Die Vatikan-Intrige - Steve Berry - E-Book

Die Vatikan-Intrige E-Book

Steve Berry

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Beschreibung

Was macht Cotton Malone, wenn es in den USA gerade nicht brennt? Er rettet Europa!

Die Welt schaut gebannt nach Rom, denn dort, in der Sixtinischen Kapelle, wird ein neuer Papst bestimmt. Doch ein Platz in den Reihen bleibt leer – einer der Kardinäle ist auf dem Weg nach Malta, um dort ein Dokument zu finden, das die jahrtausendealte Ordnung umstürzen könnte. Währenddessen sucht Cotton Malone am Comer See nach den legendären Briefen zwischen Churchill und Mussolini, die 1945 verschwanden. Doch seine Suche weckt die Aufmerksamkeit der mysteriösen Ritter des Malteserordens. Und die haben ihre Figer auch in der anstehenden Papstwahl und sind bereit, für ihre Ziele über Leichen zu gehen ...

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Buch

Die Welt schaut gebannt nach Rom, denn dort, in der Sixtinischen Kapelle, wird ein neuer Papst bestimmt. Doch ein Platz in den Reihen bleibt leer – einer der Kardinäle ist auf dem Weg nach Malta, um dort ein Dokument zu finden, das die jahrtausendealte Ordnung umstürzen könnte. Währenddessen sucht Cotton Malone am Comer See nach den legendären Briefen zwischen Churchill und Mussolini, die 1945 verschwanden. Doch seine Suche weckt die Aufmerksamkeit der mysteriösen Ritter des Malteserordens. Und die haben ihre Finger auch in der anstehenden Papstwahl und sind bereit, für ihre Ziele über Leichen zu gehen …

Der Autor

Steve Berry war viele Jahre als erfolgreicher Anwalt tätig, bevor er seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Mit jedem seiner hochspannenden Thriller stürmt er in den USA die Spitzenplätze der Bestsellerlisten und begeistert Leser in über 50 Ländern. Steve Berry lebt mit seiner Frau in St. Augustine, Florida.

Von Steve Berry bereits erschienen

Die Napoleon-Verschwörung, Das verbotene Reich, Die Washington-Akte, Die Kolumbus-Verschwörung, Das Königskomplott, Der Lincoln-Pakt, Antarctica, Geheimakte 16, Plan Zero, Der Goldene Zirkel, Das Memphis-Dossier, Die Vatikan-Intrige

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Steve Berry

DIE

VATIKAN-INTRIGE

Thriller

Aus dem Amerikanischen

von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

»The Malta Exchange« bei Minotaur Books, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe 2019 by Steve Berry

Published by Arrangement with MAGELLAN BILLET INC.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Hannover.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Blanvalet Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Werner Bauer

Umschlaggestaltung © Johannes Frick unter Verwendung von

Motiven von Getty Images (Latitude Stock – Emma Durnford/

Gallo Images/Getty Images), iStock.com (© NiseriN, © filipefrazao,

© Rike_, © tytyeu) und Shutterstock.com (© patrice6000, © STILLFX)

JB · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-24142-1V001

www.blanvalet.de

Für Elizabeth. Meine Frau. Mein Leben.

Hinweis:

Sämtliche kursiv gesetzten »Zitate« entstammen der nach dem Schweizer Prediger Franz Eugen Schlachter (1859–1911) benannten Schlachter-Bibel; dieser hat die Heilige Schrift zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu übersetzt. (Die zitierte Bibel-Ausgabe ist 1951 erschienen.)

Man muss nicht an Gott glauben, um ein guter Mensch zu sein.

Das traditionelle Gottesbild ist in gewisser Weise in die Jahre gekommen.

Es ist möglich, spirituell, aber nicht religiös zu sein.

Es ist nicht nötig, zur Kirche zu gehen und Geld zu spenden.

Vielen kann die Natur eine Kirche sein.

Im Laufe der Geschichte gab es unter den besten Menschen etliche, die nicht an Gott glaubten. Andererseits wurden einige der schlimmsten Verbrechen in seinem Namen begangen.

Papst Franziskus I.

Prolog

Samstag, 28. April 1945

Comer See, Italien

15.30 Uhr

Benito Amilcare Andrea Mussolini wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Er wusste es, seit Partisanen der 52. Garibaldi-Brigade am Tag zuvor seinen Zug nach Norden blockierten und den deutschen Wehrmachtskonvoi stoppten, der ihn bei seiner Flucht in Richtung Schweiz eskortiert hatte. Der kommandierende Zugführer hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er des Kämpfens müde war und beabsichtigte, den näher rückenden amerikanischen Truppen aus dem Weg zu gehen, um ohne weitere Zwischenfälle ins Dritte Reich zurückzukehren. Was erklärte, wie es möglich war, dass ein gefällter Baum und dreißig zerlumpte Partisanen ausreichten, um 300 voll bewaffnete deutsche Berufssoldaten gefangen zu nehmen.

Einundzwanzig Jahre lang hatte er über Italien geherrscht, doch als die Alliierten Sizilien einnahmen und danach das Festland besetzten, nutzten seine faschistischen Mitstreiter sowie König Viktor Emanuel III. die Gelegenheit, ihn zu entmachten. Um ihm das Gefängnis zu ersparen, brauchte es einen Hitler, der ihn als Chef der italienischen Sozialrepublik mit Sitz in Mailand einsetzte. Es war nichts weiter als ein deutsches Marionettenregime, das den Anschein von Macht aufrechterhalten sollte. Aber auch damit war es jetzt vorbei. Die Alliierten waren nach Norden vorgerückt und hatten Mailand eingenommen, was ihn dazu gezwungen hatte, noch weiter nach Norden an den Comer See zu fliehen, nur wenige Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt.

»Es ist ein ruhiger Tag«, sagte Clara zu ihm.

In seinem Leben hatte es unzählige Frauen gegeben. Seine Frau fand sich mit den Geliebten ab, weil eine Scheidung keine Option für sie war. Vorwiegend aus religiösen Gründen, aber was hätte sie auch davon gehabt, die Exfrau des Duce zu sein?

Nicht viel.

Unter all seinen Affären nahm Claretta Petacci jedoch einen besonderen Platz ein. Altersmäßig trennten sie achtundzwanzig Jahre, aber irgendwie verstand sie ihn. Stellte ihn nie infrage, hinterfragte ihn nie, liebte ihn unbeirrt. Sie war aus eigenem Antrieb nach Como gekommen, um ihn ins Exil zu begleiten.

Doch das Schicksal arbeitete gegen sie.

Die Russen beschossen Berlin; die Briten und Amerikaner marschierten durch Deutschland, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Das Dritte Reich lag in Trümmern. Hitler hockte in einem Bunker unter den Trümmern seiner Hauptstadt. Die Achse Rom – Berlin war zusammengebrochen. Dieser verdammte Krieg, den man gar nicht hätte führen dürfen, näherte sich dem Ende.

Und sie hatten verloren.

Clara stand gedankenverloren am offenen Fenster. Von ihrem hochgelegenen Aussichtspunkt aus sah sie in der Ferne den See und die Berge auf der anderen Seite. Sie hatten die Nacht in diesem bescheidenen Haus verbracht, ihr Zimmer hatte einen Steinfußboden und war mit einem einfachen Bett und ein paar Stühlen ausgestattet. Kein Feuer brannte im Herd, das einzige Licht stammte von einer nackten Glühbirne, die blendend hell vor der gekalkten Wand strahlte. Sein Leben war für lange Zeit von Luxus und Genuss erfüllt gewesen, deshalb entbehrte es für ihn nicht einer gewissen Ironie, dass er und Clara – die einst im opulenten Überfluss des Palazzo Venezia Trost in den Armen des anderen gefunden hatten – sich schließlich im Bett eines Bauernhauses mitten in den einsamen italienischen Bergen wiederfanden.

Er ging zum Fenster und stellte sich neben sie. Auf dem Fensterbrett lag eine dicke Staubschicht. Sie hielt seine Hand, als ob er ein Kind wäre.

»Vor sieben Jahren«, sagte er auf Italienisch, »war ich ein interessanter Mensch. Jetzt bin ich nicht viel mehr als eine Leiche, ein Kadaver.«

Seine Stimme klang unheilschwanger und apathisch.

»Du bist immer noch wichtig«, erklärte sie.

Er lächelte matt. »Ich bin fertig. Mein Stern ist gesunken. Ich habe keine Kraft mehr zum Kämpfen.«

In letzter Zeit war er immer wütender und aggressiver geworden, dabei aber ganz untypisch unentschlossen gewesen. Nur hier und da hatte sich seine Überheblichkeit voller Zorn Luft gemacht. Niemanden interessierte mehr, was er tat, was er dachte oder sagte.

Ausgenommen Clara.

Am Nachmittag war es bedeckt, in der Ferne waren Schüsse zu hören. Die verdammten Rebellen machten einen Schießstand aus der ländlichen Gegend und säuberten alle Rückzugsorte der Faschisten. Weiter unten entdeckte er einen Wagen, der, aus Richtung Azzano kommend, die gewundene schmale Straße herauffuhr. Er und Clara waren in den frühen Morgenstunden hergebracht worden. Warum? Er wusste es nicht. Aber zwei bärtige Partisanen, die Schirmmützen mit einem roten Stern trugen und Maschinengewehre schwenkten, hatten sie seitdem streng bewacht.

Als ob sie auf etwas warteten.

»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte er zu ihr.

Sie drückte seine Hand. »Mein Platz ist an deiner Seite.«

Er bewunderte ihre Loyalität und wünschte sich, seine Schwarzhemden besäßen auch nur einen Bruchteil davon. Unter seinem Fenster ging es etwa fünf Meter in die Tiefe, doch er stellte sich vor, viel höher zu stehen, wie 1936 auf dem Balkon des Palazzo Venezia zur Feier des grandiosen italienischen Sieges über Abessinien. An jenem Tag hatten sich vierhunderttausend Menschen auf der Piazza gedrängt. Stürmisch, ausgelassen und fanatisch. Duce, Duce, Duce, schrien sie damals, und er hatte sich in der Hitze ihrer Massenhysterie gesuhlt.

Was für ein Lebenselixier!

Doch wie wenig Cäsarenhaftes hatte er jetzt noch in sich?

Seine Markenzeichen – Kahlkopf und Schmerbauch – waren ihm geblieben, doch seine Augen waren gelblich geworden und sein Blick immer gehetzter. Er trug seine Uniform. Ein schwarzes Hemd, ein grauer Umhang, Kniebundhosen mit roten Streifen an den Seiten, Schaftstiefel und eine einfache graue Feldmütze. Gestern, bevor die Partisanen ihn festsetzten, war er in den Mantel eines deutschen Gefreiten geschlüpft und hatte sich dessen Stahlhelm übergestreift – ein kläglicher Versuch, sich zu verkleiden.

Und dazu ein Fehler.

Das verriet Furcht.

Manche nannten ihn einen Clown, andere einen Abenteurer der Machtpolitik odereinen Hochstapler in einem riskanten, reaktionären Spiel. Die Europäer hatten ihn als den Mann bezeichnet, der dafür sorgte, dass die Züge pünktlich fuhren.

Doch er war nur Il Duce.

Der Führer.

Der jüngste Mann, der jemals über Italien herrschte.

»Ich erwarte das Ende dieser Tragödie«, sagte er. »Ich fühle mich auf eine seltsame Weise all diesen Dingen entrückt, bin kein Akteur mehr, sondern eher der letzte Zuschauer.«

Die Depressionen, unter denen er in letzter Zeit gelitten hatte, wallten wieder auf, und es kostete ihn große Mühe, sich nicht von ihnen überwältigen zu lassen.

Doch jetzt war keine Zeit für Selbstmitleid!

Das Auto röhrte die steilen Serpentinen zwischen dichten Zedern- und Tannengehölzen herauf, und sein Motor brummte immer lauter, je näher es dem Haus kam.

Er war müde, blass im Gesicht, und er brauchte eine Rasur. Auch war er ungewöhnlich nachlässig gekleidet, seine Uniform zerknittert und ungepflegt. Schwerer wog jedoch, dass er sich den Ereignissen ausgeliefert fühlte und panische Fluchtgedanken hegte.

Er hatte die Kontrolle verloren.

Unten stoppte der Wagen.

Auf der Fahrerseite stieg ein Mann in der blassblauen Uniform eines Hauptmanns der Luftwaffe aus. Sein brauner Kragen ließ erkennen, dass er zum Fernmeldebataillon gehörte. Seit gestern hatte ihn nur das unorganisierte Chaos der Partisanen umgeben. Dass es ihnen an Führung fehlte, hatte er am eigenen Leib im Rathaus von Dongo erlebt, wo man ihn zum ersten Mal verhaftet hatte. Keiner seiner Häscher wusste eigentlich, was man mit ihm anstellen sollte. Er hatte in einem verrauchten Raum gesessen, in dem alle durcheinanderredeten, und zugehört, wie über Radio Mailand das Ende des Faschismus verkündet und gefordert wurde, sämtliche Regierungsmitglieder festzusetzen.

Schwachköpfe. Allesamt.

Aber nichts im Vergleich zu den Deutschen.

Er hatte es so lange wie möglich vermieden, einen Pakt mit ihnen einzugehen. Hitler war ein Rohling. Mein Kampf – nichts als Unfug. Er mochte den verrückten Österreicher ebenso wenig, wie er ihm vertraute.

Schließlich war der Druck der öffentlichen Meinung jedoch zu stark geworden, um sich weiterhin darüber hinwegzusetzen, und so hatte er 1940 dem Kriegseintritt zugestimmt.

Ein schrecklicher Fehler.

Zum Teufel mit diesen arischen Mistkerlen. Nie wieder wollte er einen von ihren Uniformträgern sehen.

Doch da kam schon der nächste.

Der Uniformierte trat ins Haus und stieg die Treppe zum ersten Stock herauf. Er und Clara blieben am Fenster stehen, doch sie drehten sich um, als die Schlafzimmertür geöffnet wurde und der Uniformierte eintrat. Er erwartete, dass der Mann die Hacken zusammenschlug und salutierte, doch ihm wurde kein Respekt erwiesen. »Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte der Neuankömmling stattdessen leise auf Italienisch. »Allein.«

Der Besucher war ein groß gewachsener dünner Mann mit einem langen Gesicht, großen Ohren und einem blassen Teint. Sein schwarzes Haar war mit Pomade zurückgekämmt, und den schmallippigen Mund zierte ein gestutzter Schnurrbart. Mussolini ging im Kopf der Reihe nach sämtliche miserablen Aspekte der Situation durch und überlegte sich eine Reaktion. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hätte es niemand gewagt, ihn so anzusprechen. Wer gefürchtet werden wollte, musste absolute und uneingeschränkte Autorität ausstrahlen. Deshalb war sein erster Gedanke, dem Neuankömmling die Tür zu weisen, doch das ungewisse Vakuum seiner gegenwärtigen Situation war stärker als sein Stolz.

»Warte draußen«, sagte er zu Clara.

Sie zögerte und wollte protestieren, doch er brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen. Sie widersetzte sich nicht länger, nickte und verließ das Zimmer.

Der Uniformierte schloss hinter ihr die Tür.

»Die Zeit ist knapp«, sagte der Mann. »Das Nationale Befreiungskomitee und das Freiwilligen-Freiheitskorps sind hinter Ihnen her.«

Beide bedeuteten Schwierigkeiten, insbesondere Letzteres, weil es vorwiegend aus Kommunisten bestand, die Italien schon seit Langem für sich selbst beanspruchten.

»Man hat beschlossen, Sie zu erschießen. Es ist mir gelungen, ihren Emissären zuvorzukommen, aber sie sind nicht mehr weit weg.«

»Und das ist alles Ihnen und Ihren Deutschen zu verdanken, die mich im Stich gelassen haben.«

Der Mann wühlte mit der rechten Hand in seiner Jackentasche und holte etwas heraus.

Einen Ring.

Er streifte ihn über den Mittelfinger seiner linken Hand und zeigte ihm die Inschrift. Sie bestand aus fünf Reihen mit Buchstaben, die in das mattierte Zinn geätzt waren.

SATOR

AREPO

TENET

OPERA

ROTAS

Jetzt begriff er.

Dies hier war kein gewöhnlicher Besucher.

Er hatte zu Zeiten seiner uneingeschränkten Herrschaft mit zwei Päpsten zu tun gehabt: Pius XI. und Pius XII. Der eine war entgegenkommender als der andere gewesen, aber beide waren ihm auf die Nerven gegangen. Bedauerlicherweise brauchte man, um Italien regieren zu können, die Rückendeckung der katholischen Kirche – was keine geringe Herausforderung darstellte. Doch es war ihm gelungen, sich mit der Kirche zu arrangieren und eine brüchige Allianz zu schmieden, die sich nun ebenfalls ihrem Ende näherte.

»Dieser Ring dürfte Ihnen bekannt sein«, sagte der Mann. »Er ist genau wie jener, den Sie dem Mann gestohlen haben, den Sie umbringen ließen.«

Jetzt wurde es noch klarer.

Eine kleine Gruppe von Europäern hatte im Jahr 1070 am Rand des christlichen Abendlandes ein Hospital gegründet und es Johannes dem Täufer gewidmet. So wurden sie zum Hospitalorden vom Heiligen Johannes von Jerusalem. Nach 850-jähriger Geschichte war der volle Name des Ordens inzwischen grotesk lang geworden:

Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes zu Jerusalem von Rhodos und von Malta.

Nicht gerade uneitel.

»Ich spreche für Seine Durchlaucht, den Prinzen und Großmeister persönlich«, sagte der Uniformierte. »Er bittet Sie noch einmal herauszugeben, was sich in Ihrem Besitz befindet.«

»Sind Sie wirklich ein deutscher Offizier?«, fragte er.

Der Mann nickte. »Doch ich war schon lange ein Ordensritter, bevor so etwas wie das Dritte Reich überhaupt existierte.«

Er lächelte.

Endlich ließ der Fremde die Maske fallen.

Dieser Mann war nichts weiter als ein Spion, was erklärte, warum seine Feinde diesen Abgesandten überhaupt zu ihm durchgelassen hatten.

»Sie behaupten, es seien Leute zu mir unterwegs. Für die Partisanen bin ich bedeutungslos. Den Deutschen mache ich nur Scherereien. Mein Tod nützt nur den Kommunisten. Also sagen Sie mir: Was haben Sie zu bieten, um denen ihr Vergnügen streitig zu machen?«

»Die Täuschungsmanöver, die Sie gestern versuchten, sind allesamt gescheitert.«

Es tat ihm leid, das zu erfahren.

Er war zunächst von Mailand nach Como geflohen, über die schmale, gewundene Straße, die sich am Seeufer entlangzog, und durch Dutzende winziger Dörfer gefahren, die sich an das stille Gewässer schmiegten. Cernobbio, Moltrasio, Tremezzo, Menaggio. Normalerweise leicht an einem halben Tag zu schaffen, aber diesmal hatte es viel länger gedauert. Er hatte damit gerechnet, dass ihn fünftausend Schwarzhemden erwarteten. Seine Soldaten. Doch nur zwölf hatten sich blicken lassen. Dann tauchte ein deutscher Konvoi aus achtunddreißig Lkw und dreihundert kampferprobten Soldaten auf, der sich nordwärts in Richtung Österreich bewegte. Er hatte die Karawane dazu gebracht, ihn aufzunehmen, und hoffte, sich so bis nach Chiavenna durchschlagen zu können. Dort wollte er sich von dem Zug trennen und die Schweiz ansteuern.

Aber so weit kam er gar nicht.

Die verdammten Deutschen wollten ihn jetzt im Tausch gegen eine sichere Passage ans Messer liefern.

Glücklicherweise war er nicht ohne Sicherheiten unterwegs. Gold und Juwelen aus dem italienischen Staatsschatz, dazu bündelweise Devisen und zwei Ledermappen voller wichtiger Papiere, Dossiers und Briefwechsel.

»Die Partisanen haben einen Teil Ihres Goldes«, sagte der Mann. »Das meiste davon haben die Deutschen in den See gekippt. Ihre beiden Mappen sind allerdings verschwunden. Befindet sich das, was ich haben will, in einer davon?«

»Weshalb sollte ich Ihnen das erzählen?«

»Weil ich Ihr erbärmliches Leben retten kann.«

Mussolini konnte nicht abstreiten, dass er gern weiterleben wollte. Doch etwas anderes war noch wichtiger: »Und Clara?«

»Sie kann ich auch retten.«

Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schob den Unterkiefer vor – eine so vertraute Geste. Dann lief er durchs Zimmer, und seine Stiefelsohlen schrammten über den rauen Steinfußboden. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er eine Aufwallung von Stärke in den Knochen.

»Der ruhmreiche Orden wird niemals untergehen«, sagte er. »Er ist wie die Tugend selbst, wie der Glaube. Ist das korrekt?«

»Das ist es. Der Comte de Marcellus hat vor der französischen Deputiertenkammer eine elegante Rede gehalten.«

»Ich erinnere mich, dass es ihm um die Rückgabe eines großen Landstriches ging, den die Krone den Rittern abgenommen hatte. Sein Vorhaben scheiterte, doch es gelang ihm, einen Souveränitätsstatus zugebilligt zu bekommen. So konnten die Ordensritter einen eigenen Staat in Frankreich gründen.«

»Und wir sind nicht untergegangen«, sagte der Mann.

»Sehr zu meinem Glück.« Er warf seinem Besucher einen finsteren Blick zu. »Bringen Sie mich von diesen Partisanen weg, dann können wir uns über Nostra Trinità unterhalten.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Sie verkennen womöglich den Ernst Ihrer Lage. Sie sind ein zum Tode Verurteilter und rennen mit jeder Lira und jeder Unze Gold, die Sie stehlen konnten, um Ihr Leben.« Er hielt inne. »Leider sind Sie damit gescheitert. Sie werden kommen, um Sie zu töten. Ich bin Ihre einzige Hoffnung. Ihnen bleibt keinerlei Spielraum zum Feilschen, es sei denn, Sie geben mir, was ich verlange.«

»In den beiden Ledermappen, die Sie erwähnten, habe ich Korrespondenzen, von denen die Briten ganz bestimmt nicht möchten, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen.«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Das ist deren Problem.«

»Stellen Sie sich doch einmal vor, was die Ritter mit solch belastenden Informationen bewirken könnten.«

»Wir haben exzellente Beziehungen mit London. Ich will nur den Ring und die Dokumente, die Sie gestohlen haben.«

»Den Ring? Das ist doch nur ein Stück Metall.«

Der Uniformierte hob die Hand. »Uns bedeutet er viel mehr.«

Er schüttelte den Kopf. »Ihr Ritter seid doch nichts als Parias. Man hat euch aus Jerusalem hinausgeworfen, aus Zypern, Rhodos, Russland und Malta. Jetzt verkriecht ihr euch in zwei Palazzi in Rom und klammert euch an einen Ruhm, den es schon lange nicht mehr gibt.«

»Dann haben wir etwas gemeinsam.«

Mussolini grinste unwillkürlich. »Das stimmt.«

Durchs offene Fenster hörte er ein weiteres Fahrzeug näher kommen.

Sein Besucher bemerkte es ebenfalls.

»Sie sind da«, sagte der Mann.

Plötzlich wurde er von einer Entschlossenheit erfüllt, die noch durch die Tatsache verstärkt wurde, dass selbst den Kaisern des Heiligen Römischen Reiches, Napoleon und sogar Hitler persönlich verwehrt geblieben war, was ihm gelungen war.

Er hatte den Papst bezwungen.

Dass sich dieser Mann jetzt hier befand, war der handfeste Beweis seines Sieges.

»Fragen Sie Pius XII., wie es sich angefühlt hat, vor mir auf die Knie zu gehen«, sagte er.

»Ich bezweifle, dass das geschehen ist.«

»Nicht wortwörtlich. Doch im übertragenen Sinne hat er gekniet. Er wusste, was ich für seine kostbare Kirche tun konnte. Und was ich immer noch tun kann.«

Dies erklärte, weshalb sich der Vatikan nach außen niemals seiner Machtergreifung widersetzte. Selbst nachdem er die totale Kontrolle erlangt hatte, hatte die Kirche weiterhin geschwiegen und ihren immensen Einfluss nie genutzt, um das italienische Volk zum Aufstand zu bewegen – ein Glück, das keinem anderen König, keiner Königin und keinem Kaiser jemals so zuteilwurde.

Er deutete auf den Ring des Mannes. »Nicht anders als Sie sehe ich mich in meinen Stärken in der Tradition Kaiser Konstantins. Nur ihm und mir gelang der Sieg, wo alle anderen scheiterten.«

Draußen hatte das Fahrzeug inzwischen das Haus erreicht. Er hörte Türen knallen, als Leute ausstiegen.

»Sagen Sie Ihrem Großmeister, dass er es bedauern wird, mich nicht gerettet zu haben«, sagte er.

»Sie sind ein Narr.«

Er drückte den Rücken durch. »Ich bin der Duce.«

Der Mann in der deutschen Uniform wirkte unbeeindruckt und schüttelte den Kopf. »Leben Sie wohl, großer Führer«, sagte er und verließ mit diesen Worten den Raum.

Mussolini richtete sich kerzengerade auf und blickte zur offenen Tür. Wie viele Männer hatte er in den Tod geschickt? Tausende? Eher Zehntausende. Jetzt begriff er, wie hilflos sie sich in dem Moment gefühlt haben mussten, als ihr Schicksal besiegelt war.

Jemand stapfte die Treppe herauf.

Ein ihm unbekannter Mann betrat den Raum, ein drahtiger Kerl mit dunklen Augen und düsterer Miene, der eine Maschinenpistole in den Händen hielt. »Ich bin hier, um Sie zu befreien.«

Er glaubte ihm kein Wort, spielte aber mit. »Welch ein Glück.«

»Wir müssen hier weg. Sofort.«

Jetzt erschien Clara. Sie kam ins Zimmer, ging zum Bett und suchte zwischen den Laken.

»Was suchen Sie da?«, fragte der Mann.

»Meinen Schlüpfer.«

»Lassen Sie das. Dafür ist keine Zeit. Wir müssen gehen.«

Mussolini nahm sie sanft am Arm und signalisierte ihr, dass sie aufbrechen mussten. War ihr überhaupt bewusst, was gleich geschehen würde? Er bezweifelte es, weil sie sich, wie stets, mehr um ihn als um sich selbst zu sorgen schien.

Sie stiegen hinunter ins Erdgeschoss, verließen das Haus und setzten sich auf die Rückbank eines lädierten Fiats. Hinter dem Steuer saß schon ein Fahrer. Der Mann mit der Maschinenpistole stieg nicht ein, er stellte sich rechts aufs Trittbrett und richtete seine Waffe in den Innenraum.

Langsam fuhr das Auto die steile Straße zum Dorf hinunter. Weiter hinten folgten zu Fuß die beiden Wachen von letzter Nacht. Sie alle umrundeten im Schritttempo eine Haarnadelkurve, doch beschleunigte der Fiat, als die Straße danach geradeaus weiterging. Die Reifen zischten auf der feuchten Straße. Der Mann, der sich draußen ans Fahrzeug klammerte, befahl dem Fahrer, auf der schmalen und steilen Straße in der Aussparung vor einem Eisentor zu halten, die etwa fünf Meter breit und zwei Meter tief war. Das Tor blockierte eine Einfahrt und war an zwei großen Betonpfeilern eingehängt, links und rechts davon verliefen nach innen gebogene, etwa hüfthohe Mauern, die oben mit Buschwerk bewachsen waren.

Der Mann mit der Maschinenpistole sprang vom Trittbrett und öffnete die Wagentüren. Der Fahrer stieg aus. Befehle wurden geschrien und zwei andere bewaffnete Männer gingen in Position, einer vorne und einer hinten an der Straße. Bäume und die scharfe Kurve verhinderten, dass die Szene von den Häusern in Azzano aus beobachtet werden konnte.

»Aussteigen«, befahl jemand.

Claras Gesicht bekam einen gequälten Ausdruck, ihre Blicke irrten umher wie bei einem verängstigten Vogel.

Mussolini stieg aus.

Sie folgte ihm.

»Dorthin!«, sagte der Mann und schwenkte den Lauf seines Gewehrs in Richtung des Eisentors.

Mussolini ging gleich zur Wand und baute sich davor auf. Clara kam und stellte sich an seine Seite. Er wollte nicht denselben Fehler wie gestern begehen. Er würde keine Angst haben. Wenn später von dem berichtet wurde, was gleich geschehen sollte, würden sie lügen müssen, um ihn als Feigling dastehen zu lassen.

»Benito Mussolini, Sie sind ein Kriegsverbrecher. Das italienische Volk hat Sie dafür zum Tode verurteilt.«

»Nein. Das dürfen Sie nicht«, schrie Clara. »Das können Sie nicht machen.«

Sie klammerte sich an seinen Arm.

»Gehen Sie von ihm weg!«, befahl der Mann. »Gehen Sie weg, oder Sie sterben auch.«

Sie wich nicht von der Stelle, und der Mann drückte den Abzug.

Nichts geschah.

Der Schütze rüttelte am Schussbolzen und versuchte die Ladehemmung zu beseitigen. Clara schrie erneut, warf sich nach vorn und packte den Lauf der Maschinenpistole mit beiden Händen.

»Sie können uns doch nicht einfach so umbringen«, kreischte sie.

»Gib mir dein Gewehr!«, brüllte der Mann.

Eine der beiden anderen Wachen kam zu ihm gerannt und warf ihm eine Waffe zu. Der Schütze ließ das Gewehr los, das Clara festhielt, und fing die Ersatzwaffe auf.

Mussolini begriff, dass seine Stunde gekommen war.

Energie durchströmte ihn, und er versuchte gar nicht erst, wegzulaufen oder sich zu wehren.

Stattdessen riss er mit beiden Händen seine Jacke auf und schob die Brust nach vorn wie einen Schiffsbug. Hinter den drei Männern, die gekommen waren, um ihn umzubringen, sah er den Ritter in der deutschen Uniform die Straße hinuntergehen. Ganz entspannt, ohne Hast. Die drei anderen kümmerten sich nicht um ihn. Der Uniformträger blieb stehen und beobachtete die Szene. Gut so. Sollte er doch zusehen.

»Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo!«, rief Mussolini.

Er bezweifelte, dass einer dieser Narren Latein verstand.

Die große Ordnung der Zeitalter wird von Neuem geboren.

Die Maschinenpistole ratterte.

Clara wurde als Erste getroffen und stürzte zu Boden. Ihm brach das Herz, als er sie sterben sah. Die nächsten Schüsse galten ihm. Drei trafen ihn in den Bauch, vier weitere in die Beine. Seine Knie gaben nach, und er sackte in eine sitzende Position.

Er richtete den Blick auf den Ritter und sagte mit der letzten Kraft, die er aufbieten konnte: »Es ist … noch nicht … vorbei.«

Blut strömte aus seinem Mund.

Seine linke Schulter senkte sich, und er fiel auf das feuchte Kopfsteinpflaster. Er starrte in den Wolkenhimmel hinauf. Noch lebte er. Der Korditgestank hing schwer in der feuchten Luft. Eine der Wachen baute sich über ihm auf und richtete den Lauf der Waffe nach unten.

Er konzentrierte sich auf das schwarze Loch.

Es war wie der Punkt am Ende eines Satzes.

Dann fiel der Schuss.

GEGENWART

1

Dienstag, 9. Mai

Comer See, Italien

08.40 Uhr

Cotton Malone betrachtete den Ort, an dem die Exekution stattgefunden hatte.

Am Nachmittag des 28. April 1945 wurden kurz nach 16 Uhr Benito Mussolini und seine Geliebte Claretta Petacci nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der er jetzt stand, erschossen. Im Laufe der Jahrzehnte, die seither vergangen waren, war aus dem Eingang der Villa Belmonte am Rand einer schmalen Straße, die von Azzano aus etwa eine halbe Meile steil nach oben verlief, ein Wallfahrtsort geworden. Das Eisentor, die niedrige Mauer, selbst die gestutzte Hecke war noch dort; der einzige Unterschied zu damals war ein Holzkreuz auf einer Seite des Tores, auf dem Mussolinis Name und sein Todestag geschrieben standen. Auf der anderen Seite entdeckte er eine weitere Ergänzung: ein kleines verglastes Holzkästchen mit Fotografien von Mussolini und Claretta. Ein riesiger Kranz aus frischen Blumen hing am Eisenzaun über dem Kreuz. Auf dem Band stand: Egli vivrà per sempre nel cuore del suo popolo.

Er wird auf ewig im Herzen seines Volkes leben.

Unten im Dorf hatte man ihm den Weg zu der Stelle erklärt und ihm erzählt, dass es immer noch loyale Anhänger gab, die dem Ort die Ehre erwiesen, was erstaunlich war, wenn man bedachte, wie viel Brutalität man Mussolini nachsagte und dass seit seinem Tod bereits etliche Jahrzehnte vergangen waren.

In welch einer Zwickmühle hatte Mussolini gesteckt!

Italien quälte sich durch eine Übergangszeit. Die Deutschen hatten sich zurückgezogen, und die Partisanen strömten aus den Bergen herunter. Die Alliierten machten aus südlicher Richtung Druck und befreiten eine Stadt nach der anderen. Einzig der Norden und die Schweiz hatten Fluchtmöglichkeiten geboten.

Doch dazu war es nicht mehr gekommen.

Cotton stand in der kühlen Brise eines herrlichen Frühlingsmorgens.

Gestern war er mit der Nachmittagsmaschine aus Kopenhagen auf dem Flughafen Mailand-Malpensa gelandet und von dort aus mit einem gemieteten Alfa Romeo nordwärts an den Comer See gefahren. Er hatte sich den Sportwagen gegönnt, und es gab wohl niemanden, dem es nicht gefiele, einen Wagen mit einem 237-PS-Motor zu fahren, der es in vier Sekunden von null auf hundert schaffte. Im Rahmen einer verdeckten Operation des Magellan Billet war Cotton vor Jahren schon einmal in Como gewesen und damals in der hinreißenden Villa d’Este untergebracht worden, einem der besten Hotels der Welt. Diesmal würde sein Logis nicht annähernd so üppig ausfallen.

Er war als freischaffender Mitarbeiter mit einem Spezialauftrag des britischen Geheimdienstes unterwegs. Seine Zielperson war ein ortsansässiger Antiquitätenhändler, der kürzlich ins Visier des MI6 geraten war. Ursprünglich bestand seine Aufgabe aus einer einfachen An- und Verkaufsaktion. Weil er selbst mit seltenen Büchern handelte, brachte er eine gewisse Expertise mit, was Preisverhandlungen bei alten und raren Schriftstücken anbetraf. Doch neue Informationen, die erst im Laufe der vergangenen Nacht aufgekommen waren, hatten auf ein mögliches Versteck hingewiesen, weshalb die Aufgabe modifiziert worden war. Falls sich diese Informationen als zutreffend erwiesen, hatte er nun den Befehl, die Gegenstände zu stehlen.

Er wusste, wie es lief.

Ein Ankauf hinterließ zu viele Spuren und war bis zum gestrigen Tag die einzige Option des MI6 gewesen. Sofern sich das, was sie wollten, ohne Bezahlung in Besitz nehmen ließ, war dies der klügere Schachzug. Insbesondere, wenn man bedachte, dass sie etwas haben wollten, das dem Italiener, der es anbot, gar nicht gehörte.

Cotton machte sich keine Illusionen.

In den zwölf Jahren beim Magellan Billet und ein paar weiteren, in denen er als freier Mitarbeiter für verschiedene Geheimdienste tätig gewesen war, hatte er eine Menge gelernt. In diesem Fall wusste er, dass er dafür bezahlt wurde, einen Auftrag zu erledigen und alles auf die eigene Kappe zu nehmen, falls etwas schiefging. Grund genug, keine Fehler zu begehen.

Die Sache wirkte allerdings durchaus reizvoll.

Im August 1945 war Winston Churchill unter dem Decknamen Colonel Warden in Mailand eingetroffen. Angeblich, um an den Ufern des Comer Sees, am Gardasee und in Lugano Urlaub zu machen. Was an sich keine schlechte Entscheidung war, weil die Menschen bereits seit Jahrhunderten zu den kristallklaren Alpenseen fuhren. Der Gebrauch eines Decknamens sicherte zwar ein gewisses Maß an Privatheit, zu jenem Zeitpunkt war Churchill allerdings nicht mehr britischer Premierminister, weil er die Wahlen schmählich verloren hatte.

Den ersten Halt hatte er an dem Friedhof in Mailand eingelegt, wo man Mussolini hastig verscharrt hatte. Er hatte mehrere Minuten mit dem Hut in der Hand am Grab gestanden, was etwas seltsam war, da es sich bei dem Verstorbenen um einen brutalen Diktator und Kriegsgegner handelte. Danach war er weiter nordwärts nach Como gereist und in einer Villa am Seeufer abgestiegen. Im Laufe der nächsten paar Wochen sahen ihn Einheimische draußen bei der Gartenarbeit, beim Angeln oder beim Malen. Damals verschwendete niemand allzu viele Gedanken darauf, doch Jahrzehnte später sahen sich Historiker die Reise genauer an. Der britische Geheimdienst wusste selbstverständlich schon seit Langem, was Churchill im Schilde führte.

Es ging um Briefe.

Genauer gesagt, um einen Briefwechsel zwischen ihm und Mussolini.

Sie waren zu den Zeiten von Mussolinis Verhaftung verloren gegangen und gehörten zu einer Sammlung von Dokumenten in zwei Ledermappen, die nach dem 27. April 1945 nicht mehr gesehen wurde. Es gab Gerüchte, dass die Mappen von örtlichen Partisanen konfisziert worden waren. Manche behaupten, sie seien den Kommunisten übergeben worden. Andere hatten die Deutschen im Verdacht. Einer weiteren Theorie zufolge waren sie im Garten der Villa vergraben worden, die Churchill gemietet hatte.

Niemand wusste etwas Genaueres.

Doch im August 1945 war etwas vorgefallen, das Winston Churchill dazu gebracht hatte, sich persönlich einzuschalten.

Cotton stieg wieder in den Alfa Romeo und fuhr weiter die steile Straße hinauf. Die Villa bzw. das vermeintliche Bauernhaus, wo Mussolini und seine Geliebte ihre letzte Nacht verbracht hatten, stand noch irgendwo in der Nähe. Er hatte die vielen widersprüchlichen Berichte über die Ereignisse jenes schicksalhaften Samstags gelesen. Die Historiker hatten längst noch nicht alle Fragen geklärt. Insbesondere war der Name des Schützen inzwischen nicht mehr zweifelsfrei bekannt. Inzwischen gab es mehrere Männer, die diese Ehre für sich in Anspruch nahmen, doch niemand wusste genau, wer den Finger am Abzug gehabt hatte. Noch rätselhafter war, was aus dem Gold, den Juwelen, den Devisen und den Dokumenten geworden war, die Mussolini hatte mit in die Schweiz nehmen wollen. Die größte Einigkeit bestand über den Punkt, dass ein Teil des Vermögens im See versenkt worden war, weil ortsansässige Fischer dort nach dem Krieg Gold gefunden hatten. Was allerdings die Dokumente betraf, war niemals ein bedeutender Fund ans Licht der Welt gelangt – bis vor zwei Wochen, als bei der britischen Botschaft in Rom eine E-Mail mit einem gescannten Brief Churchills an Mussolini einging.

Es folgten noch mehr E-Mails mit vier weiteren Scans. Für die fünf Briefe war bisher kein Verkaufspreis genannt worden, deshalb zahlte man Cotton 50.000 Euro für die Reise nach Como, sein Verhandlungsgeschick und die sichere Rückgabe jener fünf Briefe.

Die Villa, die er suchte, befand sich auf einer Felsklippe, nur ein kleines Stück von der Straße entfernt, die weiter bis zur nur sechs Meilen entfernten Schweizer Grenze verlief. Ringsumher erstreckten sich Wälder, in denen sich während des Krieges Partisanen versteckt hielten, die von dort aus einen unerbittlichen Guerillakrieg gegen die Faschisten und die Deutschen führten. Ihre erfolgreichen Aktionen waren legendär, allen voran der unerwartete Erfolg der Gefangennahme von Mussolini persönlich.

Für Italien endete der Zweite Weltkrieg an dieser Stelle.

Er fand die Villa zwischen hohen Bäumen. Ein bescheidener, zweigeschossiger Kasten mit angeschimmelten Wänden und einem spitzen Schieferdach. In den vielen Fenstern spiegelte sich der volle Glanz der frühen Morgensonne, und der gelbliche Kalkstein schien im blendend hellen Licht zu verblassen. Der gepflegte Hof wurde von Zypressen gesäumt, mit einem Formschnitt, wie er bei den Häusern rings um den Comer See obligatorisch zu sein schien.

Cotton parkte vor dem Haus, stieg aus und wurde von einer tiefen Stille empfangen.

Hinter der Villa ging es weiter hinauf ins Vorgebirge, wo die Straße ihren gewundenen Anstieg fortführte. Ostwärts und zwischen den in frischem Frühlingsgrün sprießenden Bäumen entdeckte er die dunkelblaue Oberfläche des Sees, der etwa eine halbe Meile entfernt und eine Viertelmeile tiefer lag. Auf seiner spiegelnden Oberfläche bewegten sich Boote hin und her. Die Luft war hier spürbar kälter, und er roch die Glyzinien aus dem nahe gelegenen Garten.

Er wandte sich zur Eingangstür und wurde hellwach.

Die schwere Holztür stand leicht offen.

Weißer Kies knirschte unter seinen Sohlen, als er die Einfahrt überquerte. Kurz vor dem Eintreten hielt er an. Er versetzte der Tür einen leichten Stoß, um sie weiter zu öffnen, ohne die Türschwelle übertreten zu müssen. Keine Alarmanlage schlug an, und es kam auch niemand. Doch sein Blick fiel sofort auf den Körper, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Terrazzoboden lag. An einer Seite hatte sich eine dunkelrote Lache gebildet.

Cotton war unbewaffnet. Nach Auskunft seines Informanten hätte das Haus leer sein sollen, der Besitzer sollte erst am späten Nachmittag zurückkehren. Der MI6 hatte nicht nur die E-Mails zurückverfolgt, die er bekommen hatte, sondern auch ein kurzes Dossier über den potenziellen Verkäufer zusammenstellen können. Nichts an ihm hatte bedrohlich gewirkt.

Cotton trat ein und tastete nach dem Puls des Mannes am Boden.

Nichts.

Er sah sich um.

Die Zimmer waren angenehm und geräumig, an den tapezierten Wänden hingen riesige Ölbilder, vom Alter nachgedunkelt. Der etwas faulige Duft alter Blumen sowie der muffige Geruch von Kerzenwachs und Tabak hing in der Luft. Sein Blick glitt über einen großen Schreibtisch aus Walnussholz, ein Akkordeon aus Rosenholz, mit Seidenbrokat bezogene Sofas und Sessel. An den Wänden standen Schränke mit Glastüren, die mit aufwändigen Intarsien verziert waren. Darin lagen, ausgestellt wie in einem Museum, verschiedenste Objekte.

Aber es herrschte das reinste Chaos.

Schubladen waren halb geöffnet, hingen in seltsamen Winkeln heraus, die Regale waren in Unordnung, einige der Schränke zertrümmert, Sessel lagen umgestürzt auf dem Boden, manche davon zerschlagen, die Bezüge zerrissen. Selbst die Vorhänge waren zum Teil aus den Schienen gerissen worden und lagen in zerknitterten Haufen am Boden.

Da hatte jemand offenbar etwas gesucht.

Der Einzige, der die Stille störte, war ein Papagei in einem vergoldeten Käfig, der einmal auf einem Marmorpodest gestanden hatte. Jetzt lag der Käfig zerschmettert und verbogen auf dem Boden, das Podest war umgestürzt, und der Vogel kreischte laut und aufgeregt.

Cotton drehte die Leiche herum und bemerkte zwei Schusswunden. Das Opfer war ein Mann von Mitte bis Ende vierzig, hatte dunkles Haar und ein glatt rasiertes Gesicht. Der Besitzer der Villa hatte ungefähr das gleiche Alter, doch dieser Tote passte nicht zu der Beschreibung, die er erhalten hatte.

Etwas klapperte.

Hart und laut.

Das kam von oben.

Dann folgten schwere Schritte.

Es war noch jemand hier.

Das Versteck, nach dem er suchte, befand sich im zweiten Stock, deshalb ging er zur Treppe und stieg die Stufen hoch; dabei kam er am Absatz des ersten Stockwerkes vorbei. Auf den Treppenstufen lag ein Läufer, der die Schritte seiner Ledersohlen dämpfte, sodass kein Laut seine Bewegungen verriet. Im dritten Stock hörte er Lärm. Als ob ein schweres Möbelstück auf den Fußboden krachte! Wer auch immer dort auf der Suche war, schien sich völlig ungestört zu fühlen.

Er beschloss, einen kurzen Blick zu riskieren, um die Lage einzuschätzen, und schlich weiter.

Ein schmaler grüner Läufer verlief in der Mitte des Holzfußbodens durch den Korridor. Das halb geöffnete Fenster auf der gegenüberliegenden Seite ließ etwas Morgenlicht herein und sorgte für Durchzug. Er gelangte zu dem Zimmer, aus dem der Lärm kam. Es war der Raum, den er auftragsgemäß suchen sollte. Die Person, die ihm hier zuvorgekommen war, war gut informiert. Er stoppte an der offenen Tür, riskierte einen kurzen Blick.

Und sah einen kräftigen Bären.

Mindestens einige hundert Kilo schwer.

Als Ursache des Lärms war schnell ein Schrank ausgemacht, der umgestürzt dalag. Das Tier untersuchte alles, schob alles Mögliche von den Tischen und schnupperte daran, wenn es zu Boden fiel. Es stand mit abgewandtem Kopf bei einem der beiden halb geöffneten Fenster.

Besser, wenn er schleunigst verschwand!

Der Bär unterbrach seine Nahrungssuche und hob schnuppernd die Nase.

Das war übel.

Das Tier witterte Cotton, wandte sich zu ihm um und knurrte drohend.

Ihm blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um eine Entscheidung zu treffen.

Beim Umgang mit Bären galt es normalerweise, nicht zurückzuweichen und sich ihnen entgegenzustellen. Dieser Ratschlag stammte offensichtlich von Menschen, die niemals so nahe an einen Bären herangekommen waren. Sollte er zurück zur Treppe laufen? Oder ins Zimmer auf der anderen Seite des Flurs springen? Ein einziger Fehler auf dem Weg ins Erdgeschoss, dann hätte ihn der Bär eingeholt. Also entschied Cotton sich für den Raum auf der anderen Seite des Flurs und sprang gerade in dem Moment nach links, als das Tier mit einer für seine Größe überraschenden Geschwindigkeit losstürmte. Er knallte die Tür zu und stand in einem kleinen Schlafzimmer. Ein riesiger Kachelofen nahm eine Ecke des Zimmers ein. Hier gab es zwei halb geöffnete Fenster, die auf die Rückseite der Villa hinausgingen.

Er brauchte einen Moment zum Nachdenken.

Aber der Bär hatte andere Vorstellungen.

Die Tür flog krachend ins Zimmer.

Cotton lief zu einem der Fenster und sah hinaus. Es ging fast zehn Meter in die Tiefe. Das bedeutete mindestens einen gestauchten Knöchel, vielleicht aber auch einen gebrochenen Knochen oder Schlimmeres. Der Bär verharrte in der Tür, dann brüllte er.

Damit stand die Entscheidung fest.

Cotton bemerkte einen Absatz gleich unter dem Fenster, etwa zwanzig Zentimeter breit. Das reichte, um darauf zu stehen. Er stieg hinaus, breitete seine Hände am warmen Stein aus und presste den Rücken ans Haus. Der Bär stürmte zum Fenster, streckte den Kopf hinaus und schlug mit scharfen Klauen nach ihm. Cotton balancierte weiter nach links und brachte sich aus seiner Reichweite.

Er glaubte nicht, dass das Tier herausklettern würde.

Doch damit war sein Problem nicht gelöst.

Was sollte er als Nächstes tun?

2

Der Ordensritter senkte den Feldstecher.

Was für ein seltsamer Anblick.

Ein Mann stand auf dem schmalen Sims des zweiten Geschosses einer Villa, und ein Bär brüllte aus einem Fenster und schlug mit den Tatzen nach ihm.

Er stand etwa eine Viertelmeile nördlich der Villa auf einem Felssporn und blickte durch die frühlingsgrünen Bäume zu ihr hinunter. Er hatte beobachtet, wie der Alfa Romeo die Straße hinauffuhr – es war ein stetiger, steiler Aufstieg mit vielen engen Kurven –, und gesehen, dass er in die Einfahrt der Villa abbog. Als er das Fernglas auf den Fahrer richtete, der ausstieg, erkannte er sofort, dass es derselbe Mann aus Menaggio war, der gestern Abend in der Stadt so viele Fragen gestellt hatte. Vor einem Café war es ihm gelungen, ein Handyfoto von ihm aufzunehmen, mit dessen Hilfe er die Identität des Mannes herausfand.

Harold Earl »Cotton« Malone.

Ein ehemaliger Mitarbeiter des US-amerikanischen Justizministeriums, der früher einmal etwas mit einer speziellen nachrichtendienstlichen Einheit namens Magellan Billet zu tun hatte. Ein Navy-Commander und qualifizierter Pilot von Kampfjets mit einem abgeschlossenen Jurastudium an der Georgetown-Universität. Malone hatte beim Obersten Militärgericht gearbeitet, bevor man ihn an das Justizministerium überstellte, wo er ein Dutzend Jahre blieb. Er war noch keine fünfzig Jahre alt gewesen, als er in den vorzeitigen Ruhestand ging. Jetzt hatte er ein eigenes Geschäft. Cotton Malone, Antiquariat, Højbro Plads, Kopenhagen.

Ein interessanter Berufswechsel.

Malone genoss einen ausgezeichneten Ruf als kompetenter Geheimagent, der sich auch weiterhin gelegentlich als freier Mitarbeiter verdingte. Was der Templer nicht genau ermitteln konnte, war, weshalb dieser Amerikaner, der über ansehnliche Fähigkeiten und Begabungen verfügte, hier in Italien war und sich nach Dingen erkundigte, von denen nur sehr wenige Menschen auf der Welt überhaupt etwas wissen konnten.

Er wandte sich von der chaotischen Szene dort unten ab und starrte auf den Villenbesitzer, der auf dem Boden kauerte. Man hatte ihm die Arme auf dem Rücken zusammengebunden, und seine Beine waren ebenfalls gefesselt. Ein Knebel hinderte den stämmigen Italiener daran, Geräusche von sich zu geben. Neben ihm stand ein Mitarbeiter und behielt ihn aufmerksam im Auge.

»Sie machen uns reichlich Probleme«, sagte er zu seinem Gefangenen, der ihn mit versteinertem Blick beobachtete.

Er war vor zwei Stunden an der Villa angekommen. Leider war der Gärtner überraschend aufgetaucht, und sein Mitarbeiter hatte ihn erschießen müssen. Es wäre ihm lieber gewesen, Blutvergießen zu vermeiden, aber das hatte sich halt leider nicht vermeiden lassen. Der Villenbesitzer war bereits aufgestanden und angezogen und wollte gerade gehen. Geplant war, ihn zu schnappen, bevor es dazu kam. Er hatte dem Besitzer einige verbindliche Fragen gestellt und auf kooperatives Verhalten gehofft, aber keine Antworten erhalten. Mehrere Appelle an seine Vernunft waren an ihm abgeprallt, deshalb hatten er und sein Mitarbeiter den fetten Italiener hier heraufgebracht, in den Wald, der zu dem Anwesen gehörte und wo eine gewisse Abgeschiedenheit zwischen den Bäumen die Möglichkeit bot, seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Als ob zwei Kugeln im Körper des Gärtners noch nicht ausgereicht hätten, um deutlich zu werden.

Er ging einen Schritt näher und kauerte sich hin. Der Duft des kühlen Morgens stieg ihm in die Nase. »Wahrscheinlich tut es Ihnen jetzt leid, die britische Botschaft in Rom angerufen zu haben.«

Ein Kopfnicken.

»Sie brauchen mir nur zu sagen, wo die Briefe sind, die Sie verkaufen wollten.«

Nach der Gefangennahme Mussolinis im Jahr 1945 war der Inhalt der beiden Ledermappen, die er dabeigehabt hatte, angeblich von italienischen Partisanen inventarisiert worden. Doch es gab niemanden, der ernsthaft glaubte, dass diese Inventarliste korrekt war. Er hatte die Einträge gelesen. Sie waren nur mäßig oder überhaupt nicht interessant. Höchstwahrscheinlich war der ganze Aufwand lediglich Augenwischerei gewesen, und die wirklich wertvollen Dinge waren erst gar nicht in die Liste aufgenommen worden. Im Übrigen hatte man von den Dokumenten, die tatsächlich auf der Liste standen, in den folgenden Jahren nie wieder etwas gehört.

Und dieser Italiener konnte womöglich die Frage beantworten, warum das so war.

»Sie werden mir alles über diese Dokumente von Mussolini erzählen.«

Der Villenbesitzer konnte darauf natürlich keine Antwort geben, und der Tenpler hatte nicht vor, ihm den Knebel abzunehmen.

Jedenfalls jetzt noch nicht.

Er machte ein Zeichen, und sein Mitarbeiter nahm eine Seilrolle, die zwischen den Blättern lag. Hoch über ihnen gab es mehrere kräftige Äste. Er musterte sie und wählte schließlich einen aus, der etwa zehn Meter über ihnen hing. Sein Mitarbeiter brauchte zwei Anläufe, bis es ihm gelang, ein Ende der Seilrolle über den Ast zu werfen. Dann schleifte er den Villenbesitzer zum Seil. Der wehrte sich, doch seine Mühen waren umsonst, da er an Händen und Füßen gefesselt war. Der Italiener wand sich auf dem Boden, während sein Mitarbeiter ein Seilende an die Fesseln der Handgelenke knotete. Mit beiden Händen packte sein Mann danach das Seilende, das über dem Ast hing, und straffte das Seil, bis es die Arme des Italieners spannte.

Es reichte, um ihm das Prinzip klarzumachen.

Sobald der Mann vom Boden abhob, würden seine Arme hinten hochgezogen, und das in einem Winkel, für den menschliche Gelenke nicht gemacht waren. Der Schmerz wäre unerträglich, und von dem Körpergewicht würden schließlich seine Schultern auskugeln.

»Ist Ihnen klar, was ich mit Ihnen anstellen kann?«, fragte er.

Der Villenbesitzer nickte lebhaft.

Er griff in seine Jacke und zog den Revolver heraus. »Ich werde den Knebel entfernen. Wenn Sie schreien oder auch nur die Stimme erheben, schieße ich Ihnen ins Gesicht. Ist das klar?«

Der Mann nickte.

Er befreite ihn von dem Knebel.

Der Mann holte ein paarmal schnell und tief Luft. Der Ritter ließ ihn einen Moment gewähren, dann sah er zu dem Mann hinunter. »Der Inhalt der beiden Ledermappen Mussolinis war lange umstritten. Jetzt sagen Sie mir, wie es kommt, dass sich Teile davon in Ihrem Besitz befinden.«

Der Italiener zögerte, deshalb machte er ein Zeichen, und sein Mitarbeiter zog an dem Seil, das die Arme des Mannes anhob, der noch immer kauerte und das Gewicht seines Körpers stärker zu spüren begann. Der Italiener richtete sich mühsam auf.

»Nein. Nein. Aufhören. Bitte.«

»Beantworten Sie meine Frage.«

»Mein Großvater war dort. In Dongo, wo man den Duce gefunden hat. Er hat geholfen, die Papiere aus den Mappen zu sortieren, und hat ein paar Dokumente behalten.«

»Warum?«

»Er dachte, man könnte sie eines Tages verkaufen.«

»Was hat er damit gemacht?«

»Nichts. Er hat sie nur aufbewahrt. Danach besaß sie mein Vater, dann habe ich sie bekommen.«

»Wie viele Dokumente haben Sie?«

»Fünfundfünfzig Seiten. Alle sind in einer der Originalmappen, die er auch behalten hat.«

Er griff mit der linken Hand in seine Hosentasche und holte den Ring hervor. »Und hat Ihr Großvater den hier auch gefunden?«

Der Italiener nickte.

Es hatte den Templer verärgert, als er den Ring in der Villa entdeckte, in einer der Vitrinen, ausgestellt wie eine Kuriosität.

Er hatte das heilige Objekt umgehend gesichert.

»Haben Sie eine Ahnung, was das ist?«, fragte er und hielt dem Mann den Ring so hin, dass er die Aufschrift sehen konnte:

SATOR

AREPO

TENET

OPERA

ROTAS

Keine Antwort.

»Sagen Ihnen diese fünf Worte etwas? Bedeutet Ihnen der Ring irgendetwas?«

Er gab ein Zeichen, woraufhin mehrfach an dem Seil gezogen wurde.

»Ich habe keine Ahnung«, schrie der Mann, der die Lektion verstanden hatte. »Ich weiß nur, dass sich auf der Innenseite des Rings das Malteserkreuz befindet. Mein Großvater hat mir erzählt, dass der Ring in einer der Mappen war. Deshalb habe ich ihn. Ein Erinnerungsstück.«

Nur wenige Menschen auf der Welt kannten die wahre Bedeutung des Ringes, und diese gierige Seele war offenbar einer von ihnen.

Ein Hintergrundcheck hatte zutage gebracht, dass dieser Mann sein ganzes Leben in einer Villa über dem Comer See gelebt hatte, die sich seit dem 17. Jahrhundert in Familienbesitz befand. Sie war nichts Extravagantes und glich Hunderten anderer Villen rings um den See. Sein Gefangener handelte mit Antiquitäten, die er normalerweise auf Anwesen erwarb, deren Besitzern das Geld ausgegangen war, doch er schreckte auch nicht vor Diebstahl zurück. So war es nicht überraschend, dass er im Besitz verschollener Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg war.

Er gab erneut ein Zeichen, und sein Mitarbeiter spannte das Seil fester. Die Arme hatten ihre natürliche Belastungsgrenze erreicht; danach begannen die unerträglichen Schmerzen. Noch stand der Mann mit beiden Beinen fest auf dem Boden.

»Ein Erinnerungsstück an was?«, fragte er und schwenkte den Ring.

»An den Duce. Er hatte ihn bei sich. Auf der Innenseite ist das Kreuz, aber ich weiß nicht, was es bedeutet.«

»Sie haben nie versucht, es herauszufinden?«

Kopfschütteln. »Niemals.«

Er fragte sich, ob er ihm glauben konnte.

»Es gibt immer noch so viele, die Mussolini verehren«, sagte der Besitzer. »Ich kenne Leute, die ihn für einen bedeutenden Mann halten. Ich hatte gehofft, dass solche Leute eines Tages für Erinnerungsstücke zahlen würden.«

Der Italiener atmete flach, er redete schnell und leise.

»Und was halten Sie von dem ehemaligen großen Führer?«

»Ich kümmere mich nicht um Politik. Das bedeutet mir alles nichts.«

Er deutete mit dem Finger auf ihn. »Ich vermute, Geld ist Ihr einziger Gott.«

Keine Antwort.

»Die Briten haben nicht vor, Ihre Dokumente zu kaufen«, sagte er. »Es war dumm von Ihnen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Jetzt in diesem Moment befindet sich einer ihrer Männer in Ihrer Villa, der ganz bestimmt gekommen ist, um die Dokumente zu stehlen.«

Glücklicherweise wurde dieser Agent momentan von der örtlichen Tierwelt ausreichend beschäftigt.

»Wo haben Sie die Mappe mit den fünfundfünfzig Dokumentenseiten versteckt, einschließlich der Briefe, die Sie verkaufen wollten?«

»In der Villa. In der zweiten Etage.«

Endlich wurde er kooperativ.

Er hörte zu, als der Italiener das Versteck beschrieb.

»Genial«, sagte er, als die Beschreibung zum Ende kam. »Ist dort alles?«

Der Mann nickte. »Alles, was ich habe.«

Er fragte sich, ob Malone ebenfalls über diese Informationen verfügte.

Ein weiteres Zeichen, und sein Mann verringerte den Zug am Seil, sodass der Italiener die Arme herunternehmen konnte.

Der Villenbesitzer stöhnte erleichtert. »Warum haben Sie die Briefe nicht ausgestellt?«, fragte er. »So wie Sie es mit dem Ring getan haben.«

»Mein Vater sagte mir, dass es riskant sein könnte. Er sagte, wir sollten sie sicher versteckt verwahren, bis andere bereit wären, dafür zu zahlen.«

»Und warum verkaufen Sie sie jetzt?«

»Ich brauche Geld. Ich habe in einer Zeitschrift einen Artikel über Churchill und Mussolini gelesen, in dem über die Briefe spekuliert wurde. Da dachte ich, wozu spekulieren? Ich besitze sie. Deshalb habe ich die Briten angerufen.«

»Was wäre Ihr Preis gewesen?«

»Fünf Millionen Euro.«

»Denn die Geldgier ist eine Wurzel aller Übel; etliche, die sich ihr hingaben, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich selbst viel Schmerzen verursacht.« (Timotheus 6:10)

Die Bibel hatte recht.

Er hasste Gier.

Genug.

Die Aktion war am Ende angelangt.

Er hob den Arm und schoss dem Besitzer in den Kopf.

Ein Schalldämpfer am Ende des Laufes sorgte dafür, dass der Schuss keine Aufmerksamkeit erregte. Es war lediglich ein Ploppen, das nur wenige Meter weit zu hören war. Dieser Narr hätte begreifen sollen, dass das Versteck die einzige Trumpfkarte war, die er in der Hand hielt. Aber die Angst war oft größer als der Verstand, und Menschen bildeten sich immer ein, dass sie sich aus allen Schwierigkeiten herausreden konnten.

»Tun Sie es«, sagte er zu seinem Mitarbeiter.

Der Körper wurde hochgezogen, wobei die Arme des Toten fest nach hinten gezerrt wurden. Er hörte es krachen, als sich die Schultern lösten. Dann wurde das Seil um den Baumstamm gebunden, der Leichnam baumelte zur Mahnung im Wind, so wie man es schon vor Jahrhunderten getan hatte.

Das Deuteronomium hatte recht:

»Mein ist die Rache und die Vergeltung, zu der Zeit, da ihr Fuß wanken wird; denn die Zeit ihres Verderbens ist nahe, und ihr Verhängnis eilt herzu.« (Mose 32:35)

Er nahm das Fernglas und ging zu der Stelle zurück, von der aus er die tiefer gelegene Villa beobachten konnte. Das einzige Geräusch stammte von der Morgenbrise, die durch die Nadelbäume pfiff und an seiner Kleidung zupfte. Sein zweites Problem stand noch auf dem Sims der zweiten Etage.

Der Bär war nicht in Sicht.

Er senkte den Feldstecher.

Es sollte sich noch herausstellen, dass das Tier Harold Earl »Cotton« Malones geringste Sorge war.

3

Cotton stand wie angewurzelt auf dem Sims. Der Bär hatte sich in die Villa zurückgezogen, doch er konnte das Tier rumoren hören. Es gab ein zweites offenes Fenster hinter dem, durch das er geflüchtet war, das eine Möglichkeit bot, seinen luftigen Standort zu verlassen und wieder ins Haus zu gelangen. Dazu musste er jedoch an dem Fenster mit dem Bären vorbeikommen, was ihm nicht ratsam erschien.

Etwas mühsam verlagerte er sein Gewicht auf die Fußballen und presste die Arme eng an die Mauer, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Links von ihm erhob sich der Dachfirst eines eingeschossigen Seitentrakts. Die Distanz betrug circa zweieinhalb Meter nach unten. Der Sprung war zu schaffen. Es schien seine einzige Option zu sein, deshalb schob er sich mit Seitenschritten am Sims entlang, tastete mit der Hand vor und umrundete die Ecke, wobei er den Körper flach an die Außenmauer presste.

Er atmete ein paarmal tief durch.

Wie gut, dass Cassiopeia nicht dabei war. Ihre Höhenangst entsprach seinem eigenen Abscheu vor engen, abgeschlossenen Räumen. Mit den Gedanken an sie hatte er sich von seiner gegenwärtigen misslichen Lage abgelenkt. Er vermisste sie. In ihrer Beziehung war alles geklärt. Endlich hatten sie es geschafft, mit allen ihren Dämonen ins Reine zu kommen. Sie war in Frankreich und arbeitete an ihrer Rekonstruktion einer Burg aus dem 13. Jahrhundert. Geplant war, sich in der kommenden Woche für ein paar gemeinsame, entspannte Tage in Nizza zu treffen. Doch vorher wollte er noch diesen Job hier durchziehen – für fünfzigtausend Euro, die, wie sich herausstellte, doch nicht so leicht verdient waren, wie er vermutet hatte.

Vorsichtig arbeitete er sich weiter auf dem Absatz voran, bis er über dem First stand. Wenn es eines gab, das er vermeiden musste, dann war es, direkt auf der Kante zu landen.

Denn das würde sein Leben sehr zu seinem Nachteil verändern.

Er sprang auf eine der Dachhälften zu und landete mit den Füßen auf hartem Schiefer. Ihm blieb nur ein kurzer Moment zum Festhalten, um nicht abzuprallen und hinunterzurutschen. Seine Fingernägel kratzten über den warmen Stein, dann bekam er den First zwischen die Finger und klammerte sich daran fest.

Darauf löste er den Griff und rutschte am Schieferdach hinunter bis zur Regenrinne, wobei er die Beine spreizte und mit den Schuhsohlen bremste, bis er die Kupferrinne spürte. Sie protestierte quietschend und verzog sich unter seinem Gewicht, doch sie hielt stand. Er hievte sich über den Rand, hielt sich an der Rinne fest und lauschte nervös auf jeden quietschenden Protest der Metallverankerung. Dann ließ er sich zu Boden fallen und landete neben ein paar Büschen auf dem Rasen.

Bedauerlicherweise musste er noch einmal in die Villa zurück.

Er hätte warten können, bis der Bär weiterzog, doch das konnte eine Weile dauern. Womöglich kam der Eigentümer zurück und entdeckte den Leichnam. Dann würde die Polizei gerufen und der Tatort gesichert werden, was jeden weiteren Versuch verhinderte, die Briefe zu finden.

Bär hin oder her, es musste jetzt geschehen.

Doch er wollte nichts Unbedachtes tun.

Er eilte ums Haus zur Eingangstür. Vorhin war ihm im Erdgeschoss im Salon ein Waffenschrank aufgefallen, also ging er wieder in die Villa; oben war nach wie vor der Bär los. Der Waffenschrank war verschlossen. Hinter der Glastür standen acht Gewehre parat. Cotton packte einen Stuhl, der in der Nähe stand, zertrümmerte das Glas und nahm eine der einläufigen Flinten heraus. In einem Schränkchen unter der Vitrine fand er Patronen. Er schob fünf davon ins Magazin, lud durch, um eine Patrone ins Lager zu befördern und machte sich an den Aufstieg in die zweite Etage. Töten wollte er das Tier nicht, würde es aber tun, falls es nötig war.

Also wieder hinauf bis zum Treppenabsatz in der zweiten Etage.

Der Bär war noch in dem Schlafzimmer, aus dem er auf den Mauersims geflüchtet war. Dem Lärm nach zu urteilen war das Tier damit beschäftigt, auch den Rest der Inneneinrichtung zu zerlegen. Cotton näherte sich der geöffneten Tür. Der Bär war abgelenkt, sodass er zur anderen Seite vorbeihuschen konnte, wo am Ende des Korridors ein weiteres Fenster geöffnet war. Jetzt befand er sich in einer Sackgasse, aber es schien die einzige Möglichkeit zu sein, das Tier zur Treppe und hinunter zum Eingang zu locken, wo er die Tür weit offen gelassen hatte.

Er zählte schnell bis drei, dann stellte er sich wieder in die Tür und feuerte eine Schrotladung in die gegenüberliegende Wand. Der Bär machte vor Schreck einen Satz, dann brüllte er verängstigt. Cotton floh zurück zum offenen Fenster im Korridor und lud die Waffe erneut durch. Der Bär eilte aus dem Schlafzimmer, warf einen kurzen Blick in seine Richtung, dann wandte er sich um und rannte in entgegengesetzter Richtung den Korridor hinunter. Um sicherzustellen, dass das Tier in Bewegung blieb, feuerte er noch einmal in die Decke. Holzsplitter und Gipsstaub rieselten herunter.

Der Bär verschwand zur Treppe.

Er folgte ihm zum Treppenabsatz der ersten Etage und beobachtete, wie das Tier durch die Eingangstür ins Freie lief.

Das hatte funktioniert.

Der Nachteil war nur, dass jemand den Lärm bemerkt haben konnte.

Der Ritter hörte zwei Gewehrschüsse.

Der Villenbesitzer hatte ihm erzählt, dass das, wonach er suchte, in einem kleinen Arbeitszimmer in der zweiten Etage wartete. Er hatte beobachtet, wie Malone vom Sims herunter auf festen Boden gelangt und ins Haus zurückgekehrt war. Die beiden Gewehrschüsse stammten mit Sicherheit von Malone, deshalb musste er davon ausgehen, dass sein Widersacher inzwischen bewaffnet war.

Wenigstens war der Bär weg.

Das Tier war aus der Villa geflüchtet und zwischen den angrenzenden Bäumen verschwunden, so schnell sein stämmiger Körper es erlaubte.

Der Templer war zufrieden. Dies hier konnte der richtige Ort sein.

Alles deutete darauf hin.

Bei seinem Fluchtversuch hatte Mussolini viele Dokumente in den Norden mitgenommen. Vermutlich solche von größter Bedeutung, Papiere, aus denen sich politische Vorteile ziehen ließen. Er hatte Zuflucht in einem neutralen Land gesucht, das sehr bemüht gewesen war, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Hitler hatte die Schweiz besetzen wollen, doch Mussolini hielt sich zugute, ihn davon abgehalten zu haben. Der Duce hatte darauf gesetzt, dass die Schweizer Behörden ihm aus Dankbarkeit politisches Asyl gewährten. Historiker waren sich darin einig, dass er wahrscheinlich schriftliche Beweise seiner Bemühungen, die Schweizer vor den Deutschen zu retten, bei sich hatte. Doch anscheinend hatte er auch seinen legendären Briefwechsel mit Churchill mitgenommen, der die Briten zurzeit so interessierte.

Seine Hoffnung?

Vielleicht, nur vielleicht, war auch noch etwas anderes im Geheimversteck des Villenbesitzers. Etwas Besonderes, nach dem er schon lange gesucht hatte. Dass der Ring aufgetaucht war, beflügelte ihn. Dies konnte tatsächlich der rechte Ort sein.

War es hier?

Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

Cotton stellte die Flinte ab und hob eine Ecke des Orientteppichs hoch, der den Fußboden im Arbeitszimmer der zweiten Etage bedeckte. Er inspizierte die Holzbohlen, die wurmstichig und verwittert waren. Auf den ersten Blick war nichts Ungewöhnliches zu erkennen.

Alles war festgenagelt.

Er ging auf die Knie und begann damit, die Oberflächen abzuklopfen, um nach dem Versteck zu suchen, das sich angeblich hier befinden sollte. Schließlich klang etwas hohl. Er klopfte weiter und entdeckte die Umrisse eines rechteckigen Hohlraums. Um ihn zu öffnen, hatte er ein massives Taschenmesser mitgebracht, das er gestern auf seinem Weg vom Flughafen in den Norden gekauft hatte.

Er klappte die Klinge auf.

Es dauerte ein paar Minuten, doch schließlich schaffte er es, eine Platte aus den verleimten Brettern zu lösen. Die Fugen waren frei von Schmutz und Staub, sodass es den Anschein hatte, als sei die Platte erst kürzlich entfernt und dann wieder befestigt worden. Darunter entdeckte er einen kleinen Hohlraum, in dem sich, wie man es ihm gesagt hatte, eine verschlissene Umhängetasche aus Elefantenhaut befand. Die Schließe war aufgebrochen und mit einer Kordel zusammengebunden worden.

Er nahm sie heraus.

Seitlich war ein aufgerichteter Adler mit ausgebreiteten Schwingen eingeprägt, der ein Bündel Stäbe mit einer Axt in den Klauen hielt.

Es war ein altes Symbol aus dem Römischen Reich, das die Macht über Leben und Tod symbolisierte. Politische Organisationen im Italien des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts hatten es regelmäßig als ihr Symbol verwendet. Schließlich erschien es auf der Flagge der Nationalen Faschistischen Partei, die ihren Namen von dem Faszes-Symbol ableitete.

Im Innern befand sich ein gut erhaltener Schatz von Dokumenten, die in eine dicke Lage Ölhaut eingeschlagen waren. Cotton sprach fließend Italienisch und einige weitere Sprachen, was zu den Vorteilen gehörte, die ein eidetisches Gedächtnis mit sich brachte. Deshalb machte er eine kurze Bestandsaufnahme und blätterte durch die spröde gewordenen Papiere. Die meisten hatten mit dem Krieg zu tun, mit Partisanenaktivitäten – folglich Militärberichte. Außerdem gab es ein paar maschinengeschriebene Briefe Hitlers, Originale, an die italienische Übersetzungen geheftet waren, sowie Durchschläge von Briefen, die nach Deutschland geschickt worden waren, einige mit handschriftlichen Nachbemerkungen oder Randnotizen versehen. Zu guter Letzt enthielt der Stapel einige Briefe, die Mussolini und Churchill vor dem Krieg ausgetauscht hatten.

Es waren allerdings mehr als fünf.

Insgesamt elf.

Der Verkäufer hatte anscheinend einige als Reserve zurückgehalten.

Jackpot.