser: „Wer hat Euch die verkauft? Oder seid...“

„Bin ich“, entgegnete ich ruhig und machte einige meiner Berufswerte für sie sichtbar.

Der Mund blieb ihr offen stehen, was gut zu ihren aus dem Kopf tretenden Augen passte. „Ein Experte“, brachte sie schließlich heraus.

Auf Erkundung im Niemandsland war ich auf einige Höhlen gestoßen, die mit seltenen Ressourcen vollgestopft gewesen waren. So großzügige Geschenke konnte ich nicht einfach ignorieren. Ehrlich gesagt hatte ich bereits einen Haufen purpurne Ressourcen, die Rrhorgus nach und nach an unseren geschlossenen Freundeskreis verkaufen würde, um den Markt nicht zu sprengen. Außerdem hatten wir eine Anzahl Gegenstände genau für solche Anlässe zurückgelegt: sowohl für persönliche Nutzung als auch, um uns bei potenziellen Verbündeten einzukaufen.

Endlich schaffte es Lara, den Mund wieder zuzuklappen. „Hört zu, Olgerd. Ich will ehrlich zu Euch sein. Wir hatten schon vermutet, dass Ihr eine harte Nuss seid, aber nicht in diesem Ausmaß, nein...“

Ich unterdrückte ein Kichern. Wirklich witzig. All die epischen Schlachten mit meinen Tierchen, die in den sozialen Medien Hunderttausende von Aufrufen generiert hatten, hatten sie nicht so beeindruckt wie meine Berufswerte. Was bedeutete, dass Lara und ihre Krieger des Lichts mehr an praktischen Dingen interessiert waren als an hochtrabenden Schlachten voller Magie.

Ich brachte ein bescheidenes Lächeln zustande.

„Wer hätte das gedacht!“, wiederholte die Gnomin und starrte mich dabei unablässig entgeistert an. „Ein Minengräber-Experte unter meinem eigenen Dach! Wenn Euch nur alle sehen könnten! Männer wie Ihr seid bei jedem Clan heißbegehrt!“

„Seid Ihr sicher, dass ich es nicht bereuen werde, mein Geheimnis mit Euch geteilt zu haben? Es wäre mir sehr unrecht, wenn das an die Öffentlichkeit käme.“

Protestierend riss Lara die Arme hoch. „Olgerd, für wen haltet Ihr mich? Ich werde schweigen wie ein Grab.“

„Und, was ist jetzt mit meinem Katapult?“ Ich nickte in Richtung der Steine und versuchte, das Gespräch zurück auf sein ursprüngliches Thema zu lenken. „Könnt Ihr davon etwas gebrauchen?“

Theatralisch schlug sich die Gnomin an die Stirn. „Ich bin aber auch ein Wirrkopf!“, verkündete sie mit breitem Grinsen. „Es passiert nicht jeden Tag, dass ein legendärer Spieler und Minengräber-Experte vor unserer Tür steht — und noch dazu mit einem Katapult bewaffnet!“

Ich lachte. „Das könnt Ihr laut sagen. Und Ihr habt noch nicht einmal meine Tierchen gesehen.“

„Himmel, ich glaube nicht, dass mein bescheidenes Heim einen Besuch Eurer Menagerie überstehen würde!“

Vermutlich nicht. Allein schon mein Skarabäus wäre in der Lage, ihr Haus innerhalb von Minuten in Schutt und Asche zu legen.

„Zu den Steinen“, fuhr Lara in geschäftsmäßigerem Ton fort. „Gehen wir das eins nach dem anderen an.“ Ihr dicklicher Finger deutete auf den länglichen, dunkellila Kristall, den ich zuerst hingelegt hatte.

„Das ist ein Tiefenquarzit. Er ist megahart. Wir nutzen fünf davon, um Eure Stärke und Euren Schutz zu steigern. Das in der Mitte ist Mondkunzit. Sieben Stück davon, pulverisiert, können sowohl Eure Treffsicherheit als auch Eure Konzentration verbessern. Beim Letzten handelt es sich um einen Zwielichtsugilith. Von denen benötigen wir nur drei, aber sie bringen Euch einen schönen, dicken Bonus auf Leben. Das sind insgesamt 15 Steine. Aber! Das reicht nicht für 15 sondern für 23 Modifikationen. Ich garantiere Euch, Ihr werdet Euer altes Katapult nicht wiedererkennen.“

Nachdem das fast in einem einzige Atemzug aus ihr herausgesprudelt war, hielt Lara inne und blickte mich hoffnungsfroh an.

„Ausgezeichnet“, antwortete ich und legte zwölf weitere Steine dazu, was sie mit einem erleichterten Aufatmen quittierte. „Jetzt müssen wir nur noch den Preis und den Zeitrahmen festlegen.“

Bevor sie antworten konnte, öffnete sich die Küchentür und eine Prozession aus drei Gnomen kam hereinspaziert. Die Clananführer waren vollzählig anwesend. Einer von ihnen war glatzköpfig, der andere grauhaarig, der dritte ein Rotschopf. Alle waren Grinder mit verborgenen Werten. Ich hatte einige meiner Werte sichtbar gelassen, nur damit sie meine bescheidenen Errungenschaften bewundern konnten.

Sobald alle Platz genommen hatten, wurde mir klar, dass das die richtige Entscheidung gewesen war. Alle starrten verdattert meine Ausrüstung, meine Levels und die Steine an, die auf dem Tablett lagen.

Das stumme Glotzen wurde von dem grauhaarigen Gnom namens Avaron durchbrochen:

„Wir sind sehr erfreut, Euch endlich persönlich kennenzulernen, Herr Olgerd. Zugegebenermaßen verfolgen wir Eure Fortschritte schon eine ganze Weile, und die Entscheidungen, die Ihr getroffen habt, haben uns nicht enttäuscht. Ich will noch weiter gehen: Hättet Ihr in bestimmten Situationen andere Entscheidungen getroffen, hätten wir Euch gar nicht hier empfangen. Dann hättet Ihr allerhöchstens darauf hoffen können, unsere Meister für bezahlte Dienste anzuheuern.“

Er musste das schwache, skeptische Lächeln bemerken, das um meine Lippen spielte, also beeilte er sich, seinen Fauxpas auszumerzen. Auch Laras grimmiges Gesicht verriet akute Verstimmung über die Art, wie ihr Clananführer die Sache anging.

„Ebenso“, fuhr der Gnom fort, „ist uns klar — besonders in Anbetracht dieser höchst wertvollen Ressourcen, die Ihr mitgebracht habt — dass Ihr solche Dienste auch anderenorts hättet beauftragen können. In diesem Fall wäre unseren Meistern diese unschätzbare Erfahrung entgangen.“

Schon viel besser. So hätte das von Anfang an laufen sollen.

Der Rotschopf namens Daryl musste die Anspannung, die sein Kollege verursacht hatte, ebenfalls gespürt haben. „Hinsichtlich des Besprochenen“, mischte er sich hastig ein, „schlagen wir vor, Eure Waffe kostenlos für Euch zu verbessern.“

„Ihr müsst nur für den Materialverbrauch aufkommen“, beeilte sich der glatzköpfige Kerim hinzuzufügen. Dem war Diplomatie schnurzegal, solange es um Profit ging.

Das funktionierte trotzdem für mich. Rrhorgus und ich hatten nicht mit so einem Ergebnis gerechnet. Doch ihrer Großzügigkeit nach zu urteilen, hatten die Anführer der Krieger des Lichts an unserer Zusammenarbeit ein noch größeres Interesse als wir. Die schiefen Blicke, die Lara ihnen zuwarf, waren Beweis genug dafür. Ich hätte alles Mögliche verwettet, dass das hier nicht so lief, wie sie ursprünglich geplant hatten. Offenbar hatte die kleine Zurschaustellung meiner Fähigkeiten die stillen Wasser ihrer Existenz in Aufruhr versetzt. So sehr sie sich auch zu kontrollieren versuchten, sie konnten ihre Aufregung nicht verbergen.

Na gut. Dann wollte ich ihre Erwartungen nicht enttäuschen.

„Schön“, sagte ich und nickte zustimmend. „Ich nehme Euren Vorschlag an.“

Um mich herum sah ich nur strahlende Gesichter. Lara wirkte am glücklichsten von allen. Sie grinste von einem Ohr zum anderen, und ihr stählernes Lächeln blitzte im durchs Fenster hereinscheinenden Sonnenlicht.

„Wenn das so ist, sollten wir unsere Meisterin nicht warten lassen“, meinte der grauhaarige Avaron. „Lassen wir sie gehen und ihre Arbeit machen, während wir hier sitzen und uns unterhalten...“

„Oh, noch eins“, fiel es mir plötzlich ein. „Ich habe da noch eine Sache, die ich Euch zeigen möchte...“

Ich griff in meinem Inventar nach der roten Gürtelschnalle, die ich im Nest der Felsen entdeckt hatte, und reichte sie Lara. „Dafür würde ich mir gern einen Gürtel anfertigen lassen.“

Sie studierte die Schnalle und verkündete, die Stimme voller Hoffnung und Vorfreude: „Wenn Ihr noch zwei Steine von jeder Sorte habt, wird der gefertigte Gürtel purpurn, auch wenn die Schnalle selbst rot bleibt.“

Als sie sah, dass ich zu sprechen ansetzte, fügte sie schnell hinzu:

„Leider gibt es keine Möglichkeit, beides rot zu machen. Dafür bräuchten wir rote Steine und Experten auf entsprechendem Level.“

„Verstehe“, seufzte ich, unfähig, meine Enttäuschung zu verbergen.

„Wenn unsere Bedingungen Euch zusagen, können wir den Gürtel zu denselben Konditionen machen“, riss mich die Stimme des glatzköpfigen Kerim aus meinen Grübeleien. „Wir brauchen nur die Steine...“

„Oh, ja, ja, natürlich. Bitte sehr“, erwiderte ich und legte unter Laras entgeistertem Blick sechs weitere purpurne Kristalle auf das Tablett.

Die beiläufige Leichtigkeit, mit der ich immer wieder solche seltenen Ressourcen aus meinem Inventar hervorzauberte, musste endlich ihre Wirkung auf die Gnome haben. Sie wirkten gelinde gesagt verwirrt. Lara strahlte wie ein blankpolierter Vollmond. Etwas sagte mir, dass sowohl sie als auch die Clananführer nette kleine Boni auf ihre Berufe erhalten würden, bevor der Tag vorüber war.

Möchten Sie folgende Gegenstände verbessert haben?

Die Schnalle des Kampfgürtels „Schwingen des Todes“ (1)

Kleineres Taschenkatapult (1)

Ja/Nein

Ich akzeptierte und aktivierte folgende Transaktion:

Möchten Sie folgende Gegenstände übergeben:

Tiefenquarzit (7)

Mondkunzit (9)

Zwielichtsugilith (5)

Ja/Nein

Aber ja doch.

Nostalgie ergriff mein Herz, als ich Lara das Katapult reichte. Wir hatten viel zusammen durchgemacht...

Mit einem fröhlichen Zwinkern verließ sie den Raum. Mal sehen, was sie vollbringen würde.

Ich hatte ihr hinterhergeblickt und sah jetzt wieder die noch sitzenden Gnome an. „Nun, die Herren? Wenn ich recht verstehe, habt Ihr etwas mit mir zu besprechen?“

Die Anführer der Krieger des Lichts tauschten Blicke, als müssten sie erst ihren Mut zusammennehmen, bevor sie sich ins Unbekannte stürzten. Alle nickten. Dann ergriff in bereits gewohnter Reihenfolge der grauhaarige Avaron zuerst das Wort.

„Gestattet uns, etwas auszuholen, guter Herr. Sofern wir Euch etwas von Eurer kostbaren Zeit stehlen dürfen?“

Kurz gesagt erzählte er mir dasselbe, was ich, meine Frau und Rrhorgus bei unserem Familientreffen bereits besprochen hatten. Ihr Clan musste sich weiterentwickeln. Bisher hatten sie unauffällig bleiben können, doch dieses Kunststück würde ihnen in Zukunft nicht mehr gelingen. Jederzeit konnte ein stärkerer Clan in diese niedliche kleine Stadt marschiert kommen und sie für sich erobern. Tatsächlich waren sie spät dran. Schnellere Gruppen, die skrupellos an die Macht strebten, waren ihnen bereits dicht auf den Fersen.

Prompt bestätigte Avaron meine Vermutungen. „Wie Ihr uns sicher zustimmt, haben wir eine Menge erreicht. Mehr als ein Dutzend Grinder-Experten und eine gut ausgerüstete Gruppe Kämpfer ab Level 150 sind nicht zu verachten. Leider reicht das nicht. Die Spiegelwelt legt ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten fest. Clans, die es früher nicht gewagt hätten, auch nur in Reetals Richtung zu blicken, beginnen jetzt, Interesse an unserem Eigentum zu zeigen. Momentan sind wir noch in der Lage, selbst mit ihnen fertigzuwerden — und wenn nötig, können wir natürlich immer ein paar Söldner anheuern — aber das kostet viel Geld. Außerdem wurden dank der Aussichten, die die Kolonialisierung des Niemandslands bietet, die besten Söldner bereits von den stärksten Clans unter Vertrag genommen.“

„Das ist ja alles sehr erhellend, aber warum erzählt Ihr mir das?“, fragte ich, um ihnen die Chance zu geben, den ersten Schritt zu machen.

Erneut wechselten sie Blicke. Der kahlköpfige Kerim sprach als Nächster. Er war noch wortkarger als sein Cousin. „Weil wir in Euch die Gelegenheit sehen, die uns helfen könnte, uns weiterzuentwickeln.“

„Erzählt mir mehr.“

„Ich muss ehrlich zu Euch sein“, warf der rotschöpfige Daryl ein. „Noch vor ein paar Stunden hielten wir Euch für jemanden, der das Glück im Spiel beim Schopf gepackt hat — der aber, wenn Ihr entschuldigen wollt, wenig Ahnung hat, was er mit diesem Glück anfangen soll. Doch eine kurze Demonstration Eurer Fähigkeiten, die vermutlich nur einen Bruchteil dessen umfasste, was ihr tun könnt, hat unsere Meinung von Euch drastisch geändert.“

Kerim, der triumphierend in seinen Bart lächelte, fügte hinzu: „Ihr habt Eure eigene NPC-Armee, einen Trupp hochstufiger Stahlmonster in der Tasche sowie die Fähigkeit, zu jedem Punkt im Glashaus zu fliegen. Die da oben scheinen eine gewisse Achtung vor Euch zu haben, ansonsten hätten sie keinen Waffenstillstand mit Euch geschlossen. Ihr habt Zugang zu seltenen, wertvollen Ressourcen — und am wichtigsten, Ihr könnt sie auch beschaffen. Ihr habt keinen Mangel an neuen Instanzen und hochstufigen Mobs. Ich wage zu vermuten, dass es mindestens ein paar Top-Quests gibt, die sich um Euch drehen. Bedenkt man all dies, wirft das eine große Frage auf.“

„Nämlich?”, fragte ich neugierig.

„Warum wir?“, platzte Kerim hervor.

Drei intelligente gnomische Augenpaare waren erwartungsvoll auf mich gerichtet.

Ich lachte. Sie hatten mir meine kleine Show nicht abgekauft. Was nur logisch war. Egal. Zeit, ein paar meiner Karten auf den Tisch zu legen.

* * *

Mein Gespräch mit den Gnomen — erwartungsgemäß unterbrochen durch eine Pause für ein herzhaftes Mahl — dauerte bis tief in die Nacht. Die Anführer der Krieger des Lichts wollten alles wissen. Wie viele NPCs unter meiner Kontrolle standen. Ihre jeweiligen Level. Wie viele von ihnen Zivilisten und wie viele richtige Krieger waren. Ob die Arbeiten an der neuen Siedlung bereits begonnen hatten. Ob wir planten, Karawanen durchs Niemandsland zu schicken und mit anderen Clans Handel zu treiben. Wie aggressiv unser aktueller Standort war und ob wir Meereszugang hatten.

Im Grunde versuchten sie jedes bisschen Information aus mir herauszuquetschen, das sie kriegen konnten — und ich fütterte sie ihnen Stückchen für Stückchen, wobei ich darauf achtete, nicht mehr zu verraten, als für meine Zwecke nötig.

Ich hielt eine Menge vor ihnen verborgen. Weder hatte ich unsere Koordinaten preisgegeben, noch die genaue Anzahl unserer Krieger. Die friedlichen Errungenschaften meiner calteanischen Handwerker jedoch hatte ich bereitwillig beschrieben. Das Übliche eben.

Ihrerseits stellten mir die Gnome ihre besten Kämpfer vor, die ihre bewundernden Augen nicht von mir wenden konnten. Ich trug noch weiter dazu bei, indem ich ihnen im Hinterhof Boris und Strolchi vorführte, die erwartungsgemäß zum Sensationserfolg wurden. Der gesamte Hausstand, alle, die anwesend waren, strömten nach draußen, um sich das anzusehen, alles unter den wachsamen Augen von Lara und den Clananführern persönlich. Avaron warnte seine Leute jedoch, sie nicht zu filmen. Keine Ahnung, ob alle ihm gehorchten, aber die Gesichter um uns herum waren angemessen ernsthaft.

Das heutige Treffen bestand aus vorfühlen und miteinander ins Gespräch kommen. Insgesamt gingen wir sehr zufrieden auseinander.

Als Unbeteiligter mochte man sich vielleicht fragen, wozu das ganze? Die Antwort war einfach: langfristige Planung. Oder wie Rrhorgus es gerne ausdrückte: „Wenn du etwas zu verkaufen hast, mach deine Hausaufgaben.“ Man könnte denken, dass ich die seltenen Steine genauso gut einfach bei einer Auktion hätte einstellen und gemütlich zurückgelehnt auf Profit hätte warten können. Aber warum, wenn man zusätzlich zur Knete auch noch nützliche Kontakte gewinnen konnte? War das nicht ein paar Stunden Zeitaufwand wert?

Für einen zugegeben durchschnittlichen, aber relativ reichen Clan wie die Krieger des Lichts konnte ich eine Art Sprungbrett in eine bessere Zukunft bedeuten. Im Grunde hatten wir gerade begonnen, einen neuen Clan aufzubauen, einen potenziell starken und, noch wichtiger, mir von Anfang an freundlich gesonnenen.

Und wenn das erreicht war, was sollte uns dann davon abhalten, mehrere solcher Clans „aufzuziehen“. Einige weitere Clans hatten bereits einen Termin mit mir vereinbart, jeder von ihnen auf mehr als eine Art den Kriegern des Lichts ähnlich.

Sobald ich mich von den Clananführern verabschiedet hatte, wirbelte Lara wie ein Schneesturm zurück ins Zimmer. Übermütige Funken glitzerten in ihren Augen und ein listiges Grinsen huschte über ihr Gesicht.

Ihre Hände schienen leicht zu zittern. Mit den starken Fingern hielt sie etwas umklammert, das aussah wie ein Käfer oder eine Krabbe in Untertassengröße.

Als ich erkannt hatte, was ich da sah, war mein erster Gedanke, dass mein Katapult in den Geburtswehen umgekommen sein und sich in dieses gliederfüßige Monster mit einer Minigun auf dem Rücken verwandelt haben musste.

„Und?“, fragte ich gedehnt, während ich Laras Schöpfung musterte.

Eine stählerne Schiene, fast so lang wie mein gesamter rechter Unterarm, diente als Stütze für ein Ding, das wie ein faustgroßer Skorpion aussah. Sein „Schwanz“ bestand aus einer sechsläufigen, etwa zwei Handbreit langen Kanone. Ihre Mündung war etwas über einen Zentimeter breit. Die gesamte Waffe war von kantigen Gnomenschriftzeichen bedeckt.

Und wie sahen ihre Werte aus?

Name: eine magische Arbalest

Kategorie: Episch

Waffentyp: Hauptwaffe (nicht übertragbar)

Waffenklasse: Automatisch (15 Kammern)

Nachladegeschwindigkeit: 15 Sek.

Level: über 150

Einschränkung: nur Ennan-Rasse

Reichweite: +100

Zielgenauigkeit: +135

Schutz: +150

Stärke: +125

Konzentration: +75

Ausdauer: +150

Schaden: +550 bis +650

Haltbarkeit: Unzerstörbar

„Und?“, fragte Lara ihrerseits ungeduldig und beobachtete gespannt meine Reaktion.

„Ihr steckt wirklich voller Überraschungen!“ Ich lächelte glücklich. „Aber wie sieht es mit der Munition aus? Ich habe das ungute Gefühl, dass Kieselsteine dafür nicht mehr reichen!“

„Ha!“, lachte sie triumphierend. „Macht Euch darüber keine Gedanken! Sobald ich Eure Zwille fertig modifiziert hatte, bot mir das System drei neue technische Zeichnungen für Munition an — alle episch! Hier, seht Euch das an.“

Sie ließ drei kegelförmige Geschosse in meine Hand fallen, jedes so lang wie mein kleiner Finger. Sie waren von einem schwachen, purpurnen Hauch umgeben, dem Standard-Grafikeffekt für epische Gegenstände. Na mal sehen...

Das ganz rechts war am größten. Außerdem war es von den dreien am dunkelsten, beinahe schwarz, die Oberfläche durchwirkt mit komplexen Runen.

Ich nahm die anderen beiden in die Linke und drehte das große Geschoss ein paarmal in der rechten Hand. „Schwer“, kommentierte ich.

„Jupp“, stimmte Lara zu. „Jetzt seht Euch die Werte an.“

Okay...

Name: Schmetterer (Rüstung durchschlagendes Geschoss)

Kategorie: Episch

Waffentyp: Munition

Level: über 150

Einschränkung: nur Ennan-Rasse

Abklingzeit: 10 Sek.

Schaden: +500

Besondere Effekte:

Zusätzlicher Schaden auf alle physischen Schilde: +5 %

Zusätzlicher Schaden auf alle magischen Schilde: +3 %

Haltbarkeit: einmalige Verwendung

„Na sowas!“, brachte ich hervor. „Nicht gerade ein Kieselstein...“

Lara kicherte. „Nett, was? Der Schaden selbst ist schon nicht zu verachten — aber denkt an all die Energieschilde, die diese Dinger auffressen werden!“

„Wo habt Ihr denn die Ressourcen her, um die herzustellen?“, fragte ich überrascht. „Ich hatte Euch keine überschüssigen Steine gegeben, oder?“

„Produktionsboni“, entgegnete sie. „Manchmal bekommen wir für die investierten Ressourcen doppelt zurück. Man arbeitet an einem Gegenstand vor sich hin, und peng!, bekommt man zweimal so viel raus wie erwartet. So ging es unserem Juwelier mit Euren Steinen. Allerdings gibt es ein paar Dinge zu beachten. Die Seltenheit des Rezepts oder der technischen Zeichnung spielt eine Rolle, genauso wie die Ressource selbst. Ebenso die Häufigkeit, mit der der Gegenstand produziert wird. Wir haben bereits bemerkt, dass alle diese Doppelresultate passieren, wenn man gerade ein neues professionelles Level erreicht hat. Sie sind wohl dazu da, einen zu ermutigen, aufs nächste Ziel hinzuarbeiten. Ist Euch das noch nie passiert?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste.“

„Kommt schon noch“, versicherte sie mir. „Das ist immer so.“

Das bezweifelte ich. Trotzdem war es nett von ihr. „Und wie viele dieser Doppelresultate hat es gebraucht?“, fragte ich mit listigem Lächeln.

„Also das, mein Herr, gehört sich aber gar nicht“, antwortete sie ihrerseits listig grinsend. „Im Ernst. Ich gebe Euch einen kostenlosen Rat: Kein Meister, der etwas auf sich hält, würde so eine Frage gut aufnehmen.“

„Okay, okay.“ Ich warf die Hände in die Luft. „Tut mir leid!“

Sie lachte leise. „In Eurem Niemandsland habt Ihr wohl vergessen, wie man sich in Gesellschaft benimmt. Egal. Seht Euch die anderen an.“

Sie deutete mit dem Finger auf eins der anderen kegelförmigen Geschosse. Dieses schien aus indigofarbenem Eis gegossen zu sein, und war rund um die Oberfläche mit derselben Runenschrift verziert.

„Kalt, was?“, kommentierte sie, als sie bemerkte, wie ich mich auf meine Sinneswahrnehmungen konzentrierte.

Ich nickte und studierte die Werte:

Name: Eisdorn (verzaubertes Geschoss)

Kategorie: Episch

Waffentyp: Munition

Level: über 150

Einschränkung: nur Ennan-Rasse

Abklingzeit: 7 Sek.

Schaden: +100

Besondere Effekte:

Verlangsamt den Feind um 100 %. Dauer: 3 Sek.

Haltbarkeit: einmalige Verwendung

Und schließlich das Letzte. Dieses war trüb purpurn gefärbt und fühlte sich klebrig an.

Name: Zahn einer Dreiecksnatter (verzaubertes Geschoss)

Kategorie: Episch

Waffentyp: Munition

Level: über 150

Einschränkung: nur Ennan-Rasse

Abklingzeit: 8 Sek.

Schaden: +100

Besondere Effekte:

Vergiftet den Feind mit dem Gift einer Dreiecksnatter. Dauer: 3 Sek.

Schaden: 350 Lebenspunkte pro Sekunde

Haltbarkeit: einmalige Verwendung

Ich hörte auf zu lesen und blickte zu Lara auf. Stumm und mit gekreuzten Armen beobachtete sie meine Reaktion. Ihrem zufriedenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen war sie glücklich über die erzielte Wirkung.

Na dann. Ich würde sie noch zufriedener machen.

Mit einer flüssigen Bewegung zog ich eine weitere Handvoll purpurner Steine hervor und sagte lächelnd:

„Meint Ihr, Ihr könntet mir noch mehr machen?“

Kapitel 3

IN GEWOHNTER WEISE SCHWANG Boris in die Lüfte auf. Im Licht des riesigen Mondes schimmerte sein Federkleid silbern. Jeder seiner mächtigen Flügelschläge brachte uns näher an die Grenzen des Niemandslands.

Wie lange war ich fort gewesen? Knapp über einen Monat? Mir kam es vor, als wären es Jahre gewesen, auch wenn meine Offline-Pause in Gesellschaft meiner Mädchen wie ein einziger Tag verflogen war.

Jetzt war ich wieder allein.

Die altbekannte, knallrote Warnung, dass ich die Grenze zum Niemandsland überschritt, ploppte vor meinen Augen auf und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf die Karte. Ich war neugierig, wie sich das Zwielichtschloss unter Kontrolle der Allianz des Lichts entwickelte... oder war es bereits in den Händen der dunklen Clans?

Würden die neuen Eigentümer des Schlosses mit dem verrückten Gespenst auskommen? Der Abwesenheit von Neuigkeiten nach zu urteilen war der Obelisk noch nicht aktiviert worden. Worauf warteten die bloß?

Die Ennan-Stadt war etwa vierzig Minuten Luftlinie entfernt. Boris knurrte zufrieden, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ein Reittier auf über Level 300 war nicht zu verachten! Lächelnd tätschelte ich ihm den breiten, gepanzerten Rücken.

„Braver Junge!“

Die nächsten paar Minuten beschäftigte ich mich damit, mein gepanzertes Vögelchen zu tätscheln und zu kraulen. Ich hatte ihn so vermisst. Schließlich beendete ich die Streichelei. Zeit, mir meine neue Vorrichtung mal näher anzusehen — oder sollte ich sagen, meine verjüngte Vorrichtung? Wie auch immer. Also mal sehen!

Die an meinem Unterarm befestigte, skorpionartige Waffe sah ungewöhnlich aus. Andererseits konnte ich mich wohl kaum beschweren. Sie war definitiv eine Verbesserung im Vergleich zu meinem alten Katapult.

Ich schüttelte den Arm und bewegte ihn hin und her. Fühlte sich ganz okay an. Sie saß sogar ziemlich gut. Überhaupt nicht unbequem. Mein neues Spielzeug war praktisch federleicht.

Ich verschob die Arbalest mental in meine Tasche und holte sie dann wieder hervor. Es funktionierte. Und noch besser, es führte nicht zu der gewöhnlich unvermeidlichen Bestätigungsnachricht. Ganz einfach.

Ich streckte den rechten Arm nach vorn aus und zielte versuchsweise. Sofort erschien ein rundes Feld vor meinen Augen: das virtuelle Visier, komplett mit Fadenkreuz.

Sobald ich den Arm senkte, verschwand auch das Feld.

Wie cool war das denn? Warum hatte mir Lara nichts davon gesagt? Andererseits, woher hätte sie es wissen sollen? Die Waffe war nicht übertragbar und für mich maßgeschneidert.

Ich streckte den Arm wieder aus und zielte auf den schneebedeckten Gipfel eines grauen Bergs, der in der Ferne aufragte. Das Visier erwachte zum Leben und zoomten leicht auf die Bergspitze ein. Unter dem Fadenkreuz erschien eine neue Meldung:

Entfernung zum Ziel: unbekannt

Warnung! Maximale Reichweite: 100 Meter

Dagegen konnte man nichts sagen. Werte waren Werte. Trotzdem, allein die Existenz des Visiers legte nahe, dass in Zukunft vielleicht sogar noch eine größere Steigerung möglich war. Was sehr gute Neuigkeiten waren.

Auf der Suche nach einem passenderen Ziel bewegte ich meinen Arm, aber wie zu erwarten fand ich keins außer den Wolken über mir, die sich das System schlicht als potenziell zu exterminierenden Feind hervorzuheben weigerte. Egal, üben konnte ich auch später. Wenn ich erst wieder auf festem Boden war, würde es genug Ziele geben.

Dann mal die Geschosse inspizieren.

Neben den drei bereits erwähnten Top-Sorten hatte ich Lara auch noch gebeten, mir 400 reguläre anzufertigen.

Name: Gewöhnliches Geschoss

Kategorie: Selten

Waffentyp: Munition

Level: über 150

Einschränkung: nur Ennan-Rasse

Abklingzeit: 1 Sek.

Schaden: +70

Haltbarkeit: einmalige Verwendung

Lara hatte mich gewarnt, keine Dummheiten zu machen, insbesondere keine Runen darauf anzubringen. Alle Geschosse waren für die einmalige Verwendung, also würde jeder Versuch, sie zu modifizieren, sie schlicht zerstören. Schade.

Also, was kam als Nächstes? Laut der Beschreibung der Arbalest konnte sie 15 Projektile aufnehmen. War das gesamte Magazin verschossen, folgten 15 Sekunden Abklingzeit. Was nicht ungewöhnlich war. Danach konnte man sich wieder in den Kampf stürzen.

Okay, so weit, so gut. Dann laden wir mal das Magazin.

Warnung! Wir haben 4 Typen von Projektilen gefunden, die in die Magische Arbalest passen!

Möchten Sie sie mit den Geschossen eines Typs laden?

Oder möchten Sie mit Projektilen verschiedenen Typs eine bestimmte Serie erstellen?

Eine Serie, oh. Mal überlegen. Am logischsten wäre es wahrscheinlich, mit einem Eisgeschoss zu starten, das meinen Feind um 100 % verlangsamte. Es hatte eine Abklingzeit von 7 Sekunden. Dem konnte ich einen Schmetterer mit einer Abklingzeit von zehn Sekunden folgen lassen, und darauf Nummer drei: einen giftigen Debuff mit acht Sekunden Abklingzeit. Bis dahin wäre der Verlangsamungseffekt des ersten abgelaufen.

Ich fügte vier gewöhnliche Geschosse hinzu — insgesamt sieben Sekunden — danach einen weiteren Eisdorn und noch zwei Gewöhnliche. Schuss Nummer elf würde ein weiterer Zahn einer Dreiecksnatter sein, gefolgt von einem weiteren Schmetterer und noch zwei Gewöhnlichen. Zum Abschluss der Serie legte ich einen letzten Eisdorn ein, der den Feind noch drei Sekunden lang ausbremsen würde. Nach einer 15-sekündigen Abklingzeit wäre meine Waffe dann bereit für das nächste Magazin.

Möchten Sie die bestehende Serie speichern?

Ja/Nein

Oh ja, bitte.

Ich stellte noch einige Magazine zusammen und machte noch ein paar Geschosse jeden Typs. So weit, so gut.

Wie war das mit dem Abfeuern von einzelnen Geschossen?

Offenbar war es den Devs zu mühsam, sich etwas Originelles einfallen zu lassen, also hatten sie einfach das Zauberspruch-Interface kopiert, das von Magiern verwendet wurde. Vier neue Symbole, die meine neuen Projektile darstellten, erschienen unter dem Fadenkreuz. Das Blassblaue stand für den Eisdorn, das in Dunkellila für den Schmetterer, das ätzend Grüne stellte den Zahn der Dreiecksnatter dar, und das Graue gewöhnliche Geschosse. Die hervorgehobenen Ziffern in der Ecke jedes Symbols standen für die Anzahl der verfügbaren Geschosse.

Ich übte, zwischen ihnen hin und her zu wechseln. Es funktionierte. Man brauchte ein gewisses Geschick, aber mit der Zeit, da war ich mir sicher, würde ich den Dreh schon rauskriegen.

Das war alles, was die Arbalest und ihre Einstellungen anging. Die Feinheiten würde ich mir in der Praxis aneignen müssen — und Üben war, wie meine Tochter Christa es ausgedrückt hätte, in meiner Situation der „springende Punkt“.

Jetzt zum Gürtel.

Name: Kampfgürtel „Schwingen des Todes“.

Kategorie: Legendär

Art: Rüstung

Level: über 50

Einschränkung: nur Ennan-Rasse

Effekt: +170 Stärkepunkte

Effekt: +10 Schutzpunkte

Effekt: +270 Ausdauerpunkte

Effekt: +170 Vitalitätspunkte

Warnung! Dieser Gegenstand ist nicht übertragbar!

Was für eine seltsame Sammlung an Effekten. Spannend, was der purpurne Gürtel in Kombination mit der roten Schnalle bewirkte. Doch das System hatte den Gegenstand als Teil eines legendären Rüstungssets erkannt. Auch seine Werte waren gestiegen, was nicht zu verachten war.

Laut Lara war der Gürtel noch modifizierbar — vorausgesetzt, die Änderung wurde von einem Gerber bzw. Klingenschmied auf Experten-Level vorgenommen. Außerdem brauchte man ein paar entsprechende Ressourcen. Mit anderen Worten, für einen vollständig roten Gürtel würde ich geduldig sein müssen.

Nicht, dass das eine Rolle spielte. Das Wichtigste war, dass ich ihn bereits trug, komplett mit Schnalle. Dass die Schnalle in meinem Inventar nutzlos Platz eingenommen hatte, hatte mich schon ziemlich genervt, vor allem, da ihre Klasse-Werte mich die ganze Zeit angelacht hatten.

* * *

Warnung! Sie nähern sich dem Zwielichtschloss!

„Wir sind da, mein Junge“, flüsterte ich Boris ins Ohr. „Du kannst jetzt runtergehen. Aber keine Hektik. Wir haben es absolut nicht eilig.“

Das fügte ich hinzu, weil ich keine Ahnung hatte, wer sich dort unten rumtreiben konnte. Direkt auf irgendeinem Scharfschützen zu landen, war das Letzte, was wir brauchten.

Meinem Befehl gehorchend tauchte Boris in die dicke Wolkendecke hinab. Ein paar Augenblicke später schwebten wir bereits über dem Berg, der einst Heimat der verbotenen Ennan-Stadt gewesen war.

Bei dem Anblick unter mir lief es mir kalt den Rücken hinunter. Was zur Hölle war hier passiert?!

Das gesamte Tal am Fuß des Berges sah aus wie ein riesiges Schlachtfeld. Es machte den Eindruck, dass dort ein Flächenbombardement mit jeder nur erdenklichen Waffe unter der Sonne stattgefunden hatte. Das Tal war von Granattrichtern durchzogen und zeigte Spuren von schwerem magischen Schaden. An manchen Stellen stieg Rauch aus Haufen von zu Glas geschmolzenen Steinen auf, und einige Krater waren mit schwarzem Schleim gefüllt, der sehr, sehr giftig aussah.

Oh. Wäre meine Truppe jetzt hier, wäre es zweifelhaft, ob wir überhaupt nah an die Stadt herankommen könnten. Wo man sich auch hinwandte, man lief unvermeidlich in eine unangenehme Überraschung hinein. Man konnte sagen, was man wollte, aber sich von diesem Ort fernzuhalten, war die richtige Entscheidung gewesen.

Oh ja. Alle nocteanischen Horden waren nichts im Vergleich zu dem, was die Spielerclans mit dem Ort angestellt hatten.

Bei dem Gedanken gefror mir das Blut in den Adern. Früher oder später mussten sie die Silberberge erreichen. Es war Zeit, dass ich mich um die Verteidigungen der Calteaner kümmerte. Die menschlichen Spieler schienen ruckzuck voranzukommen.

Während wir über den Ruinen der Stadt kreisten, die jetzt mehr wie ein Stück Schweizer Käse aussah, versuchte ich krampfhaft, auszumachen, was von unseren Befestigungen übrig war... aber nichts da! Alles um uns herum hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert.

Seltsamerweise hatte ich bisher noch keinen einzigen Spieler entdeckt. Konnte es sein, dass sie sich unter der Erde versteckten? Ich hatte nicht den Wunsch, es herauszufinden.

Trotzdem fehlte mir noch die Antwort auf meine Hauptfrage: Warum hatten sie den Zwielichtobelisken noch nicht aktiviert?

Hatten sie nicht genug Energie dafür? Unsinn. Selbst eine Million Energiepunkte aufzubringen wäre für eine Gruppe Clans kein Problem gewesen.

Vielleicht gab es irgendeine Systemeinschränkung? Zweifelhaft. Die Devs hatten eindeutig gesagt, dass ich nicht mehr der Hüter dieses Ortes war. Sie mussten ein Schlupfloch eingebaut haben, um die Beschränkung auf eine Rasse zu umgehen.

Was konnte es dann sein? Es lag mir auf der Zunge, aber ich konnte es nicht benennen. Egal. Ich hatte noch genug Zeit, darüber nachzudenken.

„In Ordnung, Kleiner. Ab nach Hause.“

* * *

Als ich mich dem Silberbergtal näherte, spürte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Die neue Heimat der Calteaner. Genau wie das Gebiet um das Zwielichtschloss zuvor war der Ort völlig verlassen. Keine Menschenseele zu sehen. Was zum Teufel ging hier vor sich?

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Boris, der meine Nervosität spürte, flog schneller.

Ich atmete auf, als ich endlich die ersten Häuser erkennen konnte. Gott sei Dank! Alles war intakt. Keine Spur der entsetzlichen Verwüstung des Zwielichtschloss-Tals. Das hieß, die Spieler waren noch nicht bis hierher vorgedrungen. Ein gutes Zeichen.

Und offenbar hatten die Calteaner ihre Zeit gut genutzt. So viele Häuser waren bereits renoviert. Aber... warum schienen alle Dächer beschädigt zu sein? Es war, als wäre ein Riese aus großer Höhe darauf herumgehüpft und durch Strohdächer und Tonziegel gebrochen. Was war das denn jetzt wieder?

Verzweifelt wandte ich den Kopf hierhin und dorthin und versuchte, am Boden vertraute Gestalten zu entdecken. Wo waren sie nur alle?

Halt! Ich schlug mir an die Stirn. Was für ein Idiot war ich doch! Die Pause vom Spiel hatte mir nicht gut getan.

Eilig öffnete ich das Menü und ging zum Clans-Tab der Roten Eulen.

Info: Der Clan der Roten Eulen zählt derzeit 2.864 Nichtspielercharaktere:

Krieger: 850

Militärtechniker: 50

Helden: 4

Großschamane: 1

Schamanen: 5

Schamanenlehrlinge: 20

Zivilisten: 1934

Was für eine Erleichterung. Dem Himmel sei Dank, sie waren am Leben! Nur... wo steckten sie?

Der langgezogene Ton eines Horns ließ mich herumfahren. Eine winzige Gestalt stand auf einem der Wachtürme und winkte mir zu.

Boris schwenkte geschmeidig um und trug mich zu ihr. Endlich!

Wer war das? Konnte das Lavena die Füchsin sein? Genau! Sie war ganz schön weit aufgestiegen: schon auf Level 377!

Ich winkte zurück — doch sie ignorierte meinen Gruß. Stattdessen hob sie den Bogen und zielte direkt auf mich.

Was zum Henker? Ich hatte meine Reputation beim Clan gerade überprüft, sie war auf maximalem Niveau. Folglich konnte sie mich gar nicht angreifen. War das ein Bug im Spiel?

Über mir erklang ein ohrenbetäubendes Kreischen, das mich zum Aufblicken zwang.

Jetzt verstand ich. Die leere Siedlung, die verwüsteten Dächer, Lavenas auf „mich“ gerichteter Pfeil. Nicht auf mich, sondern auf einen fliegenden Mob, den es neuerdings im Spiel gab.

Mit einem widerwärtigen Kreischen stieß das Monster auf mich herab. Wenn ich es überhaupt mit etwas vergleichen konnte, würde ich sagen, es sah aus wie ein Velociraptor, der anstelle seiner Vorderbeine mit einem Paar breiter, ledriger Schwingen ausgestattet war. Seine Haut war grau und schuppig. Entlang seines Rückens verlief vom Kopf bis zur Spitze seines langen Schwanzes ein knochiger Kamm. Seine breiten Kiefer waren von drei Reihen rasiermesserscharfer Zähne besetzt.

Prompt informierte mich das System, dass ich von einem Wyvern auf Level 390 angegriffen wurde.

Während ich das alles aufzunehmen versuchte, zischte Lavenas schwarzer Pfeil über mich hinweg und bohrte sich in die rechte Schulter des Monsters. Das wutentbrannte Kreischen des verwundeten Tieres riss mich aus meiner Erstarrung und zwang mich zum Handeln.

„Boris, scharf rechts! Wir müssen es bewegungsunfähig machen!“

Mein fliegendes Reittier tat, wie ihm geheißen, und deckte das Gebiet mit seinem lähmenden Triumphschrei zu.

Der Wyvern ignorierte den in seiner Schulter steckenden Pfeil und versuchte, Boris‘ Manöver nachzuahmen, nur um in seinen Betäubungs-Buff hineinzufliegen. Wie ein Stein trudelte der graue Körper des gelähmten Monsters an uns vorbei auf den Boden zu. Es krachte wie ein aus großer Höhe fallengelassener Baumstamm nicht weit von der Palisade entfernt in den Boden und wirbelte Staubwolken, Steine und Erdbrocken auf.

Eilig informierte mich das System, dass das Monster nur noch über weniger als 50 % Leben verfügte. Nicht schlecht für einen Sturz. Der Betäubungseffekt würde noch etwa zehn Sekunden anhalten.

Ich wollte Boris eben anweisen, tiefer zu gehen, um es vollends zu erledigen — aber nein, es war zu spät. Sie brauchten meine Hilfe nicht. Ich grinste glücklich, als meine Calteaner-Krieger wie ein Ameisenschwarm aus den Häusern strömten. Innerhalb von Sekunden war der Körper des Wyverns mit Speeren, Schwertern und Äxten gespickt.

Angriff eines Wyverns (390): Kampf beendet!

Ich bekam keine EP, aber das war meine eigene Schuld. Ich hätte schneller denken und wenigstens einmal auf ihn feuern sollen. Was für eine Schande.

Ein weiteres, kreischendes Geräusch setzte meiner Selbstbemitleidung ein Ende, gefolgt vom bereits bekannten Flattern ledriger Schwingen. Leicht links davon erklang ein weiteres Kreischen.

Und noch eines. Und noch ein weiteres. Insgesamt zählte ich 15 Monster!

Oh, wow. Das war erst der Anfang gewesen.

Eine Wolke aus Pfeilen stieg in die Luft auf, um der Reptilienschwadron zu begegnen. Überraschenderweise richteten sie nicht allzu viel Schaden bei den Monstern an, deren schnelle Flügelschläge eine starke Luftströmung erzeugten, welche die Pfeile ablenkte.

Warum nutzten sie nicht die Glevenwerfer? Und was war mit den Brocks? Eine Salve der Steinmörser wäre jetzt sehr praktisch gewesen. Doch ich glaubte, den Grund für ihr Stillstehen zu kennen: Unseren Technikern musste die Energie ausgegangen sein. Das war der Preis, den wir dafür hatten zahlen müssen, die Calteaner einen Monat lang allein zu lassen.

Während die Wyverns damit beschäftigt waren, den Pfeilen auszuweichen, trieb ich Boris in Richtung des Wachturms an, wo Lavena die Füchsin eifrig gestikulierte.

Als Boris einen Kreis um den Turm einschlug, konnte ich Lavenas glückliches Gesicht erkennen. „Hallo, Füchsin!“

„Wo habt Ihr denn so lange gesteckt?“ rief sie zurück.

„Ich hatte zu tun!“, antwortete ich mit einem hintergründigen Augenzwinkern. „Lust auf einen Flug?“

Auf ihrem Gesicht breitete sich ein raubtierhaftes Grinsen aus. Wäre ich ein Wyvern gewesen, hätte mir ihr Gesichtsausdruck gar nicht gefallen.

Mit einem weiten Satz nahm die Kriegerin ihren Platz hinter mir ein. „Ich bin bereit!“

„Na dann los!“

Mit einem einzigen, starken Flügelschlag stieg Boris in die Höhe. Zwei der Wyverns bemerkten uns und stießen fröhlich kreischend auf uns herab, wobei sie sich gegenseitig zu überholen versuchten.

Ich streckte den rechten Arm mit der daran befestigten Arbalest aus. Sobald ich das nächste Monster im Fadenkreuz hatte, blinkte der Umriss der Kreatur grün.

Entfernung zum Ziel: 80 Meter

Ausgezeichnet. Mein neues Gerät feuerte nahezu geräuschlos, etwa so wie ein Luftgewehr. Die ersten drei Geschosse versenkten sich fast gleichzeitig in der Brust des Monsters — aber das Schwerste von ihnen, der Schmetterer, traf sein Ziel als letztes und verursachte den größten Schaden.

Der Wyvern schien in eine unsichtbare Wand zu fliegen. Unbeholfen flatterte er mit den Flügeln und verlor an Höhe, als der dreisekündige Verlangsamungseffekt zu wirken begann. Sein Gekreische verwandelte sich in kehliges Schnattern.

Fröhlich meldete mir das System den zugefügten Schaden.

Der andere Wyvern ignorierte seinen verwundeten Freund und war immer noch begierig darauf, sich ins Gefecht zu stürzen.

Entfernung zum Ziel: 60 Meter