Andenken - Franz Rieder - E-Book

Andenken E-Book

Franz Rieder

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Philosophie des menschlichen Daseins – 7 Bände Band I: Andenken behandelt in knapper Form die Entstehung und Entwicklung wichtiger Themen und Denkmuster, angefangen in der antiken, griechischen Philosophie bis in die Moderne des Abendlandes. Dabei wird eine Neubestimmung abendländischen Denkens aus der Komplementarität von Denken und Sein vorgenommen und damit die bestehenden Bestimmungen aus dem Gegensatz und der Negation bzw. dem Widerspruch zwischen Denken und Sein überwunden. Eine Neubesinnung auf das Thema und die Phänomenologie der Macht als politische Macht will die Inflation soziologischer Machtbestimmungen beenden und den Weg aufzeigen, wie politische Macht als phantasmatische Macht im Dasein des Menschen sich ausgebreitet hat und heute weiter prozediert. Dies ist zugleich eine Grundlegung einer neuen, praktischen Philosophie, die weder ohne eine Rückbesinnung traditioneller Denkmuster, noch ohne einen neuen Begriff des Zoon politikon, des politischen Menschen auskommt.

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Seitenzahl: 947

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Philosophie des menschlichen Daseins

Andenken

Ein Anfang in Erinnerung

Die Geburt der Ideen aus der griechischen Tragödie

Band 1 von sieben Bänden.

Autor: Franz Rieder

Erstmals veröffentlicht 2021 im Selbstverlag.

Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe 2025 durch

Franz Rieder, Nievenheimer Str. 17, 40221 Düsseldorf

E-Mail: [email protected]

Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis5

Vorwort11

Einleitung14

Kapitel 1: Was uns bewegt...22

Philosophische Grundlagen22

Raum und Zeit23

Ontologie und Metaphysik25

Der Begriff der Komplementarität27

Zurück an den Ursprung der Ideen30

Ich bin, also denke ich.31

Wahrheit und Sein bei Platon - Der Begriff der Aletheia33

Platons Begriff des Seins: Ousia34

Werden und Beständigkeit – Parmenides und Heraklit37

Kausalität und Zufall43

Nichts ist ohne Grund. Nur dieser Satz.44

Raum. Zeit. Veränderung.47

Nous und Ananke bei Platon49

Wahrheit und Notwendigkeit52

Kapitel 2. Zufall und Notwendigkeit55

Erkenntnistheorie und der Antagonismus der Zeit55

Kurzer Exkurs in die Theologie57

Chṓra. Die Kraft des Werdens, der Veränderung.58

Das Wesen von Raum und Zeit59

Von Platon zu Aristoteles. Zeit und Kausalität.62

Wie kommt das Sein in unsere Köpfe?65

Die Fragen nach Wesen und Grund71

Die neue Tektonik des Seins.75

Die Einheit von Kunst und Kultstätten83

Das Ansehen von Handwerk und Kunst85

Rhetorik. Die Kunst der Rede.86

Die Bedeutung von Kunst in der griechischen Philosophie88

Wahrheit und Täuschung. Parmenides.91

Wahrheit und Täuschung. Pythagoras und Heraklit.93

Transzendenz bei Demokrit.95

Transzendenz und Immanenz97

Von Platon zu Aristoteles über die Sophisten99

Was war passiert? Die Sophisten!100

Der Mensch als Maß aller Dinge102

Platons erweiterter Kunstbegriff105

Von hier aus. Unterwegs zur Geschichte108

Abstraktion im Kunstbegriff von Platon108

Das Verständnis von Kunst bei Aristoteles109

Die vier Ursachen nach Aristoteles110

Anamnesis. Wo kommt das Wissen her?114

Vom Primat des Denkens vor dem Handwerk115

Die ontologische Differenz von Denken und Sein116

Die Kunst betritt das Feld der Geschichte118

Vom Vergnügen und der Entsagung. Epikureer und Stoa120

Ein erstes Zwischenfazit:123

Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in der Stoa125

Twîfla: doppelt, gespalten, zweifach, zwiefältig.130

Das Denken unterwegs zu sich selbst.132

Alles wächst zusammen. Nur Verstand und Vernunft nicht.135

Der ewige Ärger mit dem Nous.137

Nur noch die Weltseele kann uns retten.139

Zum Verständnis der Zeit.139

Wie wird aus Einheit Vielheit?142

Philosophie unterwegs zur theologischen Hermeneutik.143

Logos und Theos vermählen sich zur Theologie.145

Die Kunst als Jünger Gottes147

Kapitel 3: Philosophische Anthropologie150

Exkurs in die Philosophische Anthropologie150

Das platonische Menschenbild151

Das aristotelische Menschenbild…154

Das schwierige Problem mit den Universalien157

Das Verhältnis von Allgemeinem Besonderen und Einzelnem.158

Das Menschenbild der Stoa163

Das epikureische Menschenbild.169

Cry Baby Cry: Was ist der Mensch?173

Vom Sein zum Lebensvollzug176

Der Mensch – ein Sonderentwurf?177

Die Schrift. Identität und Integration179

Niemand ist allein auf der Welt192

Jeder ist der Andere und Keiner er selbst.194

Die Welt steht uns offen.197

Wir nicht Man198

Wir alle oder Keiner201

Das regulative Wir203

Wir alle205

Wir alle – Keine Zeit206

Einfach Dasein209

Vor Sorge verwirrt sein211

Sorgen um mich und um andere214

Auf der Suche nach dem Sinn217

Der Mensch ist ein Teil der Natur218

Phänomenologie220

Phänomenologie mit Husserl223

Transzendentale Phänomenologie224

Phänomenologie und Selbstgewissheit226

Mensch und Natur228

Zur Etymologie des Objekts.229

Frei von Natur aus?232

Was machte die Natur zum Objekt?233

Wer war das und wann hat das angefangen?236

Das verdammte Ding mit dem Einzelnen238

Die Mäßigung der Ideen.240

Weil es von Vorstellungen zu Ursachen keine Brücken gibt.242

Begriffen bei der Arbeit zuschauen244

Mit Kant denken.249

Der Rückgang in den Grund251

Es gibt jeden Grund zur Sorge254

Kapitel 5: Mit dem Nichts auf Wanderschaft256

Aus dem Grund heraus philosophieren256

Vom Sein über das Wesen zum Begriff258

Vom Sein über das Wesen zum Begriff – nächster Schritt260

Vom verständigen zum vernünftigen Denken.263

Der Schluss ist die Gestalt der Wahrheit266

Von der theoretischen zur praktischen Erkenntnis269

Von der Freiheit im Geiste270

Das Paradox unserer Identität273

Unterwegs zu sich selbst275

Die geborgte Identität277

Sackgasse oder Holzweg278

Das Gravitationsgesetz des Denkens280

Alles dreht sich um die Negation282

Eins-Zwei-Drei-Eins-Zwei-Drei284

Ein Tanz- und Spottlied dem Geist der Schwere287

Im Rausch der Sinne289

Das Nichts291

Das Sein und das Nichts293

Das Sein – das Nichts – das Verschiedene296

Das Sein – das Nichts – das Werden299

Das Nichts als Mangel301

Das Nichts und der Grund305

Der unzureichend zureichende Grund308

Der unzureichend zureichende Grund308

Die vier Grundkräfte der Physik310

Nichts ist unmöglich312

Nichts ist unmöglich312

Begrenzte Möglichkeiten315

Begrenzte Möglichkeiten315

Erschließende Komplexität318

Ist alles möglich?323

Ist alles möglich?323

Rien de va plus - Nichts geht mehr325

Rien de va plus325

Alles ist möglich.328

Alles ist möglich.328

The German Angst in Frankreich331

The German Angst in Frankreich331

Zwei Schritte vor, einen zurück.335

Zwei Schritte vor, einen zurück.335

Romulo rege Sabinae raptae sunt339

Romulo rege Sabinae raptae sunt339

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen342

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen342

Von Sinnen345

Macht Sinn348

Kapitel 6: Macht351

Individuelle Macht gibt es nicht! ...sondern nur politische Macht351

Macht medium rare353

Macht well done355

Macht english357

Macht politisch359

Macht ein Ende …362

Macht - Ein Grenzfall des Bewusstseins366

Kritik am Radikalen Konstruktivismus367

Macht bewusst369

Machtvorstellung372

Macht besessen376

Größer als der Mount Everest378

Bodenbildung381

ohne Bodenhaftung382

Ground Zero384

Ground Control386

Tektonik des Seins…388

Under my thumb391

Daumenschrauben393

Hausmacht395

Machtverständnis397

Anthropologie der Macht399

Macht-Muster402

Macht-Ausgleich403

Macht-Nutzen406

Macht-Benefits408

Macht-Metaphysik410

Macht-Aufklärung412

Macht-Recht418

Macht irre419

Macht-Persönlichkeit421

Das Andere in uns424

Die Macht des Anderen426

Deklinationen des Anderen: die Sprache429

Deklinationen des Anderen: die Religion431

Allmacht und Beeinflussung434

Gottes Krieger436

Gott ist tot439

Es lebe Gott441

Macht Alltag444

Macht und Ohnmacht der Arbeit451

Der Mensch zur Arbeit geboren.452

Arbeit und Hungerlöhne.453

Arbeit als Berufung458

Arbeit als Traumjob und prekäre Beschäftigung459

Stichwort und Begriffsregister461

Literaturliste:467

Bild: Martha Cooper https://uk.pinterest.com/chrissy_drc/martha-cooper/

Vorwort

Band I: Andenken behandelt in knapper Form die Entstehung und Entwicklung wichtiger Themen und Denkmuster, angefangen in der antiken, griechischen Philosophie bis in die Moderne des Abendlandes. Dabei wird eine Neubestimmung abendländischen Denkens aus der Komplementarität von Denken und Sein vorgenommen und damit die bestehenden Bestimmungen aus dem Gegensatz und der Negation bzw. dem Widerspruch zwischen Denken und Sein überwunden. Eine Neubesinnung auf das Thema und die Phänomenologie der Macht als politische Macht will die Inflation soziologischer Machtbestimmungen beenden und den Weg aufzeigen, wie politische Macht als phantasmatische Macht im Dasein des Menschen sich ausgebreitet hat und heute weiter prozediert. Dies ist zugleich eine Grundlegung einer neuen, praktischen Philosophie, die weder ohne eine Rückbesinnung traditioneller Denkmuster, noch ohne einen neuen Begriff des Zoon politikon, des politischen Menschen auskommt.

Band II: An die Arbeit behandelt die theoretischen Systeme, die sich mit der menschlichen Arbeit beschäftigt haben. Das sind wenige aus der Philosophie, die man zudem auch nur einigermaßen systematisch nennen kann. Da sind die Theorien der politischen Ökonomie, angefangen bei Platon, dann differenzierter bei Aristoteles bis hin zu Adam Smith und Karl Marx. Und natürlich die Wissenschaften der Ökonomie, die wir unter den Begriff der Ökonomik versammeln. Thematisch geht es in diesem Band um den Zusammenhang zwischen individuellem Wohlstand und gesellschaftlicher Wohlfahrt in grundlegender Absicht. Dabei spielen Überlegungen zur Wertschöpfung (Produktion) und zu den Märkten hinsichtlich der Entwicklung von Löhnen und Gehältern und deren Auswirkungen auf die Preise (Konsum) eine zentrale Rolle. Dort von den Konsummärkten, wo Angebot und Nachfrage herrschen, blicken wir wieder zurück auf die Einflussfaktoren bei der Herstellung der Güter, auf Eigentum, Geld und Kreditzinsen. Dabei entwickeln wir durch den gesamten Band II eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Ideologien, an deren Basis die des Homo Oeconomicus steht. Und mit dieser Auseinandersetzung um das Prinzip der unbedingten Nutzenmaximierung auch die Frage, ob man zu einer besseren Theorie und Praxis für und in der Art, wie wir unser Dasein reproduzieren, kommen kann, wenn wir dieses Nutzen- bzw. Gewinnmaximierungsprinzip abschaffen würden.

Band III: Die Transformation der Marktwirtschaft beschäftigt sich mit den Prozessen innerhalb der Ökonomik, die aus der klassischen politischen Ökonomie herausführen in eine Wirtschaftsform, die immer weniger zu tun hat mit einer Marktwirtschaft, sei diese nun eine Liberale Marktwirtschaft, wie in den angelsächsischen Modellen, oder innerhalb von einer Sozialen Marktwirtschaft wie in den europäischen Modellen.

Band IV: Zu einer neuen Politischen Ökonomie. Dieser Band beschäftigt sich mit den Modellen der klassischen und neoklassischen Ökonomik, die eine wissenschaftliche Entwicklung beschreiben, deren letzten Kapiteln wir gerade beiwohnen. Hier werden die Schlusskapitel der politischen Ökonomie geschrieben, die mit den Transformationsprozessen innerhalb der Politischen Ökonomie nicht mehr Schritt halten können, weil sie mit den wirklichen Einflüssen, die Politik heute über die Notenbanken auf die Ökonomie ausüben, intellektuell nicht mitkommen.

Band V: Digitalisierung. Dieser Band betrachtet den digitalen Wandel in den neuen Feldern der politischen Ökonomie, vor allem auf dem Feld der Geldpolitik. Hieraus ergeben sich Veränderungen auf allen Feldern der Ökonomie und zwar in globaler Hinsicht. Mit der Einführung von Digitalgeld und der sukzessiven Abschaffung des Bargelds gewinnt die Geldpolitik immense Spielräume, die etwa das fünf- bis sechsfache dessen ausmachen, womit sie bis dato umzugehen in der Lage ist. Geld- und Fiskalpolitik werden so in absehbarer Zukunft kaum noch etwas damit zu tun haben, was wir bislang davon kennengelernt haben. Für die Wirtschaft und die Wissenschaft der Ökonomie hat das weitreichende Konsequenzen. Die Wirtschaft wird sich darauf einstellen müssen, dass sie zunehmend weniger in marktwirtschaftlichen Zusammenhängen operiert. Die Wissenschaft darf sich darauf einstellen, dass damit auch fast alle ökonomischen Kategorien ihre wissenschaftliche Relevanz verlieren. Digitalisierung beschäftigt uns auch im Zusammenhang mit den neuen Kryptowährungen und natürlich auch im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz, beides neue Technologien, die unser Leben mehr verändern, als dies Technik vorher jemals vermochte. Sie verändert unsere Art zu arbeiten, unser Freizeitverhalten, unsere Bildung und auch unser Bewusstsein, und nicht zuletzt unseren Umgang miteinander grundlegend. Wie solche grundlegenden Veränderungen in die Welt kommen, darum geht es in diesem Band. Die sozialen, kulturellen und zwischenmenschlichen Auswirkungen der neuen Geldpolitik und der neuen Technologien in Hinblick auf die Lebensgrundlagen und Lebensverhältnisse, in denen das menschliche Dasein sich entfaltet, wird uns in einem Band VI. dann beschäftigen.

Band VI: Veränderung. Dieser Band versucht den komplexen Sachverhalt von Bewahrung und Veränderung aus vielen, möglichst den relevanten Perspektiven nachzuzeichnen in der Absicht, Klarheit zu schaffen. Klarheit darüber, was die wesentlichen Kräfte sind, die einer Bewahrung wie andererseits einer Veränderung entgegenstehen, wobei wir den Sachverhalt, also das, was bewahrt wird oder verändert wird in jeder Perspektive mit betrachten und also erst aus diesem Zusammenhang bestimmen können.

Band VII: Perspektiven. Dieser Band ist ein Sammelsurium, eine Ansammlung von Möglichkeiten, die in der Zukunft möglicherweise eine Rolle spielen werden und deshalb auch Möglichkeiten mit Perspektiven zu nennen sind. Es gibt viele Möglichkeiten, aber nicht alle haben die Perspektive, eine Rolle, eine entscheidende Bedeutung in unserem Leben in der Zukunft zu spielen, gar unserem Dasein einen anderen, einen neuen Sinn zu verleihen. Ganz gleich, ob unser Dasein durch neue Seinsmöglichkeiten bereichert wird, oder nicht. Denn auch die Frage nach dem Wert eines neuen, sinnvollen Lebens kann nicht endgültig beantwortet werden, zumal, wenn Veränderungen mit neuen Perspektiven sich erst noch in der Phase der Entwicklung oder in einer Phase der Transformation von Altem auf Neues hin befinden. Eine praktische Philosophie, die unser Dasein aus neuen Möglichkeiten und neuen Perspektiven betrachtet, bleibt notwendigerweise also vage, was nicht heißt, irrelevant.

Einleitung

Heute eine Philosophie des menschlichen Daseins zu entwerfen, scheint höchst zweifelhaft. Wer braucht so etwas? So fragen nicht nur solche Menschen, die mit dem, was sie aus der philosophischen Öffentlichkeit in jüngeren Zeiten erreicht hat, wenig anfangen können; so fragen auch wir. Die philosophische Öffentlichkeit, wenn es denn überhaupt eine gibt, die mehr sein will, als telegene oder ein unterhaltsames Gespräch über Gedrucktes mit Ratschlags-Charakter, ist recht still geworden und formuliert wohl gerne im Diskreten. Aber was aus den Hinterzimmern der philosophischen Institute dann doch einmal zu uns herüberklingt, ist wenig involviert in die Dinge, die täglich um uns herum passieren. Und wenn doch, dann kommt sie als Sammlung von vermeintlichen Lebensweisheiten und eben Ratschlägen für ein besseres, vielleicht gelungeneres Leben daher, gerne auch im Mantel einer vermeintlich noch notwendigen Ethik.

Und dabei war ein ‚gelungenes Leben‘ dereinst im antiken Griechenland die höchste Stufe des Glücks im Dasein der Menschen, zumindest galt dies eine ganze Zeit lang so. Die Frage, was zu einem gelungenen Leben wohl dazugehört, beantwortet heute nicht mehr die Philosophie, sondern philosophische Ratgeber. Philosophie beschäftigt sich vornehm diskret mit der Spreche, mit sprachlichen Aussagen und sprachlichen Urteilen. Immerhin geht es dabei wenigstens rudimentär um die Wahrheit und nicht um für den Menschen vorderhand bloß Nützliches. Wenngleich der zutiefst philosophische Begriff der Wahrheit in seiner grundsätzlichen Dimension zum Ur-Repertoire der Philosophie gehört; allein mit der Wahrheit lockt man niemanden mehr vom Sofa oder erschreckt ihn gar so sehr, dass er den Kopf zum Nachdenken neigte. Apropos nachdenken; das ist einigermaßen außer Mode gekommen, trotzdem werben wir um jedes Gramm der menschlichen Vernunft, dieser dem Menschen treusteten Gefährtin, die ihn all die Jahrtausende begleitet hat, immer auf seine glückliche Entwicklung bedacht und selbst nach schweren Kritiken, harten Auseinandersetzungen und den ganzen feindlichen Übernahmen durch Religion und Wissenschaften sich nicht ganz vom Menschen abgewendet hat, gleichwohl dies nun so scheint und auch nicht ganz unwahrscheinlich am Ende sogar ist so gelingt. Aber dann geht es überhaupt mehr um die Frage nach einem gelungenen Leben.

Dass heute tatsächlich darüber nachgedacht wird, dass Menschen mit Vernunft und Urteilsvermögen hinter künstlicher Intelligenz (KI) zurücktreten werden und Platz auf Zuschauerbänken und Beifahrersitzen nehmen dürfen und dies nicht einmal alle Menschen erschreckt, ist erschreckend. Man traut der Vernunft heute wenig noch zu. Wenn Philosophie sich aber auch hartnäckig gesträubt hat, vor allem in ihrer jüngeren, akademischen Geschichte, Themen wie Arbeit, Interkulturalität, individuellen Wohlstand und gesellschaftliche, kollektive Wohlfahrt zu behandeln, dann wundert niemanden mit philosophischer Leidenschaft und Interesse am Dasein der Menschen, dass Philosophie nicht mehr zur ersten Lektüre gehört und oben auf der öffentlichen Diskurs-Agenda steht.

In schöner, selbstgefälliger Abstinenz hat Philosophie sich der Themen verweigert, die die Menschen tagtäglich beschäftigen, um elitär verschlossen sich um sich selbst zu kümmern. Philosophische Werke lesen sich neuerdings entweder wie eine Zitatensammlung, wenn es hoch kommt wie eine, in der nicht nur ein Autor in seiner geschichtlichen Dimension bis Aristoteles zurück, sondern viele, mehrere in der Rückschau auf verschiedene Denkmuster und Systeme vorgestellt werden. Und dabei gab es Hinweise auf mehr relevante Themen. An oberster Stelle frustriert, dass zum Thema Arbeit und den damit verbundenen, politischen, kulturellen wie ökonomischen Verhältnissen, in denen der Mensch nach wie vor und seit Urzeiten sein Leben lebt, die gesamte Zunft der modernen Denker kaum etwas Nennenswertes nach Karl Marx‘ Kapital zu Wege gebracht hat.

Mit Siegmund Freud wollte man sich außer in einer kurzen Phase des Poststrukturalismus‘ nicht beschäftigen. Zu sehr haftete der Psychoanalyse doch der Makel einer untiefen Einzelwissenschaft an. Und das Dilemma mit den Einzelwissenschaften hat dann seinerseits zur fehlenden Relevanz der Philosophie beigetragen. Nicht, dass die Philosophie nicht in einer Art vorauseilender Selbstbeschneidung ihrer Möglichkeiten ordentlich Vorschub dahingehend geleistet hat, dass die Einzelwissenschaften nun das Denken komplett übernommen haben, sie hat damit zugleich auch ihr gesamtes „Erstes Denken“, die Prima Philosophia resp. die Metaphysik den Einzelwissenschaften und ihren willfährigen Dienern, den technischen und wissenschaftlichen Fortschritten der Fachdisziplinen überlassen, also hauptsächlich den Ingenieuren und neuerdings den Programmierern. Nun müssen wir dem Irrtum gleich vorbeugen, bei den Einzelwissenschaften handelte es sich um viele; dem ist nicht so. Selbst die modernen Humanwissenschaften befleißigen sich mühsam, den Naturwissenschaften nachzueifern und nur noch gelten zu lassen, was man „sehen und anfassen“ kann. Anfassen, das war dereinst jene Zugangsart, die man mit sinnlichem Erfassen bezeichnet hat, also Sehen, Hören, Greifen, Schmecken usw. Das war, philosophisch gesprochen, stets der scheinbar unmittelbarste Zugang zum Sein, aber eben nur scheinbar. Und gerade dieser Zugang soll jetzt komplett die Oberhand über die Philosophie gewinnen?

Spätestens Newton hat dem Denken einen ordentlichen Schock versetzt, dann kam Freud und meinte, dem Primat der Vernunft endgültig den Garaus gemacht zu haben. Das meinten aber bereits viele Denkschulen vorher schon, nicht zuletzt die zahllosen Religionslehren. Was hat man dem Denken zu allen Zeiten nur zugemutet, wie wurde ihm teils aggressiv zugesetzt? Wären Sie die Vernunft, was hätten Sie getan? Das Weite gesucht?

Während sich so langsam herausstellt, dass die modernen Einzelwissenschaften nicht nur Segen über die Menschen gebracht haben, gleichwohl und ohne Zweifel der viel zitierte Fortschritt der Moderne ohne die modernen Wissenschaften nicht stattgefunden hätte; jedenfalls nicht so. Wir werden es nicht herausfinden, wie es gewesen wäre, wenn es den technischen und den technologischen Fortschritt nicht so gegeben hätte, was an diesem komplexen Geschehen nach Maßgabe einer vernünftigen Übersicht und Beurteilung Bestand hätte. Was wir wissen, ist, dass es den Traum von einer philosophischen Vernunft, die das Geschehen in den vielzähligen Einzelwissenschaften überblicken und ontologisch bewerten kann, nicht gibt. Hat es sie jemals wirklich gegeben? Nun, da wir das wissen, fragen wir uns, ob nicht als eine Folge des Fehlens einer Meta-Vernunft unser Dasein wie ein trudelnder Asteroid halt- und ziellos seine Bahnen zieht, jederzeit in der Gefahr, abzustürzen und zu verglühen.

Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass die Einzelwissenschaften, insofern sie auch für die Fehlentwicklungen verantwortlich zeichnen, selbstverständlich auch die Aufgabe haben, ihre selbstverschuldeten Unzulänglichkeiten anzugehen und zu beheben. Es hilft kein Klagen über die Abwesenheit einer Supervernunft, die Nachkommen der Metaphysik sitzen nunmehr alleine um den Tisch herum und beraten die Zukunft. Mit den Wissenschaften haben wir also eine ganze Reihe von ‚Wahrheiten‘, in der Runde, die sich in guter alter Manier gegenseitig gelegentlich, meist aber mit sich selbst streiten. So nur auf sich selbst gerichtet, entwickeln sich aus zufälligen Hypothesen und Ansichten, aus einem wackeligen Konglomerat von Vorstellungen ganze wissenschaftliche Systeme und bleiben doch vorübergehend wie junge Lebewesen in der frühen Entwicklung stecken. Gleichwohl es zur Moderne gehört, Erkenntnisse und Methoden und deren Gewinnung aus unterschiedlichen Wissenschaften zu berücksichtigen, ja sogar in die eigene Systematik einzubinden, so ist dies weder selbstverständlich Usus noch systemüberschreitend in den meisten Fällen. Einzelwissenschaften finden ihre Systeme in der fortschreitenden Verfeinerung ihrer immanenten, logischen Zusammenhänge.

Dagegen hat Philosophie nicht mehr viel in der Hand, ist doch die große heroische Zeit der philosophischen Systeme vorbei. So schaut sie zurück auf bessere Zeiten als ihr erster, großer Systematiker Aristoteles wirkte und die aristotelische Logik Generationen nachfolgender Denker Halt gab. Ach, was waren das für Zeiten stolzer Gedanken, als Philosophie noch in Systemen dachte, nach-aristotelisch dann ihren Höhepunkt fand in den Systemen des Transzendentalen Idealismus oder in kritischer Hinsicht im System der politischen Ökonomie. Stets ging es darum, die Welt zu erklären und dabei sowohl ihren wie auch den systemischen Charakter ihrer Erklärung wie ein Apriori vor sich herzutragen. Zahllose Ontologien lösten die griechischen Metaphysiken ab und wir sehen wenig Sinn darin, diesen neue hinzuzufügen. Wir haben genug von den Sätzen: ‚das ist das‘, die sich zu Systemen selbstgefällig hochputschen, die in ihren ultimativen modernen Formen als Systeme des Unsystematischen daherkommen. Heidegger, der Meister und Magier moderner Ontologien steht Pate in der Nachfolge Aristoteles‘ und an seiner Philosophie von Sein und Zeit reiben sich die postmodernen Schulen, trennen sich in affirmative Apologeten auf der einen, beißende Kritiker auf der anderen Seite. Aber was, wenn Ontologien allesamt unter demselben leiden?

Systeme und dazu gehören die philosophischen Ontologien von der Antike bis in unsere Zeiten hinein, das sind gewissermaßen die „fensterlosen Monaden“1 des Denkens. Ontologien sind ohne Ideen für eine Umkehr. Auch sie, selbst wenn in ihnen von Öffnungen die Rede ist, bleiben system-affin mindestens. Ihnen fehlen schon aus Systemgründen die Ideen, die über sie grundsätzlich hinausgehen und somit die Transzendenz. Ideen, das lernen wir bei Platon, und vor dem wir uns an dieser Stelle tief verneigen, sind Öffnungen. Deshalb haben Ontologien selten mehr als eine Idee, die sie in einem systematischen Zusammenhang vorstellen, weil eine zweite sogleich das System sprengen würde. Warum nicht auf Systeme verzichten? Zugunsten von Ideen; wir sehen, man bekommt auch etwas für den Verzicht.

Auf ontologische Systeme zu verzichten, erschließt Ideen; man wird Ideensammler. So schaut man zurück auf bestehende Ideen, nach vorne auf Ideen, die sich noch nicht durchgesetzt haben, auf neue Ideen, die man auch als wesensmäßige, zum Dasein zugehörige Möglichkeiten nennen kann. Man schaut von den Ideen in viele, in möglichst alle gangbaren Richtungen, betrachtet sie aus unterschiedlichen Perspektiven in unterschiedlichen Zusammenhängen; so wird dann aus einem platonischen Denken ein eklektizistisches. Und wenn es in der Geschichte der Philosophie bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zwei unverzeihliche Weisen des Denkens gab, dann waren das der Platonismus und die Eklektik. Man war natürlich Materialist oder Phänomenologe, aber doch kein Platonist, einer, der dem Abstraktesten folgte, was Denken anzubieten hatte; eben Ideen. Und dies noch dazu in unsystematischer Weise zu tun, umherzuschweifen in Gedanken, Vorstellungen und losen Zusammenhängen wie ein Nomade unterwegs, ohne Wege, ohne festen Boden.

Wer also bisher diesen einleitenden Gedanken gefolgt ist und partout ablehnt, etwas mit Ideensammlern zu tun haben zu wollen, der sollte an dieser Stelle den Text verlassen. Wer dem Text folgen möchte, empfindet keine Scham dabei, Platonist zu sein und obendrauf noch Eklektiker, also einer, der nicht einmal systematisch sucht, sondern eher zufällig findet, wobei der Zufall in diesem Sinne meint, dass man nie anders, denn zufällig zu etwas kommt, hat man ja nie den gesamten Überblick über alles Mögliche. So bleibt denn auch nichts anderes, als mit dem, was einem möglich erscheint, umzugehen. Dieser Umgang ist, das Mögliche, das einem erscheint, einzusammeln und nach allen Seiten hinzubetrachten, aber vor allem, in andere Zusammenhänge zu stellen als jenen, die es uns so wie es ist erscheinen lassen. Da wir also nicht davon ausgehen, dass es ein Superwissen gibt und wir darüber verfügen, denken wir wie Eklektiker nun einmal denken; wir nehmen, was andere, hier die Einzelwissenschaften und die Philosophie gedacht haben, wie bare Münze und stellen das in andere, wenn möglich neue Zusammenhänge. Wir sind eben nicht der Meinung, dass in unserer modernen Zeit Wissen und Wahrheit fehlen, dass die Zeit quasi dumm ist, unvollständig und auf eine oberste bzw. tiefste Wahrheit wartet. Wer offenen Auges durch unsere Zeit geht muss feststellen, dass es an Wissen selten fehlt. Es ist bereits alles, was heute möglich ist, ausreichend mindestens gedacht. Wer von uns weiß es besser als der Physiker und der Mathematiker, die uns das Universum erklären und Menschen zum Mond hin- und zurückbringen? Wer sagt besser das Wetter voraus als die Meteorologen mit ihren großrechner-gestützten Simulationen; wer kennt sich besser aus in unseren leiblichen Angelegenheiten als Internisten, Chirurgen, Biologen und Chemiker? Die Welt bzw. die Menschen sind nicht dumm, so sie Wissenschaft betreiben und deren Erkenntnisse zur praktischen Anwendung bringen; zum Glück. Sie wissen mehr oder weniger gut, was an Wissen zurzeit möglich ist. Und so ist es in allen Bereichen des menschlichen Daseins, dass es an Wissen weder fehlt, noch dass Wissen um ein Vieles besser verfügbar ist, als zu den Zeiten, als Wissen überwiegend noch Herrschaftswissen war. Natürlich gibt es viel Wissensmist, vieles, was verfügbar ist an Wissen und wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskursen kann man kaum anders, als mit so unschönen Vokabeln wie Mist, Fake, usw. belegen.

Was aber mit der Verfügbarkeit von Wissen, dessen Accessibility, nicht zugleich mitgegeben ist, ist dessen relative Bedeutung, ist dessen Sinnhaftigkeit. Da setzen wir an, indem wir vorhandenes Wissen in neue Zusammenhänge stellen und prüfen, ob so unter bestimmten Fragestellungen sich ein anderer Sinn, eine überzeugendere Bedeutung ergibt. Wir relativieren also vorhandenes Wissen und suchen nach anderen Bezügen und nicht selten finden wir so zufällig neue Bezüge, öffnen sich neue Perspektiven, wenn es gelingt. Allein schon deshalb kann von einer methodologischen Strenge nicht die Rede sein, wir deduzieren nicht nach logischen Kriterien und Verfahren eher in einer Art konzentrischer Annäherung an einen Sachverhalt aus verschiedenen Richtungen. Daher führt dies oft dazu, dass wir bestimmte Sachverhalte immer wieder neu andenken im doppelten Sinne des Wortes. Unsere Denkrichtung ist somit sowohl rückwärts gerichtet an den Punkt, von dem aus uns ein Sachverhalt, eine Vorstellung, eine Idee oder auch schlicht nur eine These bzw. Behauptung erscheint. Diese Punkte können also den Status eines Grundes im logisch-formalen Sinne nicht in Anspruch nehmen, zumal wir ja auch sogleich den Weg nach vorne einschlagen, indem wir etwas anderes, manchmal etwas Neues andenken. Anderes, insofern wir andere Bezüge aufzeigen, neu, wenn sich uns eine Idee aufdrängt, wie etwas auch ganz anders gedacht und vielleicht auch anders als bisher verwirklicht werden kann. So ist das nun mal mit der Vergangenheit, sie ist nicht vorbei, abgeschlossen, vergessen. Sie ist gewesen und als solche immer noch anwesend. Sonst hätten wir nicht einmal eine Erinnerung daran, keine Bücher, keine Geschichte.

Ideen sind reinste Zwitterwesen, sich selbst in die Wirklichkeit entlassend. Das ganze Gerede über den vermeintlichen Hiatus zwischen Theorie und Praxis macht allenfalls dann einen Sinn, wenn man Ideen behandelt wie Gegenstände, gleichsam von außen an sie herantritt. Hat jemand aber eine Idee, ist diese bereits realisiert, sie ist in der Welt, wo sonst? So beginnen wir auch im Andenken in jener Zeit, als die Ideen, viele davon unser Dasein bis heute leitend, in die Welt kamen. Wir denken zurück in die Zeit, als Platon noch nicht lebte, die Menschen im antiken Griechenland aber bereits eine neue Welt, eine Welt voller neuer Ideen erschlossen.

Wir wollen aber nicht nur zurückdenken, sondern diese Zeit als eine des Anfangs betrachten, ein Anfang in viele Richtungen gleichzeitig. Unser erster Gedanke dabei war, diesem Anfang näher zu kommen mit der Frage, was uns als Menschen seit damals bewegte. Scheint uns auch heute diese Frage nicht mehr ganz so wichtig zu sein, wer oder was uns bewegt, oder ob wir es selbst sind, von denen aus Bewegungen, sprich Veränderungen ausgehen, so gehört diese Frage nicht nur zu den ersten Fragen der Philosophiegeschichte, sie ist heute im Zusammenhang mit Politik, Wirtschaft und Digitalisierung, vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) erneut hoch aktuell und bedeutsam. Dabei bewegen uns im Hinterkopf durchaus auch andere Felder, auf denen die Frage nach dem Ausgangspunkt, dem Ort von Veränderungen hochgradig virulent erscheint. Dort kann man nicht mehr unberührt den philosophischen Grundfragen nachgehen, dort geht es um für Menschen oder für die Natur schädliche Aktivitäten, deren toxische Ansteckungsfähigkeit nicht nur im medizinischen Sinne, sondern auch ökonomische, politische und soziale Ursachen und Folgen haben kann. Die sind nicht weniger virulent als medizinische oder biologische Ursachen, wobei stets zu bedenken sein wird, dass Ursachen, also im ursprünglichen Sinne, in der griechisch-antiken Bedeutung des Wortes Archē als Ursprung bzw. Anfang2 gedacht wurden.

Die Frage ist also nicht zuerst eine der logischen Ursache, aus der etwas logisch und nachvollziehbar folgt, sondern eine der Dynamis, was wir verstehen wollen ganz im aristotelischen Sinne als eine Kraft, beim Menschen ein Vermögen, eine Möglichkeit oder Potenz im Sinne der Energeia. So dachten Platon und Aristoteles, letzterer schon in einer umfassend differenzierten Art das Bewegende als ein Prinzip, das keiner besonderen Extra-Tätigkeit zu ihrer Verwirklichung bedarf. Heute scheint das bewegende Prinzip gleichbedeutend zu sein mit der Tätigkeit, mit jeder Tätigkeit zumal, aber das ist nicht nur stark verkürzt gedacht, es verliert in der Kürze auch seine schöne Komplexität. Wie schmal und fahl ist, wenn wir denken, dass von jeder Tätigkeit etwas Bewegendes ausgeht? Wie reduziert ist der Gedanke, dass allein schon die Anspannung des Bizepses die Welt verändern könnte? Solche kraftstrotzenden Gedanken werden sofort schon am Anfang zu plumpen Übergriffigkeiten, nur leider haben wir uns mittlerweile fast schon daran gewöhnt.

Nach Platon muss schon noch etwas dazukommen, genau gesagt, mit dabei sein, soll eine Tätigkeit von einem Prinzip und nicht vom Bizeps geleitet sein; es darf dies das Schöne, das Gute oder das Wahre durchaus sein. Die drei berühmten metaphysischen Geschwister aber sind nach Platon Ideen, blieben es aber leider nicht mehr allzu lange. Was aber von Dauer war, bis heute, und wie es scheint auch für alle Zeiten, ist, dass die platonischen Ideen nicht nur als bewegende Prinzipien entdeckt wurden, sondern als Elemente der menschlichen Freiheit. Platon war also ein Revolutionär. Denn in seinen Vorstellungen entwickelte sich die Idee der Freiheit von der Tragödie aus der antiken Mythologie. Das wurde von der Philosophie nicht so recht gewürdigt, las man doch aus Platons Schriften nicht die komplette, radikale Absage an den griechischen Mythos heraus. Wie dem auch sei, es ist und bleibt eine Tatsache, die Ideen verändern die Welt.

Nun war es dann so, dass vor allem nach dem deutschen Idealismus man der Ideen überdrüssig wurde und schwadronierte man von der Revolution, hatte man sich schnell auf andere auslösende Elemente geeinigt; man höre und staune, die Welt wurde verändert von Widersprüchen, vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit als deren Kardinal-Widerspruch. Die waren sowohl logische Widersprüche wie auch historisch-materialistische, aber wie dem auch sei, man sprach diesem widersprüchlichen Gebilde von Kapital und Arbeit letztlich das am Anfang aller Veränderungen stehende Prinzip zu. Schauen wir also, wie dies gelang.

Kapitel 1: Was uns bewegt...

Philosophische Grundlagen

Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.3

Abbildung 1. Paul Klee, Angelus Novus, 1920

Eine Philosophie des menschlichen Daseins sucht nach den grundlegenden und für alle Menschen geltenden Bestimmungen. Das Wesen dieser Bestimmungen ist also allgemein bzw. universell. Aber gibt es überhaupt das Allgemeine? Ist das nicht ein wenig zu hoch gegriffen?

Es ist gerade eine Auszeichnung, um nicht Bestimmung zu sagen, dass wir das Allgemeine, das Universelle, das Sein, das Ganze, Universum, Gott, Menschheit und viele weitere und andere Universalien denken können. Und wir können nicht nur Universalien denken, wir tun das täglich und wir müssen das tun. Warum fragen wir aber nach dem menschlichen Dasein und nicht etwa nach der menschlichen Existenz? Weil wir zuerst bzw. am Anfang unserer philosophischen Überlegungen fragen müssen nach dem, was ist, weil die grundlegendste Frage und damit der grundlegende Bereich philosophischen Denkens zuerst beschritten werden muss, bevor man in weitere „Details“ gehen kann. Ohne Grundlage kein fester, sicherer Boden für unsere Philosophie.

Grundlegende Fragen betreffen Fragen nach dem, was ist, nach dem Wesen bzw. nach essentiellen und somit nicht nach existenziellen Bestimmungen. Fragen nach dem, was ist, umfassen in der Philosophie den Bereich des Ontischen4, was wir zunächst einfach verstehen als Sein im Wort Dasein. Aber schon an dieser Stelle drängt sich die Frage nach der Bestimmung von Seiendem und Sein erneut auf, war doch eben noch das Seiende das tatsächlich individuell Seiende und das Sein etwas Allgemeines? Die Antwort ist einfach, denn mit dem Begriff Sein ist das Sein aller tatsächlich seienden einzelnen, individuellen „Dinge“ gemeint. Dinge steht nicht zufällig in Anführungszeichen, insofern wir darüber reden, darüber, was eigentlich in unseren Gedanken und Vorstellungen ist, wenn wir über etwas nachdenken, dies nicht dasselbe ist und uns erscheint als in seiner sprachlichen Form als etwas anderes als das Gedachte und Vorgestellte.

Auch die recht einfach anmutende Feststellung, dass der Mensch ist, dass der Mensch da ist, wird bei näherer Betrachtung recht schwierig, soll uns aber zunächst nicht weiter beschäftigen. Die Philosophie des menschlichen Daseins beginnt also mit der Feststellung, dass sie über alles das nachzudenken anstrebt, was allen Menschen, insofern sie da sind, gemein ist bzw. von universeller Bestimmung ist – und wir verwechseln das hier nicht mit universeller Bedeutung. Das ist etwas anderes. Wenn wir über das menschliche Dasein sprechen, fragen wir uns weiterhin, was allen Menschen gemein ist und gehen mit dieser Frage also über die Bestimmung des individuellen Daseins hinaus. Der Mensch ist seinem Wesen nach ein Mensch, dessen Dasein wie das aller Lebewesen - und der nicht belebten Materie, der Natur also - sich in einer Welt vollzieht, die selbst Teil eines Universums ist. Von diesem Universum wissen wir wenig, wenn nicht, sehen wir einmal von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ab.

Raum und Zeit

In der Antike war das Universum Wohnort der Götter. Aber das glauben wir nicht mehr, jedenfalls die meisten von uns nicht. Insofern die griechischen – wie auch andere – Mythologien das Universum mit Leben gefüllt haben, mit den unglaublichsten Geschichten von Göttern, Halbwesen und Menschen, Tiere natürlich auch, haben sie uns mehr als nur Geschichten hinterlassen. Sie hinterließen uns auch die Darstellenden Künste, die Schönen Künste, die Philosophie des Abendlandes etc., aber davon handelt die Bestimmung des menschlichen Daseins später und dann erst ausführlich.

Einstein hatte, als Physiker kaum verwunderlich, das Universum im Blick, ist es doch der die Physik und somit auch den Begriff der Natur umgebende Horizont, also mithin dessen Sein. Denn alles, was ist, also das Seiende im Hier und Jetzt, also in unserer und Einsteins Zeit, ist in diesem Horizont. Dass die Welt der Physiker vermeintlich ein wenig größer ist, jedenfalls räumlich vorgestellt und auch zeitlich von einiger Dauer mehr, als unsere Welt, in der wir leben, hat sich ja einigermaßen herumgesprochen.

So fragte Einstein nach den Bestimmungen von Raum und Zeit, die ihm die Philosophie Kants hinterlassen hat und kam zu der Erkenntnis: Raum und Zeit sind keine absoluten, also unveränderlichen Größen bzw. Kategorien, sondern aufeinander bezogene, relative Größen. Er spekulierte über die Zeit und fand heraus, dass die Zeit keine Größe an und für sich ist, sondern relativ, aber immerhin eine absolute Größe im Sinne eines Zeitmaßes in sich trägt und das nannte er die Lichtgeschwindigkeit.

Dass der Raum sich ausdehnt, also auch keine absolute, unveränderliche Größe ist, dass sozusagen das Universum da draußen besteht, von den Göttern geschaffen oder von unserem christlich-jüdischen Gott etwa um das Jahr 4.800 v. Chr., ließ sich mit Einstein auch nicht halten. Aber die Ausdehnung des Universums vom Urknall aus gesehen, ließ eine andere Größe zu, nämlich die Gravitationsgesetze, an denen allerdings auch Einstein schon seine Zweifel anmeldete insofern sie im ganzen Raum des Universums gelten sollten.

Heisenberg fragte im Rahmen seiner quantenmechanischen Überle-gungen weiter und kam zu dem Schluss, dass die Einstein’schen Berechnungen nicht zutreffen konnten, insofern ihnen eine Unschärfe inhärent ist, sie mithin immer relativ zum betrachtenden, forschenden „Subjekt“ stehen. Je nachdem, ob wir Licht als Welle oder als Teilchen betrachten, mithin als Materie oder Energie, haben wirunterschiedliche Sichtweisen auf dieselbe Sache. Aber keinen Widerspruch, der sich logisch erklären lässt, sondern am Beispiel des Lichts die Physik seither von einer Paradoxie sprechen muss. Das von dem Physiker Niels Bohr aufgestellte Komplementaritätsprinzip besagt nämlich, dass zwei methodisch verschiedene Beobachtungen (Beschreibungen) eines Vorgangs (Phänomens) einander ausschließen, aber dennoch zusam-mengehören und einander ergänzen insofern sie die Einzelperspektiven bzw. Beobachtungen erweitern.

Soviel soll es bis hierhin genug sein mit der Physik, haben wir doch bereits alles, was wir für unsere Philosophie brauchen. Und am Beispiel der Physik von Einstein, Bor und Heisenberg wird das umso klarer, als sie ja ihren Gegenstand als das Universum definieren, das alle drei ja außerhalb von Labors und mathematischen Berechnungen nur recht rudimentär kennengelernt haben dürften. Aber kommen wir noch einmal kurz zurück auf die Unterscheidung, die Niels Bor angestellt hat, nämlich die zwischen Beobachtung und Vorgang bzw. zwischen Beschreibung der Beobachtung und dessen, was beobachtet wird, das Phänomen. In der Philosophie kennen wir die Beschreibung bzw. die Theorie, die uns einen Vorgang bzw. ein Phänomen erklärt als Ontologie.5

Ontologie und Metaphysik

Die Ontologie (altgriechisch ὄν on ‚seiend‘, Partizip Präsens zu εἶναι einai ‚sein‘, und -logie (aus λόγος lógos „Lehre“)) war und ist weitestgehend auch heute noch eine Disziplin der theoretischen Philosophie, insofern man gewillt ist, die Unterteilung der Philosophie in eine theoretische und eine praktische und eine der Urteilskraft (nach Kant) vorzunehmen und fortzuschreiben. Die Ontologie befasst sich mit einer Einteilung des Seienden und den Grundstrukturen der Wirklichkeit und der Möglichkeit (Transzendentalphilosophie). Dieser Gegenstandsbereich ist weitgehend deckungsgleich mit dem, was nach traditioneller Terminologie „allgemeine Metaphysik“ genannt wird. Dabei wird etwa eine Systematik grundlegender Typen von Entitäten (konkrete und abstrakte Gegenstände, Eigenschaften, Sachverhalte, Ereignisse, Prozesse) und ihrer strukturellen Beziehungen diskutiert. Bei einigen traditionellen Herangehensweisen steht der Begriff des Seins und sein Verhältnis zu den einzelnen Entitäten im Vordergrund. Heute werden in der analytischen Ontologie die Ausdrücke „Ontologie“ und „Metaphysik“ zumeist synonym verwendet. In der Informatik werden seit den 1990er Jahren formale Repräsentationssysteme, angelehnt an den philosophischen Begriff, als „Ontologien“ bezeichnet. Man sieht unschwer, hier kommt man in einen sich komplex ausweitenden Bereich des Denkens und der Erkenntnistheorie, dem wir aber an diesem Punkt nicht weiter folgen wollen.

Heidegger hat nämlich den Gedanken, auf den es hierbei grundsätzlich ankommt, schon mehr als klar herausgearbeitet, wenn er von der ontisch-ontologischen Differenz spricht. Die ontisch-ontologische Differenz, an der sich Generationen von Philosophie-Studenten und auch deren „Lehrer“ die Unterlippen abgebissen haben, meint aber nicht mehr und nicht weniger als dass es kein Phänomen oder Seiendes gibt, ohne dass es in einem Zusammenhang des Denkens vorkommt, also einer „Lehre“ oder Theorie des Seienden, mit unseren Worten kurz gesagt, einer Idee. Idee oder Theorie meint hier zunächst einmal nur, dass für uns Menschen etwas, das grün ist und so aussieht wie frisches Gras etwas völlig anderes ist, als für eine Kuh – von der wir natürlich auch nicht ganz so genau wissen, was es für sie, die Kuh, ist. Jedenfalls können wir sagen und damit begeben wir uns in einen offensiven Widerstreit mit den meisten derzeitigen Meinungen der lebenden Kunstprofessoren und Künstler der Belli Arti, die nämlich behaupten, dass sie beim Malen Erfahrungen durchmachen, die vor- oder unsprachlicher Natur sind. Wären sie wirklich so ganz jenseits von Sprache, wären unsere Künstler sehr nah am Dasein der Rindviecher und es wäre nicht sicher, ob sie in ihrer vorsprachlichen Vorstellung von „Grün“ nicht dasselbe täten wie Resi unser Rindvieh. Nämlich fressen und einen Riesen-Haufen hinterlassen. Dass die Schönen Künste uns keine Fladen, sondern bemerkenswerte Kunstwerke hinterlassen haben, liegt daran, was Heidegger nämlich das Sein in der ontisch-ontologischen Differenz brillant beschrieben hat und was Resi leider oder glücklicherweise, je nach dem, wohl nicht kennt oder bis dato zu Stande gebracht hat.

Dieses Sein bildet den Verständnishorizont, vor dem alles was ist, also das innerweltlich Seiende überhaupt uns Menschen erst begegnen kann. Und diesen Verständnishorizont können wir auch mit dem Begriff Idee in der Folge der Antike und somit Platons festhalten; jedenfalls des frühen Platon. Jedes verstehende Verhältnis zu einem Seiendem muss sich in einem solchen kontextuellen Horizont oder einer Idee bewegen, innerhalb dessen das Seiende erst offenbar und verstehbar wird. Damit bedeutet „verstehen“ immer auch einen Bezug zwischen etwas, was ist und einer Idee. Und ohne diese Idee, die unausgesprochen und auch nicht in einem sprachlichen Kontext vorgestellt werden muss, könnten die Belli Arti überhaupt nicht malen. Denn sie hätten weder eine Idee von „grün“ und auch keinen Horizont von Farben und Formen.

Die ontologische Differenz weist auf den Unterschied zwischen dem Verständnishorizont bzw. der Idee und dem begegnenden Seienden, also was ist, hin. Nur so kann, wenn es diesen Unterschied überhaupt gibt, der Verständnishorizont überhaupt zum Thema werden. Die ontologische Differenz trennt somit ein Sein als eine Idee und Seiendes für eine philosophische Thematisierung. Das heißt, dass streng genommen natürlich niemals das Sein ohne ein Seiendes vorkommt. Das Sein bleibt also stets das Sein eines Seienden, weshalb zwar eine Differenz zwischen Sein und Seiendem besteht, beide aber nie getrennt voneinander auftreten können.

Da beide niemals getrennt auftreten, wird das Sein nicht als solches thematisiert. Daher zeigt sich das Sein zwar als das Nächste, weil es im Umgang mit der Welt immer schon vorausgehend und mitgängig ist; andererseits erweist es sich als das Fernste, da es als Unthematisches nie explizit wird. Nie meint hier unmittelbar, wenn wir etwas auf irgendeine Weise thematisieren. In Sprache oder anderen Ausdrucksformen. Da das Sein aber existiert, kann es aus seinem unthematisierten Sein hervorgeholt, natürlich thematisiert werden. Sein Sein ist also bestimmt als Möglichkeit und seine Thematisierung geschieht in der Reflexion auf es. Wie wir den immer mitschwingenden Verständnishorizont reflektieren, werden wir in einem anderen Kapitel thematisieren.

Der Begriff der Komplementarität

Wer hier eine Nähe zum Begriff der Komplementarität in der Physik verspürt, darf seinen Vermutungen ruhig trauen. Also ist an dieser Stelle ein weiterer kurzer Blick auf die Physik und den Begriff der Komplementarität nicht schädlich. Das von Niels Bohr in die Quantenphysik eingeführte Komplementaritätsprinzip kennzeichnete er selbst mit dem Satz: „Die Begriffe Teilchen und Welle ergänzen sich, indem sie sich widersprechen; sie sind komplementäre Bilder des Geschehens.“ Komplementarität ist hier in der Physik als ein Begriff der Erkenntnistheorie veranschlagt, für zwei widersprüchliche, einander ausschließende, nicht aufeinander reduzierbare Beschreibungsweisen (Licht als Welle oder Teilchen) oder Versuchsanordnungen, die aber in ihrer wechselseitigen Ergänzung zum Verständnis eines Phänomens oder Sachverhaltes im Ganzen notwendig sind.

Nehmen wir ein Beispiel, in dem Wissen und Verhalten nicht anders denn komplementär zu verstehen ist, außer, man will es falsch verstehen. Wir erleben es selbst in Ausnahmesituationen, dass wir alles daran setzen, einem geregelten Alltag nachzugehen, gleichwohl die Situation alles andere als geeignet dazu ist. In der Ukraine versuchen die Menschen selbst in Städten mit Bombenbeschuss alltäglichen Verrichtungen nachzugehen, wohl wissend, dass die Situation eine Ausnahmesituation ist und jederzeit mit einem Beschuss zu rechnen ist. Notfall-Mediziner wie überhaupt die meisten klinischen Mediziner kennen diese Situationen und nicht auf Kinder-Krebsstationen, die in der Ausübung des Berufs so viel abverlangen, dass eine „Verarbeitung“ in der „Freizeit“ kaum, eher gar nicht möglich ist. Das Wissen um die Außergewöhnlichkeit und das Verhalten, Gewohnheiten herzustellen sind komplementär, kein „Sowohl-als-auch“ oder gar ein kausaler Ablaufprozess. Man weiß um die Ausnahme und verhält sich trotzdem alltäglich. Hier hilft auch keine Psychologie mit Begriffen wie Verdrängung und Verleugnung. Verdrängt werden können ja nur Emotionen und eine Verleugnung einer extrem belastenden Situation liegt nicht vor im vollständigen Wissen darum. Das meinen wir mit Komplementarität, die beides gleichwertig in den Blick nehmen muss, um ein Verständnis zu erreichen, und dieses Beispiel soll paradigmatisch für viele mögliche Transformationen physikalischer Beobachtungen in die Alltagswelt des menschlichen Daseins stehen.

Dieser Begriff der Komplementarität wurde auf viele Gebiete übertragen und wurde im Laufe der Zeit vieldeutig und meint heute häufig nur noch ein grundsätzliches „Sowohl-als-Auch“, was aber wenig hilfreich, ja sogar falsch ist. Zwei komplementäre Eigenschaften gehören in der ursprünglichen Bestimmung des Begriffs der Komplementarität zusammen, sofern sie dieselbe Referenz haben, also dasselbe „Objekt“ betreffen, jedoch kausal nicht voneinander abhängig sind. Die zwei verwendeten Methoden bzw. Beschreibungen der Beobachtungen unterscheiden sich grundsätzlich im Verfahren und können in der Regel nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander eingesetzt werden.

Kommen wir aber noch einmal auf Martin Heidegger zurück und lesen, dass das Sein allein als Verständnishorizont zu beschreiben jedoch die ontologische Dimension des Begriffs verfehlt. Denn „Sein“ bezeichnet ja das, was ist. Das Sein ist also nicht eine Vorstellung, die wir von den Dingen haben und dann gleichsam über diese werfen, so dass sie uns innerhalb der Welt verständlich werden. Sein und Verstehen fallen vielmehr untrennbar zusammen: nur das, was verstanden ist, ist auch. Und alles, was ist, ist verstanden; das kann auch einschließen etwas falsch zu verstehen. Dies bedeutet, dass die Welt nicht aus singulären Objekten besteht, sondern eine sinnhafte Totalität ist, in der sich immer schon Bezüge unter den Dingen ausgebildet haben. Hinter diese Bezüge kann nicht zurückgegangen werden.

Das versuchten viele und andere versuchen es heute erneut. Jene begannen ihre Zweifel beim Kind als eines „Sujet enfants“ (Lacan), diese bemühen künstlerisch-kreative Prozesse als unmittelbare Erfahrungen jenseits von Sprache und Verständnishorizonten. Heidegger weist mit seiner Betonung des Verstehens von Sinn vor allem Vorstellungen der Erkenntnistheorie ab. Diese hatte stets gefragt, wie etwas in Raum und Zeit erkannt wird, wie sich also ein vollkommen bezugsloses Objekt einem Subjekt zeigen kann. (Heideggers Beispiel: Wie ist es möglich, diesen Würfel in Raum und Zeit zu erkennen?) Nun ist jedoch die Welt gerade durch ihre sinnhaften Bezüge bestimmt, die sich nicht nachträglich aus den Dingen konstruieren lassen, sondern dem Verständnis jedes Dings vorausgehen müssen, damit wir es überhaupt als Ding (Werkzeug, Zeug etc.) begreifen. Auch das Unverstandene wie auch das Sujet enfants ist daher in das Sein eingebunden, gerade als das, was sich durch seine Sinn- und Bezugslosigkeit auszeichnet.

Wir können also hier festhalten, dass für die Philosophie wie für die Physik ein Verständnishorizont, also eine Idee, bzw. ein Sinnzusammenhang existiert, in dem uns „Objekte“, Seiendes erscheint. Die Physik betrachtet dabei qua Setzung eines Gegenstandes und ihrer Wissenschaft Seiendes bzw. die Welt als eine äußerliche Ansammlung singulärer Objekte, die in irgendeinem Zusammenhang stehen, wobei dieser Zusammenhang sinnvoll nur sein kann, wenn er als eine nachvollziehbare Gesetzmäßigkeit, hier die Naturgesetze, erkannt wird. Ein erkennendes Subjekt, ein auf sich als Sinn konstituierender Wissenschaftler oder ein wissenschaftlicher Diskurs existieren hier noch nicht. In Folge dieser Setzung kommt die Physik dann natürlich auch nicht umhin, sich in die erkenntnistheoretischen Gefilde aufzumachen, um die Trennung zwischen Objekt (Phänomen) und Subjekt (Beschreibung) wieder zusammenzubringen. Man darf daher getrost sagen, dass mit Heisenbergs Unschärferelation die Erkenntnistheorie auch in die Wissenschaft der Physik Einzug gefunden hat. Wir können also bis hierher festhalten, dass das menschliche Dasein in einem „Universum“ von Sinn auftaucht, einem Verständnishorizont oder einer Idee, die dem menschlichen Dasein vorgängig ist, die der Mensch zunächst einmal vorfindet als ein Ganzes, eine sinnhafte Totalität an Bezügen zwischen dem, was war, ist und auch zwischen dem, was möglich ist.

Bleiben wir noch ein wenig bei der Physik. Die Experimente in der Physik erlauben es, die guten von den schlechten Ideen zu unterscheiden, ja die schlechten sogar als falsch oder unwahr, für die Zukunft auch als unbrauchbar zu erkennen und damit möglicherweise auch zu transzendieren, zu überwinden. Aber nur, wenn die Ideen unter unterschiedlichen Bedingungen geprüft und die Experimente immer wieder, am besten von unterschiedlichen Wissenschaftlern zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten in der Welt wiederholt werden. Aber wie ist es mit der theoretischen Physik, die ja die Idee, also der Verständnishorizont für die angewandte Physik ist? Deren Ideen lassen sich ja nicht auf diese wissenschaftliche Weise überprüfen. Versuchte man dies, geriete man unweigerlich in einen tautologischen Zirkel und nichts wäre bewiesen. Aber ist es denn so von Nachteil und wenn ja, worin läge dieser, wenn die theoretische Physik und die angewandte Physik beide ein Eigenleben hätten, was sich ja im Verlaufe des letzten Jahrhunderts abzuzeichnen begonnen hat? Wenn dem so ist, dass sich die theoretische Physik mit der Idee des Universums beschäftigt, in der neben den Loops auch noch weit mehr unsere Intuition strapazierenden Begriffe wie Dunkle Materie und Schwarze Löcher auftauchen und dies als reine Spekulation nicht nur möglich, sondern auch notwendig wäre, was wäre dann?

Wir müssen an dieser Stelle an Kants Kritik der reinen Vernunft erinnern, der dort sagte: Anschauungen ohne Begriffe sind blind und Begriffe ohne Anschauungen leer. Die theoretische Physik wäre dann voll von blinden Begriffen und leeren Anschauungen. Aber schauen wir auf die Kraft und die Auswirkungen, die die theoretische Physik auf deren praktische Disziplin ausgeübt hat und wohl auch weiterhin ausüben wird, dann sieht die Bilanz für die theoretische Physik nicht ganz so miserabel aus.

Zurück an den Ursprung der Ideen

Und was hat die theoretische Physik mit den Grundlagen des menschlichen Daseins zu tun? Erinnern wir uns an die uns vertrauteren Anfänge der Physik. Die liegen bei den sogenannten Vorsokratikern in der griechischen Antike. Eins der Hauptthemen der Vorsokratiker war die Frage nach dem Ursprung aller Dinge, nach der Arché. Einige von ihnen bemühten dazu die Mathematik und die Naturwissenschaften. Auf der Grundlage ihrer Arché-Forschung entwickelten sie Begriffe wie den der Welt, des Seins, des Werdens, der Zahl und des Logos. Die philosophische „Wetterscheide“ zu den Sokratikern, zu Platon und spätestens zu Aristoteles aber war, dass in der Vorsokratik sich metaphysische Ideen und mythisch-religiöse Ansichten mischten und, diskriminierend ausgedrückt, im vorsokratischen Denken eine nicht allein durch die Vernunft geleitete Welterfahrung den Logos, das Denken, bestimmte. Auch, wenn es um Ethik, antike Theologie und Politische Philosophie ging. Diese Art des Denkens endete in der abendländischen Metaphysik mit Platon und wurde etwa tausendfünfhundert Jahre später von Nietzsche wieder entdeckt, insofern er sich besonders Heraklits Lehre vom Werden zuwandte, die er, in einer von ihm radikalisierten Form für seine Kritik an einer Unterteilung zwischen physischer und metaphysischer Welt heranzog. (*Die Philosophie im tragischen Zeitalter, Abschnitt 5).

Nietzsche hatte vehement die Schnauze voll vom Primat der Vernunft im Dasein des Menschen. Und fast hundert Jahre und einige Restitutionsversuche der Philosophie der Aufklärung später baute Heidegger seine Philosophie auf Nietzsches Betrachtungen auf und entwickelte seine Daseinsphilosophie auf der Grundlage des Unterschieds von Sein und Seienden als ontisch-ontologischer Differenz, auf der Grundlage der Zeitlichkeit des Seins, auf der Existenzanalyse unter dem Aspekt des Todes und besonders auf der frühgriechischen Auffassung von Wahrheit als Unverborgenheit. Das alles klingt verwirrend und will verständlich für jeden sein, ist es doch wichtiger Teil unseres Daseins. Unser abendländisches Denken im Sinne der Fragen, die sich die Menschen unserer Hemisphäre stellten, hat sich in den vorhandenen Fragmenten der Vorsokratik- und mehr haben wir als Originale nicht – formuliert: Von Beginn an sucht der Mensch, indem er denkt, nach der Welt, dem Sein – unseren Ideen – dem Werden, also den Veränderungen unserer Ideen bzw. unserer Verständnishorizonte. So formulieren wir den berühmten Satz von René Descartes: Cogito ergo sum – Ich denke also bin ich – um in:

Ich bin, also denke ich.

… ich bin, also denke ich. Wollen wir die Entwicklung und damit auch die Veränderungen unseres Verstehens-Horizontes nachvollziehen, ist ein Blick auf die griechische Philosophie und Platon gewiss nicht unnütz. Die Schwierigkeit, das zu tun, liegt zu allererst einmal darin begründet, dass bei Platon keine Stelle in seinen Dialogen mit einer systematischen Erläuterung der Ideenlehre zu finden ist. Es bleibt also nur, Platons Ansichten über die Ideen aus vielen verstreuten Bemerkungen zu rekonstruieren, was glücklicherweise von einigen Philosophen bereits vorzüglich erledigt worden ist.

Die Ideen (und auch der Begriff der Formen) gelten als Grundstein platonischen Denkens. Sie sind metaphysische Instanzen und als solche handelt es sich bei den Ideen um das „wahrhaft seiende Wesen“ (Platon, Phaidros 247c), nämlich „das reine, immer seiende unsterbliche und in sich stets Gleiche“ (Platon, Phaidon 79d). Platon setzt mit dem Begriff der Idee bzw. mit seiner Ideenlehre die Idee respektive den Begriff des Seins ab von dem Begriff des Seienden, welches der sinnlichen Erfahrung zugänglich ist im Unterschied zu den Ideen, die nur intellektuellen Anschauungen, also dem Denken zugänglich sind. Ist das Seiende stets veränderlich, also im Werden, ist das Sein immer mit sich selbst gleich, unveränderlich; man kennt diese Idee als die sogenannte „prästabilisierte Harmonie“ des Seins.

Bevor wir uns mit dem Ich dieses grundlegenden Satzes der Identität, genauer gesagt der Identität der Identität und Differenz zuwenden, insofern das Ich bin dasselbe Ich ist wie das Ich denke, dieses Seiende (Ich) bin) aber verschieden ist von einem anderen Seiendem, dem Logos (Ich) denke), schauen wir auf unseren Satz einmal etwas genauer, ohne das darin enthaltene Ich hin. Dann steht da einfach nur: Sein und Denken. Das platonische Denken begründet historisch gesehen den Gedanken eines selbstidentischen Seins des Seienden. Also etwas nur geistig Erfahrbares, das wesenhaft ist für alles, was ist, eingestaltig, immer bestehend, eine intellektuelle Anschauung, urbildhaftes Prinzip, das in den vielen Einzelnen, also in allem Seienden zur Darstellung kommt.

Die platonischen Ideen/Formen (griech. idea, eidos) sind bestimmte, aber nur der Vernunft zugängliche Entitäten. Sie sind dem Sein und der Erkenntnis nach gegenüber konkreten, sinnlich wahrnehmbaren Einzelgegenständen vorrangig und stehen als Seins-begründende Urbilder in einer bestimmten Beziehung zu diesen6. Platon spricht den Ideen eine reale Existenz zu, gleichwohl sie nur durch intellektuelle Anschauungen erfahrbar sind. Die Ideen sind damit auch in höherem Maße seiend als die sinnlich wahrnehmbaren Einzelgegenstände. Sie sind die einzig wahrhaft seienden Wesenheiten. Die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände besitzen für Platon aufgrund ihrer Vergänglichkeit und Veränderlichkeit nur ein bedingtes und damit defizitäres Sein. Platon legt hiermit den Grundstein für das abendländische Denken mit dem Primat des Denkens über jede Form der sinnlichen Erfahrung. Ernst Cassirer schrieb dazu: „Wahres Sein hat nur das, was wahrhafte Dauer hat. Wahre Dauer aber besitzt nichts Dingliches, sondern nur das geistige Prinzip.“7

Platon unterschied streng zwischen der vergänglichen, sinnlich erfahrbaren Welt und dem unveränderlichen, ewigen Reich der Ideen. Ideen stehen in einem Zusammenhang. Dabei handelt es sich häufig um einen komplexen und in sich gegliederten Gegenstandsbereich. Wer Erkenntnis über eine Idee gewonnen hat, der kennt auch die Beziehungen, die zwischen den Elementen des Bereichs bestehen, zu dem die Idee gehört. Eine Idee zu kennen bedeutet damit auch, Kenntnis von den Relationen zu anderen Ideen zu haben (Platon, Sophistes 254 b f.).

Die Ideen transzendieren Raum und Zeit. Sie bilden in einer vollkommenen Ordnung untereinander ein einiges und in sich selbst gegliedertes Ganzes, das frei ist von Zufall und Veränderung. Das Reich der Ideen setzt deshalb die Einheit der intelligiblen Welt voraus, es ist von seiner Struktur her eine Einheit in Vielheit. Platon entfaltet in seiner Ideenlehre die Idee eines Ganzen, einer Ordnung, die einzig aus einer Vielzahl von Beziehungen besteht, also Relationen von Ideen untereinander. Das meint Einheit in der Vielheit bei ihm, Sein des Seienden. Und er kennt eine Welt, die des Seienden, in Raum und Zeit, die dem Zufall und dem Werden, also Veränderungen ausgesetzt ist.

Dass die Welt der Ideen mit der Welt des Seienden verbunden ist, also kein Dualismus behauptet wird, haben wir schon gesehen, verhalten sich Ideenwelt und Sinnenwelt wie Muster und Nachbildung. Leider ist aber jede noch so gute Nachbildung nur ein schwacher Abklatsch der ursprünglichen Idee und der Weg zur „absoluten Idee“ (Hegel) scheint endlos. Dort also, wo es keinen Zufall und keine Veränderungen gibt, ist nach Platon auch die Einheit einer intelligiblen Welt und mithin Wahrheit. Hier entsteht eine fast schon klassisch- romantische Vorstellung einer Welt von Sinnhaftigkeit, wohlwissend, dass sie keine Wirklichkeit ist, sondern in die Welt der Ideen gehört.

Wahrheit und Sein bei Platon - Der Begriff der Aletheia

Das griechische Wort Aletheia wird normalerweise mit Wahrheit übersetzt; Heidegger vermeidet aber diese Übersetzung und verwendet stattdessen den Terminus Unverborgenheit, um das Verständnis vom Wesen der Wahrheit bei den Griechen genauer zu bestimmen. Und zwar indem er vor allem auf das a-Privativum der a-Aletheia verweist, den Hervorgang aus der Verborgenheit in die Unverborgenheit. “Das Unverborgene muss einer Verborgenheit entrissen, dieser in gewissem Sinne geraubt werden. Weil für die Griechen anfänglich die Verborgenheit als ein Sichverbergen das Wesen des Seins durchwaltet und somit auch das Seiende in seiner Anwesenheit und Zugänglichkeit (»Wahrheit«) bestimmt, deshalb ist das Wort der Griechen für das, was die Römer »Veritas« und wir »Wahrheit« nennen, durch das a-Privativum (a-Aletheia) ausgezeichnet. Wahrheit bedeutet anfänglich das einer Verborgenheit Abgerungene. Wahrheit ist also Entringung jeweils in der Weise der Entbergung.“8

Heidegger entdeckt bei Platon, wie der ursprüngliche Vorgang der Aletheia selbst nun wiederum gegen eine Bestimmung von Wahrheit als Dialektik von Sein und Schein immer mehr zurücktritt. “Das Wesen der Idee liegt in der Schein- und Sichtbarkeit.”9 und weiter: „Das, was jede Idee zu einer Idee tauglich macht, platonisch ausgedrückt, die Idee aller Ideen, besteht deshalb darin, das Erscheinen alles Anwesenden in all seiner Sichtsamkeit zu ermöglichen.“10

Wahrheit bei Platon ist eng verbunden, identisch, mit Dauer. Was heute wahr ist, kann morgen nicht falsch sein. Sie liegt auch nicht in unserer Welt, der sinnlich zugänglichen Welt und ist somit gegenstandslos, also geistig. Also transzendieren die Ideen auch Raum und Zeit als Horizonte empirischer Erfahrungen. Aber wie kommen wir dorthin an den UnOrt der Ideen? Natürlich nur durch denken. Hier trennen sich dann die Wege von Platon und Heidegger. Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei dem geistigen Urvater abendländischen philosophischen Denkens.

Platons Begriff des Seins: Ousia

Neben dem Begriff der Aletheia steht im platonischen Denken der Begriff der Ousia zentral. Man kann allein schon in einer groben etymologischen Betrachtung dieses Begriffes einige der Wegmarken unseres Denkens klarer sehen. Im Altgriechischen ist „ousia“ ein Substantiv, das vom Partizip „seiend“ abgeleitet ist. Die dem Altgriechischen am nächsten kommende Bedeutung von Ousia wäre demnach: Seiendheit, was aber kaum jemand heute so sagen würde. „Schon der seit dem Beginn der Metaphysik bei Platon geläufige Name für das Sein: ousia (οὐσία), verrät uns, wie das Sein gedacht, d.h. in welcher Weise es gegen das Seiende unterschieden wird. […] ousia heißt Seiendheit und bedeutet so das Allgemeine zum Seienden“11.In der Philosophiegeschichte finden wir aber auch andere Übersetzungen von Ousia, etwa „Substanz“, und die schöpft ihre Bedeutung aus dem lateinischen Verb „substare“, was so viel heißt wie: darunter sein, dabei sein, darin vorhanden sein. Seine altgriechische Bedeutung hat „Substanz“ im Begriff „Hypokeimenon“ , dem Zugrundeliegenden und diese Definition des Begriffs „Substanz“ hat sich durch die philosophisch bedeutende, viel gelesene Kategorienschrift des Aristoteles fest etabliert.

Cicero, Quintilian, Thomas von Aquin und andere Philosophen der sog. Scholastik übersetzen die „Ousia“ ins Lateinische unter Bezugnahme auf die Wortbedeutung Seiendheit mit „essentia“. Das zu diesem Substantiv gehörende lateinische Verb „esse“ bedeutet: sein, vorhanden sein, existieren, da sein, am Leben sein. Auf die Scholastik gehen wir an dieser Stelle nicht näher ein, aber die im Altgriechischen maßgebliche Konnotation von Ousia mit Vermögen und Besitzstand ist im Begriff der Essentia völlig verloren gegangen. „Ousia ist dort aber ein Wort der lebendigen Sprache und meint so etwas wie einen Besitzstand, also alles das, was zu einem Hof gehört, Haus und Scheune, Kühe und Geräte und die arbeitenden Menschen, die zur Familie gehören. Das alles ist Ousia, und nur wenn man das lebendig vollzieht – und für den Griechen war das selbstverständlich – kann man begreifen, was Ousia als ein philosophischer Ausdruck für die Frage des Seins ist: etwas, was so selbstverständlich und zuverlässig da ist, wie der eigene Besitzstand da ist.“12Ousia so verstanden, stellt uns die Seiendheit, also das Allgemeine zum Seienden als intelligible und gleichzeitig als erfahrbare, empirische Gesamtheit, Vermögen und Besitzstand des Logos vor, was sich auch mit der lateinischen Essentia gut verträgt. Der Lesart, dass arbeitende Menschen, auch die, die zur Familie gehören, zum Vermögen oder Besitzstand, und so zum Begriff der Ousia gehören, wollen wir nur bedingt folgen.