An wilden Wassern - Gudrun Leyendecker - E-Book

An wilden Wassern E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

"An wilden Wassern" mit dem Untertitel "Weg der Sehnsucht" ist erneut ein Roman, der im historischen Städtchen Sankt Augustine spielt. Hannah Hansen möchte ihr altes, turbulentes Leben hinter sich lassen und eine Zeit im Schloss im Kreis der Künstler verbringen. Sie lernt interessante Menschen kennen, die ihr neue Lebenswege zeigen wollen. Dabei gibt es auch Wege voller Gefahren.

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AN WILDEN WASSERN mit dem Untertitel

WEG DER SEHNSUCHT ist erneut ein Roman,

der im historischen Städtchen Sankt Augustine spielt. Hannah Weiß möchte ihr altes, turbulentes Leben hinter sich lassen und eine Zeit im Schloss im Kreis der Künstler verbringen. Sie lernt interessante Menschen kennen, die ihr neue Lebenswege zeigen wollen. Dabei gibt es auch Wege voller Gefahren.

Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren… Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 50 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehnte langen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

1. Kapitel

Hannah betrachtete den Eingang des frisch renovierten Schlosses von Sankt Augustine. Links und rechts neben der Treppe gähnten ihr zwei steinerne Löwen entgegen und zeigten ihre langen Zungen, während ein kleiner Engel wie ein Amor mit Pfeil und Bogen über dem Portal zu schweben schien.

Bevor sie sich die Intarsien der Holztür genauer betrachten konnte, öffnete sich das Tor, und eine ältere Dame blickte ihr freundlich entgegen.

„Hallo, du bist bestimmt Hannah“, vermutete die in Schwarz gekleidete Frau. „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir uns als Bewohner des Schlosses wie eine große Familie mit Du ansprechen? Ich bin Adelaide, die Besitzerin dieses Anwesens.“

Die junge Frau lächelte zurück. „Das habe ich mir fast gedacht. Guten Tag Adelaide! Ich habe schon viel von dir gehört, aber wie du dir denken kannst, sehr oft als Frau des berühmten, verstorbenen Malers Moro Rossini. Von dir selbst wusste man nicht allzu viel, aber ich hoffe, dass ich dich jetzt bei meiner Arbeit hier im Schloss etwas näher kennen lernen kann.“

Die Schlossherrin führte Hannah in die stilvoll eingerichtete Empfangshalle und bot ihr Platz in der Sitzecke, in der sich mehrere Sessel um einen Mosaik-Tisch gruppierten.

Die junge Frau stellte ihren Koffer ab und nahm neben Adelaide Platz.

„Dein Gepäck kannst du ruhig stehen lassen! Bernhard, unser Gärtner und grandioser Klarinettenspieler wird dir gleich deinen Koffer in die kleine Dachwohnung tragen. Ich hoffe, dass dir das winzige Appartement gefällt. Wir haben es erst im letzten Jahr ausgebaut, weil uns hier im Schloss langsam der Platz ausging. Was darf ich dir anbieten? Kaffee, Tee oder lieber einen Sekt zur Begrüßung?“

Hannah lehnte dankend ab. „Meine Freundin Vera, die mich hierhergebracht hat, wollte mit mir noch Abschied feiern und hat mich im historischen Gasthof zu einem kleinen Imbiss eingeladen.“

„Das ist gut. Dann kannst du später mit uns gleich am gemeinsamen Abendessen teilnehmen, falls du Lust hast. Es gibt nämlich da ein Angebot im Schloss: Jeder, kann in der Schlossküche an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Dann versammeln wir uns alle an dem riesigen Küchentisch und genießen die Speisen, die unsere beiden italienischen Köche Gianni und Roberto für uns so liebevoll zubereiten. Dabei gibt es oft recht muntere Gespräche, und wir freuen uns über diese gute Gemeinschaft hier im Schloss.“

Hannah strich sich eine Strähne ihres glänzenden, dunklen Haares aus der Stirn. „Das gefällt den Schlossbewohnern hier bestimmt sehr gut“, vermutete die junge Frau. „Diese Kunststudenten, die hier bei dir wohnen, kommen doch bestimmt auch aus aller Welt zu dir hierher und kennen sich vorher überhaupt nicht. Da sind sie bestimmt froh, wenn sie hier durch die gemeinsamen Mahlzeiten leicht in Kontakt kommen.“

Adelaide lächelte. „Ich bringe sie hier zusammen, und du sorgst dafür, dass sie sich wieder in alle Welt zerstreuen. Kannst du mir einmal verraten, wie du derart erfolgreich arbeitest, dass man über dich schon so viel in der Presse lesen kann?“

Die junge Frau hob die Augenbrauen. „Wie soll ich dir das erklären? Eines Tages bin ich auf die Idee gekommen, eine Künstleragentur zu gründen, die sich weltweit betätigt. Ich reise natürlich viel.

Im Allgemeinen jedenfalls. Ich sehe mir alle Künstler genau an, die sich von mir vermitteln lassen wollen. Aber ich fahre auch dorthin, wo man die Künstler sucht. Ich vermittele nicht gern ins Blaue hinein. Alles geht eigentlich wie im normalen Leben nach Angebot und Nachfrage.“

„Also schaust du dir zuerst an, wo Künstler gebraucht werden? Sammelst du Annoncen und Suchanzeigen?“

Hannah spielte mit ihren Händen. „Nein, genau umgekehrt. Ich sehe mir jeden Künstler genau an und versuche, ihn bis ins Detail kennenzulernen. Dann weiß ich, wie dieser Mensch tickt und ich versuche, eine Stelle für ihn zu finden, auf der er alle seine Talente anbringen kann.“

„Das ist genial“, fand Adelaide. „Aber diesmal hast du eine besonders schwierige Aufgabe. Es waren sieben Künstler hier in den Abschlussklassen und alle haben sich entschlossen, eine Vermittlung bei dir zu buchen. War das jetzt ein Zufall?“

„Nein, Xaver Hellmann war der erste Künstler, der meine Agentur im Internet entdeckte. Wir haben dann eine ganze Weile miteinander telefoniert. Er hat mir von seinem Musikstudium erzählt und von seinem Traum, ein guter Pianist zu werden. Er wollte mir per Internet alle seine Daten schicken und glaubte, dass mir seine Informationen reichen. Aber ich habe ihn einfach nur ausgelacht, denn ich fand seine Vorstellungen schlicht naiv.“

Die Schlossherrin nickte anerkennend. „Ich sehe schon, du bist jemand, der alles sehr genau nimmt und alles perfekt machen möchte. Was hast du ihm geantwortet?“

„Natürlich habe ich ihn gründlich aufgeklärt. Ich sagte: „Das hört sich vielleicht jetzt etwas merkwürdig an, aber um dich wirklich gut zu vermitteln, muss ich dich ganz genau kennenlernen. Und zwar nicht nur deine künstlerischen Potenziale, sondern auch all das, was deine Persönlichkeit betrifft.“ Er war zunächst einmal betroffen und überlegte, ob er einen Rückzieher machen sollte. Und so antwortet er auch: „Dann spionierst du also auch in meinem Privatleben herum?“ Diese Frage musste ich ihm mit einem klaren „Ja“ beantworten. „Um zu wissen, was für dich gut ist, muss ich jedes Haar an dir kennenlernen. Ein Künstler muss die Gelegenheit haben, sich entfalten zu können.“ Das wiederum hat ihm so gefallen, dass er mir sofort einen schriftlichen Auftrag übermittelte und hinterher noch alle sechs Künstlerfreunde davon überzeugte, sich bei mir ebenfalls anzumelden.“

Adelaide überlegte und schenkte Hannah einen skeptischen Blick. „Mein Mann Moro und ich haben das alles etwas anders erlebt. Ich habe immer aus Qualen heraus oder dunklen Stunden eine Kreativität in mir entdeckt, und meinem Liebsten ist es ebenso ergangen. Die Unvollkommenheit und Grausamkeit der Welt hat ihn so verletzt, dass er die Kunst erschuf, um eine Kruste über den Wunden heilen zu lassen. Er war melancholisch und trug den Weltschmerz im Herzen, aber seine Kreativität hat ihn immer wieder gerettet. Wir haben etwas geschaffen, um zu überleben.“

Hannah nickte. „Ja, bei euch war das etwas anderes. Du warst seine Muse, und auch du hast immer etwas geschaffen in Gedanken an ihn, so weiß ich das aus eurer Liebesgeschichte, die mir die Journalistin Abigail Mühlberg erzählt hat. Ihr habt euch gegenseitig gehalten in eurem schweren Leben. Aber ich empfinde es als meinen Auftrag, den Künstlern einen besseren Start zu ermöglichen.“

„Das ist eine Chance, das sehe ich ein. Es gibt wahrscheinlich mehr Freiheiten für das künstlerische Schaffen, und die Seele kann weiter fliegen. Ich finde das sehr lobenswert von dir, dass du so etwas hier für die Kunststudenten machst, denn du hattest mir geschrieben, dass du dich selbst von deinem alten Leben verabschiedet hast. Daher nehme ich nun an, dass du etwas erlebt hast, das du gern hinter dir lassen möchtest. Wenn du einmal darüber reden möchtest, kannst du mir gern davon berichten.“

„Du hast Recht, Adelaide. Ich freue mich auf ein ganz neues Leben hier im Schloss mit ganz neuen Bekanntschaften. Die alten Erlebnisse müssen sich erst einmal setzen, um nicht dauernd in mir herumzuwirbeln wie das Gemüse in einer kochenden Suppe. Aber der Tag wird kommen, an dem mir ein Gespräch fehlt, da bin ich ganz sicher.“

„Da du gerade von Suppe sprichst, heute Abend bereiten Roberto und Gianni Minestrone und Pizza vor. Bist du damit einverstanden, oder hast du einen besonderen Wunsch?“

„Ich mag die italienische Küche, und speziell, wenn sie von Italienern zubereitet wurde, die ihre Originalrezepte aus Italien mitgebracht haben. Kann ich vielleicht etwas helfen?“

„Das ist im Augenblick nicht nötig“, berichtete die Schlossherrin. „Die beiden Köche haben außer meiner Angestellten Carla momentan sehr viel Hilfe von den Kunststudentinnen. Der junge Koch Gianni hat sich zwar gerade mit Rebecca verlobt, einer sehr lieben jungen Frau, aber Roberto ist Single und besitzt eine ganze Menge Charme, da reißen sich die jungen Damen gerade darum, in der Küche das Gemüse zu putzen.“

Hannah lächelte. „Dann haben die Studentinnen von mir nichts zu befürchten. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Partner. Im Augenblick habe ich meine genauen Vorstellungen von dem, was ich in der nächsten Zeit tun werde, und das hängt mit meiner Arbeit zusammen: Ich möchte meine Klienten glücklich machen.“

„Hast du deine bestimmte Vorgehensweise?“ erkundigte sich Adelaide. „Arbeitest du sie nacheinander ab, wenn man das einmal ganz profan so nennen will?“

„Na ja, nicht ganz. Meist lasse ich mir einmal ganz kurz ein Profil geben und nehme mit dem Klienten einen Kontakt auf, damit ich schon mal überlegen und ganz grob suchen kann. Aber danach gehe ich schön der Reihe nach und nacheinander vor. Zuerst mache ich mir dann die Mühe, meinen Klienten nach meinen Kriterien zu durchleuchten. Das Erkennen des Temperaments spielt eine ganz große Rolle.“

„Das kann ich mir gut vorstellen“, fand Adelaide. „Einen temperamentvollen Pianisten kannst du nicht als Klavierlehrer einsetzen, und ein ehrgeiziger Virtuose wird sich nicht gut versteckt in einem Orchester fühlen.“

„Genauso ist es, und deswegen bin ich so froh, dass ich meine Klienten hier in aller Ruhe kennenlernen kann. Nur eine einzige kleine Sorge habe ich noch.“

Die Schlossherrin hob die Augenbrauen. „Und? Um was geht es da?“

„Ich habe gehört, dass es hier im Schloss immer wieder zu rätselhaften Ereignissen gekommen ist und in einzelnen Fällen sogar schon Kriminalfälle die friedliche Atmosphäre des Schlosses störten. Meine Nerven sind in der Vergangenheit ziemlich gebeutelt worden. Befindet ihr euch momentan in einer ruhigen Phase?“

Adelaide schmunzelte. „Im Moment ist es hier ausnehmend ruhig. Aber, eine Garantie für Ruhe und Frieden gibt es natürlich nie.“

2. Kapitel

Nachdem Hannah ihr Gepäck im Dachzimmer verstaut, geduscht und sich ein leichtes Sommerkleid angezogen hatte, gönnte sie sich einen Blick aus dem winzigen Dachfenster, das ihr eine Sicht auf den wolkenlosen, azurblauen Himmel erlaubte.

Diese Farbe kannte sie aus den südlichen Ländern, Erinnerungen an vergangene Reisen meldeten sich schemenhaft aus dem Gedächtnis.

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und die junge Frau kehrte mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück.

Durch einen Türspalt blickte sie erwartungsvoll in den Vorraum und entdeckte einen jungen Mann, dessen dunkle Locken bis auf die Schultern herabhingen.

„Entschuldige bitte, dass ich dich jetzt schon hier aufsuche, aber meine Neugier hat mir keine Ruhe gelassen. Ich bin Xaver, der angehende Pianist, und den Nachnamen „Hellmann“ kennst du ja bereits durch meine Anmeldung bei dir. Ich hoffe, ich störe dich nicht allzu sehr.“

Hannah lächelte. „Nein, so schlimm ist es nicht. Komm einfach herein und setz dich! Immerhin ist hier ein Stuhl in dem winzigen Zimmer, und ich habe immer noch auf der Schlafcouch Platz.“

„Ich kann gut stehen“, behauptete er. „Und außerdem wollte ich dich direkt mit hinunterführen, denn wir treffen uns gleich alle zum Abendessen in der urigen Schlossküche.“

Sie sah ihn aufmerksam an. „Du hast bestimmt etwas Dringendes auf dem Herzen. Stimmt es?“

Er seufzte. „Du hast es erraten. Es hat sich etwas ereignet, von dem du noch nichts wissen kannst. Und das hängt mit der reichen Frau Ackermann zusammen. Hast du schon einmal etwas von ihr gehört?“

Hannah nickte. „Oh ja, eine ganze Menge. Sie ist die unglaublich reiche Tante der berühmten Schauspielerin Laura Camissoll, meiner guten alten Freundin, die in Amerika einen Film nach dem anderen dreht. Frau Ackermann wohnt jedoch hier in der Nähe und hat schon manchen Menschen mit ihrer Hilfsbereitschaft viel Glück gebracht. Unter anderem hat sie auch hier eine Menge Geld in das Schlossmuseum gesteckt und von Zeit zu Zeit fördert sie auch Künstler.“

„Genau die meine ich. Sie war vor ein paar Tagen hier und hat sich mit der Schlossherrin Adelaide unterhalten.“

„Das ist nichts Neues“, fand die junge Frau. „Die beiden kennen sich auch schon sehr lange. Seit Moro Rossini, Adelaides Mann verstorben ist, besucht sie das Schloss öfters und spendet von Zeit zu Zeit dabei auch ganz gern für die kleinen und großen Veranstaltungen.“

Xaver spielte mit seinen Händen. „Genau darum geht es ja auch. Ich habe unfreiwillig etwas belauscht, als die beiden im Park am Venusbrunnen saßen. Ich hatte mich gerade an den Fliederbüschen aufgehalten und konnte mich nicht von ihrem süßen Duft lösen, da hörte ich, wie dein Name fiel.“

„Mein Name?“ fragte Hannah verwundert.

„Ja, das hat mich auch erstaunt. Die beiden haben nämlich einen Deal beschlossen und sich eine Art Wettspiel ausgedacht. Es geht um dich und deine sieben Klienten, die du hier nach und nach sozusagen unter eine Berufshaube bringen möchtest. Es geht um die sieben Künstler und deine Ideen und Pläne, mit denen du den Künstlern hier zum Erfolg verhilfst.“

Hannah schüttelte den Kopf. „Da kann ich dir im Moment wirklich noch nicht folgen. Es ist doch allen bekannt, dass ich mich hier für alle sieben Kunststudenten bemühen werde, damit sie ein gutes Engagement bekommen.“

„So weit ist es dir bekannt, aber Frau Ackermann fand es ganz lustig, wieder einmal Preisgelder auszusetzen. Sie will die originellsten Geschichten belohnen. Dabei sollst nicht nur du einen Bonus bekommen, sondern auch die jeweiligen Studenten. Und die Preise sind natürlich gestaffelt, je nach Originalität der Entwicklung.“

„Das klingt natürlich spannend“, fand die junge Frau. „Geld könnt ihr alle sicherlich gut gebrauchen, zumal Frau Ackermann nicht kleinlich ist. Aber was hast du jetzt vor? Du wirst die ganzen Geschichten nicht beeinflussen können, nicht einmal ich kann das. Sie wachsen einfach so aus den schicksalhaften Zufällen und meiner hartnäckigen Arbeit.“

„Oh nein, wenn du denkst, ich wollte irgendeinen Profit daraus schlagen, dann irrst du dich. Ich weiß auch, dass man deine Arbeit als Agentin weder beeinflussen noch manipulieren kann. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es richtig ist, dass ich jetzt etwas davon weiß, und all die anderen sechs haben keine Ahnung. Gewiss, ich kenne sie auch nicht näher, weil sie nicht gemeinsam mit mir studiert haben. Da gibt es eine Sängerin, einen Maler, einen Bildhauer, einen Fotografen, einen Tenor, eine Schauspielerin Manuela und eine Schauspielerin Leonie, die verschiedene Fächer in der Kunstakademie belegt haben. Und alle konnten ihre Studien mit einer sehr guten Note zum Abschluss bringen. Also, ich bin ihnen keinen freundschaftlichen Dienst schuldig, aber ist es auch fair, wenn ich mehr weiß als sie?“

Hannah lächelte. „Wenn das so ist! Mach dir darüber keine Sorgen! Durch dein Wissen bist du auf keinen Fall im Vorteil. Wir können das alles im Vorhinein nicht beeinflussen. Ich werde jetzt jeden einzelnen von euch kennenlernen. Ein persönliches Gespräch mit jedem am Anfang, und dann geht es zuerst mit dir los, denn du hast dich als Erster beworben. Ich bevorzuge niemanden, es geht der Reihe nach in der Reihenfolge, in der sich die Studenten bei mir beworben haben. Aber mit wem ich jetzt ein größeres Abenteuer erlebe, welche Geschichte spektakulärer sein wird, das kann keiner von uns beeinflussen.“

Er atmete erleichtert auf. „Wie bist du denn überhaupt auf die Idee gekommen, Agentin für Künstler zu werden?“

„Das kann ich dir sagen. Die Journalistin Abigail Mühlberg hat mich auf diese Idee gebracht. Sie hat zuerst Laura an einen Agenten vermittelt, durch den sie wiederum an den berühmten Regisseur Kevin Braun gelangt ist, der sie dann ganz groß herausgebracht und letzten Endes auch noch geheiratet hat. Da dachte ich, jeder Künstler muss eine Chance haben, das Beste aus sich herausholen zu können, und das hat wiederum meinen ganzen Ehrgeiz gepackt.“

Er lächelte. „Ah, dann kann ich es jetzt gut verstehen, denn von Lauras unglaublicher Karriere habe ich auch schon etwas gehört. Und was sagst du nun zu dem Wettbewerb? Wollen wir einfach darüber schweigen?“

Sie nickte. „Ja, das halte ich für sinnvoll, denn die Abenteuer meiner Recherchen kann ich nicht beeinflussen. Aber jetzt habe ich tatsächlich Hunger. Begleitest du mich in die Schlossküche?“

„Gern, und falls du sie noch nicht gesehen hast, wirst du sicherlich überrascht sein. Sie ist zwar technisch auf dem neuesten Stand, aber die alten Kupferkessel und Backformen sind Schmuckstücke. Wenn wir alltags drinnen sind, halten wir uns dort am liebsten auf. Das liegt natürlich nicht nur an der Gemütlichkeit dieses urigen großen Raumes, sondern auch an der Ausstrahlung der beiden liebenswerten Köche Roberto und Gianni, die häufig singen und Fröhlichkeit verbreiten.“

„Davon habe ich auch schon gehört. Adelaide hat mir schon erzählt, dass sie die Speisen mit einer Prise Heiterkeit würzen. Ich glaube, sie ist sehr froh, dass sie von den Köchen ein wenig an ihren verstorbenen Mann erinnert wird, den sie so sehr vermisst. Und sie berichtete mir auch, dass Moro ganz anders gewesen sei, teilweise sehr melancholisch und von Weltschmerz verletzt, aber dann auch wieder heiter und vor allen Dingen unermesslich herzlich. Schade, dass ich ihn nicht mehr kennenlernen konnte.“

„Ich habe ihn auch nicht mehr kennengelernt“, bemerkte Xaver betrübt. „Und ganz abgesehen davon finde ich es auch sehr schade, dass du dir jetzt von ihm keinen Rat holen kannst, denn er kennt bestimmt sehr viele Künstler in Italien. Er war in einem bekannten Kulturverein, da hättest du bestimmt besonders gute Beziehungen knüpfen können. Wirst du deine Suche auch auf Italien ausweiten?“

Hannah sah ihn überrascht an. „Warum eigentlich nicht?! Adelaide hat bestimmt noch Connections zu den Freunden ihres Mannes.“

Xavers Augen leuchteten. „Italien würde mir schon gefallen. Da sind sehr viele Menschen musikalisch, sie haben das im Blut. Vielleicht musst du da gar nicht so weit ausschweifen.“

Die junge Frau sah ihn erstaunt an. „Wie meinst du das?“

„Also, die beiden Köche haben möglicherweise auch bekannte Künstler in ihren Familien. Moros Mutter war ebenfalls Köchin. Ich denke, Künstler und Köche haben verwandte Seelen.“

„Wie bitte? Köche und Künstler? Gut, ein Koch muss auch einen guten Geschmack haben, kreativ und möglicherweise sogar risikobereit sein“, scherzte sie. „Und auf ihre Art und Weise sind geniale Köche auch Künstler. Aber trotzdem würde ich sie in einen anderen künstlerischen Bereich einordnen. Dadurch, dass sie etwas herstellen, was man sehr häufig benötigt, sind sie auch viel leichter zu vermitteln.“

„Ich finde, sie benötigen die gleichen Talente wie beispielsweise ein Maler, denn das, was sie herstellen muss auch für das Auge etwas Besonderes sein. Und zusätzlich ist ihre sensible Zunge sehr gefragt, ein ausgeprägter Geschmackssinn ist erforderlich.“

Hannah lachte. „Ich vermute, du isst sehr gern. Mit diesem Wissen kann ich dich schon etwas besser einordnen. Damit hast du mir bereits den ersten Tipp für deine Vermittlung gegeben. Dein Arbeitgeber sollte dir genügend Pausen geben und die Gelegenheit zu lukullischen Genüssen bieten.“

„Die werden wir jetzt haben“, prophezeite Xaver. „Und wenn du ein so gutes Gehör hättest wie ich, könntest du schon meinen knurrenden den Magen hören.“

3. Kapitel

Die Studenten hatten in der Küche den Tisch mit Besteck und Servietten gedeckt und halfen den beiden Köchen beim Verteilen der Suppenschüsseln, in denen die Minestrone herzhaft duftete. Bernhard und Carla verteilten die Getränke, während sich Adelaide und Abigail um die Sitzverteilung kümmerten.

Eine mollige junge Frau mit blonden Locken setzte sich neben Hannah und stellte sich vor. „Ich bin Ina Frentzen und freue mich sehr, dich nun auch persönlich kennen zu lernen. Ich war schon riesig neugierig auf dich und habe versucht, so viel wie möglich im Internet zu recherchieren. Ich bin übrigens deine zweite Klientin, gleich nach Xaver Hellmann. Gefällt dir dieses Schloss auch so gut?“

Hannah nickte. „Es gefällt mir sehr gut, besonders, da es mich an das Schloss Moritzburg bei Dresden erinnert, von außen jedenfalls. Die Parkanlagen sind liebevoll gepflegt und fantasievoll gestaltet. Besonders der Teil mit der südländischen Vegetation gefällt mir ausnehmend gut. Und drinnen ist es so vielfältig, wie ich es noch nie in einem Schloss gesehen habe. Da sind die festlichen Säle in altem Stil mit antiken Möbeln und glitzernden Leuchtern, die romantischen Salons, das stilvolle Atelier von Moro Rossini und die vielen kleinen persönlich eingerichteten Suiten und Zimmer. Da ist eigentlich für jeden Geschmack etwas da, und die Menschen, die mir bis jetzt begegnet sind, scheinen alle nicht zu der oberflächlichen Sorte zu gehören.“

Ina lächelte. „Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Und wir sieben, die wir uns bei dir beworben haben, sind ganz besonders chaotisch, das wirst du schon merken. Leider befürchte ich, dass wir alle nicht pflegeleicht sind. Und daher schätze ich auch, dass du es nicht einfach haben wirst, uns in geeigneten Stellen unterzubringen, geschweige denn, uns problemlos in gute Positionen vermitteln zu können.“

„Kannst du dir auch vorstellen, im Ausland zu arbeiten, oder muss es unbedingt Deutschland sein?“

Ina überlegte und nahm einen Schluck Kaffee. „Ich war schon ein paarmal in Frankreich, dort gefällt es mir sehr gut. Die Provence ist zauberhaft. Aber da gibt es ein Problem.“

„Das solltest du mir schon sagen, damit ich wirklich für dich etwas Perfektes finden kann“, forderte Hannah die junge Sängerin auf.

Ina druckste ein bisschen herum. „Also, die Problematik hängt mit einem Mann zusammen. Und sogar mit einem, den du bereits flüchtig kennengelernt hast. Es geht um Xaver, den du ja ebenfalls vermitteln möchtest. Ich glaube, ich bin in ihn verliebt, und wenn du dich jemals hoffnungslos verliebt hattest, dann weißt du vielleicht, welche Probleme das mitbringen kann.“

Hannah atmete tief. „Ah, jetzt verstehe ich. Du findest es ideal, wenn ich euch beide an denselben Ort vermitteln könnte. Möglicherweise sogar an derselben Stelle.“ Sie lächelte. „Stimmt‘s?“

„So ist es. Genau deswegen habe ich auch eine Vermittlung bei dir gebucht, das muss ich dir jetzt beichten. Ich bin sicher, dass ich irgendwo als Sängerin an einer Oper oder irgendwo anders unterkommen kann. Wenn ich will, habe ich nämlich die notwendige Beziehung durch einen entfernt verwandten Onkel. Aber was nutzt es mir, wenn ich mich von Gerald vermitteln lasse und du dagegen Xaver nach Amerika verfrachtest. Ich kann ja auch schlecht zu Xaver hingehen und ihm sagen: „Geh mit mir an den oder den Ort!“

„Das kann ich verstehen. Ihr kennt euch sicher noch nicht besonders gut?“

„Wir sind erst seit kurzer Zeit ein wenig befreundet. Da wollte ich ihn bisher auch noch nicht so ausquetschen. Ich weiß ja gar nicht, welche Vorstellungen er für seinen zukünftigen Beruf hat. Für ihn ist es bestimmt schwerer, etwas Passendes zu finden. Und es kam mir auch zu aufdringlich vor, ihn einfach zu fragen, ob er lieber irgendwo ansässig sein oder in der Welt herumreisen möchte.“

Hannah grinste. „Je nachdem, in welchem Zusammenhang du diese Frage stellst, könnte es sich tatsächlich so anhören, als fragtest du, ob er eine Familie gründen möchte. Mit dieser Sensibilität wirst du ihn auf jeden Fall nicht bedrängen, geschweige denn überrennen.“

Ina atmete auf. „Gott sei Dank! Und jetzt weißt du auch, warum ich mich unbedingt vorgedrängelt habe. Denn wenn du ihn erst einmal irgendwohin vermittelt hast, habe ich weit weniger Chancen. Vielleicht sollte ich dir auch noch sagen, dass mein Patenonkel Gerald ziemlich reich ist. Falls du wirklich jemanden einmal ein ganz kleines bisschen bestechen musst, so könnte ich schon ein paar Euro als Dankeschön auftreiben. Aber fass das jetzt bitte nicht als Druck auf! Das ist einfach nur so für den Notfall wichtig, damit du weißt, dass du da einen relativ freien Handlungsspielraum hast.“

Hannah lächelte und nahm einen Schluck heiße Schokolade. „Da ich euch beide unter Vertrag genommen habe, werde ich mich auch für euch beide bemühen. Ich liebe Herausforderungen.“

„Dass ist gut. Dann willst du also versuchen, Xaver und mich unter einen Hut zu bringen. Du bist wirklich riesig nett, denn er ist wirklich ein ganz toller Typ, und ich befürchtete schon, du könntest dich selbst in ihn verlieben.“

Da musst du dir keine Sorgen machen, Ina! Dieser junge Mann ist nicht mein Typ. Bist du denn sicher, dass er solo ist? Und du bist auch gerade Single?“

Sie nickte eifrig. „Oh ja. Er hat es beim Essen gestern erst deutlich verkündet, dass er an niemanden gebunden ist und deswegen ganz frei sein kann. Das sagte er aber nicht in Bezug auf die Frage nach einer Partnerschaft, sondern als ihn Jonas, der Maler, fragte, ob er mit ihm auch nach Amerika ginge. Den Jonas hast du doch auch unter Vertrag, oder?

„Ja, genau. Hast du mit ihm etwa auch etwas vor?“ scherzte Hannah. „Ich hoffe du hast nicht auch noch Vermittlungswünsche für ihn.“

Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Für ihn nicht, aber für Leonie, die Schauspielerin.“

Hannah stöhnte gespielt. „Du bringst mich noch um den Verstand. Was ist jetzt mit ihr? Welche Sonderwünsche hast du da anzumelden?“

„Leonie wird sich bestimmt noch bei dir melden, darauf wette ich. Sie interessiert sich nämlich auch sehr für Xaver und wird dich bestimmt auch bitten, für sie in seiner Nähe etwas zu suchen. Aber es ist wichtig, dass ich dich darüber aufkläre: Sie verliebt sich alle paar Wochen wieder aufs Neue. Sie sucht keine feste Bindung, das kannst du mir glauben. Trotzdem interessiert sie sich ungeheuer für alles, was mit ihm zusammenhängt. Ich denke, es reizt sie, dass er sich ein bisschen rarmacht.“

„Hannah hob die Augenbrauen. „Diese Komplikationen hatte ich allerdings nicht einkalkuliert. Ich gehe normalerweise nach ganz anderen Kriterien vor. Und ich kann dir jetzt auch noch gar nichts versprechen. Ich werde versuchen, deine Wünsche zu berücksichtigen. Aber möglicherweise kommt dann alles auch ganz anders. Ich hatte mir vorgestellt, dass du mir zuerst berichtest, welche Arien du bereits schon gesungen hast, damit ich deine Vielseitigkeit begutachten kann.“

„Oh, beim Singen bin ich nicht so schüchtern. Da habe ich mich schon an alles herangetraut. Ich singe die Carmen genauso ausdrucksvoll wie die Madame Butterfly oder die Eliza in My fair Lady. Und meine Stimme ist sehr wandlungsfähig. Aber ich singe dir jederzeit gern etwas vor. Wenn du Zeit hast, können wir uns gern einmal im Musikpavillon treffen.“