Die Rückkehr der Karavellen - António Lobo Antunes - E-Book

Die Rückkehr der Karavellen E-Book

António Lobo Antunes

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Beschreibung

In Lissabon rasen Pferdekarren und Autos aneinander vorbei, vor Anker liegen Öltanker und Karavellen. Die großen Seefahrer der Frühen Neuzeit drängen sich mit Touristen neugierig durch die engen Gassen der Altstadt. Mit diesem karnevalesken Roman, in dem er den portugiesischen Nationalmythos gegen den Strich bürstet, hatte António Lobo Antunes 1988 nach sechs autobiographischen Büchern ein großes historisches Thema gefunden und sich endgültig international etabliert.
So wie die deutsche Sage will, daß eines Tages der im Kyffhäuser schlafende Kaiser Friedrich alles zum Guten wendet, so haben die Portugiesen niemals an den Tod von König Sebastian geglaubt. Er ward zwar nicht mehr gesehen, seit er 1578 in Afrika vergebens versuchte, die Moslems zum rechten Glauben zu bringen, aber noch heute harrt das fromme lusitanische Volk seiner Wiederkehr.
António Lobo Antunes greift diese Legende auf, und vor dem König läßt er zunächst die bedeutendsten Entdeckungsreisenden auf ihren Karavellen den Atlantik noch einmal überqueren, um zwischen Öltankern und Flugzeugträgern auf Lissabon zuzusteuern. Pedro Alves Cabral ist unter ihnen, den es genau 500 Jahre, nachdem er Brasilien entdeckt hat, ins Rotlichtviertel verschlägt. Vasco da Gama, der als erster das Kap der Guten Hoffnung umsegelte, muß seinen Unterhalt mit kleinen Gaunereien verdienen. Und Luís de Camões, dem wir das portugiesische Nationalepos verdanken, beginnt seine Lusiaden auf dem Rechnungsblock eines Kellners.
Alle diese Männer, die Angola, Brasilien und Moçambique für Portugal entdeckt haben, unterhalten sich mit den Menschen unserer Tage darüber, was aus den Neuen Welten geworden ist. Um diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen herzustellen, läßt Lobo Antunes mal die
Sätze tropisch und barock wuchern, mal sich knäueln wie die Lianen des afrikanischen Urwalds oder die Ornamente des manuelinischen Baustils, mal schildert er lapidar und sarkastisch den heutigen Alltag, dazwischen läßt er ironische und komische Blitze leuchten.

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Inhaltsverzeichnis

GlossarCopyright

Nelson de Matos gewidmet

Die Portugiesen waren nicht nur die letzten Europäer, die sich aus Afrika zurückzogen, sie waren auch die ersten gewesen, die über den gefürchteten Cabo Bojador an der Westküste Afrikas hinausgelangt waren (1434), die südlichste Spitze des Schwarzen Kontinents, das Kap der Guten Hoffnung umschifft und damit den lang gesuchten Seeweg nach Indien gefunden hatten (1499).

Das Zeitalter der Entdeckungen, fortan als »Goldenes Zeitalter« der portugiesischen Geschichte bezeichnet, hatte im 15. Jahrhundert begonnen und war endgültig erst dann vorbei, als nach dem Verschwinden des jungen Königs Sebastian in der Schlacht von Alcácer Quibir (1578) das Land an Spanien fiel. Der Verlust der nationalen Unabhängigkeit dauerte insgesamt zwar nur 60 Jahre, ist jedoch ein Trauma der portugiesischen Geschichte geblieben, auf das man bis heute empfindlich reagiert. Als anläßlich der Weltausstellung 1998 in Lissabon die Spanier ihren Pavillon dort mit einem Bild zu schmücken gedachten, das die Ankunft des habsburgischen »Fremdherrschers« Philipp III. in Lissabon darstellt, löste dieser »Affront« einen Sturm im Wasserglas aus.

Es war das Goldene Zeitalter der Entdeckungen, welches jahrhundertelang den Mythos von der historischen Legitimität der portugiesischen Präsenz in Afrika genährt hatte und mit dem noch die Generation von Lobo Antunes im zweiten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts aufgewachsen war. Um auch nur eine annähernde Vorstellung von der Gewalt dieses in die Köpfe schon der Kleinsten eingetrichterten Imaginariums zu bekommen, welches sich um die Helden und deren Taten rankt, genügt ein Blick in die Schulbücher mit all ihren Königen und Infanten, die diese Entdeckungen finanzierten, Seefahrern, die im Auftrag der Krone das wohl gigantischste Abenteuer der damaligen Zeit durchführten, und Missionaren, die überall in den neuentdeckten Gebieten die Heiden mit dem katholischen Glauben zwangsbeglückten.

Während die Menschheit inzwischen schon auf dem Mond gelandet war, stöberte Portugal noch immer unentwegt in den alten Folianten, in denen peinlich genau all die Kontinente und Landstriche, Archipele, Inseln und Inselchen aufgelistet waren, die Männer mit langen Bärten und in seltsamen Kostümen einst zum Ruhme jenes Landes eingefahren hatten, das der portugiesische Dichter Miguel Torga als »vom großen Atlas nur ein Menschenstrich« bezeichnete.

Es war der Generation von Lobo Antunes vorbehalten, zum ersten Mal eine radikale Entmystifizierung des portugiesischen Nationalismus vorzunehmen, dessen unzertrennliche Komponente der imperiale Anspruch war. Eine Generation, die wie Lobo Antunes selbst die Fragwürdigkeit der portugiesischen Präsenz in Afrika gerade durch die Teilnahme am Kolonialkrieg erfahren hatte und deswegen ihrer Desillusionierung auch glaubwürdiger Ausdruck verleihen konnte als jene Zeitgenossen, die, wie es in einem frühen Antunes-Roman heißt, die Revolution am Kaffeehaustisch in Paris entwarfen.

Die schonungslose Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist bis dato ein Thema der Literatur geblieben – während sie in der portugiesischen Gesellschaft noch immer ein Tabu ist, an das niemand gerne rührt. Wenn jedes Land seine eigene Leiche im Keller hat, so ist diese Leiche in Portugal noch immer das Imperium. Es ist jene Leiche, die in der Rückkehr der Karavellen »der Mann namens Luís«, von dem noch die Rede sein wird, aus Afrika mitbringt und mit der er am Kai in Alcântara landet, an dem einst die Schiffe mit den Soldaten unter Jubel aufgebrochen waren und an den bis 1974 die Särge unter Ausschluß der Öffentlichkeit zurückkehrten.

Die Rückkehr der Karavellen erschien 1988 als siebentes Buch von António Lobo Antunes (der mit seiner Trilogie über den Kolonialkrieg zunächst in den USA Aufsehen erregt hatte) und in einer hohen Auflage in Lissabon. Der Erfolg seiner Bücher gestattete es dem Autor fortan, seinen Beruf als Psychiater niederzulegen und sich nur mehr der Schriftstellerei zu widmen, bis zu achtzehn Stunden am Tag.

Mehr als ein Jahrzehnt war vergangen, seit unmittelbar vor der bevorstehenden Unabhängigkeit der Kolonien im Jahr 1975 Hunderttausende Afrikarückkehrer in Lissabon gelandet, oder besser gestrandet waren: Per Flugzeug auf ausweglos überfüllten Luftbrücken, per Schiff in stickigen Frachträumen, ja manchmal sogar auf winzigen, selbstgezimmerten Booten, die an die Abenteuer gemahnten, die einst ihre Vorfahren auf unbekannten Meeren erlebten. Fast alle waren in Panik geflüchtet, aus Angst vor dem Kommunismus, vor den Russen, den Kubanern, vor der MPLA, ihrer Gegenbewegung União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA) oder ganz allgemein vor den »triumphierenden Wilden, die mit dem Maschinengewehr die kleinen Fenster der Fassaden zersplitterten«.

Der Großteil von ihnen hatte alles zurückgelassen und fand, meist jeglicher Mittel beraubt, eine provisorische Unterkunft in nun leerstehenden Hotels und Pensionen, die ein zu diesem Zweck eilig ins Leben gerufener Fonds ihnen zugeteilt hatte. Die Zahlungskräftigen unter den Touristen waren in jenem »heißen Sommer« angesichts der »drohend bevorstehenden Machtergreifung der kommunistischen Partei in Portugal« zum Glück ohnehin ausgeblieben.

Das Gepäck unzähliger retornados lagerte über Kilometer verstreut am Ufer des Tejo-Flusses, unweit des Viertels Belém, wo der Turm mit demselben Namen an den Aufbruch der Flotte Vasco da Gamas erinnert und wo König Manuel I. wenig später das berühmte Hieronymitenkloster als Dank für die geglückte Seefahrt nach Indien errichten ließ.

Die bodenständige Bevölkerung war diesen unerwünschten Heimkehrern meist nicht gerade freundlich gesinnt, und nicht nur deswegen fühlten sich viele retornados fremd in einem Land, dessen neue Regierung sie ihrerseits zum Großteil für das erlittene Desaster verantwortlich machten. Mit Portugal hatten diese weißen Afrikaner (und noch weniger Schwarze, Mulatten aus Angola und Inder aus Moçambique) jedenfalls nichts am Hut. Und sie konnten in der damaligen Gesellschaft, welche in revolutionärem Eifer und sozusagen über Nacht alles über Bord geworfen hatte, was jahrhundertelang ihre offizielle und inoffizielle Legitimation gewesen war, vorläufig keinen Platz finden.

In Lobo Antunes’ Roman ist diese reale Ebene zunächst der Ausgangspunkt und wird besonders deutlich in den Episoden mit dem namenlosen Ehepaar, das nach einer über fünfzigjährigen Existenz in Guinea-Bissau ebenso bitterarm zurückkehrt, wie es ursprünglich dorthin gezogen war. Wenn das Paar zunächst im Luxushotel Ritz mitten im Lissabonner Stadtzentrum logieren darf, um im Herbst in den feuchttriefenden und nebelkalten Ort Ericeira umgesiedelt zu werden, so entspricht das ebenso der Realität wie die Ermahnungen, in den Hotelzimmern keine Sardinen zu braten oder aus Vorhängen keine Kleider zu schneidern, die ihnen die »göttliche, ungeheure, autoritäre, pompöse Stimme« des Leutnants predigt, der seinen Mund plötzlich mit bis dato verpönten Worten wie Demokratie und Sozialismus allzu voll nimmt.

Eine zweite Ebene ist von Anfang an die historische, oder besser gesagt fiktiv-historische, welche nicht nur permanent um Symbole aus dem glorreichen Zeitalter der Entdeckungen kreist, sondern in ebenso realen wie barocken Bildern fünfhundert Jahre portugiesischer Geschichte durcheinanderwirbelt.

Indem er den retornados des 20. Jahrhunderts Namen gibt, die an die großen Helden von früher erinnern, reißt der Autor diese zunächst von jenem Sockel, auf den sie eine pathetische Geschichtsschreibung in unermeßliche Distanz gerückt hatte. So kehrt Vasco da Gama aus Angola zurück, um im heimatlichen Vila Franca de Xira unweit von Lissabon wieder den Beruf eines Schusters auszuüben und für den Rest seines Lebens Karten zu spielen. Doch der adelige Entdecker Indiens holt ihn nach und nach ein, und er folgt dem Ruf an den Hof des Königs Manuel, der im Lissabon des 20. Jahrhunderts mit einer Krone aus Blech und einem gelbgestrichenen Rohr als Szepter das vermeintlich noch immer ihm gehörende Land regiert.

Da ist, stellvertretend für alle Pioniere unter den Seefahrern, jener legendäre Diogo Cão, der 1482 das Delta des Zaïreflusses erreichte, von wo er wenige Jahre später flußaufwärts in das sagenhafte Reich des Königs vom Kongo gelangte, um dort jene ersten friedvollen Kontakte zwischen Europäern und Afrikanern zu knüpfen, die sich später als so verhängnisvoll erwiesen. Das grandiose Scheitern des Diogo Cão vollzieht Lobo Antunes symbolisch nach, indem er diesen einstigen Bezwinger unbekannter Meere, den Körper von Skorbut und Alkohol und die Seele von maritimen Illusionen zerfressen, durch die Kneipen eines postrevolutionären Lissabon treiben läßt, bis ihn seine frühere angolanische Geliebte, eine alternde Prostituierte, in der »Metropole«, wo sich niemand mehr an den Namen Diogo Cão erinnert, durch Zufall aufstöbert. Es ist dem einstigen Initiator der frühesten euro-afrikanischen Verbindungen vorbehalten, das Kolonialreich endgültig in den Mistkübeln der Hauptstadt zu versenken, bevor er als einfacher, pensionierter Angestellter der städtischen Wassergesellschaft von Luanda sein Leben (wahrscheinlich bald) beenden wird.

Wenn auch – durchaus der Wirklichkeit entsprechend – die retornados aus Angola hier in der Mehrzahl sind, so hat Lobo Antunes mit der Gestalt des Francisco Xavier, Inder aus Moçambique, einen anderen, nicht unwesentlichen Aspekt der Heimkehrerschicksale eingebracht. Xavier, dessen Name auf den wohl berühmtesten jesuitischen Missionar des 16. Jahrhunderts verweist, der sogar die Japaner zum Christentum bekehren wollte und dessen Wirken in mehreren asiatischen Ländern meteorartige Spuren hinterließ, ist hier Herr über die Herberge Zum Indischen Apostel, eine Mischung aus verkommener Pension für retornados und unerschöpflichem Reservoir von farbigen Prostituierten, die er an das Netzwerk zweifelhafter Diskotheken, welches er mit anderen pseudoillustren Heimkehrern geknüpft hat, gewinnträchtig verleiht. Der geschäftstüchtige Inder aus Moçambique und rührige Schutzheilige der Stadt Setubal spiegelt, grotesk verzerrt, einen nicht unwesentlichen Teil jener retornados wider, welchen es gelang, durch zähen Fleiß in einer völlig neuen Umgebung wirtschaftlich zu reüssieren.

Sein Partner bei diesem einträglichen Geschäft ist Manoel de Sousa de Sepúlveda, der noch im Angola der Kolonialzeit mit Hilfe eines befreundeten PIDE (wie nicht nur die ehemalige portugiesische Geheimpolizei, sondern vereinfacht auch gleich deren Mitglieder genannt wurden) Diamanten nach Holland schmuggelt. Vorsorglich hat Sepúlveda  – wie so manches seiner realen Vorbilder – schon damals einen Teil seines Vermögens in Immobilien in Portugal investiert – doch als er nach der Nelkenrevolution via Südafrika nach Lissabon zurückkehrt, findet er sein Appartement an der Costa da Caparica von Lumpenproletariern des nahe gelegenen Küstenstreifens Fonte da Telha besetzt. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß es ausgerechnet jene sind, die dem »Afrikaner« unter Einbeziehung revolutionärer Slogans eine Moralpredigt halten: »Sieh mal an, einer, der nicht weiß, was Sozialismus ist, dieser Analphabet ... Er ist gerade aus Afrika gekommen, der Arme, ... hat unsere schwarzen Kameraden ausgebeutet, glaubt, das hier ist seine Wohnung. Das hier gehört dem Volk, mein Freund, das gehört der ruhmreichen Avantgarde des Proletariats, das hier wurde revolutionär besetzt, verstanden?«

Doch selbst wenn diese »Deserteure ohne Ziel« Sepúlveda im Anschluß daran ebenso nackt ausziehen wie einst die »Wilden« an der Küste von Moçambique seinen Namensvetter in der von Bernardo Gomes de Brito herausgegebenen Kompilation História Tragico-Maritima, so ist er keinesfalls ein Schiffbrüchiger wie jener. Während Manoel de Sousa de Sepúlveda in der berühmten Chronik über die Unglücksfälle der frühen Seefahrer vor Schmerz über den Tod seiner Gattin Leonor, die der Schande der Nacktheit ein rasches Verscheiden vorgezogen hatte, wahnsinnig wird und in den Urwald flüchtet, eröffnet der aus Malanje heimgekehrte Manoel die Bar Leonor in Lissabon. Seine Gattin ruht zu diesem Zeitpunkt schon lange auf einem Friedhof in Lobito, Angola, »unter einem Engel aus Grabmarmor ... mit ausgebreiteten Flügeln, der auf ihrer Brust saß, um so unzeitigen Wiederauferstehungen zuvorzukommen«.

Nach den Seefahrern, Missionaren und Adeligen (wie Sepúlveda, der in Indien Reichtum suchte) sind die Wissenschaftler an der Reihe. Doch welch ein Abgrund tut sich auf zwischen dem zeitgenössischen »Radioamateur und Züchter medizinischer Pflanzen auf dem Balkon« Garcia da Orta und seinem historischen Namensvetter, dessen Colóquios dos Simples e Drogas e Cousas Medicinais da India (Goa, 1563) als ein Meilenstein in der Weltgeschichte der Medizin gilt und noch heute verschiedentlich zitiert wird, vor allem wegen der Cholera, die dort zum ersten Mal überhaupt beschrieben ist.

Garcia da Orta, ein Freund des Nationaldichters Luís de Camões, der ihm eine Ode widmete, war als cristão novo (zwangsgetaufter Jude) vor der Inquisition nach Goa geflüchtet, wo er eingehend sämtliche medizinischen Pflanzen des Orients studierte und in dem oben zitierten Werk in Dialogform beschrieb, mit dem noblen Ziel »Wahrheiten ohne rhetorische Farben zu vermitteln, denn die Wahrheit zeichnet man nackt«. Und nicht nur weil er in diesem Zusammenhang mitunter medizinische Erkenntnisse von Arabern gegen Fehlurteile von Christen verteidigte, holte ihn die Inquisition posthum ein: Da ihr sein lebendiges Fleisch entkommen war, ließ sie wenigstens seine Gebeine in Goa verbrennen.

Bei Lobo Antunes gabelt ein vom Leben verbitterter Garcia da Orta den »Mann namens Luís« am Bahnhof Santa Apolónia auf, um ihn kurz darauf in seine Wohnung mitzunehmen, wo verschiedene fleischfressende Pflanzen da Orta endlich von der Last seiner Familie befreien. Nach einer gemeinsamen Tour durch verschiedene Kneipen findet Luís sich plötzlich wieder allein auf dem Platz, in dessen Mitte sich die Statue des Dichters Luís de Camões erhebt, mit dem er ja so viel gemeinsam hat: Auch ihm fehlt das linke Auge, und er schreibt wie besessen an einer unendlichen Anzahl achtzeiliger Strophen, die die großartigen Entdeckungen der Lusitanier erzählen und Die Lusiaden heißen. Deren Bilder, im Roman in fremder Umgebung verzerrt, werden, gleichsam als Residuen früheren Geschichtsunterrichtes, immer wieder an die Oberfläche gespült: Ein anachronistisch gewordener König Manuel hofft, daß Vasco da Gama noch einmal nach Indien fahren möge, um auf der »Liebesinsel« (IX. Gesang) von einem »Schwarm unersättlicher Nymphen« endlich erschöpft zu werden. Oder Diogo Cão überwacht den Aufbruch moderner Liebesgöttinnen in Lamettakostüm, das an Schuppen von Sirenenschwänzen erinnert, weshalb sie denn auch Tagiden heißen, wie die Nymphen des Tejo bei Camões. Oder Pedro Álvares Cabral, nach Fernando Pessoa der »Entdecker wider Willen« Brasiliens, träumt von einer Heimkehr mit Segelschiffen unter einem von schweren Gewitterwolken verhangenen Himmel, aus dem jener Riese Adamastor ragt, der für alle Ewigkeit in das Kap der Guten Hoffnung verwandelt wurde, umspült von den Wellen seiner Angebeteten (v. Gesang).

Das Nationalepos der Portugiesen und berühmteste Werk ihrer Literatur, Quelle unzähliger Zitate und souffre-douleur späterer Schüler, die es strophenweise auswendig lernen mußten, hatte der Dichter einst dem jungen König Sebastian gewidmet, bevor dieser in den Kampf gegen die Heiden nach Nordafrika zog. Und deswegen ist es nur recht und billig, daß er dem »Mann namens Luís« jetzt auf dem Platz mit dem Camõesdenkmal erscheint, »umringt von Günstlingen, Erzbischöfen und Vertrauten zu Pferde, angetan mit einer bronzenen Rüstung und einem Helm mit Federbusch«, bis er schließlich »auf dem Weg nach Alcácer Quibir« endgültig aus seinem Gesichtsfeld verschwindet. Der noch nicht achtzehnjährige König, dessen Leiche nach der verheerendsten Schlacht der portugiesischen Geschichte nie gefunden wurde, nährt seither deren größten Mythos, er werde dereinst wiederkommen und Portugal erlösen.

Wenn am Ende des Buches die schlafwandlerische Schar der nun in einer zweckentfremdeten Tuberkuloseklinik untergebrachten retornados, darunter der »Mann namens Luís«, sich am Strand von Ericeira versammelt und vergeblich darauf wartet, daß König Sebastian, wie es ein eindrucksvolles Bild dieses Mythos will, auf einem Schimmel den Wellen des Meeres entsteigt, so ist es nach Lobo Antunes endgültig vorbei mit jeder Art von Sebastianismus. Deshalb transferiert der Autor seinen Sebastian in die Gegenwart und verwandelt jene, nach manchen Historikern durchaus negativen Züge des »blonden Jünglings« in die Variante eines im zeitgenössischen Portugal akuten Problems, indem er ihm die Gestalt eines jungen Drogensüchtigen verleiht, der nach Tanger fährt, um sich dort Stoff zu besorgen, wobei er nach einem Streit mit der »Schwuchtel Oscar Wilde« während einer Messerstecherei ums Leben kommt.

Indem er Personen, Orte und Gegenstände aus den verschiedensten Zeitepochen miteinander verbindet, schafft Lobo Antunes jene halluzinatorische Atmosphäre, in der nichts mehr an seinem sicheren Platz verweilt. In einem Lissabon, wo sich Straßenbahnen und Taxis, Automobile und Fahrräder mit vergoldeten Kutschen und Kaleschen, die geradewegs aus dem prächtigen Lissabonner Kutschenmuseum zu kommen scheinen, nebeneinander tummeln, begegnen den Heimkehrern seltsame Prozessionen von Flagellanten. Die Schergen der Inquisition, die Köpfe in Kapuzen verborgen und riesige Kruzifixe auf der Brust, haben gerade wieder einmal António José da Silva verhaftet, den berühmten Theaterautor des 18. Jahrhunderts, dessen kritische Stücke in seinem Marionettentheater im Bairro Alto ein großer Erfolg waren und dem hier, wie tatsächlich geschehen, der Scheiterhaufen hergerichtet wird. Parallel dazu sucht Gil Vicente, Zeitgenosse der Entdeckungen, der angeblich auch Goldschmied war, vor allem jedoch der portugiesische Shakespeare wurde, in der Bar Leonor sich unfehlbar immer die häßlichsten Mulattinnen aus – in einer deutlichen Anspielung auf seinen Pranto da Maria Parda (Klage der Mischlingsfrau Maria), dem hinreißenden Monolog einer alternden Mulattin und Alkoholikerin. Gegen Morgengrauen mischt sich in derselben Bar noch Padre António Vieira, dessen Predigten bis heute als Beispiel einer geschliffenen Sprachkunst geschätzt werden, ins Getümmel.

Unter weiteren Berühmtheiten der (Literatur-)geschichte, die hier eine illustre Nebenrolle spielen, sei noch jener Nuno Álvares Pereira erwähnt, der 1385 den kastilischen Erzfeind in der berühmten Schlacht von Aljubarrota vernichtend geschlagen und damit dem Haus Avis die portugiesische Krone gesichert hat. Zu sehr damit beschäftigt, den Trompetenstößen aus dem kastilischen Lager zu lauschen, kann er auf das lukrative Geschäft, das ihm Manoel de Sousa de Sepúlveda vorschlägt, nicht eingehen. Die Trümmer einer Vergangenheit, in der die Helden von einst noch immer verstrickt sind, spiegeln sich schließlich in einem gespenstischen Lissabon zerbröckelnder Häuserfassaden und mannigfaltiger Gerüche nach Verkommenheit wider, in dessen eigenwilliger Orthographie »Lixboa« auch das Wort »lixo« (Mist) steckt.

Und da von der Geschichte, die man uns in den Schulen immer nur von der hohen Ebene aus berichtet, meist tatsächlich nichts anderes übrigzubleiben scheint als jene Vorstellungen, die ein solcher Unterricht dann für ein Lebtag in uns nährt, gerinnt hier die große Initiative der Entdeckungen Heinrich des Seefahrers, eines Internationalisten avant la lettre, der in Sagres die berühmteste Seefahrerschule aller Zeiten unterhielt, zum Abziehbild »eines Prinzen mit dem Schnurrbart eines romantischen Sängers unter breitkrempigem Hut, der auf einem Felsvorsprung sitzt und zu seiner eigenen Unterhaltung Papierschiffchen in den Ozean wirft«.

In keinem seiner Werke hatte Lobo Antunes bis dato das Bild von Portugal als Land, das nach seinen eigenen Worten stets auf halbem Weg zwischen Wirklichem und Phantastischem liegt, radikaler gezeichnet als in Die Rückkehr der Karavellen. Ein Land, in dem eine allgegenwärtige, allzu monumentale Geschichte die Gegenwart stets zu erdrücken drohte, wird damit auch von der Last seiner Mythen befreit.

Er war vor achtzehn oder zwanzig Jahren auf dem Weg nach Angola durch Lixboa1 gekommen, und am besten konnte er sich an die Streitereien seiner Eltern in der Pension am Conde Rodondo erinnern, wo sie zwischen dem Geklingel von Eimern und dem entnervten Murren der Frau untergekommen waren. Er erinnerte sich an das Gemeinschaftsbadezimmer mit einem Waschbecken, das barocke Wasserhähne hatte, die Fische imitierten und aus den aufgerissenen Mäulern spasmisch graues Wasser aufstießen, und daran, wie er auf einen alten Herrn gestoßen war, der, die Hose an den Knien, auf der Toilette lächelte. Nachts, wenn er das Fenster öffnete, sah er die erleuchteten chinesischen Restaurants, die mondsüchtigen Ladengletscher für Haushaltsgeräte im Halbdunkel und blonde Köpfe am Bordstein der Bürgersteige. Und aus Angst davor, den Herrn mit dem Lächeln hinter den rostigen Fischen oder die Haarschöpfe anzutreffen, die, den Zimmerschlüssel am kleinen Finger schlenkernd, Notare den Flur entlangschleppten, urinierte er deshalb in die Bettücher. Und am Ende schlief er, von den endlosen Straßen in Coruche, den Zwillingszitronenbäumen im Garten des Priors und vom blinden Großvater mit seinen glatten Statuenaugen träumend ein, während eine Horde Krankenwagen die Rua Gomes Freire zum Hospital de São José hinaufjaulte.

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