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Band III der siebenbändigen Philosophie des menschlichenn Daseins: Vom Eigentum zum Markt - Untertitel: Die Transformation der Marktwirtschaft, beschäftigt sich mit den Prozessen innerhalb der Ökonomik, die aus der klassischen politischen Ökonomie herausführen in eine Wirtschaftsform, die immer weniger zu tun hat mit einer Marktwirtschaft, sei diese nun eine Liberale Marktwirtschaft, wie in den angelsächsischen Modellen, oder eine Entwicklung innerhalb einer Sozialen Marktwirtschaft wie in den europäischen Modellen. Die innere Dynamik dieser Veränderung und die absehbaren Folgen werden eingehend analysiert und aufgezeigt. Nicht nur für die Ökonomik als System, sondern auch für die wesentlichen Gruppen einer Gesellschaft, angefangen von den Erwerbstätigen über Eigentümer, Rentnerinnen und Rentner bis hin zu den ärmsten einer Gesellschaft. Marktwirtschaftliche Modelle, vor allem das englische, amerikanische und das europäische Modell, werden genau untersucht, die großen politischen (externen) Einflussfaktoren hinzugenommen und die internationalen Finanzmärkte auf ihre Auswirkungen für die post-industriellen Gesellschaften analysiert. Das Hauptaugenmerkt richtet sich auf die Entwicklung, die diese Gesellschaften hinsichtlich ihrer Wohlstandsentwicklungen genommen haben. Gilt der erste Hauptsatz der sozialen Marktwirtschaft noch: Wohlstand für alle?
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Seitenzahl: 895
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Franz Rieder Band III von VII
Philosophie des menschlichen Daseins - Band III von sieben Bänden.
Vom Eigentum zum Markt
Transformation der Marktwirtschaft
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe 2025 durch
Franz Rieder, Nievenheimer Str. 17, 40221 Düsseldorf.
Ersveröffentlichung 2021 im Selbstverlag.
E-Mail: [email protected]
Herstellung:
epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a,
10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
Inhaltsverzeichnis3
Vorwort8
Einleitung10
Kapitel1: Marktwirtschaft14
Vollkommen unvollkommen17
Cash only20
Magie des Geldes22
Kapitel 2: Die Asymmetrie der Waren25
Wild Oeconomy27
World Wild Oeconomy30
Monetäres Theatrum Mundi32
Der Geschichte Herr …36
… nun Knecht ich bin38
Kapitel 3: Marktprozesse41
Money makes the world go around?42
Misstrauische Gläubiger – wagemutige Schuldner45
Wertkrisen47
Was kosten die Tomaten heute?51
Ein Markt ist ein Markt, ist ein Markt…53
Allgemeine Marktanomalien55
Besondere Marktanomalien57
Die Triebkraft der Tulpomanie60
Ordinale Anomalien63
Wohlfahrts-Glaube65
Marktversagen und Wohlfahrtsanomalien69
Paradebeispiel: Aktienrückkauf72
Gewinnmaximierung74
Ökonomie und Freiheit77
Anomalien 2. Teil82
Urteile ohne Wert86
Immun gegen Empirie90
Nicht mit Fragen rechnen95
Rechnung mit vielen Fragezeichen98
Der Konsument im Modell102
Epistemologische Fragwürdigkeiten105
Frage an die Geschichte108
Tragödie der Gemeinschaft111
Tragödie der Kultur114
Haus – Hof und Kultur117
Kultur gegen Markt120
Wissen: Gemeingut oder Privateigentum?122
Das Wissen – Der Antiheld125
Wissen – Vom Privateigentum zum Monopol127
Wissen – Identifizierung und Rekursivität130
Markt vs. Allmende133
Der Kunstmarkt – ein Spezialfall?136
Strukturwandel der Marktwirtschaft?139
Resistenz vs. Affinität143
Feudale Reminiszenzen145
Remanenz feudaler Klassengesellschaften149
Kunstmarkt: Erneuerung ausgeschlossen152
Aufstand des Marktes155
Ontologische Blendung158
Kapitel 4: Produktivkräfte und Technischer Fortschritt163
Produktivkraft – Theoretische Ansätze165
Neue Wachstumstheorien169
Die Erfindung des Geldes175
Macht Geld erfinderisch?179
Neue Quellen der Staatsausgaben181
Pestialische Aufklärung184
Privateigentum vs. Willkür186
Eingeschränkt handlungsfähig189
Aus der Bank in die Maschinenhalle192
Technik – residual?195
Technik – normativ?199
Der Normenstreit203
Vom Vorrang der Technischen Entwicklung206
Begrenzter Durchblick209
Intelligent, ohne Verstand216
Kapitel 5: Transformation der Weltwirtschaft durch Devisenbewirtschaftung219
Transformation aller Werte221
Kreislauf der Devisenwirtschaft224
Rien de va plus227
Fait votre jeux231
Welt-Roulette233
Einmal mehr auf’s Ganze239
Roulette mit dem Untergang242
Angst essen Seele249
Die Tugend der Tatkraft253
Kyrie eleison des Managements258
Kapitel 6: Transformation der Marktwirtschaft261
Von der Liturgie zum Hip-Hop265
Strukturell dominant268
Aggressiv – dominant270
Persönlich – aggressiv – dominant273
Uneinheitliche Modelle – einheitliche Ziele277
Uneinheitliche Ziele – einheitliche Modelle280
Emergency Alert282
Krise in Sicht286
Panikattacken und Beruhigungspillen290
Derivate der politischen Ökonomie293
Transformation vs. Krise297
Politische und ökonomische Krise301
Aufstand gegen den Erfolg303
Das Ende des Laissez-faire?306
Kapitel 7: In die post-industrielle Gesellschaft310
Rückwärts zu nationaler Stärke?313
Grenzfall der Marktwirtschft315
Politischer Schrittwechsel318
Krisenmarktwirtschaft321
Mit Krisen auf Wanderschaft323
Fragmentierung der Krisen326
Krisen im Umkehrschluss329
Homo ludens oeconomicus331
Unter ungleichen Umständen335
Reicher durch Schulden?338
Blasenschwäche341
Good times, bad times343
Billionen-Blase346
Renaissance der bürgerlichen Werte351
Toxische Werte353
Geld und Macht356
Einfall der Hybris361
Der Weg der Hybris364
Hybris des Social-Scoring366
Tutti fratelli370
Schwankender Relativismus373
Armut des wissenschaftlichen Reichtums376
Armutszeichen379
Armut – ökonomisch383
Armut, wer bitte?386
Armut und Krise389
Krise und sozialer Fortschritt393
Das irische Modell395
Das irische Modell – Teil II398
Convergence – or not401
Das englische Modell404
Splendid Isolation408
Party unter Palmen412
Die Kleinen und die Großen415
Wirtschaft ohne Idee418
Schluss421
Literaturliste:423
Band III: Die Transformation der Marktwirtschaft beschäftigt sich mit den Prozessen innerhalb der Ökonomik, die aus der klassischen politischen Ökonomie herausführen in eine Wirtschaftsform, die immer weniger zu tun hat mit einer Marktwirtschaft, sei diese nun eine Liberale Marktwirtschaft, wie in den angelsächsischen Modellen, oder innerhalb von einer Sozialen Marktwirtschaft wie in den europäischen Modellen.
Band IV: Zu einer neuen Politischen Ökonomie. Dieser Band beschäftigt sich mit den Modellen der klassischen und neoklassischen Ökonomik, die eine wissenschaftliche Entwicklung beschreiben, deren letzten Kapiteln wir gerade beiwohnen. Hier werden die Schlusskapitel der politischen Ökonomie geschrieben, die mit den Transformationsprozessen innerhalb der Politischen Ökonomie nicht mehr Schritt halten können, weil sie mit den wirklichen Einflüssen, die Politik heute über die Notenbanken auf die Ökonomie ausübt, intellektuell nicht mitkommen.
Band V: Digitalisierung. Dieser Band betrachtet den digitalen Wandel in den neuen Feldern der politischen Ökonomie, vor allem auf dem Feld der Geldpolitik. Hieraus ergeben sich Veränderungen auf allen Feldern der Ökonomie und zwar in globaler Hinsicht. Mit der Einführung von Digitalgeld und der sukzessiven Abschaffung des Bargelds gewinnt die Geldpolitik immense Spielräume, die etwa das fünf- bis sechsfache dessen ausmachen, womit sie bis dato umzugehen in der Lage ist. Geld- und Fiskalpolitik werden so in absehbarer Zukunft kaum noch etwas damit zu tun haben, was wir bislang davon kennengelernt haben. Für die Wirtschaft und die Wissenschaft der Ökonomie hat das weitreichende Konsequenzen. Die Wirtschaft wird sich darauf einstellen müssen, dass sie zunehmend weniger in marktwirtschaftlichen Zusammenhängen operiert. Die Wissenschaft darf sich darauf einstellen, dass damit auch fast alle ökonomischen Kategorien ihre wissenschaftliche Relevanz verlieren. Digitalisierung beschäftigt uns auch im Zusammenhang mit den neuen Kryptowährungen und natürlich auch im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz, beides neue Technologien, die unser Leben mehr verändern, als dies Technik vorher jemals konnte. Sie verändert unsere Art zu arbeiten, unser Freizeitverhalten, unsere Bildung und auch unser Bewusstsein, und nicht zuletzt unseren Umgang miteinander grundlegend. Wie solche grundlegenden Veränderungen in die Welt kommen, darum geht es in diesem Band. Die sozialen, kulturellen und zwischenmenschlichen Auswirkungen der neuen Geldpolitik und der neuen Technologien in Hinblick auf die Lebensgrundlagen und Lebensverhältnisse, in denen das menschliche Dasein sich entfaltet, wird uns in einem Band VI. dann beschäftigen.
Band 2: An die Arbeit behandelt die theoretischen Systeme, die sich mit der menschlichen Arbeit beschäftigt haben. Das sind wenige aus der Philosophie, die man zudem auch nur einigermaßen systematisch nennen kann. Da sind die Theorien der politischen Ökonomie, angefangen bei Platon, dann differenzierter bei Aristoteles bis hin zu Adam Smith und Karl Marx. Und natürlich die Wissenschaften der Ökonomie, die wir unter den Begriff der Ökonomik versammeln. Thematisch geht es in diesem Band um den Zusammenhang zwischen individuellem Wohlstand und gesellschaftlicher Wohlfahrt in grundlegender Absicht. Dabei spielen Überlegungen zur Wertschöpfung (Produktion) und zu den Märkten hinsichtlich der Entwicklung von Löhnen und Gehältern und deren Auswirkungen auf die Preise (Konsum) eine zentrale Rolle. Dort von den Konsummärkten, wo Angebot und Nachfrage herrschen, blicken wir wieder zurück auf die Einflussfaktoren bei der Herstellung der Güter, auf Eigentum, Geld und Kreditzinsen. Dabei entwickeln wir durch den gesamten Band II eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Ideologien, an deren Basis die des Homo oeconomicus steht. Und mit dieser Auseinandersetzung um das Prinzip der unbedingten Nutzenmaximierung auch die Frage, ob man zu einer besseren Theorie und Praxis für und in der Art, wie wir unser Dasein reproduzieren, kommen kann, wenn wir dieses Nutzen- bzw. Gewinnmaximierungsprinzip abschaffen würden.
Band 1: Andenken behandelt in knapper Form die Entstehung und Entwicklung wichtiger Themen und Denkmuster, angefangen in der antiken, griechischen Philosophie bis in die Moderne des Abendlandes. Dabei wird eine Neubestimmung abendländischen Denkens aus der Komplementarität von Denken und Sein vorgenommen und damit die bestehenden Bestimmungen aus dem Gegensatz und der Negation bzw. dem Widerspruch zwischen Denken und Sein überwunden. Eine Neubesinnung auf das Thema und die Phänomenologie der Macht als politische Macht will die Inflation soziologischer Machtbestimmungen beenden und den Weg aufzeigen, wie politische Macht als phantasmatische Macht im Dasein des Menschen sich ausgebreitet hat und heute weiter prozediert. Dies ist zugleich eine Grundlegung einer neuen, praktischen Philosophie, die weder ohne eine Rückbesinnung traditioneller Denkmuster, noch ohne einen neuen Begriff des Zoon politikon, des politischen Menschen auskommt.
Band III unserer Philosophie des menschlichen Daseins trägt den Titel: Vom Eigentum zum Markt und beschäftig sich mit der theoretisch in der Ökonomik nicht sonderlich klaren Beschäftigung mit den Eigentumsformen, vor allem den Formen, die aus der Liquidierung von Eigentum als Vermögen entstehen. Die Liquidierung von Eigentum als Vermögen, heute als Kapitalvermögen besser bekannt, bildet die Triebkraft, also die Bedingung für wirtschaftliche Aktivitäten im Rahmen unserer Formen der Marktwirtschaft. Liberale und Soziale Marktwirtschaften können nicht entstehen und sich entwickeln, ohne dass Vermögen seine materiell als Eigentum gebundene Geldform auflöst und in den Wirtschaftskreislauf einbringt, dort als produktives Anlage- oder Sachvermögen bilanziert und „arbeitet“. Ein nicht-ökonomischer Vorgang, der der Liquidierung von Vermögen, ist also transzendentale Bedingung für wirtschaftlichen Handeln, wie wir es aus der Marktwirtschaft kennen. Er ermöglicht Zinseinkünfte und Dividenden einerseits, Erlöse und Gewinne für Unternehmen also im Aggregat Kapital und Löhne und Gehälter im Aggregat Arbeit.1
Dass die unterschiedlichen Lehrmeinungen der Ökonomik diesen Zusammenhang ausblenden, ist verständlich aber nicht verzeihlich. Verständlich, weil sie alle sich auf ökonomische und nicht auf außer-ökonomische Sachverhalte kaprizieren. Unverzeihlich, weil sie allein deshalb schon sich in zahllose Aporien verstricken, aus der sie theoretisch nicht herauskommen, was noch verzeihlich wäre. Weil sie aber den Diskurs auch außerhalt ihres Wissenschaftsgebietes, also den politischen, den sozialen und den kulturellen Diskurs maßgeblich mitbestimmen, wenn nicht gar fehlleiten wie eine Fehlallokation in Finanzwerten, muss dieser Sachverhalt umso genauer betrachtet und umso wichtiger genommen werden.
Es geht daher in Band III zentral um die Erweiterung der volkswirtschaftlichen Perspektive auf das, was dort als Kapital und als Arbeit betrachtet und analysiert wird. Auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit, die aber nicht mehr nur immanent, also durch die Marktwirtschaft selbst bedingt sind, sondern die darunter viel bedeutender aus gewissermaßen meta-ökonomischen Sachverhalten angetrieben werden. Zinsen z.B. sind kein Selbstzweck. Für Sparer haben Zinsen eine Reihe von Bedeutungen, etwa als ein kleines Zusatzeinkommen parallel zum Erwerbseinkommen, früher, vor der Finanzkrise von 2008 als mehr oder weniger kleine Zusatzrente, also Grundstock für den Erwerb eines Häuschen mit Garten, selten als Grundstock für den Aufbau eines Aktien- oder Anleihen Depots in Deutschland.
In Form von Aktien sind Zinsen Dividenden, die der Eigentümer für seine Unternehmensanteile in Form von Aktienanteilen meist jährlich erhält. Im Jahr 2019 z.B. beträgt der Dividendenanteil an den Unternehmensvermögen fast 40 Mrd. Euro in Deutschland für den Dax, in dem lediglich die größten dreißig Unternehmen gelistet sind. Während deutsche Sparer nichts an Zinsen bekommen, eher inflationsbereinigt sogar Geld verlieren durch Sparen, erfreuen sich Aktionäre der Dax-Unternehmen doch recht erklecklicher Dividendenrenditen; zurecht.
Zurecht unter anderem auch deshalb, weil die Anteilseigentümer ihr Geld nicht aus den Unternehmen abziehen und vielleicht in amerikanische Indizes verlagern, sondern so die Liquidität der Dax-Unternehmen aufrechterhalten, ohne die das wirtschaftliche Wachstum, also der Wohlstand, den unsere Volkswirtschaft erzeugt, nicht möglich wäre. Aber nicht nur um den Wohlstand geht es hier, sondern auch um das, was wir die Wohlfahrt einer Nation nennen. Dabei muss bedacht werden, dass, anders als A. Smith, der Urvater der politischen Ökonomie in Europa, dachte, die Nation sich längst über ihre Grenzen hinaus entwickelt haben. Wohlstand und Wohlfahrt der Nationen muss heute als eben dieser Plural theoretisch in den Blick genommen werden, sind doch allein schon im Dax, dem einst deutschen Aktien-Leitindex weit mehr als die Hälfte der Unternehmensanteile im Eigentum von nicht-deutschen Personen und Rechtsgesellschaften.
Die Entwicklung von Wohlstand und Wohlfahrt, in der Sozialen Marktwirtschaft besonders beansprucht, aber auch in der Liberalen Marktwirtschaft gewissermaßen als eine Art Sekundärgewinn beabsichtigt, geht nicht immer kongruent. Disproportionalität ist hier ein Maß – von vielen – von Marktwirtschaften, die alle primär auf der Grundlage von privatrechtlichen Vermögen und Eigentum sich entwickeln. Eine ungleiche Verteilung von Wohlstand und Wohlfahrt ist daher implizit, deren Grenze aber Armut ist. Also beschäftigt uns Armut generell und speziell ihre ökonomischen Bedingungen. Eine davon entsteht durch Konjunkturschwankungen, besonders aber durch Konjunktur- bzw. Wirtschaftskrisen. Sie nehmen daher einen größeren Raum in diesem Band ein.
Dabei fragen wir uns, ob Krisen lediglich strukturimmanente Schwankungen der konjunkturellen Entwicklung sind, ober, ob darin etwas sichtbar wird, was die Grundlagen von Marktwirtschaften betrifft, mithin externe Faktoren sind, die das Funktionieren von Marktwirtschaften fundamental angreifen und verändern. Dabei zeichnen wir auch die Entwicklung der Marktwirtschaft historisch nach und finden dann Ausprägungen, die so gar nicht in das Bild einer Entwicklung passen wollen, die allenthalben ja als umfassend und resistent gegen Abweichungen beurteilt wird. Die City of London und ihre Kronkolonien spielen dabei eine wichtige Rolle wie andere Steuerparadiese in Großbritannien und den USA. Wir kommen da nicht umhin, uns auch mit dem Phänomen Schwarzgeld, mit Offshore Konten und Geldwäsche zu beschäftigen. Ein dunkles Kapitel, das uns aber auf jene Formen einer Schattenökonomie hinweist, die sich heute parallel zu den marktwirtschaftlichen ausbilden und die neofeudale Strukturen ausweisen und fast schon typisch für post-industrielle Gesellschaften zu sein scheinen; wir prüfen das.
Wenn sich neben den marktwirtschaftlichen auch illegale, ökonomische Strukturen ausbilden können, dann ist dies mit Sicherheit ein Zeichen dafür, dass Politik wohlwissend nicht eingreift und solche „Geschäfte“ zulässt wie sie über Offshore-Gesellschaften Gang und Gäbe sind, die in einem zwar nicht bekannten, aber durchaus beträchtlichen Ausmaß auch im Kunsthandel sich ausgebreitet haben. Der Schritt zu einer Politischen Ökonomie, in der nicht mehr allein der Markt, sondern die Politik eine ganz wesentliche Rolle spielt, ist dann kurz. Nur muss man dabei bedenken, dass eine Politische Ökonomie nichts notwendigerweise zu tun hat mit politischen Formen der Korruption, gleichwohl diese eine Rolle spielen und nicht bagatellisiert werden sollten.
Wir verlassen konsequent die Ideologien, die in der Marktwirtschaft gleich welcher Couleur ein krudes Herrschaftsgebildes sehen wollen, in dem das Kapital gegen die Arbeit zum Kampfe ruft und dabei Geld aus den Mehrwerten der Arbeit als Waffe einsetzt. Wir klären dieses scheinbar dialektische Kapitel von Herrschaft und Knechtschaft auf, indem wir es als ein tatsächlich wirtschaftendes Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern unter dem Asphalt der Ideologien freilegen. Dieses Verhältnis ist keins von Herrschaft und Knechtschaft, von Macht und Ohnmacht, sondern entwickelt sich prinzipiell offen aus der Asymmetrie von Vermögen und Eigentum auf der einen, und Arbeit und Konsum auf der anderen Seite. Wir erkennen ein materielles Vermögen dort und ein immaterielles, individuelles Vermögen hier, die beide aus ihrer Asymmetrie heraus sich entwickeln. Vermögen findet seine Richtung zur Arbeit als liquidiertes Vermögen, Arbeit seine Richtung zum Kapital als Verwandlung von Fähigkeiten zu Geldvermögen und Konsum; jedenfalls prinzipiell. Kapital und Arbeit vertauschen dabei ihre Risikostrukturen.
Als Direktinvestition oder Anlagevermögen in Unternehmen ist der Gläubiger nun dem Risiko der Insolvenz des Schuldners ausgesetzt, während Arbeit sich in die Krisen der Wirtschaft und somit ins Risiko von Arbeitslosigkeit und Armut begibt; ebenso prinzipiell. Funktioniert die Marktwirtschaft, dann entwickeln sich der Wohlstand der Nation und je nach politischem Prinzip auch die Wohlfahrt einer Gesellschaft positiv. Die Relation zwischen materiellem Vermögen und menschlichen Fähigkeiten behält zwar in der Marktwirtschaft ihre asymmetrische Struktur insofern beide akkumulativ an der Wohlstandsentwicklung beteiligt sind, die Spreizung zwischen Arm und Reich aber zunimmt. Hier setzt Politik ein, indem sie wie etwa in den USA eine tiefere Spreizung zulässt und diese mit der Zunahme der Kapitalrisiken bei immer größerem Kapitalbedarf der Wirtschaft bzw. Liberalen Marktwirtschaft legitimiert. Oder in Europa, wo unter dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft das Armutsrisiko der Arbeit abgefedert und abgemildert werden soll, ohne dabei die Wohlstandsentwicklung zu stark zu beeinträchtigen; alles dies ist immanent betrachtet.
Die sog. Gretchenfrage über allem dabei ist: Sind die Krisen der Marktwirtschaft hausgemacht? Dann ist die Marktwirtschaft auch verantwortlich für die negativen Auswirkungen in den Bereichen Arbeit und Wohlfahrt. Kann die Marktwirtschaft aus sich heraus mit Hilfe keynesianischer Methoden, also fiskalischen Mitteln aus der Staatskasse ihre eigenen Krisen bewältigen, oder hat sich die Marktwirtschaft aus inhärenten Gründen zu einer Dauerkrise entwickelt, aus der heraus keine Fiskalpolitik mehr herausführt? Dann wäre das marktwirtschaftliche Modell der Ökonomie am Ende, früher oder später, und müsste ersetzt werden durch ein anderes.
Dies also ist unser Fragehorizont, unter dem wir die Wege des Vermögens bzw. des Eigentums, des Geldes und der Zinsen nachzeichnen wollen. Wir schauen dabei natürlich auf alle wesentlichen Elemente, die die marktwirtschaftliche Entwicklung bzw. Dynamik antreiben, auf die technischen Entwicklungen wie auch auf die Wachstumstheorien, auf die Entwicklung auf den Kapitalmärkten wie auf die Entwicklungen innerhalb der Eigentümerstrukturen von börsennotierten Unternehmen. Hier streifen wir lediglich bestimmte strukturelle Veränderungen, die sich durch die weltweite Vernetzung des Kapitals ergeben, dort auf den Kapitalmärkten folgen wir der Globalisierung von Wirtschaft, Handel und Kapital. Und wie sich die realen Entwicklungen innerhalb einer Volkswirtschaft entfalten, so verändern sich auch die theoretischen Modelle der Ökonomik, die sich prinzipiell dadurch kennzeichnen, dass sie Entwicklungen theoretisch nachzeichnen, nicht vorwegnehmen.
Dabei sind alle theoretischen Modelle der Ökonomik eigentlich erdacht worden, um eine bessere, wissenschaftlich fundierte Prognostik zu gewähren, vor allem, was die Vorhersage von konjunkturellen Schwankungen und Wirtschaftskrisen betrifft. Wenn z.B. Wirtschaftsweise ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent prognostizieren und schlussendlich eine Steigerung des Brutto-Inlandsproduktes von einem Prozent feststellen müssen, dass liegen Theorie und Wirklichkeit um fünfzig Prozent auseinander; das ist viel. Wenn die Weisen die Finanzkrise 2007/08 überhaupt nicht in ihren Prognosen kalkuliert haben, dann ist das ein Zeichen dafür, dass an den Theorien vielleicht etwas grundsätzlich nicht stimmt. Vielleicht lassen sich Krisen nicht errechnen, nicht mit naturwissenschaftlichen Kalkülen prognostizieren wie Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne.
Wenn also zu wirtschaftlichen Entwicklungen wie zu Krisen daselbst keine hinreichenden Wissenschaftsmodelle führen, geschieht dann Wirtschaft überwiegend als eine Art Blindflug? Oder sind bei dieser Entwicklung Kräfte bzw. Faktoren am Werke, die noch keinen angemessenen Eingang in die theoretischen Modelle gefunden haben? Auf alle diese Fragen versucht der vorliegende Band III Antworten. Und da wo keine Antworten erwartet werden können, sollen wenigstens Wege aufgezeigt werden, die die in Frage stehenden Sachverhalte besser in den Blick zu nehmen in der Lage sind, als bisher.
Der Begriff Markt2 ist eine Chimäre. Er gaukelt uns etwas vor und je aus welchem Blickwinkel etwas anderes. Eine Vorstellung von einem bunten Treiben von Handwerkern und Produzenten, die ihre Waren zum Kauf präsentieren und Interessenten, die sich einen Überblick über das Angebot verschaffen, Preise und Qualität vergleichen, sowie Kunden, die die Waren schlussendlich dort einkaufen und damit ihre Bedürfnisse befriedigen.
In der Zusammensetzung mit dem Begriff Wirtschaft suggeriert Marktwirtschaft, dass um der Befriedigung der Bedürfnisse der Kunden willen gewirtschaftet wird. Also die Produzenten das Bedürfnis der Kunden beim Aufbau und der Durchführung ihrer Produktion zentral im Blick haben. Dass jene, die dort auf den Märkten die Produkte präsentieren, den Geldbeutel der Interessenten zentral im Blick haben, da ja niemand schlussendlich etwas kaufen wird, was entweder generell zu teuer, wie etwa die für viele Menschen unerschwinglichen Luxusgüter, oder ein Produkt im Vergleich zu einem anderen Anbieter zu teuer ist. Und dass ein informierter, mündiger Mensch seine Kaufentscheidung nach rationalen Gesichtspunkten trifft, der Qualität des Produktes wie nach dessen Preis. Wenn also die Preise in der Lage sind, sich flexibel an die Geldbeutel anzupassen, dann räumen die Kunden die morgens aufgebauten Stände und Regale bis zum Abend bis zum letzten Angebot ab, so der Traum. Und die Produktion läuft täglich auf vollen Touren, wenn es gelingt, diese vorab an die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden anzupassen.
Es ist eine seltsame Vorstellung, dass da in Mexiko oder in den chilenischen Anden Bauern einst saßen und sich überlegten, was wollen unsere lieben Mitmenschen und diese sagten: Kartoffeln, und also die Bauern Kartoffeln anbauten. Oder war es nicht andersherum? Die Böden der Bauern gaben nur genügend Kartoffeln und Koka her und also gab es auf den Märkten dort schon früh Kartoffeln und Kokablätter. Wie dem auch sei, ob wir die Marktwirtschaft als eine Angebots- oder als einen Nachfragewirtschaft betrachten, die Beteiligten auf den Märkten bleiben die gleichen. Und so die Prozesse der Waren- und Güterproduktion sowie die Marktprozesse von Angebot und Nachfrage. Selbst der Einfluss der Nachfrage auf die Angebotsproduktion widerspricht nur wenig den klassischen Markttheorien.
Was aber seltsam ist, ist, dass klassische und neoklassische Markttheorien durchaus davon ausgehen, dass es zur Beschreibung und Berechnung der entsprechenden Prozesse, Werte und Mengen ein Gleichgewicht mindestens zweier Ordnungen, der des Angebots und der Nachfrage geben bzw. vorgestellt werden kann. So hat von Eucken festgestellt, dass es Ordnungen in der Ökonomik gibt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in einer Form der „Interdependenz“3 zu einander stehen und man daher nicht von Ordnungen als solchen sprechen kann. Ordnungen sind Denkmodelle, in denen Strukturen oder Prozesse sich bedingen. Wenn also Strukturen nicht nur Strukturen der gleichen Ordnung, sondern auch Strukturen ähnlicher oder gänzlich anderer Qualität sind, mithin also z.B. staatliche Preismechanismen Marktpreise bedingen und beeinflussen können, dann treten gewissermaßen Form und Prozess aus- bzw. ineinander und Marktwirtschaft droht sich zu einer staatlich gelenkten Wirtschaftsordnung zu verändern.
Schlimmer noch; hinter der Interdependenz von Ordnungen breitet sich etwas aus, was wir in einem anderen Zusammenhang schon kennengelernt haben: Einflussphären. Leider sogar wechselseitig, von den Wirtschaftssubjekten auf die Politik und umgekehrt. Der Umkehrschluss, staatliche Einflüsse auf die Form des Wirtschaftens ganz zu unterbinden, führt zu einem sog. Laissez Fair der „freien Marktwirtschaft“, in der die Strukturen und Prozesse der Wirtschaft dominieren gegenüber Wettbewerbern, gegenüber den nicht-ökonomischen Wünschen der Bürger.
Wenn seit Jahren in Deutschland und sehr vielen anderen Ländern in und außerhalb Europas die Versorgung mit Krebsmedikamenten dramatisch defizitär ist, dann liegt dies nicht an einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bzw. eine Asymmetrie von Bedürfnissen und deren Versorgungs- bzw. Befriedigungsmöglichkeiten. Im Gegenteil. Derartige Asymmetrien sind nicht Bedingung, sondern Resultat einer nur noch auf Effizienz ausgerichteten Wirtschaft. Patienten, Ärzte und Krankenhäuser wünschen sich eine ständige Versorgungssicherheit mit diesen lebenswichtigen Medikamenten. Sie bekommen sie nicht, weil die Industrie komplett nach Indien und dort in ein einziges Versorgungsunternehmen verlagert worden ist. Das war unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit geschehen, aber jeder durchschnittliche Student der Wirtschaftswissenschaften hätte sofort ein erhebliches Risiko bei dieser Art von Versorgung erkannt, seien es Gründe der Produktionssicherheit oder der Hygiene o. a. Ob Kontaminationen oder Betriebsausfälle o.a. Gründe zur Unterversorgung in den Kliniken führt, spielt keine Rolle.
Dass es aber ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage je gegeben hat oder geben wird, ist nicht einmal eine hübsche Illusion wie dieses Beispiel als ein drastischer Grenzfall zeigt. Ein paar Schrippen bleiben immer im Regal. Denn wenn zu wenige für die letzten Kunden da sind, kommen die morgen bestimmt nicht wieder. Auch nicht morgens. Hier liegt die Geburtsstunde für Grenzkosten- und Grenznutzenrechnungen, die wiederum makro- wie mikroökonomisch betrachtet die Knappheit von Gütern und Ressourcen zur Grundlage hat.
In jeder differenziellen Grenzrechnung ist also die Asymmetrie zwischen Motivation und Erwartungen der Wirtschaftssubjekte enthalten. Sie fungiert dort als mathematischer Umkehrpunkt oder als Asymptote, je nachdem, ob von Kosten oder von Gütermengen her betrachtet. So schön und präzise die Differenzialgleichungen der Mathematik auch sein mögen, in einem leergekauften Markt gibt es nur Schweinwerte bzw.- -bewertungen.
Die Grenzrechnungen sind, ob für Kosten- oder Nutzenbetrachtungen dann sinnvoll und bewährt, wenn es um die industrielle Güterproduktion im Sinne seriell optimierter Produktionsprozesse geht, aufgelegt in einem Marktmodell, das als vollkommener Markt erdacht ist. Wir haben bereits gesehen, dass nur dann der Preis gleich den Grenzkosten gesetzt werden kann, es also nur einen Preis für eine Ware gibt, zu dem die Nachfrage gleich dem Angebot ist und der Markt folglich geräumt wird. In einem vollkommenen Markt können Anbieter keinen höheren Preis als den Gleichgewichtspreis durchsetzen, weil sie aufgrund der Markttransparenz sonst keine Abnehmer finden werden. Nachfrager, die weniger als den Gleichgewichtspreis bezahlen wollen, werden keine Anbieter am Markt finden. „In the same open market, at any moment, there cannot be two prices for the same kind of ARTICLE. “4 So wenig es empirisch einen einzigen Preis für ein Produkt gibt, so wenig taugt ein Denkmodell, das Grenzkosten und Grenznutzen außerhalb jeder empirischen Grundlage berechnet. Die Grundlage als vollkommenen Markt zu definieren ist mathematische Freude und Empirie loser Unfug zugleich. Kein jemals existierender Unternehmer wird jemals auch nur eine Sekunde damit verschwenden, Kosten und etwaige Erlöse auf dieser Grundlage zu berechnen.
Warum also beschäftigt sich zum Kuckuck die Ökonomik mit dem Jevons’ Gesetz von der Unterschiedslosigkeit der Preise, wenn das Gesetz besagt, dass für ein Gut nur ein einheitlicher Preis auf dem Markt entstehen muss, wenn räumliche, zeitliche, sachliche und persönliche Differenzierungen einerseits entfallen, andererseits aber vollkommene Information herrscht, was immer, the hell, das auch heißen mag? Denn diese Bedingungen beschreiben den vollkommenen Markt. Die Antwort ist einfach und für uns im weiteren Verlauf von Bedeutung. Gleichwohl diese Marktform in der Realität nicht anzutreffen und auch nicht als anzustrebendes Ideal postuliert wird, standen der Aktienhandel an der Börse und der Devisenmarkt einmal stellvertretend als Märkte, die dem vollkommenen Markt am nächsten kommen5, während der Immobilienmarkt als ein Markt empirisch betrachtet werden muss, der dagegen sehr viel Unvollkommenheit aufweist.
Grenzkosten und Grenznutzen
Das Modell des vollkommenen Marktes ist gewissermaßen ein Denklaboratorium für den Begriff der Marktwirtschaft. Dort sollten einzelne, einfache, strukturelle Bedingungen überprüft werden hinsichtlich ihrer Interoperabilität und temporalen sowie generellen Wirksamkeit. Jevon setzte nicht nur Preise und Informationen in eine direkte Beziehung, sondern auch Handelshemmnisse, Zölle und Steuern, sogar Wechselkursschwankungen kamen ins Grenzrechnungs-Kalkül. So vermutete er bei fehlender, vollkommener Information einen temporär unvollkommenen Markt, da selbst bei fortschreitenden Informationsdefizits der Markt trotzdem zu einheitlichen Preisen findet, indem die Marktteilnehmer die Preisgestaltung der anderen Marktteilnehmer beobachten und ihre Preisgestaltung an denen der Wettbewerber orientieren. So entsteht der einheitliche Preis innerhalb eines zeitverzögerten, temporären Anpassungsprozesses.
Weniger die empirische Validität ist hier von Interesse, als vielmehr eine Hinterlassenschaft von Karl Marx für die gesamte, nachfolgende volkswirtschaftliche Akademikerschaft, nämlich die Frage, ob die Marktwirtschaft im Sinne der Kapitalismuskritik von Marx durch immanente Widersprüche zu Krisen und letztlich zum Scheitern führt, oder ob die Marktwirtschaft ihre immanenten Krisen aus sich selbst heraus zu überwinden in der Lage ist; wir werden das in einem Kapitel über die Krisen der Marktwirtschaft gesondert behandeln.
Jede Volkswirtschaft seit Marx und in dessen Folge besonders nach Keynes ist auch eine Krisenwissenschaft. Anders sind die zahllosen analytischen Beschäftigungen mit Arbeitslosigkeit, Armut, Profitrate, Inflation und Deflation u.v.a.m. nicht zu verstehen. Wir attestieren damit der Ökonomik auch ein gesundes Misstrauen, eine durchaus kritische Einstellung gegenüber ihrem „Gegenstand“, gleichwohl sie in der akademischen Debatte den „Mainstream“ nie verlassen hat. Generell also glaubt sie bzw. geht die klassische Lehre bis heute davon aus, dass die Marktwirtschaft die Krisen, die sie selbst schafft, auch mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu überwinden in der Lage ist.
Bleibt die Frage: müsste dieses Kapitel: Marktwirtschaft eigentlich nicht vor als nach dem letzten Kapitel stehen? Die negative Antwort darauf ist offensichtlich darin gegründet, dass zuerst die immanenten Denkmodelle der Ökonomik analysiert werden müssen, besonders jene, die innerhalb des wissenschaftlichen Krisendiskurses die wesentlichen Rollen spielen, bevor diese Denkmodelle durch kritische Analysen selbst aus sich heraus eine andere, vielleicht sogar eine öffnende Perspektive auf neue, bessere Möglichkeiten des Wirtschaften sowie des tragenden Gesellschaftsmodells erschließen.
Zurück zur Marktwirtschaft und zu den Preisen. Es ist klar, dass von einem Idealmodell ausgehend, es zwei Preise für die gleiche Ware nicht geben kann, weil zu einem vollkommenen Markt auch ein vollkommener Preis gehört. Aber bringt dieses Modell überhaupt etwas für das Verständnis einer Marktwirtschaft? Ja, weil es zwingt, über folgende, strukturelle Bedingungen einer Marktwirtschaft nachzudenken. Einheitliche Preise sind ja Resultate einer Form der Produktion von Waren, von dem Blickwinkel eines Unternehmers aus betrachtet, die den höchsten Effizienzgrad erreicht hat. Zu diesem Effizienzgrad gehört selbstverständlich auch der Aufwand und Einsatz finanzieller Mittel, die in die Effizienzsteigerung zum Optimum eingesetzt worden sind. Mit Investitionsstau ist ja nichts anderes verbunden als die Tatsache, dass es, möglicherweise auch besser, im Sinne effizienter, gehen könnte.
In einer vollkommenen Produktion sind also die investiven Entscheidungen vollkommen zum Output und die Preisentscheidungen vollkommen zum Wettbewerb. Wenn also niemand besser im Sinne von optimaler die Menschen mit Waren und Gütern versorgen kann, weder Über- noch Unterproduktion herrscht, dann ist der Wettbewerb vollkommen als eine Art der Aufteilung des Gesamtmarktes unter Produzenten gleicher Art. Dann machen auch Grenzrechnungen einen Sinn, also Kalkulationen bei veränderten Marktbedingungen, was die Nachfragegröße angeht, denn„Grenzkosten sind der Kostenzuwachs, der durch die Mehrproduktion einer Ausbringungseinheit entsteht.6 Dann sind auch alle Informationen verfügbar, so dass niemand über Insiderwissen oder andere Formen von Wissens- und Informationsvorsprung verfügt.
Wir sahen, dass etwa von Eucken moderne Wirtschaftsordnungen und deren Interoperabilität unterscheidet. Zentrales Kriterium für ihn war dabei nicht die Staatsquote, also der Anteil der staatlichen an den gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten, sondern, was von Eucken wirtschaftliche Macht, wir aber wirtschaftlichen Einfluss nennen. Größte Machtanhäufung finden wir in einer Zentralverwaltungswirtschaft, wie sie in den Sowjetstaaten bestand und zum Teil auch heute noch in den Folgestaaten bestehen, so auch in der Volksrepublik China und anderen politischen und politisch-religiösen Staatsformen weltweit.
Der Gegenpol, nach von Eucken, zu Zentralverwaltungswirtschaften, in denen eine Zentrale über die größtmögliche politische und wirtschaftliche Macht in einer Hand verfügt und der Einzelne, hier das Wirtschaftssubjekt, maximal fremd bestimmt ist, ist nicht etwa die „freie Marktwirtschaft“ des Laissez-faire, sondern der vollständige Wettbewerb, bei dem niemand über wirtschaftlichen Einfluss bzw. eine wirtschaftliche Dominanz auf dem Markt verfügt, ein anderes Wirtschaftssubjekt in seinen ökonomischen Planungen und Entscheidungen massiv beeinflussen, ja sogar bestimmen zu können.
Von Eucken erkennt noch einen dritten Ordnungstyp, den er „vermachtete Marktwirtschaft“ nennt, bei der einzelne Einflussgruppen, durch Preispolitik oder Lobbyismus, in die ökonomische Freiheit und Selbstbestimmung anderer Marktteilnehmer eingreifen7 und was wir unter unseren Begriff der „Beeinflussung“ subsummieren, um die Trennlinie zur Macht, die einzig für uns als eine politische Form besteht, scharf zu ziehen. Was von Eucken mit dem vollständigen Wettbewerb aufgreift ist dieses ideale Modell einer Marktwirtschaft, von dem wir eben sprachen und das im vollständigen Wettbewerb der Idee einer gegenseitigen Selbstkontrolle aller Wirtschaftssubjekte durch alle Wirtschaftssubjekte folgt. Die Idee einer „freien Marktwirtschaft“ ist aber nicht kompatibel mit dieser Idee des Wettbewerbs, in der alle Macht- bzw. Beeinflussungsstrukturen im Hegelschen Sinne aufgehoben sind und wo ein Höchstmaß an ökonomischer Freiheit herrscht.
Betrachten wir zuerst das Kriterium Preis(-politik) in diesem Zusammenhang. Bevor ein Unternehmen einen Preis für seine Waren auf den Markt ausbringt, muss es die Kosten, die zur Herstellung der Waren notwendig sind, berechnen. Da nun die Kosten, die sich ganz grundsätzlich zusammensetzen aus den Fixkosten und den mit der Ausbringungsmenge verändernden, variablen Kosten, so gut wie nie in einem linearen, sondern in einem nicht-linearen Kostenverlauf berechnen lassen, nicht-linear insofern, als nach dem Ertragsgesetz8 von sinkenden Grenzkosten ausgegangen werden muss, müssen weitere Parameter wie die durchschnittlichen variablen Kosten, die durchschnittlichen gesamten Kosten und die Grenzkosten in die Rechnung mit einbezogen werden. Nicht-lineare Kostenverläufe stellen sinkende Grenzkosten dar, die sich bei der Herstellung von Waren in großen Mengen ergeben, wobei zwei wesentliche Faktoren wirksam sind, nämlich Skalenerträge und die sog. Lernkurven. Skalenerträge sind eine Eigenschaft der Produktionsfunktion und geben die Steigerungsrate an, mit der sich der Output bei proportionaler Erhöhung des Inputs erhöht9.Der Lernkurveneffekt ist eigentlich ein unglücklicher Ausdruck, hat er doch mit Lernen nur auf der alleruntersten Ebene etwas zu tun. In der Wirtschaft wird er verwendet, um Produktivitätssteigerungen oder eine Qualitätssteigerung im Laufe einer seriellen Produktion zu erklären und wurde ursprünglich hauptsächlich dazu herangezogen, um schnellere Fließbandgeschwindigkeiten bei der seriellen oder Fließfertigung zu ermöglichen und zu rechtfertigen.
Zum Lernkurveneffekt: In Bezug auf die Grenzkostenrechnung lässt sich wenig, wenig nicht sogar gar keine Aussage treffen. Wir halten diesen Effekt für die aktuelle Situation einer Kostenrechnung für schlicht irrelevant. Zum Skalenertrag: Skalenerträge sind nach wie vor preissensibel, da sie in bestimmten, auf serielle Produktion beruhenden Wirtschaftssektoren signifikanten Einfluss ausüben. Hier ist dieser Faktor besonders bei den sog. Plattform-Technologien zu berücksichtigen und auch in einem gewissen Ausmaß bei der Digitalisierung der Wertschöpfungsketten generell zu veranschlagen.
Auf der betrieblichen Ebene sehen die Innenfinanzierung bzw. die Liquidität eines Unternehmens ein wenig anders aus. Hier zählen weniger idealtypische Märkte, hier rechnet man weniger mit ständig voll- oder unvollkommenen Strukturen. Hier zählen Einzahlungen und Auszahlungen innerhalb eines gegebenen Zeitraums, also Geld-, Kassen- und Kapitalflüsse, die mit allen „Abflüssen“ saldiert werden. Diese Stromgrößen, eine Erfindung aus den USA, sind umso seltsamer ihres Ursprungs nach, als sie erfunden bzw. angewendet wurden in kirchlichen Verwaltungen und nominell zurückgehen auf die sog. Kameralistik, also ein Buchführungsverfahren für „fürstliche Schatztruhen“. Und so weit entfernt von unserer heutigen ‚Beanspruchung‘ als denominierte Vermögenswerte ist dieses Buchführungsverfahren einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung gar nicht; man muss es nur wissen, dass Vermögenswerte in ihrer denominierten Geldform hier Eingang finden. Wären Cashflow-Rechnungen lediglich Konventionen der Mikroökonomie könnte wir sie in unserem Zusammenhang vernachlässigen. Das aber sind sie nicht. Denn diese Kennzahlen, die mit den Cashflows eines Unternehmens verbunden sind, sind weit mehr als nur innerbetriebliche Größen. Bereits Anfang des 20. Jh. sprach in einem spektakulären Rechtsstreit zwischen Ford und den Dodge Brüdern der Oberste Gerichtshof von Michigan, USA, im ‚Obiter Dictum‘ der Urteilsbegründung: „Ein Unternehmen ist zuerst dazu da, einen Gewinn für seine Aktionäre zu erwirtschaften.“ Es dauerte zwar noch etwa 70 Jahre, bis die entsprechende, ökonomische Theorie zu diesem Dictum folgte, die dann 1986 in dem Werk: „Creating Shareholder Value“ von Alfred Rappaport niedergeschrieben wurde. Darin forderte er, dass unternehmerische Entscheidungen vorrangig nicht daran zu messen und zu bewerten sein, ob sie Gewinne erzielen, sondern ob sie den Wert des Unternehmens für dessen Aktionäre steigern10.
Das war die Geburtsstunde der Cashflow-Rechnung. Da bereits kleinste Abweichungen von den Quartalsergebnissen die Cashflow-Prognosen für die folgenden Jahre beeinflussen können und mit diesen auch Auswirkungen auf die Aktienkurse verbunden sind, konzentrierten sich die meisten Unternehmenslenker börsennotierter Unternehmen schnell vornehmlich auf gute Quartalsberichte. Shareholder Value wurde zur einzigen wirklichen Messgröße der Wertsteigerung eines Unternehmens mit den Methoden der Cashflow-Rechnung ermittelt. Dies nahm rasch zu und gilt bis heute, wo besonders große und institutionelle Investoren, allen voran die großen, angelsächsischen Pensionsfonds, die beträchtliche Summen an Vermögen für Altersruhegelder von Millionen von US-Bürgern verwalten und damit auch nicht gerade unerheblichen Einfluss auf die kaufmännischen Entscheidungen der Unternehmen ausüben, bei denen sie investiert sind. Fondsmanager sind so zu, der Idee nach, treuhänderischen Sachwaltern privater Einlage- und Aktienvermögen geworden, die die Wertsteigerung von Unternehmen durchaus mit beeinflussen.
Aus der Kameralistik11 wurden mit der Zeit unterschiedliche Arten der Cashflow-Rechnung und damit von Cashflow-Kennzahlen, die sich im Rahmen der Finanz- und Aktienanalyse entwickelten12. Darin haben sich drei unterschiedliche, aber mit einander verbundene Fokussierungen der Cashflow-Betrachtung ausgebildet und in der Praxis bewährt:
der Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit – darin enthalten ist der operative Cashflow -,
der Cashflow aus der Investitionstätigkeit und
der Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit.
Die Summe dieser drei Salden ergibt die Veränderung des Bestands an liquiden Mitteln innerhalb einer Periode, meistens im Zeitraum eines Jahres13.
Für uns ist der Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit und dessen Auswirkungen auf die Aktienkurse von primärer Bedeutung im Zusammenhang mit marktwirtschaftlichen Überlegungen. Im Rahmen des Cashflows aus Finanzierungstätigkeiten sind natürlich die Zuführung von Eigenkapital in das Unternehmensvermögen von Bedeutung wie die Kosten aller Finanzverbindlichkeiten. Sie geben summiert einen Hinweis darauf, ob ein Unternehmen aus eigener Kraft Investitionen tätigen kann und somit auch in Zukunft prinzipiell wettbewerbsfähig ist, in welcher Höhe liquide Mittel für Schuldentilgung und Zinszahlungen vorhanden sind, oder in wie weit Insolvenzgefahr besteht, denn ein anhaltend negativer Cashflow führt zur Zahlungsunfähigkeit und damit zur Insolvenz14.
Der Cashflow in der finanzwirtschaftlichen Unternehmensanalyse aber gibt lediglich als eine Art Frühindikator Auskunft darüber, ob ein Unternehmen auf gesunden Beinen steht oder eher nicht. Der operative Cashflow dagegen bezieht als Indikator für das Innenfinanzierungspotenzial eines Unternehmens nicht nur die Frage ins Kalkül, ob das Unternehmen nicht nur aus den Umsatzprozessen heraus Kredite ordnungsgemäß zu tilgen, sondern auch neue Investitionen zu tätigen in der Lage ist. Wenn also von Investitionen und der Innovationskraft eines Unternehmens die Rede ist, dann sollten sich gerade diese Kriterien in den Aktienkursen widerspiegeln. Das heißt aber auch, dass weniger die tagesaktuellen Kursniveaus wie auch einjährige Kursverläufe und Dividenden allein bei der Bewertung der Wertsteigerung eines Unternehmens herangezogen werden können. Und auch ein Börsenindex gibt nicht allein Auskunft darüber, ob die in ihm gelisteten Unternehmen in investiver und innovativer Hinsicht zugleich gut aufgestellt sind.
Investitionen und Innovationskraft sind seit den grundlegenden Veränderungen in der Unternehmensbewertung durch Cashflow-Rechenarten wie auch alle anderen Vermögenstransfers zu Unternehmens-Aktiva Denominationen. Heute spricht man von Stromgrößen, von Geld- sowie Kapitalströmen u. a. und vergisst zunehmend dabei, worum es sich im Kern einmal handelte, nämlich die Versorgung von Unternehmen mit liquidierten, privaten Vermögenswerten und dem Anspruch der Investoren, diesen Transfer nicht nur treuhänderisch zu kapitalisieren, sondern auch in einer angemessenen Form der Rendite zu vergüten.
Wir haben die Beziehung zwischen einem Unternehmen und einem Börsenindex ausgewiesen. Wir haben dabei die Wirtschaftssubjekte in den Unternehmen angesprochen und die Art und Weise, wie sie die Beziehung zwischen ihren Unternehmen und den Börsen herstellen. Nun müssen wir noch einmal genau darauf hinsehen, was geschieht, wenn Unternehmen sich über Börsen (re-)finanzieren.
Ein Investor liquidiert, wie mehrfach besprochen, einen Teil oder sein gesamtes Vermögen und gibt es in Form von Geld einem Unternehmen. Der Investor blockiert damit diesen Teil seines Vermögens für eine neuerliche Verwendung als Investment und erwartet vom Unternehmen einen Rückfluss in Form von Zinsen bzw. Renditen. Im operativen Cashflow findet man nun, je nach Ermittlungsmethode, Einzahlungen aus Aufnahme von Finanzverbindlichkeiten bzw. Auszahlungen aus Rückzahlung von Finanzverbindlichkeiten oder Kreditzinsen. Innerhalb des Cashflows aus Finanzierungstätigkeit tauchen fremde, blockierte, denominierte und verzinste Vermögenswerte als verbrauchte Mittel für Dividenden, Zinszahlungen und Darlehenstilgungen sowie zugegangene Mittel aus Kapitalerhöhung und Darlehensaufnahmen auf. Was wir also sehen sind Geldzuflüsse und Geldabflüsse. Was wir nicht sehen, sind die Eigentumsverhältnisse hinter den Geldströmen, hinter dem „working capital“. Vordergründig scheinen die Zahlungsströme, die zur Ermittlung des Cashflows aus der Gewinn- und Verlustrechnung herangezogen werden, der sicherere Weg zu sein, die Ertragslage eines Unternehmens zu beurteilen, weil seine Berechnung lediglich zahlungswirksame Positionen erfasst und so weniger anfällig ist für Bilanzmanipulationen.
So erscheint es, prima Vista. Der Cashflow ermöglicht qualitativ bessere Aussagen zur Liquidität eines Unternehmens, die für Investitionen, zur Schuldentilgung oder Gewinnausschüttung verwendet werden kann15. Aber auch alle Aufwendungen, die nicht zu Ausgaben, und alle Erträge, die nicht zu Einnahmen im Zeitraum geführt haben, bleiben bei Cashflow-Rechnungen außer Betracht. Was aber in der Sichtweise von Cashflows zunehmend verdeckt wurde, sind die wahren Wirtschaftssubjekte hinter den Geldflüssen, deren Betrachtung heute dominiert. Und so gerieten die vordergründigen Geldströme in die Position, Ausgangspunkte wirtschaftlichen Handelns und dessen wissenschaftlicher Erklärung zu werden, ganz und gar dominant in der Vorstellung der Finanzmärkte als Inbegriff einer weltweiten, geldgetriebenen Wirtschaft. Und dies scheint ja nur allzu offensichtlich, dass die Magie des Geldes die wesentlichen, wirtschaftlichen Felder beherrscht.
Auf den Märkten aber stehen hinter jedem Preisschild eine, teils vielzählige und mehrstufige Verknüpfung von Gläubiger-Schuldner-Verhältnissen, die wiederum in Rückzahlungs- und Kaufkontrakten, in lang- und kurzfristigen Handels- und Lieferbeziehungen usw. bestehen. Es ist nicht das Geld, welches die Märkte am Laufen hält, sondern die Forderungen und Verbindlichkeiten in einem privatrechtlich sanktionierten Sinn. Nur in Gesellschaften mit Privateigentum kann dieses liquidierte Vermögen in seiner Geldform übertragen werden, als Kapital oder als Kredit oder als eine andere Art von Verbindlichkeiten erfasst werden. Mit dieser liquiden Geldsumme können Produktionsprozesse aufgesetzt und Waren hergestellt werden. Eine Ware also ist nicht nur Tauschwert oder gar Gebrauchswert, sondern primär ist der in der monetär ausgepreisten Ware enthaltene Anteil des Cashflows aus Finanzierungstätigkeit, der sowohl den Wert der Ware hauptsächlich und über den Fortbestand oder die Liquidierung der Produktion mitbestimmt.
In Dienstleistungsgewerben ist der Anteil des Finanzierungs-Cashflows mitunter bei den Herstellungskosten gering, bei der Preisauszeichnung ändert sich dabei aber im Wesentlichen nichts. Denn ist dieser Anteil, der bilanztechnisch auf verschiedene Weise verbucht werden kann, der aber immer die kurz- und langfristigen Kapital- sprich Schuldendienste, in unserem Verständnis, die zeitlich divergenten Geldabflüsse an die Gläubiger repräsentiert, nicht einkömmlich, droht die Insolvenz. Alle anderen Prozesse und Kennzahlen, seien es die Profitabilität, die Rentabilität oder die internen Steuerungsprozesse etc. sind dem nachgeordnet. Kapitalflussrechnungen enthalten stets vom IAS16 eingeräumte Gestaltungs- und Ermessensspielräume „in Bezug auf die Zuordnung von Zinsen und Dividenden auf die jeweiligen Cashflow Rechnungen“. Die Spielräume können den operativen Cashflow maßgeblich beeinflussen. Besonders der (Nicht-)Ausweis gezahlter Zinsen kann über einen positiven oder negativen operativen Cashflow, also über Insolvenz entscheiden. Dass bis heute die Forscher des IAS große Anstrengungen darein legen, Faktoren zu identifizieren, welche für die Klassifizierung von Zinsen und Dividenden in der Kapitalflussberichterstattung eine Rolle spielen, mag auch daran liegen, dass sie der Magie des Geldes erlegen sind und nicht mehr hinter die schier inflationären Denominationen des Eigentums zu blicken in der Lage sind.
Hatte Marx der Ware noch in langen und überzeugenden Reflexionen ihren Doppelcharakter als Gebrauchs- und Tauschwert abgerungen, wird ihr in der aktuellen Wissenschaft kaum noch Begriffsarbeit gewidmet. Scheinbar trivial, weiß doch anscheinend jedes Kind, was eine Ware ist, definiert man sie als eine „bewegliche Sache“ in weitester Auslegung, also mithin zum Beispiel als Elektrizität aber nicht als Grundstück. Die seltsame Sonderbewertung des Begriffs Boden rührt daher, dass man im Boden zwar ein Wirtschaftsgut, aber keine Ware erkennen mochte, nachdem ein Jahrhundert lang und mehr der Boden lediglich als Produktionsfaktor betrachtet worden war; dank Landwirtschaft.
In der Betrachtung des Bodens als Ressource erkannte die Ökonomik ihr gleichsam erstes Gesetz, nämlich das Ertragsgesetz in der Landwirtschaft, dessen Gültigkeit bis heute in der Beschränktheit, sprich Unvermehrbarkeit der Ressource begründet ist. Immerhin erkannte man in diesem Zuge auch, dass der landwirtschaftlich nutzbare Boden seiner Substanz nach nur längerfristig regenerierbar ist, was aber seiner Ressourcenbeschränktheit nicht widerspricht; im Gegenteil. Seltsamerweise wird mit dem Boden recht ordentlich Handel getrieben und auch spekuliert, dass sogar dieses Gut einen erklecklichen Betrag zu größeren Krisen, ja sogar zu sich zunehmend weltweit ausbreitenden Krisen zu leisten in der Lage war und ist, was mitunter zwar nicht allerorts, aber hier und dort durchaus ins Bewusstsein gedrungen zu sein scheint; aber wie eine Ware will man ihn partout nicht behandeln.
Schon hier finden wir eine gewisse Asymmetrie im Begriff der Ware, insofern der Boden einmal als Produktionsfaktor vorgestellt, zum anderen aber offensichtlich doch auch als Ware betrachtet werden muss. Und diese Asymmetrie besteht somit auch in den Waren zueinander. Der Kameralist Johann Beckmann gilt als Vater des Fachgebiets „Wirtschaftliche Warenlehre“ und in seiner Nachfolge besetzte Artur Kutzelnigg im Jahr 1961 den ersten, gleichnamigen Lehrstuhl an der Universität zu Köln und von ihm stammt auch die heute noch gebräuchliche Definition der Ware als: „…in der Natur in begrenzter Menge vorhandene oder vom Menschen technisch gefertigte, bewegliche wirtschaftliche Güter, die zur Befriedigung von Bedürfnissen dienen. Sie besitzen Tauschwert und sind Gegenstand des Handels oder kommen dafür in Betracht“.17
Die Definition ist für sich eher trivial, aber umso beachtenswerter, verweilt man kurz bei dem Titel des Zitates: „Die Zigarette als Modellfall der Wirtschaftlichen Warenlehre“. Man sieht, die Kippen haben nicht nur auf dem Schwarzmarkt eine, dem Boden ähnliche Ambiguität ausgebildet, mithin als Zahlungsmittel und Genussmittel zugleich ihren außergewöhnlichen Tauschwert erobert, sondern standen sogar vor noch nicht allzu langer Zeit Modell für die Wissenschaft. Warum man dort nicht genauer hingeschaut hat auf die weiße, schlanke Erscheinung suchtmachenden Genusses und erkannte, dass eine Schachtel Zigaretten auf dem Schwarzmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg weniger als Ware, vielmehr aber als Währung fungierte und warum dies so war, verwundert dann doch ein wenig.
Wer damals die Stuyvesant in Rauch aufgehen ließ, war ein wirklich reicher Genussmensch, meist bei den Siegermächten, und verfügte über genug der Glimmstängel. Mit denen konnte man tauschen oder demonstrativ sich quasi einen Hunderter anzünden und wegpaffen; das demonstriert die Obszönität wahren Luxus‘ wie sonst kaum etwas. Auf dem Schwarzmarkt aber belegt die Schachtel Stuyvesant die generelle Asymmetrie von Angebot und Nachfrage. Als Anbieter erscheint der Produzent als Ware auf dem Markt, die er gegen Geld tauscht bzw. tauschen lässt, mit dem er seine Schulden für die Produktion oder den Einkauf der Ware begleichen muss. Deshalb akzeptiert er nur „feste“ Währungen, also eine Konvertibilität, die auf dem Schwarzmarkt zugleich auch eine Form der Beschränktheit zeitigt, als Waren nur gegen eine bestimmte Währung, hier Zigaretten, getauscht werden können. Auf dem Markt also wird der Produzent, der zu einem gewissen Anteil seiner Produktion Schuldner gegenüber Dritten ist, zum Anbieter, tritt also privatrechtlich als ein Gläubiger auf, der über diesen Anteil am Preis seiner Ware, der rein rechtlich wiederum seinem Gläubiger gehört, dessen Kredit plus vereinbarten und aktuellen Zinssatz zurück bezahlt.
Die „Rollen“, die ein Produzent rechtlich einnimmt, sind also asymmetrisch wie übrigens auch der Schulddienst im Preis der Ware. Denn dieser kann mehr oder weniger stark schwanken, aufgrund von veränderten Leitzinssätzen u. a. und bildet das eigentliche und echte Geschäftsrisiko des Produzenten. Jeder Veränderung von Ressourcen kann der Produzent in teils weit gesteckten Grenzen aber effektiv begegnen. Durch Ausweitung und Reduktion im Ressourcenmanagement sowie durch kluges Riskmanagement können Schwankungen bei den Commodities und den Human Ressources (schrecklicher Ausdruck!) flexibel beantwortet werden. An steigenden Kreditzinsen aber lässt sich wenig, wenn nicht nichts drehen. Letztlich besteht immer ein Risiko, dass der Markt erhöhte Preise nicht kompensiert.
Die Einwerbung von Krediten hängt also ganz wesentlich davon ab, ob der Kreditnehmer-Produzent gegenüber den anderen Marktteilnehmern, zu denen er als Anbieter-Gläubiger auftritt, genügend Aufträge schreiben und bezahlt bekommt bzw. genügend Verkäufe tätigen kann, die mindestens den Cashflow aus Finanzierung kompensieren. Wir schränken den Warenpreis in diesem Zusammenhang auf den Finanzierungs-Cashflow deshalb ein, um diesen Anteil überhaupt wieder sichtbar werden zu lassen und weil er es ist, der die Insolvenz maßgeblich bestimmt. Zahlungsaufschübe für Forderungen auf Lieferungen und Entlassungen von Personal, Kurzarbeit etc. sind dagegen nachgeordnet und können in einem bestimmten Maße und auch mit kalkulierbaren Auswirkungen flexibel in einem Unternehmen gehandhabt werden. Kredit- und Zinsverpflichtungen bzw. Renditezusagen haben einen betriebswirtschaftlich deutlich höheren Sensibilitätsgrad.
Die Marktwirtschaft kennt also ein hoch komplexes Geflecht asymmetrischer Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern und längst haben sich auch die scheinbar ewigen symmetrischen Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten aufgelöst; Digitalisierung heißt nicht zuletzt auch dieses, wie wir später deutlicher sehen werden. Und auch die Ware selbst steht nicht so ohne weiteres in einer symmetrischen Wertbeziehung zu anderen Waren wie dies die klassische und neoklassische Ökonomie bis hin zum Monetarismus gerne gesehen haben. Einzig der Boden schien ein wenig aus der Reihe zu tanzen. Aber seit Marx wissen wir ja, dass letztlich alles auf dem Tisch zu tanzen in der Lage ist, sogar Stühle und am Ende der Tisch selbst. Schaut man nur auf das Warenangebot und dessen monetär ausgepreisten Werte, dann erscheinen die Waren wie sie friedlich nebeneinander in den Kisten auf den Märkten liegen, in einer Art von Homogenität und Symmetrie zueinander; dem aber ist auf den zweiten Blick nicht so. Die Waren selbst wie deren Preise sagen nichts darüber aus, welcher Form der Schuldner-Gläubiger-Beziehung, denn ein Kunde bzw. Konsument im Moment des Kaufs oder der Vertragsunterzeichnung eingegangen ist. Tausende von Kunden hingen auf europäischen Flughäfen fest, weil sie glaubten, mit Air Berlin oder Niki 2017/18 ein Geschäft gemacht zu haben; leider geirrt. Die Vielzahl an Internet-Portalen, die Schadensersatz oder Geldforderungen ihrer Mandanten gegenüber Unternehmen einklagen, besonders aus der Beförderungs- und Reisebranche, sprechen ebenso für sich. In jedem Preis steckt also auch eine Wechselbeziehung zwischen Gläubigern und Schuldnern, die eine lange Kette bilden können, kaum mehr auszumachen, wer wann in welcher Beziehung zu welchem und über welchen Zeitraum hinweg zu wem oder für was steht. Das klingt wild, ist es leider auch.
Man kennt nicht genau das Datum, wann sie durchgedreht ist, aber sie ist es. Die Wirtschaft ist wild geworden. Und das meinen wir ernst. Noch vor nicht allzu langer Zeit buk die Mutter zwei große Brote im Back Herd in der Küche, die reichten für eine vierköpfige Familie etwa vierzehn Tage. Heute präsentiert die nicht all‘ zu große Verkaufsfläche der Bäckerei am Karlsplatz in Düsseldorf mehr als 180 verschiedene Brotsorten und dabei sind die Schrippen und das Gebäck noch gar nicht mit gezählt.
Vor vierzig Jahren lieh man sich Werkzeug beim Nachbarn für Garten und Autoreparatur, heute hat jeder einen halben Baumarkt im Keller. Wir sind von materiellen, aber bereits auch von immateriellen Gütern regelrecht umstellt; manche fühlt sich gar belagert. Auf die Idee, Brot für den eigenen Bedarf selbst zu backen, kommt heute kaum noch jemand, es sei denn ein Daseins-Romantiker. Dem kommt auch vielleicht in den Sinn, nicht alles im Leben zu versichern, einzig seine Gesundheit, sein Fahrrad gegen Diebstahl, teuren Zahnersatz, das Leben von Frau, Kind und seins, das Alter von eben diesen, Reiserücktritt, Glasschäden, Verlust von Smartphones und anderen digitalen Devices usw. Und das erkennt er als sinnvolle Reduzierung.
Waren und Dienstleistungen aller Art organisieren und prägen das Leben der Menschen in Konsumgesellschaften. Und Konsumgesellschaften prägen das Leben der Menschen mittlerweile weltweit. Das aber ist nicht der Kern der Globalisierung. Als die Ökonomik anfing, sich mit den Wirtschaften zu beschäftigen, sah es noch so aus, als wären die Märkte mit dem Warenangebot ein noch klar umrissener Teil des Wirtschaftslebens innerhalb verschiedener, politischer Gesellschaftsordnungen; voll waren die Stände und Regale, gar übervoll an Angeboten, aber nicht zu vergleichen mit heutigen Zuständen. Wir wählen mittlerweile aus mehreren Dutzend Sorten von Tomaten aus Holland und Spanien, kaufen exotische Früchte mitten im Winter zu erschwinglichen Preisen in Supermärkten.
Dass dieses Angebot heute so existiert und sich wohl noch ausweiten wird, haben Smith und Marx kaum vorhersehen können. Aber in der Betrachtung der Warenangebote lag der Kern einer Entwicklung in der Wissenschaft der Ökonomie, die zu fatalen Auswirkungen geführt hat. Marx zumindest hätte es wissen müssen, war er doch der Hegelschen Phänomenologie des Geistes durchaus profunder Kenner. Und nicht erst seit der Philosophie des Deutschen Idealismus wissen wir, dass das sinnlich wahrgenommen Näheste durchaus der Wahrheit Fernstes sein kann; ja im kritischen Erkennen und Verstehen meist auch ist.
Marx sah nicht nur die Märkte mit Waren aufquellen. Er sah natürlich auch die sichtbare Seite der Verhältnisse einer Wirtschaftsordnung, die damals vor allem im industriellen England überall sich zeigte: oben auf den Hügeln wohnten die Eigentümer und Besitzer der Industrieanlagen, also das Kapital, und unten, da wo die Kehrseite des Wohlstandes und ihres menschlichen Geschäftes sich sammelte, wohnten die Arbeiter, die Ratten und das Ungeziefer, das vom Gestank nur so angezogen wurde. Dort erkrankte man auch an dem, was in „the gutter“ so schwamm.
Was er sah, formulierte Marx so dann in seiner Politischen Ökonomie: eine Gesellschaft, deren Wirtschaftsordnung zwei Dinge, zwei Faktoren, hervorbrachte: Arbeit und Kapital. Er hätte damals durchaus bereits erkennen können, dass Arbeit und Kapital einen Faktor bilden, also notwendig als Produktionsfaktoren aufeinander bezogen sind, was er übrigens in seiner Theorie fortlaufend beschrieben hat, es aber noch einen anderen Faktor gibt und der im Wesentlichen ein politischer Faktor ist: das Privateigentum.
Marx hat Privateigentum und Kapital gleichgesetzt auf der einen Seite und eine auf Profit ausgerichtete Produktion, deren konkrete Erscheinungsformen die Warenansammlungen bildeten. Damit hat er zwar seine kritischen Reflexionen gut im Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit untergebracht, allein sie waren von da an, und sie blieben es bis heute, falsch differenziert und verortet.
Das Kapital, welches Marx beschrieb, gilt heute noch den meisten Menschen als die Skizze eines Bestiariums, dessen schrecklichste Ausmalung in der Heuschreckenflut des Finanzkapitals über die Welt kommt und den Faktor Arbeit ohne Wohltaten und Schutz der sozial-politischen Mandate vom Erdboden verputzt. Seit Marx versteckt sich die „politische“ Ökonomie hinter den Produktivkräften, gilt gleichsam als deren willfährige politische Ordonanz und hält sich schadlos, weil unschuldig am wirtschaftlichen Gemetzel oder als große Wohltäterin bei der Milderung materieller Schadensfälle. Politik aber ist weder unschuldig noch mildtätig.
Das verfassungsgesicherte Privateigentum moderner Gesellschaften ist qua Verfassungsstatus derjenige Produktivfaktor, der seit Marx bis heute aus dem Blick geraten ist. Sowohl in der Wissenschaft der Ökonomie in seiner Bedeutung als Produktivkraft nicht gesehen wird, wie im politischen und gesellschaftlichen Diskurs nicht erkennbar ist. Privateigentum erscheint als ein Produkt von Reichtum, als ein der Produktion entzogener Faktor, also als ein Un- bzw. bisweilen als ein Negativfaktor.
Die Verortung eines „Widerspruches“ in der materiellen, also auf Produktion und Reproduktion basierenden Form menschlichen Handelns, das wir „Marktwirtschaft“ nennen, liegt nicht im Widerspruch zwischen den Faktoren Arbeit und Kapital, wiewohl es Ausbeutung, Exploitation, Formen von Herrschaft und Unterdrückung, Armut und Unterbezahlung und alle diese beschriebenen Arten von wirtschaftlich-materieller Asymmetrie gibt. Es gäbe sie nicht, ohne politisch fundamentales Zutun. Ohne eine politische Verfassung, die eben diese widersprüchliche Ordnung bzw. diese ordnungs- und fiskalpolitisch geformte, strukturelle Matrix dem wirtschaftlichen Handeln unterlegt. Man sollte aufhören, diese Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit zu verordnen und die politische Dimension der Ökonomie und Ökonomik zu verschleiern. Das mag vorübergehend gut sein für die Reproduktion politischer Macht und deren scheinheilige Unschuld an den ökonomischen Verwerfungen. Aber für das Verständnis und der möglichen, positiven Veränderung, mindestens der notwendigen Anpassungen an sich verändernde wirtschaftliche wie technische und soziale Strukturen sowie an die politischen wie kulturellen Bedingungen bringt das nichts.
Waren zeigten sich ubiquitär. Aber sie zeigen nicht, was hinter ihrer sichtbaren Form verborgen ist. Das gleiche gilt für die Äquivalenzform der Waren, das Geld. Seit Marx starrt die Ökonomik auf die Waren oder auf das sie vereinheitlichende Äquivalent und sucht in der Menge von Ware und Geld, was sie als deren Werthaftigkeit missversteht, nach strukturalen Veränderungen in Hinblick auf alle wichtigen Parameter ihrer Wissenschaft. Blickt man ungetrübt auf die Ware als solche, dann sind die sog. Produktlinienerweiterungen – die „line extensions“ – bloße, einfache Produkterweiterungen im Sinne einer Differenzierung eines einzelnen Produktes oder einer Produktfamilie. Aber welches Bedürfnis befriedigt die Marktwirtschaft mit dem Angebot an fünfzig verschiedenen Tomatensorten? Alles Tomaten, ein paar Geschmacksvarianten durch künstliche Züchtungen bzw. Einkreuzungen, die auch zugleich noch Größen- und Farbvariationen hervorbringen. Wie in der Mode erweitert sich das Warenangebot zum modischen Schnickschnack, dem ein eben solches Bedürfnis folgt.
Wären die wild ausufernden Line Extension auf lediglich eine Volkswirtschaft beschränkt, das Phänomen wäre nicht sonderlich bedeutend. Auch in früheren Jahren beklagte man die Wegwerf- und Abfallwirtschaft besonders in den USA und den westlichen Industriestaaten. Beides aber ist weder identisch noch weisen beide Marktphänomene nicht auf dieselbe Sache. Letzteres ist ein Effekt einer Produktion, die auf immer preiswerteren Output zielt, um so Marktdominanz und Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Wenn aber das Warenangebot derart ausufert, dass die Märkte und die Produktion von Waren sich vollständig ablösen von jeglicher Nähe zu den Bedürfnissen der Käufer, dann ist damit ein ganz anderer Zusammenhang zwischen Produktion und Markt signifikant.
Darin zeigt sich eine, die Produktion wie die Märkte überschwemmende Liquidität, die gleichsam wie bei einem Überdruck sich unventiliert Bahn sucht. Und der Überdruck entsteht in einer Vorstellung von grenzenlosen Märkten. Gleichsam Inhalt und Methode dieser Vorstellung grenzenloser Märkte, die ihr Ziel, ein vollständiger Markt jemals werden zu können, aus diesem Prinzip heraus nie wird erreichen können, ist die Grenzkostenrechnung.
Die Grenzkostenrechnung ist dieses Prinzip grenzenloser Märkte, mit dem das Bedürfnis der Käufer nicht mehr aus der Nachfrage heraus kalkuliert und in der Produktion realisiert wird. Die Bedürfnisse erscheinen in der Grenzkostenrechnung allein aus der Sicht der Kosten für die Produktion von Produkten. Oder einfacher gesagt, aus ihrem Geldwert. Ist es kostengünstig, ein zusätzliches Produkt herzustellen, warum sollte der Hersteller es dann nicht herstellen, wenn er genügend Liquidität dazu zur Verfügung hat, und dann noch in der Folge auf die damit verbundenen Wettbewerbsvorteile verzichten. Mit Hilfe der Grenzkosten können Unternehmer die optimale Menge eines Produktes berechnen, wobei diese optimale oder optimierte Menge sich nicht ableitet von den Bedürfnissen der Käufer. Es handelt sich hierbei also allein um Kosten, die entstehen, wenn von einem Produkt eine Einheit mehr produziert wird. Somit kann an diesen Kosten lediglich erkannt werden, wie viel es kostet, wenn das Unternehmen eine Einheit mehr produzieren will und nicht, ob es überhaupt außerhalb des Geldwertes einen Sinn macht oder ein tatsächliches Bedürfnis befriedigt, diese Mehreinheit eines Produktes zu produzieren.
Niemand fragt, wie viele Tomaten braucht ein Kunde? Welche Menge, wie viele Sorten, wie viele Farb- und Geschmacksvarianten? Sind die Kosten gedeckt, fällt ein Gewinn ab, werden Line Extension auf den Markt geworfen. Die Märkte werden geradezu überschwemmt mit kosteneffizient hergestellten Waren, deren Herstellung etwa im Lebensmittelsektor sogar noch dann aufrecht erhalten wird, wenn tagtäglich eine Überproduktion aus verschiedenen, nebensächlichen Gründen, also den Kauf der Waren nicht betreffenden Gründen, vernichtet werden muss. Stimmt die Grenzkostenrechnung, stimmt die Produktion. In Menge und Geldwert.
Daher ist auch mit den Kategorien Angebot und Nachfrage vorsichtig umzugehen. Selbst auf den traditionellen Warenmärkten, wo die Wissenschaft nach wie vor von einem Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage ausgeht und die Geldform der Waren bzw. die Preise als das alles vermittelnde, also ausgleichende Element oder als das X in der Formel betrachtet wird, wird zunehmend grundsätzlicher Zweifel lauter. Gänzlich wild geworden aber ist eine neue Form des Finanzmarkt-Segments, die sog. ICO (Initial Coins Offerings), an denen man schon bei einem ersten Blick darauf erkennen kann, dass Marktvorgänge mit Geldvorgängen nicht immer viel zu tun haben. Dass die Geldform die Warenform repräsentiert, wie dies die klassische wie auch die keynesianische Wirtschaftstheorie verstehen, steht hier fundamental und prinzipiell in Zweifel. Und damit auch eine kausale Beziehung zwischen Kredit und Finanzierung von Realinvestments.
Seit 2017 erleben virtuelle Börsengänge parallel zum Wachstum der Kryptowährungen einen regelrechten Boom. Bei den sog. ICOs sammeln Unternehmen, häufig Start-ups, Geld, meist in Form von Bitcoins, von Investoren für Geschäftsprojekte ein. Im Gegenzug erhalten Investoren sogenannte Tokens, meist eine Art digitaler Gutschein18. Häufig sind diese Tokens jedoch und anders als Aktien nicht mit Stimmrechten verbunden. Investoren können die Gutscheine, die auf der Blockchain-Technologie basieren, später handeln und über diese Form des Finanztradings am Kursanstieg bzw. -Fall Gewinne erzielen. Darüber hinaus als sog. Frühinvestoren sowohl am Kurs des Projekts oder Unternehmens wie auch am Kurs des Bitcoins selbst, der im Jahr 2017 sagenhafte Kurssprünge vollzogen hat.
Nicht nur, dass diese Finanzprodukte Betrüger und Hochstapler anziehen, die vor allem davon profitieren, dass kaum einer der Investoren wirklich etwas substanziell über die Qualität der komplizierten Blockchain-Technologie auszusagen in der Lage ist, ist von Bedeutung. Von Bedeutung ist, dass mittlerweile – und dies gilt nicht nur für das Finanztrading – Produkte, Waren und Dienstleistungen, ja ganze Marktsegmente und Unternehmen gewissermaßen in den Handel kommen, sprich auf virtuellen Handelsplattformen erscheinen, die nichts anderes als sich selbst repräsentieren. So untersagte Ende Januar die SEC den bereits angelaufenen ICO von Arise Bank, einem Start-up aus Dallas, das bereits 600 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt und fälschlicherweise die Übernahme einer klassischen Bank vorgetäuscht sowie die kriminelle Vergangenheit wichtiger Manager verschwiegen hatte. Und dies in einer Art, die für fast alle, auch die kritischen und informierten Investoren kaum zu entlarven gewesen war19. Um diesem kaum zu durchschauenden Markt innovativer, virtueller Finanzmarktprodukte und Börsengänge einen gewissen Einhalt, eher Aufschub entgegenzustellen, hat die SEC nun klargestellt: Alle Coins sind erst einmal Wertpapiere. Aber mit der Übertragung des US-amerikanischen Wertpapiergesetzes auf die ICO hat die SEC nicht nur komplettes Chaos aus der Inkompatibilität von ICOs und Wertpapierhandel in dieses Marktsegment gebracht, da weder beides in Einklang zu bringen ist, noch sich so ein Kurs eines Coins einigermaßen nachvollziehbar bestimmen lässt. Darüber hinaus hat die SEC die ICOs und Krypto Märkte in Richtung Europa und China, vor allem nach Deutschland und in die Schweiz verschoben, wo man mit der Regulierung sich schwertut bzw. noch zurückhält. Wenn auch die amerikanische Antwort nicht von großer, regulatorischer Qualität ist, hat sie aber den Markt fundamental verschreckt und andernorts hin vertrieben.
In Deutschland und in der Schweiz versuchen die Behörden den Spagat, Investoren zu schützen, aber gleichzeitig die Innovatoren nicht zu vergraulen. Dies spiegelt auch die technische Seite der aufkommenden, virtuellen Börsen mit ihren virtuellen Währungen wider, die in der Frage gründet: Ist die Krypto Welt auf Dauer regulierbar? Oder existiert sie in einer Sphäre bzw. Technologie, die von staatlichen Behörden nicht erreicht werden kann? Wir werden später diese Frage im Rahmen unserer Überlegungen zur Digitalisierung und Globalisierung eingehender betrachten. Dabei wird in aller Voraussicht aus den Vorgängen in der Gegenwart durchaus die Frage sogar noch verschärft zu stellen sein: Ist es angesichts der zunehmenden Bemühungen bei der Abschaffung des Bargeldes nicht nötig, Bereiche der Finanzwirtschaft zu besetzen, die dem Zugriff von staatlichen Behörden und Verwaltungen entzogen sind?
Wir konzentrieren uns auf den Übergang von der klassischen zur keynesianischen Theorie der Märkte und deren wissenschaftstheoretisch prinzipiellen Folgen. In der klassischen Theorie galt das sog. Tauschparadigma, welches für die Marktwirtschaftler auf Adam Smith und für die Kommunisten auf Marx zurückgeht. Beide eint, dass sie von einem Tauschhandel ausgehen, auf dessen Grundlage das Geld sich entwickelte, Geld also ein Tauschmittel ist.
Ludwig von Mises, einer der wichtigsten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im 20. Jahrhundert, ist in seiner Schrift: Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel der Frage nachgegangen, woher Geld seine Funktion als Tauschmittel bezieht? Dabei folgte er dem sog.