Anwalt des Teufels - Nicolette Bohn - E-Book

Anwalt des Teufels E-Book

Nicolette Bohn

4,5

Beschreibung

Der umstrittene Fall des Jürgen Bartsch In den Jahren 1962 bis 1966 missbraucht, verstümmelt und tötet der Metzgergeselle Jürgen Bartsch vier kleine Jungen. Bartsch ist erst 15, als er zum ersten Mal auf grausamste Weise mordet. Zunächst zu fünfmal lebenslänglich Zuchthaus verurteilt, wird er nach einem zweiten Prozess jedoch in eine Heilanstalt eingewiesen, wo er 1976 während einer Operation stirbt. Ist der Täter auch selbst Opfer? Anhand von Polizei-, Gerichts- und Presseberichten, psychiatrischen Gutachten und Zeugenaussagen wird detailgetreu nachgezeichnet, warum zwei Prozesse zu völlig unterschiedlichen Urteilen gelangen. Im Vordergrund der Darstellung steht das juristische Geschehen im Gerichtssaal. Daneben geht die Autorin Nicolette Bohn ausführlich auf Bartschs ungewöhnliche Kindheit und Jugend ein. Erstmals äußert sich der ehemalige Jugendgerichtshelfer Dietrich Wilke in der Öffentlichkeit über seine Arbeit mit dem Serienmörder. Die packende Darstellung regt dazu an, über die Themen "Schuld und Sühne" sowie "Opfer und Täter" nachzudenken.

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In Gedenken an die verstorbenen Kinder und ihre Familien:

† Klaus Jung (31. März 1962)

† Peter Fuchs (5. August 1965)

† Ulrich Kahlweiß (14. August 1965)

† Manfred Graßmann (8. Mai 1966)

.

Kinder werden nicht

erst zu Menschen

Sie sind es heute schon.

Ja!

Sie sind Menschen,

keine Puppen

(Janusz Korczak)

Prolog

Ein junger Mann und ein kleiner Junge gehen durch die verwinkelten Gänge eines ehemaligen Luftschutzbunkers. Die Kerze, die der junge Mann in der Hand hält, verbreitet einen dämmrigen Schein.

»Romantisch, nicht wahr?«, fragt der junge Mann und blickt den kleinen Jungen an.

Der kleine Junge zuckt die Achseln: »Hmm.«

Mit dem Wort Romantik verbindet er keine Vorstellung. Die Kerze erinnert ihn daran, dass er bald Geburtstag hat. In ein paar Tagen wird er endlich neun. Dann bekommt er die Fußballschuhe, die sein Vater ihm versprochen hat.

Sie stolpern weiter über Schotter und Geröll.

»Wann sind wir denn endlich da?«, fragt der kleine Junge ungeduldig.

Der fremde Mann, den er vor ein paar Stunden auf dem Kirmesplatz kennen gelernt hat, hat ihm versprochen, dass sie in der Höhle gemeinsam einen Schatz suchen wollen.

»Es dauert nicht mehr lange und wir sind am Ziel.«

Die Stimme des jungen Mannes klingt ruhig und freundlich. Der kleine Junge greift vertrauensvoll nach seiner Hand.

»Das ist aber finster hier!«

»Du brauchst keine Angst zu haben«, spricht der junge Mann beruhigend auf ihn ein. »Wir sind gleich am Ziel.«

»Sind Sie wirklich ein Polizist?«, fragt der kleine Junge interessiert.

»Aber natürlich bin ich ein Polizist.« Die Stimme des jungen Mannes klingt ebenso ruhig und sicher wie die eines Erwachsenen.

»Haben Sie auch eine richtige Pistole? Kann man damit schießen?«

»Natürlich. Willst du die Pistole einmal sehen?«

»Oh ja, bitte!« Der kleine Junge nickt eifrig.

»Sie liegt dort hinten. Hinter der kleinen Mauer.« Der junge Mann zeigt auf die Überreste einer Steinmauer am Ende des langen Ganges.

»Wir sind jetzt am Ziel.«

Der junge Mann stellt die halb heruntergebrannte Kerze auf die Mauer.

»Mensch! Eine richtige Pistole«, ruft der kleine Junge begeistert. »Ich hab doch gewusst, dass Sie mich nicht beschwindeln.«

»Warum sollte ich dich beschwindeln? Ich bin doch dein Freund. Du kannst übrigens ruhig du zu mir sagen.«

Der kleine Junge nickt und betrachtet andächtig die Pistole mit dem glänzenden Metallknauf, die der junge Mann in der Hand hält. Er hat sich schon immer einen Polizisten mit einer richtigen Pistole zum Freund gewünscht. Heute scheint sein Glückstag zu sein.

»Wo ist denn nun der Schatz?«

»Hinter der Mauer«, sagt der junge Mann. »Komm her und hol ihn dir!«

Die Kerze erlischt mit einem leisen Zischen.

Dunkelheit.

Dann – ein lauter, gellender Schrei: »Mama … Mama, ich habe Angst!«

Totenstille.

Draußen, auf dem Felsgestein vor dem Eingang des Luftschutz­bunkers blühen Orchideen und Hyazinthen. Bienen summen.

Es ist der 31. März 1962.

Frühlingsanfang.

Opfer

Jugendamt Mettmann. 25. Juni 1967

Die Hitze war mörderisch. Seit Tagen hatte es nicht mehr geregnet. Die Fenster der Dienststelle Süd waren weit geöffnet. Dietrich Wilke saß hemdsärmelig vor seinem Schreibtisch. Ihm gegenüber, auf einem Stuhl, saß ein 14-jähriger Jugendlicher mit verstrubbeltem Haar. Er hing mehr als dass er saß, und seine Haltung signalisierte Wilke eine spürbare Abwehr gegen das FrageAntwort-Spiel.

»Kann ich jetzt meine Kippe haben?«, fragte der Jugendliche und in seiner Stimme schwang ein trotziger Unterton mit.

»Nein, Wilfried«, sagte Wilke. »Ich dachte, das Thema sei ein für alle Mal durch.«

»Sie qualmen doch schließlich auch wie ein Schlot. Und Sie haben selbst gesagt, dass Sie ein gutes Vorbild für mich sein wollen. Also müssen Sie mich rauchen lassen, oder etwa nicht?«

Er blickte Wilke offen ins Gesicht und sagte dann: »Sonst sind Sie nämlich kein richtiges Vorbild.«

»Kein Zweifel«, dachte Wilke. Dieser Jugendliche hatte ein untrügliches Gespür für die Stärken und Schwächen anderer Menschen, die er schamlos zu seinen Zwecken auszubeuten wusste.

»Wenn du mir sagst, was an jenem Nachmittag wirklich passiert ist …«

»Darf ich dann endlich eine Kippe rauchen?«

Wilke schob die Zigarettenschachtel in die Mitte des Tisches. Dann lehnte er sich mit diplomatischem Gesichtsausdruck in seinem Schreibtischstuhl zurück und faltete die Hände über der Brust.

Wilfried fingerte eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie genießerisch zwischen die Lippen.

»Feuer bitte!«, triumphierte Wilfried.

Wilke griff zum Feuerzeug.

»Verdammt«, dachte er. Der Böhme wird mir den Kopf abreißen, wenn er das hier erfährt. Der Amtsleiter konnte Wilkes pädagogisches Engagement ohnehin nur schwer nachvollziehen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er den jüngeren Kollegen für einen verträumten Spinner hielt, der noch nicht gemerkt hatte, nach welchen Gesetzen die Welt wirklich funktionierte.

»Also, noch mal von vorn … Ihr seid durch die Hohe Straße gezogen und da kam diese Frau mit der Handtasche vorüber …«

»Das habe ich Ihnen doch jetzt schon dreimal erzählt!«, knurrte Willi missmutig.

»Willi, wir haben ein Abkommen. Ich behandele dich wie einen Erwachsenen, also kann ich von dir auch erwarten, dass du dich wie einer benimmst.«

Wilfried verdrehte die Augen. Er sog kräftig an der Zigarette. Dann sagte er: »Wir sind durch die Hohe Straße gezogen. Da kam diese Frau vorbei und plötzlich kam Thorsten auf die Idee mit dem Raubüberfall. Wir wollten ihn ja noch hindern, aber er … er hat sich nicht hindern lassen, und ehe wir Piep sagen konnten, hatte er der Frau auch schon die Tasche entrissen. Wir sind dann nur noch weggerannt …«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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