Antarctica - Steve Berry - E-Book

Antarctica E-Book

Steve Berry

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Beschreibung

Nach Jahrzehnten bekommt Ex-Bundesagent Cotton Malone Einsicht in die Akten seines verstorbenen Vaters. Malone wusste zwar, dass er in einem U-Boot starb, doch nichts von den mysteriösen Umständen, die zu seinem Tod unter dem ewigen Eis der Antarktis führten. Vom Südpol bis nach Aachen macht sich Malone auf die Suche nach der Wahrheit. Doch welche Rolle spielen dabei die geheimen Schriften, die er im Grab von Karl dem Großen findet? Und wer sind seine Verfolger, die offenbar vor nichts zurückschrecken?

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Seitenzahl: 731

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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »The Charlemagne Pursuit« bei Ballantine Books, New York.
Die Übersetzung des vorangestellten Laotse-Zitats stammt aus: Laozi, Tao-te-king: das Buch vom Sinn und Leben / Laotse. Übers. und mit einem Kommentar von Richard Wilhelm. 9. Aufl. der Neuausgabe, München: Diederichs 1995 (© Eugen Diederichs Verlag, München 1978).
Copyright © der Originalausgabe by Steve Berry 2008 Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München. This translation published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, a division of Random House, Inc. Copyright © Vaynich Manuskript, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University. Covergestaltung: HildenDesign, München Covermotiv: © Artwork Johannes Wiebel/HildenDesign unter Verwendung von Motiven von Thomas Desloges/Shutterstock; JOSE ALBERTO TEJO/Shutterstock Redaktion: Werner Bauer ED · Herstellung: sam Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-15594-0V002
www.blanvalet.dewww.penguinrandomhouse.de

Buch

Als er noch ein Kind war, erzählte man dem ehemaligen Agenten Cotton Malone, dass sein Vater bei einer U-Boot-Explosion im Nordatlantik starb. Aber was er jetzt erfährt, schockiert ihn: Das U-Boot seines Vaters war mit einem geheimen Kernreaktor ausgestattet und ging während einer gefährlichen Mission unter dem ewigen Eis der Antarktis verloren.

Die Zwillingsschwestern Dorothea Lindauer und Christl Falk sind ebenfalls fest entschlossen herauszufinden, was mit ihrem Vater passierte, der im selben U-Boot starb – und sie wissen etwas, das Malone ignoriert: Nachdem Nazi-Offiziere rätselhafte Symbole im Grab von Karl dem Großen entdeckt hatten, erforschten sie noch vor den Amerikanern die Antarktis, um ein Geheimnis zu lüften, das die Zukunft der Menschheit für immer verändern sollte. Mit der Hilfe der zwei Schwestern macht sich Malone auf die Suche nach der rätselhaften »Sprache des Himmels«, die von einem alten Historiker entdeckt wurde und der Grund war, warum Malones Vater die gefährliche Mission akzeptierte. Vom Südpol bis nach Aachen versucht Cotton herauszufinden, wer den Tod seines Vaters vertuschen will und was die geheimen Schriften im Grab von Karl dem Großen mit einer verschollenen Zivilisation verbindet. Allerdings scheint er nicht der Einzige zu sein, der sich für diesen Fall interessiert, und seine Gegner schrecken vor Mord nicht zurück …

Autor

Steve Berry war viele Jahre als erfolgreicher Anwalt tätig, bevor er seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Mit jedem seiner hoch spannenden Thriller stürmt er in den USA die Spitzenplätze der Bestsellerliste. Steve Berry lebt mit Frau und Tochter in Camden County, Georgia.

Inhaltsverzeichnis

Über den AutorWidmungPrologERSTER TEIL
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TEIL ZWEI
16171819202122232425262728293031323334353637
TEIL DREI
383940414243444546474849505152535455565758
TEIL VIER
596061626364656667686970717273
TEIL FÜNF
747576777879808182838485868788899091929394
Anmerkungen des AutorsDankCopyright

Für Pam Ahearn und Mark Tavani, die Träume wahr machen.

Studiere die Vergangenheit, wenn du die Zukunft kennenwillst.

– Konfuzius

Die vor alters tüchtig waren als Meister,waren im Verborgenen eins mit den unsichtbaren Kräften.Tief waren sie, so dass man sie nicht kennen kann.Weil man sie nicht kennen kann,darum kann man nur mit Mühe ihr Äußeres beschreiben.Zögernd, wie wer im Winter einen Fluss durchschreitet,vorsichtig, wie wer von allen Seiten Nachbarn fürchtet,zurückhaltend wie Gäste,vergehend wie Eis, das am Schmelzen ist,einfach wie unbearbeiteter Stoff.

– Laotse (604 v. Chr.)

Wer sein Haus zerrüttet, der wird Wind erben.

– Sprüche 11, 29

Prolog

November 1971

Der Alarm schrillte, und Forrest Malone schreckte auf.

»Tiefe?«, rief er.

»Zweihundert Meter.«

»Was liegt unter uns?«

»Weitere siebenhundert Meter kaltes Wasser.«

Angespannt sah er auf die Messanzeigen, Messuhren und Thermometer. In der winzigen Kommandozentrale saß der Seitenrudergänger zu seiner Rechten und der Tiefenrudergänger eingeklemmt zu seiner Linken; beide Männer hatten die Hände um Steuerknüppel gelegt. Die Stromversorgung ging an und aus.

»Auf zwei Knoten verlangsamen.«

Das U-Boot schlingerte im Wasser.

Das Alarmsignal verstummte. In der Kommandozentrale war es plötzlich dunkel.

»Captain, Meldung aus dem Reaktorraum. Bei einem der Regelstäbe hat es einen Kurzschluss gegeben.«

Malone begriff, was passiert war. Der in die störanfällige Anlage eingebaute Sicherheitsmechanismus hatte automatisch die anderen Regelstäbe einfahren lassen – die Schnellabschaltung des Reaktors war eingeleitet worden. Nun gab es nur noch eine mögliche Reaktion. »Auf Batterien umschalten.«

Matte Notleuchten gingen an. Flanders, Malones Leitender Ingenieur und ein energischer und tüchtiger Mann, auf den er sich verlassen konnte, trat in die Kommandozentrale. Malone sagte: »Schießen Sie los, Tom.«

»Ich weiß nicht, wie schwer der Zwischenfall ist oder wie viel Zeit wir zur Reparatur benötigen werden, aber wir müssen den Stromverbrauch senken.«

Die Stromerzeugung war auch schon früher zusammengebrochen, sogar schon mehrere Male, und Malone wusste, dass sie mit Batterien bei vorsichtigem Gebrauch noch für zwei Tage Strom hatten. Auf genau diese Art von Situation hatte seine Mannschaft sich durch rigoroses Training vorbereitet, aber nach einer Notabschaltung musste der Reaktor laut Handbuch innerhalb einer Stunde wieder hochgefahren werden. Falls mehr Zeit verging, musste das Boot zum nächstgelegenen Hafen gebracht werden.

Der aber lag über zweitausend Kilometer entfernt.

»Schaltet alles ab, was wir nicht brauchen«, sagte Malone.

»Captain, es wird schwer werden, das Boot im Gleichgewicht zu halten«, bemerkte der Seitenrudergänger.

Malone kannte das Archimedische Prinzip. Ein Objekt, das genau so viel wog wie eine Wassermenge gleichen Volumens, sank nicht, noch stieg es auf. Vielmehr schwebte es im Wasser. Jedes U-Boot funktionierte nach diesem grundlegenden Prinzip und wurde mit Antriebsmaschinen, die für den nötigen Schub sorgten, unter Wasser manövriert. Ohne Elektrizität hatten sie keinen Antrieb, kein Tiefenruder und konnten keine Fahrt machen. All diesen Problemen wäre durch das Aufsteigen an die Wasseroberfläche leicht zu begegnen gewesen, aber über ihnen war nicht der offene Ozean. Sie steckten unter einer Eisdecke fest.

»Captain, der Maschinenraum meldet ein kleineres Leck im Rohrleitungssystem.«

»Ein kleineres Leck?«, fragte Malone. »Gerade jetzt?«

»Es wurde schon früher entdeckt, aber jetzt, da die Stromversorgung zusammengebrochen ist, wird um die Genehmigung gebeten, ein Ventil zu schließen, um das Leck zu unterbinden, damit ein Schlauch ersetzt werden kann.«

Logisch. »Genehmigt. Und ich hoffe, das waren jetzt die letzten schlechten Nachrichten.« Er wandte sich dem Sonarmann zu. »Ist vor uns irgendetwas?«

U-Boot-Mannschaften lernten von denen, die vor ihnen die Meere befahren hatten, und die Ersten, die mit zugefrorenen Meeren gekämpft hatten, hatten zwei Lektionen weitergegeben: Fahre niemals gegen irgendetwas Gefrorenes, wenn es nicht sein muss. Wenn es sich aber nicht vermeiden lässt, fahre langsam mit dem Bug gegen das Eis, schiebe sanft und bete.

»Voraus ist alles klar«, meldete der Sonarmann.

»Wir beginnen zu treiben«, sagte der Seitenrudergänger.

»Gegensteuern. Aber Vorsicht mit dem Energieverbrauch.«

Plötzlich schoss der Bug des U-Boots nach unten.

»Was zum Teufel …?«, murmelte Malone.

»Hecktiefenruder haben sich auf Abtauchen gestellt«, schrie der Tiefenrudergänger, der aufsprang und heftig am Steuerknüppel zerrte. »Sie reagieren nicht.«

»Blount!«, brüllte Malone. »Helfen Sie ihm.«

Der Angerufene kam aus dem Sonarraum gestürmt und eilte dem Tiefenrudergänger zu Hilfe. Die Abwärtsfahrt wurde noch steiler. Malone hielt sich am Kartentisch fest, während alles, was nicht befestigt war, lawinenartig vorwärtsstürzte.

»Tiefenrudernotkontrolle!«, brüllte Malone.

Die Abwärtsfahrt wurde noch steiler.

»Über fünfundvierzig Grad Neigung«, meldete der Seitenrudergänger. »Tiefenruder ist noch immer auf Abtauchen gestellt. Es funktioniert nicht.«

Malone packte den Tisch fester und kämpfte um sein Gleichgewicht.

»Dreihundert Meter, und es geht noch weiter nach unten.«

Die Tiefenanzeige änderte sich so schnell, dass die Ziffern verschwammen. Das Boot war bis tausend Meter tauchfähig, aber der Meeresgrund näherte sich rasch, und der Außendruck des Wassers stieg – wenn es zu schnell ging, würde der Rumpf implodieren. Aber die Aussicht, mit voller Fahrt den Meeresgrund zu rammen, war auch nicht gerade angenehm.

Es blieb nur noch ein einziger Ausweg.

»Notgang rückwärts. Alle Ballasttanks anblasen.«

Das Boot erzitterte, als die Maschinerie Malones Kommando gehorchte. Die Propeller drehten in die Gegenrichtung und Druckluft donnerte in die Tanks und drängte das Wasser hinaus. Der Seitenrudergänger hielt den Steuerknüppel fest. Der Tiefenrudergänger bereitete sich auf das vor, was, wie Malone wusste, gleich bevorstand.

Das Boot bekam wieder Auftrieb.

Die Fahrt nach unten verlangsamte sich.

Der Bug wanderte nach oben, bis das Schiff wieder horizontal lag.

»Balancieren Sie das Boot aus«, befahl Malone. »Halten Sie uns im Schwebezustand. Ich will nicht aufsteigen.«

Der Tiefenrudergänger reagierte auf sein Kommando.

»Wie weit noch bis zum Meeresgrund?«

Blount kehrte in den Sonarraum zurück. »Siebzig Meter.«

Malones Blick schoss zur Tiefenanzeige hinüber. Achthundert Meter. Der Rumpf ächzte unter dem Druck, hielt aber stand. Sein Blick heftete sich auf die Öffnungsanzeigen. Die Signalleuchten zeigten, dass alle Ventile geschlossen waren und dass es keine Lecks gab. Endlich einmal eine gute Nachricht.

»Setzen Sie uns ab.«

Der Vorteil, den dieses U-Boot gegenüber anderen besaß, bestand darin, dass es auf dem Meeresgrund ruhen konnte. Das war einfach nur eine von vielen Besonderheiten des U-Boots – so wie das ärgerlich heikle Antriebs- und Steuerungssystem, dessen Schwächen ihnen gerade eben eindringlich vor Augen geführt worden waren.

Das U-Boot setzte auf dem Meeresgrund auf.

Alle in der Kommandozentrale wechselten Blicke. Keiner sagte etwas. Das war auch nicht nötig. Malone wusste, was sie dachten: Das war knapp.

»Wissen wir, was passiert ist?«, fragte er.

»Der Maschinenraum meldet, dass beim Schließen des Ventils für die Reparatur die normale Steuerung, die Notsteuerung und die Tauchsysteme ausgefallen sind. Das ist noch nie zuvor passiert.«

»Könnten Sie mir etwas erzählen, was ich nicht schon weiß?«

»Das Ventil ist jetzt wieder geöffnet.«

Er lächelte über die ausweichende Antwort seines Leitenden Ingenieurs: Wenn ich mehr wüsste, würde ich es Ihnen sagen. »Okay, sagen Sie den Leuten, dass sie die Reparatur durchführen sollen. Was ist mit dem Reaktor?«

Beim Kampf gegen den unerwarteten Tauchvorgang hatten sie bestimmt massenhaft Batteriestrom verbraucht.

»Noch immer abgeschaltet«, antwortete der Erste Offizier.

Die Stunde, die ihnen für den Neustart des Systems zur Verfügung stand, verstrich schnell.

»Captain!«, rief Blount aus dem Sonarraum. »Wir haben außerhalb des Rumpfs etwas entdeckt. Mehrere feste Objekte. Wir scheinen in einem Feld von Gesteinsbrocken zu liegen.«

Malone beschloss, ein wenig Strom zu opfern. »Kameras und Außenleuchten anschalten. Aber nur ein kurzer Blick, dann machen wir wieder aus.«

Die Videomonitore schalteten sich ein und zeigten klares Wasser, in dem hier und da etwas Lebendiges schwamm. Das U-Boot war von Gesteinsbrocken umgeben, die kreuz und quer auf dem Meeresgrund verstreut lagen.

»Merkwürdig«, sagte einer der Männer.

Auch Malone war es aufgefallen. »Das sind keine Gesteinsbrocken. Es sind behauene Steine. Und zwar große. Kuben und Würfel. Zoomen Sie einen heran.«

Blount bediente die Schalter und richtete die Kamera auf einen der Steine aus.

»Heilige Scheiße«, sagte der Erste Offizier.

In den Stein war etwas eingraviert. Keine Schrift, die Malone kannte. Es war ein abgerundeter, fließender Kursivstil. Einzelne Buchstaben wirkten wie zu Worten zusammengruppiert, aber er konnte nichts lesen.

»Auf den anderen Steinblöcken steht auch etwas«, sagte Blount, und Malone studierte die restlichen Bildschirme.

Sie waren von Verfall umgeben, und die Steinblöcke ragten um sie herum auf wie Geister.

»Schalten Sie die Kameras aus«, befahl Malone. Im Moment war der schwindende Energievorrat seine Hauptsorge, nicht die Neugierde. »Können wir hier ungefährdet liegen bleiben?«, fragte er.

»Wir haben auf einer freien Stelle aufgesetzt«, erklärte Blount. »Alles ist in Ordnung.«

Ein Alarmsignal ertönte. Malone erkannte auf der Anzeige, dass es um die Elektrik ging.

»Captain, Sie werden vorn gebraucht!«, schrie der Erste Offizier über das Fiepen hinweg.

Malone stolperte aus der Kommandozentrale und hastete zu der Leiter, die in den Turm hinaufführte. An deren Fuß stand schon sein Leitender Ingenieur.

Das Alarmsignal verstummte.

Er spürte Hitze, und seine Augen hefteten sich auf das Deck. Nichts Gutes ahnend, bückte er sich und berührte ganz leicht das Metall: höllisch heiß. Das war nicht gut. Unter der Abdeckung lagen hundertfünfzig Silber-Zink-Batterien in einem Aluminiumschacht. Aus bitterer Erfahrung wusste er, dass deren Anordnung weit eher künstlerischen als wissenschaftlichen Gesichtspunkten genügte. Es gab ständig Pannen.

Eine nach der anderen löste ein Maschinist vier Schrauben, welche die Abdeckung an Ort und Stelle fixierten. Diese wurde entfernt, und darunter kam eine wirbelnde Rauchwolke zum Vorschein. Malone begriff sofort, wo das Problem lag: Die Kaliumhydroxidlösung in den Batterien war übergelaufen.

Wieder einmal.

Krachend wurde die Abdeckung wieder eingesetzt. Aber das würde ihnen nur einige wenige Minuten erkaufen. Bald würde das Ventilationssystem den beißenden Qualm im ganzen U-Boot verteilen, und da sie nicht lüften konnten, würden sie bald alle tot sein.

Malone rannte in die Kommandozentrale zurück.

Er wollte nicht sterben, aber ihre Optionen schwanden rasch. Seit sechsundzwanzig Jahren diente er auf U-Booten – sowohl auf diesel- als auch auf atomgetriebenen. Nur einer von fünf Bewerbern schaffte es auf die U-Bootsschule der Marine, denn körperliche Untersuchungen, psychologische Interviews und Reaktionstests loteten die Grenzen der Rekruten aus. Die silbernen Delphine hatte ihm sein erster Kapitän angesteckt, und er selbst hatte diese Ehre seitdem vielen angehenden Offizieren erwiesen.

Er wusste also Bescheid.

Das Spiel war aus.

Sonderbarerweise erfüllte ihn nur ein einziger Gedanke, als er die Kommandozentrale betrat und sich darauf vorbereitete, wenigstens so zu tun, als hätten sie eine Chance. Der Gedanke an seinen Sohn. Der war zehn Jahre alt. Und würde ohne Vater aufwachsen.

Ich liebe dich, Cotton.

ERSTER TEIL

1

Garmisch, DeutschlandDienstag, 11. Dezember, Gegenwart13.40 Uhr

Cotton Malone hasste es, eingeschlossen zu sein.

Sein derzeitiges Unbehagen wurde noch dadurch gesteigert, dass die Gondel der Seilbahn gerammelt voll war. Die meisten Passagiere hatten Urlaub, waren farbenfroh gekleidet und hatten Skier und Skistöcke geschultert. Alle möglichen Nationen waren vertreten. Einige Italiener, ein paar Schweizer, eine Handvoll Franzosen, aber überwiegend Deutsche. Er war als einer der ersten Passagiere eingestiegen und hatte sich, um sein Unbehagen zu bekämpfen, an eines der vereisten Fenster gestellt. Dreitausend Meter weiter oben zeichnete sich die näher kommende Zugspitze als Silhouette vor dem stahlblauen Himmel ab; der eindrucksvolle graue Gipfel war mit spätherbstlichem Schnee bedeckt.

Es war nicht klug gewesen, diesem Ort zuzustimmen.

Die Gondel setzte ihre schwindelerregende Fahrt fort und kam an einer von mehreren Stahlstützen vorbei, die aus den zerklüfteten Felsen aufragten.

Er war entnervt und nicht nur wegen des Gedränges in der Gondel. Oben auf Deutschlands höchstem Gipfel erwarteten ihn die Geister der Vergangenheit. Er hatte diese Begegnung seit Jahrzehnten vermieden. Menschen wie er, die ihre Vergangenheit so entschlossen begraben hatten, sollten ihr nicht so mir nichts, dir nichts wieder aus dem Grab helfen.

Und doch tat er jetzt genau das.

Die Vibrationen hörten auf, als die Gondel in die Gipfelstation einfuhr und hielt.

Die mit Skiern beladenen Fahrgäste strömten zu einer anderen Bergbahn, die sie weiter abwärts in ein Bergtal bringen würde, wo ein Chalet und Skihänge auf sie warteten. Malone fuhr nicht Ski, das hatte er noch nie getan und hatte es auch in Zukunft nicht vor.

Das Besucherzentrum war mit einem gelben Schild als Münchner Haus gekennzeichnet. Die eine Hälfte des Gebäudes wurde von einem Restaurant eingenommen, in der anderen befanden sich ein Vortragssaal, ein Imbiss, Andenkenläden und eine meteorologische Beobachtungsstation.

Er schob sich durch die dicken Glastüren und trat auf eine von einer Brüstung eingefasste Terrasse. Die frische Alpenluft stach ihm in die Lippen. Stephanie Nelle zufolge sollte seine Kontaktperson ihn auf der Aussichtsplattform erwarten. Eines war offensichtlich. Die fast dreitausend Höhenmeter verliehen diesem Treffen zweifellos eine zusätzliche private Note.

Die Zugspitze lag an der Grenze. Südwärts in Richtung Österreich erhob sich eine Kette verschneiter Felsgipfel. Im Norden erstreckte sich ein von Felsspitzen umschlossenes Tal. Ein eisiger Nebelschleier verbarg das deutsche Städtchen Garmisch mit dem dazugehörigen Partenkirchen vor den Blicken. Beide Orte waren Sport-Mekkas, und in der Region waren nicht nur Skifahren, sondern auch Bobschlittenfahren, Eislauf und Eisstockschießen im Angebot.

Weitere Sportarten, die Malone immer gemieden hatte.

Die Aussichtsplattform lag verlassen da, abgesehen von einem älteren Paar und ein paar Skifahrern, die offensichtlich um des schönen Ausblicks willen hier Halt machten. Malone war hierhergekommen, um ein Geheimnis zu lüften, das ihm auf der Seele lag, seit die Männer in Uniform damals gekommen waren, um seine Mutter über den Tod ihres Mannes zu informieren.

»Der Kontakt mit dem Unterseeboot ist vor achtundvierzig Stunden verloren gegangen. Wir haben Such- und Rettungsschiffe in den Nordatlantik geschickt, die die letzte bekannte Position abgesucht haben. Wrackteile wurden vor sechs Stunden gefunden. Wir haben mit der Benachrichtigung der Familien gewartet, bis wir sicher sein konnten, dass es keine Überlebenden gibt.«

Seine Mutter hatte nicht geweint. Das war nicht ihre Art. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht niedergeschmettert war. Es dauerte Jahre, bevor ihm als Jugendlichem die ersten Fragen kamen. Die Regierung bot ihnen praktisch keine Erklärung an, die über die offiziellen Verlautbarungen hinausging. Als er bei der Marine anfing, hatte er versucht, Zugang zum Bericht der mit dem Untergang des U-Bootes befassten Untersuchungskommission zu bekommen, hatte aber erfahren müssen, dass dieser streng geheim war. Später, als Agent des Justizministeriums, der auch vertrauliche Dokumente einsehen konnte, hatte er es erneut versucht. Wieder ohne Erfolg. Als Gary, sein fünfzehnjähriger Sohn, in diesem Sommer zu Besuch gekommen war, hatte Malone sich mit neuen Fragen konfrontiert gesehen. Gary hatte mehr über seinen Großvater erfahren wollen und hatte sich besonders für dessen Tod interessiert. Die Presse hatte über den Untergang der USS Blazek im November 1971 berichtet, und so hatten sie viele der alten Artikel im Internet nachgelesen. Ihre Unterhaltungen hatten seine alten Zweifel wieder aufleben lassen – und zwar so stark, dass er schließlich beschlossen hatte, etwas zu unternehmen.

Er steckte die geballten Fäuste in die Taschen seines Parkas und ging über die Aussichtsterrasse.

Bei der Brüstung waren Teleskope aufgestellt. Vor einem davon stand eine Frau, deren dunkles Haar zu einem wenig vorteilhaften Knoten aufgesteckt war. Sie war in ein knalliges Outfit gekleidet, hatte Skier und Skistöcke neben sich abgestellt und betrachtete das tiefer gelegene Tal.

Er ging unauffällig hinüber. Eine Regel hatte er schon vor langer Zeit gelernt: nie etwas überstürzen. Das brachte nur Ärger.

»Eine eindrucksvolle Aussicht«, sagte er.

Sie drehte sich um. »Unbedingt.«

Ihr Teint war zimtbraun, was in Verbindung mit den, wie er fand, ägyptischen Zügen um Mund, Nase und Augen auf Vorfahren aus dem Nahen Osten schließen ließ.

»Ich bin Cotton Malone.«

»Woher wussten Sie, dass ich diejenige bin, die Sie treffen sollen?«

Er deutete auf den braunen Umschlag, der auf dem Sockel des Teleskops lag. »Offensichtlich ist das keine besonders dringliche Mission.« Er lächelte. »Sind Sie einfach nur eine Botin?«

»Etwas in der Art. Ich bin zum Skilaufen hergekommen. Eine Woche Urlaub, endlich einmal. Das wollte ich immer schon mal machen. Stephanie bat mich, das hier«, sie zeigte auf den Umschlag, »mitzunehmen.« Die Frau wandte sich wieder dem Teleskop zu. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich hier noch zu Ende schaue? Es hat mich einen Euro gekostet, und ich möchte sehen, was dort unten liegt.«

Sie drehte das Teleskop und betrachtete das deutsche Tal, das sich unten über Kilometer hinzog.

»Haben Sie einen Namen?«, fragte Malone.

»Jessica«, sagte sie, das Auge immer noch ans Okular geheftet.

Er griff nach dem Umschlag.

Sie verhinderte den Zugriff mit dem Schuh. »Noch nicht. Stephanie sagte, ich solle Sie eindringlich darauf hinweisen, dass Sie beide damit quitt sind.«

Letztes Jahr hatte er seiner ehemaligen Chefin in Frankreich aus der Patsche geholfen. Zu dem Zeitpunkt hatte sie ihm gesagt, dass sie ihm einen Gefallen schulde und dass er sich dessen klug bedienen solle.

Das hatte er getan.

»Einverstanden. Die Schuld ist beglichen.«

Sie wandte sich vom Teleskop ab. Vom Wind waren ihre Wangen gerötet. »Ich habe im Magellan Billet von Ihnen gehört. Sie sind so eine Art Legende. Einer der ursprünglichen zwölf Agenten.«

»Mir war gar nicht bewusst, dass ich so beliebt bin.«

»Stephanie sagte, dass Sie auch bescheiden wären.«

Er war nicht in der Stimmung für Komplimente. Die Vergangenheit erwartete ihn. »Könnte ich die Unterlagen jetzt haben?«

Ihre Augen funkelten. »Klar.«

Er nahm den Umschlag an sich. Der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf zuckte, war die Überlegung, wie etwas so Dünnes so viele Fragen beantworten konnte.

»Das muss wichtig sein«, sagte Jessica.

Noch eine Lektion, die er gelernt hat. Übergehe Fragen, die du nicht beantworten möchtest. »Sind Sie schon lange beim Billet?«

»Seit ein paar Jahren.« Sie trat vom Teleskopsockel herunter. »Aber es gefällt mir nicht. Ich denke übers Aussteigen nach. Wie ich hörte, sind auch Sie vorzeitig ausgestiegen.«

So sorglos, wie sie sich verhielt, erschien die Kündigung ihm als ein guter Karriereschritt. Während seiner zwölf Jahre beim Billet hatte er nur drei Mal Urlaub gemacht, und während dieser Zeit war er ständig auf der Hut gewesen. Paranoia war eine der Berufskrankheiten des Agenten, und nach zwei Jahren freiwilligen Rückzugs aus diesem Leben war er noch immer nicht geheilt.

»Viel Spaß beim Skifahren«, wünschte er Jessica.

Morgen würde er nach Kopenhagen zurückfliegen. Heute wollte er noch in der Gegend bleiben und bei ein paar Läden für seltene Bücher vorbeischauen – eine Berufskrankheit seines neuen Betätigungsfeldes. Er war Buchantiquar.

Mit einem wütenden Blick griff sie nach ihren Skiern und Stöcken. »Das habe ich auch vor.«

Sie verließen die Terrasse und gingen durch das beinahe menschenleere Besucherzentrum. Jessica wandte sich dem Lift zu, der sie ins Bergtal bringen würde. Malone kehrte zur Seilbahn zurück, die ihn dreitausend Meter tiefer am Fuß des Berges absetzen sollte.

Er trat in die leere Gondel, den Umschlag in der Hand. Es gefiel ihm, dass außer ihm keiner in der Gondel war. Doch unmittelbar bevor die Tür sich schloss, eilten ein Mann und eine Frau Hand in Hand herein. Der Seilbahnwart schlug die Tür von außen zu, und die Gondel glitt langsam von der Station weg.

Malone sah aus den vorderen Fenstern.

Eingeschlossensein war schon schlimm genug. Aber in einem engen Raum eingeschlossen zu sein, das war noch schlimmer. Er litt nicht an Klaustrophobie, nein, es ging eher um ein Gefühl verwehrter Freiheit. Er hatte das bisher schon oft genug ertragen – mehr als einmal hatte er sich unter der Erde befunden  –, aber sein Unbehagen war einer der Gründe, aus denen er sich vor Jahren, als er zur Navy ging, anders als sein Vater nicht für U-Boote entschieden hatte.

»Mr. Malone.«

Er drehte sich um.

Die Frau stand da, eine Pistole in der Hand.

»Ich nehme diesen Umschlag an mich.«

2

Baltimore, Maryland09.10 Uhr

Admiral Langford C. Ramsey sprach ausgesprochen gerne zu Menschenmengen. Dass er diese Erfahrung genoss, hatte er zum ersten Mal in der Marineakademie bemerkt, und im Laufe seiner über vierzigjährigen Karriere hatte er ständig nach Möglichkeiten gesucht, diesem Vergnügen nachzugehen. Heute sprach er zur nationalen Versammlung des Kiwanis-Clubs – was für den Chef des Nachrichtendiensts der Marine ein bisschen ungewöhnlich war. Er lebte normalerweise in einer geheimen Welt aus Fakten, Gerüchten und Spekulationen, und über einen gelegentlichen Auftritt vor dem Kongress gingen seine Möglichkeiten zur öffentlichen Rede sonst nicht hinaus. Doch in jüngster Zeit war er mit dem Segen seiner Vorgesetzten verfügbarer geworden. Er sprach honorarfrei und es gab keine Restriktionen für die Presse. Je größer die Zuhörerschaft, desto besser.

Und viele hatten zugegriffen.

Dies hier war sein achter Auftritt in diesem Monat.

»Ich bin heute gekommen, um Ihnen von etwas zu erzählen, worüber Sie mit Sicherheit wenig wissen. Es war lange Zeit geheim. Amerikas kleinstes atomgetriebenes Unterseeboot.« Er sah in die aufmerksame Menge. »Jetzt fragen Sie sich bestimmt: Spinnt der? Der Chef des Nachrichtendienstes der Marine will uns von einem streng geheimen U-Boot erzählen?«

Er nickte.

»Genau das habe ich vor.«

»Captain, es gibt ein Problem«, sagte der Seitenrudergänger.

Ramsey war hinter dem Sitz des Tiefenrudergängers immer wieder eingedöst. Der U-Boot-Kapitän, der neben ihm saß, stand auf und konzentrierte sich auf die Kamerabildschirme.

Jede einzelne Außenkamera zeigte Seeminen.

»Heilige Mutter Gottes«, murmelte der Kapitän. »Sofort komplett stoppen. Keinen Zentimeter weiter.«

Der Pilot gehorchte dem Kommando und betätigte eine Reihe von Schaltern. Auch wenn Ramsey damals erst Leutnant war, wusste er doch, dass Sprengstoffe hochempfindlich wurden, wenn sie längere Zeit in Salzwasser lagen. Sie fuhren unmittelbar vor der französischen Küste über den Grund des Mittelmeeres und waren plötzlich von hochgefährlichen Überresten des Zweiten Weltkriegs umgeben. Eine einzige Berührung mit einem der Metallkörper, und NR-1 wäre nicht mehr streng geheim, sondern einfach ausradiert.

Das Boot war die spezialisierteste Waffe der Navy, von Admiral Hyman Rickover forciert und für schlappe hundert Millionen Dollar gebaut. Mit seinen nur fünfzig Metern Länge und vier Metern Breite und einer Besatzung von gerade mal elf Mann war das U-Boot zwar vergleichsweise winzig, steckte aber voller Raffinessen. Das bis tausend Meter tauchfähige Fahrzeug wurde von einem einzigartigen Reaktor angetrieben. Drei Beobachtungsfenster gestatteten eine visuelle Inspektion des Außengeländes, Scheinwerfer unterstützten zahlreiche Außenkameras. Mit Hilfe eines mechanischen Greifarms ließen sich Objekte einholen; ein Manipulatorarm verfügte über Greif- und Schneidewerkzeuge. Im Gegensatz zu Angriffsoder Raketen-U-Booten war die NR-1 mit einem Turm in knalligem Orange, einem flachen Oberdeck, einem klobigen Kastenkiel und zahlreichen äußeren Zusatzteilen ausgerüstet, darunter zwei ausfahrbare Räder mit alkoholbefüllten LKW-Reifen von Goodyear, die es ihr gestatteten, über den Meeresgrund zu fahren.

»Abwärtsstrahlruder betätigen.«

Ramsey begriff, was sein Kapitän tat. Er hielt den Bootsrumpf auf dem Meeresgrund fest. Das war gut so. Auf den Monitoren waren zahllose Minen zu sehen.

»Anblasen der Tauchzellen vorbereiten«, sagte der Kapitän. »Ich möchte, dass wir lotrecht aufsteigen. Kein Schwanken.«

In der Kommandozentrale war es still, wodurch das Heulen der Turbinen, das Zischen von Luft, das Quietschen der hydraulischen Flüssigkeit und das Piepen der elektronischen Geräte nur umso deutlicher zu hören war, ein Geräuschpegel, der vor kurzem noch wie ein Beruhigungsmittel auf ihn gewirkt hatte.

»Ruhig und stetig«, sagte der Kapitän. »Halten Sie das Boot beim Aufsteigen in der Balance.«

Der Pilot packte die Steuerknüppel.

Das Boot war nicht mit einem Steuerrad ausgestattet. Stattdessen waren vier Steuerknüppel von Kampfjets umgerüstet worden. Das war typisch für die NR-1. Obgleich Antrieb und Konzeption dem neuesten Stand der Technik entsprachen, gehörte die Ausstattung eher ins Steinzeit- denn ins Raumfahrtzeitalter. Das Essen wurde im billigen Nachbau eines Ofens zubereitet, wie er in Passagierflugzeugen zum Einsatz kam. Der Manipulatorarm war von einem anderen Projekt der Navy übrig geblieben. Das von Langstreckenflugzeugen adaptierte Navigationssystem funktionierte unter Wasser so gut wie gar nicht. Die Mannschaftsquartiere waren beengt, die Toilette fast immer verstopft, und zum Essen gab es nur Fertigmahlzeiten, die vor dem Aufbruch in einem Supermarkt vor Ort eingekauft worden waren.

»Hatten wir keinen Sonarkontakt zu diesen Minen?«, fragte der Kapitän. »Bevor sie plötzlich da waren?«

»Nein«, antwortete ein Besatzungsmitglied. »Sie sind ganz plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht.«

Druckluft rauschte in die Tauchzellen, und das U-Boot stieg auf. Der Pilot hatte beide Hände um die Steuerknüppel gelegt und war darauf vorbereitet, die Lage des Bootes mit Hilfe der Strahlruder zu korrigieren.

Sie mussten nur etwa dreißig Meter aufsteigen, dann waren sie aus der Gefahrenzone.

»Wie Sie sehen, haben wir das Boot aus dem Minenfeld herausgeschafft«, erklärte Ramsey den Versammelten. »Das war im Frühjahr 1971.« Er nickte. »Richtig, das ist lange her. Ich war einer der wenigen, die das Glück hatten, auf der NR-1 zu dienen.«

Er registrierte die verblüfften Blicke.

»Nur wenige Leute wissen über dieses U-Boot Bescheid. Mitte der Sechzigerjahre wurde es unter strenger Geheimhaltung gebaut, selbst die meisten Admiräle wussten damals nichts davon. Es war mit einem verblüffenden Arsenal von Geräten ausgestattet und konnte dreimal tiefer tauchen als jedes andere U-Boot. Es trug keinen Namen, war nicht mit Waffen oder Torpedos ausgerüstet und hatte keine offizielle Besatzung. Seine Missionen waren geheim, und viele bleiben es bis zum heutigen Tag. Noch verblüffender ist, dass das Boot noch heute im Einsatz ist – es ist inzwischen das zweitälteste U-Boot im Dienst, nämlich seit 1969. So geheim wie früher ist es nicht mehr. Heute wird es sowohl zu militärischen als auch zu zivilen Zwecken genutzt. Aber wo immer tief im Ozean menschliche Augen und Ohren vonnöten sind, ist die NR-1 gefragt. Erinnern Sie sich an all diese Geschichten, wie Amerika transatlantische Telefonkabel angezapft und die Sowjets belauscht hat? Das war die NR-1. Als 1976 eine F-14 mit einer neuen Phoenix-Rakete in den Ozean stürzte, barg die NR-1 diese, bevor sie den Sowjets in die Hände fallen konnte. Nach dem Challenger-Unglück war es die NR-1, die die Feststoffrakete mit dem fehlerhaften O-Ring gefunden hat.«

Mit nichts konnte man ein Publikum besser fesseln als mit solchen Geschichten, und aus seiner Dienstzeit auf dem einzigartigen U-Boot hatte er eine Menge davon auf Lager. Die NR-1 war keineswegs ein technologisches Meisterwerk gewesen, sondern geplagt von Fehlfunktionen. Allein der Erfindungsreichtum ihrer Crew hatte sie in Betrieb gehalten. Die Betriebsanleitung war unbrauchbar gewesen – und so hatte das Motto an Bord Innovation geheißen. Beinahe jeder Offizier, der an Bord gedient hatte, war später in eine höhere Position aufgestiegen, Ramsey selbst eingeschlossen. Es gefiel ihm, dass er jetzt von der NR-1 erzählen konnte. Im Rahmen des Rekrutierungsprogramms der Navy wurden Erfolge zur Schau gestellt. Veteranen wie er konnten ihre Geschichten erzählen, und Leute wie jene, die ihm jetzt von ihren Frühstückstischen aus zuhörten, würden ihn später Wort für Wort zitieren. Die Presse, deren Anwesenheit man ihm zugesagt hatte, würde für eine noch weitere Verbreitung sorgen. Admiral Langford Ramsey, Chef des Nachrichtendienstes der Marine, sagte bei einer Rede vor der nationalen Versammlung des Kiwanis-Clubs …

Er hatte eine schlichte Sicht auf das Thema Erfolg.

Erfolg räumte mit Misserfolgen auf.

Bereits vor zwei Jahren hätte er in Pension gehen sollen, doch er war der höchstrangige farbige Angehörige des US-Militärs und der erste bekennende Junggeselle, der je in den Admiralsrang aufgestiegen war. Er hatte sein Vorhaben lange geplant und war äußerst vorsichtig gewesen. Er achtete darauf, dass sein Gesicht so ruhig wie seine Stimme blieb, seine Stirn faltenfrei und sein offener Blick mild und gelassen. Er hatte seine gesamte Karriere in der Marine mit der Präzision eines U-Boot-Navigators geplant. Störungen würde er nicht dulden, insbesondere jetzt nicht, da sein Ziel in Sicht war.

Und so blickte er auf seine Zuhörerschaft und erzählte mit zuversichtlicher Stimme weitere Geschichten.

Doch ein Problem belastete ihn.

Ein mögliches Schlagloch auf seinem Weg.

Garmisch.

3

Garmisch

Malone sah auf die Waffe und bewahrte die Fassung. Er hatte ein bisschen hart über Jessica geurteilt. Offensichtlich war auch er nicht wachsam genug gewesen. Er winkte mit dem Umschlag. »Das hier wollen Sie? Sind nur ein paar Rettet-die-Berge-Broschüren, die ich meiner Greenpeace-Ortsgruppe zuschicken will. Wir bekommen Sonderpunkte für Reisen vor Ort.«

Die Gondel setzte ihre Abwärtsfahrt fort.

»Sehr witzig«, sagte die Frau.

»Ich hatte an eine Karriere als Stand-up-Comedian gedacht. Meinen Sie, das war ein Fehler?«

Genau solche Situationen waren der Grund, warum er sich hatte pensionieren lassen. Ein Agent des Magellan Billet verdiente 72 300 Dollar jährlich vor Steuern. Als Buchantiquar machte er mehr Gewinn, und zwar ohne das Risiko.

Zumindest hatte er das geglaubt.

Jetzt wurde es Zeit, zur alten Sichtweise zurückzukehren.

Und auf einen Patzer des Gegners zu warten.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

Sie war klein und untersetzt, und ihr Haar wies einen wenig schmeichelhaften, rötlichen Braunton auf. Vielleicht war sie Anfang dreißig. Sie trug einen blauen Wollmantel und einen goldfarbenen Schal. Der Mann trug einen roten Mantel und schien weiter keine Rolle zu spielen. Sie gab ihrem Komplizen einen Wink mit der Waffe und sagte: »Nehmen Sie das.«

Rotmantel sprang vor und riss den Umschlag an sich.

Die Frau warf einen kurzen Blick auf die zerklüfteten Felsen, die an den beschlagenen Fenstern vorbeisausten. Diesen Moment nutzte Malone, um den Pistolenlauf mit einem linken Haken zur Seite zu schlagen.

Sie schoss.

Der Knall dröhnte ihm in den Ohren; die Kugel durchschlug eine der Fensterscheiben.

Kalte Luft strömte herein.

Er verpasste dem Mann einen Faustschlag, so dass dieser zurücktaumelte. Dann umfasste er das Kinn der Frau mit seiner behandschuhten Hand und schlug ihren Hinterkopf gegen das Fenster. Ein Spinnennetz von Rissen bildete sich im Glas.

Ihre Augen klappten zu, und er stieß sie zu Boden.

Rotmantel sprang auf und stürzte sich auf ihn. Zusammen krachten sie gegen die gegenüberliegende Gondelwand und stürzten dann auf den feuchten Boden. Malone wälzte sich zur Seite, um einen Würgegriff um seine Kehle zu lösen. Er hörte, wie die Frau etwas murmelte, und begriff, dass er es bald wieder mit zwei Gegnern zu tun haben würde, von denen einer bewaffnet war. Also öffnete er die Hände und schlug mit den Handflächen auf die Ohren des Mannes. Das mit den Ohren hatte er bei seiner Ausbildung als Navy-Soldat gelernt. Die Ohren waren so ziemlich die empfindlichsten Körperteile. Die Handschuhe waren ungünstig, doch beim dritten Schlag schrie der Mann vor Schmerz auf und ließ seinen Hals los.

Malone stieß den Angreifer mit einem Tritt von sich und sprang auf. Ehe er jedoch den nächsten Schritt einleiten konnte, langte Rotmantel ihm über die Schulter, umklammerte erneut seine Kehle und zwang sein Gesicht gegen eine der Fensterscheiben, wo das überfrierende Kondenswasser eiskalt seine Wangen berührte.

»Keine Bewegung«, befahl der Mann.

Malones rechter Arm war verdreht. Er versuchte, sich zu befreien, doch Rotmantel war stark.

»Keine Bewegung, hab ich gesagt.«

Malone beschloss, vorläufig zu gehorchen.

»Panya, alles in Ordnung mit Ihnen?« Rotmantel versuchte offensichtlich, die Frau auf sich aufmerksam zu machen.

Malones Gesicht war noch immer gegen das Glas gepresst, und sein Blick war nach vorn gerichtet, in Fahrtrichtung der Gondel.

»Panya?«

Malone sah etwa fünfzig Meter entfernt und schnell näher kommend eine der Stahlstützen. Dann merkte er, dass sein linker Arm gegen etwas gequetscht war, das sich wie ein Griff anfühlte. Offensichtlich waren sie bei ihrem Kampf an der Tür gelandet.

»Panya, antworten Sie mir. Alles in Ordnung mit Ihnen? Suchen Sie die Pistole.«

Der Druck auf seine Kehle war enorm, und sein Arm steckte wie in einem Schraubstock. Doch Newton hatte recht. Für jede Aktion gab es eine gleichwertige, entgegengesetzte Reaktion.

Inzwischen waren sie beinahe bei den dünnen Streben der Stahlstütze angelangt. Die Gondel würde so nahe daran vorbeifahren, dass man die Stütze mit ausgestrecktem Arm berühren konnte.

Daher riss er den Türgriff nach oben und öffnete die Tür, wobei er sich gleichzeitig in die eiskalte Luft hinausschwang.

Rotmantel, der damit nicht gerechnet hatte, wurde aus dem Wagen geschleudert und prallte gegen die Stütze. Malone hielt den Türgriff fest umklammert. Sein Angreifer, der zwischen der Gondel und der Stütze eingeklemmt wurde, stürzte in die Tiefe.

Sein Schrei verhallte rasch.

Malone hangelte sich wieder nach drinnen. Mit jedem Atemzug stieß er ein weißes Wölkchen aus. Seine Kehle war mehr als trocken.

Die Frau richtete sich mühsam auf.

Er trat ihr gegen das Kinn, und sie ging wieder zu Boden.

Dann taumelte er nach vorn und sah nach unten.

An der Haltestation der Gondel standen zwei Männer in dunklen Mänteln. Verstärkung? Er befand sich noch dreihundert Meter über ihnen. Unter ihm breitete sich ein dichter Wald aus, der sich über die unteren Berghänge zog, ein dichter Bewuchs immergrüner, dick mit Schnee bedeckter Zweige. Er bemerkte eine Kontrolltafel. Drei Lichter blinkten grün, zwei rot. Er starrte aus dem Fenster und sah, dass eine weitere der hoch aufragenden Stützen sich näherte, deshalb griff er nach der Notbremse und legte den Hebel um.

Ein Ruck ging durch die Gondel, und sie verlangsamte ihre Fahrt, blieb aber nicht vollkommen stehen. Wieder galt Isaac Newtons Gesetz. Die Reibung würde die Vorwärtsbewegung schließlich stoppen.

Er hob den Umschlag auf, der neben der Frau lag, und steckte ihn unter seinen Mantel. Dann griff er nach der Pistole und ließ sie in seine Manteltasche gleiten, trat zur Tür und wartete darauf, dass die Stütze näher kam. Die Gondel bewegte sich im Schneckentempo, aber trotzdem würde der Sprung riskant sein. Tempo und Entfernung abschätzend, sprang er zu einer der stählernen Querstreben, wo er mit seinen behandschuhten Händen Halt suchte.

Unsanft krachte er gegen das Gestell und dämpfte den Aufprall mit seinem Ledermantel.

Zwischen seinen Fingern und der Strebe knirschte Schnee.

Er klammerte sich daran fest.

Die Gondel setzte ihre Abwärtsfahrt fort und blieb etwa dreißig Meter weiter unten stehen. Malone schnappte ein paar Mal nach Luft und hangelte sich dann auf eine Leiter zu, die an der Hauptstütze nach unten führte. Trockener Schnee rieselte herab wie Talkumpuder. Bei der Leiter angekommen, stellte er seine Gummisohlen auf eine schneebedeckte Sprosse. Er sah, wie die beiden Männer in den dunklen Mänteln unten bei der Station eilig wegrannten. Sie bedeuteten Ärger, genau wie er vermutet hatte.

Er stieg die Leiter hinunter und sprang auf den Boden.

Jetzt befand er sich in gut hundertfünfzig Meter Höhe auf dem bewaldeten Hang.

Er stapfte zwischen den Bäumen hindurch und stieß auf eine asphaltierte Straße, die den Hang entlangführte. Vor ihm erhob sich ein von schneebedeckten Büschen umsäumtes, mit braunen Schindeln gedecktes Gebäude. Irgendein Arbeitsgebäude. Dahinter führte die von Schnee geräumte Straße weiter. Er ging zum Tor, das auf das umzäunte Gelände führte. Ein Vorhängeschloss verschloss den Eingang. Plötzlich hörte er einen Motor, der die Straße heraufdröhnte, zog sich hinter einen abgestellten Traktor zurück und beobachtete, wie ein dunkler Peugeot um die Kurve kam und langsamer wurde, um das Gelände rings um das Gebäude zu inspizieren.

Die Waffe in der Hand, wartete Malone kampfbereit ab.

Doch der Wagen beschleunigte wieder und fuhr bergauf weiter.

Malone sah das schwarze Band eines weiteren schmalen Sträßchens, das durch den Wald zur Seilbahnstation hinunterführte.

Er eilte darauf zu.

Hoch oben stand die Gondel noch immer still. In der Kabine lag eine bewusstlose Frau in einem blauen Mantel. Ein toter Mann, der einen roten Mantel trug, lag irgendwo im Schnee.

Beides ging ihn nichts an.

Und was war dann sein Problem?

Nun, die Frage, wer über Stephanie Nelles und seine Angelegenheiten Bescheid wusste.

4

Atlanta, Georgia07.45 Uhr

Stephanie Nelle sah auf die Uhr. Sie hatte seit kurz vor sieben in ihrem Büro gearbeitet und war Berichte ihrer Agenten durchgegangen. Von ihren zwölf juristisch geschulten Agenten waren derzeit acht im Einsatz. Zwei hielten sich in Belgien auf, als Teil eines internationalen Teams, das mit der Überführung von Kriegsverbrechern betraut war. Zwei weitere waren gerade mit einer Mission, die heikel werden konnte, in Saudi-Arabien eingetroffen. Die restlichen vier waren an verschiedenen Orten Europas und Asiens im Einsatz.

Eine ihrer Agentinnen befand sich jedoch im Urlaub.

In Deutschland.

Das Magellan Billet beschränkte sich absichtlich auf wenige Mitarbeiter. Neben dem einen Dutzend Juristen-Agenten beschäftigte die Einheit fünf Verwaltungsassistenten und drei Berater. Stephanie hatte darauf bestanden, dass ihre Mannschaft klein blieb. Je weniger Augen und Ohren, desto weniger undichte Stellen, und in den vierzehn Jahren der Existenz des Billets war es nie gefährdet worden.

Sie wandte sich von ihrem Computer ab und schob ihren Stuhl zurück.

Ihr Büro war schlicht und funktional eingerichtet. Nichts fiel aus dem Rahmen – das wäre nicht ihr Stil gewesen. Sie war hungrig, da sie zu Hause nach dem Aufwachen vor zwei Stunden das Frühstück übergangen hatte. Anscheinend verschwendete sie immer weniger Gedanken auf das Essen. Zum Teil wohl, weil sie allein lebte, und zum Teil auch, weil sie nicht gerne kochte. Sie beschloss, sich einen Happen in der Cafeteria zu besorgen. Natürlich war das Kantinenfraß, aber ihr knurrender Magen wollte gefüllt werden. Vielleicht würde sie sich zu Mittag ein Essen außerhalb des Büros gönnen – gegrillten Fisch oder etwas Ähnliches.

Sie verließ ihren gesicherten Bürotrakt und ging zum Lift. Der vierte Stock des Gebäudes beherbergte das Innenministerium und außerdem eine Abteilung des Gesundheitsministeriums. Das Magellan Billet lag hier absichtlich versteckt – JUSTIZMINISTERIUM, JURISTISCHE TASK FORCE stand in unauffälligen Buchstaben an der Tür – und ihr gefiel die Anonymität.

Der Lift kam an. Als die Tür aufging, trat ein hochgewachsener, schlaksiger Mann mit schütterem, grauem Haar und ruhigen blauen Augen heraus.

Edwin Davis.

Er lächelte sie kurz an. »Stephanie. Genau zu Ihnen wollte ich.«

Sie war sofort auf der Hut. Einer der stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten. Bei ihr in Georgia. Unangekündigt. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

»Und es ist erfrischend, Sie einmal nicht in einer Gefängniszelle anzutreffen«, sagte Davis.

Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als Davis plötzlich aufgetaucht war.

»Wo wollten Sie denn hin?«, fragte er.

»In die Cafeteria.«

»Was dagegen, dass ich mitkomme?«

»Habe ich die Wahl?«

Er lächelte. »So schlimm ist es nicht.«

Sie fuhren zum ersten Stock hinunter und fanden einen Tisch. Sie trank Orangensaft, während Davis eine Flasche Wasser leerte. Der Appetit war ihr vergangen.

»Möchten Sie mir sagen, warum Sie vor fünf Tagen auf den Untersuchungsbericht zum Untergang der USS Blazek zugegriffen haben?«

Sie verbarg ihre Überraschung. »Es war mir nicht bewusst, dass ich damit das Weiße Haus involvieren würde.«

»Die Akte ist geheim.«

»Ich habe kein Gesetz gebrochen.«

»Sie haben sie nach Deutschland geschickt. An Cotton Malone. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie damit in Gang gesetzt haben?«

Jetzt schrillten bei ihr alle Alarmglocken. »Ihr Informationsnetzwerk ist gut.«

»Das sichert unser aller Überleben.«

»Cotton hat eine hohe Sicherheitseinstufung.«

»Hatte. Er ist pensioniert.«

Jetzt war sie erregt. »Das hat Sie nicht weiter gestört, als Sie ihn letzthin in all diese Probleme in Zentralasien mit hineingezerrt haben. Und das war bestimmt auch streng geheim. Es hat auch den Präsidenten nicht daran gehindert, Cotton zu involvieren, als es um den Orden vom Goldenen Vlies ging.«

Davis’ glattes Gesicht legte sich in Sorgenfalten. »Sie wissen nicht, was vor weniger als einer Stunde auf der Zugspitze vorgefallen ist, oder?«

Sie schüttelte den Kopf.

Er stürzte sich in einen umfassenden Bericht und erzählte, dass ein Mann aus einer Seilbahngondel gestürzt war, während ein anderer Mann aus derselben Gondel gesprungen und eine der Stahlstützen hinuntergeklettert war, und dass man eine bewusstlose Frau und ein durchschossenes Fenster vorgefunden hatte, als die Gondel endlich nach unten gebracht worden war.

»Wer von den beiden Männern ist wohl Cotton?«, fragte Davis.

»Ich hoffe derjenige, der entkommen ist.«

Er nickte. »Sie haben die Leiche gefunden. Es war nicht Malone.«

»Woher wissen Sie das alles?«

»Ich habe das Gebiet überwachen lassen.«

Ihre Neugier war geweckt. »Warum denn das?«

Davis leerte sein Wasser. »Ich habe es immer merkwürdig gefunden, dass Malone das Billet so abrupt verlassen hat. Zwölf Jahre war er dabei, und dann ist er einfach so mir nichts, dir nichts komplett ausgestiegen.«

»Dass in Mexico City damals sieben Menschen ums Leben gekommen sind, hat ihn sehr mitgenommen. Und es war schließlich Ihr Chef, der Präsident, der ihn persönlich hat gehen lassen. Eine Revanche für einen geleisteten Gefallen, wie ich es erinnere.«

Davis schien in Gedanken versunken. »Das ist die Währung der Politik. Die Leute denken, dass Geld das System am Laufen hält.« Er schüttelte den Kopf. »Es sind die Gefälligkeiten. Man tut jemandem einen Gefallen und hat Anspruch auf Revanche.«

Sie bemerkte einen sonderbaren Unterton. »Ich habe mich bei Malone für einen Gefallen revanchiert, als ich ihm die Akte gab. Er will über seinen Vater Bescheid wissen …«

»Dazu hatten Sie kein Recht.«

Ihre Erregung machte Verärgerung Platz. »Das sehe ich anders.«

Sie leerte ihren Orangensaft und versuchte, die zahllosen verstörenden Gedanken abzuwehren, die ihr durch den Kopf schwirrten.

»Die Sache liegt inzwischen achtunddreißig Jahre zurück«, erklärte sie.

Davis griff in seine Anzugtasche und legte einen USB-Stick vor ihr auf den Tisch. »Haben Sie die Akte gelesen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht angerührt. Ich habe einen meiner Agenten damit beauftragt, eine Kopie auszudrucken und diese Malone zu überbringen.«

Er zeigte auf den USB-Stick. »Sie müssen das hier lesen.«

5

Feststellungen der Untersuchungskommissionzur USS Blazek

Nachdem noch immer keinerlei Spuren der USS Blazek gefunden worden sind, konzentrierte die Kommission sich bei ihrem erneuten Zusammentreten im Dezember 1971 auf das Aufzeigen von Optionen statt auf die Ursachenforschung. Im Bewusstsein fehlender physischer Beweisstücke wurde darauf geachtet, die Suche nach der wahrscheinlichsten Ursache des Unglücks nicht von vorgefassten Meinungen beeinflussen zu lassen. Erschwert wurde die Aufgabe durch die hohe Geheimhaltungsstufe, und es wurde streng darauf geachtet, die Vertraulichkeit bezüglich des Unterseeboots und seiner Mission zu wahren. Nach Untersuchung aller bekannten Tatsachen und Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der Blazek hält die Kommission Folgendes fest:

Feststellung der Tatsachen

1. USS Blazek ist ein fiktiver Name. Das tatsächlich von dieser Untersuchung betroffene Unterseeboot ist die im Mai 1969 in Auftrag gegebene NR-1A. Das Boot wurde im Rahmen eines geheimen Programms zur Entwicklung technisch fortgeschrittener Unterwasserkapazitäten als eines von zwei Unterseebooten gebaut. Weder die NR-1 noch die NR-1A haben einen offiziellen Namen, doch aufgrund der Tragödie und der unvermeidlichen öffentlichen Aufmerksamkeit wurde ein fiktiver Name vergeben. Offiziell bleibt das Boot allerdings die NR-1A. Zum Zwecke der öffentlichen Diskussion wird die USS Blazekals ein technisch fortgeschrittenes U-Boot beschrieben, das im Nordatlantik für unterseeische Bergungsaktionen getestet wurde.

2. Die NR-1A war auf eine Tauchtiefe von tausend Metern ausgelegt. Wartungsberichte erwähnen eine Vielzahl technischer Probleme während des zweijährigen Einsatzzeitraums. Diese wurden nicht als Versagen der Konstrukteure betrachtet, sondern als Herausforderungen eines radikalen Entwurfs, der die Grenzen der U-Boot-Technik auslotet. Die NR-1 hat mit ähnlichen Betriebsproblemen zu kämpfen, was die vorliegende Untersuchung umso dringlicher macht, da dieses Fahrzeug im Einsatz bleibt und etwaige Fehler identifiziert und korrigiert werden müssen.

3. Der Miniaturreaktor wurde ausschließlich für die beiden Boote der NR-Klasse gebaut. Obwohl der revolutionäre Reaktor auch problematisch ist, gibt es am Unglücksort keinen Hinweis auf den Austritt von Radioaktivität, was darauf hinzudeuten scheint, dass das Unglück nicht durch ein katastrophales Reaktorversagen ausgelöst wurde. Natürlich schließt eine solche Feststellung die Möglichkeit eines Versagens der Elektrik nicht aus. Beide Boote der NR-Klasse berichteten wiederholt von Problemen mit den Batterien.

4. Elf Mann befanden sich zum Zeitpunkt des Untergangs an Bord der NR-1A. Oberkommando: Kommandant Forrest Malone; Erster Offizier: Kapitänleutnant Beck Stvan; Navigation: Kapitänleutnant Tim Morris; Funk: E-Maat Tom Flanders; Reaktorsteuerung: E-Maat Gordon Jackson; Reaktorbetrieb: E-Maat George Turner; Bordelektronik: Elektronik-Maat Jeff Johnson; Bordkommunikation: Zentrale-Maat Michael Fender; Sonar und Verpflegungsdienst: MaschinistenMaat Mikey Blount; Mechanische Abteilung: Zentrale-Maat Bill Jenkins; Reaktorlabor: Maschinisten-Maat Doug Vaught; Außenspezialist: Dietz Oberhauser.

5. Der NR-1A zugeschriebene akustische Signale wurden von Horchstationen in Argentinien und Südafrika aufgefangen. Die jeweiligen akustischen Signale und Stationen sind auf den folgenden Seiten unter dem Titel: »Tabelle der faktischen akustischen Ereignisse« aufgelistet. Die Nummer des akustischen Ereignisses wurde von Experten als Ergebnis einer Energiefreisetzung bestimmt, die viele tiefe Frequenzen und keine erkennbare harmonische Struktur aufweist. Kein Experte konnte feststellen, ob es sich bei dem Ereignis um eine Explosion oder eine Implosion handelte.

6. Die NR-1A operierte unter dem antarktischen Packeis. Kurs und Fahrtziel waren dem Flottenkommando nicht bekannt, da die Mission streng geheim war. Zum Zweck der vorliegenden Untersuchung wurden der Kommission die letzten bekannten Koordinaten der NR-1A als 73 °S, 15 °W, ungefähr 150 Meilen nördlich des Norvegia-Kaps mitgeteilt. Der Aufenthalt in derart trügerischen und nicht kartierten Gewässern hat die Entdeckung physischer Beweisstücke erschwert. Bisher wurden keine Überreste des Unterseeboots gefunden. Hinzu kommt, dass die akustische Unterwasserüberwachung in der Antarktis minimal ist.

7. Eine Untersuchung der NR-1 mit dem Zweck, im Schwesterschiff etwaige technische Schwachstellen aufzuspüren, zeigte, dass die negativen Batteriepole mit Quecksilber beschichtet worden waren, um ihre Lebenszeit zu verlängern. Der Gebrauch von Quecksilber ist in Unterseebooten verboten. Es ist unklar, warum diese Regel im Falle der NR-Klasse außer Acht gelassen wurde. Sollten Batterien an Bord der NR-1A Feuer gefangen haben, was den Reparaturlogbüchern zufolge sowohl auf der NR-1 als auch auf der NR-1A mehrfach vorgekommen ist, dürften die entstandenen Quecksilberdämpfe sich als tödlich erwiesen haben. Natürlich gibt es keinerlei Beweise für ein Feuer oder Batterieversagen.

8. Die USS Holden wurde unter dem Kommando von Kapitänleutnant Zachary Alexander am 23. November 1971 zur letzten bekannten Position der NR-1A geschickt. Laut dem Bericht eines spezialisierten Erkundungsteams wurden keine Spuren der NR-1A gefunden. Ausgedehnte Sonarmessungen erbrachten kein Ergebnis. Radioaktive Strahlung wurde nicht entdeckt. Eine groß angelegte Such- und Rettungsoperation hätte möglicherweise ein anderes Ergebnis gezeitigt, doch die Mannschaft der NR-1A hat vor ihrem Aufbruch eine Operationsanweisung unterschrieben, in der sie sich damit einverstanden erklärte, dass im Falle einer Katastrophe eine Suche und Rettung unterbleiben würde. Die Genehmigung für diesen ungewöhnlichen Vorgang kam unmittelbar vom Oberkommando der Navy. Der Geheimbefehl liegt der Kommission vor.

Einschätzung der Kommission

Auch wenn die NR-1A nicht gefunden wurde, verringert das in Anbetracht der Tatsache, dass die NR-1 noch immer im Einsatz ist, nicht die Verpflichtung, alle zu korrigierenden Praktiken, Gegebenheiten und Unzulänglichkeiten zu identifizieren und zu korrigieren. Nach sorgfältigem Abwägen der begrenzten Hinweise kommt die Kommission zu dem Schluss, dass sich die genaue Ursache oder die Ursachen für den Verlust der NR-1A nicht bestimmen lassen. Offensichtlich hat sich ein folgenschwerer Unfall ereignet, doch die isolierte Lage des Unterseeboots, das Nichtauffinden des Wracks, fehlende Funkverbindungen und die Abwesenheit eines Versorgungsschiffs machen jedes Urteil der Kommission zum Ablauf des Unfalls zur reinen Spekulation.

Empfehlungen

Als Teil der fortdauernden Bemühungen, zusätzliche Informationen über die Ursache der Tragödie zu erlangen und eine vergleichbare Havarie der NR-1 zu verhindern, soll, sobald praktisch durchführbar, eine weitere technische Untersuchung der NR-1 mit Hilfe der neuesten Untersuchungsmethoden vorgenommen werden. Zweck einer solchen Untersuchung wäre das Feststellen möglicher Schadensmechanismen, die Evaluation ihrer sekundären Effekte, das Ermitteln von derzeit nicht verfügbaren Daten zur technischen Verbesserung und wenn möglich die Feststellung der Ursache des Unglücks der NR-1A.

Malone saß in seinem Zimmer im Posthotel. Durch die Fenster im ersten Stock sah man jenseits von Garmisch das Wettersteingebirge und die hoch aufragende Zugspitze, doch allein der Anblick dieses fernen Gipfels erinnerte ihn nur allzu deutlich an das, was zwei Stunden zuvor geschehen war.

Er hatte den Bericht gelesen. Zwei Mal.

Die Bestimmungen der Navy sahen vor, dass unmittelbar nach einem Schiffsunglück eine Untersuchungskommission aus Admiralen einberufen wurde, die die Aufgabe hatte, die Wahrheit herauszufinden.

Doch diese Untersuchung war eine Farce gewesen.

Sein Vater hatte sich auf keiner Mission im Nordatlantik befunden. Und die USS Blazek existierte nicht einmal. Stattdessen war sein Vater an Bord eines streng geheimen U-Boots in der Antarktis unterwegs gewesen und hatte weiß Gott was getan.

Malone erinnerte sich an das Nachspiel.

Schiffe hatten den Nordatlantik abgesucht, doch es waren keine Wrackteile gefunden worden. In den Nachrichtensendungen hatte es geheißen, die Blazek, ein atomgetriebenes U-Boot, das für Bergungsarbeiten in der Tiefsee getestet wurde, sei implodiert. Malone erinnerte sich, was der Mann in Uniform – kein Vizeadmiral der U-Boot-Flotte, der, wie Malone später erfuhr, der Frau eines Kommandanten normalerweise die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbracht hätte, sondern ein Captain aus dem Pentagon – seiner Mutter gesagt hatte: »Sie waren im Nordatlantik, in vierhundert Meter Tiefe.«

Entweder hatte der Mann gelogen, oder die Navy hatte ihn belogen. Kein Wunder, dass der Bericht geheim gehalten worden war.

Amerikanische Atom-U-Boote sanken nur selten. Seit 1945 war das erst drei Mal vorgekommen. Die Thresher war aufgrund des Bruchs einer Rohrleitung gesunken. Die Scorpion durch eine ungeklärte Explosion. Und die Blazek aus unbekanntem Grund. Oder genauer gesagt, die NR-1A aus unbekanntem Grund.

In jedem einzelnen der Presseartikel, die er im Sommer ein zweites Mal mit Gary gelesen hatte, war vom Nordatlantik die Rede gewesen. Dass kein Wrack gefunden wurde, erklärte man mit der Wassertiefe und dem von tiefen Schluchten durchzogenen Meeresgrund. Malone hatte da schon immer seine Zweifel gehabt. In großer Tiefe wäre der Rumpf geborsten und das U-Boot vollgelaufen, so dass irgendwann Wrackteile an die Oberfläche hätten aufsteigen müssen. Die Navy hatte auch die Meere nach Geräuschen abgehorcht. Die Untersuchungskommission stellte fest, dass akustische Signale aufgefangen worden waren, aber diese Geräusche erklärten praktisch nichts, und in diesem Teil der Welt wurde zu wenig gehorcht, als dass es von Belang gewesen wäre.

Verdammt.

Er hatte in der Navy gedient, war freiwillig eingetreten, hatte einen Eid abgelegt und ihn gehalten.

Die Navy dagegen nicht.

Als irgendwo in der Antarktis ein U-Boot gesunken war, hatte keine Flottille von Schiffen das Gebiet abgesucht und den Meeresgrund mit Sonar abgetastet. Für die Beurteilung der Ursache hatte man nicht Ordner voller Zeugenberichte, Karten, Zeichnungen, Briefe, Fotos oder Operationsanweisungen gesammelt. Man hatte nur ein einziges jämmerliches Schiff losgeschickt, ihm drei Tage Zeit für die Untersuchung eingeräumt und einen nichtssagenden vierseitigen Bericht verfasst.

In der Ferne läuteten Glocken.

Er hätte am liebsten mit der Faust die Wand durchschlagen. Aber was hätte das genützt?

Stattdessen griff er nach seinem Handy.

6

Captain Sterling Wilkerson von der US Navy blickte durch die vereiste Fensterscheibe auf das Posthotel. Er saß diskret auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem gut besuchten McDonald’s. Draußen gingen Passanten vorbei; alle waren gegen die Kälte und den beständig fallenden Schnee eingemummelt.

Garmisch war ein Gewirr verstopfter Straßen und Fußgängerzonen. Der ganze Ort kam ihm vor wie eine dieser Spielzeugstädte im Spielzeugladen, mit bunt bemalten, in weißer Watte halb verborgenen Alpenhäuschen, die dick mit Plastikschneeflocken bestreut waren. Die Touristen kamen sicherlich wegen der Atmosphäre und der nahegelegenen Skihänge. Er war wegen Cotton Malone gekommen und hatte vorhin zugesehen, wie der Exagent des Magellan Billet, inzwischen Buchhändler in Kopenhagen, einen Mann getötet hatte und dann aus einer Seilbahngondel gesprungen, auf den Erdboden geklettert und in seinem Mietwagen geflüchtet war. Wilkerson war ihm gefolgt, und als Malone direkt zum Posthotel gefahren und drinnen verschwunden war, hatte er auf der Straßenseite gegenüber Stellung bezogen und sich beim Warten ein Bier genehmigt.

Er wusste alles über Cotton Malone.

Dieser stammte aus Georgia und war achtundvierzig Jahre alt. Ehemaliger Marineoffizier. In Georgetown hatte er ein Jurastudium abgeschlossen. Anschließend hatte er im Judge Advocate General’s Corps gedient und war Agent des Justizministeriums gewesen. Vor zwei Jahren war Malone in eine Schießerei in Mexico City verwickelt und zum vierten Mal bei der Ausübung seiner Pflichten verwundet worden, womit offensichtlich das Maß voll gewesen war, denn er hatte beschlossen, vorzeitig aus dem Dienst auszuscheiden, was der Präsident persönlich genehmigt hatte. Malone hatte dann sein Offizierspatent zurückgegeben und war nach Kopenhagen gezogen, wo er ein Buchantiquariat eröffnet hatte.

All das konnte Wilkerson verstehen.

Zwei Dinge aber verwirrten ihn.

Zum einen der Name Cotton. In der Akte war Malones amtlicher Name als Harold Earl festgehalten. Der ungewöhnliche Spitzname war nirgends erklärt.

Und zum anderen fragte er sich, wie wichtig Malones Vater war. Oder genauer gesagt die Erinnerung an ihn. Der Mann war vor achtunddreißig Jahren gestorben.

War das immer noch von Bedeutung?

Anscheinend ja, da Malone einen Menschen getötet hatte, um die Unterlagen zu schützen, die Stephanie ihm geschickt hatte.

Wilkerson trank sein Bier.

Draußen fuhr ein Windstoß vorbei und wirbelte die tanzenden Schneeflocken noch heftiger auf. Ein bunter Schlitten tauchte auf, der von zwei tänzelnden Pferden gezogen wurde. Die Fahrgäste waren in karierte Decken gehüllt, und der Kutscher hielt die Zügel fest in der Hand.

Wilkerson verstand einen Mann wie Cotton Malone.

Er selbst war ihm ganz ähnlich.

Einunddreißig Jahre hatte er in der Navy gedient. Nur wenige stiegen zum Kapitän auf, und noch weniger brachten es zur Admiralswürde. Elf Jahre lang hatte er für den Nachrichtendienst der Navy gearbeitet, davon die letzten sechs Jahre in Übersee, wo er in Berlin zum Bürochef aufgestiegen war. Seine Personalakte strotzte von erfolgreich erledigten schwierigen Aufträgen. Gewiss, er war niemals in dreihundert Meter Höhe aus der Gondel einer Seilbahn gesprungen, aber auch er hatte Gefahren in die Augen geblickt.

Er sah auf die Uhr: 16.20 Uhr.

Das Leben war gut.

Die Scheidung von seiner zweiten Frau im letzten Jahr war nicht teuer gewesen. Tatsächlich war seine Ex ohne viel Theater gegangen. Danach hatte er zehn Kilo abgenommen und sein blondes Haar kastanienbraun gefärbt, so dass er jetzt zehn Jahre jünger als seine dreiundfünfzig aussah. Dank eines französischen Schönheitschirurgen, der die Fältchen um seine Augen geliftet hatte, wirkte sein Blick jetzt lebhafter. Ein weiterer Spezialist sorgte dafür, dass er keine Brille mehr tragen musste, während ein Freund, der Ernährungsberater war, ihn lehrte, wie man durch vegetarische Kost seine Vitalität steigerte. Seine Charakternase, die straffen Wangen und die scharfen Gesichtszüge würden lauter Trümpfe sein, wenn er schließlich in den Admiralsrang aufstieg.

Admiral.

Das war das Ziel.

Zwei Mal war er übergangen worden. Mehr Chancen bot die Navy einem normalerweise nicht. Doch Langford Ramsey hatte ihm eine dritte Chance versprochen.

Sein Handy vibrierte.

»Inzwischen hat Malone die Unterlagen gelesen«, sagte eine Stimme.

»Jedes einzelne Wort, da bin ich mir sicher.«

»Bringen Sie ihn in Bewegung.«

»Männer wie ihn kann man nicht antreiben«, gab er zurück.

»Aber man kann sie lenken.«

»Das alles hat doch schon zwölfhundert Jahre gewartet, bis es gefunden wurde.« Dies musste er einfach sagen.

»Dann lassen Sie es jetzt nicht noch länger warten.«

Stephanie saß an ihrem Schreibtisch und beendete die Lektüre des Berichts der Untersuchungskommission. »Die ganze Sache ist gefälscht?«

Davis nickte. »Dieses U-Boot war überhaupt nicht im Nordatlantik.«

»Welchen Sinn hatte das denn?«

»Rickover hat zwei NR-Boote bauen lassen. Die waren sein Lebenswerk. Er hat auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ein Vermögen für sie aufgewendet, und keiner hat auch nur eine Sekunde lang gezögert, zweihundert Millionen Dollar auszugeben, um die Sowjets abzuhängen. Aber er hat an allen Ecken und Enden gespart. Sicherheit war nicht die Hauptsorge, es ging um Ergebnisse. Zum Teufel, es wusste ja kaum jemand auch nur, dass diese U-Boote existierten. Aber der Untergang der NR-1A warf auf vielen Ebenen Probleme auf. Das U-Boot selbst. Die Mission. Viele peinliche Fragen. Also versteckte sich die Navy hinter dem nationalen Sicherheitsinteresse und erfand eine Deckgeschichte.«

»Es wurde nur ein einziges Schiff losgeschickt, um nach Überlebenden Ausschau zu halten?«

Davis nickte. »Ich stimme Ihnen zu, Stephanie. Malone hat das Recht, das hier zu lesen. Die Frage ist aber, ob er es auch wirklich tun sollte.«

Ihre Antwort kam ohne jedes Zögern. »Unbedingt.« Sie erinnerte sich an ihren eigenen Schmerz wegen der ungelösten Fragen über den Selbstmord ihres Mannes und den Tod ihres Sohnes. Malone hatte ihr geholfen, diese quälenden Fragen zu klären, und genau das war der Grund, warum sie ihm etwas schuldig gewesen war.

Ihr Schreibtischtelefon summte. Einer ihrer Mitarbeiter sagte, dass Cotton Malone am Apparat sei und mit ihr zu sprechen wünsche.

Sie und Davis wechselten einen erstaunten Blick.

»Schauen Sie mich nicht an«, sagte Davis. »Nicht ich habe ihm diese Unterlagen gegeben.«

Sie nahm den Hörer ab. Davis zeigte auf eine Lautsprecherbox. Das gefiel ihr zwar nicht, doch sie aktivierte das Gerät, so dass er mithören konnte.

»Stephanie, lass mich einfach sagen, dass ich im Moment nicht in der Stimmung für irgendeinen Scheiß bin.«

»Ebenfalls hallo.«

»Hast du das Dokument gelesen, bevor du es mir geschickt hast?«

»Nein.« Das war die Wahrheit.

»Wir sind jetzt schon lange befreundet. Ich weiß zu schätzen, dass du das für mich getan hast. Aber ich brauche noch etwas anderes, und ich will keine Fragen hören.«

»Ich dachte, wir wären quitt«, versuchte sie es.

»Setz es auf meine Rechnung.«

Sie wusste schon, was er wollte.

»Es geht um ein Schiff der Navy«, sagte er. »Die Holden. Im November 1971 wurde sie in die Antarktis geschickt. Ich möchte wissen, ob der Kapitän noch lebt – es handelt sich um einen Mann namens Zachary Alexander. Falls ja, wo ist er jetzt? Und falls nein, lebt dann noch irgendeiner seiner Offiziere?«

»Du wirst mir wohl nicht sagen, warum?«

»Hast du das Dokument inzwischen gelesen?«, fragte er.

»Warum fragst du?«

»Du hast es gelesen, das höre ich deiner Stimme an. Dir ist also klar, warum ich es wissen will.«

»Ich habe vor kurzem das mit der Zugspitze erfahren. Da habe ich beschlossen, das Dokument zu lesen.«

»Hattest du Leute da? Am Boden?«

»Nicht meine eigenen.«

»Wenn du den Bericht gelesen hast, weißt du, dass die Schweine gelogen haben. Sie haben dieses U-Boot einfach da draußen gelassen. Vielleicht haben mein Vater und die anderen zehn Männer dort auf dem Meeresgrund gelegen und darauf gewartet, dass sie gerettet werden. Aber es ist nie jemand gekommen. Ich möchte wissen, warum die Navy das gemacht hat.«

Er war eindeutig wütend. Sie selbst auch.

»Ich möchte mit einem oder mehreren dieser Offiziere von der Holden sprechen«, sagte er. »Suche sie für mich.«

»Kommst du her?«

»Sobald du sie gefunden hast.«

Davis signalisierte mit einem Nicken seine Zustimmung.

»Okay. Ich finde heraus, wo sie sich aufhalten.«

Sie hatte diese Farce satt. Edwin Davis war ja nicht grundlos hier. Malone war offensichtlich manipuliert worden. Und sie selbst übrigens ebenfalls.