Andere Welten - Interviews zur Science Fiction - Band 2 - Usch Kiausch - E-Book

Andere Welten - Interviews zur Science Fiction - Band 2 E-Book

Usch Kiausch

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Beschreibung

Usch Kiausch lernte in ihrer langen Karriere als Journalistin, Autorin und Übersetzerin viele bedeutende Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Kolleginnen und Kollegen kennen und führte zahllose Interviews. Die meisten davon auf den Jahreskonferenzen der »International Association for the Fantastic in the Arts« (IAFA) in Fort Lauderdale/Florida. Der zweite Band der drei Bände umfassenden Reihe präsentiert den Essay »Mikroben als Metaphern«, dreizehn Interviews sowie eine Erzählung von Usch Kiausch. Interviews in Band 2 mit: Tom Maddox, Charles N. Brown, Hal Clement, Joe Haldeman, Bruce Sterling, Greg Bear, William Gibson, Kim Stanley Robinson und Prof. Harald Lesch.

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Seitenzahl: 282

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Impressum

Usch Kiausch

ANDERE WELTEN – Interviews zur Science Fiction

Band 2: Die technologische Perspektive

© 2024 by Usch Kiausch (Texte)

© 2024 by Wolfgang Glass [www.wolfgang-glass.de] (Titelbild)

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin

© dieser Ausgabe 2024 by Memoranda Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Hardy Kettlitz

Korrektur: Michelle Giffels

Gestaltung: s.BENeš [http://benswerk.com]

Memoranda Verlag

Hardy Kettlitz

Ilsenhof 12 | 12053 Berlin

Kontakt: [email protected]

www.memoranda.eu

www.facebook.com/MemorandaVerlag

ISBN: 978-3-948616-92-2 (Buchausgabe)

ISBN: 978-3-948616-93-9 (E-Book)

Inhalt

Impressum

Inhalt

INTERVIEWS

Ein Gespräch mit Tom Maddox

Ein Gespräch mit Charles N. Brown

Ein Gespräch mit Hal Clement

Ein Gespräch mit Joe Haldeman

Ein Gespräch mit Bruce Sterling

Ein Gespräch mit Tom Maddox

Ein Gespräch mit Greg Bear

Ein Gespräch mit Tom Maddox

Ein Gespräch mit Joe Haldeman

Ein Gespräch mit William Gibson

Ein Gespräch mit Greg Bear

Ein Gespräch mit Kim Stanley Robinson

Ein Gespräch mit Professor Harald Lesch

ERZÄHLUNG

Die Offenbarung

Quellen

Mikroben als Metaphern

Haben Sie schon mal über die unsichtbaren Mitbewohner Ihres Körpers nachgedacht, die schon seit Ihrer Geburt stets präsent sind? Etwa eine Billiarde Mikroorganismen leben seit Jahren eng mit Ihnen zusammen, zahlreiche Stämme zum Beispiel auf Ihrer Haut, im Mund, in der Nase und im Darm. Die meisten Menschen verbinden nur Unangenehmes mit ihnen, etwa bakterielle Infektionen oder Pilzinfektionen. Aber diese Mikroorganismen sind viel besser als ihr Ruf: Nur eine Minderheit von ihnen verursacht Krankheiten. Und eben diese wurden und werden in »Mikroben-Thrillern« im Kontext bakteriologischer Kriegsführung in der Literatur und im Film gern thematisiert, etwa in dem Roman Die lautlose Bombe von Mark Brandis (1977), in dem ein verrückter Forscher eine tödliche Bakterienkolonie freizusetzen droht, oder in dem eher satirischen Harry-Palmer-Film Das Milliarden-Dollar-Gehirn (1967), in dem ein amerikanischer Milliardär einen Biowaffen-Angriff auf die Sowjetunion durch verseuchte Hühnereier starten will. Hingegen sind es in H. G. Wells’ Science-Fiction-Roman Krieg der Welten von 1898 die für Aliens unverträglichen irdischen Bakterien, die die Menschheit letztendlich vor den außerirdischen Invasoren retten.

In Wirklichkeit sind Mikroorganismen so etwas wie Landarbeiter der Natur, kultivieren und vernichten, nutzen und verwandeln das Gegebene mit dem ungeheuren Erfindungsreichtum ihrer Art. Heute gehen Biologen davon aus, dass Bakterien die Vorreiter der Photosynthese waren: Demnach haben die Purpurbakterien als erste Mikrobengruppe das Sonnenlicht als Energiequelle genutzt. Bakterien vom Stamm der Klebsiella planticola können lösliches Cadmium, das für den Menschen hochgiftige, krebserregende Schwermetall, in eine unlösliche Verbindung umwandeln, die das Grundwasser nicht mehr gefährdet. Mikroorganismen sind auch in der Lage, schadstoffhaltiges oder seuchenhygienisch bedenkliches Material durch Vergärung in Energieträger umzuwandeln – Beispiele ihrer Effizienz.

Gerade ihre Adaptionsfähigkeit hat manche Science-Fiction-Autoren zur Frage Was wäre wenn …? beflügelt. Was wäre zum Beispiel, wenn diese ungezählten Trillionen winziger Lebewesen, die weder mit Bewusstsein noch mit Emotionen ausgestattet sind, zu »intelligenten« Systemen mutieren würden? In seinem Roman Blutmusik schafft der amerikanische Autor Greg Bear ein Szenario, in dem durch DNS-Rekombination von menschlichem Genmaterial mit dem von Einzellern die Herstellung intelligenter Zellen gelingt, die miteinander und mit ihrer Umgebung in »bewusste« Wechselwirkung treten. Als dominante biologische Struktur bewirken sie das Ende der Spezies Mensch, wie wir sie kennen. Schriftsteller wie Naturwissenschaftler benutzen Mikroben als Metaphern unterschiedlichster philosophischer Inhalte oder sozialer Spekulationen.

Kooperation statt Konkurrenz

Adieu Wolfsgesetz als alleiniges Regulativ: Die Evolutionsgeschichte weist nicht nur auf den Kampf, sondern auch auf die Zusammenarbeit unterschiedlicher Arten hin. Eine Zusammenarbeit, die dazu geeignet ist, sich gemeinsam überlebenswichtige Vorteile zu verschaffen. Kooperation und Koexistenz anstelle von Konkurrenz: Für Roger Penrose und Brian W. Aldiss (Weißer Mars – Eine Utopie des 21. Jahrhunderts) sind die Millionen von Bakterien in unseren Gedärmen, ohne die wir nicht überleben könnten, schlagendes Beispiel für eine überaus »nützliche symbiotische Beziehung«.

Kooperation, um zu überleben, zeigen Bakterien aber auch untereinander, und nicht immer zu unserem Vorteil: etwa in Form des Gentausches. Beispielsweise spielt beim Erwerb einer Antibiotika-Resistenz der Austausch von genetischem Material zwischen zwei – durch eine Plasmabrücke verbundenen – Bakterien eine wesentliche Rolle. Der Physiker Murray Gell-Mann (Das Quark und der Jaguar) bezeichnete diesen Vorgang als »größtmögliche Annäherung an die sexuelle Aktivität (…), die Organismen dieser niedrigen Entwicklungsstufe erreichen«.

Kollektive Lernfähigkeit

Am Beispiel erworbener Antibiotika-Resistenz vieler Bakterien zeigt Murray Gell-Mann auf, wie das Bakterium über die Gene »lernt«, die Gefahr der Vernichtung abzuwehren: »Die Gene speichern die über Milliarden Jahre biologischer Evolution ›gelernten‹ Lektionen, wie man als Bakterium überlebt (…) Schließlich hängt der Fortbestand eines bestimmten Genotyps eines Einzellers davon ab, ob Zellen mit diesem Genotyp so lange leben, bis sie sich teilen, oder ob ihre Nachkommen ihrerseits bis zur Teilung überleben und so fort. Das erfüllt die Anforderungen eines Regelkreises mit Selektionsdrücken. Die Bakterienpopulation ist also zweifelsfrei ein komplexes adaptives System.«

Indiz nicht-linearer Entwicklung

Ich war, ich bin, ich werde sein – für Stephen Jay Gould (Eight Little Piggies. Reflections in Natural History, New York 1993) widerlegte gerade das Beharrungsvermögen der prokaryotischen Zelle als Grundmodell des Lebens jede lineare Evolutionstheorie nach dem Muster von der Monade zum Menschen. »Bakterien«, sagt er, »repräsentieren die großartigste Erfolgsgeschichte der Welt (…); man kann sie auch nicht durch Bombardements vom Antlitz der Erde tilgen, sie werden uns alle überleben. Diese Zeit ist ihre Zeit, es ist nicht das »Zeitalter der Säugetiere«, wie unsere Lehrbücher auf chauvinistische Weise behaupten. Aber der Preis für einen derartigen Erfolg ist ihre dauerhafte Verbannung in eine Mikrowelt, in der sie Freude und Schmerz der bewusstseinsbegabten Wahrnehmung nie erfahren können. Wir leben in einem Universum, in dem man sich entweder das Eine oder das Andere einhandelt. Komplexität und Beharrungsvermögen gehen nur selten zusammen.«

Grund genug, dass sich auch die komplexere Spezies, deren Beharrungsvermögen auf diesem Planeten keineswegs als gesichert gelten kann, sich dieser kooperierenden, im Kollektiv lernfähigen Wunderwerke an Effizienz bewusst wird. Man könnte glatt was von ihnen lernen.

INTERVIEWS

Ein Gespräch mit Tom Maddox

Cyberpunks: Yesterday’s whizzkids?

Tom Maddox wurde vor allem durch seine Erzählung »Schlangenaugen« (enthalten in der Cyberpunk-Anthologie Spiegelschatten, Heyne 1988) auch in der Bundesrepublik bekannt. Er gehört zum Freundeskreis um William Gibson und Bruce Sterling und tauscht seine Erfahrungen häufig mit anderen Autoren dieser »Gruppe« aus. Tom Maddox lehrt als »Writing Director« am Evergreen State College in Olympia/Washington. Während der 10. Jahreskonferenz der »International Association for the Fantastic in the Arts« (IAFA) in Fort Lauderdale/Florida, Mitte März 1989, nahm er als Referent an Podiumsdiskussionen teil und las aus seinem ersten Roman, der noch in Arbeit war.

F: Während der IAFA-Konferenz sagte mir Marshall B. Tymne, der große Vorsitzende, er halte Cyberpunk für eine der interessantesten Entwicklungen in der neuen amerikanischen Science Fiction. Sehen Sie das auch (noch) so?

A: Sicher hat »Cyberpunk« – wie immer man das definieren will – in den letzten Jahren die meisten Kontroversen ausgelöst. Unglücklicherweise versteht ja jeder etwas anderes darunter. »Cyberpunk« ist nichts, das wirklich existiert. Mitte der Achtzigerjahre hatten wir eine Zeit lang folgende Situation: Da nahm eine Gruppe von Leuten Anteil aneinander und an der Arbeit, die jeder von ihnen machte. Zum Teil waren diese Leute miteinander befreundet, sie fuhren zusammen auf Cons, schrieben einander, tauschten Erfahrungen aus. Alle waren sie begeistert von William Gibsons Arbeiten. Zum Teil verfolgten sie selbst ähnliche Ansätze – wie zum Beispiel Bruce Sterling, Rudy Rucker, John Shirley, ich selbst, vielleicht auch Lewis Shiner (obwohl er das vielleicht dementieren würde). Und so wurde daraus plötzlich eine »Bewegung«, der man das Etikett »Cyberpunk« aufdrückte. So schnell sie kam, so schnell verschwand sie auch wieder. Heute hat jeder Schriftsteller furchtbare Angst, als »Cyberpunk« kategorisiert zu werden. Denn ein so modischer Begriff wird sehr schnell unmodern, und dann kann man sehen, wo man bleibt. Aber was auch immer »Cyberpunk« beeinflusst hat: Alle haben zweifellos von Bill (Gibson) gelernt. Und der Impuls, der diese Strömung überhaupt hervorgebracht hat, lebt natürlich weiter. Es ist der Versuch, eine ganz exakte, sehr sinnliche und sehr komplexe Sicht der Zukunft zu erarbeiten.

Niemand gehört gern zur »Bewegung« vergangener Tage. Das war schon bei den Surrealisten so, es gibt da eine Parallele zum Cyberpunk. »Surreal« wurde zu einem Adjektiv, und auch »cyberpunk« ist inzwischen so ein Adjektiv. Als »cyberpunk« bezeichnen viele Leute einfach das, was so aussieht wie der Film Blade Runner (lacht). Gemeint ist damit eine irgendwie schmutzige, dichte Szenerie der Zukunft. Diese Zukunft wird nicht mehr von Nationalstaaten regiert, sondern von multinationalen Konzernen. Die »Straße« muss darin vorkommen, und natürlich Drogen und Underground-Kultur. Ich vermute, genau in dieser Bedeutung wird das Wort »cyberpunk« in der englischen Sprache überleben, wenn die Bewegung längst gestorben ist. Selbstverständlich benutzen die Verleger, Publizisten und manche Kritiker »Cyberpunk« auch als Markenzeichen, um mehr Bücher zu verkaufen. Mein erster Roman wird, glaube ich, jetzt auf mehr Interesse stoßen als üblich, weil ich eine Geschichte in der Cyberpunk-Anthologie Mirrorshades (Spiegelschatten) hatte. Obwohl ja viele Insider nicht alle Geschichten der Sammlung für »typisch Cyberpunk« halten, etwa die von Gibson.

Ich möchte noch etwas ergänzen: Wenn es einen Höhepunkt der Bewegung gab, dann war das 1985. Damals nahm ich zusammen mit Bruce Sterling, William Gibson und ein paar anderen an einer Podiumsdiskussion in Austin teil. Bill (Gibson) war der »guest of honor«. Ich sagte dort zu Bruce: Weißt du, es gibt gar keinen Cyberpunk. Es sei denn, du meinst ein Computer-Programm. Wenn du es als Genre definieren willst, mit eindeutigen literarischen Merkmalen, dann liegst du falsch. Aber wenn du damit eine Reihe von Denkmöglichkeiten meinst, von Rechenoperationen: Sicher, das ist Cyberpunk. Bruce hat das übrigens nie akzeptiert. Aber ich finde diese Idee immer noch ganz hübsch.

F: Sehen Sie sich selbst als Vertreter einer gemeinsamen SF?

A: Sicher, ich war ja bis zu einem gewissen Punkt Teil der »Bewegung«. Heute bin ich es nicht mehr, weil die Bewegung nicht mehr existiert. Aber die Ideen leben natürlich weiter. Mit einiger Sorge muss ich wohl akzeptieren, dass alles, was ich in den nächsten Jahren schreibe, als »Cyberpunk« bezeichnet wird. Es sei denn, ich ändere meinen Stil auf ganzer Linie. Wenn ich über Feen, Drachen und Einhorne schreiben würde, könnte man es wohl schwerlich »Cyberpunk« nennen …

F: … möglicherweise wäre es dann »Cyber Fantasy«?!

A: Du meine Güte, irgendwer kommt womöglich wirklich auf die Idee. Unvermeidlich. Ich habe immer noch ein Rieseninteresse an den Arbeiten von Gibson, Shiner, Sterling und anderen. Aber eine Bewegung ist das, glaube ich, nicht mehr. Die Leute haben es einfach satt, als »Cyberpunks« tituliert zu werden.

Vielleicht haben Bruce Sterling und William Gibson mit ihrem gemeinsamen Roman The Difference Engine (dt. Die Differenz-Maschine, Heyne 1992) den Schlusspunkt gesetzt. Er spielt ja in einer anderen Version des 19. Jahrhunderts und handelt von Charles Babbage, dem der erste Computer zugeschrieben wird. Auch das Roman-England ist nicht das England des 19. Jahrhunderts, das wir kennen. Aber einige Schlaumeier haben auch für diesen Roman ein Etikett gefunden und nennen ihn »Steampunk« – nach der Dampfmaschine. Ich habe den Roman schon auszugsweise gelesen. Und ich glaube, er markiert wirklich das Ende des Cyberpunk.

F: Bleiben irgendwelche literarischen Gemeinsamkeiten?

A: Möglicherweise existiert das, was Wittgenstein die »Familien-Ähnlichkeiten« nennt. Aber das sind Ähnlichkeiten zwischen sehr entfernten Verwandten.

F: Was ist inzwischen aus der Kontroverse zwischen den sogenannten »Humanisten« und den »Cyberpunks« geworden?

A: Diese spezielle »Kontroverse« war das Produkt eines Artikels von Michael Swanwick. Swanwick ist selbst Schriftsteller und hat auch eine Geschichte zusammen mit Gibson geschrieben. Swanwick schrieb einen Artikel in ISAAC ASIMOV’S SCIENCE FICTION MAGAZINE.[1] Darin vertrat er die These, es gebe eine Spaltung zwischen Humanisten und Cyberpunks. Die Betroffenen sagten sofort: Nein, das stimmt ganz und gar nicht. Worauf Swanwick in Wirklichkeit hinwies, waren Unterschiede in ästhetischen und politischen Grundsätzen und Werten. Aber ich glaube, bei vielen, die Cyberpunk ablehnten, spielte einfach der Neid eine Rolle. Der Neid auf William Gibsons schnellen Erfolg. Erfolg löst so etwas immer aus. Und als er dann noch die Filmrechte für Neuromancer verkaufen konnte, da erst recht …

F: Wie steht es mit anderen »Cyberpunk«-Filmprojekten?

A: Gibson ist meines Wissens zur Zeit der Einzige, der sich mit solchen Projekten beschäftigt. Er schreibt ja auch Drehbücher für zwei Filme, denen seine Erzählungen »Burning Chrome« und »The New Rose Hotel« zugrunde liegen.[2]

F: Hätten Sie selbst Lust, aus einer Ihrer Geschichten ein Drehbuch zu machen?

A: Ja, denn ich versuche immer, die Dinge »filmisch« zu sehen. Ich versuche in meinen Geschichten die Bilder so intensiv zu gestalten, dass man danach einen Film drehen könnte. Und den würde ich dann natürlich auch gern auf der Leinwand sehen. Aber wie alle anderen Schriftsteller auch habe ich Angst vor dem, was die Filmproduzenten daraus machen. Weil sie oft etwas ganz Fürchterliches und Dummes daraus machen. Das zeigt, leider Gottes, die Erfahrung. Aber wenn ein Film das umsetzen könnte, was ich selbst für ehrlich und visionär an meinen Geschichten halte: Klar, das fände ich toll.

F: Gibt es denn einen lebenden Regisseur, dem Sie das zu- und anvertrauen würden?

A: (Tom Maddox lacht) Aber klar doch. Jede Menge. Bestimmt gibt es Hunderte. Ich liebe das Kino doch. Und ich liebe meine Arbeit. Ich hoffe sehr, dass William Gibsons Filme ganz großartig und visionär werden. Aber die Erfahrungen haben uns alle ganz schön nervös gemacht. Denn in Hollywood treffen oft Verrückte, Dummköpfe oder Halunken die Entscheidungen …

F: Fällt Ihnen spontan ein Regisseur ein, mit dem Sie gern zusammenarbeiten würden?

A: Ja, warum nicht zum Beispiel Wim Wenders (lacht). Aber das ist jetzt wirklich ins Blaue hinein gedacht, es gibt überhaupt keine Spur von Plänen.

F: Was schreiben Sie im Moment?

A: Mein erster Roman nähert sich der Fertigstellung. Er wird – hoffentlich bis zum Frühjahr 1990 – in den USA, England und möglicherweise auch in Japan erscheinen. Ansonsten habe ich eine ganze Reihe von Kurzgeschichten veröffentlicht. Viele davon unter Pseudonym in ISAAC ASIMOV’S SCIENCE FICTION MAGAZINE. Außer in der Bundesrepublik wurden auch in Japan und Frankreich drei, vier meiner Geschichten in Anthologien aufgenommen. Bis jetzt habe ich nur Storys geschrieben, keine Romane.

F: Um was geht es in Ihrem ersten Roman?

A: Ganz allgemein gesprochen fasziniert mich die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Die Art und Weise, wie sie unsere »Menschlichkeit« verändern wird. Ihre Auswirkungen auf die menschliche Sexualität. Ich frage nicht, ob sich Künstliche Intelligenz entwickeln wird. Ich gehe davon aus, dass sie in der nahen Zukunft entwickelt ist, und ziehe daraus entsprechende Schlüsse. Übrigens knüpft der Roman an Figuren und Themen von »Schlangenaugen« an und führt sie weiter.

F: Welche Autoren der phantastischen Literatur, im weitesten Sinne, schätzen Sie besonders?

A: Zum Beispiel Jorge Luis Borges. William Burroughs. Thomas Pynchon. Im engeren Bereich der Science Fiction: William Gibson. Wenn ich Einflüsse auf mein Schreiben über die Jahre hinweg zurückverfolgen sollte, würde ich noch Alfred Bester nennen. Seine Bücher The Stars My Destination und The Demolished Man haben zweifellos großen Einfluss auf die Entwicklung des Cyberpunk gehabt. Wie die meisten von uns habe ich schon als Jugendlicher Science Fiction gelesen. Aber dann für lange Zeit gar nicht mehr. Als ich zur Science Fiction zurückkehrte, gab es so beachtliche jüngere Autoren wie Samuel Delany und Thomas Disch.

F: Dem Cyberpunk wird ja immer eine besonders enge Beziehung zur Pop-Kultur nachgesagt. Und ganz besonders zur Pop-Musik. Welche Musikrichtungen stehen Ihnen besonders nahe?

A: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin selbst Blues-Musiker. Ich mag den alten amerikanischen Blues und Jazz, den modernen Jazz schätze ich nicht so. Über Pop-Musik denke ich so wie Baudrillard über Amerika: Ich glaube, da ist viel Simulation. Viel Referenz auf Rock ’n’ Roll, wie er früher einmal war. Und der enorme Erfolg mancher Leute in dieser Branche gründet darin, dass sie zitieren. Sie beziehen sich auf etwas, das einmal ein sehr ausdrucksvoller und schöner Teil der amerikanischen Kultur war. Aber jetzt ist es nur noch ein Leichnam.

[1] dt. in Das Science Fiction Jahr 1988, Heyne 1988, S. 42 ff.

[2] Enthalten in Cyberspace, Heyne 1988.

Ein Gespräch mit Charles N. Brown

»Wir möchten ausländische SF auch in den USA bekannter machen«

Als Herausgeber vonLOCUShat Charles N. Brown den amerikanischen Science-Fiction-Markt so nachhaltig beeinflusst wie kaum ein anderer. Seit mehr als zwanzig Jahren ist die Lektüre dieser Zeitschrift für Science-Fiction-Autoren, -Verleger, -Kritiker und -Fans ein absolutes Muss. LOCUSbibliografiert alle SF-Neuerscheinungen, berichtet über Preise und Conventions, Verkaufszahlen und Verlagsprogramme, stellt Autoren vor und enthält viele Rezensionen. Für seine Verdienste um die Science Fiction wird Charles N. Brown alle Jahre wieder mit dem Hugo Award bedacht. Als Gastreferent besuchte er im März 1990 die 11. Jahreskonferenz der »International Association for the Fantastic in the Arts« in Fort Lauderdale/Florida und berichtete dort u. a. über die Entwicklung vonLOCUS.

F: Mit wie vielen Leuten arbeiten Sie inzwischen an LOCUS?

A: Wenn ich mich mitzähle, sind wir ein Stab von fünf Vollzeitbeschäftigten. Wir bringen die Zeitschrift jeden Monat heraus und verkaufen in der Regel die volle Auflage. Die Zielgruppen sind Leute, die beruflich mit Science Fiction zu tun haben, Autoren, Verleger und auch Leser. Wir verfolgen mit dem Magazin keine wissenschaftlichen Absichten, obwohl wir natürlich auch bibliografische Informationen geben. Aber wir versuchen, auf dem Gebiet der Science Fiction alles abzudecken, was in der Welt passiert. Jetzt machen wir das schon mehr als zwanzig Jahre, und hoffentlich werden’s noch weitere zwanzig.

F: Wie schätzen Sie persönlich die Entwicklung der amerikanischen Science Fiction in den letzten Jahren ein?

A: In finanzieller Hinsicht sehr positiv. Ich habe den ganzen Bereich im Laufe der letzten zwanzig Jahre wachsen sehen. Damals hätte sich niemand eine akademische Konferenz wie diese, die ausschließlich Science Fiction und Fantasy gewidmet ist, vorstellen können. Inzwischen gibt es zu diesem Thema drei oder vier wissenschaftliche Tagungen pro Jahr. Man kann also sagen, dass auch das literaturwissenschaftliche, kritische Interesse daran gestiegen ist. Ganz allgemein wird die phantastische Literatur jetzt eher akzeptiert. Das drückt sich auch darin aus, dass in den wichtigsten Zeitschriften und Zeitungen Artikel dazu erscheinen. Vor zwanzig Jahren wurden nur ein paar Hundert Bücher pro Jahr herausgebracht. Heute sind es jährlich ein paar Tausend.

F: Gab es Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren wichtige Strömungen, die die amerikanische Science Fiction verändert haben?

A: Trends und Gruppen gab es in der Science Fiction immer schon. In den 60er-Jahren wurde viel über Vietnam geschrieben, 1945 viel über den Atomkrieg. Das ändert sich von Jahr zu Jahr. In der Science Fiction drückt sich aus, was in der Welt passiert – wie in jeder Literatur. Nur scheint es sich in der Science Fiction schneller niederzuschlagen. Science Fiction versucht davon zu erzählen, was Leute von der Zukunft erwarten. Heute gibt es vielleicht mehr Science-Fiction-Romane über die Verseuchung der Umwelt als über sonst etwas. Viele Sachen passieren in der Science Fiction einfach gleichzeitig. Die meisten Science-Fiction-Autoren sind philosophische Schriftsteller, die versuchen, in die Zukunft einzugreifen.

F: Glauben Sie, dass Science Fiction direkte politische und gesellschaftliche Auswirkungen hat oder haben kann?

A: Ja. Sie haben heute doch eine Rede von H. Bruce Franklin gehört. In seinem Buch War Stars vertritt er die These, dass Science Fiction direkt oder indirekt das politische Klima der Welt beeinflusst. Letztes Jahr gab es auf dieser Konferenz eine Diskussion über ein Buch von Martha Bartter. Sie behauptet darin, egal ob die Menschen Science Fiction wirklich lesen, würden die philosophischen Überlegungen über Roboter, Atomkrieg und die Zukunft, die darin enthalten sind, zum Teil der Kultur. Es brauchen nur ein paar Leute etwas zu lesen und darüber zu reden. Ihre These war, die Atombombe sei nicht zuletzt deshalb abgeworfen worden, weil die Science Fiction so etwas jahrelang antizipiert hatte.

F: Wie verhält es sich dann mit Hugo Gernsbacks optimistischen Zukunftsvisionen? Haben sie auch direkte soziale oder technologische Auswirkungen gehabt?

A: Bei Gernsback war’s ein bisschen anders. Der philosophische Gehalt war da sehr viel geringer. Gernsbacks Stoffe waren in erster Linie keine moderne Science Fiction. Sie enthielten nur die Aussage, die Zukunft werde ganz wunderbar sein. Philosophische Überlegungen kamen erst später ins Spiel, mit John W. Campbell und danach. Ich glaube nicht, dass Hugo Gernsback mit so was viel im Sinn hatte. Seine Stoffe stammten eher aus der Tradition eines Jules Verne als aus der Tradition eines H. G. Wells. Letztere griffen dann Campbell und andere auf.

F: Wie beurteilen Sie die Chancen nicht-amerikanischer Science Fiction auf dem amerikanischen Markt?

A: Schlecht. Wir haben Übersetzungen von Lem und von einigen anderen, aber sie verkaufen sich nicht gut. Das breite Publikum liest das nicht, es ist daran nicht wirklich interessiert. Das liegt vor allem daran, dass Science Fiction ausgeprägte philosophische Gesichtspunkte hat und Teil der Kultur ist, in der sie geschrieben wird. Und die amerikanische Kultur ist nun mal durch und durch amerikanisch. Unglücklicherweise gibt’s davon auch eine ganze Menge in Europa, weil sie auch in Europa durchdringt. So versteht man in Europa die amerikanische Kultur besser als umgekehrt in den USA etwa die deutsche Kultur. Das heißt, Science Fiction, die in anderen Ländern geschrieben wird, ist für die Amerikaner ein bisschen zu seltsam. Die Amerikaner haben zwangsläufig nicht den Bildungshintergrund, um die Symbole zu verstehen.

F: Halten Sie persönlich irgendeine außer der amerikanischen Science Fiction für originell?

A: Aber ja. Es gibt manches in Japan, vieles in der Sowjetunion. Etwas, das nicht unbedingt mit amerikanischer Literatur zu tun hat. Es gibt eine ganze Menge origineller Science Fiction und Fantasy in Südamerika. Und gerade Fantasy und magischer Realismus sind dort sehr gut. Nur wird das nicht unbedingt übersetzt oder auf dem amerikanischen Markt verkauft.

F: Versuchen Sie mit Ihrem Magazin, solche Literatur auch in den USA bekannt zu machen?

A: Das ist eines unserer Ziele. Wir wissen, welche Science Fiction in anderen Ländern verlegt wird.

F: Glauben Sie, dass Sie persönlich großen Einfluss im Bereich der Science Fiction haben?

A: Ja, natürlich, da gibt es keine Probleme. Wenn wir ein neues Buch positiv rezensieren, schreiben uns alle ausländischen Verlage wegen eines Exemplars an. So haben wir auch Einfluss darauf, welche Bücher im Ausland verlegt werden.

F: Glauben Sie, dass Ihre Meinungsumfragen Einfluss haben?

A: Das muss ich wohl, denn deshalb mache ich sie ja.

F: Wie viele Menschen nehmen daran normalerweise teil? A: Bei der jährlichen Umfrage sind es ungefähr 1000, das ist für eine solche Umfrage ziemlich viel. Ich nehme an, dass das schon Wirkung hat.

Ein Gespräch mit Hal Clement

»Mir stößt es auf, wenn in der Science Fiction wirklich etwas gegen die Vernunft geht.«

Science Fiction mit der Betonung auf Science, der wissenschaftlichen Komponente, schreibt der 68-jährige Amerikaner Harry Clement Stubbs – bekannt als Hal Clement. Kein Wunder bei seiner Biografie: Clement studierte in Boston und Harvard Chemie und Astronomie, flog im Zweiten Weltkrieg als Co-Pilot einer B24 33 Feindeinsätze, unterrichtete später Naturwissenschaften an der Milton Academy in Massachusetts. Science Fiction schreibt Hal Clement schon seit den 40er-Jahren. Bekannt wurde er bei uns nicht zuletzt durch den Roman Mission of Gravity (dt. Unternehmen Schwerkraft, Moewig 1959). Über neue Entwicklungen in Science und Science Fiction unterhielt er sich mit Usch Kiausch während der 11. Konferenz der »International Association for the Fantastic in the Arts« (IAFA) im März 1990 in Fort Lauderdale/Florida.

F: Wenn man Sie als Naturwissenschaftler und Science-Fiction-Autor nach den interessantesten technischen Entwicklungen der letzten zehn Jahre fragt, was antworten Sie dann?

A: Für die letzten zehn Jahre ist das schwer zu sagen. Die Entwicklung der Raumfahrt in früheren Jahren hat mich persönlich eigentlich am meisten begeistert. Wenn ich mich an die letzten zehn Jahre halte, würde ich sagen: die genetischen Entwicklungen, die verschiedenen Möglichkeiten, in den genetischen Code einzugreifen. Vielleicht sind die Dinge, die wir damit tun oder eines Tages tun könnten, die faszinierendsten. Da ich selbst Diabetiker bin, habe ich daran auch ein ganz persönliches Interesse.

F: Haben Sie den Eindruck, dass die amerikanischen Science-Fiction-Autoren auf der Höhe ihrer Zeit schreiben, dass sie die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihren Romanen verarbeiten?

A: Nein, das kann natürlich niemand, aber wir versuchen es. Die meisten von uns lesen wissenschaftliche Zeitschriften oder populärwissenschaftliche Abhandlungen, wie es die Zeit irgend erlaubt. Aber ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns up to date schreibt.

F: Mit genetischen Manipulationen und der Entwicklung künstlicher Intelligenzen haben sich nicht zuletzt die sogenannten Cyberpunk-Romane der 80er-Jahre befasst. Glauben Sie, dass diese Romane dazu beigetragen haben, aktuelle wissenschaftliche Probleme weiten Leserkreisen bekannt zu machen?

A: Ich bin mir nicht sicher, inwieweit die Autoren solche Probleme überhaupt selber verstanden haben. Zumindest Teile des Cyberpunk waren ungefähr so auf der Höhe der Zeit wie Frankenstein. Tatsächlich beziehen wir uns in der Literatur ja sehr oft auf den sogenannten Frankenstein-Komplex. Die Menschen fürchten sich ganz automatisch vor neuen Entwicklungen. Man kann sich alle möglichen Ereignisse im Zusammenhang mit Menschen und ihren künstlichen Gliedern vorstellen. Ich weiß nicht … Die Tatsache, dass die »Ersatzteile« mehr und mehr computerisiert werden, immer vollständiger die Funktionen des Originals übernehmen können, beseitigt keineswegs die Ängste. Einige der modernen künstlichen Herzen sollen schon ziemlich gut sein. Aber für viele Menschen ist es immer noch leichter, die schlechten Ergebnisse als die guten zu sehen. Und ich fürchte, in der Cyberpunk-Literatur – zumindest in den meisten Romanen, die ich gelesen habe – schauen die Leute nur auf die negativen Auswirkungen. Ich bin darüber nicht glücklich, weil ich selbst sehr pro-wissenschaftlich eingestellt bin. Ich weiß, dass es negative Auswirkungen geben kann. Auch ich fürchte mich vor dem Auto und benutze trotzdem eins. Ich akzeptiere die Tatsache, dass es gefährlich ist, aber trotzdem macht das Auto das Leben in vieler Hinsicht leichter.

F: Gibt es Strömungen in der derzeitigen Science Fiction, die Sie richtig böse machen, weil wissenschaftliche Erkenntnisse darin ignoriert werden?

A: Ich werde nicht böse, weil etwas ignoriert wird. Das ist ja unvermeidlich. Mir stößt es allerdings auf, wenn etwas wirklich gegen die Vernunft geht. Aber ich nehme es Leuten nicht übel, wenn sie Schwierigkeiten übersehen. Ein Beispiel, das ich immer gern bringe, ist inzwischen älter als zwanzig Jahre. Eine sehr gute Geschichte von Rick Raphael, Code Three (dt. Die fliegenden Bomben, Heyne 1967), spielte in einem Nordamerika, das von einem Netz superbreiter Highways überzogen ist. Die Autos brausten da mit 900 Kilometern pro Stunde und mehr dahin. Es musste also ein riesiges Heer privater Fahrzeuge geben, um die Baukosten für solche Straßen überhaupt zu rechtfertigen. Das konnte schon Angst machen. Ich bin aber keineswegs überzeugt, dass wir für ein solches Heer von Pkws überhaupt den Treibstoff hätten. Es gibt da eine Stelle in der Geschichte, da findet ein Fußballspiel zwischen Universitäten aus Ohio und Kalifornien in Ohio statt. Und nach Spielende fahren die Leute zurück nach Kalifornien. Auf dem Highway! Es war eine interessante Geschichte, eine hübsche Idee, realistisch bis auf die Tatsache, die ich schon erwähnte: Woher sollte all der Treibstoff kommen?

F: Sie schreiben seit rund fünf Jahrzehnten Science Fiction. Wenn Sie diese Revue passieren lassen, was waren dann die besten Jahre, die Höhepunkte in der Entwicklung amerikanischer Science Fiction?

A: Gute Jahre, denke ich, waren es alle. Zumindest in finanzieller Hinsicht. Als direkt nach dem Zweiten Weltkrieg Atomkraft und Raumfahrt plötzlich weniger verrückt erschienen, kamen, zumindest für kürzere Zeit, viele neue Science-Fiction-Zeitschriften heraus. Viele Verleger nahmen damals SF ins reguläre Verlagsprogramm auf. Vom ökonomischen Standpunkt des SF-Autors aus würde ich sagen, dass die zweite Hälfte der 40er-Jahre mit die beste Zeit war. Als in den Jahrzehnten danach die Science Fiction vernünftiger und – wenn man so will – respektabler wurde, publizierten alle möglichen Verlage sogenannte Science Fiction. Nach meinen Maßstäben war das aber keine SF, es war eher eine Variante von Fantasy.

F: Was halten Sie selbst von Fantasy? Lesen Sie Fantasy-Romane?

A: Ja, mir macht Fantasy Spaß. Besonders im Bett, kurz vor dem Schlafen. Dann schalte ich mein Gehirn ab und lese eine Conan-Geschichte, ein Oz-Buch oder Doktor Dolittle. Ich weiß, dass man das als Kinderkram ansieht, aber es macht mir trotzdem Spaß. Ich habe überhaupt nichts gegen Fantasy. Ich kann so was aber offensichtlich nicht schreiben. Ich hab’s ein einziges Mal versucht, und die Geschichte entpuppte sich am Ende als Science Fiction. Aber das ist meine persönliche Schwäche.

F: Was war das für eine Geschichte?

A: Vor vielen Jahren sollte ich mich mit einem Beitrag an einer Anthologie von Vampir-Geschichten beteiligen. Da ich Dracula gelesen hatte, fand ich, ich wüsste über Vampire auch nicht weniger als andere. Also stimmte ich zu. Nachdem die Geschichte fertig war, stellte sich jedoch heraus, dass trotz allem Science Fiction daraus geworden war. Mein Vampir, der Protagonist, war ein früher Militärarzt, Chirurg bei den römischen Legionen. Zu seinem Unglück hatte er vier Söhne, die alle an der Bluterkrankheit litten. Drei waren zum Zeitpunkt der Geschichte schon gestorben. Der arme Bursche versuchte, das Problem der Bluttransfusion ein paar Tausend Jahre vor der Zeit zu lösen, als das überhaupt möglich wurde. Und das brachte ihm bei seinen Mitmenschen den Ruf eines Vampirs ein.

F: Wie ist es mit Space Operas? Mögen Sie die?

A: Aber klar. Als ich in den 30er-Jahren anfing, die ersten Science-Fiction-Magazine zu lesen, faszinierten mich vor allem die fremden Planeten und die seltsamen Geschöpfe, die darauf lebten. Die Vorliebe ist mir geblieben. Durch meine naturwissenschaftliche Ausbildung kann ich jetzt fremde Planeten und ihre Bewohner realistischer gestalten. Aber es macht mir immer noch Spaß. Ich mag diese Geschichten gern, und ich glaube, es ist auch das Einzige, was ich schreiben kann.

F: Gibt es Science Fiction, die Sie überhaupt nicht ausstehen können? Bei der Sie sich schämen, dass so was Science Fiction genannt wird?

A: Da bin ich mir nicht sicher. Es gibt Geschichten, an denen ich nicht interessiert bin. Aber ich glaube nicht, dass ich sie wirklich ablehne. Ich bin sehr altmodisch, was die Moral betrifft. Aber ich will meine Moral anderen Leuten keineswegs aufdrängen. Manche SF-Geschichten sind scheinbar vor allem dazu da, ein Verhalten zu rechtfertigen, das meine Mutter missbilligt hätte. Auch wenn die Storys manchmal gut sein mögen. Man muss wirklich ein sehr begabter Schriftsteller sein, wenn man eine Geschichte gut erzählen und gleichzeitig starke politische und soziale Botschaften vermitteln will. Jemand wie H. G. Wells konnte das sehr wohl, aber nicht viele von uns würden sich als Nachfolger von H. G. Wells qualifizieren.

F: Sehen Sie sich selbst irgendwo in der Tradition von H. G. Wells? Welche Schriftsteller hatten auf Ihr Schreiben den meisten Einfluss?

A: Natürlich habe ich Verne und Wells schon früh in meiner Kindheit gelesen. Aber mehr Eindruck haben bei mir vielleicht die Magazinautoren der frühen 30er-Jahre hinterlassen. Jack Williamson, John Campbell, E. E. Smith, Sprague de Camp. Ich würde auch Isaac Asimov nennen, wenn er nicht ungefähr zur selben Zeit und im gleichen Alter wie ich mit dem Schreiben begonnen hätte. Edmond Hamilton noch, der die Space Opera in Person war. Das alles sind Namen, die mir sofort in den Kopf kommen. Aber ich nehme an, jeder Schriftsteller, den ich gelesen habe – ob Science-Fiction-Autor oder nicht –, hat mich beeinflusst.

Ich war dieses altkluge Bürschchen, dieser naseweise Zehnjährige, der jedem Lehrer das Leben schwer macht, wenn er ihn beim kleinsten Fehler ertappt. Als ich mit dem Lesen anfing, suchte ich nach solchen Fehlern und Irrtümern. Ich wollte mir damit bestätigen, dass ich’s besser konnte. Ich glaube, darum habe ich überhaupt mit dem Schreiben angefangen. Aber ich habe dann sehr schnell eine Art von Bescheidenheit gelernt. Ich weiß heute, dass niemand, auch ich nicht, eine Geschichte ohne irgendeinen Fehler schreiben kann.

Science Fiction mit Betonung auf Science: Hal Clement

F: War es die Science Fiction, die Sie zur Science brachte? Sodass Sie aus den Naturwissenschaften den Hauptberuf machten?

A: Irgendwann im Februar 1930 sah ich einen BUCK ROGERS-Comicstrip. Darin zeigte jemand auf ein sich entfernendes Raumschiff und sagte: Ihr Ziel ist der Mars, 47 Millionen Meilen von hier. Sie werden 20 Tage brauchen, um hinzukommen, selbst wenn sie mit einer Geschwindigkeit von 100.000 Meilen pro Stunde fliegen. Das war kurz vor meinem achten Geburtstag. Autos, die zuverlässig 30 Meilen in der Stunde machten, waren noch eine Seltenheit. Ich war also ziemlich überrascht über diesen Comicstrip und sprach darüber mit meinem Vater. Er war Buchhalter, hatte nie eine Universität besucht und wusste nichts über Naturwissenschaften. Aber er nahm mich mit zur örtlichen Bücherei. Auf dem Rückweg hatte ich Jules Vernes’ Reise zum Mond unter einem Arm, ein Astronomiebuch unter dem anderen. So haben mich Science und Science Fiction wohl gleichzeitig zu interessieren begonnen.

F: Gibt es bestimmte Regeln, an die Sie sich halten, wenn Sie eine neue Geschichte konzipieren? Wie sieht der Schöpfungsprozess für Ihre Welten aus?

A: Ich sehe das nicht als Regel an, ich mach’s einfach auf eine bestimmte Art. Ich finde es leichter, zuerst die Merkmale auszuarbeiten, die ein Planet haben müsste, wenn er ein besonderes astronomisches Objekt umkreist. Das Objekt finde ich meistens in einer astronomischen Zeitschrift. Danach konzipiere ich – je nach Zeit und Möglichkeit – sehr detailliert die Umweltbedingungen dieses Planeten und die besonderen Ereignisse, die dort passieren könnten. Im Allgemeinen schreibe ich die besonderen Ereignisse und Möglichkeiten auf ein Stück Papier oder eine Karteikarte. Immer gleich dann, wenn sie mir einfallen. Die Karteikarten trage ich mit mir herum, Sie haben’s ja neulich gesehen. Wenn ich genügend Karten beisammen habe, kann ich sie verteilen, auslegen und versuchen, sie in irgendeine vernünftige Reihenfolge zu bringen. Also: Diese Sache stößt dem Protagonisten zu diesem Zeitpunkt aus diesem Grund zu. Als Folge passiert dann jenes usw. Es ist einfach eine logische Vorgehensweise im Aufbau einer Chronologie. Wenn das alles getan ist, steht auch der Plot, die Handlung. Meiner Erfahrung nach sind die Begriffe »Handlung« und »Problem« so gut wie synonym. Wenn der Protagonist kein Problem hat, gibt’s auch keine Handlung, keine Geschichte. Wenn aber genügend Probleme da sind – und bei meinem naturwissenschaftlichen Hintergrund sind das vorrangig wissenschaftliche Probleme –, ist auch die Geschichte da. Demnach kann ich dann mit dem Schreiben anfangen.

F: Schreiben Sie normalerweise schnell? Oder korrigieren Sie vieles nach dem ersten Entwurf?

A: Ich bin sehr langsam. Während der letzten 40 Jahre habe ich rund 13 Romane herausgebracht. Das liegt vor allem daran, dass mein Hauptberuf das Unterrichten war und ich das Schreiben immer irgendwie in die Freizeit quetschen musste. Jetzt bin ich im Ruhestand und habe theoretisch mehr freie Zeit zur Verfügung. Aber ich schreibe trotzdem nicht schneller. Ich bin ein sehr fauler Mensch. Mir macht es Spaß, zu Conventions zu fahren, zu reden und zuzuhören. In den letzten zehn Monaten habe ich nur drei neue Kapitel geschrieben.