Angelika Schrobsdorff - Rengha Rodewill - E-Book

Angelika Schrobsdorff E-Book

Rengha Rodewill

4,4

Beschreibung

Als kluge, lebenshungrige Frau kam Angelika Schrobsdorff (1927–2016) aus dem bulgarischen Exil zurück nach Deutschland – und verursachte dort mit ihrem Roman "Die Herren" einen handfesten Skandal. Zwischen Israel, Frankreich und Deutschland pendelnd führte sie in der Folge ein rastloses und produktives Leben. Ihre Bücher erreichten weltweit ein Millionenpublikum.Diese Biografie nähert sich Angelika Schrobsdorff ebenso behutsam wie schonungslos – und im Spiegel ihrer Bücher, deren Ausgangspunkt stets ihr eigenes Erleben war. Der Band wird bereichert durch zahlreiche Fotografien und persönliche Briefe aus dem Nachlass.

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Rengha Rodewill (Hg.)

ANGELIKA SCHROBSDORFF

Leben ohne Heimat

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der

engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt

insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung

und Verarbeitung auf DVDs, CDROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-

Plattformen.

ebook im be.bra verlag, 2017

© der Originalausgabe:

be.bra verlag GmbH

Berlin-Brandenburg, 2017

KulturBrauerei Haus 2

Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin

[email protected]

Lektorat: Matthias Zimmermann, Berlin

Umschlag: typegerecht, Berlin

ISBN 978-3-8393-0134-0 (epub)

ISBN 978-3-89809-138-1 (print)

www.bebraverlag.de

Inhalt

Erinnerung an Angelika Schrobsdorff

»Ich war ein fremder Vogel, aber ein reizender Vogel«Kindheit und familiärer Hintergrund

»Eine schöne, kleine Ferienreise«Exil in Bulgarien

»Ehe du dich versiehst, sind wir in Deutschland«Nachkriegszeit - München

»Ich werde Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen …«Angelika Schrobsdorff, 1970–1983

»Auf dich, himmlisches Jerusalem, auf dass wir in Ewigkeit vereint bleiben«Angelika Schrobsdorff, 1983–2006

Nachwort

In eigener Sache

Briefe

Anhang

Erinnerung an Angelika Schrobsdorff

von Rengha Rodewill

»Der letzte Koffer für Berlin«

Es muss kurz nach ihrer Ankunft in Berlin gewesen sein. Sie trug eine weiße Hose, dazu ein schwarzes Oberteil, als ich ihr das erste Mal in der neu bezogenen Berliner Altbauwohnung begegnete. Eine Parterrewohnung mit dezenten Stuckdecken und frisch geweißten Wänden. Halensee und Grunewald nah, Johannaplatz nicht weit. Eine Wohnung, mit Blick auf eine Autobahnauffahrt; keine glitzernde, in sonnengelb getauchte Kuppel des Felsendoms, kein unverschämt blauer Himmel, wie sie ihn liebte.

In einer Ecke standen nicht ausgepackte Umzugskartons und ein alter Koffer. Der Wohnung haftete der Ausdruck eines Neubeginns in Berlin an. Nachträglich könnte man sagen, dass ein Anfang und auch ein Ende zu spüren waren. Zwei ihrer Katzen mit Namen Vicky und Puschkin, die sie aus ihrem arabischen Haus in Abu Tor nach Berlin mitgebracht hatte, beäugten mich skeptisch, missachteten mich aber mit feliner Arroganz. An einem langen, stämmigen Eichentisch, der fast das ganze Zimmer in Beschlag nahm, saß Angelika Schrobsdorff – rauchend. Auf dem Tisch Zigaretten und Ascher, eine Karaffe, Gläser, Zettelnotizen und die berühmte Schreibmaschine.

2006 sickerte es wie ein Lauffeuer durch die einschlägigen Berliner Literatur- und Fan-Kreise, dass DIE Schrobsdorff aus ihrem so geliebten Jerusalem nach Berlin zurückgekehrt ist – aus politischen Gründen wie es hieß, aber hauptsächlich um in Berlin, um irgendwann in der deutschen Sprache zu sterben. Bewusst betonte sie dies immer wieder in Interviews. Auch Marlene Dietrich ließ sich 1992 in Berliner Erde begraben. Auch sie wollte ihre letzte Ruhe nicht in einer fremden Stadt, in Paris, auf einem der berühmten Friedhöfe der Seine-Metropole finden. Da die Dietrich immer diesen Einen Koffer in Berlin hatte, vermutete ich, dass tief in ihrem Herzen auch Angelika Schrobsdoff einen kleinen Koffer in Berlin zurückgelassen hatte. Nicht umsonst heißt Irmgard von zur Mühlens Dokumentarfilm über die Schrobsdorff Ein Leben lang Koffer. Darin beschreibt die Schriftstellerin ihre Verbindung zu den Koffern in ihrem Leben, die sie immer begleitet haben.

Koffer erzählen Geschichten von Menschen. Sie erzählen auch die Schreckensgeschichten des Holocausts: Verfolgung, Vernichtung, Emigration, Exil. Menschen, die zur Deportation aus ihren Wohnungen und Häusern getrieben wurden, nahmen oft nur ein kleines Köfferchen mit: Bestückt mit dem, was Ihnen am wichtigsten war, gingen sie los – zurück kamen sie nicht mehr. Doch Koffer können auch schöne und heitere Geschichten erzählen. Geschichten von fernen Reisen, wunderbaren Ländern, Abenteuern und Sehnsüchten.

Mein Anliegen als Künstlerin an die Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff an diesem Tag des Jahres 2006 war die Ausrichtung einer Kunstausstellung über sie und mit ihr im Haus der Wannsee-Konferenz. Es sollte eine »Kofferinstallation« in narrativer Darstellung sein, mit alten Koffern und Bezügen aus ihrem kosmopolitischen Leben.

Die Verhandlungen mit den Historikern der Gedenkstätte kamen gut voran, die Idee wurde sehr positiv aufgenommen. »Man könnte es sich gut vorstellen«, hieß es, »die Installation im großen Saal der Gedenkstätte aufzubauen.« In Erinnerung bleibt mir bis heute Angelika Schrobsdorffs erstauntes Gesicht, ihr durchdringender Blick aus den dunklen, melancholischen Augen, die rauchig-klangvolle Altstimme, ihre charismatische Ausstrahlung. Alles deutete darauf hin, dass ihr das Konzept noch nicht eingängig war.

Wir trennten uns und vereinbarten, dass ich mich telefonisch wieder melden würde. Leider bekamen die Historiker vom Haus der Wannsee-Konferenz letztendlich Platz- und Sicherheitsbedenken, eine so große Installation im Hause aufzubauen. So musste ich die Realisation meines Projekts – und damit die Verbindung zu Angelika Schrobsdorff – vorerst begraben.

Um ein Buchprojekt zu realisieren, benötigt man viel Zeit, mitunter Jahre, Geduld, Leidenschaft und Enthusiasmus. Mein Interesse an der Person Angelika Schrobsdorff war immer vorhanden; sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und so entstand die Idee für diesen Band – wenn schon keine alten Koffer, dann eben ein Buch! Auf den Spuren der Schrobsdorff wollte ich mit meiner Kamera wandern, ob in Berlin, Pätz, Bulgarien oder anderen Orten der Vergangenheit. Von diesem Moment an lagen ihre Bücher von Du bist nicht so wie andre Mütter, über Die Herren, bis zu Grandhotel Bulgaria oder Die Reise nach Sofia stapelweise an meinem Bett, auf dem Tisch … überall. Warum mich gerade dieses Grandhotel Bulgaria und Die Reise nach Sofia so interessierten, kann ich nicht sagen. Vielleicht war es meine Reise in ihr Exil ab 1939. Als Kind hatte sie Berlin verlassen müssen, war aus einem behüteten Leben in Liebe und Wohlstand herausgerissen und dann in ein Land verfrachtet worden, das jenseits aller Vorstellungen war.

Aber es dauerte wiederum eine ganze Weile, bis ich den Entschluss fasste, sie nochmals aufzusuchen. In Insider-Kreisen war bekannt, dass sie krank geworden sei. Genaues wusste ich nicht. Durch die wunderbare Unterstützung von Suzana Strajnic war es möglich, Angelika Schrobsdorff in ihrer Wohnung noch einmal aufzusuchen. Wir erörterten das Buchprojekt, das sich in meinen Kopf eingefressen hatte. So wurden für mich immer mehr Umrisse der Spuren, die ich verfolgen wollte, klarer. Ab diesem Moment gab es für mich kein Zurück mehr.

Am 11. Oktober 2014, dem Tag meines Geburtstages, lief ich bei schönstem Sonnenschein und noch warmen Temperaturen vergnügt durch Sofia. Die beeindruckende Alexander-Newski-Kathedrale erhellte mein Gemüt mit funkelnden, goldenen Kuppeln. Auf dem Blvd.Tsar Osvoboditel mit seinem gelben Straßenpflaster, an dem das Grandhotel Bulgaria liegt, wurde ich von einer großen Inspirationswelle getragen, als sogar aus dem Saal des Hotels dezente Tanzmusik zu mir herüberschwebte. In der Ul. Oborishte, der Straße, wo sich das Haus befindet, in dem Angelika, Bettina und Mutter Else gewohnt hatten, erwachten die Beschreibungen aus den Büchern der Schrobsdorff zum Leben.

Am nächsten Tag stand das Taxi pünktlich vor dem Sense Hotel Sofia. Dem Fahrer erzählte ich, dass ich nach Buhovo müsste, da ich auf fotografischer Spurensuche der deutsch-jüdischen Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff sei, die dort im Zweiten Weltkrieg im Exil gelebt habe. Der Name Schrobsdorff war ihm nicht bekannt, aber er wusste, wie er nach Buhovo zu fahren hatte. Der Ort liegt ca. 45 Autominuten westlich von Sofia. Die Fahrt verlief kurzweilig über holprige Straßen, vorbei an Gebäuden, die bessere Zeiten gesehen hatten. Am Horizont war das monströse Stahlwerk »Kremikovtzi« sichtbar, wo zu Zeiten des Kommunismus Tausende von Menschen Arbeit gefunden hatten. Jetzt war es marode und dem Verfall überlassen.

Am Ortseingang von Buhovo stand ein grauer, großer Stein, auf dem mit kyrillischen Buchstaben der Ortsname aufgemalt war. Der Ort sah trostlos aus. Entlang der Hauptstraße standen unzählige verwahrloste Häuser. Satellitenschüsseln an einem großen, farblosen Neubau, der schon längst frische Farbe gebraucht hätte. Auf den Straßen wenige Menschen mit blassen, faden Gesichtern, denen die Fröhlichkeit verloren gegangen zu sein schien. »Das ist also Buhovo«, dachte ich, »hier fand sie ihre Zuflucht; hier fand sie für längere Zeit Unterschlupf vor dem Schrecken des Krieges und der Verfolgung.« Mit ihrer Mutter Else kam sie bei einer armen Bauernfamilie unter. Wie sie immer wieder betonte und auch in ihren Büchern beschrieb, hat sie dort die schönste Zeit ihres Lebens erlebt. Bedrückt nahm ich nun die graue Gegenwart an diesem Ort der Vergangenheit und der Hoffnung wahr.

Mit meinen bulgarischen Fotos flog ich zurück nach Berlin und begann, mich intensiv mit den Spuren in Berlin und Pätz zu beschäftigen. Zwischenzeitlich fing ich an, Angelika Schrobsdorff des Öfteren zu besuchen. Sie war sehr interessiert, einiges von Sofia und Buhovo zu erfahren. Suzana Strajnic erzählte ihr, dass es ein Buch über sie geben wird. »Ein Buch über mich?«, fragte sie immer und immer wieder! Ich zeigte ihr die Bilder aus Sofia, aus dem Grandhotel Bulgaria, das Restaurant mit dem »Saal Desislava«, die obere Galerie mit der Bar, den »Roten Salon«. Auch die Gedächtniskathedrale »Heiliger Alexander Newski« mit den orthodoxen Opferkerzenständern, die Frauen die ihre bulgarischen Handarbeiten und Blumen an der Kathedrale verkauften, sowie Bilder aus Buhovo, Pätz und Berlin.

Das Buchprojekt entwickelte sich auch durch den Zugang zu persönlichen Fotos und Briefen und die freundliche Unterstützung von Angelikas Sohn Peter Schrobsdorff, der bis heute Fragen aus der Vergangenheit seiner Mutter klären kann. Sehr froh und dankbar bin ich, dass ich Beatrix Brockman gewinnen konnte, die im fernen Tennessee in das unruhige Leben der Schriftstellerin eingetaucht ist. Sie charakterisiert, reflektiert die Lebensstationen von Angelika Schrobsdorff von der Kindheit bis ins hohe Alter, zeigt, wie der Kreis sich für die Schriftstellerin schließt – von Berlin/Bulgarien, München/Jerusalem, Paris/Jerusalem, zurück nach Berlin.

In Berlin, in der deutschen Sprache wollte sie sterben. Im Sommer 2016 hat die Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff das wahr gemacht, weshalb sie in die Stadt der Geborgenheit ihrer Kindheit zurückgekehrt ist. In der Erde Berlins, auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, hat sie jetzt die langersehnte Ruhe nach einem sehr langen und sehr bewegten Leben gefunden.

Berlin, im November 2016

»Ich war ein fremder Vogel, aber ein reizender Vogel«

Kindheit und familiärer Hintergrund

»Mutti, warum hast du denn vorhin so geweint?«

Sie schaute mich zärtlich an und antwortete: »Das verstehst du nicht und sollst es auch noch lange nicht verstehen, meine Kleine.«

Da nahm die Ahnung die Form eines unheimlichen Schattens an, der mich auf Schritt und Tritt verfolgte.[1]

Nicht die Suche nach ihren Wurzeln, die ihr mehr als vertraut waren, sondern der Wunsch sich neu zu (ver-)wurzeln war die Triebkraft für Angelika Schrobsdorffs ruheloses Leben in Metropolen, Wüsten und zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch ihre Rückkehr nach Berlin im Jahr 2006 galt nicht der Heimkehr, galt nicht Deutschland, sondern der deutschen Sprache, in der sie irgendwann sterben wollte. In einem Interview mit Roger de Weck im Schweizer Fernsehen spricht die 82-jährige Angelika Schrobsdorff im Februar 2009 vom Ende ihrer Kindheit, von einer Ferienreise, die sich als achtjähriges Exil ohne den Vater entpuppen sollte. Angesprochen auf die Lage ihrer gegenwärtigen Berliner Wohnung, die so nah am letzten Wohnort liegt, den sie mit ihrem Vater teilte, und in der Stadt mit dem Anhalter Bahnhof, von dem aus sie mit ihm nach Bulgarien reiste, bezeugt sie nur emotionslos: »Ich wurde weggeschmissen!« Seitdem kann Schrobsdorff mit dem Begriff Heimat nichts mehr anfangen, und schon gar nicht mit dem Begriff des Vaterlands. Aber ein Zuhause, das war ihr immer wichtig.

Ein gebrochenes Urvertrauen in die Eltern, die ihr wichtige Informationen vorenthielten, um sie zu schützen, in die jüdischen Großeltern, die die Lage im frühen »Dritten Reich« verharmlosten, hat Angelika Schrobsdorff geprägt, und es zieht sich wie ein roter Faden durch ihre zahlreichen Romane und autobiografischen Texte. Angelika blieb zwar ein ähnliches Schicksal wie das der Großmutter, Omutter Kirschner[2], erspart, da es ihrer Mutter gelang, in Bulgarien Zuflucht zu finden. Nichtsdestotrotz waren es Nationalsozialismus und Holocaust, die alle Weichen für den Werdegang einer jungen Frau stellten, die eine höhere Tochter im preußisch-deutschen Bürgertum hätte werden sollen.

Minna Kirschner, geb. Cohn, gen. »Omutter«, Berlin, um 1914

Daniel Kirschner gen. »Opapa«, Berlin, um 1920

Else Kirschner, Berlin, um 1896

Else Kirschner, Berlin, um 1903

Angelika Schrobsdorff ist die jüngste Tochter einer jüdischen Mutter, einer lebenslustigen Frau voller Wärme und Zärtlichkeit, bei der ungestümer Jubel und verzweifeltes Weinen ganz nah beieinander lagen. Eine Mutter, der Schrobsdorff ihr umfangreiches Buch Du bist nicht so wie andre Mütter. Die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau gewidmet hat. Else Kirschner war das »kleine, geliebte Mädchen zärtlicher Eltern, jüdischer Eltern, die ja die zärtlichsten sind, die es gibt«.[3] Ihr Vater Daniel Kirschner hatte ein »Engrosgeschäft für Kleider, Blusen und Morgenröcke«;[4] die Mutter, Minna, stammte von spanischen Juden ab, die auch ihr Äußeres geprägt hatten. Mutter Kirschner ist tonangebend in der Familie und Daniel setzt nichts dagegen. Else wächst behütet in Charlottenburg in einer assimilierten Familie auf und bemerkt erst im Alter von vier Jahren, als an ihrer Spielschule Weihnachten gefeiert wird, dass sie keine Christin ist. Als höhere Tochter geht sie in eine christliche Mädchenschule, bekommt Klavier- und Geigenunterricht, lernt Französisch und befasst sich mit Klassikern der deutschen Literatur.

Du bist nicht so wie andre Mütter zeichnet ein Bild von Angelika Schrobsdorffs Mutter Else, aus dem nicht nur ein hoher Grad an Bewunderung spricht, sondern das in gewissem Maße auch den unbeugsamen und gradlinigen Charakter der Verfasserin projiziert: »Wenn ich sie mir oder anderen zu beschreiben versuche, dann komme ich immer wieder auf das Wort ›echt‹ zurück. Sie war, in einer Welt des Selbstbetrugs, der Verstellung und Heuchelei, so echt und elementar, wie nur ein Geschöpf der Natur es sein kann. Und gleichzeitig hatte sie einen scharfen Intellekt, war in ihrem Denken viel schneller, beweglicher, selbständiger, als es Frauen der damaligen Zeit waren. Ja, sie war anders – nicht nur, weil sie Jüdin war und dadurch einen gewissen exotischen, vielleicht sogar verbotenen Reiz auf ihre deutschen Mitbürger ausübte, sondern weil sie autonom war und ihrer Generation weit voraus.«[5]

Else Schrobsdorff selbst kommt kurz vor ihrem Tod im Jahr 1949 ebenfalls zu einem ähnlichen Schluss. In ihrem letzten Brief an Angelika beschreibt sie sich als Frau, die ihren Zeitgenossinnen um Äonen voraus war; als Frau, die Emanzipation und freie Liebe lebte, lange bevor es die deutsche Frauenbewegung gab: »Als Frau meiner Generation war ich etwas Neues, Ungewöhnliches und Suspektes. Ich fiel sozusagen aus dem Rahmen, musste sehr stark sein und mir meine eigenen Gesetze machen, keiner half mir dabei, im Gegenteil, man nahm mich im Besten als komisch hin, im Schlechtesten als entartet.«[6]

Erich Schrobsdorff, Berlin, 1896

Erich Schrobsdorff, Berlin, um 1938

Als Else Erich Schrobsdorff kennenlernt, ist sie längst nicht mehr die »gute jüdische Tochter«,[7] sondern eine verheiratete Frau, die sich von ihren bürgerlichen Fesseln befreit hat und sich der Bohème der goldenen Zwanziger in Berlin leidenschaftlich hingibt. Sie ist noch mit dem Dramaturgen Fritz Schwiefert verheiratet und hat zwei Kinder[8] von zwei Männern. Sie lebt mit dem Vorsatz, »von jedem Mann, den sie liebte, ein Kind zu bekommen«,[9] besteht aber auf der Ehe »nach wie vor [als] Bestimmung und Erfüllung einer Frau« mit dem Mann als demjenigen, »der ihr Status, materielle Sicherheit und eine Lebensaufgabe, um nicht zu sagen Lebensberechtigung« gibt.[10] Schrobsdorff beschreibt ihre Mutter als unfähig im Haushalt, ruhelos und besonders weltfremd. Die Schrecken des Nationalsozialismus verdrängt sie so lange, bis sie einen Nervenzusammenbruch bekommt und das Land 1939 in letzter Minute verlässt.

Alfred Mislowitzer und Else Kirschner (sitzend), mit Minna, Siegfried und Daniel Kirschner, Hiddensee, um 1914

Fritz Schwiefert (liegend), Else Schwiefert, Minna Kirschner mit Enkel Peter an der Ostsee, um 1917

Angelika Schrobsdorffs Vater stammt aus einer preußischen Adelsfamilie. Seine Tochter charakterisiert ihn als besonnen, ohne Spontaneität oder Überschwänglichkeit. Er ist ein Mann, der sich in ihren Augen durch Güte, Anständigkeit und Verantwortungsbewusstsein auszeichnet. Erich Schrobsdorff kommt aus einem konservativen, traditionsbewussten Elternhaus, für das eine Ehe mit einer Jüdin, die dazu noch geschieden ist und zwei Kinder hat, undenkbar ist. Erichs Vater, »Alfred senior, ein preußischer Junker und ein unnahbarer, despotischer Mann mit einer vierschrötigen Statur und dem großen Schädel und grimmigen Gesicht eines Löwen, war das unumstrittene Oberhaupt der Familie«.[11] Erichs Mutter Annemarie stammt aus gutbürgerlichem Haus und zeichnet sich durch einen skurril verschrobenen Charakter und eine schwärmerische Sehnsucht nach Romantik aus, die sie in diversen Biedermeierzimmern in ihrer Residenz auslebt.[12] Erich geht mehr nach der Mutter und interessiert sich für Kultur, Kunst und Literatur. »Sein Verlangen, Philosophie und Literatur zu studieren«, wird vom Vater aber als »lächerlich« und nutzlos abgetan, sodass sich Erich »selbstverständlich dem Willen seines Vaters beugt und statt der brotlosen Geisteswissenschaften Volkswirtschaft studiert«.[13] So wird Pflichtbewusstsein zur dominierenden Kraft in Erichs Leben und mit ihm »ersetzte er sein Defizit an Realismus, Kraft und Durchsetzungsvermögen«.[14]

Als Else mit Angelika schwanger wird, soll der Zustand zunächst vor den Eltern Erich Schrobsdorffs verheimlicht werden. Angelika Schrobsdorff macht diesen Zustand während der Schwangerschaft ihrer Mutter mitverantwortlich für die Ängste und Neurosen, die sie ihr ganzes Leben begleitet haben. Als die Schwangerschaft nicht mehr zu verbergen ist, schiebt Erich seine Geliebte zunächst in die Schweiz nach Lugano ab, wo sie auf die Geburt warten soll. Enttäuscht von Erichs Mangel an Rückgrat, beugt sich Else seinen Wünschen und muss erkennen, dass Erich tatsächlich glaubt, er tue hiermit das Beste für sie. Doch wie immer entscheidet Else selbst. Kurz vor Weihnachten 1927 beschließt sie, nach Berlin zurückzureisen und ihr Kind dort zur Welt zu bringen. Sie fährt über Freiburg im Breisgau, wo am Heiligabend unerwartet die Wehen einsetzen. Ihre Tochter wird als »Christkind« geboren und erhält so den laut Else symbolbeladenen Namen Angelika (den diese selbst im Alter von 80 Jahren noch immer als »schrecklich« bezeichnet).[15]

Annemarie und Alfred Schrobsdorff mit den Enkelkindern, Berlin, um 1935

Erich Schrobsdorff, um 1938

Die ersten Jahre ihres Lebens verbringt Angelika mit Mutter und Geschwistern in Berlin-Wannsee, in der Lindenstraße. Oft wird sie von den Großeltern »Omutter und Opapa Kirschner« betreut, die dort einziehen und sich um die Enkel kümmern, wenn Else mit Erich Schrobsdorff auf Reisen ist. Erst als Angelika drei Jahre alt ist, wird aus Else Schwiefert im Jahr 1930 Frau Else Schrobsdorff – eine Heirat, die nur durch die Existenz Angelikas möglich geworden ist. Else triumphiert. Sie trägt Angelika einem Siegeszug gleich »wie eine Trophäe … in das Haus der Schrobsdorffs«.[16] Die nachfolgend beschriebenen Gedanken verdeutlichen die Bedeutsamkeit dieses Schrittes für Else, die sich dadurch endlich als gesellschaftlich legitimiert empfindet: »Sie hatte jetzt einen ihr angetrauten Ehemann, er eine legale Ehefrau und Tochter, Angelika einen legitimen Vater, Bettina und Peter einen tadellosen Stiefvater, Minna und Daniel einen liebenswürdigen Schwiegersohn, Annemarie und Alfred senior die erste Schwiegertochter und das erste Enkelkind. Jeder hatte, was er wollte und brauchte, außer Erichs Vater, der nicht unbedingt eine Jüdin als Schwiegertochter gebraucht, und Elses Sohn, der unter keinen Umständen einen Stiefvater gewollt hatte. Aber das spielte keine Rolle. Hauptsache, es herrschte Ordnung, und die herrschte jetzt und wurde noch weiter untermauert.«[17]

Angelika Schrobsdorff, Berlin, um 1929

Angelika Schrobsdorff mit »Opapa« Daniel Kirschner, Berlin, um 1931

Von Wannsee zieht die Familie nun in die Hubertusallee im Bezirk Grunewald. Angelika Schrobsdorff darf hier eine kurze, aber glückliche Kindheit verbringen, verwöhnt, geliebt und beschützt. Klammert sie sich zunächst noch nur an die Mutter, beginnt sie bald, den Vater zu verehren und zu lieben. Er ist kein herzlicher Vater, der sein Kind hätschelt und mit ihr herumtollt. Es liegt ihm mehr, seine Distanz und Form zu wahren, sich nicht nur distinguiert zu kleiden, sondern sich auch mit seinem Kind wie mit einer Erwachsenen zu unterhalten. »Man konnte ihn nicht mit dieser wilden Klammeräffchenliebe lieben wie die Mutter oder sich so tief und warm geborgen fühlen wie bei den Großeltern Kirschner oder um etwas weinen und betteln wie bei Gertrud [der Haushälterin]. Man konnte ihn nur aus einer gewissen Distanz anschwärmen.«[18] Erich Schrobsdorff zeigt seine Liebe eher über materielle Dinge. »Ich hatte alles, was ich mir wünschte«, erinnert sie sich in der Film-Dokumentation Ein Leben lang Koffer von Irmgard von zur Mühlen.[19] Die Wünsche werden ihr förmlich von den Lippen abgelesen. Nur Elisabeth, die Köchin der Familie, lässt sich von der kleinen Angelika nicht einwickeln; sie »war die einzige Person, die wusste, wie ich zu behandeln war, und hätten meine Eltern ihre Erziehungsmethoden nicht immer wieder unterminiert, wäre ich wahrscheinlich ein weniger kompliziertes Kind gewesen und geworden«.[20]

Peter und Bettina Schwiefert, mit »Opapa« Daniel Kirschner und Angelika ­Schrobsdorff, Berlin-Wannsee, um 1930

Dora Taslakova (li.) und Else Schrobsdorff mit Tochter Angelika, Berlin-Wannsee, 1932

Hubertusallee 39, damals Haus von Erich Schrobsdorff angemietet, Berlin, 2015

Dass Elses Sieg über den Widerstand der Schrobsdorffs bitter sein würde, stellt sich erst später heraus. Aus einem chaotischen, aber glücklichen Leben wird in den festgefahrenen Strukturen und strengen Ritualen der Schrobsdorffschen Traditionen Routine, »ein laues, stilles Wasser ohne Tiefen, ohne Wirbel, ohne Klippen«,[21] so schwer zu ertragen, dass sie nur noch mit Barbituraten schlafen kann und zu Zornausbrüchen und cholerischen Anfällen neigt. Angelika Schrobsdorff beginnt, ihre Mutter in diesen Momenten zu fürchten.

»Landhaus Schrobsdorff«, Hörningweg 2, Pätz, 2015

»Landhaus Schrobsdorff«, Pätz, 2015

Erich Schrobsdorff vor dem Landhaus, Pätz, um 1932

Angelika Schrobsdorff mit Pony »Mucki«, Landhaus Pätz, um 1936

Wohnzimmer im Landhaus Pätz, 2015

Treppe im Landhaus Pätz, 2015

Angelika Schrobsdorff, Ilse Hirsch, Else Schrobsdorff (liegend) mit Walter Hirsch und Erich Schrobsdorff, Landhaus Pätz, um 1935

Trotzdem sind für Angelika die Strukturen und die Nähe zu beiden Eltern wichtige Ankerpunkte der Kindheit. Als sie, fünfjährig, beschließt, Gutsbesitzerin zu werden, setzt sie bei ihrem Vater einen Denkprozess in Gang, der dazu führt, dass er für die Familie das Landhaus Pätz südlich von Berlin erwirbt. »Ich hatte alles, was ich mir wünschte, was eine große Rolle damals als Kind für mich spielte. Meine Tiere, meine Ponys, meine Hunde. Alles, was ich wollte.«[22] Nicht nur für Angelika ist Pätz ein Ort und eine Zeit des Glücks, auch für ihre Mutter wird das Landhaus ein Wendepunkt; hier kann sie sich den Zwängen der preußischen Ordnung entziehen und sich ein Stück Freiheit zurückerobern.

»Pätz wurde ein Dorado für viele. Freunde brachten Bekannte mit und Bekannte Freunde, Frauen ihre heimlichen Liebhaber und Männer ihre neuesten Geliebten, Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Spielkameraden. Man lag in der Sonne, badete im See, spielte Boccia und Krocket, amüsierte sich auf harmlose und harmvolle Weise, fand sich, trennte sich, verliebte sich, betrog sich, verkrachte sich, versöhnte sich.«[23]

Else entfernt sich innerlich immer mehr von Erich Schrobsdorff, der bitter enttäuscht ist von ihr, und lebt »trotz hoher Intelligenz, Erfahrung und sporadischer Einsicht, nur aus einem Wust an Gefühlen und Trieben heraus«,[24] schreibt Angelika Schrobsdorff in Du bist nicht so wie andre Mütter. Für Angelika ist Pätz der Ort, an dem sie mit der Natur eins ist, unbeschwert auf Bäume klettern, auf der Schaukel »in den Himmel fliegen«,[25] im See schwimmen, mit Hühnern, Ziegen, Schweinen und Ponys leben kann. Hier kann sie den Geschwistern ohne Rivalität nahe sein, begegnet sie das erste Mal dem Tod in Form eines geschlachteten Zickleins und kann sie noch ein »kindliches, ahnungsloses Glück« erfahren, ohne jegliche Ahnung, was die Zukunft für sie bringen wird.[26]

Angelikas Verhältnis zu ihren Großeltern mütterlicherseits ist sehr eng und herzlich. Sie weiß weder, dass sie Juden sind, »noch, was es heißt jüdisch zu sein«.[27] Angelikas Familie pflegt keinen Umgang mit Juden und sie wird vollständig in christlicher Umgebung aufgezogen. Die politischen und sozialen Änderungen, die sich in Deutschland nach 1933 ergeben, bezieht die Familie einfach nicht auf sich und auch später hält »man dieses Wissen von mir fern, wie eine gefährliche ansteckende Krankheit«,[28] das Thema scheint zu heikel für ein Kind.

Angelika stellt keine Fragen, hält die Worte der Eltern für unantastbar und erkennt erst später, dass ihre Eltern Meister in der Kunst des Verschleierns waren und die Realität aus einem Leben der schönen Gedanken und Worte verdrängten, in dem es weder Juden noch Nazis gab. Erich Schrobsdorff nimmt die Nationalsozialisten nicht ernst und erkennt die Gefahr, die sie für seine Familie bedeuten, erst viel zu spät. Frau und Kinder werden Opfer seiner Fehleinschätzung der Lage: »Man lässt sich nicht auf die widerwärtige Denkweise des Pöbels ein«, versichert Erich seiner Frau im Jahr 1933 am Tag des Judenboykotts der neuen Machthaber; das genaue Ausmaß seiner Naivität wird erst im Nachhinein erkennbar: »Aber verlass Dich darauf, das, was sie sich heute erlaubt haben, erlauben sie sich nicht ein zweites Mal. Sie haben sich damit selber die Kehle durchgeschnitten. Hitler, dieser kriminelle Ladenschwengel mit der Schmalzlocke, ist so gut wie tot. Da machen die Deutschen nicht mit.«[29] Doch selbst vor seinen Brüdern machen die Entwicklungen nicht halt. Walter Schrobsdorff wird Parteimitglied und Offizier der Wehrmacht, auch die Großeltern Schrobsdorff beugen sich langsam dem Druck der Nationalsozialisten. Erich aber, so stellt Elses Freundin Ilse Hirsch fest, »lebte in einer anderen Welt«,[30] nicht bereit, den Tatsachen ins Auge zu schauen.

Bereits 1935 ist die Ehe von Else und Erich Schrobsdorff de facto zerrüttet. Man trennt sich einvernehmlich, und sie zieht mit den Kindern nach Wannsee. Angelika ist noch zu klein, um die Situation zu überblicken. Ihre Verwirrung wird zerstreut, als der Vater ihr einen Hund und die Mutter einen Wellensittich schenkt. Die beiden Tiere ziehen die Aufmerksamkeit der Tochter auf sich und lenken sie ab. Angelika wird in der Wannseer Schule angemeldet und freundet sich ausgerechnet mit einem Archetyp der Hitlerjugend an. Angelikas Mutter ist geschockt, als das Mädchen sie zum ersten Mal in BDM-Uniform besucht. Beide Mädchen vertiefen aber ihre Freundschaft, getragen von einer kindlichen Unschuld, in der sie am Leben der anderen teilhaben, in der »Karin, das große stramme Hitlermädchen … aus mir und ich, der kleine komplizierte Mischling, … aus ihr ein neues, glückliches Kind« macht. »Das war im Jahr 1936.«[31]

Erst in den Jahren kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – mit Inkrafttreten von mehr und mehr antisemitischen Gesetzen – dringt der Gedanke einer Gefahr in das Bewusstsein der Eltern von Angelika Schrobsdorff. Wie lange würde Else geschützt sein durch ihre Ehe mit Erich und ein gemeinsames Kind? Trotzdem versucht man, sich immer wieder mit beruhigenden Mantras nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »… nicht, dass [Else] oder den Kindern Gefahr drohe, auch nicht ihren Eltern, den alten Leutchen, aber« man solle doch Überlegungen anstellen, was im Notfall zu tun wäre, äußert Erich Schrobsdorff. »Nichts wird so heiß gegessen wie gekocht und die Sache wird sich schon wieder beruhigen«, versucht Opapa Daniel Kirschner sie zu beruhigen.[32] Die Warnungen ihres inzwischen erwachsenen Sohnes Peter Schwiefert, der als einziger die Wahrheit erkennt und weitsichtig voraussieht, wie sich die Dinge entwickeln werden, hält Else zunächst für maßlose Übertreibungen. Sie tut ihn als Spinner und Phantasten ab.

Erst als die jungen Schrobsdorffs von Erichs Mutter mit Parteiabzeichen auf der Bluse begrüßt werden und Erichs Bruder Alfred Else rät, ihre eigenen Eltern in Sicherheit zu bringen, »um zu verhindern, dass die Nazis etwas mit ihnen machen«,[33] führt Else ein ernstes Gespräch mit ihrem Noch-Ehemann. Sie beginnt die unmögliche Situation, in der sie sich mit ihren Kindern befindet, zu erkennen: »Jetzt war der Boden unter Elses Füßen ganz weg, und sie hatte das Gefühl, auf hoher See zu sein. Schwindel und Ekel wechselten mit Resignation und Indifferenz. Berlin begann sie anzuwidern. Es röchelte im Würgegriff der Nazis, und ein neues, teutonisches Berlin voller Fahnen und Paraden, Uniformen und treudeutscher Kleidung, Schillerscher Dramen und Wagnerschem Getöse, erhobener Arme und zusammenschlagender Hacken wurde geboren. Nein, es war nicht mehr ihr Berlin, aus dem man ihre Wurzeln riss …«[34]