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An einem Tag wie jeder andere E-Book

Joseph Hayes

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Beschreibung

An einem Tag wie jeder andere wird die Familie Hilliard plötzlich, mitten in ihrem bürgerlichen normalen Leben, vor Entscheidungen von tödlichem Ernst gestellt. Drei entsprungene Sträflinge dringen in die friedliche Villa, um sich dort vor ihren Verfolgern zu verbergen, und zwingen Vater, Mutter, Tochter und den kleinen Sohn, ihr Leben so weiterzuführen, als sei nichts geschehen. Zwar geht es äußerlich weiter wie an jedem anderen Tag, doch hat sich die Welt für die Betroffenen in grausamer Weise verändert ... Dieses Geiseldrama – erfolgreich verfilmt mit Humphrey Bogart – gehört zu den aufregendsten Büchern des Thriller-Spezialisten Joseph Hayes. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 377

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Joseph Hayes

An einem Tag wie jeder andere

Roman

Aus dem Amerikanischen von Maria von Schweinitz

FISCHER Digital

Inhalt

1234567

1

Sie tauchten aus den Wäldern auf, als der Morgen graute. Die Dämmerung war kalt und feucht, der Nebel stieg wolkig aus den Feldern. Sie waren zu dritt, ihre Anstaltskleidung verschmolz mit dem gelblichen Herbstgrün. Sie hielten nur kurz an und musterten prüfend die Straße, die flach über dem flachen Land des Mittelwestens lag. Der eine gab ein Zeichen – es war der große, schlanke, jung aussehende Mann, der den anderen beiden ein wenig voranschritt, den Kopf geneigt und die Schultern trotzig und fast triumphierend zurückgeworfen; sie begäben sich rasch, doch ohne zu laufen, hinter eine Schutzwand aus Bäumen und Unterholz, die in gleicher Richtung mit der Straße verlief. In sehr kurzer Zeit, ehe noch ein Lebewesen auf der Straße erschien, erreichten sie eine Farm. In der Nähe der Ställe trennte sich der eine von den beiden anderen, ein schmächtiger junger Mann, noch jünger als der Hochgewachsene, aber ohne dessen sicheres Auftreten; er ging schnell zu der neuen grauen Limousine, die dort geparkt war, hob die Haube und begann an den Kabeln zu hantieren. Die beiden anderen begaben sich rasch und geräuschlos in den Stall. Hier stießen sie auf einen Farmer, einen etwa vierzigjährigen Mann im grauen Overall, der mit Eimer und Melkschemel gerade von einer Kuh zur anderen ging. Der kleinere der beiden, nicht mehr jung, aber stämmig, mit dem schwerfälligen vornübergebeugten Gang eines Bären, hob den Schaft einer Axt auf und ging über den strohbedeckten Zementboden. Ehe der erschrockene Farmer einen Schrei ausstoßen konnte, fuhren die gewaltigen Arme plötzlich hoch, es gab einen häßlichen Laut, und der Farmer fiel der Länge nach nieder. Dann hob der Schwerfällige nochmals den Schaft, aber der Lange hinderte ihn mit einer kurzen herrischen Geste, wie vorher auf der Landstraße. Er kniete neben dem Bewußtlosen, aber noch atmenden Farmer nieder und streifte ihm den Overall ab.

Dann verließen sie den Stall und gingen zu dem jungen Burschen, der jetzt hinter dem Steuer des Wagens saß. Der Motor summte. Der Wagen glitt unbemerkt aus dem Farmhof, drehte nach Süden ab und verlor sich im dünner werdenden Nebel.

Dies alles vollzog sich mit einem Mindestmaß von Anstrengung, ohne eine unnötige Bewegung, denkbar präzis und automatisch.

 

Eine knappe halbe Stunde später erreichte die Nachricht von diesem Ereignis die Stadt Indianapolis, zweiundsiebzig Meilen weiter östlich. Fast unmittelbar darauf läutete das Telefon im Schlafzimmer eines kleinen, gepflegten Hauses in einer der neueren, aber anspruchslosen Vorstädte nordwestlich der Stadt.

Ein sehniger junger Mann im grüngestreiften Flanellpyjama drehte sich gähnend im Bett und faßte mit knappem Griff über seine schlafende Frau hin nach dem Telefon. Er sprach kurz und horchte dann ebenso kurz. »Ich komme gleich«, sagte er. Nun ganz wach geworden, legte er den Hörer auf und wendete sich zu der Frau im Bett. Sie hatte die Augen geöffnet, schnitt eine Fratze und streckte sich mit übertriebener Geste von Wohlbehagen und Zufriedenheit, um die Unruhe zu verbergen, die sie bei solchen Telefonanrufen immer empfand. Sie setzte sich auf und sah zu, wie ihr Mann in seinen dunklen Anzug stieg. Er war ungewöhnlich groß, etwa Anfang dreißig, mit auffallend dünnen Armen und Beinen, die nichts von den eisenharten Muskeln verrieten, die unter der Oberfläche lagen. Er redete, während er sich anzog. Er sprach lakonisch in seinem gedehnten Tonfall; aber an dem unwirschen Klang seiner Stimme spürte sie die Erregung, die er zu unterdrücken versuchte.

»Glenn Griffin, sein jüngerer Bruder und ein anderer Sträfling, ein Lebenslänglicher namens Robish«, sagte Jesse Webb. »Vor knapp einer Stunde. Aus dem Staatsgefängnis in Terre Haute.« Er befestigte seinen Revolver, gab dem Schulterriemen einen raschen Klaps, zog dann sein Jackett an, schlug es mit einer automatischen Bewegung zurück, so daß sein Polizei-Abzeichen einen Augenblick sichtbar wurde, ein matter Schimmer in der Dunkelheit. »Rasieren lasse ich mich in der Stadt, Kathie.«

»Und essen wirst du auch«, ermahnte sie ihn; mit breitem, jungenhaftem Grinsen wandte er sich zum Bett. »Ich muß wohl, Kathleen Webb«, sagte er, »wenn du es willst!«

Doch schon beim Sprechen wurde sein Lächeln unsicher und erlosch; er bückte sich rasch, küßte sie und wollte zur Tür.

Ihre Stimme hielt ihn fest. »Ist Glenn Griffin nicht der, den du –«. Sie brach ab, als er in der Tür stehenblieb.

»Ja, der«, sagte er. »Er hat zwölf Jahre bekommen. Ich hoffe, er nimmt direkten Kurs auf seine alte Heimatstadt.« Er rieb, wie es seine Gewohnheit war, den Rücken seiner schmalen, mageren, geschickten Hand, und Kathleen erhob sich vom Bett.

Sie ging mit ihm bis zur Haustür. »Aber wäre das nicht das letzte, was er tun würde?« fragte sie vernünftig, um ihn nicht merken zu lassen, daß sich ihr Herz dabei zusammenzog.

Jesse Webb vom Polizeirevier des Bezirks Marion mußte die ganze Woche seinen Vorgesetzten, Sheriff Masters, vertreten, der nach South-Carolina gefahren war, wo er die Gelegenheit einer Sträflingsauslieferung zu einem Jagdausflug benutzte. Jesse wandte sich in der Haustür nochmals zu seiner Frau und erklärte ihr, warum er glaube oder hoffe, daß Glenn Griffin nach Indianapolis käme. Zunächst einmal, sagte er, muß man mit dem Nestinstinkt des Verbrechers rechnen: seine Heimatstadt – selbst wenn sein Gesicht dort bekannt ist – gibt ihm die Illusion der Sicherheit. Er glaubt immer zu wissen, wo er sich verbergen kann, obwohl heute all solche Schlupflöcher bei Einbruch der Dunkelheit um und um gekrempelt werden. Dann lebt aber auch eine Frau da, Helen Lamar; sie ist mindestens fünfunddreißig, zehn Jahre älter als Glenn Griffin, aber wichtig für ihn. Und Jesse vermutete stark, daß sie das Geld hatte.

»Immer ist eine Frau dabei«, sagte Kathleen; nur zögernd ließ sie den schlanken Arm los, in dem die strammen Muskeln spielten.

»Nicht immer, aber wenn eine dabei ist, hilft es uns. Wenn sie noch hier in Indianapolis weilt, wette ich zwei zu eins, daß sie der Lockvogel ist, der uns direkt zu diesen drei –.« Er biß sich auf die Zunge, weil Kathleen den ›Polizeijargon‹, wie sie es nannte, nicht leiden konnte. Er brach ab, faßte ihr Kinn mit seiner Hand, küßte noch einmal ihre schlafwarmen Lippen, und schritt dann zu dem Wagen, der im Torweg geparkt war; er stellte sich beinahe bewußt auf die unvermeidlichen Worte ein, die von der Tür zu ihm kommen mußten.

Sie kamen – ihr Klang schwebte in der frostigen, scharfen Luft: »Viel Glück, Liebling!«

Er winkte, ohne zu lächeln, mit einer Hand, und fuhr mit der anderen den Wagen des Sheriffs rückwärts in die Straße. In diesem Augenblick kreuzte die graue Limousine durch das Farmland, das hügelig zu werden begann. Glenn Griffin, der den verschossenen blauen Overall trug, war am Steuer. Der ältere Mann saß neben ihm, sein ungeheurer massiger Kopf war zwischen die ständig hochgezogenen Schultern gesunken, so daß er fast ein Teil seines schwerfälligen Körpers zu sein schien. Der Jüngere, Glenns Bruder, lag ausgestreckt, mit tief gesenktem Kopf und geschlossenen Augen auf dem hinteren Sitz.

Aber Hank Griffin schlief nicht. Er erinnerte sich: wie sie langsam, platt an den Boden gedrückt, in der Dunkelheit über die hundert Meter lange Strecke gekrochen waren, hinter sich die Mauern und die Schießtürme; wie sie Hals über Kopf, keiner Hindernisse achtend, zu dritt durch die verhältnismäßige Sicherheit der dunklen Wälder gestürmt waren. Seine Brust war gepeitscht und zerkratzt, sein Hemd vorn zerrissen und leicht mit Blut verkrustet. Über seine Stirn lief ein tiefer Riß, der zu pochen anfing. Das Schlimmste aber war, daß ihn der Schüttelfrost packte. Jetzt, da sie außer Hörweite kreischender Sirenen waren, die beharrlich, schrill und schauerlich an die hohen Mauern gellten, konnte er sich ihren Ton so genau vorstellen, als ob er ihn tatsächlich hörte. Sein ziemlich kurzer, straffer und sehr jugendlicher Körper bebte unter den Krämpfen, die ihm durch Mark und Muskeln krochen, und er konnte nichts anderes dagegen tun, als mit zusammengebissenen Zähnen dazuliegen und zuzuhören, was Glenn und Robish auf dem Vordersitz sprachen.

»Du fährst nach Süden«, beklagte sich Robish mit schwerer, aber zänkischer Stimme. »Indianapolis liegt nordöstlich.«

»Ich fahre jetzt nach Südosten«, sagte Glenn Griffin leichthin, und die Worte hüpften und flackerten in seinem Lachen, das jetzt jedes Wort färbte und den Wagen mit einem frohen Triumph füllte, der warm über Hank hinwehte.

»Hast du nicht gesagt, die Lamar ist in Indianapolis? Mit dem Zaster.«

»Sie ist letzte Woche weggezogen. Nach Pittsburgh. Wenn man sie in Indianapolis nicht findet, ist ihnen der Wind aus den Segeln genommen. Und man wird sie nicht finden.«

»Ja, wo zum Teufel fahren wir dann hin?«

»Indianapolis«, sagte Glenn ruhig, den Mann neben sich verspottend, und in seiner Stimme schwang noch das Lachen. »Du weißt ja, daß ich dort noch was zu begleichen habe, oder? Aber wir dürfen nicht von Westen aus ’ner Straßenkontrolle in die Arme rennen, Freundchen. Wir schlagen einen Bogen um die ganze Stadt und kommen irgendwann heute nachmittag von Nordosten.«

»Und was dann?«

»Na, dann suchen wir uns ein gemütliches Nest. Und dann setz’ ich mich mit Helen in Verbindung.«

»Gemütliches Nest? Wo denn?«

»Wo du willst. Nur kein Schlupfwinkel, verstehst du? Sie werden alle bewacht. Und auch kein Hotel. Wir suchen uns ’n nettes ruhiges Haus, in ’ner netten ruhigen Straße – sagen wir am Stadtrand. Keine andern Häuser dicht daneben. Nehmen wir ruhig ein großes Haus, mit weichen Polstermöbeln. Gut bürgerliche, ängstliche Leute, ein Spießer, der jeden Tag brav zur Arbeit geht – möglichst mit ’m Kind in der Familie. ’Ne Bleibe, wo wir den Anstaltsfraß vergessen.«

»Und was dann?«

»Na, dann warten wir.«

»Wie lange?«

»Bis Helen von Pittsburgh da ist. Nun halt die Klappe, Robish – laß einen doch die Freiheit in Ruhe genießen.«

Hank hörte auf seinem Rücksitz Robish unterdrückt fluchen. Alles was recht war – das mußte man Glenn lassen, er konnte mit Robish fertig werden! Robish hatte zuerst gemurrt, sie sollten die Anstaltskluft in den Graben schmeißen; Glenn wollte nichts davon hören. Er würde ihnen schon Anzüge verschaffen, wenn sie welche brauchten – anständige Anzüge. Inzwischen müßten sie sich eben ducken. Und dann hatte Robish gemeckert, er hätte kein Schießeisen und käme sich einfach wehrlos vor; wenn sie nun geradewegs in ’ne Straßenkontrolle reinfuhren? Das kommt gar nicht in Frage, hatte Glenn gesagt, weil nämlich kein Mensch an diese Nebenstraßen dachte. Und wegen des Revolvers konnten sie sich’s nicht leisten ein Ding zu drehen und sich dabei zu verraten; außerdem hatte Glenn doch den 38er, den er dem Wärter abgenommen hatte, der jetzt mit einer Beule am Kopf – wenn nicht mit etwas Schlimmerem im Gefängnislazarett lag. Reg’ dich ab, Robish, freue dich lieber.

Aber Hank beruhigte sich nicht. Er schickte seine Gedanken voraus. Und er malte sich ein Haus aus, wie Glenn es beschrieben hatte. Nach dem Zuschnappen des Schlosses, dem glatten mechanischen Laut der sich schließenden Zellentüren, der harten Unnachgiebigkeit der Zementböden und Stahlpritschen stellte er sich vor, daß er wieder in einem weichen, tiefen Sessel sitzen würde, die Füße in einen langhaarigen Teppich gebettet, umgeben von der Wärme und Gemütlichkeit gewöhnlicher Wohnzimmerwände mit gerahmten Bildern. Bis jetzt hatte sogar die frische kalte Luft, die durch die geschlossenen Fenster der Limousine drang, nicht jene tiefen Täler der Erinnerung erreicht, wo der scharfe, nach Eisen schmeckende Geruch der beiden letzten Jahre noch festsaß wie der stechende Gestank eines Sumpfes. Aber in so einem Haus, sagte er sich …

 

Die Hilliards hatten ihr Haus am Kessler Boulevard gekauft, weil es viel geräumiger war als die neuen Häuser, die für etwas weniger Geld zu haben waren. Es war den höheren Preis wert, es lag recht günstig zu den Geschäftsvierteln, hatte gute Autobusverbindungen – und war trotzdem weit genug entfernt von anderen Häusern, um der Familie ein Gefühl des Fürsichseins zu geben. Es lag nur zehn Straßenzüge vom Stadtinnern entfernt und kostete weniger Steuern. In den acht Jahren, seit die Hilliards das Haus bewohnten, hatten sie, ohne daß einer von ihnen es recht merkte, jeden Winkel, jede Treppenstufe, jeden Dachziegel liebgewonnen. Es mußte freilich im Frühjahr dringend frisch gestrichen werden, und die Möbel, die Dan neu gekauft hatte, als er nach dem Kriege aus der Marine entlassen war, zeigten immerhin geringfügige Spuren der Abnutzung durch die zwei heranwachsenden Kinder. Cindy, gerade neunzehn, fand, sie müßten die Wohnzimmereinrichtung so bald wie möglich erneuern, aber ihre Mutter, Eleanor, war anderer Ansicht. Selbst die zwanzig Prozent Rabatt, die sie bekamen, weil Dan Personalchef des größten Warenhauses der Stadt war, änderten nichts daran. Eleanor behauptete, die Lebenshaltung sei teuer und die Möbel seien bequem. Außerdem hatte sie vor nicht ganz einer Woche Dan gegenüber erwähnt, daß Cindy bald heiraten könnte. Dan hatte, wie es seine Art war, nichts gesagt.

Als Dan an diesem Mittwochmorgen um 7.40 die Treppe herunterkam, versuchte er, lieber an die verwickelten Aufgaben seines Bürotages zu denken, als der ängstlichen Unsicherheit stattzugeben, die er um seine Tochter Cindy zu spüren begann. Nicht daß er etwas Persönliches oder Besonderes gegen Charles Wright einzuwenden hatte. Vielleicht, so schalt er sich, war es nur eine Art verdrängter Neid. Dan hatte sich alles, was er erreichte, erarbeiten müssen, jeden Cent. Dieses Haus war die Krönung seiner langen Mühen. Ohne höhere Schulbildung hatte er es so weit gebracht. Und er war stolz darauf, mit jenem harten Stolz, der sich aus dem Bewußtsein persönlicher Tüchtigkeit und aus Dankbarkeit zusammensetzt. Charles Wright aber war keiner von den jungen Leuten, mit denen Dan sich abfinden konnte. Chuck – so nannte ihn Cindy, nachdem sie Sekretärin in dem Anwaltsbüro wurde, wo der junge Wright bereits Juniorpartner war –, Chuck hatte es leicht gehabt, ihm war alles zugeflogen. Er hatte Glück. Aber er war auch – das wußte Dan vom Hörensagen und aus sicherer Quelle – ein leichtsinniger junger Mann, mit größerem Interesse für schnelle Wagen, schöne Mädchen und feuchte, lange Gesellschaften, als für eine sichere Position im bürgerlichen Leben. Nun ja, Dan benahm sich wie ein typischer Vater, oder wie Cindy sagte, »ein konservativer alter Stockphilister«.

In der Küche hatte der Tageslauf fast eine Stunde vorher begonnen. Ralphie, der das Frühstück immer hinschleppte, als sei es eine Art Strafe für frühere Missetaten, stierte auf ein halbvolles Glas Milch. Er schaute auf, als Dan die große sommersprossige Faust ballte und die Knöchel leicht gegen seine weiche, zehn Jahre alte Wange drückte. Eleanor, deren Gesicht gerundet war wie das ihres Sohnes, und die ihm auch ihr helles Haar mitgegeben hatte, stellte lächelnd das Spiegelei mit Schinken vor Dan und setzte sich dann ihm gegenüber an den Küchentisch. Ungeschminkt sah sie selbst aus wie ein Kind, klein und schlank.

»Lucille ist krank«, sagte sie, damit die Abwesenheit des Mädchens erklärend, das gewöhnlich mittwochs und samstags kam.

»Schon wieder?« sagte Dan. »Fehlt Gin aus der Flasche?« Eleanor runzelte die Stirn und schüttelte mit einer raschen Warnung den Kopf, wobei sie auf Ralph deutete, der den Blick von seiner Milch erhob und wissend grinste. »Sie ist wahrscheinlich duhn«, sagte er trocken.

»Wo lernt er solche Ausdrücke?« forschte Dan.

»Aus den Comic Books«, sagte Eleanor und schmierte den Toast. »Beim Fernsehen. Weißt du denn, was duhn heißt, Ralphie?«

»Mein Name ist Ralph«, sagte Ralphie, nachdrücklich jedes Wort mit einem Klopfen seines Glases auf den Tisch unterstreichend.

»R–A–L–P–H. Ohne I am Ende.«

»Entschuldige, alter Junge«, sagte Dan.

»Und duhn heißt blau. Und blau heißt betrunken. Muß ich noch mehr Milch trinken?«

Eleanor lachte hinter ihrer Serviette und nickte. Ralph sprang auf, daß der ganze Tisch wackelte, und küßte seine Mutter schnell aufs Haar. Dann heftete er seine Augen ernst auf Dan, grüßte kurz, halb Trotz, halb verlegen, und drehte sich auf dem Absatz um.

»Ich will noch radfahren. Ich hab’ noch fast ’ne ganze halbe Stunde Zeit.« Er verschwand nach der hinteren Veranda, polterte die drei Stufen hinunter und war fort.

 

Dan hörte, wie die Garagentür aufgeschoben wurde, was ihn wieder daran erinnerte, daß sie bald geölt werden mußte.

Eleanor sagte: »Unser Sohn Ralph, schreibe: R-a-l-p-h, ist zu alt, um einen Mann – das heißt dich – zum Abschied oder Gutenachtsagen zu küssen.«

»Na ja«, sagte Dan leichthin, aber innerlich gab es ihm irgendwo einen Stich, »da kann man nichts machen.«

»Ein Markstein am Wege«, sagte Eleanor; jetzt sah sie ihn fest und forschend an.

»Wir scheinen an den Marksteinen geradezu vorbeizufliegen, altes Mädel«, sagte er.

Dan war ein mittelgroßer Mann mit schweren Schultern, dessen massiger Körper gut in den zweireihigen Anzug paßte. Eleanor sah in die vertrauten tiefblauen Augen und bemerkte das mahagonirote Haar darüber und die Sommersprossen auf und neben der ziemlich breiten Nase, und die tiefen feinen Linien, die, wie sie fand, dem sonst sehr alltäglichen, aber sehr ansprechenden Gesicht so viel Charakter gaben.

Seine Gedanken erratend sagte sie: »Cindy möchte ihn gern zum Danksagungstag einladen.«

Dan schluckte den Rest seines Kaffees, stand dann auf und zupfte an seinem Rock wie ein Junge, der zu einer Kindergesellschaft eingeladen ist und auf jeden Fall Eindruck machen will.

»Darf sie?« fragte Eleanor.

Dan zuckte die Achseln, aber ohne Überzeugung. »Ellie, ich möchte mich nicht einmischen und die ganze Sache verbieten, das würde Cindy nur bockig machen. Aber – nun ja, der Danksagungstag ist doch ein Familienfest.«

Eleanor hob das Gesicht zu ihm auf und er küßte sie; dann ging sie zum Küchenfenster, während Dan zur Hintertür hinausging, den Mantel im Arm, statt über die Schulter geworfen.

Als sie das Fenster öffnete, fegte ein winterlicher Lufthauch in die Küche. Sie sah aus dem Fensterwinkel zu, wie er den blauen Wagen rückwärts aus der Garage fuhr und auf der Einfahrt um Cindys schwarzes Cabriolet herummanövrierte. Dann rief sie – es lag wirklich kein besonderer Grund dazu vor, aber es war eine alte, feste Gewohnheit zwischen ihnen und bedeutete gleichzeitig mehr und weniger als die Worte selbst: »Hör zu, Dan: sei vorsichtig!«

Den Hut wie gewöhnlich nicht ganz gerade auf den Kopf gestülpt, rief Dan zurück: »Mach das Fenster zu!« und fegte aus ihrem Blickfeld.

Eleanor fügte sich, wie sie es fünf Tage in der Woche an jedem Morgen tat. Sie erkältete sich nie, und Dan wußte es, ebenso wie sie wußte, daß für ihn kein besonderer Grund zur Vorsicht vorlag. Vorsicht – wovor?

Sie legte ein frisches Gedeck für Cindy auf und beschloß dabei, an diesem Morgen nicht von Chuck Wright zu sprechen, besonders im Hinblick auf Dans unausgesprochene Ablehnung der Einladung zum Danksagungsessen. Alle Worte, die ihr einfielen, schienen ihr so abgebraucht und so nichtssagend – daß er in dem Ruf stand, unsolid zu sein, daß er der Typ Mann war, der sich nie binden und seßhaft machen würde. Cindy würde nur wieder einmal von der hohen Warte ihrer neunzehn Jahre erwidern, daß der Krieg allein schuld sei. Ja, und daß eine große Tragödie, ein dramatisches Schicksal – von dem er nicht weiter spreche – Charles Wrights Haltung vollkommen und bis ins letzte erklären könnte.

Eleanor stellte das Radio an, drückte auf einen Knopf nach dem anderen und blieb endlich bei den Tagesnachrichten, während sie sich anschickte, ihre zweite Tasse Kaffee zu trinken.

Nachdem sie etwa fünf Minuten zugehört hatte – ihr Interesse war keineswegs gefesselt durch den Bericht von drei entwichenen Strafgefangenen aus Terre Haute und die Warnung, daß diese Männer bewaffnet und gefährlich seien –, hörte sie Cindy die hölzerne Hintertreppe herunterkommen, die nur die Familie benutzte; die hohen Hacken klapperten in raschem Rhythmus. Eleanor drehte das Radio ab und setzte ihre Tasse hin. Sobald Cindy aus dem Haus war, fing Eleanors Tag erst richtig an.

 

Im Büro des Sheriffs, das mit dem Gefängnis des Bezirks Marion in der Innenstadt von Indianapolis verbunden war, hatte der Tag schon lange vorher begonnen. Während des ganzen Morgens hatte Jesse Webb enge Fühlung mit der Staatspolizei gehalten, ebenso mit der Stadtpolizei, dem Radiofunk, den Nachrichtenstellen und dem Stadtbüro der Bundespolizei. Sie hatten jetzt eine genaue Beschreibung der grauen Limousine, der Wagennummer und der ungefähren Zeit des Diebstahls von einer Farm südlich von Terre Haute.

Jesse haßte das Warten. Es ging ihm wider die Natur. Es war eine Hilflosigkeit damit verbunden, die auf seine Nerven aufreibend wie Sandpapier wirkte. Die Straßenkontrollen waren an allen Hauptstraßen eingesetzt, es kam kein Bericht über einen weiteren Diebstahl, in keinem Sportgeschäft waren Waffen geraubt, in keinem Konfektionsgeschäft und in keiner chemischen Reinigung war nach Kleidern eingebrochen worden. Kurzum, alles was man tun konnte, wurde getan. Aber Jesse war nicht befriedigt.

Sein Onkel, Frank Pritchard, rief ihn nach den Zehn-Uhr-Radionachrichten an. Jesse lauschte der müden Stimme, die er kaum verstehen konnte, nickte gelegentlich mit dem schmalen Kopf, der Hut war ins Genick geschoben, die Füße gegen die Kante des Rolldeckelpultes in seinem Büro gestemmt. Dann sagte er: »Ich habe nichts, aber auch gar nichts vergessen, Onkel Frank. Geh jetzt schlafen.«

Nachher saß er, den langen schlanken Körper über das Pult gebeugt, und rauchte, bis ihm die Zigarette die Finger verbrannte.

»War das Frank P.?« Tom Winston, der Kollege, der das kleine Büro mit ihm teilte, hatte das Gespräch gehört – soweit es ein Gespräch war – und nun brach seine Neugier endlich durch. »Ich wette, er wäre heute gerne wieder in seinem alten Beruf.«

»Tjaaa«, sagte Jesse langsam, auf eine Stelle der hohen weißen Stuckdecke stierend. »Tjaaa. Mit zwei brauchbaren Händen und einem Revolver.«

»Warum hast du ihm gesagt, er soll schlafen gehen?« Tom Winston erschrak vor den plötzlich wilden grauen Augen, die Jesse Webb ihm zuwandte. »Ich sagte ihm, er soll wieder schlafen gehen«, sagte Jesse, aber jetzt schleppte er die Worte nicht, sondern sie kamen abgehackt wie die Kugeln aus einem Colt, »weil er einen Posten hat, den er behalten muß. Als Nachtwächter in einer Fleischfabrik. Ich möchte nicht, daß er den auch noch verliert – wegen Glenn Griffin.«

Winston nahm einen Bogen Papier von dem Pult und trat den Rückzug an. »Ich wußte ja nicht, was aus dem alten Frank P. geworden war«, sagte er begütigend.

Jesse starrte seinem Kollegen nach, als Winston den Korridor zur Registratur entlang schlurfte. Winston ist nicht schuld, sagte er zu sich selbst; jetzt atmete er schwer. Schuld ist der Kerl, der’s getan hat. Er konnte es wieder vor sich sehen, wie alles geschah. Onkel Frank war hinter dem geparkten Wagen gewesen, als Glenn Griffin aus dem trübseligen kleinen Hotel herauskam. Selbst in seiner blauen Uniform hatte Onkel Frank zu klein ausgesehen, zu alt und zu dürftig für den 38er, den er in der Hand hielt. Dann rief er. Glenn Griffin war herumgewirbelt, hatte gefeuert; zwei Kugeln trafen Onkel Franks Arm und verletzten einen Nerv unheilbar, so daß der rechte Arm jetzt ein hängendes, lahmes, unnützes Ding war, kaum überhaupt noch ein Teil seines hinfälligen kleinen Körpers.

Jesse hatte sich Vorwürfe gemacht, daß er nicht sofort geschossen hatte; aber er war einen Augenblick betäubt und verdutzt gewesen, als er Onkel Frank aufschreien hörte wie ein Kind: es war ein schrecklicher, schamloser Schrei, der noch heute in Jesses Träumen gellte. Glenn Griffin war in den Torweg zurückgesprungen, gelenkig wie ein Tänzer, trotz des Brüllens und Winselns und trotz der Knallerei. Und dann hatte Glenn Griffin, während Onkel Frank sich am Boden wand, gerufen, daß er sich ergeben wolle, und hatte sogar seinen Revolver auf die Straße geschleudert.

Jesse erinnerte sich der Wolke schwarzer Betäubung, die sich auf ihn niedersenkte, als er über den Revolver hinweg trat und sich dem unbewaffneten jungen Verbrecher näherte; er war nicht mehr Herr seiner Handlungen, trotz der Zurufe der anderen Beamten und seines Leutnants, der ihm befahl, stehenzubleiben und nicht zu feuern. Dann hatte sich die Wolke etwas gelüftet, und er hatte nicht geschossen. Aber erst als er den kauernden Griffin mit seiner mageren klauenhaften Hand wieder auf die Füße gerissen und die andere, ein Stück wirbelnder Wut, voll in Griffins hübsches, jetzt verzerrtes Gesicht gestoßen hatte, spürte Jesse Webb eine momentane Erleichterung von dem sinnlosen Zorn, der ihn gepackt hatte.

Wenn er jetzt, mehr als zwei Jahre später, daran dachte, wurde er bleich und erschüttert, und der Schweiß lief ihm den Nacken herunter. Mit etwas mehr Ruhe erinnerte er sich an das, was dann gefolgt war: Daß Onkel Frank wegen seines baumelnden und bald verdorrenden Armes aus der Stadtpolizei entlassen wurde, und daß er selbst ohne guten Grund seinen Dienst bei der Stadtpolizei aufgegeben hatte. Er erinnerte sich auch der Verhandlung gegen Glenn Griffin, wie der Bengel unverschämt durch die Binden, die sein gebrochenes Kinn zusammenhielten, zu der Geschworenenbank hinüber gelächelt hatte, während sein Anwalt dramatisch auf »diesen unbestreitbaren Beweis von polizeilicher Brutalität« hinwies. Selbst als die Geschworenen das Urteil ausgesprochen hatten – es war Griffins dritte schwere Strafe –, behielt der junge Mann seine eiserne Stirn. Bei der Urteilsverkündung war sein jüngerer Bruder, in derselben Nacht wie er gefangen, bleich geworden und hatte zu zittern angefangen. Nicht so Glenn.

Das einzige Mal, daß Glenn Griffin überhaupt ein Gefühl gezeigt hatte, war am selben Tag im Korridor des Gefängnisses, als der Polizist ihn abführte. Jesse hatte es sich angelegen sein lassen, dabei zu sein, obwohl er bereits im Büro des Sheriffs und nicht mehr bei der Stadtpolizei tätig war. Das Gesicht des jungen Menschen, frei von den Binden – war weiß und abgespannt, und er sprach mühsam und steif.

»Du kriegst noch dein Teil, Blauer«, sagte er – er spie die Worte nicht aus, und es war nichts Dramatisches oder Gewaltsames daran.

Jesse Webb stand von seinem Pult auf. Er hatte seine Erinnerungen beendet und sie gewaltsam in eine Ecke seines Hirns verbannt. Jetzt rieb er sich mit der Handfläche das Gesicht; er zog sie heiß und naß zurück. Dann verließ er das Büro und ging, den langen hageren Körper wie gewöhnlich leicht vorgebeugt, zum Regierungsgebäude. Er hätte telefonieren können. Er hätte seinen Wagen nehmen können. Er brauchte aber Bewegung und die reine, nadelscharfe Luft.

Lt. Van Dorn von der Staatspolizei, ein Mann mit rötlichem Gesicht und grauen Haaren, grinste hinter dem Tisch über Jesses finsteres Gesicht. »Die Stadt kann keine Spur von Helen Lamar entdecken. Wir haben alles durchgekämmt. Auch von den Straßen kriegen wir nichts herein als das Übliche – der Wagen ist seit sieben Uhr zweiunddreißigmal gesehen worden. Im Norden, Osten, Süden und Westen. Aber nichts Amtliches. Ich tippe darauf, die Frau ist irgendwo draußen im Westen, in Kalifornien, und wir rennen uns hier wegen nichts und wieder nichts die Hacken ab. Sie sind unterwegs zu ihr, wahrscheinlich haben sie schon die ganze Strecke bis Illinois hinter sich.« Er wandte den Kopf und sah Jesse aus den Augenwinkeln an. »Sie sehen selbst miserabel aus. Schlechte Nacht gehabt?«

»Nein«, erwiderte Jesse langsam. »Nein«, langsam und schleppend. Er dachte an Kathleen.

Plötzlich war ihm, als habe er einen Fausthieb zwischen die Augen bekommen. Es war nur eine Möglichkeit, sogar eine ziemlich entfernte Möglichkeit. Aber er wollte nichts riskieren. Er griff zum Telefon und wählte sein Büro.

»Tom«, sagte er, als Winston sich meldete, »schick’ einen Wagen ’raus und laß meine Frau holen. Bring’ sie in mein Büro. Sag’ ihr, mir geht’s gut. Ich möchte sie nur sehen. Und, Tom – jag’ der Frau keinen Schrecken ein.«

Alles war möglich. Bei einem Menschen von Glenn Griffins Mentalität wußte man nie, was kommen konnte. Aber wenn dieser Lump Kathleen zu nahe käme …

Glenn Griffin hatte sich höchst abgelegene und unbefahrene Nebenstraßen ausgesucht, deren Netz offenbar auf der kieselharten Oberfläche seines Gedächtnisses eingezeichnet war, Jetzt hatte er die graue Limousine um die ganze Stadt herummanövriert, meist vierzig oder fünfzig Meilen südlich und später zwanzig Meilen östlich bleibend. Gegen Mittag aber näherte er sich der Stadt auf einer schmalen Straße von Nordosten, die so unbedeutend war, daß nicht einmal eins der Schilder mit der schwarz-weißen Aufschrift: STADTGRENZE INDIANAPOLIS dort aufgestellt war.

Die Uhr zeigte jetzt zehn Minuten nach zwölf. Robish schlief und schnarchte. Hank, auf seinem Rücksitz, hatte angefangen, nervös mit den Handflächen an den Seiten seines Hemdes über den Rippen herabzustreichen, als wolle er etwas Schleimiges wegwischen, oder einen unsichtbaren Flekken, der an dem rauhen Stoff haftete. Glenn fuhr und pfiff unaufhörlich vor sich hin.

Sie hatten durch ihre Umwege mehr als sechs Stunden gebraucht, um die Stadt zu erreichen, die nur siebzig Meilen von ihrem Ausgangspunkt entfernt war. Aber sie waren ohne Zwischenfälle gefahren, so glatt und bequem, als säßen sie in einem Flugzeug, hoch über den hundert wachsamen Augen. Alle drei hatten Hunger bekommen, doch Glenn weigerte sich zu halten.

 

Kathleen Webb saß mit ihrem Mann am weißgescheuerten Tisch eines Restaurants, das nur einen Block vom Gericht entfernt lag. Sie nötigte ihn hartnäckig, aufzuessen, aber er schlürfte schon seinen fünften bitteren schwarzen Kaffee und starrte nachdenklich in die Tasse. Immer wieder sah er eine Szene vor Augen, die sich nicht ereignet hatte und nie ereignen durfte. Glenn Griffin trat auf die Veranda von Jesses und Kathleens kleinem Haus, klopfte, trat ein, und lächelte dabei Kathleen so schamlos an, wie er einst die Geschworenen angelächelt hatte.

Eigentlich hätte er längst lernen müssen (er mußte es sich selbst mit einem engen, verborgenen Lächeln gestehen), daß die Dinge, die man am meisten fürchtet, sich am seltensten ereignen.

 

Andererseits: Szenen, die jenseits unseres Vorstellungsbereiches liegen, sobald wir einmal in der Sicherheit des Alltags verankert sind – solche Szenen ereignen sich wirklich, und häufiger, als man zugeben mag. Dan Hilliard saß, vertieft in das Gespräch mit einem Bewerber um den ausgeschriebenen Posten in der Versandabteilung, hinter dem Schreibtisch seines behaglichen Büros im sechsten Stock des Warenhauses. Er konzentrierte sich auf seine gegenwärtige Aufgabe, indem er die ganze Zeit seine Gedanken in und um die Persönlichkeit des Mannes schweifen ließ, der vor ihm saß. Er hatte sich den Ruf eines Menschenkenners erworben, ohne jedoch zu wissen, wie er dazu gelangt war. In diesem Augenblick konnte aber auch er nicht die leiseste Ahnung haben von dem, was zehn Meilen entfernt auf der Veranda seines Hauses am Kessler Boulevard vor sich ging.

 

Eleanor Hilliard wollte gerade die Vordertreppe hinaufgehen, um sich für die Gartenarbeit umzuziehen – es waren zu viele Blätter auf die Blumenbeete unter den Ahornbäumen gefallen –, als sie den Schritt auf der Veranda hörte. Die Klingel der Haustür schlug an. Sie schob eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und seufzte. Es war jener gesegnete Augenblick nach dem Mittagsmahl, da Ralphie wieder in die Schule gegangen war und sie dankbar ein gewisses Freiheitsgefühl verspürte – Freiheit bis 3.30. Die Haustür war aus solidem Holz, ohne Fenster, und obwohl eine Sicherheitskette am vorderen Rahmen angebracht war, machte sie sich nie die Mühe, diese vorzulegen. Es störte sie, daß jemand an der Vordertür Einlaß begehrte. Die Familie und die Lieferanten benützten gewöhnlich den Seiteneingang, weil er den Torweg direkt mit der Sonnenveranda verband und bequemer war.

Der Mann, der ihr an der Haustür gegenüberstand – ein sehr junger Mann mit kurzgeschnittenem, aber offenbar weichem und glänzendem schwarzen Haar, trug einen verschossenen Farmeroverall und lächelte beinahe verlegen. Er sah knabenhaft aus und so unglücklich über sein Anliegen, daß auch Eleanor lächelte.

»Tut mir leid, Sie zu behelligen, Madame«, sagte er mit einer Stimme, die beinahe ein Flüstern war, »aber ich fürchte, ich habe mich verirrt. Möchte zur Molkerei Bulliard. Ich weiß, es ist hier in der Nähe, aber –«

Dann hielt er inne, und nun blickte er über ihre Schulter in die durchsonnte Vorhalle. Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, aber eine kaum merkliche Veränderung ging mit seinen Mundwinkeln vor, eine Spannung, die sein Lächeln gefrieren ließ. Unwillkürlich drehte sie sich um.

Und danach ereignete sich alles so schnell und mit so kalter mechanischer Präzision, daß sie gelähmt war, an Leib und Seele gelähmt, und diese dumpfe Hilflosigkeit war es, die sie durch die paar nächsten Minuten rettete.

Sie hörte, wie sich die Tür hinter ihr öffnete, fühlte den Türknopf hart an ihren Rippen, dann hörte sie das Zuklappen. Der ältere Mann, der durch die Hintertür gekommen sein mußte, wandte sich von ihr ab und stampfte die Treppe hinauf. Ein dritter Mann, viel jünger, in dem gleichen grau-grünen Anzug wie der ältere, erschien in der Eßzimmertür, ging dann schnell und leicht durch das ganze Erdgeschoß, öffnete die Türen und schloß sie wieder. Eleanor sah, ohne wirklich zu begreifen, den schwarzen Revolver in der Hand des jungen Mannes, der mit ihr in der Halle blieb. Sie dachte an den kleinen Revolver oben, der in den Sprungfedern unter Dans Bett versteckt war. Sie fühlte in ihrer trockenen, zugeschnürten Kehle einen gellenden Schrei unwiderstehlich aufsteigen.

»Regen Sie sich nicht auf, Madame«, riet der junge Mann neben ihr leise. »Regen Sie sich nicht auf. Machen Sie den Mund auf, dann wird Ihr Kleiner nur noch Ihre Leiche finden, wenn er aus der Schule kommt.«

Sie fühlte, wie ihr Geist wieder funktionierte – es gab ein scharfes Knacken in ihrem Gehirn, wie beim Gebrauch eines elektrischen Schalters. Statt zu schreien hob sie die Hand zum Mund und biß scharf in den Handrücken, so scharf, daß sie das Blut schmeckte. Aber der Schrei war in ihrer schmerzenden Kehle erstickt.

Der jüngste Mann kam zurück und sagte, ohne sie anzusehen: »Hier unten ist die Luft rein, Glenn.« Ohne ein weiteres Wort oder auch nur ein Kopfnicken von dem, den er Glenn genannt hatte, kehrte der Junge um und ging durchs Eßzimmer zur Küche.

Eleanor hörte die Hintertür auf- und wieder zugehen und dann ein Auto auf dem Torweg knirschen. Erst als der Junge nicht mehr im Haus war, vernahm sie wirklich seine Stimme – jung, unbestimmt, unterdrückt. Es hätte einer von Cindys jugendlichen Verehrern sein können, der da sprach. Die Natürlichkeit der Stimme in diesem Orkanwirbel eines Alptraums erfüllte sie mit einem so großen Entsetzen, wie es nicht einmal der Revolver ausgelöst hatte. Draußen hörte sie einen vertrauten Laut: Die Garagentür lief auf der metallenen Schiene, die geölt werden mußte.

Dann, in diesem Schweigen, kam der ältere Mann die Treppe herunter. Er hatte einen Anzug von Dan über den Arm geworfen. Sein tierisches Gesicht trug einen Ausdruck, der vielleicht Heiterkeit bedeutete, jedoch seine gelbgrünen Augen, die verloren in den Schlitzen der knolligen Wülste saßen, schienen bodenlos und undurchsichtig.

»Niemand zu Haus wie die Madam«, berichtete er.

Eleanor starrte auf Dans Tweedanzug und dachte an ihren Mann. Ruhig, stattlich, zurückhaltend, nicht aus der Fassung zu bringen. Sogar während der raschen Welle von Angst und Ekel, da sie die Augen des Älteren hungrig über sie hinkriechen sah, beruhigte sie der Gedanke an Dan.

»Geh dort rein, Robish«, sagte Glenn Griffin, »und behalt die Vordertür im Auge.«

Robish riß die Augen von der Frau los, folgte dem Befehl und ging ins Wohnzimmer, wo er sich in den großen Sessel fallen ließ, dem großen Vorderfenster gegenüber. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Hintertür öffnete und schloß sich. Jetzt waren sie alle drei im Haus, und der Wagen war in der Garage versteckt.

»Na also«, sagte der, den sie Glenn nannten. »Na also, Frau Hilliard. Jetzt müssen wir jemanden anrufen, Sie und ich. Ich nehme an, Sie wissen jetzt, was los ist. Ich nehme an, Sie wissen, was passiert, wenn Sie beim Sprechen versuchen wollten, ’n Ding zu drehen. Wenn nicht, hören Sie gut zu. Wir spielen ums Ganze. Wir wollen niemand was antun, und ’nem kleinen Jungen schon gar nichts. Aber wenn der Kleine, dem das Fahrrad da draußen gehört, nach Hause kommt …«

»Was soll ich also tun?« fragte Eleanor.

Glenn Griffin grinste wieder. »Kluge kleine Frau. Hoffentlich ist die ganze Familie so vernünftig wie Sie. Also los, Frau Hilliard.«

An den Telefontisch gelehnt, hörte Eleanor den sehr ausführlichen, leise gesprochenen Weisungen zu. Dann nahm sie den Hörer ab, wählte das Fernamt und bemerkte dabei zum erstenmal die blutigen Zahnspuren auf ihrem Handrücken. Sie gab dem Amt eine Nummer an; sie wußte, daß sie sich diese Nummer merken sollte – aber sie konnte es nicht. Eine Nummer in Pittsburgh, Pennsylvanien …

 

»Pittsburgh!« Jesse Webb stieß einen Fluch aus und stand von seinem Schreibtisch auf, nachdem er mit Carson, dem jungen Bundespolizisten, dem der Fall zugeteilt war, gesprochen hatte. »Sie wissen, wo Helen Lamar ist.«

Tom Winston, der den explosiven Ton der Enttäuschung und Niederlage wohl hörte, drehte sich nicht von seinem Pult um. »Haben sie sie gefaßt?«

»Sie hat vor einer guten Stunde das Hotel verlassen. Warum? Niemand weiß es. Sie kam plötzlich herein, um auszuziehen. Das Hotelpersonal wird noch verhört, aber soweit man es verfolgen kann, hat sie keinen Telefonanruf bekommen, nichts. Zumindest nicht im Hotel. Dazu wäre sie zu gerissen, sie kann sich doch ausrechnen, daß wir sie überwachen. Wenn Griffin sie angerufen hat, dann hat er einen Mittelsmann dazu benützt.« Mit in den Taschen geballten Händen und vorgeschobenem Kopf ging er im Zimmer auf und ab. »Aber vielleicht brauchte er sie gar nicht anzurufen. Sie könnten alles vorher ausgemacht haben. Teufel, sie überlegen sich so etwas schon, diese schlauen Halunken. Und weißt du, wie weit wir jetzt sind, Tom? Ich will dir’s sagen. Keinen einzigen Schritt weiter! Wir sitzen da mit einer Autonummer und der Beschreibung eines Wagens, den sie bald genug abstoßen werden, aber dazu nehmen sie sich auch noch Zeit, jawohl! Keine Spur von ihnen! Drei solche Kerle können sich doch nicht einfach in Luft auflösen, um Himmels willen!« Er setzte sich plötzlich hin und schlug mit der Faust auf den Deckel des Pultes. »Tom, wo zum Teufel ist der Wagen?«

 

Während des ganzen endlosen Nachmittags kehrten Eleanor Hilliards Gedanken immer wieder zu der staubbedeckten grauen Limousine zurück, die in der Garage stand.

Ralphie kam um 3.30 nach Hause, bemerkte aber die geschlossene Garagentür nicht. Sie hielt ihn im Wohnzimmer zurück und sprach schnell und bestimmt mit ihm. Sie hätte schreckliches Kopfweh, sagte sie; sie müßte einen absolut stillen Nachmittag haben; es täte ihr leid, aber er müßte ausgehen und bis zum Abendessen spielen, und eher dürfe er nicht nach Hause kommen. Nein, umziehen brauche er sich nicht, heute nicht. Aber Ralphie war hungrig – wie gewöhnlich –, dann solle er eben in den Drugstore gehen und sich ein Sandwich geben lassen; sie gab ihm Geld. Ralphie war erstaunt über seine Mutter, die bisher niemals über Kopfschmerzen geklagt hatte, aber erfreut über die Gelegenheit, sich selbst ein Sandwich zu kaufen; und so stieg er auf sein Fahrrad und radelte den Boulevard hinunter.

»Saubere Arbeit, Madame«, sagte Glenn, seinen Revolver wieder in die Tasche schiebend.

Sie sah ihn ausdruckslos an; sie fühlte nichts als den harten Stein in ihrer Magengrube. »Wenn Sie weiter alles aufessen, muß ich vor dem Abendessen einkaufen gehen.«

»Ich habe noch ein paar Fragen, Frau Hilliard.«

Und dann fing die Fragerei wieder von vorn an. Die Fragen … Diese Tochter, diese Cynthia – um welche Zeit kam sie von der Arbeit nach Hause? Fuhr sie einen eigenen Wagen? Kam sie manchmal zu spät? Dann okay, lassen Sie sie nur hereinkommen.

»Sie brauchen weiter nichts zu tun, als sich still zu verhalten.«

Cindy – wenn sie die Garagentür überhaupt näher ansah, hielt sich nicht lange mit der Frage auf, warum sie geschlossen war. Um 5.18 brachte sie ihr Auto im Torweg zum Stehen, sprang heraus und kam über die Sonnenveranda ins Wohnzimmer. Eleanor saß steif und still auf dem Sofa. Glenn stand, die Beine nachlässig gekreuzt, vor dem Fernsehapparat; den Revolver hielt er in der Hand. Robish war in der kleinen Bibliothek, die zugleich Dans Arbeitszimmer war, im rückwärtigen Teil des Hauses, die Tür zu dem langen Wohnzimmer stand offen. Eleanor konnte sehen, wie sie durch die Seitenfenster den Torweg beobachteten. Sie wußte, daß der Jüngste, namens Hank, noch in der Küche war, die Augen auf den Hinterhof gerichtet; er hörte die Nachrichten auf dem kleinen Radio.

Cindy platzte herein, wie sie es immer tat, neuerdings meist etwas atemlos, mit fliegendem Mantel und wehendem Haar. Als sie ihre Mutter sah, blieb sie stehen, ihre braun gesprenkelten blauen Augen blickten schnell und scharf im Zimmer umher und ruhten den Bruchteil einer Sekunde auf Glenn.

Glenn grinste. »Immer reinspaziert, Rotkopf!«

Ehe Eleanor merkte, daß Cindy sich überhaupt bewegte, war das Mädchen schon herumgeschnellt, um ihre Schritte zurückzulenken; aber diesmal lief sie.

»Okay«, sagte Glenn Griffin leichthin, doch mit erhobener Stimme. »Wir haben immer noch deine alte Dame, Mädel!«

Robish kam aus der Bibliothek gestürzt, als Cindys Schritt an der Tür zögerte. Sie wandte sich langsam um, erblickte jetzt Robish – der stämmige Mann hatte sich in die Mitte des Raumes gepflanzt –, sah instinktiv an ihm vorbei und auf Glenn Griffin, der sich nicht gerührt hatte.

»Schon besser, Rotkopf«, sagte der große junge Mann grinsend, »jetzt bist du wirklich vernünftig.« Als seine Augen über sie hinglitten, erlosch sein Grinsen.

Cindy wurde nicht bleich und fiel nicht um; sie ließ in keiner Weise merken, daß sie entsetzt war. Sie stellte nur die Füße eine Spur weiter auseinander und blitzte ihn an.

»Was wünschen Sie hier?«

»Auch noch heftig!« Überraschung klang in seinem Ton.

»Nicht vernünftig wie deine alte Dame.« Ohne den Blick von ihr zu lösen, sagte Glenn: »Robish, geh zum Fenster zurück. Der Alte muß jede Minute aufkreuzen.«

»Ich brauch ’n Schießeisen.«

»Zurück an deinen Platz«, befahl ihm Glenn Griffin immer noch ohne ihn anzusehen.

»Du glaubst wohl, du kannst –«

»Wird ’s bald!«

Robish blieb nur noch eine Sekunde; dann drehte er sich um und verschwand in den dämmerigen Schatten der Bibliothek.

»Setz dich, Rotkopf«, sagte Glenn, seine Stimme war etwas heiser. »Setz dich und laß dir erklären, wie das Leben nun mal ist. Nach dem Haar zu urteilen, hast du vielleicht Gelüste, dich heroisch zu gebärden. Kannst du auch, jederzeit, wenn du gerade Lust hast. Möglich sogar, daß es dir gelingt, und dir nichts passiert. Dabei ist aber noch nicht ’raus, was deiner alten Dame passieren kann … oder dem kleinen Bruder … oder dem Vater. Wir warten jetzt auf ihn, siehst du – also zieh lieber den Mantel aus und setz dich still dort auf den Stuhl.«

Ohne sich im mindesten anmerken zu lassen, daß sie einem Befehl gehorchte – tatsächlich ohne den Mantel auszuziehen, wie er befohlen hatte, aber mit dem Schimmer eines beruhigenden Lächelns für Eleanor, das nicht recht glücken wollte –, ging Cindy hinüber zu einem Stuhl und setzte sich. Sie zündete sich sogar, ohne daß ihre Hand zitterte, eine Zigarette an und beantwortete die Unverschämtheit des jungen Mannes damit, daß sie seine Gegenwart einfach übersah.

»Wie lange sind diese Tiere schon hier, Mutter?« fragte sie. Glenn lachte, ein kurzes explosives schnaubendes Lachen, höhnisch und häßlich.

»Ich habe das Gefühl für die Zeit verloren«, sagte Eleanor. »Irgendwann nach zwölf. Cindy …« Sie hatte beabsichtigt, eine Warnung auszusprechen, aber sie brach ab. »Es ist noch einer in der Küche.«

»Mit anderen Worten«, sagte Cindy, und blies eine Rauchwolke aus, »das Haus wimmelt von Ungeziefer.«

Eleanor beobachtete in diesem Augenblick Glenn Griffins Gesicht, und sie spürte, wie sich ihr Entsetzen noch verdichtete; eine Hand krampfte ihr Herz zusammen. Das Gesicht des jungen Menschen, das ständig eine ungesunde gelbliche Blässe zeigte, wurde weiß wie Schnee, farblos, und das Fleisch um seine regelmäßigen weißen Zähne verzerrte sich in einem steifen Grinsen. Ziemlich lange stand er unentschieden da – vielleicht eine halbe Minute; dann drehte er sich lautlos um und ging mit seinem gelenkigen katzenhaften Gleiten in den Flur und durch das Eßzimmer zu dem undeutlichen Geschnatter des Radios in der Küche.

Dort blieb er, bis der Laut, auf den sich Eleanors Nerven gespannt hatten, wirklich kam.

»Griffin!« bellte Robish aus der Bibliothek.

Glenn Griffin erschien wieder. »Kein Licht jetzt, und kein Wort von euch beiden, verstanden?«

Eleanor nickte benommen.

»Verstanden, Rotkopf?«

Cindy hatte ihre Augen auf die Wand über Glenn Griffins Körper geheftet, der in der Tür zum Flur stand. Sie schien durch ihn hindurchzusehen, als sei er Glas oder überhaupt nicht vorhanden. Eleanor hätte am liebsten warnend die Hand gehoben; das durfte sie nicht. Jetzt war nicht Zeit für Cindys trotzige Laune.

»Er versucht, die Garage aufzumachen«, sagte Robish.

»Soll ich ihn jetzt schon packen?«

»Nein, wo so viele Wagen vorbeikommen«, sagte Glenn.

»Er wird reinkommen.« Er hob die Stimme. »Paßt du auf, Hank?«

»Er kommt nicht zu meiner Tür«, rief die Stimme des anderen aus der Küche.

Wieder spürte Eleanor den Schrei wie eine schreckliche, unmenschliche Gewalt in ihrer Kehle aufsteigen. Sie horchte auf die wohlbekannten Schritte; frisch und energisch nach einem langen schweren Arbeitstag klangen sie jetzt auf den beiden Stufen, jetzt auf den Fliesen der Sonnenveranda. Diesmal verschwendete Glenn Griffin keine Zeit: er richtete den Revolver direkt auf die Tür, direkt auf Dan Hilliard.

Dan sah zuerst seine Frau – eine Statue, bleich, eingefallen. Er blieb wie angewurzelt stehen. Der Raum war mit schwindendem grauen Zwielicht gefüllt. Dann sah er Cindy, kerzengerade sitzend, rauchend, das kleine Gesicht wütend und verächtlich. Auf einmal dachte er an Charles Wright: ob Cindy vielleicht Ellie etwas mitgeteilt hatte? Erst dann – vom Flur her kam der leiseste Schatten einer Bewegung – erblickte Dan Glenn Griffin. Und den erhobenen Revolver.

Er spürte, wie sein Atem stockte; ehe jemand sich bewegen oder sprechen konnte, obwohl er merkte, daß sich Eleanor halb aus ihrem Sessel hob, hatte er das ganze Bild richtig und klar vor Augen. Er erinnerte sich an die Radionachrichten, die er vor kaum fünfzehn Minuten im Wagen gehört hatte; er wußte, was für ein Narr er gewesen war, daß er nicht sofort alles begriffen hatte, als er durch das Garagenfenster die graue Limousine sah. Aber ein so ausgefallener Gedanke wäre ihm nie gekommen. Immerhin verlor er jetzt keinen Augenblick an Bestürzung oder Staunen oder gar Rebellion gegen die Lage, die sich ihm bot.

Eleanor sah eine unnatürliche Röte in das kantige Gesicht ihres Mannes steigen und sich grell unter der schiefen Hutkrempe ausbreiten. Dans Geist arbeitete langsam, aber gründlich, das wußte sie, er blieb nicht bei Vermutungen stehen, sondern ging vorsichtig, aber geradenwegs auf das zu, womit er fertig werden mußte. Und sie wunderte sich nur ein wenig erleichtert, warum sie diesen Augenblick mehr gefürchtet hatte als irgendeinen anderen des ganzen Tages. Noch bevor Dan sprach, wußte sie, dies würden die ersten bedeutungsvollen Worte sein, die Glenn Griffin heute zu hören kriegte.