Portugals strahlende Größe - António Lobo Antunes - E-Book

Portugals strahlende Größe E-Book

António Lobo Antunes

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Beschreibung

Es ist Weihnachten, und Carlos hat seine Geschwister und seine Mutter in die winzige Wohnung in einem armen Vorortviertel Lissabons eingeladen, sie haben sich fünfzehn Jahre nicht gesehen. Doch der Sekt wird warm, keiner kommt, sie waren nie eine glückliche Familie. Als Kolonialisten lebten sie schon in Angola mehr schlecht als recht; der Vater Amadeu war ein Säufer, die Mutter Isilda eine Mätresse. Und die Kinder? Carlos ist Mischling, Resultat einer Affäre des Vaters, Rui ist geistig behindert, Clarisse verkauft ihren Körper. Der Bürgerkrieg hat sie aus Afrika verscheucht, aber Schuld, Gewalt und Hass tränken ihre Erinnerungen und treiben sie in den Untergang - auch wenn ihre Nationalhymne stets "Portugals strahlende Größe" beschwört ...

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Es ist Weihnachten, und Carlos hat seine Geschwister und seine Mutter in die winzige Wohnung in einem armen Vorortviertel Lissabons eingeladen, sie haben sich fünfzehn Jahre nicht gesehen. Doch der Sekt wird warm, keiner kommt, sie waren nie eine glückliche Familie. Als Kolonialisten lebten sie schon in Angola mehr schlecht als recht; der Vater Amadeu war ein Säufer, die Mutter Isilda eine Mätresse. Und die Kinder? Carlos ist Mischling, Resultat einer Affäre des Vaters, Rui ist geistig behindert, Clarisse verkauft ihren Körper. Der Bürgerkrieg hat sie aus Angola getrieben, immerhin haben sie ihre nackte Haut gerettet, aber Schuld, Gewalt und Hass tränken ihre Erinnerungen und treiben sie unaufhaltsam in den Untergang – auch wenn ihre Nationalhymne stets »Portugals strahlende Größe« beschwört, die das »edle Volk« wieder errichten soll …

ANTÓNIO LOBO ANTUNES wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes Werk ist in vierzig Sprachen übersetzt.

António Lobo Antunes

Portugals strahlende Größe

Roman

Aus dem Portugiesischenvon Maralde Meyer-Minnemann

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel »O Esplendor de Portugal« bei Publicações Dom Quixote, Lissabon.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © der Originalausgabe 1997 António Lobo Antunes

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1998

Luchterhand Literaturverlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Covermotiv: © plainpicture / Silke Heyer

CP · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-30266-5V002

www.btb-verlag.de

Helden der Meere, edles Volk,

tapfere, unsterbliche Nation,

errichte heute aufs neue

Portugals strahlende Größe!

Aus den Nebeln der Erinnerung

o Vaterland, tönt die Stimme

deiner trefflichen Vorfahren,

die dich zum Siege führen wird.

Zu den Waffen, zu den Waffen

zu Lande und zur See!

Zu den Waffen, zu den Waffen

im Kampf fürs Vaterland!

Marschiert, marschiert gegen die Kanonen.

Portugiesische Nationalhymne

Inhalt

ERSTES BUCH

24. DEZEMBER 1995

24. JULI 1978

24. DEZEMBER 1995

5. JUNI 1980

24. DEZEMBER 1995

21. JUNI 1982

24. DEZEMBER 1995

4. DEZEMBER 1984

24. DEZEMBER 1995

26. FEBRUAR 1986

ZWEITES BUCH

24. DEZEMBER 1995

1. SEPTEMBER 1987

24. DEZEMBER 1995

6. JANUAR 1988

24. DEZEMBER 1995

10. MAI 1988

24. DEZEMBER 1995

13. AUGUST 1989

24. DEZEMBER 1995

11. OKTOBER 1990

DRITTES BUCH

24. DEZEMBER 1995

25. MÄRZ 1991

24. DEZEMBER 1995

10. APRIL 1993

24. DEZEMBER 1995

14. NOVEMBER 1994

24. DEZEMBER 1995

27. SEPTEMBER 1995

24. DEZEMBER 1995

24. DEZEMBER 1995

GLOSSAR

ERSTES BUCH

24. DEZEMBER 1995

Als ich sagte, ich hätte meine Geschwister eingeladen, den Weihnachtsabend mit uns zu verbringen

(wir aßen gerade in der Küche, und man konnte hinter den letzten Dächern von Ajuda die Kräne und die Schiffe sehen)

füllte mir Lena den Teller mit Dampf, verschwand im Dampf, und während sie unsichtbar wurde, beschlug ihre Stimme die Fensterscheiben, bevor auch sie verschwand

– Du hast deine Geschwister seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen

(die Stimme trug, als sie die Scheiben mit Dampf bedeckte, die Hügel von Almada mit sich fort, die Brücke, die Christusstatue, die einsam über dem Nebel verlassen mit den Flügeln flatterte)

bis der Dampf sich auflöste, Lena ganz allmählich wieder mit zum Brotkorb ausgestreckten Fingern zurückkehrte

– Du hast deine Geschwister seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen

und da wurde mir plötzlich bewußt, wieviel Zeit seit unserer Ankunft aus Afrika vergangen war, seit den ersten Briefen meiner Mutter anfangs von der Fazenda und dann aus Marimba, vier Hütten auf einem Hügel mit Mangobäumen

(ich erinnere mich an das Haus des Ortsvorstehers, den Laden, an Kasernentrümmer, die im hohen Gras zu Bruch gingen)

die Briefumschläge, die ich in einer Schublade verwahrte, niemandem zeigte, nicht öffnete, nicht las, Dutzende und Aberdutzende dreckiger, von Stempeln und Briefmarken bedeckter Umschläge erzählten mir, was ich nicht hören wollte, die Fazenda, Angola, ihr Leben, der Briefträger gab sie mir auf dem Treppenabsatz, und raunend erstreckten sich Sonnenblumen weit über die Felder, Sonnenblumen, Baumwolle, Reis, Tabak, mich interessiert dies Angola voller Neger im Fort, im Gouverneurspalast und vor den Hütten auf der Insel nicht, wo sie sich in der Sonne aalen und sich für uns halten, ich schloß die Tür, den Brief zwischen zwei Fingern wie jemand, der ein Tier am Schwanz trägt

Briefe wie stinkende, tote Tiere

die Bucht von Luanda war, ihre Kokospalmen vergessend, wieder zu einer winzigen Diele geworden, die einen neuen Anstrich brauchte und mit einem Garderobenständer und einer Kommode dekoriert war, Lena füllte mir den Teller mit Dampf und löschte die Welt aus

– Du hast sie auf die Straße gesetzt und jetzt nach fünfzehn Jahren willst du deine Geschwister wieder zurückhaben

saß vor mir und benutzte ihre Hand als Fächer, um den Dampf zu vertreiben

– An deiner Stelle würde ich heute nacht keinen Besuch erwarten Carlos

sie ist dicker geworden, färbt sich das Haar, klagt über weiß ich was am Herz, läßt sich vom Arzt untersuchen und nimmt Medikamente, Lena, die sich zwischen mich und meine Familie stellt, die Tochter eines Angestellten der Cuca*, die mit einer Traube von Vettern und Cousinen hundert Meter vom Marçal-Viertel entfernt lebt, aus Scham habe ich niemals irgendeinem meiner Schulkameraden gesagt, daß ich mit ihr ging, wenn sie sich mir, ganz Gekicher, bei Schulschluß zufällig näherte

(dünn, mit Zöpfen, sie ging nicht zum Arzt und nahm auch keine Herzmedikamente)

flüsterte ich ihr wütend zu

– Hau ab

und wenn ich dann im Bus war, machte ich ihr, nachdem ich mich versichert hatte, daß selbst die Neger uns nicht beobachteten, ein Zeichen mit dem Zeigefinger, ein zusammengeschustertes Haus mit einer von Mücken fleckigen Laterne unter dem Vordach, moosigen Kletterpflanzen, der Vater, der in Unterhosen Zeitung las, Mulattennachbarn in Bretterwürfeln mit Toiletten unter freiem Himmel an einer Mauerecke, Lena, die mich mit offenem Haar im Café am Jackenaufschlag zog, die Stadt stand still, meine Kameraden höchst verwundert, das Bierglas in der Schwebe, und ich in der Hoffnung, daß sie mich nicht hörten

– Hau ab

tat so, als hätte ich ebensowenig Ahnung wie sie, als wäre ich genauso entgeistert wie sie, die über das Haus und die Nachbarn herzogen, deine Hefte auf den Boden warfen, lachend deinen Rock hochhoben, dir von fern zuschrien

– Musseque-Schlampe

du hobst weinend die Hefte auf, und dein Vater, der nicht ein Auto fuhr wie wir, kam auf einem alten Moped vorbei, bedrohte uns mit der Zeitung, harmlos, unsicher auf seinen knotigen Beinchen

– Meine Tochter ist mehr wert als ihr unverschämten Kerle

Lena, die mich im Café am Rockaufschlag zog

– Ich muß mit dir reden tut mir leid

morgen werden alle Leute in Luanda von uns beiden wissen, der Geschäftsführer mich mit einer ärgerlichen Geste hinauswerfen

– Mach daß du wegkommst

meine Kameraden werden sich die Nase zuhalten und das Gesicht abwenden

– Du riechst nach Sambizanga daß es nur so zum Himmel stinkt Carlos

Lena, die Egoistin, scherte sich nicht darum, daß sie ihr Gesicht abwenden könnten, schleppte mich an die Uferstraße zu den Arkaden, die Vögel schmückten und darauf warten, daß es dämmerte und die Fischkutter ausliefen, damit sie kreischend losfliegen und Dieselöl nippen konnten

– Du rufst mich nicht an du schenkst mir keine Beachtung

Lichter, die sich zwischen den Hütten und den Palmen der Insel bewegten, brennende Straßenlaternen, das Hotelschild, dem orangeund blaue Lettern fehlten, Leute und Autos, die wegen der Dunkelheit nicht auf mich achteten, meine Kameraden riefen ihre Freunde an Hör mal, die ganz große Neuigkeit, weißt du schon, halt dich gut fest, fall nicht in Ohnmacht, rat mal, mit wem Carlos geht, nein nicht der, der andere, der Schwachkopf aus Malanje, ich haßte Lena, die mir nicht einmal einen Sohn schenkt, in Ajuda den Tisch abdeckt, das Wachstuch mit einem Schwamm abwischt, die Gummihandschuhe zum Abwaschen anzieht

– Du hast sie auf die Straße gesetzt und jetzt willst du deine Geschwister wieder zurückhaben an deiner Stelle würde ich heute nacht keinen Besuch erwarten

sie hat keine Ruhe gegeben, bis ich sie geheiratet, aus dem Marçal-Viertel befreit habe, von den Verwandten, die im Ruß des Zimmers vor Malaria zitterten, schwarz gekleidet, als wären sie noch immer im Minho, man stolperte über Tonschüsseln und kleine Heiligenstatuen mit Öldochten zu ihren Füßen, sonntags jäteten die Onkel in ihren Mänteln schwitzend fünf Handbreit Garten in der Hoffnung auf Kohlköpfe

du gehst mit der Musseque-Schlampe Carlos gib es zu daß du mit der Musseque-Schlampe gehst sie ist überhaupt keine Musseque-Schlampe was hast du bloß immer ihre Wohnung ist noch im Bau

die dicke Lena mit dem gefärbten Haar hatte das Geschirr abgewaschen, es im Schrank gestapelt, die Handschuhe ausgezogen und ging nun ins Wohnzimmer, wo der Weihnachtsbaum noch ohne Topf und ohne den Stern aus Silberpapier und ohne Kugeln und Schneeflocken lag

– Du hast deine Geschwister seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen

ich blieb allein in der Küche sitzen, hörte dem Summen des Kühlschranks zu und schaute auf die Hügel von Almada, schaute aus dem Rückfenster des Jeeps auf die Fazenda, während wir uns durch die Schlaglöcher in der Schotterpiste entfernten, die die welk bis auf den Teerbelag herunterhängenden Sonnenblumen teilte, die Ladenkneipe, in der die Bailundo-Tagelöhner sonntags Zigaretten, Trockenfisch und lauwarmes Bier kauften, tauchte in einer Kurve auf und versteckte sich zusammen mit den verkohlten Hütten hinter den Bäumen auf dem Platz, auf dem ein Setter bellte, welke Sonnenblumen, welker Reis, welke Baumwolle, der Traktor ohne Räder im Straßengraben, dort wo die Schotterpiste auf den Teerbelag stieß, hüpfte eine Patrouille der Unita vor uns und befahl uns, mit Gewehren fuchtelnd, den Jeep anzuhalten, barfüßige Soldaten in zerfetzten Uniformen, die auf der Suche nach Geld und Eßbarem, nach irgend etwas, was sie stehlen konnten, im Gepäck herumwühlten, ein unerträglicher Gestank nach Maniok, dreckstarrende Fingernägel, die zwischen den Sitzen stocherten, zahnlose Münder

– Raus raus

meine Schwester, die ihnen, sich vor Angst windend, entschlüpfte, zu meiner Mutter

– Mutter

– Du hast sie auf die Straße gesetzt und jetzt willst du deine Geschwister wieder zurückhaben an deiner Stelle würde ich heute nacht keinen Besuch erwarten

ein Feldwebel mit Strohhut, der sich nicht um die Soldaten kümmerte, brutzelte, ohne uns zu beachten, eine Schlange auf einem Kanonenwischer, ein Windwirbel tanzte mit den Blättern im Innenhof des Klosters mit seinen zerborstenen Säulen und den Salamandern und Geckos auf dem, was von den Bögen übriggeblieben war, wohin mein Vater, langsam an seinen Stöcken gehend, die Milane beobachten kam, mein Vater im Bett, um das Kopfteil war der Rosenkranz geschlungen, blickte uns erschrocken wie ein Blinder an

– Gebt eurem Vater einen Kuß

riesige Nasenlöcher, der fleckige, wie saitenbespannte Hals beim mühevollen Versuch zu atmen

(man konnte die Angst der Rippen erkennen)

ich verhedderte mich in einem der Spazierstöcke, und der Spazierstock fiel mit dem größten Krach, den ich jemals gehört habe, zu Boden, mein Bruder, der wegen des Donners schrie und auf allen vieren unter die Möbel tauchte, klammerte sich, Kakaotropfen auf seinem Kittelchen, an den Stuhl

– Ich geb keinen Kuß

mein Vater mit einem Holzstaubkratzen im Hals, an jenem Tag aßen wir in der Anrichte und hörten dem Regen auf dem Dach zu, die Bediensteten machten belegte Brote, spießten Kroketten auf Zahnstocher, brachten Tabletts nach oben, im Garten Wagen von anderen Fazendas, meine Schwester zu meiner Mutter, während sie versuchte, den Soldaten mit den zerfetzten Uniformen zu entwischen

– Raus raus

– Mutter

die unsere Koffer öffneten, uns die Taschen ausrissen, mir die Goldkette abnahmen, der Feldwebel mit der Schlange drehte den Kanonenwischer und schaltete ein Kofferradio ein, als wäre ein Festtag und er mit seinen Kumpanen in der Kneipe, die Musik sprang aus einer Pfütze von Geknatter und machte uns taub, meine Mutter schob einen der Soldaten mit der Handtasche weg

– Schenk ihnen die Ohrringe damit sie uns in Frieden lassen Clarisse schenk ihnen was sie wollen

erst da sah ich einen Körper neben der Schlange liegen, einen von Schmeißfliegen übersäten Soldaten, dem die Hälfte des Kopfes fehlte, ich kniff Lena in den Ellenbogen, Lena ganz leise

– Halt den Mund

ein Soldat schlug ihr mit dem Gewehrkolben auf den Bauch

den Bauch, der niemals ein Kind bekommen hat weißt du schon halt dich gut fest fall nicht in Ohnmacht rat mal mit wem Carlos geht

zerriß ihre Kette, die Kugeln rollten überall hin, während der Feldwebel gerade begann, die Schlange mit dem Messer zu häuten, meine Schwester übergab die Ohrringe, die Spange im Haarknoten, den Ring, der von den Mörsereinschlägen aufgesprungene Teerbelag der Straße von Malanje zitterte in der Hitze und da plötzlich das Geräusch eines Flugzeugs, die Soldaten versteckten sich im hohen Gras, der Feldwebel schnitt die Schlange in Stücke und steckte sie in einen Sack, ging gemächlich davon, meine Mutter stieg zurück ans Steuer des Jeeps, gab Gas

– Schnell

während wir die Wäsche, die Hemden, die Strümpfe, die Hosen, Lenas Beutel für Schminke und Parfüms mit den zerquetschten Etuis und Flaschen in die offenen Koffer stopften, spähte meine Mutter das hohe Gras aus

– Schnell

Lena konnte wegen des Gewehrlaufs nicht laufen, Rui und ich trugen sie

– Du hast deine Geschwister doch seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen

– Schnell schnell

meine Schwester sammelte weiter Pullis, Sandalen, einen kleinen runden Spiegel, die Kugeln der Kette, die in der Sonne tanzten, das Geräusch des Flugzeugs wurde nach Norden hin leiser, jenseits des Busches in Richtung Pecagranja oder Chiquita

ich erinnerte mich an die Mangobäume und den Jinga, den der Polizeichef aufgehängt hat, ich erinnerte mich an die andern Neger, die schweigend warteten

eine Bombe, eine weitere Bombe, in der Ferne eine Kanone, die am Himmel erblühte, meine Mutter voller Angst, die von der Unita könnten zurückkommen und uns das gleiche passieren wie dem Soldaten mit den Schmeißfliegen

– Clarisse

der Jeep fuhr holpernd, Lena hielt sich den Magen mit den Armen, dünn, mit Zöpfen trat sie in Malanje aus der Kirche, die Orgel flötete weiter, die Cousinen warfen Blütenblätter auf die Stufen, der Herr Bischof lächelte, der Gehenkte streckte ein- oder zweimal die Beine aus und kreiselte dann am Stamm, der Polizeichef zeigte mit seiner Reitgerte auf ihn

– Trockenfisch wird im Laden der Patroa gekauft und nicht im Dorfladen

er befahl den schwarzen Soldaten, die Kisten mit dem Fisch des mestizischen Händlers zu zerstören, der keine Geste wagte, daß sie Benzin darübergossen und sie anzündeten, die Ballen mit Serge, die Tabakpäckchen, die Regale mit den Knöpfen, den Hosenträgern, den Gummibändern, den Ledergürteln und dem Holzspielzeug brannten, der Händler kam, den Sohn auf den Schultern, um meine Mutter um Verzeihung zu bitten, wollte schon niederknien

– Ich schwöre ich habe keine Ahnung gehabt daß sie für Sie gnädige Frau arbeiten ich verkaufe den Angestellten der Fazenda nichts ich verkaufe nur was an die Bevölkerung von Chiquita

log wie gedruckt, denn die ganze Bevölkerung von Chiquita arbeitete für uns, und er raubte uns die Prozente auf den Gewinn, tat ganz unterwürfig, versuchte uns mit dem Kind zu rühren, zeigte uns die Hütte, in der er lebte

– Ich bin arm

küßte meiner Mutter die Hand, küßte mir die Hand, ich bat den Gefreiten der Cipaios um den Prügelstock, während der Händler seinen Sohn beschützte, aus zerrissenem Mund jammerte

– Tun Sie mir nicht weh ich bin arm tun Sie mir nicht noch mehr weh

um ihm Gehorsam beizubringen, verteilten wir die Milchferkel und die Grieben des Ladens unter den Vorarbeitern, ein Göpelwerk aus lächelnden, glücklichen Geschöpfen, wie die Afrikaner es immer sind, wenn sie hier und dort aus dem Unglück der anderen Gewinn ziehen, sie plünderten den Mestizen aus, stießen in ihrer Gier, sich der Asche und des Mülls zu bemächtigen, gegen den Gehenkten, während die Frau des Mestizen sie schweigend betrachtete, eine Inderin in Pantoffeln, die in der Schulhütte Schüler ohne Tafel oder Bücher lehrte, Zahlen und schiefe Buchstaben auf Packpapier zu schreiben, die ersten Fledermäuse lösten sich drängelnd aus der noch unentschlossenen Nacht, der Polizeichef galant zu meiner Mutter

– Vielleicht hätten wir den Mestizen aufhängen sollen

der Händler entsetzt, mit wirrem Haar, der schlammigen Mähne eines alten Pferdes, die wartenden Kunden hatten sich bei der Aussicht mit Steinen versorgt, eine zweite Gratishinrichtung genießen zu können, die noch lustiger war als die alten Filme, die man ihnen am Dia de Camões an die Wand der Polizeistation projizierte, Reden des Marschalls Carmona, Aufmärsche von Feuerwehrleuten, die Kinder der Mocidade Portuguesa im Profil bei römischen Grüßen, Einweihungen von Staudämmen, alles voller Streifen, Geruckel, leeren Stellen, der Film fing alle paar Minuten an zu brennen, der Filmvorführer

– Scheiße

klebte ihn wieder, Tagelöhner mit grün-roten Fähnchen zögerten unsicher, was sie mit ihnen machen sollten, sie bekamen ein Glas Wein, eine Packung Kekse und ein Medaillon aus Fátima, ihnen wurde zugebrüllt

– Es lebe das Vaterland

sie antworteten ohne Begeisterung darauf, denn begeistert über irgend etwas habe ich sie nie gesehen, es sei denn über das Unglück und Uhren mit Metallarmband

– Es lebe das Vaterland

und dann wurden sie bis zum nächsten Tag in Ruhe gelassen, wedelten, mit vollem Bauch, stockbetrunken in der Senzala mit den Fähnchen, glücklich angesichts der Möglichkeit eines zweiten Tagelöhners am Ende eines Hakens, vor allem falls sie zur Familie gehörten und seinen Plunder erbten, den kaputten Topf, den Krug ohne Henkel, die elende Bastmatte, meine Mutter zum Polizeichef, kokett, aber mit wachem Sinn für Wirtschaftsplanung

– Wenn wir sie alle aufhängen wer glauben Sie macht dann die Arbeit?

und da der Polizeichef nicht die Absicht hatte, ab sechs Uhr morgens für fünfzehn Escudos am Tag Reis zu ernten und gezwungen zu sein, in der Ladenkneipe sein Geld auszugeben und am Ende des Monats Schulden zu haben, da der Fisch teuer war, dreimal soviel kostete, wie das ganze Dorf dafür zahlte, ersetzten die Cipaios das treffliche Vorhaben, einen Gehängten an einem Ast zappeln zu lassen, durch ein noch besseres, nämlich das der allgemeinen Verteilung von Stockhieben an die undankbare Bevölkerung, die diese Initiative seltsamerweise nicht freudig begrüßte, sondern die Flucht hinunter zu den Flößen am Fluß ergriff, die Hand auf dem Rücken oder den Hinterbacken, je nachdem wohin die Laune den Schlagstock treffen ließ, verfolgt von meinem Bruder und den kleinen Bleikugeln des Luftgewehrs, mit dem er seit Ostern Pecagranja terrorisierte, meine Mutter besorgt

– Ruft Rui der Arme fällt sonst noch hin und tut sich wegen dieser Trottel weh

Rui

– Wie kommst du nur auf deine Geschwister wo du sie doch seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hast?

der es liebte, bei der Ernte der Sonnenblumen mit den Kernen zu schießen, der Sanitäter mit der Brille, die mit Heftpflaster zusammengeklebt und deren eines Glas gesprungen war, brauchte Stunden, um sie mit Mercurochrom und einer Pinzette herauszuziehen, im gammeligen, Krankenstation genannten Zelt, rostige Spritzen, an einem Nagel der Gummischlauch des Klistiers und abgelaufene Chininampullen in Pappkartons, all dieser Fürsorge zum Trotz wurden die von der Hochebene von Huambo, die vom Verwalter für einen Sack Samen pro Bauer geliefert wurden, nicht müde, an Amöbiasis zu sterben, sobald sie auf den Viehwagen hier angekommen waren, sie taten so, als seien sie von der Reise erschöpft, um nicht zu arbeiten, fingen gleich mit Erbrechen und Fieber an, der Verwalter, der sich nicht davon abbringen ließ, daß sie absichtlich in Agonie verfielen, steckte, um ein Exempel zu statuieren, dem Häuptling einen Eiswürfel in den After, doch bereits am Mittwoch war der Häuptling

– Ein Mann mit eiserner Gesundheit gnädige Frau das ist der Widerspruchsgeist dieser Rindviecher

tot und begraben, und seine getreuen Untertanen beeilten sich, ihn nachzuahmen

– Steh auf und laß das Getue steh auf

sie hielten, von Klistieren und Chinin gestärkt, höchstens einen Monat durch, meine Mutter setzte sich mit dem Verwalter von Dala Samba ins Einvernehmen und heuerte dann Bundi-Bângalas an, die, obwohl sie verlogen und langsam waren, immer noch ein bißchen länger hielten, einige standen sogar die ganze Ernte durch, doch die konnten dann nicht knochenklappernd weggehen, da sie uns wegen der Ausgaben in der Ladenkneipe die nächsten zwanzig Ernten schuldeten, falls sie gratis säten und nichts aßen, die Cipaios verwahrten ein oder zwei ihrer Kinder im Gefängnis, um sicherzugehen, daß sie bei uns blieben, ein bißchen geschwächt natürlich, doch bereit zu arbeiten, samstags zeigten sie ihnen dann die Kleinen von fern durch die Gitterstäbe, wenn meine Mutter eine Bundi-Bângala wäre, würde sie vor Erleichterung einen Purzelbaum schlagen, daß sie nicht die Nachkommenschaft und den Mann am Bein hatte, falls sie den überhaupt nehmen würden, das Problem war, daß niemand uns wollte, wen hätte es denn schon nach einem halbtoten Invaliden und drei nichtsnutzigen Gören verlangt, genau wie sie

ich wette drauf

glücklich war, uns vor achtzehn Jahren unter dem Vorwand des Bürgerkrieges, den sie gegen die Weißen, die Kubaner, Südafrika führten, nach Lissabon einzuschiffen und nach Cassanje zurückzukehren, um über die Pflanzung zu bestimmen, ohne daß wir oder Lena sie störten

– Musseque-Schlampe

jetzt Briefe voller Marken und Stempel schickte, die so dreckig waren, als wären sie zu Fuß von Malanje nach Ajuda gekommen, die mir der Briefträger gab und die ich dann, ohne sie zu lesen, in der Schublade stapelte, zuerst die Briefumschläge von der Fazenda und dann aus Marimba, einem Dorf, das nicht einmal auf den Karten existiert, Mangobäume, eingestürzte Häuser, die Schlafsäle der Kasernen, die im Regen zerbröseln, meine Mutter, die sich, ich weißnicht wie, in irgendeinem Schweinestall zusammen mit einer oder zwei Dienstmädchen, die bei ihr geblieben sind, von Funje ernährte, mit der Köchin, die Maria da Boa Morte heißt

Maria da Boa Morte Maria da Boa Morte Maria da Boa Morte

weil die, die sie gemacht hatte, bei ihrer Geburt gestorben war, und die immer eine brennende Zigarette mit der Glut nach innen im Mund hatte, als ich klein war, liebte ich ihren Geruch nach gebratenem Fett, ihren Zigarettengeruch, den Geruch nach Kölnisch Wasser, mit dem sie sich begießen mußte, damit ihr Negergeruch überdeckt wurde, mit Maria da Boa Morte

Maria da Boa Morte

und vielleicht auch mit Josélia, die sich um meine Großmutter im Zimmer im ersten Stock oberhalb des Apfelbaums gekümmert hatte, der den Sprühregen abkonnte, die vom Klima gedörrten Apfelbäume, die sich, während ich größer wurde, Zweig für Zweig in duftenden Staub auflösten, als hätte es sie nie gegeben, keine Spur auf der Erde, keine Narbe, keine Furche, keine Falte, kein Zeichen, als hätte es auch mich nach so vielen Jahren nie gegeben

Josélia Maria da Boa Morte Josélia Josélia

als hätte es meine Geschwister nie gegeben, trotz der Winter, die wir in dieser Wohnung verbracht haben, in die sie, wie Lena behauptet, nie zurückkehren würden

– An deiner Stelle würde ich heute abend keinen Besuch erwarten Carlos

Clarisse habe ich ein Telegramm nach Estoril geschickt, ich habe telefonisch mit dem Direktor des Heimes von Rui gesprochen, habe ihm gesagt

– Um sechs Uhr

habe ihm gesagt

– Ich warte auf dich ich erwarte ihn um sechs Uhr

und deshalb werden sie jeden Augenblick klingeln, ich wette, wenn ich anfinge zu zählen, würden sie an die Tür klopfen, noch bevor ich bei hundert angekommen bin, ich höre draußen ein Taxi, den Bus an der Haltestelle der Avenida, Schritte auf der Treppe, und ich habe den Tannenbaum noch nicht geschmückt, ich muß die Tanne noch in den Blumentopf stellen und Kiesel dort hineinschütten, damit er gerade stehenbleibt, ich muß noch diesen Paillettenstern, den Watteschnee

Baumwolle Sonnenblumen Reis der Geschmack von Papayas

die Girlanden, die Kugeln anbringen, die Pralinen einwickeln, die ich für Clarisse gekauft habe, die Krawatte, die ich für Rui gekauft habe, den Sekt im Eiseimer, die kleinen Teller mit Nüssen und Pinienkernen, die Spitzendecke auf dem Tisch, der Königskuchen, der Stockfisch, ich wette, daß, wenn ich von hundert bis null zurückzähle, hundert neunundneunzig achtundneunzig siebenundneunzig sechsundneunzig, beide hier sind, noch bevor ich bei zehn angekommen bin, wenn ich bis null komme, und nichts passiert, dann liegt das daran, daß meine Schwester meinen Bruder abgeholt hat und im Verkehr steckengeblieben ist, es ist schwierig, eine Straßenbahn, noch viel schwieriger, ein Taxi zu bekommen, jetzt, wo ganz Lissabon Einkäufe macht, Shoppingcenter, Boutiquen, Supermärkte, meine Geschwister mit Geschenken für mich und für Lena, ein Buch, eine Platte, ein Nippesgegenstand, ein Bilderrahmen, und ich helfe ihnen aus dem Mantel, hänge die Mäntel an die Garderobe, spieße die Regenschirme in die große Keramikvase, lobe ihre Eleganz und bei ihm das Fehlen weißer Haare

– Erwarte heute abend keinen Besuch Carlos

Lena, die sich ein Weihnachten mit mir allein vorgestellt hatte

(noch einmal bis hundert zählen, von hundert bis null zählen, bis dreihundert zählen)

genau so eines wie die letzten fünfzehn Jahre seit ich sie wie sie felsenfest behauptet

aus Ajuda rausgeworfen habe, Lena, die überrascht aufsteht in ihrer Bluse, die zumindest besser ist als die Klamotten aus Sambila

– Sie ist keine Musseque-Schlampe Ehrenwort sie ist keine Musseque-Schlampe ihre Eltern besitzen ein Apartment daran wird noch gebaut Ehrenwort sie ist genauso wie wir

die sie sonst getragen hatte, Schmuck und Klimperkram aus Messing, ein Weihnachten allein mit mir, beide schauen wir uns gelangweilt, schweigend, die Messe im Fernsehen an, lesen Zeitschriften, lauschen dem Klingeln der Regenrinne und dem Wind in den Büschen, Lena bietet Stühle an, bietet meinen Platz auf dem Sofa an, der eine Kuhle so groß wie mein Körper hat

– Setzt euch setzt euch

die Hügel von Almada gegen den Himmel, erleuchtete Schiffe, die Scheinwerfer der Werft, Lena allein im Wohnzimmer, ich allein auf der Schwelle, die Sektflasche im Eiseimer, die kleinen Teller mit Nüssen und Pinienkernen, die Spitzendecke, der Königskuchen, die Lichterkette, die an der Tanne blinkt, ich zähle bis hundert, bis fünfhundert, bis tausend, bin sicher, daß sie kommen werden, weil ich ein Telegramm nach Estoril geschickt habe, mit dem Heimleiter am Telefon gesprochen habe, bin sicher, daß sie dem Klingeln der Regenrinne und dem Wind in den Büschen im Stadtteil lauschen werden, zähle tausendmal von eins bis hundert bis zum Morgengrauen vor der unberührten Schüssel mit Stockfisch.

* Am Ende des Buches befindet sich ein alphabetisches Glossar, in dem Begriffe und Gegebenheiten aus Angola erläutert werden.

24. JULI 1978

In mir ist etwas Schreckliches. Manchmal weckt mich das Raunen der Sonnenblumen, und ich fühle, wie mein Leib im Dunkeln des Zimmers anwächst mit dem, was kein Kind ist, keine Schwellung ist, kein Tumor ist, keine Krankheit ist, es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde, und dann höre ich auf zu atmen, klammere mich an das Kopfteil des Bettes, und die tausend Stengel des Schweigens schwimmen schwebend in den Spiegeln, warten auf die beängstigende Helligkeit des Morgens. In solchen Augenblicken glaube ich, ich bin tot, von Hütten und Baumwolle umzingelt, meine Mutter ist gestorben, mein Mann ist gestorben, ihre Plätze am Tisch gibt es nicht mehr, und was ich jetzt bewohne, sind leere Zimmer über leere Zimmer, deren Lampen ich in der Dämmerung anzünde, um die Abwesenheit zu betrügen. Als Kind, bevor wir nach Angola zurückkehrten, habe ich miterlebt, wie der Dorftrottel in Nisa gelyncht wurde. Die Jungen hatten Angst vor ihm, die Hunde ergriffen die Flucht, wenn er auftauchte, er stahl Mandarinen, Eier, Mehl, baute sich vor dem Hauptaltar auf und beschimpfte die Heilige Jungfrau, eines Tages schlitzte er ein Kalb vom Hals bis zu den Lenden auf, das Tier kam über seine Därme stolpernd auf den Platz, die Bauern des Erbgutes packten den Verrückten

ich am Ende der Sprechstunde, während Rui sich mit Hilfe der Krankenschwester anzog

– Was hat der Junge Herr Doktor?

– Ein erblich bedingtes Problem im Gehirn gnädige Frau ungeordnete elektrische Ströme sein Verhalten kann sich verändern

sie schubsten ihn auf den Dreschplatz, begannen ihn mit Hakken und Stöcken zu schlagen, ohne daß er sich wehrte oder gar protestierte, ein Landstreicher, der lächelte, und bei jedem Schlag wurde sein Lächeln breiter, ich erinnere mich an einen buckligen Olivenbaum, die Sonne, Männer, die die Sicheln heben und senken, der Verrückte lächelte immer weiter, zog den Kamm aus der Hosentasche und kämmte sein Haar, im Augenblick darauf zermalmte ihm ein Stein die Brust, und seine Haarsträhnen sahen wie das Nest aus, das die Störche hoch oben auf dem Wasserspeicher bauen

– Er wird beispielsweise aggressiv wird aufsässig geben Sie ihm diese Tabletten zum Mittag- und Abendessen und im Mai werden wir ihn wieder untersuchen

Zweige und Blätter und Schlamm und Stoffetzen, als die Bauern sich zurückzogen, blieb ich ziemlich lange allein mit dem Mann, bevor die Polizei kam, ich und die wilden Tauben, die um den Damm flatterten, da niemand mich beobachtete, nahm ich den Kamm des Verrückten, einen zerbrochenen Kamm, dem Zähne fehlten, versteckte ihn in meiner Schublade hinter den Bleistiften und den Schulheften, verwahrte ihn jahrelang in einer zerbeulten, zerkratzten Keksdose, ohne Farbe auf dem Deckel, und wenn ich ihn berührte, sah ich die Häuser von Nisa und das Kalb, das über seine Därme stolpernd auf den Platz kam, die anderen werden nie was auch immer begreifen

– Ist das ein Kamm Islida?

– Ist es nicht

– Ich wette es ist ein Stück Kamm zeig mal

– Ich zeige nichts es ist nichts laß mich

und ich glaube ich bemerkte damals, daß es etwas Schreckliches in mir gab. Ich wachte nachts vom Raunen der Sonnenblumen auf

– Die Sonnenblumen wecken dich aber wenn die Kleinen weinen wachst du nicht auf

mein Leib wuchs im Dunkel des Zimmers an mit dem was kein Kind ist, keine Schwellung ist, kein Tumor ist, keine Krankheit ist, es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde, mein Gesicht lächelte das Lächeln des Mannes, der bäuchlings auf dem Dreschplatz lag und den betreffend der Hauptmann der Polizei, indem er ihn mit dem Stiefel prüfte, meinem Onkel riet

– Verscharren Sie ihn im Straßengraben wo die streunenden Hunde begraben werden da düngt er das Röhricht und die Sache ist erledigt

ließ es zu, daß Carlos

(nein, nicht Carlos)

sich in mir bildete, um den Schrei zu ersticken, die Schwangerschaft bedeutete, daß mein Körper zu einem Sarg wurde, in dem eine Leiche wuchs

– Kämmst du das Baby mit diesem gräßlichen Kamm Isilda?

– Tu ich nicht laß mich in Ruhe geh weg

und dann Clarisse und dann Rui, und ich blutete wie ein ausgeweidetes Kalb, stolperte jedesmal, wenn sie geboren wurden, über meine Därme, fiel in erschöpfter Agonie, vom Hals bis zu den Lenden zerfetzt, aus mir selbst heraus ohne Protest, ohne Klage, ohne ein Wort des Hasses, bäuchlings auf den Bettlaken

– Drehen Sie sich auf den Rücken Dona Isilda drehen Sie sich sofort auf den Rücken was soll denn das?

in der Handfläche den Kamm, herausfordernd die anlächelnd, die mich töteten, weil es irgend etwas Schreckliches in mir gibt, das ihr nicht kennt, doch das die Tiere und die Neger bemerken, das die Dienstmädchen bemerken, wenn sie mich ängstlich anstarren, sobald ich in die Küche komme, um die Mahlzeiten festzulegen, als würde ich vor ihnen verenden, irgend etwas Schreckliches, das sich in Rui fortsetzt

– Ein erblich bedingtes Problem gnädige Frau eine Komplikation die an die Kinder weitergegeben wird man kann nie voraussehen wie sie sich verhalten werden

und das Carlos und Clarisse nicht haben, da sich weder die Tiere noch die Afrikaner vor ihnen erschrecken, sie schmiegen sich an ihre Beine, scheuern sich daran, beschnüffeln sie, lachen, eine Art still zu sein, innezuhalten, zu schauen, ein Ausdruck, ein Geruch, das Haus ist ohne die Kinder anders geworden, nicht größer, anders, es heißt immer, wenn sich die Kinder verabschieden, werden die Häuser größer und traurig, das ist nicht wahr, als ich aus Luanda zur Fazenda zurückkehrte, gleich nachdem das Schiff in einem riesigen Durcheinander verschwunden war, voller Gepäck und Leuten, einmal abgesehen von den Kühlschränken und Herden und Autos, die auf dem Kai zurückblieben und die die Kubaner und die Bewohner der Musseques, bereit, für einen elektrischen Kochtopf oder eine kaputte Geschirrspülmaschine zu sterben, mit Schüssen untereinander aufteilten und konzentriert wie Ameisen durch die ganze Stadt schleppten, als ich von Luanda zur Fazenda zurückkehrte, hatte sich das Haus verändert, ich kannte die Gegenstände, und sie kamen mir fremd vor, ich kannte die Stühle und setzte mich nicht darauf, die Fotos in den Rahmen zeigten mir Unbekannte, deren Gewohnheiten und Namen ich kannte, die Köchin, das einzige Wesen auf der Welt, das Carlos mochte, mich mochte er nicht, die Geschwister mochte er nicht, seine Frau mochte er nicht, sie mochte er, oben auf dem Schiff hockend, bat er mich, sie gut zu behandeln, die Maria da Boa Morte mit der Zigarettenglut im Mund, der ich Benimm beigebracht habe wie einem Tier und die ich aus Mitleid zwischen Krügen und Kohlköpfen behalten hatte, und mein Sohn, erklär mir einer, warum, wich keinen Zentimeter von ihrer Seite, trank, was ihre Hand ihm reichte, aß, was ihre Hand ihm reichte, verlangte sie an seiner Seite, um einschlafen zu können, nicht mich, nie hat er nach mir verlangt oder seinem Vater, er wollte Maria da Boa Morte, kaum daß er aus dem Gymnasium in Ferien kam, verschwand er in der Pantry, um mit ihr zu reden, als ich von Luanda zur Fazenda zurückkehrte, hatte sich das Haus verändert, ich kannte die Gegenstände und sie kamen mir fremd vor, ich kannte die Stühle und setzte mich nicht auf sie, die Vergangenheit der Fotos gehörte mir nicht mehr, wer zum Teufel ist dieser da, wer zum Teufel ist der da, die Dame, die bei meinem Mann eingehakt ist, trägt einen Hut, der mir gehört hat

– Wie gut dir dieser Hut steht Isilda

sie sieht mir ähnlich, als ich jung war, der Mund, die Nase, die Linie der Taille, ein breitkrempiger Hut, der, von Motten zerfranst, auf dem Dachboden zerfällt, ein Gazeskelett, das, würde ich es jetzt aufsetzen, dazu führen würde, daß sie mich zum Spatzenverscheuchen in den Garten stellten, eine Vogelscheuche aus Kattun, die inmitten der Gardenien ihre Arme zu den Vögeln hin ausbreitet

–Wie gut dir dieser Hut steht Isilda

ich habe ihn aus Portugal kommen lassen, ihn beim Abendessen der Gouverneure mit Saphirohrringen getragen, war damit bei der Taufe von Rui ein voller Erfolg, habe ihn nach Europa mitgenommen, Paris mit ihm besucht, bin mit ihm in Barcelona am Meer spazierengegangen, wenn ich mich bitter fühlte, lief ich ihn schnell holen, schloß die Tür zu, setzte ihn im Schlafzimmer auf, sogar ohne Lippenstift, ohne Lidschatten, und bekam Lust zu singen, damals, als meine Mutter krank wurde, verging kaum eine Woche, daß ich nicht die Wildlederschuhe anzog, heimlich auf den Dachboden stieg, ihn in der Truhe suchte, ihn meiner Mutter zeigte, und meine Mutter

– Wie schön

nicht um mir einen Gefallen zu tun, ganz ehrlich

– Wie schön

indem sie das Handgelenk vom Kissen hob und ihn mit den Fingerspitzen leicht berührte

– Wie schön

sollte ich eines Tages nach Lissabon fahren, um meine Kinder zu besuchen, lasse ich ihn bei der Flickschneiderin in Malanje aufarbeiten, stopfe den Hut, bringe die Krempe in Ordnung, kleine, kaum sichtbare Stiche in den Gazelöchern, nehme den Sonnenschirm, den ich in Rom gekauft habe, von der Garderobe und erwarte auf dem Bahnsteig ihre Bewunderung, ich, dreißig Jahre alt, ohne Falten an den Wangen, Clarisse und Rui auf meinem Schoß, Carlos, der hinter die Köchin flieht

– Lassen Sie mich los

die Zigarettenglut im Mund hat, ißt mit ihr in der Ladenkneipe Trockenfisch, mag seine Geschwister nicht, mag seine Frau nicht, mag den Gestank der Armut und des Palmöls, die Hühner, die in den Hütten mit dem Hals rucken, und als ich von Luanda zurück zur Fazenda kam, hatte sich die Köchin auch verändert, die in Pantoffeln über die Fliesen schlurfte, zum erstenmal hatte sie keine Angst vor mir, an die geborstene Mittagessenglocke gehängt, rief sie die Leute zusammen, Maria da Boa Morte Josélia Damião Fernando, bedienten bei Tisch in weißer Jacke mit goldenen Knöpfen, ich habe sie dem Bischof für den Empfang für den Nuntius ausgeliehen, gelbe Sonnendächer, der Kirchenchor, die Gäste schwitzend im festlichen Flanell, und der Nuntius überrascht von der Effizienz der Bediensteten

– Die werden Ihnen sicher viel Arbeit gemacht haben

Fernando, der das Kraushaar mit Fixativ geglättet hatte, ließ sich einen Schneidezahn ziehen und durch einen Zahn aus Silber ersetzen, so daß die Worte blitzten, wenn er sprach, die Lippe hochzog, beglückt den riesigen Türknauf zeigte, den sie ihm ins Zahnfleisch gehämmert hatten, als ich von Luanda auf die Fazenda zurückkehrte, kaum daß das Schiff verschwunden war in einem ungeheuren Durcheinander von Gepäck und Leuten, von eilig vor gierigen Kubanern und den Soldaten gerettetem Plunder, Maschinengewehrsalven an den Ecken, Trupps von zerlumpten Soldaten mit Macheten, die sich gegenseitig den Kopf abschlugen, blonde Belgier in Kampfanzügen, die Mörser auf den Veranden festschraubten, nackte oder nur mit einem Schuh bekleidete Leichen, die der Regen in den Straßengräben zum Meer spülte, die Prostituierten der Insel ohne Freier, schüttelten die Brüste in den Kokospalmen, ein bärtiger Mestize, der mir den Reservetank und das Reserverad ausbaute

– Genossin

auf den Plätzen Weiße, die, von Betten und Tischen umringt, auf Hockern saßen und, die Ellenbogen in Lumpen gewickelt, die Köpfe in Lumpen gewickelt, auf niemanden warteten, die Asche eines Mofas, das angezündet worden war, ein Sitz der FLNA in Flammen, der Stadtteil Cuca von Kanonenschüssen zerstückelt, Berge von Leichen vor dem Leichenschauhaus, der bärtige Mestize schraubte die Scheinwerfer ab, zog die Scheibenwischer ab, riß mit einer Schere das Segeltuchverdeck ab, ein paar Mädchen waren neidisch auf meinen Ring

– Genossin

der ein Familienstück war und den mein Vater mir vor meiner Heirat geschenkt hatte, ein Ring ohne Steine, der ihnen vielleicht wertvoll vorkam, aber keinen Heller wert war, eines der Mädchen drückte mir den Finger

– Schnell schnell ich habe nicht den ganzen Nachmittag Zeit

mein Vater mit jenem Ausdruck, der kein Lächeln war, aber wie ein Lächeln aussah

– Siehst du wie gut er dir steht Isilda

er rasierte sich und zog Anzug und Krawatte an, um das Abendessen in der Fazenda unter den Hunderten von Lampen des Lüsters einzunehmen, die sich im Besteck und den Tellern widerspiegelten, meine Mutter todschick, ich mit einer Schleife um die Taille, und draußen gab es anstelle einer Stadt wie London zum Beispiel das Knistern der Baumwolle, der Geruch der Erde drang durch die offenen Fenster, in deren Gardinen der Wind zuckte, Damião trat majestätisch wie einer der Heiligen Drei Könige mit der Suppe heran, dekolletierte Damen mit scharlachroten Fingernägeln, scharlachroten Lippen, Augenbrauen, die von einer Bleistiftkurve ersetzt waren und ihre Gesichter zu einer erschreckten Fratze ordneten, legten mir ein Kissen auf den Sitz, damit ich größer wurde, und die Augenbrauen zu mir mit Seidenpapierstimmchen

– Mein Gott wie groß sie geworden ist

Herren in Smoking rauchten Zigarren, die Lichter wurden zum Nachtisch gelöscht, Rascheln von Leinen, Rascheln von Armreifen, Glasperlentäschchen, Absätze, die kristalleilig auf den Boden pickten, übergeschlagene Beine auf den Sofas, ein Bridgetisch, mein Vater, der mit jenem Ausdruck, der kein Lächeln war, aber wie ein Lächeln aussah, Cognac und Likör verteilte, Küsse, die mich mit Düften verstörten, Wagen, die einer nach dem anderen davonfuhren und die Sonnenblumen, die Baumwolle, die Bäume in der Ferne und die Hütten anknipsten, die Schultern der Damen auf der Treppe, von durchsichtigen Umschlagtüchern bedeckt, als wäre es in der Hitze kalt, meine Mutter zu meinem Vater zwischen den Zähnen

– Du hast keinen Blick von der Französin gewandt Eduardo

eine Frau mit einem rhombenförmigen künstlichen Muttermal, die, wenn sie sich vorbeugte, meinen Paten dazu brachte, sich zu verschlucken, die Uhren verstellte und das Bridgespiel unterbrach, ich erinnere mich an sie zu Pferde jenseits der Kirche, an meinen Vater, wie er ihr den Steigbügel hielt

– Denise

mein Vater, der begann glatzköpfig zu werden, mit zittrigem Händchen

– Denise

meine Mutter zog die Schuhe aus und massierte sich die Füße

– Diese Sandalen bringen mich um

löste ihre Frisur auf, lag ausgestreckt auf dem Sessel inmitten von Gläsern, überquellenden Aschenbechern, einer Herzsechs auf dem Teppich, Damião stellte die Flaschen im Gläserschrank in Reih und Glied und räumte den Salon auf

– Glaub ja nicht daß ich blöd bin was ist zwischen dir und der Französin Eduardo?

der Daumen stieg den Stiefel hinauf zur Hose, von der Hose zum Gürtel, verschwand im Spalt zwischen den Blusenknöpfen, kam wieder zurück, verschwand, während die Sonnenblumen vorm drohenden Regen erschauderten, die Tagelöhner kamen auf einem Pfad im hohen Gras heran, die Französin, die den Rhombus nicht trug und mir jetzt am Tag ohne Make-up weniger elegant vorkam, älter mit weißen Haaren und Verzweiflung in den Augen, blies einen Kuß, flüsterte etwas und trabte unter Hufeisenraspeln auf den Fliesen der Kapelle davon, auf denen die Namen der Verstorbenen halb auf portugiesisch, halb auf Latein so abgewetzt standen, daß man sie kaum entziffern konnte, der Himmel vollkommen undurchsichtig und da, der erste Blitz, der erste Gummiregentropfen, der Kopf des Pferdes und der Kopf der Frau auf und ab im Reisfeld, die brennenden Lüster, die Kerzen auf den Kommoden angezündet, Damião entfernt einen Kaffeefleck auf dem Läufer, mein Vater verriegelt die Fenster, an deren Scheiben der Wind prasselt und die Vorhänge auseinanderzieht, er meidet meine Mutter, die ihn, deren Aufmerksamkeit zwischen ihm und der schmerzenden Ferse geteilt ist, in den Spiegeln sucht

– Wozu das ganze Theater sei doch kein Kind gib dir keine Mühe du bist ein äußerst schlechter Lügner

die Französin, die nach einem Streit zwischen meinem Vater und ihrem Mann, der dazu führte, daß uns monatelang niemand besuchte und die Augenbrauen hob, die zu mir erschrocken meinten

– So groß geworden

ihren Besitz an einen Inder aus Moçambique verkaufte und mit ihrer Familie in den Kongo zog, das Pferd, das rhombenförmige Muttermal habe ich nie wieder gesehen, die Männer haben nie mehr ihr Bridgespiel unterbrochen, meine Mutter ging im Gästezimmer ins Exil und benutzte mich, um mit meinem Vater zu sprechen

– Bitte deinen Vater um Salz Isilda

– Frag deinen Vater ob er noch etwas Fisch zu nehmen gedenkt Isilda

– Sag deinem Vater daß die Tochter des Häuptlings gestorben ist und etwas Geld für die blöde Trommelei gespendet werden muß ich werde nach Luanda fahren denn ich habe nicht den Nerv diese Art Feste zu ertragen

mein Vater reichte ihr demütig das Salz, versicherte ihr, daß er keinen Fisch mehr wolle, versprach, daß er dem Häuptling Geld geben würde, schlich wie ein Gespenst um das Gästezimmer, wagte nicht, sie zu rufen, hustete so laut er konnte, damit ihn meine Mutter hörte, und nichts, keine Helligkeit unter der Tür, kein Atmen, kein Geräusch, Brunnenstille, das Bett in aller Frühe gemacht, das Handtuch zum Trocknen auf dem Fensterbrett, Toastkrümel vom Frühstück, der versilberte Deckel der Butterdose umgedreht, Zukkerpaste in der Tasse, meine Mutter den ganzen Tag auf dem Landgut einer Freundin oder in Malanje oder im Nonnenkloster, meine kranke Mutter, die mit der Fingerspitze den Hut berührt

– Wie schön

und als ich aus Luanda zur Fazenda zurückkehrte, kaum daß das Schiff in einem riesigen Durcheinander voller Gepäck und Leute verschwunden war, ein unbeholfenes, dickes Schiff, das dazu gemacht war, auf Schienen zu fahren und auf dem Wasser zu humpeln schien, als ich aus Luanda zurückkam, ohne Ring, ohne Reservekanister, ohne Reservereifen, ständig gegen Kleinlaster stieß, die die Beine in die Luft reckten, gegen zerstörte Strohhütten, quer über der Straße liegende tote Soldaten, Soldaten aus Katanga, aus Zaire, aus Südafrika, als ich zur Fazenda zurückkehrte, noch bevor ich die Dienstboten zurechtgewiesen und meinen Kindern geschrieben hatte, daß ich gut angekommen bin, es geht mir gut, es wird mir weiter gutgehen,

legten sie mir ein Kissen auf den Sitz, damit ich größer war, so groß wie sie und die Augenbrauen mit Seidenpapierstimmchen zu mir

– Wie groß du geworden bist

es gibt hier keine Probleme, die Leute, die die Maschinen bedienen, sind noch alle da, niemand ist gegangen, ganz im Gegenteil, tagtäglich kommen elende Gestalten

(genau wie die Neger elende Gestalten sind, doch zu ihrem eigenen Glück ihr Elend nicht merken)

und flehen um Arbeit, manchmal fehlt ihnen ein Arm, haben sie keine Beine, meinen Kindern geschrieben, daß ich bei der Nachfrage ohne weiteres die Gehälter senken kann, bis es überhaupt keine Gehälter mehr gibt, weil sie ohne Geld hierbleiben, weil sie nichts mehr haben, wohin sie können, meinen Kindern gesagt, daß es mir gutgeht, daß es mir weiter gutgehen wird, macht euch keine Sorgen, wir haben am Dienstag mit der Aussaat begonnen, bei der Ernte wird es dieses Jahr Verzögerungen geben, wenn wir nicht an Portugal verkaufen, verkaufen wir an Japan, ein Schiff zu chartern ist noch das kleinste Problem, und was den Transport betrifft, muß ich mich nur mit den Russen oder den Erdöl-Amerikanern ins Benehmen setzen, die in Cabinda das Meer durchpflügen

mit dem Kissen auf dem Sitz war ich größer als sie, gegebenenfalls werde ich Maria da Boa Morte darum bitten, mir jetzt ein Kissen unterzulegen, und ich setze mich dann auf den Gipfel der Welt, während sich das Universum dort unten winzig klein bewegt

meinen Kindern geschrieben, sie beruhigt hatte, weil man uns trotz des Krieges keine einzige Maispflanze, keine Ziege, kein Huhn gestohlen hatte, alles wie gewohnt normal, vollkommene Ruhe, sie beruhigt hatte, da es in Baixa do Cassanje keinen Grund zur Beunruhigung gab, Carlos öffnet die Briefe, liest sie den Geschwistern vor, es ist leicht, sich vorzustellen, wie er, aus Angst vor den Nachrichten, den Umschlag aufzureißen zögert, wie der Daumen am Rand der Klebe zittert, erst die Furcht und dann die Erleichterung, hinter den Schornsteinen sieht man die Brücke, den Christus, die Werft und die Hügel von Almada, ich habe die Wohnung gekauft, als mein Mann noch lebte, und mein Mann, der Arme, der die Hauptstadt haßte

– Wenn ich sterbe beerdigt mich in Dondo

mein Mann, als er den Vertrag unterzeichnete

– Wozu denn wenn wir Afrika nicht verlassen?

er beklagte sich darüber, daß ihm kalt sei, daß der andere Sternenhimmel ihn störte, ihm Luft fehle, er in Europa ersticke

– Ich ersticke in Europa

er verwechselte ständig die Straßen, seufzte sehnsüchtig nach dem Geruch von Maniok, dem Geruch der Erde, seinem Kopfkissen

– Ich kann mit diesem Kopfkissen nicht schlafen

und so brachten wir ihn dorthin, während der Nebel Spinnenweben über die Gesichter streifen ließ, die Gräber und Kreuze des Friedhofs von Dondo im Dunst unscharf waren, Damião in weißer Jacke mit Goldknöpfen lehnte Chrysanthemen an einen über ein offenes Buch gebeugten Engel, und jetzt nehmen ihm womöglich die Chrysanthemen die Luft, auf der anderen Seite der Mauer bemitleidete uns ein unsichtbarer Vogel, Clarisse nahm wortlos die Spazierstöcke und verschwand im Feld, beim Abendessen hatte sie sie nicht mehr, und ich dachte, wie langsam das Wasser des Dondo doch fließt, meine Herrschaften, dachte, daß ich weder die Langsamkeit des Dondo noch die Langsamkeit der Nächte in Afrika je beachtet hatte, das Raunen der Sonnenblumen weckte mich, und ich spürte, wie mein Leib im Dunkel des Zimmers mit etwas anschwoll, was kein Kind ist, keine Schwellung ist, kein Tumor ist, keine Krankheit ist, es ist eine Art Schrei des Körpers wie das Heulen der Hunde, ich klammerte mich an das Kopfteil des Bettes, bis der Wind aufgab

es ist etwas Schreckliches in mir

die Sonnenblumen schwiegen und die tausend Stengel des Schweigens begannen in Erwartung der beängstigenden Helligkeit des Morgens wieder im Inneren der Spiegel zu wogen, das Kalb kam auf den Platz, einen Fuß hier, einen da, und ich redete laut, bemerkte kaum, daß ich laut redete

etwas Schreckliches in mir irgend etwas

– Ich bin tot

die Augen des Kalbes nur weiß, ohne Iris und Pupille, zwei weiße Kugeln ohne Lider, der Bauch vom Hals bis zu den Lenden aufgerissen, Damião beugte sich tiefernst in seinem Kittel, den er immer trug, wenn wir Gäste hatten, und der aus einem Nachthemd gemacht war und ihm die Würde eines Umhangs gab, zu meinem Mann herunter, legte eine Münze in jede Augenhöhle, zündete die Kerzen im Schlafzimmer an, und die unvermittelt riesigen Schatten begannen an der Decke zu zittern, teilten sich und vereinigten sich, als das mit meinem Vater war, haben wir ihn in Malanje beerdigt, und Monate darauf erfuhr ich, daß die Französin sich im Kongo das Leben genommen hatte, eine Ausländerin mit scharlachroten Lippen, die die Dienstboten aus dem Zimmer scheuchte, den Revolver aus der Schublade nahm, ihn ans Ohr setzte, wie erschrocken ihre Augenbrauen dann wohl waren, eine mit dem Zirkel gezeichnete Bleistiftkurve anstelle der Härchen, Carlos unbewegt, ohne eine Träne, Rui

– Ein erblich bedingtes Problem im Gehirn gnädige Frau ungeordnete elektrische Ströme Epilepsie

was für ein Wort Epilepsie Epilepsie Epilepsie

sein Verhalten kann sich verändern

ohne Achtung vor den Gästen und mir gegenüber begann er zu lachen, saß er auf dem Bett des toten Vaters und lachte, als ich aus Luanda zur Fazenda zurückkehrte, noch bevor ich meinen Kindern schrieb, um sie zu beruhigen, ich erwartete keine Antwort, ich erwartete keinen Anruf, zudem hatte die Unita die Telefonmasten geknickt und die Drähte zerrissen, immer wieder klingelt das Telefon, ich nehme den Hörer ab, und es gibt kein Geräusch oder Wortfetzen, unbestimmtes Atmen, Pfeifen und Knistern, das auftaucht und wieder verstummt, hat das Telefon nun geklingelt oder nicht, seit Wochen schon klingelt es nicht, ich drücke auf die Gabel, schüttele es, ziehe es aus der Dose, versuche es vergebens an der Dose im anderen Zimmer, schließlich haben sie Rui weggeführt, und ich hörte ihn im Garten laut lachen, vergnügt, während er mit dem Luftgewehr auf die Wäscherinnen schoß, die Bauern packten den Verrückten von Nisa, packten Rui, schleppten ihn auf den Dreschplatz, begannen ihn mit Hacken und Stöcken zu schlagen, ohne daß der Sohn protestiert hätte, ich erinnere mich an einen buckligen Olivenbaum, die Sonne, Männer, die Sicheln hoben und senkten, Rui zog den Kamm aus der Tasche, um sein Haar zu kämmen, und im Augenblick darauf zerschmetterte ihm ein Stein die Brust, als sich die Bauern entfernten, blieb ich lange bei ihm, bis die Polizei kam, ich und die wilden Tauben, die um das leere Bekken flogen, da niemand mich ausspähte, nahm ich den zerbrochenen Kamm, dem Zähne fehlten

– Das ist doch ein Stück Kamm zeig her

– Ich zeige gar nichts das ist nichts laß mich

den ich in einer zerbeulten, zerkratzten Keksdose verwahrte, deren Deckel keine Farbe mehr hatte, ich mit Rui auf dem Schoß, hielt ihn fest, umarmte ihn

– Du kämmst das Baby mit diesem gräßlichen Kamm Isilda

– Tu ich nicht laß mich in Frieden geh weg

Rui war nicht wie die anderen, er sprach nicht wie die anderen, erstarrte während der Mahlzeiten mit hängender Gabel, als wäre er weit fortgegangen, Carlos und Clarisse schauten sich an, mein Mann zuckte mit den Schultern, ich besorgt

– Rui

– Diese Tabletten zu den Mahlzeiten und wir untersuchen ihn im Mai noch einmal

Rui mit seinen Geschwistern in Ajuda, der weiß, daß Carlos ihn haßt, so wie er alle Leute haßt außer Maria da Boa Morte mit der Zigarettenglut im Mund, Lena ist eine Musseque-Schlampe, die Tochter einer armen Schluckerin aus Cuca, und Clarisse interessiert sich bei dem Charakter, den ihr Gott gegeben hat, nicht für ihn, sie interessiert sich für Bars, Boutiquenbesuche und Idioten, die ihre Launen bezahlen, Rui ohne mich, die auf ihn achtet, ihn zum Arzt bringt, verläuft sich in Ajuda, in Alcântara, sitzt in Santo Amaro mitten zwischen den Rentnern, auf den Knien das Luftgewehr, winkt er dem Tejo zu

– Die Sonnenblumen wecken dich aber wenn die Kleinen weinen wachst du nicht auf

hat Haarsträhnen wie Nester aus Zweigen und Blättern und Schlamm und Stoffetzen, die die Störche auf dem Wasserspeicher aufhäuften, als ich von Luanda zur Fazenda zurückkam, vom Durst gequält, mit von der Federung des Jeeps schmerzender Wirbelsäule, mit Staubgeschmack im Mund, mit ölbeschmierten Händen, zurück in der Fazenda, noch bevor ich meinen Kindern geschrieben hatte, um ihnen mitzuteilen, daß ich gut angekommen war, mir geht es gut, mir wird es weiter gutgehen, es wird mit der Ernte dieses Jahr keinen Ärger geben, wenn wir nicht an Portugal verkaufen, verkaufen wir an Thailand, ich setze mich mit den Russen oder den Öl-Amerikanern ins Benehmen, die das Meer in Cabinda durchpflügen, als ich aus Luanda zurückkam, ohne Damiãos Verbeugungen zu erwidern, der in einem grauen Kittel Geschirr abstaubte, der ihn pompös wie einen Domherrn aussehen ließ, stieg ich auf den Dachboden, suchte in der Truhe nach dem mottenzerfressenen Hut, das Gazeskelett, das ich mitgenommen habe, als wir nach Europa gefahren sind, Paris habe ich mit ihm besichtigt, in Barcelona habe ich ihn spazierengeführt, ich schloß die Tür meines Schlafzimmers ab, sah mich im Spiegel an, sogar ohne Lippenstift, ohne Schatten auf den Lidern, morgen werde ich ihn bei der Flickschneiderin in Malanje aufarbeiten lassen, stopfe ich den Hut, bringe die Krempe in Ordnung, ein paar kleine, kaum sichtbare Stiche in den Löchern des Schleiers, ich warte auf den bärtigen Mestizen aus Uxima, der den Arm heben und mir vom Hals bis zu den Lenden den Bauch öffnen wird

macht euch keine Sorgen am Dienstag beginnen wir mit der Aussaat

und dann gehe ich in die Küche, ein Fuß hier, ein Fuß da, stolpere über die Därme, falle wie ein totes Kalb gegen den Ofen.

24. DEZEMBER 1995

Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer gab es einen Briefbeschwerer, eine Glaskugel mit Rentieren, die einen Schlitten zogen, und auf dem Schlitten saß ein dicker, bärtiger Herr in einem roten Anzug mit roter Mütze. Stellte man die Kugel auf den Kopf und richtete sie dann wieder auf, umgab ein Schneewirbel den Schlitten und den bärtigen Herrn, und Eistau legte sich auf die Mütze, die Rentiere, die winzige Tanne im Hintergrund, meine Mutter stellte den Briefbeschwerer zwischen ein Foto von uns in Durban und einen Vogelstrauß aus Gujakholz mit Augen aus durchsichtigen Steinen, erklärte

– Das ist der Weihnachtsmann

und ich verstand nicht, wie dieses Plastikwesen aus seinem Glasgefängnis voller Wasser, in dem oben eine Luftblase schwebte, herauskommen und uns die Geschenke geben konnte, die sich morgens im Eßzimmer einstellten und Etiketten mit unseren Namen trugen, die auf das Einwickelpapier geklebt waren, und noch viel weniger verstand ich, wieso der Weihnachtsmann sie in Läden in Luanda gekauft hatte

(sein Fingernagel hatte weder den Preis noch den Aufkleber vom Laden ganz abrubbeln können)

da es mir schwierig erschien, daß ein paar Rentiere und ein Schlitten bei achtunddreißig Grad an der Uferstraße unter den Palmen in einer Schneespirale vorbeigleiten können, wo die Leute in den Straßencafés schwitzten und am Strand das Meer blubbernd kochte wie eine Suppe auf dem Herd. Meine Mutter behauptete, der Weihnachtsmann käme mit einem Sack voller Trompeten, Buntstiften und Knallplätzchenpistolen durch den Schornstein, was eine merkwürdige Information war, da der Schornstein auf dem Dach begann und im Feuer endete, was den Weihnachtsmann dem Risiko aussetzte, der Ente und dem Reis im Backofen Gesellschaft zu leisten, und außerdem konnte ich mir einfach nicht vorstellen, wie ein dicker Herr durch ein enges, dreckiges Rohr passen würde: Während meiner Kindheit ist, soweit ich mich erinnern kann, nur ein verirrter Kanarienvogel eines Morgens im besagten Rohr aufgetaucht, war verzweifelt piepsend in rußiger Panik durch die Küche geflattert, um schließlich in Richtung Garten zu entkommen, wo er Steinkohle aus den Federn schüttelte und dunkle Spuren auf der trocknenden Wäsche hinterließ und am Tag darauf tot im Azaleenbeet auftauchte, auf dem Rücken liegend, mit offenem Schnabel und mager wie ein Lungenkranker. Meine Mutter versicherte, daß der Weihnachtsmann, gerissen und erfahren, wie er nun einmal war

(mir fiel es schwer, Güte und Gerissenheit, zwei meiner Meinung nach unvereinbare Eigenschaften, in ein und derselben Person zu vereinen)

geheimnisvolle Tricks kannte, um so einfache Probleme wie enge Schornsteine und perverse Herde zu lösen, die wild darauf waren, jeden, der in ihren Bauch fiel, zusammen mit gebräunten Kartoffeln zu braten, Tricks, die meine Mutter, ihrem wissenden Lächeln nach zu urteilen, mit ihm teilte, aber partout nicht weitersagen wollte, und da November war

(Donnerschläge rollten in der Baixa do Cassanje, als würden Pianos unsichtbare Treppen herabstürzen, Saiten zerspringen, die sich funkelnd lösten und Akazien in Brand steckten)

verbrachten wir den Rest des Nachmittags damit, den Briefbeschwerer in der Hoffnung zu betrachten, der Weihnachtsmann möge sich, in der Absicht, mit Päckchen und Rentieren und Schnee zu trainieren, entscheiden, die Kugel mit dem Schlitten zu verlassen, aufs Dach zu klettern, eine geschickte Gamasche und dann den Bart und den ganzen rundlichen Körper dort hineinzustecken, wo der Rauch herauskam. Wir drehten die Kugel mehrfach auf den Kopf, um mit dem Hin und Her der weißen Plättchen seinen Ehrgeiz zu stimulieren, aber das Wesen blieb stur sitzen, hielt vor der Tanne voll absurder Aufmerksamkeit die Zügel mit dem Handschuh. Wir überlegten, das Glas mit dem Hammer aus dem Werkzeugkasten zu zerschlagen, um ihm die Aufgabe zu erleichtern

(es gibt Augenblicke, da ist man so faul und bequem, daß es einem schwerfällt, durch Glas zu gehen)

Rui, der losgeschickt worden war, den Hammer zu holen, hatte die Rohrzange zum Festziehen der tropfenden Wasserhähne vorgezogen, wir hatten gerade den Briefbeschwerer auf den Boden gelegt und die Zange in der Luft, als mein Vater die Tür öffnete, und im selben Augenblick fand sich die Kugel mit dem falschen, sich im Wasser drehenden Schnee auf dem Schreibtisch wieder und wir zur Strafe in unserem Zimmer, wo wir aus dem Fenster auf den Regenhimmel, die Nacht um vier Uhr nachmittags und die vom Wind gebeugten Sonnenblumen starrten, von der fürchterlichen Drohung beunruhigt, weder Buntstifte noch Knallplätzchenpistolen zu Weihnachten zu bekommen. Ich habe die Kugel hier bei mir in Ajuda auf dem Regal im Wohnzimmer, damit meine Geschwister sie sehen, ich habe gerade den Paillettenstern oben auf dem Baum angebracht, habe die Geschenke an den Blumentopf gelehnt, ein Fläschchen sauteures Parfüm für Clarisse, die nicht blöd ist und Schund meilenweit erkennt, eine Ausverkaufskrawatte, knallbunt, wie er es gern hat, für Rui, der blöd ist

und da er nichts mitkriegt, ist es ihm egal, und ich spare dabei

außerdem zernagt ihm der Holzwurm der Epilepsie den Kopf, meine Mutter brachte ihn zum Arzt in Malanje, wenn sie mit ihm nach Haus kam, hatte sie, obwohl sie eine Mantilla gekauft hatte, geweint, sie ließ Rui in der Küche, stieg die Treppe hinauf und erschien ewig nicht bei Tisch, hatte verschwollene Augen und eine müde Stimme, durchbohrte die Gegenstände mit den Blicken, ohne sie wahrzunehmen, wollte keine Suppe, wollte keinen Fisch, nachts, wenn ich im Bett lag, konnte ich ihr Schluchzen vermischt mit den Tausenden von Geräuschen ohne Ursprung und Grund hören, die die Stille bewohnen, ich schüttelte Clarisse und Clarisse

– Das ist ein Vogel

aber es war kein Vogel und auch kein Fuchs auch nicht die Traktorfahrer, die in der Senzala laut einen Sterbefall beweinten, auch nicht der Fieberatem der Baumwolle, es war die hohe Standuhr mit den römischen Ziffern auf dem Korridor, die Uhr, die sie uns bestimmt gestohlen haben und die das feierliche Kupferpendel ihrer Hinterbacken nach rechts und links schwenkte, es war das Stroh, das im Kopfkissen knisterte, die Stimme meiner Mutter zu meinem Vater, von fern und ganz nah

– Der Arzt sagt es ist eine Erbkrankheit er hat sie von mir ich bin schuld

und mein Vater, der, seit Rui krank geworden war, alle zehn Minuten die Whiskyflasche aus dem Nachttisch zog

es gab kein Fach ohne Whiskyflasche, der Krankenpfleger von Chiquita warnte ihn, daß er, wenn er so weitertränke, kein Jahr mehr leben würde

– Sie leben kein Jahr mehr Senhor Amadeu von einem Augenblick zum anderen sterben Sie an Zirrhose

und letztlich hat er acht Jahre gehalten, acht Jahre an Spazierstöcken, weil der Alkohol seine Beine angegriffen hatte, auf dem Sessel sitzend, eine Decke über den Knien, ohne mit dem Trinken aufzuhören, mein Vater suchte ein Glas, das merkte man daran, daß der Flaschenhals am Rand klingelte, stellte die Flasche wieder weg, Clarisse

– Das ist ein Vogel es ist nicht Mutter es ist ein Vogel hör doch