Atta Troll - Stefan Heym - E-Book

Atta Troll E-Book

Stefan Heym

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Beschreibung

Heyms wegweisende Magisterarbeit über Heinrich Heine

Als zwanzigjähriger Student der Germanistik und Philosophie emigrierte Stefan Heym in die USA. In Chicago schloss er seine Studien ab. Das Thema seiner Abschlussarbeit war Heinrich Heines Versepos »Atta Troll. Ein Sommernachtstraum«. Der junge Stefan Heym nähert sich Heinrich Heine so sensibel wie hellsichtig. Und bringt die Tragik von Heines Leben, die auch die seines eigenen Lebens in unterschiedlichen politischen Systemen werden wird, auf den Punkt: »Heine war in der tragischen Situation eines intellektuellen Revolutionärs ohne Bewegung, die ihn tragen könnte. Und darum bekommt er die Schläge von rechts und gemäßigt links – nicht, weil er in der Mitte zwischen beiden, sondern weil er vor ihnen steht, Parteiungen voraus ist.«

Stefan Heyms visionäre Analyse von Heinrich Heines Versepos »Atta Troll«, bei C. Bertelsmann erstmals erschienen 1983, endlich wieder lieferbar als Teil der digitalen Werkausgabe.

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Zum Buch:

Als zwanzigjähriger Student der Germanistik und Philosophie emigrierte Stefan Heym in die USA. In Chicago schloss er seine Studien ab. Das Thema seiner Abschlussarbeit war Heinrich Heines Versepos Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. Der junge Stefan Heym nähert sich Heinrich Heine so sensibel wie hellsichtig. Und bringt die Tragik von Heines Leben, die auch die seines eigenen Lebens in unterschiedlichen politischen Systemen werden wird, auf den Punkt: »Heine war in der tragischen Situation eines intellektuellen Revolutionärs ohne Bewegung, die ihn tragen könnte. Und darum bekommt er die Schläge von rechts und gemäßigt links – nicht, weil er in der Mitte zwischen beiden, sondern weil er vor ihnen steht, Parteiungen voraus ist.«

Stefan Heyms visionäre Analyse von Heinrich Heines Versepos Atta Troll, bei C. Bertelsmann erstmals erschienen 1983, nun Teil der digitalen Werkausgabe.

»Der Text liefert interessante Einsichten in das Denken des beginnenden Schriftstellers.« Freie Presse Chemnitz

»Heym ist einer der großen Autoren des 20. Jahrhunderts, der zwischen den Welten wanderte, der immer zwischen den Stühlen saß und der diesen unbequemen Platz als den ihm gemäßen letztlich schätzen gelernt hat.« Westfälische Rundschau

Zum Autor:

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In der McCarthy-Ära kehrte er nach Europa zurück und fand 1953 Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt. Er gilt als Symbolfigur des aufrechten Gangs und ist einer der maßgeblichen Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel.

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Stefan Heym

Atta Troll

Versuch einer Analyse

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E-Book-Ausgabe 2021

Copyright © 1983 by Inge Heym

Copyright © alle deutschsprachigen Rechte 1983 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © dieser Ausgabe 2021 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Sabine Kwauka, München

Umschlagmotiv: © caesart / Shutterstock.com

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN978-3-641-27844-1V001

www.cbertelsmann.de

Vorwort

Da war ich nun in Düsseldorf, in der Bilker Straße, und ging, einer inneren Pflicht gehorchend und wohl auch ein wenig bange, ins Heinrich-Heine-Institut. Zuerst war alles enttäuschend: die Bilder aus der Zeit, ein paar Dokumente, ein paar Möbel, der bekannte nachdenklich gesenkte Kopf, schließlich die Totenmaske – ein Museum eben. Bis man mich nach oben führte, wo die Handschriften wohlgeordnet liegen, Seite um Seite, die Tinte oft kaum verblaßt, Korrekturen über den Korrekturen, die schrägen, gleichsam eilenden Buchstaben, so als hätten sie Mühe gehabt, mit den Gedanken des Dichters Schritt zu halten; und dann die Manuskripte der Spätzeit, mit Bleistift geschrieben, in Riesenlettern auf Riesenbogen, die speziell für ihn gefertigt worden waren; nur so konnte der Halbblinde sein Wort noch wiedererkennen. Und auf einmal wurde er mir lebendig; ich las die vertrauten Verse,

Wir wollen hier auf Erden schon

das Himmelreich errichten,

und die Prosa der Vorrede zur Lutetia, Möge sie zertrümmert werden, diese alte Welt, wo die Unschuld zu Grunde ging, wo der Cynismus gedieh, und ich spürte, wie mir etwas die Kehle zusammenzog und Feuchtigkeit ins Auge stieg; ich hatte ihn immer geliebt, und wenn einer mir Vorbild gewesen war, dann er.

Ich weiß nun nicht, wie mir der Gedanke kam; jedenfalls erkundigte ich mich, ob sich unter der Sekundärliteratur, die das Institut sicher besaß, auch eine Dissertation über Heines Atta Troll befände, die ein gewisser Helmut Flieg zur Erlangung der Magisterwürde der Universität Chicago vor vielen Jahren geschrieben hatte. Man stellte fest, daß diese Dissertation nicht vorhanden war, interessierte sich aber dafür, denn so etwas gehöre zur Komplettierung des Bestands, und sagte, man werde sich in der Angelegenheit an die Bibliothek der Universität dort in Chicago wenden.

Nach Hause, nach Grünau zurückgekehrt, durchsuchte ich meine Ablagen und fand die Dissertation; ein amerikanischer Germanist hatte sie vor einiger Zeit ausgegraben, hatte sie photokopieren lassen und mir die Kopie zugeschickt; mein eigenes Exemplar, dessen Original ich im Dezember des Jahres 1936 dem Department of Germanics der Universität Chicago überreicht hatte, war mir im Verlauf meiner Wanderungen verlorengegangen. Und jetzt, gute viereinhalb Jahrzehnte nachdem der junge Emigrant seinen Atta Troll, Versuch einer Analyse geschrieben hatte, setzte ich mich hin und las das Werkchen zum ersten Mal wieder.

Und alles tauchte wieder auf: die nachgeahmte Gotik der Wieboldt Hall, in der sich die germanistische Abteilung befand, das getäfelte Zimmer im ersten Stock, darin die Mitglieder der Fakultät und ausgewählte Graduate Students ihren Tee einnahmen, mein schmaler Tisch unter dem Spitzfenster in der Bibliothek, rechts davon die metallenen Regale, das mir nächststehende markiert mit »H«, H für Heine – die ganze klösterliche Abgeschiedenheit von Academia in einer Welt, die sich anschickte, Krieg und Holocaust vorzubereiten.

Dabei war der junge Mann, der in dieser Stille seine Studien betrieb, sich der Welt draußen wohl bewußt; vor kurzem erst hatte sein Vater, ausweglos in Deutschland, sich das Leben genommen, und seine Mutter, sein Bruder befanden sich noch dort, gefährdet; gerade um sie zu schützen, benutzte er ja für seine schriftstellerischen Versuche und seine journalistischen Arbeiten das Pseudonym Stefan Heym. Und auch was er da schrieb über Atta Troll und über die Intentionen, die Heine mit dem Poem verfolgte, ist deutlich geprägt von den Ängsten jener Zeit und durchdrungen von der Bemühung, sich und anderen in seiner Lage Mut zuzusprechen: denn hatte nicht schon Heine die deutschtümelnden Phrasendrescher in ihrer ganzen Hohlheit erkannt und die wildgewordenen Kleinbürger, die sich gerade anschickten, Europa in den Abgrund zu treiben, durch seinen Spott entlarvt?

Dennoch wäre die Jugenderinnerung eines Mannes, der in die Jahre gekommen ist, noch kein genügender Anlaß, ein biographisches Dokument, wie diese Dissertation es ist, nach so langer Zeit einer wenn auch nur beschränkten Öffentlichkeit zu übergeben. Selbst der Geburtstag, dem ich mich nur zögernd und mißmutig nähere, den meine Freunde jedoch festlich zu begehen wünschen, wäre es nicht. Der Grund ist vielmehr, daß ich bei der Lektüre des Manuskripts, mit dem Abstand von sechsundvierzig Jahren, feststellte: das Ding lebt. Äußerlich einem wissenschaftlichen Traktat mit all seinen Attributen ähnelnd, mit reichlichen Zitaten, Fußnoten, Quellenangaben et cetera, erscheint mir diese kleine Schrift über gewisse Aspekte im Wesen und in den Motiven des Dichters Heine heute fast wie eine Prophetie der Kämpfe meines eigenen Lebens, ein Programm meines eigenen Werks: die Gegner Heines, die Reaktionäre und Doktrinäre, mutatis mutandis auch die meinen, das so oft beanstandete journalistische Element in seinem Schaffen auch bei mir vorhanden und ebenso hart kritisiert.

Es ist, als hätte der Verfasser der Dissertation vorausgeahnt, was dem späteren Romanautor immer wieder an den Kopf geworfen wurde: seine realistische Einstellung zu den Dingen, seine Hinwendung zu den Nöten der Menschen, seine Ironie, und immer muß was passieren – nein, so richtige schöne Dichtung kann man das nicht nennen. Schreibt der junge Mann doch: Wo liegt die Scheidelinie zwischen Bewußtem und Unbewußtem im Schaffen des Dichters? Wo hört der Trieb auf, und wo beginnt die Absicht, die Berechnung? Hört der Dichter in dem Augenblick, wo er bewußt arbeitet, auf, Dichter zu sein? Ist der wahre Dichter nur die unbewußte, prophetische Stimme eines Dämons? Ist das poetische Bild der einzige Zweck der Dichtung? Das heißt: Ist Dichtung um ihrer selbst willen da? L’art pour l’art? Hat die Dichtung das Recht, in Zeiten wie denen, da Heine lebte, sich in den Elfenbeinturm zurückzuziehen, schöne poetische Bilder zu produzieren, die das Leben vielleicht vergnüglicher, aber auch sonst nichts machen?

Und als Beleg zitiert er Heine selbst, der da sagt: »Ach, wenn man bedächte, wie die Strategie eines Autors, der für die Sache der europäischen Freiheit kämpft, wunderlich verwickelt ist, wie seine Taktik allen möglichen Veränderungen unterworfen, wie er heute etwas als äußerst wichtig verfechten muß, was ihm morgen ganz gleichgültig sein kann, wie er heute diesen Punkt, morgen einen andern zu beschützen oder anzugreifen hat, je nachdem es die Stellung der Gegenpartei, die wechselnden Allianzen, die Siege oder Niederlagen des Tages erfordern!«

Strategie, Taktik, Allianzen, Siege, Niederlagen – welche Terminologie für die Arbeit eines Dichters! Und so hat der junge Student auch, am Beispiel Heines, schon 1936 den gebleuten Rücken vorausgesehen, den der dem biblischen Alter Zustrebende noch 1983 mit sich herumtragen wird. Heine, schreibt er, war in der tragischen Situation eines intellektuellen Revolutionärs ohne Bewegung, die ihn tragen könnte. Und darum bekommt er die Schläge von rechts und von gemäßigt links – nicht, weil er in der Mitte zwischen beiden, sondern weil er vor ihnen steht, beiden Parteiungen voraus ist.

Die Konflikte der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in die Heine notwendig hineingeriet, sind nicht die gleichen wie die der dreißiger Jahre des unsrigen, mit denen der junge Emigrant in Chicago sich auseinanderzusetzen hatte, oder gar wie die der Gegenwart, von denen wir samt und sonders gebeutelt werden. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Wohl aber wiederholen sich Konstellationen und Charaktere, sonst wären ja weder Drama noch Roman möglich, welche die Identifizierung von Leser oder Zuschauer mit den Gestalten des Kunstwerks verlangen, den handelnden wie den reflektierenden, und Verständnis für die Situationen erfordern, in welche diese hineingeraten.

Hier, glaube ich, liegt der Grund dafür, daß Heinrich Heine dem gereiften Romancier in Ostberlin noch ebenso nahe ist wie einst dem Kandidaten für die Magisterwürde an der Universität Chicago; und wenn der Empfänger dieser Schrift durch sie zu einem ähnlichen Gefühl für den Dichter käme, so wäre das ein schöner Lohn für beide, den jungen wie den alten Mann.

S.H.

Einleitung

Atta Troll, Versuch einer Analyse ist ein Teil einer geplanten Arbeit Heine als Journalist In dieser Arbeit soll aufgezeigt werden, wie der journalistische Beruf den Dichter und sein Schaffen beeinflußte und in bestimmte Bahnen lenkte.

Im Rahmen der Gesamtarbeit mußte ein bestimmtes Werk herausgegriffen werden, um an dem Werk beispielhaft zu zeigen, wie selbst die »dichterische« Produktion Heines durch seinen Beruf beeinflußt oder, wenn man so will, beeinträchtigt wurde. Daß gerade Atta Troll als Demonstrationsobjekt gewählt wurde, hat noch einen besonderen Grund: Bei den Vorstudien ist es mir aufgefallen, daß die Meinungen der Kritiker und Literarhistoriker gerade über Atta Troll recht geteilt sind. Atta Troll, kann man mit einigem Recht sagen, hat noch heute keinen festen Platz in der Geschichte des Heineschen Schaffens gefunden. Wenn es also unternommen wird, das kleine Epos zu analysieren – und damit Heine zu analysieren –, kann vielleicht eine nützliche und notwendige Aufgabe gelöst werden, die ursprünglich etwas außerhalb der eigentlichen Problemstellung lag.

Das Problem des journalistischen Einflusses auf Heines Schaffen liegt in folgendem: Es gibt zweierlei Einflüsse, einen direkten und einen indirekten. An Beispielen sei die Unterscheidung kurz klargemacht. Heine ist, als Journalist, natürlich gezwungen, auf Termin zu arbeiten. Er muß also unter Umständen darauf verzichten, ein Werk ausreifen zu lassen, nur um es rechtzeitig der Druckerei senden zu können. Hier liegt ein ganz direkter Einfluß vor.

Wichtiger aber als der einigermaßen äußerlich wirkende direkte Einfluß ist der indirekte. Als Journalist ist Heine gezwungen, aus der Dichterklause herauszugehen und sich intensiv um das äußere Geschehen in seiner Umwelt zu bekümmern. Das hat nicht nur zur Folge, daß große Teile seiner Produktion sich direkt mit dem Geschehen seiner Zeit befassen, sondern daß die ganze dichterische Persönlichkeit Heines von seinem journalistischen Beruf her umgeformt wird. Diese Umformung, selbstverständlich, kommt wieder in den Werken, und selbst an Stellen, die sich nicht mit der Umwelt befassen, zum Ausdruck. Stil und die Art zu sehen, Ausdrucksform und der dichterische Verarbeitungsprozeß müssen bei einem Dichter-Journalisten anders sein als etwa bei einem Dichter-Arzt, Dichter-Professor oder Dichter-Minister.

I. Kapitel

Journalistische Fesseln

Atta Troll wurde zuerst in der Zeitung für die Elegante Welt veröffentlicht (in Nr. 1–10 des Jahrgangs 1843), deren Redaktion Heines Freund Laube1 neu übernommen hatte. Da die Zeitung in Deutschland erschien, unter Zensur, und da die »Elegante«, wie sie von Heine kurz genannt wird, auf ihren schon im Titel angedeuteten Leserkreis Rücksicht nehmen mußte, war auch der Dichter gezwungen, sich anzupassen. Heine betont diese Zwangsumstände besonders in der Vorrede zu der. späteren Buchausgabe.

Inhalt und Zuschnitt des Gedichts mußten den zahmen Bedürfnissen jener Zeitschrift entsprechen; ich schrieb vorläufig nur die Kapitel, die gedruckt werden konnten, und auch diese erlitten manche Variante.2

Heine gibt in der Vorrede nicht die genaue Geschichte der Publizierung des Atta Troll. Das Epos sollte nämlich zuerst im Stuttgarter Morgenblatt erscheinen, dessen Verleger der Baron Cotta war. Und wenn Heine in der »Eleganten« schon sehr vorsichtig war, so galt das noch mehr fürs Morgenblatt. Heine schreibt an Laube:

Es sind etwa 400 vierzeilige Strophen in zwanzig Abteilungen, in dem ich auf das »Morgenblatt« Rücksicht nahm, für das ich die Arbeit bestimmte.3

Den Entschluß, den Atta Troll in der »Eleganten« erscheinen zu lassen, faßte Heine gegen Ende Oktober oder Anfang November 1842, denn noch am 17. Oktober bietet er das Gedicht in dem folgenden Brief Cotta an.

Ich habe vor einiger Zeit durch Dingelstedt Ihnen andeuten lassen, daß ich ein kleines humoristisches Epos gedichtet, das … auch wegen des Inhalts (es ist nämlich das absichtliche Gegenteil von aller Tendenzpoesie) sehr geeignet wäre für den Abdruck im »Morgenblatte«. Es bedarf nur noch der letzten Feile, und ich könnte es schon im nächsten Monat einsenden; aber ich möchte vorher durch ein Wort von Ihnen beruhigt werden. daß es nicht durch die Hände des Herrn Pfizer4 geht, der, wie man mir sagt, den metrischen Teil des »Morgenblattes« redigiert …5

Heine selbst motiviert seinen plötzlichen Entschluß damit, daß er Laube einen Gefallen tun und ihn bei der Neuübernahme der Zeitschrift möglichst unterstützen wolle:

Wie gesagt, ich werde die »Elegante«, so viel es mir nur irgend möglich, unterstützen. Ich hoffe, in dieser Beziehung mehr zu leisten, als ich heute verspreche. Der Zufall will es, daß ich bereits etwas Außerordentliches tun kann, wodurch den Blättern des ersten Monats sogleich ein sehr großer Schwung gegeben werden dürfte. Ich habe nämlich ein kleines humoristisches Epos geschrieben, das großen Lärm machen wird.6

Aus den geschäftstüchtigen Zeilen dieses Briefes geht hervor, ein wie erfahrener Journalist Heine ist. Er weiß, wie man einer Zeitschrift »einen großen Schwung« geben kann. Er weiß aber auch, was seine Arbeit und sein Name wert sind; Atta Troll wird für die »Elegante« eine »ganz kolossale Annonce« sein – und er verlangt vom Verlag der Zeitung für die Elegante Welt das gleiche Honorar, das er von Cotta bekommen sollte. Trotzdem darf man den Freundschaftsdienst, den er Laube tat, nicht zu gering einschätzen. Heine betont zwar selbst dem Freund Laube gegenüber, welches Opfer er bringe – aber auch objektiv betrachtet: Cotta war ein mächtiger Verleger, und für Heine als Pariser Korrespondenten der Augsburger Allgemeinen Zeitung konnte es unangenehme Konsequenzen haben, seinen Verleger zu verärgern.7

Die Rücksichtnahme auf die Leserschaft des Morgenblattes und der »Eleganten«, sowie die Rücksichtnahme auf die Zensur8 waren nicht die einzigen Hemmnisse, die die Arbeit am Atta Troll ganz wesentlich in ihrer Ausgestaltung beeinflußten.

Arbeit für Zeitungen und Zeitschriften bedeutet Arbeit auf Termin. Manches hat da keine Zeit auszureifen und vollendet zu werden – das Blatt muß in Druck! So begnügt man sich, notgedrungen, mit Scheinlösungen, mit provisorischen Verbindungen zwischen den einzelnen Abteilungen und verläßt sich darauf, daß man später die Sache einmal abrunden wird. Sogar während ein Teil des Gedichts schon in der Redaktion ist, ändert Heine noch.

Heute schicke ich Ihnen das Manuskript, das meinem Gedicht zwischen dem 17. und 18. Kapitel zu intercalieren ist. Ein Teil des früheren 18. Kapitels wird hier, wie Sie dem Setzer genau begreiflich machen werden, wegfallen. Ich habe zu dieser Umänderung meine Zuflucht genommen, da ich leider eine Partie meines Gedichtes, die der artistischen Rundung wegen ganz wesentlich, jetzt nicht machen kann und Ihnen doch ein notdürftig gerundetes Ganze geben wollte. Der Knoten des Ganzen fehlt – das Publikum wird es aber nicht bemerken. Dieses sieht immer nur auf Einzelheiten. Wie richtig sagt Goethe:

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!9

Hier ist Heine ganz Journalist. Er kennt die Pflichten des Journalisten und erfüllt sie, selbst wenn er weiß, daß das Werk darunter leiden wird. Kann man Heine daraus einen Vorwurf machen? Er, der sonst so gewissenhaft war und in seinen Gedichten feilte und wieder feilte, war im Falle Atta Troll, als es zur Veröffentlichung kam, Journalist. Laube hat dem Dichter Vorwürfe gemacht. Heine antwortet ihm und verteidigt sich:

… Sie haben gut reden, der Zusammenhang im Gedicht, das Zerstückte, ist eine Folge der ursprünglichen Beschränkung: hätte ich nicht von vornherein die Absicht gehabt, das Gedicht in einem zahmen Journal abdrucken zu lassen, wäre die Persiflage der Zeitideen prägnanter hervorgetreten. Jetzt fühle ich das Bedürfnis, diesem Mangel in einem späteren Buchdruck abzuhelfen, und da bietet sich mir für fast 200 Strophen der köstlichste Stoff. Wie weit ich diesen Vorrat nachträglich bearbeite und überhaupt den »Atta Troll« durch interessante Zutaten als Buch von honettem Volumen erscheinen lasse, kann ich Ihnen erst später sagen … Wenn das Ganze so fertig wird, wie es in meinem Geiste steht, sollen Sie nicht über Ründung und Mittelpunkt zu klagen haben.10

Leider ist der Atta Troll nie so fertig geworden, wie er in Heines Geiste stand. Er ist Bruchstück geblieben, und auch die Buchausgabe hat die versprochenen zweihundert neuen Strophen nicht gebracht.

1 Heinrich Laube (1806–84) wurde 1834 wegen Teilnahme an der burschenschaftlichen Bewegung verhaftet, und zwar in Leipzig. Er wurde an Preußen ausgeliefert und saß neun Monate im Hausvogteigefängnis in Berlin. 1835 wurden seine Schriften samt denen der anderen Jungdeutschen in Bann getan; er selbst mußte eine weitere einjährige Gefängnisstrafe abbüßen, da er in seiner Geschichte Polens gewagt hatte, den Zaren anzugreifen. 1848 war er Mitglied des linken Zentrums der Frankfurter Nationalversammlung, legte aber im nächsten Jahr sein Mandat nieder, da er in der Kaiserfrage nicht mit seiner Wählerschaft übereinstimmte. Er wurde artistischer Direktor des Wiener Hofburg-Theaters. 1867 übernahm er die Leitung des Leipziger Stadttheaters. Im Jahre 1872 gründete er das Wiener Stadttheater und übernahm dessen Intendanz.

2 Vorrede zum Atta Troll. Heinrich Heine, Gesammelte Werke, hg. von Gustav Karpeles (3. Auflage; Berlin, 1909), II, 105. –Ein Beispiel für die erwähnten »Varianten« sei hier gebracht. Heine ändert für den Druck in der Zeitung für die Elegante Welt die Stelle

Spielte dort ein unzweideutges

Liebesspiel mit einer Bärin

um in

Spielte dort ein überzartes

Liebesspiel mit einer Bärin

(Vergl. Werke, II, 178, und den Brief vom 19. XII. 1842 an Heinrich Laube in Werke, IX, 196.)

3 Brief von Paris, den 7. XI. 1842. Werke, IX, 191.

4 Diese Besorgnis ist sehr verständlich, wenn man die gegen Pfizer, einen Dichter der »Schwabenschule«, gerichteten Angriffe im Atta Troll bedenkt. Über den Konflikt mit Pfizer siehe das Kapitel »Persönliche Angriffe im Atta Troll«.

5 Brief an Cotta vom 17. X. 1842. Werke, 189 f.

6 Brief an Laube vom 7. XI. 1842. Werke,IX, 191.

7 Die darauf bezügliche Briefstelle lautet: Leider –und das macht mich sehr verdrießlich – habe ich bereits mit Cotta darüber referiert, hab’s ihm versprochen, und er hat mir viel Freundliches geantwortet. Nichtsdestoweniger entschließe ich mich, diese Arbeit in der »Eleganten« drucken zu lassen, und Sie haben keinen Begriff davon, welche wichtigen Interessen ich hier sakrifiziere. Wichtige Interessen in pekuniärer Beziehung, da ich Cotta gern mir gewogen erhalte … (Aus dem Brief an Laube vom 7. XI. 1842. Werke, IX, 191).

8 Heine hatte besonders mit Cotta unangenehme Zensurerfahrungen gemacht. Gerade um die Zeit der Abfassung des Atta Troll, nämlich in den Jahren 1840 bis 1843, schrieb Heine für die Augsburger Allgemeine Zeitung jene berühmte Artikelserie, die später unter dem Namen Lutetia als Buch veröffentlicht wurde. Die Schärfe seiner Artikel veranlaßte Gentz, Metternichs rechte Hand, persönlich an den Baron von Cotta zu schreiben. In diesen Brief versteigert sich Gentz so weit, Heine einen »verruchten Abenteurer« zu nennen. Cotta stellte daraufhin die Veröffentlichung von Heines Artikeln in der Augsburger Allgemeinen Zeitung ein.

9 Brief an Laube vom 19. XII. 1842. Werke,IX, 195. – Heine zitiert Faust, »Vorspiel auf dem Theater«, Vers 99.

10 Brief an Laube vom 11. II. 1843. Werke,IX, 199.

II. Kapitel

Vom Journal zum Verleger

Die Buchausgabe erschien im Jahre 1847. Der Atta Troll hatte seine Aktualität in den vier Jahren seit der Erstveröffentlichung in der Zeitung für die Elegante Welt nicht verloren. Das nächste Jahr, das Jahr der mißglückten Revolution von 1848, sollte die Berechtigung von Heines kritischem Skeptizismus so vielen »Zeitideen« gegenüber beweisen.

Aber Atta Troll behielt auch seine alten Schwächen, er blieb auch in der Buchausgabe ein Bruchstück, uneinheitlich, voll von Gedankensprüngen. In der Vorrede zum Atta Troll schreibt Heine:

Ich hegte die Absicht, in späterer Vervollständigung das Ganze herauszugeben, aber es blieb immer bei dem lobenswerten Vorsatze, und wie allen großen Werken der Deutschen, wie dem Kölner Dome, dem Schellingschen Gotte, der preußischen Konstitution etc., ging es auch dem Atta Troll – er ward nicht fertig. In solcher unfertigen Gestalt, leidlich aufgestutzt und nur äußerlich geründet, übergebe ich ihn heute dem Publico, einem Drange gehorchend, der wahrlich nicht von innen kommt.11

Der »Drang, der wahrlich nicht von innen« kam, waren vertragsmäßige Verpflichtungen, die Heine seinem Verleger Campe gegenüber hatte. Der Verleger drängte den Dichter, das Manuskript zu liefern – die Änderungen, die Heine vornahm, waren daher nur oberflächlich. Im November 1846 schreibt Heine an Campe:

In Bezug auf den »Atta Troll« melde ich Ihnen nur, daß ich, obgleich Sie damit füglich warten konnten, dennoch jeder Verpflichtung gegen Sie mich sobald als möglich zu entledigen suchte und damit eilte, das Gedicht für den Druck bereit zu machen; es ging aber weniger schnell, als ich glaubte, ich mußte vieles umändern, mehrere neue Stücke hineindichten, und in diesem Augenblick hat es mein Abschreiber, so daß ich nach erneuter Durchsicht das Gedicht selbst in acht Tagen zuschicken kann, damit Sie es unverzüglich in Druck geben.12

Viel größere Änderungen, als die der Dichter tatsächlich vornahm, waren geplant gewesen.13 In einem Brief vom Dezember 1844 schon, nach einer unerquicklichen Auseinandersetzung mit Campe, finanzielle Regelungen und die Lieferung des Atta Troll