Anweisungen an die Krokodile - António Lobo Antunes - E-Book

Anweisungen an die Krokodile E-Book

António Lobo Antunes

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Beschreibung


Antunes hat den vielstimmigen Chor, den wir aus seinen früheren Romanen kennen, auf vier Stimmen reduziert, nämlich auf die Celinas, Fátimas, Mimis und Simones, vier Frauen, die in meist grotesk-absurder Weise an eine Verschwörergruppe gebunden sind.
Aus den Stimmen dieser Erzählerinnen konstruiert Antunes die Geschichte dieser »Krokodile«, die gerade dabei sind, einen großen Coup zu landen. Alle bereiten sich auf den Tag X
vor. Aber ihre jeweils eigenen Vorstellungen, Wünsche und Sehnsüchte drängen sich in den Vordergrund, der Zwang, endlich bedrückende Lasten abzuwerfen und unter unliebsame Lebensphasen einen Schlußstrich zu ziehen, kompliziert die Durchführung des Attentats. Alle Mittel sind den Terroristen recht, auch wenn die engsten Verbündeten darunter leiden, und schließlich kippt die Verschwörung in ein selbstmörderisches Chaos um.
Tiefer als je zuvor dringt Antunes ein in den Haß und Selbsthaß seiner Protagonisten und in ihren Wahn, der sich immer wieder in nächtlichen Träumen verselbständigt: Wirklichkeitsverschiebung und Wahn fügen sich zu einer surrealen Gegenwelt, die mit ungeahntem bildlichen Reichtum und großer Eindruckskraft beschrieben wird.

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Seitenzahl: 574

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António Lobo Antunes

Anweisungen an die Krokodile

Luchterhand

1

Ich hatte von meiner Großmutter geträumt, und als ich ans Fenster trat, noch vor dem Morgen, indem ich, ohne den Boden zu berühren, durch die Möbel gegangen war, als schliefe ich weiter

(der Körper war ein Schatten meines Körpers, der sich gewichtslos in den Pantoffeln bewegte, denn der richtige Körper blieb im Bett, in diesem Bett oder in Coimbra vor vielen Jahren nah der hohen Pappeln, und das erwachsene Ich beobachtete das Ich als Kind oder das Ich als Kind das erwachsene Ich, ich weiß es nicht)

als ich ans Fenster trat, blinkte, halb in meinen Schlaf getaucht, halb außerhalb, an der Konditorei am Platz die Leuchtreklame, der ein Buchstabe fehlte, Mörsergeschoßworte bleich gegen den bleichen Himmel und die Zweige der Bäume über der Markise, bemerkte mich, sah, daß sie sich geirrt hatte, war beschämt, errötete, wechselte eilig zu hausgemachten Kuchen über, und da spürte ich den Branntweingeruch, der zu meinem Traum gehörte

eigentlich kein Traum, sondern die Dinge, wie sie in Coimbra waren, im Erdgeschoß das Restaurant meiner Familie, in den Zimmern im Stockwerk darüber meine Großmutter

Mama Alicia

die kein Portugiesisch sprach, sie sprach Galizisch, und nach dem Tod meines Großvaters stand sie dem Geschäft und dem Haus vor: da sie sich wegen des Rheumas nicht bewegen konnte, wuschen zwei Angestellte sie, zogen sie an, machten ihr, um den Zopf zu flechten, das Haar in einer Schüssel mit Branntwein naß, setzten sie oben an die Treppe auf den Stuhl, von dem aus sie über die Speisekarten bestimmte, Streit schlichtete, mit den Kindern zürnte, abends in einem Schulheftchen die Buchführung nachprüfte, meine herrische und bewegungsunfähige Großmutter, die mich mit niederschmetterndem Zeigefinger rief

– Mimi

Enkel und Katzen wegscheuchte, ich erinnere mich an das mit dem Gackern der Hühner im Garten vermischte Gackern der Weiden, Hühner und Weiden, die aufgeregt im Kalkschutt pickten, und ich näherte mich ängstlich in der Hoffnung, die Stufen würden nie enden, während ich dachte

– Sie wird mich schlagen

die Reklame erlosch unvermittelt, es war Tag, gleich würden die Luken des Juwelierladens abgehängt werden, gleich würde mein Mann aufwachen

– Was machst du da komm her

unter den Decken die Bewegung eines verwirrten Tieres, das zappelte, sich langsam in Beine, Arme, Bruchstücke verwandelte, die sich zusammenfügten, bis sie einen Mann bildeten

(wenn der Tejo sich beruhigt, fügt im Wasser der Mond die verstreuten Teile zusammen)

anstatt mich zu schlagen, befahl meine Großmutter den Dienstmädchen, die Tür zu schließen, hüllte mich in den Branntweingeruch, horchte nach rechts und links, die Hühner und die Weiden verstummten respektvoll, wie alle angesichts einer Anweisung von ihr verstummten, wisperte

– Ich werde dir ein Geheimnis verraten sag es niemandem weiter

sie wußte alles, las Zeitschriften auf spanisch, kannte die Sterne

Aldebaran

gab Rat bei Testamenten und Geburten, entließ Köchinnen, las in Blitzen, behauptete steif und fest, daß es in Galizien immer regnete und Rosen aus dem Meer wuchsen, war seit dem Tode meines Großvaters stets wie eine alte Braut in Weiß gekleidet, verlangte, daß man ihr die Hochzeits-Orangenblüten in einem trüben Glassturz brachte, stellte den Glassturz auf ihren Schoß, und niemand wagte zu sprechen, Schüsseln und Platten glitten lautlos dahin, mein lungenkranker Onkel stellte das Radio aus, mein vor der Registrierkasse hockender Vater rückte sofort die Krawatte zurecht

Aldebaran

das Geheimnis einer, die die Sterne kennt und die Welt regiert, ich ging wieder, ohne den Boden zu berühren, durch die Möbel und legte mich ins Bett, das verwirrte Tier schniefte auf dem Kopfkissen, Mörsergeschosse, das Flugzeug des Ministers, das Auto am Straßenrand, der Geschäftspartner meines Mannes, dem die Hälfte des Kopfes fehlte, rutschte auf den Boden, Leute, die hereinkamen und hinausgingen, sich in der Garage aufhielten, zerfetzte, ziellos schwebende Satzlumpen, ein Kinn, das auf mich wies, ich kam durch den Korridor mit dem Strickkorb heran, der Ärmel meines Mannes schüttelte, zum Vogel geworden, Ängste ab

– Sprechen Sie frei heraus Herr Bischof sie ist taub sie hört nichts

Aldebaran, Galizien, wo es immer regnet, Rosen, die aus dem Meer wachsen, ich habe ihr ein Spezialtelefon mit einem Lämpchen gekauft, das angeht, wenn der Herr Bischof den Hörer aufnehmen würde, verstünde er gar nichts, Gekreisch und noch mehr Gekreisch, alles zu Geheul verzerrt, sagen Sie mir das mit dem kommunistischen Pater noch einmal, ich änderte meinen Gesichtsausdruck nicht, behielt mein Schwerhörigenlächeln, meine Großmutter hockte auf ihrem Thron, mischte Zitronensprudel, Kaffee und Zucker mit geheimnisvoller Fingerfertigkeit, hielt inne, weil sie einen interessierten Verwandten, eine von den Kindern bestochene Angestellte in der Anrichte vermutete, ich habe den Branntweingeruch des Zopfes nicht vergessen

Mama Alicia

mit ihm erwache ich in meinen Träumen, ihn finde ich auf dem Kopfkissen, in den Bettlaken, in den Bäumen am Platz

ich schwöre es

– Verrate niemandem daß ich dir das Rezept von Coca-Cola erklärt habe

das, was die Amerikaner uns voraus haben, das, was sie Kriege gewinnen ließ und sie reich machte, ich steinreich

– Du wirst steinreich werden Mimi wirst einen Grafen heiraten

die Besitzerin New Yorks, aller Kinos Portugals und Galiziens, von zwanzig Häusern in Coimbra, von Ford, meine Großmutter und ich konspirativ, feierlich bei heruntergelassenen Rolläden, probierten ein Schlückchen, bekamen Gänsehaut beim Gedanken an das zukünftige Geld, Wäschekörbe randvoll mit Scheinen, von Münzen schwere Schubladen, Gärtner, Butler, als sie Monate später weggebracht wurde, spindeldürr, durch ein Eckchen der Brust atmend, damit sie im Krankenhaus starb

das Auto am Straßenrand und der Geschäftspartner meines Mannes, dem die Hälfte des Kopfes fehlte und der auf den Boden rutschte

befahl sie den Feuerwehrleuten die Krankentrage anzuhalten, um mich zu warnen, weil sie befürchtete, die Amerikaner könnten etwas ahnen und Männer mit Maschinenpistolen mir auf dem Nachhauseweg von der Schule auflauern, meine Großmutter, als wäre jedes Wort ein Eimer voller Steine, den die Zunge den Mund hinauftransportierte

– Sag es niemandem weiter

ich habe es niemandem weitergesagt, ich habe keine Kinos, bin nicht reich, habe keinen Grafen geheiratet

– Ich habe ihr ein Spezialtelefon mit einem Lämpchen gekauft das angeht Herr Bischof Sie können frei reden sie ist taub sie hört nichts

ich erinnere mich daran, wie auf der Treppe der Zopf von der Trage baumelte, an den Branntweingeruch, der das Haus erfüllte, an den Krankenwagen, der hoppelnd durch die kleine Gasse fuhr, der Branntweingeruch war das Parfüm der Heiligen, die Schwaden von Weihrauch, die Duftfährte von Lilien, ich erinnere mich daran, wie ich befürchtete, die Krankenschwestern oder die Ärzte würden eine Schere nehmen und ihr den Zopf abschneiden, Galizien wird es immer noch geben, den ständigen Regen, den Nebel über den Wellen, die ausgehungerten Möwen, die Rosen, die aus dem Meer wachsen, mein Mann

– Als wir verlobt waren kam sie mir mit dem Märchen sie würde Millionärin werden weil sie das Rezept von Coca-Cola kenne Schwerhörige sind merkwürdig so anders als wir sie leben auf einem andern Stern

Aldebaran

machen Sie es wie ich kümmern Sie sich nicht um sie machen Sie sich ihretwegen keine Sorgen sehen Sie zu wie sie die Sache mit dem Pater lösen geben Sie mir ein paar Tage lassen Sie mich mit den Männern reden

mein Mann war kein Graf, Großmutter, ich habe keinen Grafen geheiratet, er wartete auf mich, wenn ich aus dem Institut kam, teure Kleidung, ein kleines Medaillon mit dem Sternzeichen am Hals, das Feuerzeug in einem Satinfutteral, Restaurants, in die nicht wie in Coimbra Hühner und Weiden zusammen mit dem Staub der Geranien und der Brünstigkeit der Pfauen in den Speisesaal kamen, Tischtücher ohne Flicken, Gabeln mit geraden Zinken, sauberes Besteck, kein Sportwimpel, kein Kalender, meine Mutter nicht in der Küche, wenn ich mich spähend vorbeugte, sah ich sie nicht zwischen den Öfen stehen, wie sie Eiswürfel auf der Stirn rieb

– Ihr Herz macht die Anstrengung nicht mit Dona Rosário

mich warnte

– Weiß ich was der will oder besser gesagt ich weiß es schon sie wollen alle dasselbe wie glaubst du bin ich mit dir schwanger geworden ich die nicht schwerhörig ist und sie meilenweit hört

– Mutter

– Wir sind mit ihr zum Doktor gegangen und der Doktor verstehen Sie hat ihr ein paar kleine Trichter ins Ohr gesteckt und mit einer Taschenlampe hineingespäht sie ist nicht blöd sie ist krank

ich schämte mich furchtbar

– Sagen Sie das nicht Mutter

– Na so was sie hat gehört sei still Mimi denn ich entscheide gerade über deine Zukunft und wenn der Herr weiterhin darauf besteht dich zu heiraten liegt das bei ihm ich habe ihn gewarnt

ich hatte also von meiner Großmutter geträumt, und als ich ans Fenster trat, noch vor dem Morgen, indem ich ohne den Boden zu berühren durch die Möbel gegangen war als schliefe ich weiter in einem Körper, der der Schatten meines Körpers war, mich gewichtslos in den Pantoffeln bewegte, weil der wirkliche Körper weiterhin auf dem Bett lag und mich anschaute, das erwachsene Ich das Ich als Kind anschaute oder das Ich als Kind das erwachsene Ich anschaute, oder das Ich als Kind und das erwachsene Ich im Arbeitszimmer meines Mannes am Tag des Flugzeugs des Ministers, die beiden Männer, die ich nicht kannte, zögerten, mein Mann, ohne sich um mich zu scheren

– Und jetzt?

genau so

– Und jetzt?

was ich nicht am Klang der Stimme, sondern an der Bewegung der in der Fensterscheibe gespiegelten Augenbrauen und der Lippen verstand

– Und jetzt?

die beiden wie Angestellte des Flughafens gekleideten Männer in Uniformen, die zu groß waren, als daß sie ihnen gehörten, starrten mich an, starrten ihn an, starrten mich wieder an, begriffen nicht, daß meine Frau unter einer Glocke der Stille lebte, mit dem Kopf nickt und so tut, lächelt und so tut, zustimmt und nur so tut

– Aber ja doch

die beiden Idioten, als hätte ich nicht die ganze Zeit der Welt gehabt, um von der Bombe zu wissen, als bräuchten sie nicht über die Grenze zu gehen und in Spanien unterzutauchen

wo die Rosen aus dem Meer wachsen erzählte mir meine Großmutter

nun, ich werde mich deswegen nicht streiten, wo die Rosen aus dem Meer wachsen und alte Frauen mit Zopf aus Zitronensprudel, Zucker und Kaffee Coca-Cola machen, meine Frau nicht zu mir, zum Fenster gewandt, das zum Platz hinausgeht, wie an den glücklichen Morgen

glücklich, man stelle sich das vor

an denen sie von Coimbra und einer erbärmlichen Taverne für Bauarbeiter träumte, in der es mehr Hühner als Kunden, Reis mit Schellfischfilet, in Wein eingelegtes Schweinefleisch, Brotbrei gab, ihr Paradies, ein Paradies für Arme, man brauchte nur die Zimmer über der Pinte zu sehen, wo sie zu fünft oder sechst schliefen, die abgewetzten Überdecken, die Schränke ohne Tür, das Zimmer mit wackligen Stühlen, auf die ich mich nicht zu setzen wagte, ein mit Leukoplast geflicktes kleines Sofa, die Keramiktauben ohne Schnabel und über all diesem, all dieses durchdrungen, all dies bewohnt vom Branntweingeruch des Zopfes der Verstorbenen, der Besitzerin des Geheimnisses der Coca-Cola, das ihnen erlauben würde, reich zu werden, Gipsananasse zu kaufen, um das Gartentor zu schmücken und um den kranken Onkel in einem anständigen Sanatorium zu heilen, Mörsergeschosse, die Augenbrauen und die Lippen meines Mannes in der Fensterscheibe des Arbeitszimmers, von einem Sandkörnchen verzerrt, die Gebäude am Platz riesengroß

– Habt ihr zumindest das Paket ordentlich abgeliefert

der Herr Bischof küßte das Kruzifix

– Dies ist ein heiliger Krieg dies ist ein heiliger Krieg

das Flugzeug des Ministers auf einem Dach in Camarate, die Angestellten des Flughafens warteten hinter dem Haus auf den Lieferwagen, die Bewohner des Stadtviertels betrachteten verblüfft die Flügel, den Rauch, das, was Leichen genannt wurde, aber nichts als dunkle Flecken waren, Steine, Ziegel, Stücke, die zusammengesetzt werden, bis daraus ein Mensch wird, der Tejo beruhigt sich, damit der Mond im Wasser die verstreuten Stücke zusammenfügt, mein Mann aus der Streichholzhelligkeit der Bettücher heraus

– Was machst du da komm her

ich höre weder die Leute noch das Telefon, noch die Haustürklingel, und dennoch höre ich die Geräusche der Welt, des Herdes, der Uhren, das Knacken des Holzes, das Jammern der Rohre, die Beklemmung der Pflanzen auf dem Balkon, die Unruhe und das Leiden des Hauses waren eine Verlängerung meiner Unruhe und meines Leidens, eine andere Haut auf meiner Haut mit ihren unverständlichen Organen und dem Vibrieren ihrer Nerven, was vom Flugzeug übrig war, schwankte auf dem Dach, und die Angestellten des Flughafen trabten von Mützen bedeckt zum Lieferwagen, die auf der Fensterscheibe vergrößerten Augenbrauen und die Lippen befahlen, kein Wort, ganz still in Spanien, keine Telefongespräche, Briefe, so wie sie mir immer befahlen

– Geh raus

wenn der Bischof oder sein Geschäftspartner, der ins Unkraut am Straßenrand rutschte, oder der General kamen, die Witwe des Geschäftspartners stand sehr aufrecht in der Eingangshalle, kein bißchen Mißfallen, kein Protest, keine Träne, das Make-up unberührt, das Haar frisiert, die Augenbrauen und der Mund zu mir

– Geh raus

und da begriff ich es, genauso wie ich das mit meinem Vater und den Kellnerinnen des Restaurants in Coimbra begriff, er fuhr mit der Hand durch die Brillantine, und die Kellnerinnen nahmen Schüsseln und Teller wieder auf, die Witwe ging mit meinem Mann ins Wohnzimmer, begrüßte mich nicht, wie auch meine Mutter nicht grüßte, nicht redete, die Kellnerinnen nicht sah, ging ins Wohnzimmer und traf auf den Offizier der Kriegsmarine und den Fahrer, die den Verstorbenen in einen Hinterhalt gelockt, seinen Wagen zum Stehen gebracht, die Scheiben mit den Maschinenpistolen zerbrochen, überwacht hatten, wie er sich nach jeder Garbe schüttelte und wieder schüttelte, und jetzt erhoben sie sich, stellten die Gläser ab und knöpften das Jackett zu, um mich zu begrüßen, und da begriff ich

sie hat überhaupt nichts begriffen, mein Gott, sie hat überhaupt nichts begriffen, es ging nicht um die Gattin meines Geschäftspartners, so ein Unsinn, keineswegs, es ging nicht um Rache, es ging darum, das Land vor den Linken zu retten, vor dem, was diese Linken beharrlich mit der Bezeichnung Kolonien bedachten und dabei Tausende Portugiesen in Afrika töteten und die, die sie zufällig nicht getötet hatten, ihrer Kleidung beraubten, es ging darum, die Heimat von der spanischen Grenze aus zurückzugewinnen, Franco, die Guardia Civil, die Guarda Republicana, der Norden, die Kirche, die Hälfte der Armee an unserer Seite, denn es gab trotz allem noch eine Armee

und ich näherte mich ängstlich

– Sie wird mich schlagen

– Ich werde dich nicht schlagen warum zum Teufel sollte ich dich schlagen sei still

unter den Decken die Bewegung eines verwirrten Tieres, das sich regt und aufwacht, sich langsam in Beine, Finger, Arme verwandelt, halb in meinen Traum getaucht und halb außerhalb die Lichtreklame des Cafés am Platz, der ein Buchstabe fehlte, bleich gegen den bleichen Himmel und die Zweige der Bäume, bald würden sie die Fensterläden des Juwelierladens abhängen, bald das Gymnasium und den Schornstein der Fabrik

– Was machst du da komm her

feuchte Wärme, Hahnenhast, mein Vater richtete die Brillantine mit der Handfläche, die Kellnerinnen nahmen Schüsseln und Teller wieder auf, gingen das Gefieder schüttelnd ins Restaurant, mein Mann

– Zieh dich aus

– Sie werden mir weh tun werden mich schlagen

– Was für ein Blödsinn halt still hör mit dem Quatsch auf zieh dich aus

die Schublade des Nachttischchens aufmachen und die Pistole nehmen

– Aber was für eine Pistole denn was für eine Pistole zieh dich aus

mir fehlt die Hälfte des Kopfes, ich rutsche vom Bett, ich

oder ein Stein, ein Ziegelstein, ein verkohlter Zweig

von einem Stück Sack bedeckt in Camarate, ein Frauenschuh inmitten der Asche, der Rest eines Umschlagtuches, obwohl mein Haar weiterhin brennt, der Lack auf meinen Nägeln weiter brennt, und ich weiß wegen des Branntweingeruchs, daß ich träume, wegen des Throns auf der Treppe, wegen meiner Großmutter, die die Nase von ihrem Schulrechenheftchen mit der Buchführung hebt

– Wach auf Mimi wach auf

das mit ungelenken, kreuz und quer in schrägen Reihen stehenden Zahlen gefüllt ist, und dessen Seiten die Kraft des Bleistifts eingerissen hatte, mein Mann

– Wach auf

– Sie wacht morgens nie auf das muß die Schwerhörigkeit sein meine Schwiegermutter hat mich gewarnt daß die Schwer

ichwollte aufwachen, um nicht zu sterben, um die ehemaligen Geheimpolizisten daran zu hindern, das Haus anzuzünden wie sie Schulen, die Häuser von Abgeordneten, Parteisitze anzündeten

meine Schwiegermutter hatte mich gewarnt, daß Schwerhörige anders sind als wir, egoistisch, unsensibel, sie war der einzige Mensch, der keine Träne vergossen hat, als ihre Großmutter starb, die ganze Familie war bei der Beerdigung versammelt, und sie, die Locken mit der Brillantine des Vaters glattgezogen und im neuen Kleid, hockte von der Neugier der Küken umringt beim Betontrog zum Wäschewaschen und machte sich mit einer Flasche Zitronensprudel, einer Kaffeekanne und einer Zuckerdose dreckig, während sie den Besuchern, dem Trauerzug, der Messe, dem Auszug des Sarges, den Beileidsbezeugungen gegenüber gleichgültig, ein Gebräu herstellte und das Gebräu trank, sorgenvoll zu sich selbst sagte

– So stimmt das noch nicht

sie hockte beim Betontrog zum Wäschewaschen, als habe sie vor, in der Erde aufzugehen oder Teil von ihr zu werden, so wie sie mir manchmal vorkommt, als gehöre sie zum Hausrat, als sei sie nichts weiter als ein Garderobenständer, ein Bügel, ein Möbelstück, etwas Lebloses, das nicht antwortet und nicht zu sehen scheint, sich nicht weh tut, sich nicht aufregt, die Seidentücher und Ringe nicht trägt, die ich ihr schenke, Schürzen wie die Kellnerinnen des Arbeiterrestaurants in Coimbra trägt, weder begriff, was ich tat, noch sich um das kümmerte, was ich tat, ich wachte auf, und dann stand sie da und schaute auf den Platz, ich berührte ihre Schulter, und meine Frau schob mich mit ausgebreiteten Händen weg, als hätte ich ein Gewehr bei mir, dabei wollte ich sie nur beruhigen

– Schieß nicht

winzig in einer Ecke des Bettes, die Knie im Mund

– Schieß nicht

mein Mann

– Zieh dich aus

ich schützte mich mit dem Kissen, den Bettüchern, der Bettdecke

– Schieß nicht

die Reklame der Konditorei im Spiegel, Mörsergeschosse Mörsergeschosse Mörsergeschosse, sah mich, bemerkte, daß sie sich geirrt hatte, schämte sich, errötete, wechselte eilig zu hausgemachten Kuchen über, und daher hörte ich auf vor ihm zu fliehen

– Sie hat irgend etwas im Spiegel gesehen was weiß ich was das war sie ließ das Kissen und die Bettücher und die Überdecke los ihr Blick veränderte sich sie beruhigte sich und hörte auf vor mir zu fliehen

die Bäume des Platzes kamen einer nach dem anderen ins Zimmer, der Hauch des Flusses, nicht der Mondego, der Tejo vertrieb den Branntweingeruch, und die Feuerwehrleute trugen ruckelnd den Zopf die Stufen hinunter

auf Wiedersehen Großmutter

hoffentlich haben ihn ihr die Krankenschwestern und die Ärzte im Krankenhaus nicht abgeschnitten, da es kein Geld für eine ordentliche Beerdigung in einem Sarg gab, der von den Rosen Galiziens begleitet wurde, die aus dem Meer wachsen, als sie mir mitteilten, daß sie gestorben war, versteckte ich mich in der Nähe des Betontrogs zum Wäschewaschen und stellte in der Absicht Coca-Cola her, davon eine Beerdigung zu zahlen, die jemand verdiente, der auf einem Thron saß und vom Gegacker der Hühner und der Blätter umringt über Speisekarten bestimmte, Streit schlichtete, die Buchführung in einem Schulheftchen überprüfte, und weil ich es mit dem Kaffee und dem Zucker nicht richtig gemacht hatte, probierte ich und fing von neuem an, goß die Flasche aus

– So stimmt das noch nicht

bis meine Familie vom Friedhof kam, die Flecken auf meinem Kleid bemerkte und sie mich schlugen, ihre Augenbrauen und Lippen bewegten sich lautlos, als sie mich anschrien, der Wind schwieg in den Weiden, Lord galoppierte, stummes Gebell ausstoßend, ziellos umher, ein Jahr später verkauften sie das Restaurant, ich fand den Stuhl meiner Großmutter, ohne Branntweingeruch, ohne Damast, ohne Federn, ohne die Verzierungen der Lehne auf einem Brachland der Zigeuner, begriff da erst, daß sie tot war, und fing an zu weinen

– Sie hat irgend etwas im Spiegel gesehen was weiß ich was das war sie ließ das Kissen die Bettücher und die Überdecke los hörte auf vor mir zu fliehen, ihr Blick veränderte sich und sie begann grundlos zu weinen weinte nicht wie eine Frau sondern wie ein trauerndes Kind und während sie weinte wischte sie ihr Gesicht mit dem Saum des Nachthemds ab später heute wo der Herr Bischof und die Witwe meines Geschäftspartners und ein Gast mit uns zu Abend essen dessen Namen entschuldigen Sie je weniger man bestimmte Dinge berührt um so besser am besten hält man den Mund sollte ich packte ihren Ellenbogen und sie starrte mich aus ihrem Traum an ich bat

– Wach auf

während die Glocke des Gymnasiums in den Vorhängen zitterte, hängten sie die Fensterläden des Juwelierladens ab, der Fabrikschornstein staubte den Platz weiß ein, vor einigen Jahren hatten wir Probleme mit einem Typ, der uns bei der Kriminalpolizei denunziert hat, als wir ihn schließlich zu fassen kriegten, hat er sich so verhalten, wir brachten ihn zu den Dünen am Guincho-Strand im Winter, und Tränen über Tränen, keine Reue, Tränen, die Wellen fuchsteufelswild am Strand, und der Kerl in Tränen, der Kommandant zu ihm

– Wach auf

so wie ich zu Mimi

– Wach auf

und der Mann zitterte, wir haben ihm nichts getan, wir haben ihn unter dem Gebrüll des Nordwinds zwischen den Zistrosen zurückgelassen, doch später erfuhr ich, daß ihn der Zug von Cascais nach Estoril mitgeschleift hat, meine Schwiegermutter hat mir tausendmal versichert, daß die Schwer

ich lag also im Bett neben meinem Mann, der Branntweingeruch verflüchtigte sich, ich erkannte ganz allmählich das Zimmer, die Lampen, den Frisiertisch wieder, begriff, daß ich nicht arm bin, nicht nur eine Bluse, nur einen Rock, nur ein Paar Schuhe besitze, daß sie meine Ohrringe nicht verkauft haben, damit wir etwas zu essen hatten

meine Schwiegermutter hat mir versichert, daß Schwerhörige nun mal so sind, merkwürdig, jeder gerät wegen ihrer verkehrten Reaktionen durcheinander, sie hat mir tausendmal geraten

– Überlegen Sie es sich genau, mein Herr

mich nicht zu verheiraten, sie als Freundin zu nehmen und der Familie eine kleine Unterstützung zukommen zu lassen

– Das Leben für Leute aus der Provinz ist schwer verstehen Sie

aber vor allem sollte ich sie nicht heiraten

und da glitt die Sonne über den Fußboden, sprang auf die Überdecke, beleuchtete ein Rechteck aus grüner und blauer Wolle, die Sprudelflasche verschwand, Coimbra verschwand, sie schlugen mich nicht, schalten mich nicht, mein Mann hatte meinen Ellenbogen gepackt, ihm fehlte ein Knopf am Schlafanzug, er war ungekämmt

– Und mit einem Mal schaute sie mich an hörte auf zu weinen und lächelte

und ich wachte auf.

2

Ich wachte auf, doch ansprechen sollte man mich nicht, denn bis elf Uhr vormittags bin ich ungenießbar. Ich kugele mit geschlossenen Augen durch die Wohnung, stoße gegen die Möbel, während ich die Sonne wegscheuche und die Welt verfluche, die Sonne tut natürlich nur so, als ginge sie, und kommt dann beharrlich wie ein Tier, klebrig, unerträglich, zutraulich wie ein Freund immer wieder, ich brauche keine Freunde, daher schüttele ich sie ab

– Laß mich los

oder ich zeige ihr das Fenster

– Raus

und die Wohnung verdunkelt sich, ich drehe den Wasserhahn auf, um das Gesicht naß zu machen, und das Wasser schmerzt auf der Haut, ich drehe am Lichtschalter in der Küche, und das Licht netzt meine Wimpern mit Säure, ich mache die Herdflamme an, und das Gas spuckt mir saure Hitze in die Nase, die Sonne, die nicht aufgibt, spaziert auf der Spüle entlang, streift mich, ich wische sie mit dem Putzschwamm für die Töpfe weg, und die Spitzbübin entkommt lachend zum Kühlschrank, blitzt auf dem Krug auf dem Zierdeckchen, leckt mir das Kinn, versteckt sich zwischen den Pfirsichen in der Obstschale, taucht auf den Fliesen am Boden wieder auf und hält sich dabei für wahnsinnig witzig, ich hebe langsam den Fuß, ganz vorsichtig, ganz so, als wäre nichts, um sie zu zertreten, und weg ist sie, sie hat sich beleidigt auf den Wohnzimmergardinen zusammengerollt

– Auf Wiedersehen

ich möchte gern schlafen, in den lauwarmen, konkaven Raum zurückkehren, der ich bin, zum großartigen Traum, in Farbe

(er wird sich sicher niemals mehr wiederholen)

indem ich einen kleinen Satz machte und vom ersten Stock bis zum Keller, ganz dicht über den Stufen flog, in einem Platanenballett beim leisesten Windhauch mit einer Grazie emporstieg, die ich niemals besessen hatte, schwebte, mich reckte, leicht das Dach berührte, Purzelbäume schlug, ohne das Haar zu zerzausen, die Sonne, die ihr Schmollen vergessen hatte, balancierte auf dem Türknauf der Speisekammer, ich schnitt die Ecke der Milchtüte ab, konnte die Augen nicht öffnen und sie schlagen, ich hätte den Elektrowecker gern erwürgt, dieser gräßlichen Klingel den Garaus gemacht, den Stecker aus der Wand gezogen und ihn abgestellt, zugeschaut, wie die Zahlen erloschen und mich anflehten

– Töte uns nicht

ich drückte aus Versehen auf die Milchtüte, und eine Schaumspur rann, zu einem Blutegel geworden, an meinem Knie herunter, ich fuhr mit der Hand zum Bein, ohne dabei die Schere loszulassen  

(aus dem Augenwinkel bemerkte ich die Sonne auf der Scherenspitze, na klar)

und stach mich

den Wecker abstellen, die Welt abstellen, Frieden haben, mich ins Bett legen, die das ganze Jahr über schwarzen Bäume vom Campo de Santana amüsierten sich königlich über mich, ahmten die Gänse oder die Schwäne aus dem See nach, irgendwann werde ich ihnen das Mittel gegen Küchenschaben in die Brotkrumen tun, ich hörte den Morgenmantel meines Patenonkels in die Küche kommen, auf dem Aufschlag hockte die Sonne, blindlings packte ich den erstbesten Topf, um die Sonne zu erschrecken, die Bäume und die Vögel verbeugten sich und tschüß, der Morgenmantel fiel mit einem Schluchzer in sich zusammen

– Fátima

die Sonne schlüpfte entsetzt, voller Angst vor mir in den Toaster, ich spürte, wie das linke Augenlid sich ein ganz klein wenig öffnete und das Universum abtastete, stand vor den Tellern vom Abendessen vom Vortage, die mir jammernd verkündeten

– Wir sind schmutzig

jede Menge Staub, Eierschalenreste auf dem Fußboden, der ganze Planet klagte, ich ließ den Topf los, wandte mich zum verglasten Balkon

– Sprecht mich nicht an

sprecht mich nicht an, denn bis elf Uhr vormittags bin ich ungenießbar

die Plastikschüssel mit der eingeweichten Wäsche klagte mich vom Betontrog zum Wäschewaschen her an, die Flasche mit Waschmittel flehte mich an, sie wegzustellen, die an die Wand gelehnte Leiter schaute mich

da bin ich mir sicher

mit melancholischer Resignation an, war betrübt, daß ich sie nicht weggeräumt hatte, die Wohnung greinte, weil ich sie nicht mochte, die Kartoffeln gären ließ, den Schrank nicht strich, den zerbrochenen Dachziegel nicht ersetzte, zuließ, daß sich die Rechnungen olivenölfeucht auf der Arbeitsplatte der Küche stapelten, der Morgenmantel meines Patenonkels hielt feierlich inne

(ich brauche kein Augenlid zu öffnen, ihn kenne ich in- und auswendig)

so wie er immer in theatralischen Pausen innehielt, bereit, in den Chor der Wohnung einzustimmen, ich hielt mir die Ohren zu, um sie alle nicht zu hören

– Um Gottes willen hört auf damit

genau in dem Augenblick, in dem mein Kopf wegen der Sonne, die mich unermüdlich verfolgte, platzte, und das Telefon sich im kleinen Fernsehzimmer mit diesem aneurysmatischen Gesprudel ausquetschte, Drähte glühten, die einem das Gehirn verbrennen, mein Bett kalt, mein Traum vom Fliegen weg, meine Augen offen, der Morgenmantel mit blöder Freundlichkeit

– Guten Morgen

wie früher mein Mann

– Guten Morgen

ohne zu bemerken, wie dumm dieser Satz war, ohne zu bemerken, daß ich keine Küsse, Aufmerksamkeiten, Zärtlichkeit wollte, kein einziges Wort wollte, nur allein bleiben, Kaffee trinken und Zigaretten rauchen wollte, bis der Campo de Santana sich beruhigte, die Wohnung sich beruhigte, das Universum sich endlich beruhigte, mein Patenonkel den Morgenmantel durch die Soutane, das Kreuz, den Bischofsring ersetzte, das Zuckergelee auf dem Tassengrund sich mit Asche bedeckte, ich, in das Badetuch gewickelt, das kleine Handtuch zu einem Turban gerollt, außerstande, mir im Spiegel zuzulächeln, meine Hundelaune in Hundebitterkeit aufzulösen, mich anzuziehen, mich zu schminken, den Mund der Wohnung zum Schweigen zu bringen, indem ich die Gummihandschuhe anziehe und die Küche aufräume, die Rolläden im Schlafzimmer hochziehe und Sandalen und Strümpfe vom Boden aufhebe, an einem Ort, der jetzt ohne Geheimnis war, an dem man nicht flog, die Zahlen auf dem Wecker unter metallischem Klicken wechselten, im Schlafzimmer, in dem es meinen Mann, Gott sei Dank, nicht gab, und ich nicht gezwungen war, meine Unordnung mit seiner zu vereinen, einen Menschen zu ertragen, der die Zahnpasta in der Mitte eindrückte und in den Dampf auf den Spiegel mit Kindergartengroßbuchstaben

Ich liebe dich

schrieb, ein

Ich liebe dich

das nicht wieder wegzukriegen war, kaum war ich aus der Dusche gekommen und auf dem Teppich gelandet, stieß ich auf fünf oder sechs riesige

Ich liebe dich

die über Kreuz auf dem Glas standen, die

Ich liebe dich

eines Kindes, das auf den Arm genommen werden will, soll ich den neuen Job annehmen oder soll ich den neuen Job nicht annehmen, kaufen wir ein neues Auto oder kaufen wir kein neues Auto, lassen wir die Diele mit Terrakottafliesen auslegen oder lassen wir sie nicht mit Terrakottafliesen auslegen, er hat den Job nicht angenommen, wir haben kein neues Auto gekauft, wir haben keine Terrakottafliesen in der Diele legen lassen, wir haben

oder besser wir haben nicht

der Ehemann der Schwerhörigen, vorsichtig

– Überlegen Sie mal Herr Bischof ein Priester

und mein Patenonkel

– Das hat nichts damit zu tun das hier ist ein heiliger Krieg

er ließ im Auto des Priesters eine Bombe anbringen, und ich weiß nicht, und es interessiert mich auch nicht, ich will es lieber nicht wissen, wer auf den Knopf gedrückt hat, ich habe mir die Ohren zugehalten, um den Knall nicht zu hören, kein Telefon, keine Tauben, kein Gasgezische, denn vor elf Uhr vormittags bin ich ungenießbar, sagt bloß nichts zu mir, redet nicht mit mir, sprecht nicht, droht der Sonne, daß ich sie mit dem Besen rausfegen werde, ich möchte zurück in mein Bett, ich möchte wieder meinen Traum vom Fliegen, die Arme hochheben, einen kleinen Satz machen und ciao, winzige Häuser, die winzige Stadt, das schmale Band des Tejo

wir haben, oder besser ich habe die Wohnung zum Verkauf angeboten, als wir uns getrennt haben, die Spiegel mit den

Ich liebe dich

hingeschmiert wie an eine Mauer geschriebene Beschimpfungen, mein wütendes Gesicht und sein erschrecktes Gesicht

– Liebst du mich denn nicht mehr Fátima?

die Buchstaben übereinander, der Toyota der Gemeinde erwartete mich auf der Straße, mein Koffer auf dem Treppenabsatz, eine Haarspange vergessen auf dem kleinen Tisch, mein Mann, der die Spange, die in diesem Augenblick ich war, hin und her drehte

– Liebst du mich nicht mehr Fátima?

in der Hoffnung, die Spange würde ihm antworten, ja sagen

– Ich liebe dich

ihn beruhigen, und während er der Spange Liebeserklärungen machte, stieg ich, die Leiche im Koffer hinter mir her schleifend, die Treppe hinunter

die Leiche des Priesters im Koffer, der Ehemann der Schwerhörigen zeigte uns die Zeitung, das Foto einer Frau, das Foto eines Mannes

– Ein Kommunist weniger Herr Bischof

keine Leiche, zwei Leichen im Koffer, diese überraschten Augen wie auf Fotos, wenn die Menschen sterben

(es wirkt so als hätten die Bilder gerade die Nachricht des eigenen Todes erhalten und glaubten es nicht)

könnte ich doch weggehen, mit den Bewegungen einer Schwimmerin ein bißchen über den Campo de Santana fliegen, im Brustschwimmstil um das Denkmal des Spiritisten herum, der von kleinen Kerzen und den Gebeten der Gläubigen, Verkäufern von Rosenkränzen, Papierblumen, Tonbüsten, Wachsgliedern umgeben ist

– Vergessen Sie nicht daß das nicht nur heißt das Gericht an unseren Fersen zu haben sondern auch bedeutet daß es in der Kirche von Revolutionären nur so wimmelt es bei den Messen reichlich Verräter gibt

die Leichen im Koffer von Stufe zu Stufe schleifend, der Chauffeur der Diözese kippte, ohne es zu ahnen, die Verstorbenen in den Kofferraum, mein Mann schrieb

Ich liebe dich

für eine Haarspange an die Fensterscheiben der leeren Wohnung, hauchte sie an, schrieb noch mehr, hängte sich mit saurem Biergeruch um vier Uhr morgens bei uns an die Haustürklingel

– Ich will Fátima wieder zurück Herr Bischof

stand auf die Fußmatte gepflanzt da und mischte die Hände wie Karten, jeder Finger etwas Lebendiges, das ihm mit einem Satz entfloh und er nicht zu fassen bekam, auf dem Platz dankten die Anhänger des Spiritisten in ehrfürchtigen Verneigungen für mystische Heilungen ihrer Gallenblase und für die Auferstehungen von Krebskranken

als ich die Kofferverschlüsse öffnete, verwandelten sich der Priester und die Frau

(ein Wunder der Statue)

in Wäsche, Bürsten, Parfümproben, ich sollte eine Kerze zu den anderen Kerzen auf dem Sockel anzünden, mein Patenonkel verständnislos

– Was ist denn Mädchen?

ich tastete noch etwas mißtrauisch die Blusen ab, um mich zu vergewissern, wühlte in panischer Angst, ein verirrtes Knöchelchen zu finden, in Wolljacken, dehnte mich vor Erleichterung

– Nichts

was vom Auto übrig war, nicht auf der Straße, sondern hier und dort auf einem maisbewachsenen Hang verteilt, Eisenspäne, zerbröckelte Kohlestücke, Schlauchfetzen, die ich weiß nicht, wer, mich interessiert nicht, wer, ich möchte es lieber nicht wissen

das ist nicht wahr, ich weiß es, ich traf sie immer bei den Versammlungen hier in der Wohnung in Begleitung des Generals, des Offiziers der Kriegsmarine, der an der spanischen Grenze wohnte und Truppen sammelte, Schutzmänner, Kämpfer aus Guinea, ehemalige Polizisten, Kreaturen, die bettelarm aus Moçambique und Angola zurückgekommen waren, um im Namen dessen, was sie Vaterland nannten, Portugal zu überschwemmen, die Kommunisten zu verjagen, Afrika von den Russen zu befreien, bärtige, in den Krypten des Klosters unter einem großen Steinbogen begrabene bärtige Seefahrer und Infanten, der Ehemann der Schwerhörigen

– Hören Sie Herr Bischof ein Priester

mein Patenonkel drehte an seinem Ring

– Dies ist ein heiliger Krieg meine Freunde ein heiliger Krieg

der Offizier der Kriegsmarine wartete stundenlang in einer Reihe von Nußbäumen versteckt mit dem Hebel und den Kabeln darauf, daß der Wagen des Priesters in die Kurve einfuhr und sich der in den Asphalt eingelassenen, von Split bedeckten Bombe näherte

der Wind im Ginster, wie der Wind im Ginster seine kleine Musik summte

nicht so als bereitete er den Tod eines Feindes vor, sondern gleichgültig wie jemand, der seine Arbeit tut, ein beinahe weißes Kaninchen verschwand in einer Senke, ein Wiedehopf stieß plötzlich in einem Flügelwirbel herab, der Offizier der Kriegsmarine mit einer Flasche Erdbeerbaumgeist auf dem Schoß, vermummt in einer abgeschabten Decke

ich möchte es lieber nicht wissen, es interessiert mich nicht, erzählen Sie es mir nicht, sagen Sie bis elf Uhr vormittags nichts, denn bis dahin bin ich ungenießbar, kugele durch die Wohnung, stoße an die Möbel, verscheuche die Sonne und verfluche die Welt

vermummt in eine abgeschabte Decke, während ihm die Zunge vor Kälte schmerzte, er war sicher eingeschlafen, denn der Hals störte ihn, und er wachte beim ersten Motor auf, die Sehnen kribbelten, ein merkwürdiges Gefühl zwängte seinen Rücken ein, er schloß die Handfläche über dem Hebel, nach dem Bus ein Zigeunergespann mit einem an zwei Deichseln befestigten Esel, ein Dreieck von Wildenten auf der Suche nach dem Fluß, überall ein Sieden von Insekten, als wäre das Universum aus Fühlern und vibrierenden Flügeln gemacht, Bauernfahrräder, Spatzen, ein Traktor, Ochsen vor einem Pflug auf einem Brombeerpfad, das Kurbeltelefon, das sie der Armee gestohlen hatten, das Dreieck aus Wildenten hatte den Fluß gefunden, denn ich hörte ihr Geschrei

der Offizier der Kriegsmarine, der an der spanischen Grenze wohnte und Truppen sammelte, Schutzleute, Kämpfer aus Guinea, ehemalige Polizisten, Leute, die bettelarm aus Moçambique und Angola zurückgekommen waren, um Portugal zu überschwemmen, die Kommunisten zu vertreiben, Afrika von den Russen zu befreien, lächelte nie, verbeugte sich, wenn er mich begrüßte

– Gnädige Frau

stimmte zu, wenn mein Mann, Verzeihung, mein Patenonkel von Atheisten, von Verrätern, vom heiligen Krieg sprach, in dessen Namen die Brände, die Bomben, die Maschinenpistolen, die Toten im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung

– Schweigen Sie ich höre nichts sehen Sie nicht daß ich mir die Ohren mit den Fäusten zuhalte schweigen Sie

ich bin noch nicht aufgewacht, ich bringe die Dinge durcheinander, ich möchte fliegen, bin müde, mein Mann hält seine Hände, bevor sie auf den Fußboden fallen, und mischt sie wie Karten, ohne zu merken, daß er sie mischt

– Ich will Fátima zurück Herr Bischof

vom Alkohol ermutigt, bereit, den Garderobenspiegel anzuhauchen und

Ich liebe dich

zu schreiben, mit seinen kindlichen Großbuchstaben

Ich liebe dich

auf Silberschalen, auf die Oberfläche von Kaffee- und Teekannen zu schreiben, auf die Aluminiumlöffel, auf das falsche chinesische Porzellan, mein Mann, magerer und mit längerer Nase auf der Fußmatte an der Haustür um vier Uhr morgens

das der Armee gestohlene Telefon schwieg ewig, der Offizier der Kriegsmarine drehte an der Kurbel, und Pfeifen, Sieden, Stimmen oder Hupen einer fernen Stadt, der spanische Brigadechef antwortete nicht von der Sitzbank des Lieferwagens in der Nähe der Kirche, wahrscheinlich war er gegangen, hatte die Nase voll, hatte es aufgegeben, ein zweites Dreieck Wildenten auf der Suche nach Wasser, ein zweites Zigeunerfuhrwek randvoll mit Leuten, an der Deichsel mit einem Strick der ewige Esel mit seinen mit Schuhwichse oder grauer Tinte gerichteten Wunden, der Hals verspannt, ein Schmetterling zwischen Haut und Kragen, was hätten wir uns nicht alles erspart, hätten wir die Presse besser im Griff gehabt, die Offiziere auf Vordermann, und wenn während des Staatsstreichs trotz all dieser Leu

– Redet nicht mit mir sagt nichts zu mir denn bis elf Uhr vormittags bin ich ungenießbar

mein Mann schrieb auf die Fensterscheiben

Ich liebe dich

während er hinter seinen Händen herlief

– Ich will Fátima zurück Herr Bischof

sie zufällig wiederfand, ohne zu begreifen, daß es seine waren, ich möchte schwören, daß er sie in der Tasche trug und weiß nicht, ob ich ihn mochte oder mich schuldig fühlte, doch der Biergeruch auf der Diele tat mir leid, mein Patenonkel faltete das Taschentuch auseinander, als würde das Taschentuch ihn beschützen, schätzte ab, wie viele Schritte ihn vom Schlafzimmer trennten, um fliehen zu können, beide hatten Angst voreinander, schämten sich voreinander, wenn ich mich ins Bett legte und die Augen schloß, würde ich mich mit einem Satz abstoßen und fliegen, meinem Patenonkel und meinem Mann, die bereit waren

Ich liebe dich

auf die Fensterscheiben zu schreiben, zurufen, redet nicht mit mir, sagt nichts zu mir, denn bis elf Uhr vormittags bin ich ungenießbar, ich würde fliegen und alles da unten wäre klein, bedeutungslos wie für das Wildentendreieck

auf der Suche nach dem Fluß, Regenwolken überlagerten Regenwolken und das tragbare Telefon, Grillenschrillen, Geknister, Seufzer, der Brigadechef, der dem Offizier der Kriegsmarine irgend etwas mitteilte, was nicht gut zu verstehen war

das stimmt nicht, es war gut zu verstehen

das zwischen Interferenzen, Musikfetzen, Worten in fremder Sprache nicht gut zu verstehen, der Brigadechef tauchte ab, kam wieder nach oben, der Offizier der Kriegsmarine

– Wie bitte?

der Offizier der Kriegsmarine

– Wiederhol das

der Offizier der Kriegsmarine

– Was?

ich hörte die Blätter der Hyazinthen auf dem Kirchplatz, ich hörte dasRaunen der Palme, ich verstand den Brigadechef nicht

es stimmt nicht, er sagte ihm, er solle nicht auf den Knopf drükken, morgen dorthin zurückkehren, weil dort

– Seht wie ich fliege ich höre nichts und fliege

weil dort noch mehr Menschen im Auto des Priesters sitzen und wir uns nicht den Luxus leisten können, sie

ich presse die Fäuste auf die Ohren und fliege, ich erinnere mich daran, daß es, als ich Kind war, keine einzige Nacht gab, in der ich nicht mit meinem vergoldeten Armband über dem Dach schwebte, meinem kleinen Schildpattring und den Lackschuhen mit einer hübschen Schnalle, in die ich mich sofort verliebt hatte, als ich sie im Schaufenster des Ladens entdeckte

wir uns nicht den Luxus leisten können, die Leute gegen uns aufzubringen, der Offizier der Kriegsmarine

– Was?

noch mehr Fahrräder, der Linienbus, eine Schafherde überquerte die Straße, fünf oder sechs Raben in einem Eukalyptushain, das Rascheln ließ auf Fasane und Eichhörnchen schließen, der Offizier der Kriegsmarine unterbrach ein

– Was?

indem er das Telefon an der Ecke eines Steins zerschmetterte, der Brigadechef schwieg, zu Schrauben, Spulen, Graphitplatten geworden, der Offizier der Kriegsmarine tastete den verspannten Hals ab, war wegen der Regenwolken besorgt, fragte, als das Auto auf der Kreuzung auftauchte und langsam näher kam, ein letztes Mal zu den Trümmern des Telefons gewandt

– Was?

während er die Handfläche auf den Hebel stützte

– Ich höre nichts

und auf den Knopf drückte

ich höre nichts, ich schwöre, daß ich nichts höre, selbst wenn ich es versuchen würde, könnte ich nichts hören, weil ich so beschäftigt damit bin, die Welt zu verfluchen, die Sonne mit dem Besen auf den verglasten Balkon zu scheuchen, sie mit dem Putzschwamm für Töpfe wegzuwischen, sie von der Spüle, vom Zierdeckchen, aus der Obstschale zu verscheuchen, weil ich damit beschäftigt bin, die Arme zu heben, während ich mich mit einem kleinen Satz abstoße, um fliegen zu können.

3

Fliegen Celina fliegen: ich wurde an der Taille gepackt, zur Decke hochgeworfen und wieder aufgefangen, noch bevor ich auf den Boden fiel, ich lachte, weil ich Angst hatte, und ich liebte diese Angst, war einen Augenblick lang hilflos dort oben, die Nase an der Glühbirne und dem Rüschenschirm, kehrte mit einem glücklichen Panikkichern wieder zurück, fand den Schoß meines Onkels

– Fliegen Celina

einen Augenblick lang entdeckte ich die Weihnachtspakete oben auf den Schränken, groß und dick mit Schleifen und Sternchenpapier

– Ich will mein Geschenk

– Was für ein Geschenk?

höher als die Erwachsenen, höher als die Möbel, mein Onkel duftete nach Kölnisch Wasser und mein Vater nach Tabak, wenn sie mich zwangen zu fliegen, entfernte sich der Duft, meine Mutter war zufrieden, mein Vater sehr ernst in der Sofaecke, die Augen in der Zeitung, ich rief ihn

– Vater

winkte ihm, und mein Vater bedeckte, in den Seiten begraben, das Gesicht mit Nachrichten, ihm fehlte Haar, er schien traurig zu sein, ich vergaß die Weihnachtsgeschenke

– Vater

mein Onkel zwinkerte meiner Mutter zu, und der Gesichtsausdruck meiner Großmutter veränderte sich, wenn ich wollte, könnte ich die Glühbirne herausdrehen und niemand würde nachts etwas sehen oder ich könnte die Strebe des Rüschenschirms richten, die der Maler verbogen hatte, doch kaum hatte ich das gedacht, bereit, die Dunkelheit zu erfinden

(ich kann Dunkelheit machen, ich kann Tageslicht machen)

– Faß die Lampe nicht an

wurde ich wieder auf den Boden gestellt, die Gegenstände kreiselten, ich brauchte eine Weile, um mich wieder daran zu gewöhnen, auf dem Fußboden zu gehen, der anfangs schräg war und erst später wieder gerade wurde, der Teppich war wieder der Teppich, die Wohnung war wieder die Wohnung, ich hatte keine Lust zu lachen, ich wollte nicht, daß mich jemand ansprach, setzte mich unter den Eßtisch mit dem Tischtuch, und rundherum ihre Beine

– Komm essen Celina

die Hand meines Onkels ließ sich auf dem Knie meiner Mutter nieder, und das Knie meiner Mutter erzitterte, ihre Hand schien die Gabel abgelegt zu haben, denn sie kam und nahm die Hand meines Onkels, legte sie auf sein Knie und gab ihm ein paar warnende oder zornige Klapse, verschwand dann auf der Suche nach dem Besteck, meine Großmutter lehnte sich zurück, und ihre Finger mit den langen Nägeln massierten das Schienbein, die Beine meines Vater standen weiterhin gerade, eine der Socken ohne Gummiband zeigte ein Stück Haut, der Schuh meines Onkels, der besser geputzt war als meine und die Schuhe meines Vaters

– Komm essen Celina

trat auf die Schuhspitze meiner Mutter, der Absatz des anderen Schuhs meiner Mutter, dem die Gummispitze fehlte, begann sich vor und zurück am Fußknöchel meines Onkels zu reiben, seine Hand ließ sich wieder auf dem Knie meiner Mutter nieder, weitete sich ein bißchen den Schenkel hinauf, und diesmal nahm die Hand meiner Mutter sie dort nicht weg, der Absatz rieb weiter den Fußknöchel, sie mußte ihn mit dem Nagel gestochen haben, denn der Hintern meines Onkels machte einen kleinen Satz, die Stimme meiner Großmutter, besorgt von der unsichtbaren Hälfte oberhalb der Taille

– Hast du eine Gräte gefunden Joaquim?

die Hand meiner Mutter, die mit dem Ehering und dem Ring mit dem falschen Brillanten, der den Ehering verbarg

(ich habe ihn aufprobiert, als sie im Bad war und ihn im Schlafzimmer gelassen hatte, und er rutschte mir sogar vom Daumen)

streichelte tröstend die Hose meines Onkels, die Hand meines Onkels drückte ihre, die Fingerknöchel der beiden beugten sich abwechselnd, ihr Finger und sein Finger, der dicke der dünne, der dicke der dünne, der dicke der dünne, außer den Daumen bei etwas, das einem Kampf ähnelte, die Serviette meines Vaters rutschte und fiel herunter, die Hände verflüchtigten sich sofort, die Schuhe stellten sich in Reih und Glied, je zwei und zwei, so wie sie es mir vor dem Schlafengehen zu tun beigebracht hatten, nur jetzt steckten Menschen darin, der Fußknöchel meines Onkels hatte einen roten Streifen, seine Stimme, während der Wasserkrug am Glas klingelte

– Eine von den großen Gräten ich habe sie verschluckt

meine Mutter mit merkwürdiger Stimme, die mir ein Kitzeln im Bauch verursachte

– Wie schrecklich

nicht eigentlich merkwürdiger Stimme, in einem Tonfall, der mich betäubte, ohne daß ich den Grund dafür verstand, in mir den Wunsch weckte zu bitten

– Sagen Sie das noch einmal

und mich auf dem Teppich auszustrecken, um an den Nieren die rauhe Wolle zu spüren oder was auch immer es war, von rechts nach links zu tanzen und mir Schmerzen zuzufügen, aber das war kein Schmerz, gerade als ich mich ausstrecken wollte, tastete die Hand meines Vater, die dunkler und behaarter war, nach der verlorenen Serviette, öffnete und schloß sich blindlings, fand sie nicht, tastete weiter vorn, weitete sich in Kreisen, stieß gegen die Ferse meiner Mutter, und die Ferse entwischte zornig

– Was soll der Unsinn laß mich los

weckte mich aus der Betäubung und dem Wunsch, mich am Teppich zu verletzen, um etwas zu erreichen, was das Verletzen einem verschaffte und von dem ich wußte, daß es das gab, ohne zu wissen, was es war, eine süße Wut, ein Aufwallen, eine Ohnmacht

– Fliegen Celina fliegen

die Nase an der Glühbirne und dem Rüschenschirm, der Kölnischwasserduft kam näher und entfernte sich, ich liebte diese Angst, die Hand meines Vaters fand meinen Rock und zerknitterte ihn, weil er ihn für die Serviette hielt

– Vater

ein

– Vater

genau wie das

– Wie schrecklich

meiner Mutter, dunkle haarige Finger, die Socke ohne Gummiband bedeckte den Schuh, das Gesicht mit den Punkten vom Bart am Kinn und den Wangen unter dem Tischtuch dicht an meinem Gesicht, das Augenweiß rot von der Anstrengung, eine kleine Ader an der Stirn

– Komm essen Celina

das Kissen auf dem Stuhl, damit ich an den Teller reichte, meine Großmutter knotete die Bänder des Lätzchens zu kräftig

– Ich brauche das nicht ich bin schon groß

meine Mutter nun von der Taille an aufwärts, was dazu führte, daß ich zwei Mütter hatte, die mit dem Kopf, die die Suppe äußerst wohlerzogen zum Mund führte, und die mit den Beinen, die keineswegs wohlerzogen den Absatz mit dem Nagel am Fußknöchel rieb, die Wohlerzogene überwachte meinen Löffel mit einer Geste der Ungeduld

– Mach keinen Schweinkram und halt den Mund

ich wollte auf den Arm genommen werden, wollte, daß sie mir die Geschenke vom Schrank gaben, einschlafen und gleich darauf in ihrem Alter wieder aufwachen

(nein, älter)

und mit ihnen schelten

– Ich bin älter als ihr nehmt mir sofort das Lätzchen ab und gebt mir ein Dreirad mit Klingel

aus der Art, wie meine Mutter manchmal dasaß, reglos, blicklos, als würde sie beten, schloß ich, daß mein Onkel wieder angefangen hatte, sie zu treten, und die Daumen auf dem Knie kämpften, mein Vater, in den Teller getaucht wie in die Zeitung, meine Großmutter spielte wütend oder unruhig oder beides auf einmal

– Manuela

mit dem Serviettenring und ließ ihn wieder fallen, beobachtete meinen Vater, wies mit zusammengepreßten Lippen, den Ellenbogen am Ellenbogen meines Onkels, auf mich

– Joaquim

die aufgehört hatte zu kauen und ebenfalls betete, kurz vor einem Anfall oder davor, aus dem weitgeöffneten Fenster zu schweben, sie suchten einander auf dem Flur, ihre Münder berührten sich und zogen sich schnell wieder zurück, meine Mutter, mit einer leichten Ohrfeige, einem unterdrückten Schluchzer

– Was für ein Wahnsinn Joaquim

in eben diesem Tonfall, der einem den Wunsch einflößte zu flehen

– Sagen Sie das noch einmal

während die Wolle des Teppichs mir am Rücken weh tat, aber es war kein Schmerz, es war wie einen Augenblick lang dort oben zu sein, hilflos, die Nase an der Glühbirne, Angst zu haben und die Angst gleichzeitig zu lieben

– Fliegen Celina fliegen

höher als die Erwachsenen, höher als die Möbel, in einem glücklichen Schrecken, es war das Kreiseln der Gegenstände, das Gehen verlernt haben, als mein Onkel seinen Mund zurückzog, stolperte er über mich, lehnte sich an die Wand, fragte meine Mutter aus den Mundwinkeln

(man konnte auf seiner Stirn Tröpfchen der Erschöpfung sehen, obwohl er nicht gelaufen war oder sich angestrengt hatte)

– Und wenn die Kleine was erzählt?

mich empörten das Lätzchen und das Kissen auf dem Stuhl, weil sie darauf bestanden, daß ich ein Kind war, wo ich doch erwachsener war als sie, eigentlich sollte das Bord mit den Puppen voller Parfümflaschen sein, das heißt verlieren wollte ich sie auch nicht

Catarina Mariana Luísa

ich würde die Puppen und die Flaschen haben, so wie ich zum Beispiel auch mit hohen Absätzen Dreirad fahren konnte, jeder kann das, mein Onkel mit seiner Manie, daß ich ein Kind bin, suchte in der Tasche nach dem Taschentuch und trocknete die Tröpfchen

– Und wenn die Kleine was erzählt?

meine Mutter mit der schrillen Stimme, mit der sie sich an meinen Vater und die Verkäuferinnen auf dem Markt wandte, mit erhobener Nase und einem Ausdruck des Ekels

– Hast du etwa Angst?

ihr fehlten nur noch das Portemonnaie und der Einkaufskorb, ihr fehlte nur noch nicht geschminkt zu sein und flache Schuhe zu tragen, abends schloß sie sich im Badezimmer ein und kam mit Lockenwicklern und Creme auf den Wangen wieder heraus, sie hat sie mich nie ausprobieren lassen

– Leg die Tube wieder hin Celina

und daher habe ich Falten, von denen die Kosmetikerin steif und fest behauptet, es seien Mimikfalten

– Das sind Mimikfalten Dona Celina

Mimikfalten, von wegen, ich bewege das Gesicht überhaupt nicht, und da sind sie, ich lächele, und sie bleiben unverändert neben denen, die dazu noch mit dem Lächeln auftauchen

(hunderte)

ich ziehe mein Gesicht in Falten, um meine Zweifel zu zerstreuen, hebe die Augenbrauen und treffe im Spiegel auf die Kosmetikerin

– Von wegen Mimikfalten Elisabete

höchstens dreißig Jahre alt, zehn Jahre jünger als ich, keine Cellulitis, keine Krampfadern, feste Hinterbacken, einen makellosen Hals, besiegt sie mich, mit sehr viel weniger Geld, einem Trunkenbold zum Mann, einem Hundeleben, wie albern, deshalb zu weinen

– Wozu komme ich jeden Morgen hierher?

die anderen Kundinnen stumm, alte Frauen wie ich oder, besser gesagt, nicht so alt, als daß sie sich alt finden, genauso sauer auf die Zeit wie ich, nicht so hinfällig, daß sie aufgehört hätten, sich selbst leid zu tun, eine dampfgeschwängerte Atmosphäre, eine lauwarme Ruhe, die Pediküre legte die Zangen in Reih und Glied aufs Handtuch, Massagen, Verbände, Gymnastik, die Lüge des nie eingelösten Versprechens von Jugend, heute noch hocke ich unter dem Tisch, heute noch mein Onkel

– Fliegen Celina fliegen

meine Mutter

(– Und wenn die Kleine was erzählt)

die von Ekel geschüttelt den Flur entlanggeht

– Feigling

die Verachtung der hohen Hacken in militärischer Eile auf dem Fußboden, der mit dem Gummipfropfen leichter, der mit dem Nagel härter, der Läufer verhakte sich am Nagel, der das Gewebe durchpflügte und Bäuche formte, meine Mutter bemerkte es nicht einmal, meine Großmutter niedergeschmettert

– Nun sieh sich das einer an Manuela

während sie das Brillenetui aufklappte

(ich hätte so gern eine Brille, ich hätte so gern einen Büstenhalter, ich würde die Brille aufsetzen, und meine Familie würde Respekt vor mir haben, ich würde gähnen, ohne die Hand vor den Mund zu halten, würde Zeitung lesen, würde Schule zum Kotzen finden)

meine Großmutter sah sich mit der Brille die Zerstörungen genauer an, versuchte die Löcher des Nagels mittels ihrer Nähwerkzeuge zu verbergen, kehrte die Unterseite des Läufers nach oben, um ihn von unten zu stopfen

– Ja ja Manuela eine schöne Bescherung

blickte meine Mutter an, blickte meinen Onkel an, mein Onkel setzte sich aufs Sofa neben meinen Vater, ängstlich und zuvorkommend, der Kölnischwasserduft mit dem Tabakduft vermengt, eher der Geruch nach Angst, und der Streifen auf der Haut, die Socke ohne Gummiband zeigte einen herausragenden Knochen, mein Onkel mit bemühter Begeisterung

– Hast du Lust am Sonntag mit mir angeln zu gehen Fernando?

die beiden auf der Mauer, und ich zu Tode gelangweilt auf einem Segeltuchhocker, ich zog Mariana tausendmal an und aus, riß ihr am Ende einen Arm ab und vergaß sie, ich durfte mich nicht vorbeugen

– Beug dich nicht vor sonst fällst du in den Tejo Celina

ich durfte keinen Lärm machen, denn damit würde ich die Fische verschrecken, ich durfte den Strohhut nicht abnehmen, denn dann würde ich von der Sonne krank werden, ich durfte nicht Himmel und Hölle spielen und nur die schwarzen Steine berühren, denn das störte meinen Vater, ich zählte die Passagierdampfer, und da sie nicht aufgereiht waren, geriet ich durcheinander, zählte sie noch einmal neu, und bei siebzehn hatte ich keine Lust mehr, die Sonne säte händeweise Pailletten in den Fluß, die Möwen spazierten mit schräggelegtem Kopf über den Strand, starrten mich an wie meine Großmutter meine Mutter anstarrte, das Abflußrohr ragte zwischen Stroh und Brettern in den Tejo, ein Mann sammelte Flaschenscherben auf und schüttete sie in einen Sack, die Wellen trugen eine Mütze heran, den Kadaver eines Hahnes und einen Weidenkorb, alles völlig uninteressant, monoton, endlos lang, hinter uns gab es unbewohnte Gebäude, deren Fenster mit Brettern vernagelt waren, Gärten mit vertrockneten Büschen, und ganz bestimmt auch mit Gespenstern, bevor mir die Gespenster etwas tun konnten, bückte ich mich zur Dose mit den Ködern, ein Wurm hatte den Rand erreicht und rutschte heraus

ENDE DER LESEPROBE