Auf den Flügeln der Hoffnung: Drei Romane in einem eBook - Tania Schlie auch bekannt als SPIEGEL-Bestseller-Autorin Caroline Bernard - E-Book
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Auf den Flügeln der Hoffnung: Drei Romane in einem eBook E-Book

Tania Schlie auch bekannt als SPIEGEL-Bestseller-Autorin Caroline Bernard

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Beschreibung

Mutige Frauen geben niemals auf! Der Sammelband »Auf den Flügeln der Hoffnung« von Tania Schlie alias Caroline Bernhard jetzt als eBook bei dotbooks. Drei Zeiten, drei Lebenswege und drei Frauen, die für ihr Glück kämpfen … Sie ist nicht bereit, sich in ihr Schicksal zu fügen: Als Paula mit ihrer Familie im Jahre 1893 nach Amerika auswandern will, verwehrt man ihr als einziger die Einreise. Von nun an ist sie ganz auf sich allein gestellt – und fühlt, wie der Kampfgeist in ihr erwacht … Elsa führt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Tochter eines reichen Unternehmers ein behütetes Leben – bis zu dem Tag, als er seine Familie verlässt. Ein Skandal! Doch gegen alle Widerstände beginnt Elsa, sich ihren Platz im Leben zu erkämpfen … Hamburg in den 50er Jahren: Elisabeth soll heiraten, einen Haushalt führen – und niemals Widerworte geben. Aber sie ist nicht bereit, sich in diese Rolle zu fügen … und beginnt voller Zuversicht, eigene Wege zu gehen! Jetzt als eBook kaufen und genießen – der Sammelband »Auf den Flügeln der Hoffnung« vereint die erfolgreichen Frauenschicksal-Romane »Zwischen uns der Ozean«, »Elsas Erbe« und »Die Jahre ohne dich« von Tania Schlie, auch bekannt als Greta Hansen und Bestsellerautorin Caroline Bernhard. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1618

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Über dieses Buch:

Drei Zeiten, drei Lebenswege und drei Frauen, die für ihr Glück kämpfen … Sie ist nicht bereit, sich in ihr Schicksal zu fügen: Als Paula mit ihrer Familie im Jahre 1893 nach Amerika auswandern will, verwehrt man ihr als einziger die Einreise. Von nun an ist sie ganz auf sich allein gestellt – und fühlt, wie der Kampfgeist in ihr erwacht … Elsa führt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Tochter eines reichen Unternehmers ein behütetes Leben – bis zu dem Tag, als er seine Familie verlässt. Ein Skandal! Doch gegen alle Widerstände beginnt Elsa, sich ihren Platz im Leben zu erkämpfen … Hamburg in den 50er Jahren: Elisabeth soll heiraten, einen Haushalt führen – und niemals Widerworte geben. Aber sie ist nicht bereit, sich in diese Rolle zu fügen … und beginnt voller Zuversicht, eigene Wege zu gehen!

Über die Autorin:

Tania Schlie, geboren 1961, studierte Literaturwissenschaften und Politik in Hamburg und Paris. Bevor sie anfing zu schreiben, war sie Lektorin in einem großen Verlag. Heute lebt sie als erfolgreiche Autorin in der Nähe von Hamburg.

Bei dotbooks veröffentlicht Tania Schlie, die auch unter den Namen Greta Hansen und Caroline Bernard erfolgreich ist, bereits die Romane »Der Duft von Rosmarin und Schokolade«, »Der Duft von Sommerregen«, »Die Spur des Medaillons«, »Eine Liebe in der Provence«, »Ein Sommer in Bonneville« und »Die Liebe der Mademoiselle Godard«.

***

Sammelband-Originalausgabe Juni 2020

Die Romane »Zwischen uns der Ozean« und »Die Jahre ohne dich« erschienen im Piper-Verlag ursprünglich unter dem Autorenpseudonym Greta Hansen.

Copyright © der Originalausgabe »Zwischen uns der Ozean« 2011 Piper Verlag GmbH, München; Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Elsas Erbe« 2004 Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München 2004 / Ullstein Verlag; Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Die Jahre ohne dich« 2015 Piper Verlag GmbH, München; Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Jay Yuan, Anton Batman, Schankz und AdobeStock/galinka_zhi

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-072-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Tania Schlie

Auf den Flügeln der Hoffnung

Drei Romane in einem eBook

dotbooks.

Zwischen uns der Ozean

Dieser eine Moment, wenn alle Träume zum Greifen nahe sind – und dir jede Hoffnung genommen wird … Gemeinsam mit ihrer Familie kommt Paula Klausner im Jahre 1893 nach Amerika. Nun soll es beginnen, das neue, bessere Leben! Doch dann wird der jungen Frau die Einreise verwehrt; brutal und mutterseelenallein schafft man sie auf ein Schiff nach Hamburg. Paula ist am Boden zerstört … und trotzdem nicht bereit, sich in der alten Heimat in ihr Schicksal zu fügen. Es gelingt ihr, eine gute Anstellung zu finden - und mit Julian Frenzen, dem charmanten Mitarbeiter der großen Hapag-Reederei, einen Freund, der ihr dabei helfen könnte, ihre Eltern wiederzusehen. Tatsächlich finden die beiden eine Spur, die nach New York führt. Aber ist Paula bereit, dafür in Hamburg alles aufzugeben, was sie inzwischen ins Herz geschlossen hat?

... all die Menschen aus ganz Europa, die hier gelandet sind und denen das Herz bis zum Hals geklopft hat, weil sie Angst hatten, man könnte Krankheiten bei ihnen feststellen und sie zurückschicken, und wenn man daran denkt, kommt ein großes Stöhnen von Ellis Island her übers Wasser ...

Frank McCourt, »Ein rundherum tolles Land«

Kapitel 1

NEW YORK, 11. OKTOBER 1893

An der Backbordseite schob sich die Freiheitsstatue langsam aus dem Dunst. Sie wurde von den Wartenden begrüßt, als sei sie eine alte Bekannte, die sie lange nicht gesehen hatten.

»Da ist sie! Da, direkt vor uns! Lady Liberty! Seht doch! Wir sind da! Wir sind in Amerika!«

Die Rufe ertönten gleichzeitig in einem Dutzend Sprachen, wurden in den verschiedensten Dialekten weitergegeben und setzten sich in einer anschwellenden Woge bis unter Deck fort. Die Passagiere der »Fürst Bismarck«, die dort noch in den dunklen Sälen ausharrten, horchten auf und drängten durch die schmalen Luken ins Freie. Jeder wollte das Symbol der neuen Freiheit mit eigenen Augen sehen, sich vergewissern, dass die Strapazen, die Enge, die Streitereien, das eintönige Essen und die Seekrankheit der letzten Tage wirklich überstanden waren. Die Mutlosen, die sich nach der alten Heimat sehnten und Angst vor der unbekannten Zukunft hatten, schöpften neue Zuversicht. Die Seekranken kamen in den ruhigen Gewässern des Hudson River wieder zu Kräften, die Gottesfürchtigen und die Dankbaren beteten. Männer warfen unter Hurrarufen ihre Hüte in die Luft, Mütter hoben ihre Kinder in die Höhe, damit sie die goldene Zukunft sehen konnten.

Paula Klausner war schon seit dem Morgengrauen auf dem Achterdeck, weil sie nicht hatte schlafen können, und hatte die Freiheitsstatue als eine der Ersten entdeckt. Sie legte den Kopf in den Nacken, bis ihr schwindlig wurde, und lehnte sich leicht an die Leiber der vielen Menschen um sie herum. Sie rochen nach Armut und Schmutz, nach den Kleidern, die sie seit Tagen und Wochen am Leib trugen, aber diesmal störte es Paula nicht. Sie war gefesselt vom Anblick der grünen Frau, die hoch über ihr, auf einem mächtigen Sockel stehend, in den Himmel ragte. An den langen Abenden während der Überfahrt hatte sich immer jemand gefunden, der von der Freiheitsstatue sprach, die Geschichte ihrer Reise über das Meer von Frankreich nach Amerika und ihre Bedeutung für die Einwanderer beschwor, und es hatte ihre Herzen bewegt und ihnen Hoffnung gegeben. Paulas Augen wanderten weiter nach oben, über den Faltenwurf bis zur Kupfertafel mit dem Datum der Unabhängigkeitserklärung Amerikas, die die Figur im linken Arm hielt. Der Kopf und der erhobene Arm mit der Fackel waren jedoch in den tief liegenden Wolken des ungemütlichen Herbsttages verschwunden. Die Freiheitsstatue sah aus wie der untere Teil einer zersägten Jungfrau.

»Jetzt mach doch schon!« rief Paula und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Dabei trat sie dem neben ihr stehenden Mann auf die Zehen.

»Nun mal nicht so stürmisch, Kleine«, sagte er mit einem empörten Blick.

Paula tat, als höre sie ihn nicht. Seit Wochen hatte sie davon geträumt, endlich diese Statue zu sehen, nun fuhr sie direkt auf sie zu, und der dumme Nebel versteckte sie vor ihr! Vor lauter Aufregung presste sie die Hände auf den Mund und biss sich auf die Fingerknöchel. Sie holte tief Luft und hielt den Atem an, als wollte sie mit dem nächsten Ausatmen den Nebel wegpusten.

Sie hörte, wie jemand ihren Namen rief, und entdeckte in dem Gewirr von Menschen, Gepäckstücken, Schornsteinen und Aufbauten ihren Vater, der seinen Kopf aus der Luke steckte, die unter Deck führte. Er war groß und überragte die meisten anderen Männer. Obwohl es noch früh am Morgen war, hatte er sein Haar bereits sorgfältig gescheitelt und pomadisiert. Der Schnauzbart war akkurat in Form gebracht. Für ihn war dies ein ganz besonderer Tag. Nach ihm drängten die Mutter und die beiden jüngeren Schwestern ins Freie. Ihr Vater winkte mit lang ausgestrecktem Arm zu ihr herüber und setzte die Ellenbogen ein, um sich einen Weg zu ihr zu bahnen.

»Na also!«, rief er, als er bei Paula ankam, und es hörte sich an, als habe er das Schiff eigenhändig von Hamburg nach New York gefahren. Er wandte sich nach seiner Frau um, und sein Blick verriet seine Verwirrung, als er bemerkte, dass sie in der Menschenmenge gefangen war. Er machte ein paar Schritte in ihre Richtung, bis er ihre Hand ergreifen konnte. Mit einem energischen Ruck zog er sie zu sich heran und legte den Arm um sie.

»Ich habe es euch doch gesagt! Jetzt wird alles gut.« Er strahlte seine Frau an, die allerdings abgelenkt war und nur mit einem flüchtigen Lächeln reagierte. Sophie-Luise hielt Ausschau nach Dorothea und Anna und war erst beruhigt, als sie dicht neben ihr standen.

Paula fiel ein Stein vom Herzen, als sie in das erwartungsfrohe Gesicht ihres Vaters blickte. Die letzten Tage während der Überfahrt im Zwischendeck hatten seinem Selbstwertgefühl schwer zugesetzt, doch in diesem Augenblick strahlte er wieder Zuversicht und Stärke aus. Er beschattete die Augen mit der Hand, um besser in den Himmel sehen zu können, obwohl die Sonne gar nicht schien. Mit der anderen zeigte er Dorothea und Anna die Freiheitsstatue, und die beiden sahen ebenfalls nach oben. Sophie-Luise atmete hörbar ein und aus. Sie fürchtete sich vor der unbekannten Zukunft, die in Amerika auf sie wartete, und ihre einzige Sorge bestand darin, ihre Familie zusammenzuhalten.

Anna, mit elf Jahren das Nesthäkchen der Familie, machte sich hingegen keine Vorstellung über die Endgültigkeit dieser Ankunft. Für sie war das Ganze ein Abenteuer. »Wann fahren wir wieder nach Hause?«, flüsterte sie an Paulas Ohr. Die zwinkerte ihr zu. Hoffentlich niemals, dachte sie. Ich bin froh, endlich in Amerika angekommen zu sein. Ich will auf keinen Fall zurück nach Hamburg. Aber sie hatte auch Gründe dafür, von denen Anna nichts zu wissen brauchte.

Heinrich Klausner zog eine seiner nur noch selten gerauchten Zigarren aus dem Etui. Zur Feier des Tages, sagte er. Die Art, wie er das Streichholz leicht schräg hielt, damit es nicht wieder ausging, erinnerte Paula unwillkürlich an Julian, der es ebenso gemacht hatte, was er natürlich seinem Vater abgeschaut hatte.

Julian war Paulas Zwillingsbruder, er war vor einem Jahr während der großen Choleraepidemie in Hamburg gestorben, und der Schmerz über seinen schrecklichen Tod war einer der Gründe, warum die Familie einen Neuanfang in Amerika wagte.

Paula seufzte tief. Sie war Julian wohl am nächsten gewesen, sie hatte seine Träume am besten gekannt. Wie gern wäre er jetzt hier gewesen. Er, der immer von Abenteuern und Expeditionen geträumt hatte! In den Stunden der Schlaflosigkeit der letzten Nächte hatte Paula die Gewissheit gewonnen, dass der Platz auf dem Schiff eigentlich Julian gehört hätte. Sie hatte sich geschworen, Julians Traum an seiner Stelle wahr werden zu lassen.

Der Nebel begann sich zögerlich aufzulösen und in Fetzen in die Höhe zu steigen. Da! Ein Aufschrei ging durch die Menge, als der Strahlenkranz von Lady Liberty sichtbar wurde. Viele reckten den Arm und wiesen in ihre Richtung, sodass sie beinahe aussahen wie kleine Freiheitsstatuen, als schließlich die vergoldete Fackel erschien. Ein verirrter Sonnenstrahl traf sie und ließ sie aufblitzen. Als das Schiff auf Höhe der Statue war, hatte der Wind die letzten Nebelfetzen fortgeweht, und sie glitten an der grün glänzenden Verheißung vorüber. Die Passagiere drehten sich in ihre Richtung, um sie nicht aus den Augen zu verlieren, und immer noch strömten weitere Schaulustige aus den Tiefen des Schiffs.

Der erste Offizier erschien auf dem Oberdeck und stellte sich an die Reling. Er hatte bereits seine Ausgehuniform angelegt, und die blank polierten goldenen Knöpfe glänzten, als seien sie Schmuckstücke. Er legte die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief den Passagieren zu, doch nicht alle auf der Backbordseite zu stehen, weil das Schiff schon Schlagseite bekomme. Niemand hörte auf ihn, und er murmelte ein »Ach, was soll's«, und begab sich wieder zurück auf die Brücke.

Tuckernd und qualmend näherte sich ein kleines Beiboot dem Schiff und machte fest. Unruhige Blicke folgten dem Arzt und den grimmig dreinschauenden Einwanderungsbeamten, die über die Jakobsleiter an Bord kamen. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Menge der Zwischendeckpassagiere und gingen ganz dicht an Paula vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Leichtfüßig stiegen sie die Treppe hinauf zum Deck der zweiten Klasse.

Zwei holländische Jungen aus dem Zwischendeck verfolgten sie heimlich und postierten sich vor einem geöffneten Bullauge auf dem Oberdeck, obwohl das Betreten für die billiger reisenden Passagiere strengstens verboten war. Sie berichteten nach unten, was sich dort abspielte.

»Alle haben sich im Salon versammelt und müssen ihre Papiere zeigen«, rief einer der beiden zu den Wartenden hinunter.

Im Salon wurden die Passagiere nach eventuellen gesundheitlichen Beschwerden befragt, ein nachlässiger Blick in die Gesichter, und die Untersuchung war vorüber. Eine bucklige kleine Polin erregte die Aufmerksamkeit des Arztes. Auf seine Nachfrage hin sagte sie in stark gebrochenem Englisch, sie sei vor zwei Jahren wegen ihrer Behinderung abgewiesen worden, jetzt aber habe ihr Mann ihr das Geld für die Passage geschickt. Er und die Kinder erwarteten sie am Pier. Der Arzt zuckte mit den Schultern und winkte sie durch. Wer die Überfahrt zweiter Klasse bezahlen konnte, der würde der amerikanischen Fürsorge nicht zur Last fallen. Die Einwanderungsbeamten verglichen die Namen der Reisenden mit den Eintragungen im Schiffsmanifest, und nach einer halben Stunde war alles vorbei.

Inzwischen fuhr das Schiff den Hudson River hinauf, um am Pier in der 44. Straße festzumachen. Als das Schiff die Südspitze von Manhattan erreichte, boxte sich Paula unnachgiebig durch die Menge nach vorne, bis sie sich einen Platz an der Reling erobert hatte. Anna zog sie an der Hand hinter sich her. Direkt vor ihnen lag die atemberaubende Kulisse der Stadt.

»Sieh nur, Anna, sieh nur, wie hoch die Häuser sind! Einige verschwinden sogar in den Wolken.«

»Es sieht aus, als würden die Straßen senkrecht verlaufen«, gab ihre Schwester zurück.

Sie konnten einzelne Gebäude ausmachen, Simse, begrünte Balkone und Fahnenstangen. Der Süden der Stadt war dicht bebaut, doch je weiter sie den Hudson hinauffuhren, desto häufiger entdeckten sie brachliegende Flächen. Aber auch in den meisten Lücken entstanden bereits Gebäude. Wie Skelette ragten die Stahlkonstruktionen der neuen Hochhäuser empor, und sie waren noch höher als im älteren Teil der Stadt. Paula versuchte die Stockwerke zu zählen, aber sobald sie bei zehn ankam, geriet sie durcheinander und musste von vorne beginnen. Auf den Baustellen, die im Himmel angesiedelt zu sein schienen, turnten Arbeiter auf schmalen Stahlträgern herum.

Am Fuß der Häuser verliefen die schnurgeraden Straßenschluchten, die die Insel Manhattan von West nach Ost zerschnitten. Immer wenn das Schiff einen Häuserblock hinter sich gelassen hatte, konnten sie in eine weitere Straße blicken.

Mit einem überraschend sanften Stoß legte der riesige Dampfer schließlich an. Unten am Pier wieselten sofort Männer mit armdicken Tauen umher, um das Schiff festzumachen. Rasch wurde eine Gangway angelegt, und die Reisenden der ersten und zweiten Klasse verließen das Schiff.

Direkt neben ihnen knatterten die haushohen Segel eines Schiffs der White Star-Linie, das aus Neapel kam. Während die Matrosen die Segel einbrachten, krochen aus einer Luke, die unter Deck führte, völlig erschöpfte Menschen mit leeren Gesichtern, die sich kaum auf den Beinen halten konnten. Paula wandte verlegen den Blick ab. Gott sei Dank sind wir mit einem Schnelldampfer gefahren, dachte sie. Wenn ich mir vorstelle, wir hätten die Passage auf einem der langsamen Segler gebucht! Länger als die letzten zehn Tage hätte ich es im Zwischendeck nicht ausgehalten. Ganz zu schweigen von Mama und Dorothea. Sie wollte nicht, dass Anna die elenden Gestalten sah, und wies mit dem Finger zur Gangway der »Fürst Bismarck«. Dort ging gerade die bucklige Polin mit schnellen Schritten an Land, trotz der Last von zwei großen Wäscheballen, die sie auf dem Rücken trug. Hinter einer Absperrung standen ein Mann und vier Kinder, die durch wildes Winken auf sich aufmerksam machten und versuchten, sich zu ihr durchzudrängeln. Die Frau hatte sie soeben auch entdeckt, ließ ihr Gepäck fallen, um zu ihnen zu laufen, und verschwand in den Armen ihrer Familie, die sie seit zwei Jahren nicht gesehen hatte.

An den Piers herrschte ein völlig chaotisches Durcheinander. Die »Fürst Bismarck« war nicht das einzige Schiff, das an diesem Tag anlegte. Täglich kamen bis zu fünftausend neue Einwanderer aus Europa hier an, und allein die Hamburg-Amerika-Linie schickte jeden Monat zehn Schiffe von Hamburg nach New York. Einige, wie die »Fürst Bismarck«, fuhren die Strecke sogar zweimal im Monat. An jedem Pier, auch auf der gegenüberliegenden Seite des Hudson-River, in Hoboken und Jersey, lagen Schiffe. Die meisten waren riesige Doppelschrauben-Schnelldampfer der neuen Generation mit drei oder vier mächtigen Schornsteinen, aus denen es qualmte und rauchte, aber es gab auch immer noch eine Menge Segelschiffe, die schlank und schön, aber eben viel langsamer die Ozeane kreuzten. Ungezählte Schlepper, Fähren, Fischer- und Ausflugsboote kamen dazu. Auf dem Wasser und an Land herrschte ein unglaublicher Lärm durch das dumpfe Tuten und Pfeifen, das Dröhnen von schweren Hämmern auf Metall, dazwischen das Schlagen der Segel, die im starken Wind eingeholt werden mussten, durch die Kommandos der Matrosen und das Rasseln der Motoren, das Wiehern der Droschkenpferde, die Willkommensrufe, das Geschrei der vielen fliegenden Händler, die Zimmer, Essen, Wasser, Fahrkarten, Dollars und tausend andere Dinge feilboten.

Paula und Anna kannten die Geschäftigkeit, die Geräusche und Gerüche des Hamburger Hafens, seit sie in der Nähe des Fischmarkts gewohnt hatten, aber im Vergleich zu hier wirkte Hamburg geradezu provinziell. Sie sperrten Augen und Ohren auf und machten sich gegenseitig immer wieder auf neue Sehenswürdigkeiten aufmerksam. Im Grunde vertrieben sie sich aber nur ungeduldig die Zeit, bis sie nach den Reisenden der Oberdecks endlich selbst das Schiff verlassen konnten. Die Stimme ihrer Mutter drang zu ihnen.

»Kommt, gleich sind wir an der Reihe. Wir müssen noch unsere Koffer holen! Jetzt macht schon, sonst geht in dem ganzen Durcheinander noch etwas verloren.« Dabei winkte sie ungeduldig mit beiden Armen.

Paula nahm ihre kleine Schwester an die Hand, um sich mit ihr einen Weg durch die Menge zu bahnen. Sie hatte absolut keine Lust, erneut in das stickige Zwischendeck hinabzusteigen, aber es blieb ihr nichts anderes übrig, das wusste sie.

Da hörten sie ein Murren in ihrer Nähe. Paula drehte sich wieder zur Reling herum und sah, dass nach den letzten Passagieren auch der Arzt und die Einwanderungsbeamten das Schiff verließen. Dann erfolgte die Ankündigung, dass alle übrigen Passagiere die Nacht über an Bord bleiben müssten und erst am nächsten Morgen mit Fähren nach Ellis Island übersetzen könnten.

»Oh! So eine Gemeinheit!« Vor Enttäuschung darüber, noch eine Nacht auf dem Schiff verbringen zu müssen, obwohl das Ziel zum Greifen nahe war, verzog Paula das Gesicht. Ihr Vater bemerkte ihre Wut und drückte tröstend ihre Hand.

»Ich habe nicht gewusst, dass es auch im Land der Gleichheit und Freiheit Menschen gibt, die mehr Rechte genießen als andere«, sagte Sophie-Luise spitz. Sie und Dorothea hatten sich wieder zu Paula und Anna durchgekämpft.

»Wahrscheinlich ist es für heute zu spät«, antwortete Heinrich beschwichtigend. »Seht nur, es wird schon dunkel.«

Doch nicht nur die Klausners waren verstimmt. Viele Fahrgäste machten ihrer Wut Luft. Fäuste wurden in Richtung des Oberdecks geschüttelt, Flüche ausgestoßen, erregte Wortwechsel geführt. Nur die wenigsten hatten verstanden, was der Offizier gesagt hatte, aber dass die Beamten von Bord gingen und die Gangway wieder eingeholt wurde, sagte alles. Die Stimmung begann zu brodeln. Diejenigen, die an der Reling standen, wurden von hinten in Richtung der Aufgänge zu den Oberdecks geschoben. Voller Unruhe beobachtete Paula, wie die Matrosen sich mit entschlossenen Mienen in einer Reihe vor der Menge aufstellten. Sie sah sich nach ihrem Vater um.

Plötzlich wurde sie von ihrer Familie fortgerissen und mehrere Male um ihre eigene Achse gewirbelt. Für eine Schrecksekunde wusste sie nicht, was mit ihr geschah, und ihr begannen die Sinne zu schwinden. Sank das Schiff, und wurde sie nun in die Tiefe gezogen? Versuchten die Matrosen mit Gewalt, den Unmut der Leute zu ersticken? Doch dann erkannte sie zu ihrer Verblüffung, dass ein Mann sie fest an sich gepresst hielt. Er legte den Arm um sie und zog sie einige Schritte von der Reling weg, wo zu viele Leute standen. Paula sah in ein lachendes Gesicht, das von einem mächtigen Schnauzbart und weißen Zähnen dominiert wurde.

»Komm, lass uns tanzen«, rief der Mann ihr zu. Er machte eine ziemlich übertriebene Verbeugung, bevor er sie wieder an sich drückte. »Ich habe dem großen Kaiser von Österreich-Ungarn meinen Allerwertesten gezeigt, als ich zum Militär sollte. Stattdessen mache ich in Amerika mein Glück! Komm, tanz mit mir!«

Er ließ Paula keine Zeit für eine Erwiderung. Sie fühlte seine Hand auf ihrem Rücken, die sie schob und im Kreise drehte. Sie gab jeden Widerstand auf und ließ sich von dem Mann führen, zumal sie ihn jetzt wiedererkannte. Er gehörte zu einer Gruppe von drei jungen Kroaten, die die anderen während der letzten Tage mit ihrem verwegenen Aussehen und ihrer lauten Fröhlichkeit amüsiert hatten. Wegen ihrer hohen Pelzmützen und der bunt bestickten Westen, die einmal weiß gewesen sein mussten, waren sie leicht auszumachen.

Paula wurde in vier Tagen sechzehn und hatte noch nie mit einem Mann getanzt, nur mit ihrer Schwester Dorothea, aber diese Schritte hätte man ihr ohnehin nicht beigebracht. Der Tänzer hielt sie fest, drehte sie rasend schnell herum, erst in die eine, dann in die andere Richtung, und gab dabei mit seinem tiefen Gesang den Takt vor. Paula kam gar nicht auf die Idee, auf ihre Schritte zu achten. Sie wurde hochgehoben, durch die Luft gewirbelt und kam mit einem Stampfen ihrer Absätze wieder zum Stehen. Die Umstehenden zeigten lachend mit den Fingern auf sie, doch Paula war es egal. Sie genoss die wilde Bewegung. Wieder nahm der Mann sie um die Taille und hob sie hoch, und wieder landete sie mit beiden Füßen zugleich auf dem eisernen Deck. Paula war unsagbar glücklich. Sie hätte ein Leben lang so weitertanzen können. Auch andere um sie herum begannen sich jetzt zu drehen, eine Fidel erklang, eine zweite kam dazu, dann folgte ein Akkordeon, und bald erzitterte das Deck vom Stampfen der Schritte.

Mit den zarten Walzerklängen, mit denen die Bordkapelle die Oberdeckpassagiere zum Tee unterhielt, hatte diese Musik nichts gemein. Sie war reine Ausgelassenheit und Fröhlichkeit und wirkte wie ein Ventil. Die Anspannung der letzten Wochen fiel in den ungestümen, durch Rufe und Klatschen der Umstehenden begleiteten Bewegungen von den Tänzern ab.

»Mach dir nichts draus«, rief der Mann in seinem harten Deutsch an Paulas Ohr.

»Woraus soll ich mir nichts machen?«, fragte Paula, und die Leichtigkeit des Augenblicks verschwand mit einem Mal. Hilfesuchend sah sie sich nach ihrer Familie um. Was würde ihre Mutter dazu sagen, dass sie mit einem wildfremden Mann Polka tanzte? Aber da stand sie und klatschte, und jetzt hakte sie ihren Vater unter, und die beiden tanzten wie alle anderen.

»Wir sind morgen früh an der Reihe. Für uns haben sie sich etwas ganz Besonderes ausgedacht, drüben in Ellis Island.« Der Kroate zeigte in die Richtung, aus der das Schiff gekommen war. Paula sah verwirrt zu ihm auf, dann machte sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht breit. Der Mann hatte nicht von ihrem kranken Bein gesprochen, das sie für alle erkennbar hinken ließ. War es möglich, dass er es nicht einmal bemerkt hatte?

»Was ist daran so lustig?«, fragte der Kroate, doch Paula ging nicht auf seine Frage ein. Sie folgte seinem Blick und entdeckte die kleine Insel, die nur einige Hundert Meter von der Freiheitsstatue entfernt lag.

»Das ist Ellis Island? Ich habe gedacht, es sei hier, wo wir festgemacht haben.«

Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich aus dem Gewühl der Menschen heraus. Wieder nahm er sie um die Hüften und hievte sie mit einem kräftigen Schwung auf eine der flachen Aufbauten. Von hier oben konnten sie besser sehen. Paulas Gesicht war von dem wilden Tanz gerötet, und sie fächelte sich die kühle Luft der neuen Welt zu. Der Kroate setzte sich neben sie, und gemeinsam sahen sie über die Köpfe der Tanzenden hinweg auf die Häuser der Stadt vor sich.

»Na gut, dann eben morgen früh«, sagte Paula mehr zu sich selbst.

Er nickte mit einem Lächeln und sprang wieder aufs Deck, um mit einer anderen Frau zu tanzen. Paula blieb sitzen und sah zu, wie Tausende von Lichtern die Stadt vor ihr in der zunehmenden Dämmerung erhellten. Ihre Mutter kam, um zu sehen, wo sie blieb, und mit einem leichten Bedauern verließ sie ihren Platz.

In ihrer letzten Nacht an Bord der »Fürst Bismarck« schlief Paula kaum. Sie rieb ihre eiskalten Füße gegeneinander und zitterte, wobei sie nicht wusste, ob vor Kälte oder vor Aufregung. Ich bin in Amerika, dachte sie immer wieder. Heute muss ich zwar noch in der abgestandenen Luft des Zwischendecks ausharren, aber auf der anderen Seite der Bordwand liegt New York, und morgen werde ich die Stadt betreten!

Paula ahnte, dass es vernünftiger wäre, etwas Respekt vor den Anforderungen eines Neuanfangs in einem fremden Land zu haben, doch sie konnte einfach nicht anders, als Zuversicht und freudige Erwartung zu empfinden. In Amerika würde alles wieder gut werden, wie früher, auf jeden Fall aber besser als das letzte Jahr in Hamburg. Der Anfang war jedenfalls vielversprechend gewesen. Sie hatte mit einem Mann getanzt, und der hatte kein Wort über ihr lahmes Bein verloren. Vielleicht war den Amerikanern das egal?

Sie wurde von einer lautstarken Auseinandersetzung geweckt. Der Lärm kam von nebenan aus dem Männerschlafsaal.

»Sie haben eine Insel gewählt, weil man von hier aus die Unerwünschten, die Kranken, die Armen, die Verdächtigen gleich wieder zurückschicken kann, woher sie gekommen sind, ohne dass ihre Füße den Boden des gelobten Landes jemals betreten hätten!« Das war die Stimme eines der Männer, die Paula bei sich Ketzer nannte, weil sie ständig an allem herummeckerten und Unruhe an Bord stifteten. Dieser, ein unglaublich hagerer Mann aus dem Süddeutschen, war der Schlimmste von allen.

»Unsinn! Sie haben eine neue Kontrollstation gebraucht, weil die alte viel zu klein für die Masse der Einwanderer war«, entgegnete eine andere Stimme, und Paula erkannte mit Schrecken, dass sie ihrem Vater gehörte. Heinrich konnte seine Wut nur schwer im Zaum halten. »Außerdem ist es dort viel besser, es gibt mehr Platz, Schlafräume, Ärzte ...«

»Und woher willst du das wissen, Klugscheißer?« Am Poltern der Schritte und dem Fluchen der Männer, die er aus dem Schlaf riss, konnte sie hören, dass der Hagere sich einen Weg durch die engen Gänge zur Bettstelle ihres Vaters bahnte.

Paula hielt den Atem an. Der Ketzer und ihr Vater hatten sich während der Überfahrt immer wieder gestritten, einmal war es sogar zu einer Rauferei gekommen. Paula war beim Anblick ihres sich prügelnden Vaters entsetzt gewesen.

Ängstlich horchte sie in die Dunkelheit hinein, ob auch ihre Mutter wach geworden war, die in der Koje über ihr schlief. Die Matratze über ihrem Kopf bewegte sich kurz, dann war es wieder still. Sie wollte aufstehen und zu ihrem Vater hinübergehen, als sie hörte, dass ein paar besonnene Männer auf die Streithähne einredeten und den Disput beendeten.

Kurze Zeit später herrschte Ruhe, wenn man vom Stöhnen, dem Flüstern, den im Traum ausgestoßenen Schreien, dem Schnarchen und tausend anderen Geräuschen absah, die entstanden, wenn Dutzende Schlafende zusammen in einem Raum waren.

Am nächsten Morgen begannen alle schon vor dem Weckruf, in ihren Weidenkörben und Koffern zu kramen, um die Sonntagskleider hervorzuholen. Jeder machte sich so schön er konnte und zog seine besten Sachen an. Sophie-Luise legte sich zum Schluss sogar den Polarfuchskragen um die Schultern und kontrollierte, ob der Haken an der zierlichen Schnauze fest in der Öse am Schwanz saß. Sie setzte ihren leicht distanzierten Blick auf, den sie so gut beherrschte, und sofort erkannte ihr Mann in ihr die schöne Frau wieder, die er vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte.

»Es ist kalt, und warum soll ich den Amerikanern nicht zeigen, was ich habe?«, fragte sie. Es sollte kokett klingen, doch es war ein Seitenhieb auf Heinrich. Sophie-Luise konnte ihrem Mann nicht verzeihen, dass er ihr die Überfahrt im Zwischendeck zugemutet hatte. Auch Heinrich hatte seinen Entschluss während der Reise im Geheimen bereut und unter Sophie-Luises stummen, klagenden Blicken gelitten. Doch jetzt waren sie angekommen und konnten sich wieder wie Menschen fühlen! Sophie-Luise bestand darauf, dass die Mädchen die dunklen, federgeschmückten Filzhüte aufsetzten. Durch ihre elegante Kleidung unterschieden sich die Klausners vom Großteil der anderen Reisenden. Deren Hosen und Jackenärmel waren oft zu kurz oder geflickt, sie trugen zwei Mäntel übereinander, und statt eines Hutes hatten sie sich Schals oder Wolldecken gegen die Kälte um Kopf und Schulter gelegt. Und viele mussten Hosen- und Rockbünde mit Sicherheitsnadeln enger machen, weil ihnen die Kleidung um die Mitte schlotterte.

Die Koffer wurden wieder geschlossen und neben den Kojen aufgestapelt. Die Matrosen verteilten zum letzten Mal Kaffee und Schwarzbrot, dann reihten sich die Passagiere in die langen Schlangen ein, die sich im Zwischendeck in den Gängen zwischen den Bettenreihen sowie auf dem Deck bildeten, um auf die Fähre zu gelangen, die sie hinüber nach Ellis Island bringen sollte.

Das Boot war ein klappriges Gefährt, das Paula nicht besonders seetüchtig vorkam. Das untere Deck war an den Seiten offen, bot aber immerhin ein Dach über dem Kopf. Es war schnell überfüllt, und die Beamten wiesen die Klausners an, auf das offene Oberdeck zu gehen, wo sie der Witterung schutzlos ausgeliefert waren. Über Nacht war es noch kälter geworden, und ein feiner Nieselregen ging nieder. Die wenigen Bänke waren sofort belegt, und sie mussten während der Überfahrt dicht gedrängt stehen, die Gepäckstücke zu ihren Füßen.

Viele der Einwanderer verstanden nicht, wohin man sie brachte. Sie sahen, dass sie New York den Rücken kehrten, und befürchteten, wieder nach Europa zu fahren. Ihre ängstlichen, wütenden Rufe begleiteten die Fahrt.

Vater hat recht mit dem, was er über Ellis Island gesagt hat, dachte Paula, während sie langsam auf die Insel zusteuerten. Ein so stattliches Gebäude kann nur zum Wohl seiner Benutzer gebaut sein.

In früheren Zeiten war der Flecken nichts weiter als eine matschige Erhebung inmitten der Austernbänke gewesen, hatte sie gehört. Nur Vögel hatten die flache Sandbank bewohnt, die bei jedem Hochwasser zu versinken drohte. Doch seit knapp zwei Jahren standen hier die riesige neue Einwanderungshalle und einige Nebengebäude, an denen zum Teil noch gebaut wurde.

Alles sah solide, um nicht zu sagen prächtig aus. Paula musste an eines der Seebäderhotels an der Ostsee denken, wo sie früher Ferien gemacht hatten. Die Wände des Hauptgebäudes waren aus blank poliertem Holz gezimmert, an den vier Ecken und neben dem Eingang erhoben sich majestätische Türme, darüber ein blaues Schieferdach, über dessen gesamte Länge sich eine Lichtkuppel hinzog. Als die Sonne plötzlich zwischen den Wolken hindurchblitzte und sich in den langen Fensterreihen fing, schien das Gebäude in Flammen aufzugehen und wirkte wie ein beleuchteter Ozeandampfer in der Nacht. Direkt darüber spannte sich für ein paar Sekunden ein Regenbogen. Der Anblick war schön und tröstlich, hielt aber nur für kurze Zeit, dann verschwand die Sonne wieder hinter den Wolken. Fast gleichzeitig erreichte sie wieder der feine Regen, der vom Wind in winzigen Tröpfchen in ihre Gesichter gepeitscht wurde.

Die Fähre steuerte das u-förmige Hafenbecken an, an dessen rechter Seite das Hauptgebäude lag. Vor ihnen warteten noch zwei andere Schiffe darauf, festmachen zu können. Bis die erste Fähre entladen war, vergingen gut zwei Stunden. Anna weinte, weil sie fror und auf die Toilette musste. Sophie-Luise hatte Paula gedrängt, sich auf einen der Koffer zu setzen, weil sie sehen konnte, dass ihr das lange Stehen schwerfiel. Anna quetschte sich neben sie, und sie legten sich gegen die Kälte einen Schal um die Schultern. Sie waren froh, ihre Hüte aufgesetzt zu haben, so wurden sie wenigstens nicht völlig durchnässt.

»Die schönen Hüte«, jammerte Sophie-Luise und sah grimmig auf ihren Fuchs, aus dessen Fell Wasser tropfte.

»Ich kaufe euch neue, sobald wir in der Stadt sind«, sagte Heinrich. »Jetzt seht doch, wir sind an der Reihe!«

Endlich legte das Schiff an. Die Taue waren noch nicht festgezurrt, da kam bereits Bewegung in die ungeduldigen Passagiere. Jeder sah um sich, ob er seine Koffer, seine Kinder bei sich hatte. Eine aus groben Balken zusammengezimmerte Gangway wurde an die Bordwand herangeschoben. Als die Relingspforte sich öffnete, setzte ein Schieben und Drängen ein. Mehrere Hundert Menschen wollten, nachdem sie ihre Heimat verlassen hatten – viele von ihnen nicht freiwillig –, nach einer langen, beschwerlichen Reise, für die sie ihr letztes Hab und Gut versetzt hatten, nur noch eines: so schnell wie möglich amerikanischen Boden betreten. Die Mannschaft trieb die von Bord Strömenden durch barsche Befehle noch zusätzlich an.

Ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren mit dunklen Locken verließ als Erster das Schiff und betrat Ellis Island. Der ungewohnte feste Boden unter seinen Füßen ließ ihn taumeln, die bunt bemalte Truhe, die er auf der rechten Schulter trug, drohte ihm zu entgleiten. Er setzte sie ab, ließ sich auf die Knie fallen und küsste die Erde. Die Nachrückenden verharrten einen Moment, während er wieder aufstand, sich zu den anderen herumdrehte und in einer triumphierenden Geste die Arme ausbreitete. Dieser Augenblick des Innehaltens, in dem der junge Jude stellvertretend für alle seine Gefühle ausdrückte, dauerte nur die Länge eines Wimpernschlags, dann setzte das Gedränge wieder ein.

Zuerst stiegen diejenigen aus, die auf dem unteren Deck waren. Paula sah, wie die Menschen unter ihr von Bord gingen. Einige von ihnen kannte sie vom Sehen, mit einigen hatte sie während der Überfahrt Bekanntschaft geschlossen. Was wohl aus ihnen allen werden würde? Was aus der polnischen Familie mit den sechs Kindern, die am ganzen Körper von einem nässenden Schorf bedeckt waren? Aufgereiht wie Orgelpfeifen verließen sie das Schiff, das Kleinste trug die Mutter auf dem Arm, die anderen gingen hinter ihr, jedes ein geschnürtes Bündel auf dem Arm, das viel zu schwer war und Daunenbetten und Schnaps enthielt. Eine Frau hatte einen hölzernen Lehnstuhl unter den einen Arm geklemmt, an dem zusätzlich ein schweres Bündel hing. Auf dem anderen Arm trug sie ihr Kind. Die Lehne verhakte sich in den Tauen, mit denen die Gangway seitlich gesichert war. Die Frau konnte nicht weiter, zog und zerrte an dem Möbelstück, ohne es freizubekommen. Der Matrose, der die Leute von Bord scheuchte, sah das, rannte mit einem Fluch zu ihr hinüber und riss den Stuhl an sich, wobei er der Frau den Arm verdrehte. Sie schrie vor Schmerz auf. Den Matrosen störte das nicht. Mit einem vor Wut entstellten Gesicht hob er den Stuhl an und ließ ihn krachend auf die Reling niedersausen, wo er in seine Einzelteile zerbrach. Die Holzstücke warf er über Bord. Die Frau musste mit verrenktem Arm und ohne den Stuhl, den sie den weiten Weg von Europa bis hierher geschleppt hatte, ihren Weg fortsetzen, unter halb zustimmenden, halb mitleidigen Kommentaren.

Endlich war die Reihe an Paula. Sie hob ihren schweren schwarzen Koffer hoch und betrat die Gangway. Sie sah sich nach ihrer Familie um. Ihre Mutter mit dem zweiten großen Koffer war eben noch dicht hinter ihr gewesen, jetzt hatten sich plötzlich fremde Menschen zwischen sie geschoben.

»Warte auf mich. Wir müssen zusammenbleiben!« Ihre Mutter gab ihr Winkzeichen mit dem linken Arm, an dem eine kleine Reisetasche hing. Ihr Vater war noch ein Stück weiter hinter ihr. Paula konnte sehen, wie er die Schwestern auf die wacklige Gangway schob. Die Sekunde, die sie gebraucht hatte, um sich nach ihrer Familie umzusehen, ließ die hinter ihr Gehenden ungeduldig werden. Paula fühlte, wie sie vorwärtsgestoßen wurde, sie wollte stehen bleiben und auf ihre Mutter warten, doch die Nachrückenden drückten sie unerbittlich nach vorn. Sie packte mit der zweiten Hand den Griff des Koffers, weil sie befürchtete, er würde ihr durch den Strom der Menschen entrissen. Das Gedränge wurde immer dichter, sie roch den schlechten Atem und die ungewaschene Kleidung der anderen. Warum ging es denn nicht weiter? Sie schob sich noch ein paar Zentimeter nach vorne, stieß in eine Lücke, die in der Menge entstanden war, doch von hinten wurde schon wieder unbarmherzig geschoben und geschubst. Einzelne spitze Schreie ertönten, dazwischen die panische Stimme ihrer Mutter, die nach ihr rief. Paula konnte sie in dem Gedränge nicht mehr sehen, und sie wagte nicht, sich noch einmal nach ihr umzuwenden.

Von weiter vorn kamen ungeduldige Kommandos: »Slowly, langsam, Vorsicht! Jeder kommt an die Reihe.« Hinter sich hörte sie die Rufe der Matrosen, die die Menschen zur Eile antrieben. Paula fühlte, wie eine Bewegung gleich einer Welle die Menge erfasste. Plötzlich stand sie nur noch auf den Zehenspitzen, während ihr Oberkörper nach vorn gedrückt wurde. Vor den Beinen hatte sie den schwarzen Koffer, den sie nicht abstellen konnte und der sie am Vorankommen hinderte. Ein Mann stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Gepäckstück und versuchte, sich an ihr vorbeizuschieben. Der schwere Koffer drehte sich und mit ihm ihr Arm. Der Koffer wurde unerbittlich gegen ihr Knie gedrückt, und der Schmerz in ihrem kranken Bein ließ sie aufschreien. Sie versuchte an sich hinunterzusehen, um festzustellen, ob sie blutete, doch die Menge stand zu dicht. Sie begann nach ihrer Mutter zu rufen. Eben war sie doch noch hinter ihr gewesen? Sie weinte jetzt, vor Schmerz und vor Angst. Ihr wurde plötzlich schlecht, sie glaubte ersticken zu müssen. Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn, ihre Zunge klebte am Gaumen. Sie hatte Angst, ohnmächtig zu werden, und ihr war unsäglich übel. Sie presste eine Hand vor den Mund und würgte. Das Geländer der schwankenden Gangway bohrte sich in ihre Hüfte. Unter ihr brodelte das schwarze Wasser des Hafens. Sie konnte zwar schwimmen, aber die Aussicht, in das eiskalte Wasser zu fallen, wo sie doch ohnehin schon durchnässt war, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie biss die Zähne zusammen. Nur wenige Schritte vor sich sah sie das Ende der Gangway. Wie in einem Flussdelta verzweigte sich dort die Menge. Mit aller Kraft stieß sie ihre Faust wie einen Keil zwischen zwei Menschen vor ihr, wuchtete ihren Koffer in die entstehende Lücke und sich selbst hinterher. Noch ein Schritt, und die Menschenmenge teilte sich, strömte auseinander, machte Platz.

Keuchend stolperte sie ein paar Schritte zur Seite und betrat ein Stück struppigen Rasens, der mit grauem Matsch durchsetzt war. Dort ließ sie den Koffer auf die Erde fallen und versuchte zu Atem zu kommen. Sie zitterte am ganzen Körper, ihr Arm schmerzte wie verrückt. Schlimmer war aber ihr Bein. Sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, dazu kannte sie ihr krankes, lahmes Bein zu gut. Sie wollte sich auf den Koffer setzen, um nachzusehen, als sie den weißen Pelz ihrer Mutter entdeckte.

»Hier bin ich!«, rief sie, so laut sie konnte. Sophie-Luise drehte sich suchend um, entdeckte ihre Tochter und drängelte sich rücksichtslos zu ihr durch.

»Gott sei Dank, Paula«, stieß sie atemlos hervor. »Wo sind Papa und die Mädchen? Ich kann sie nicht sehen.«

»Da drüben, auf der anderen Seite.«

Ihr Vater hatte sie auch entdeckt und kam durch die Menge zu ihnen herüber.

»Was ist mit ihr?«, fragte Heinrich besorgt.

Sophie-Luise zog ein Taschentuch heraus und wischte Paula das nasse Gesicht ab. Dann gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.

Paula schüttelte den Kopf. »Mein Bein ...«, sagte sie.

»Was ist mit deinem Bein?«, fragte ihr Vater. »Doch nicht das kranke?«

Paula nickte. Das Blut in ihrem Knie pochte.

»Das sehen wir uns später an. Lasst uns jetzt erst einmal hineingehen. Drinnen ist es wenigstens trocken, und es gibt hoffentlich etwas zu essen und zu trinken.«

Erstaunt sahen sie Sophie-Luise an, von der sie derart praktisches Denken nicht unbedingt gewohnt waren. Sophie-Luise bemerkte die Blicke und fügte hinzu: »Wären wir zweiter Klasse gefahren, dann bliebe uns dies alles erspart. Dann wären wir jetzt schon in New York.«

Sie gingen in Richtung des Gebäudes, traten nach wenigen Metern durch die großen Türen und standen in einem riesigen, nur durch Säulen unterteilten Raum. Alles war sauber und prächtig ausgestattet, die Wände holzgetäfelt und der Boden mehrfarbig gefliest. Im ersten Augenblick empfand Paula nur Erleichterung darüber, dem eisigen Wind und dem Nieselregen entkommen zu sein. Dann trafen sie die Ausdünstungen der Menschen und der Geruch nach feuchter Wolle, säuerlich durch die Reste von Erbrochenem und Schweiß, wie ein Keulenschlag. Wahrscheinlich rieche ich ganz genauso, dachte sie. Und wenn ich diesen Koffer nur noch einen Meter weiter tragen muss, sterbe ich. Der regennasse Mantel drückte schwer auf ihre Schultern, von ihrer Hutkrempe tropfte ihr das Regenwasser in den Nacken. Sie setzte das Gepäckstück ab und schaute sich um. Sie bemerkte, dass sie sich in einem wilden Durcheinander von fliegenden Händlern befand, die Schilder in allen erdenklichen Sprachen und Schriften und zum Teil zweifelhafter Rechtschreibung vor sich hertrugen, auf denen Esswaren, Billetts, koschere Küche, Dienste als Gepäckträger, Barbiere, Friseure und viele andere Dinge angeboten wurden. Und dazu kamen die Einwanderer aus aller Herren Länder in zum Teil abenteuerlichen Kostümierungen, mit hohen Pelzmützen und über die Schulter geworfenen Fellen, grellbunten Röcken und Tüchern, Säbeln und Orden, langen Schläfenlocken, türkischen Pluderhosen, Familien, die daran zu erkennen waren, dass ihre Mitglieder Kleider aus dem gleichen karierten Stoff trugen. Menschen, die auf ihrem Gepäck zusammengerollt schliefen, die weinten, nach ihren Kindern riefen, apathisch vor sich hinstarrten. Über allem war ein Gewirr von fremden Lauten und Sprachen zu vernehmen, viel mehr, als sie schon auf dem Schiff gehört hatten. Paula fing den glutäugigen Blick eines Mannes auf, der sie lüstern anstarrte. Sie wurde über und über rot, es gelang ihr aber nicht, sich abzuwenden. Mit einem obszönen Zungenschnalzen drängelte der Mann sich viel zu dicht an ihr vorbei. An beinahe jedem Stand konnte man amerikanische Flaggen aus Papier kaufen. Viele hatten sie bereits erstanden und winkten damit hektisch und fröhlich, bevor sie sie an ihren Bündeln und Mützen befestigten.

»Mama, das ist wie ein ... wie ein riesiger Ameisenhaufen!«, rief Anna aus.

Ein babylonisches Gewirr, dachte Heinrich und verlor für einen Augenblick die Orientierung. Seine Frau und die Kinder neben ihm verschnauften kurz, während er herauszufinden versuchte, wohin sie als Nächstes mussten. In einiger Entfernung entdeckte er den Mann, mit dem seine Tochter getanzt hatte. Er schien sich gut auszukennen. Zielstrebig bewegte er sich von ihnen fort. Heinrich räusperte sich, dann trieb er seine Familie zum Weitergehen an.

»Wir können hier nicht Wurzeln schlagen. Los jetzt. Wir müssen weiter, zur Einwanderungskontrolle.«

Ein Schild wies darauf hin, dass die Formalitäten zur Einwanderung im ersten Stock erledigt wurden. Auf dem Weg zur steilen Treppe, die hinaufführte, wurden sie von einem Beamten angewiesen, zuerst hier unten ihr Gepäck zu deponieren.

»Aber werden wir unsere Sachen jemals wiederbekommen?«, flüsterte Sophie-Luise ängstlich ihrem Mann zu, als sie sich vor einem der Schalter anstellten.

Heinrich ließ sich seine Besorgnis nicht anmerken. »Die machen das hier doch schließlich jeden Tag«, entgegnete er mit einem zweifelnden Blick auf die Berge von Gepäckstücken aller Art, die in einer Ecke des Raumes bereits mehrere Meter hoch gestapelt waren. Und dabei war es doch erst Vormittag. Wie mochte dieser Raum nach einem langen Tag aussehen, an dem immer neue Schiffe unzählige Passagiere brachten?

Sie waren erleichtert, als man ihnen im Tausch gegen die Koffer große weiße Zettel mit einer Nummer anheftete, und wandten sich wieder zu der Treppe, die hinauf in den ersten Stock führte. Auf dem Weg wurden ihnen von Frauen in Uniformen, die an die Heilsarmee erinnerten, Bananen und kleine Brötchen gereicht.

»Guckt mal, die essen die Banane mit der Schale«, flüsterte Anna und deutete mit dem Kinn auf eine Familie, die mit den weißen Kitteln und den hohen Stiefeln russische Bauern zu sein schienen.

»Wahrscheinlich haben sie noch nie welche gesehen«, gab ihre Mutter zurück.

Anna machte der Frau vor, wie sie die Frucht schälen sollten. Sie folgte ihrer Anweisung und biss erneut hinein. Die Schale verstaute sie sorgfältig in ihre Kitteltasche.

Paula war unendlich froh, von dem schweren Koffer befreit zu sein, und biss hungrig in ihr Brot. Es war das leckerste Butterbrot ihres Lebens, obwohl ihr der Geschmack fremd war, leicht scharf und gleichzeitig süßlich. So schmeckt die neue Heimat, dachte sie, während sie kaute. Sie bückte sich, um das schmerzende Knie zu befühlen. Wie sie befürchtet hatte, war es stark angeschwollen. Der Schmerz war kaum auszuhalten.

»Geh um Gottes willen rasch und halte dich gerade«, flüsterte ihre Mutter ihr zu. Sie hatte die Männer in den weißen Kitteln gesehen, die oben an der Treppe standen und die Heraufkommenden beobachteten. Wer zu langsam war oder sichtlich außer Atem, dem malten sie mit einem Stück Kreide etwas auf den Rücken. Paula bemühte sich, nicht zu hinken, obwohl sie, seit sie mit neun Jahren an Kinderlähmung erkrankt war, immer leicht den Fuß nachzog, und jetzt mit der Verletzung noch mehr. Kurz bevor sie am Arzt vorbei musste, packte ihre Mutter sie fest am Oberarm und richtete sie auf Der Arzt sah Paula prüfend ins Gesicht, dann an ihr hinunter. Sein Blick blieb an ihrem Bein hängen.

»Sie ist vorhin in dem Gedränge gestürzt«, sagte ihre Mutter hastig. »Weiter ist es nichts, sie ist nur hingefallen.«

Der Arzt gab nicht zu erkennen, ob er sie verstanden hatte. Mit einem Zeigestock fuhr er unter den Saum von Paulas Rock und wies sie an, ihn zu heben. Paula beeilte sich, seiner Aufforderung Folge zu leisten, dann befühlte der Arzt grob ihr Knie. Paula unterdrückte einen Schmerzenslaut.

»How old?«, fragte er, »wie alt?«

»Sechzehn«, entgegnete Paula schroff, bevor ihre Mutter antworten konnte, und straffte die Schultern. Eigentlich hatte sie erst in drei Tagen Geburtstag, aber irgendetwas trieb sie dazu, sich älter zu machen. Später sollte sie sich immer wieder fragen, ob sie ihr Schicksal hätte abwenden können, wenn sie dem Arzt die Wahrheit gesagt und ihr schönstes Lächeln geschenkt hätte. Doch die Gelegenheit war bereits vorüber.

Ohne ein weiteres Wort drehte der Arzt Paula herum und malte ihr mit Kreide ein Zeichen auf die Schulter.

»Was bedeutet das?«, fragte Anna flüsternd.

»Es sieht aus wie ein L.« Automatisch versuchte Sophie-Luise, den Fleck vom Mantel ihrer Tochter zu wischen, aber die Kreide blieb hartnäckig haften.

L für lahm, dachte Paula. Jetzt trug sie das Mal. Eine solche Markierung hatte nichts Gutes zu bedeuten, das hatte man ihnen schon in Hamburg und wieder und wieder auf dem Schiff bedeutet. Ankommende mit einem Kreuz oder einer anderen Kennzeichnung wurden ohne Umstände auf Kosten der Reederei nach Europa zurückgeschickt.

»Wir sind vor der Abreise in Hamburg medizinisch untersucht worden, und es hat keinerlei Beanstandungen gegeben. Wenn die Reeder keine Möglichkeit sehen, uns in Amerika loszuwerden, nehmen sie uns gar nicht erst mit!«, stieß Heinrich gepresst hervor und zwirbelte seinen Schnauzbart. Das war für die Familie ein sicheres Zeichen, dass er höchst beunruhigt war. Paula wollte seinen Worten trotzdem gern Glauben schenken, aber sie kannte auch die Gerüchte, nach denen die Schifffahrtslinien viele Auswanderungswillige, die ihre Krankheiten leicht in Europa hätten auskurieren können, nach schlampigen Untersuchungen an Bord ließen, nur damit sie in Ellis Island abgewiesen wurden. Viele kamen ärmer und elender zurück, als sie gefahren waren, ohne Heimat, ohne Arbeit, und nur den wenigsten gelang ein zweiter Versuch.

Paula bemühte sich, einen gleichgültigen Blick aufzusetzen, da trafen sie die Größe und Pracht des Raumes, den sie betreten hatte, mit aller Macht. Die steile Treppe, ihre erste Prüfung in Amerika, führte direkt in die Mitte der riesigen Registrierungshalle. Ihre überwältigende Herrschaftlichkeit ließ Paula sogar für ein paar Minuten die Schmerzen in ihrem Knie vergessen. Sie legte den Kopf in den Nacken und drehte sich einmal um sich selbst. Niemals hatte sie einen Raum dieser Größe gesehen, so groß wie ein Fußballfeld und höher als alle Kirchenräume Hamburgs. Die leicht gewölbte Decke hoch über ihrem Kopf wurde von einer feingliedrigen Balkenkonstruktion getragen. Eine umlaufende Galerie mit vielen Türen gab dem Raum tatsächlich etwas Sakrales. Paula durchzuckte eine Gewissheit: Wenn die Amerikaner Räume solchen Ausmaßes bauen konnten, in denen sie, Paula Klausner, klein wie ein Wurm war, dann würden sie sich auch nicht daran stören, dass sie hinkte, und sie in ihr Land lassen.

Durch die gesamte Halle zog sich ein Labyrinth aus schmalen Gängen, die durch Absperrungen aus Eisenrohr gebildet wurden und wie Käfige wirkten. An den Wänden reihten sich weitere dieser Eisenkäfige mit Verkaufsständen für Fahrkarten, Essen oder Dollarnoten. Die Pforten fielen mit einem scheppernden Klacken ins Schloss, sobald sie nicht festgehalten wurden. Um sie herum klackte und klapperte es, als würde jemand auf eine überdimensionierte Schreibmaschine einhämmern. Es mussten mindestens tausend Menschen sein, die hier einer hinter dem anderen, in einem gleichmäßigen Summen der Stimmen, aus dem einzelne Sprachen, Schreie oder Lacher hervorstachen, die endlosen Gänge entlangwanderten. Alle hatten große Zettel an die Brust geheftet, auf denen der Name ihres Schiffs und die Nummer des Schiffsmanifests standen. Die Gänge verbreiterten sich zu Abteilungen, in denen – auch hier wieder ähnlich wie in einer Kirche – meterlange Bänke standen, auf denen die Ankommenden warteten, bis sie vor die Schreibtische der einzelnen Registrierungsbeamten gerufen wurden.

Paula und ihre Familie reihten sich in den mäandernden Strom von Menschen ein, bis sie an eine der Bankreihen kamen. Wenigstens konnten sie sich hier setzen. Paula ließ sich auf die hölzerne Bank fallen und streckte das schmerzende Bein aus. Das Kreidezeichen hinten auf ihrem Mantel fühlte sich wie ein Brandmal an und schien sich durch den Stoff in die Haut zu brennen. Dorothea und Anna setzten sich rechts und links neben sie. Dorothea nahm Paulas Hand.

»Sieh nur, wie viele hier ein Kreuz haben. Das hat bestimmt nichts zu bedeuten.« Sie nickte Paula beruhigend zu.

Alle drei sahen zu einem Mann hinüber, der ein Kreidekreuz auf seinem Mantel trug. Als er sich umwandte, erkannten sie den hageren Meckerer von ihrem Schiff. Er stand vor einem Beamten, der ihm offensichtlich Fragen stellte, denn er nickte mal mit dem Kopf, mal schüttelte er ihn verneinend. Schließlich nickte der Beamte ihm aufmunternd zu, lächelte sogar und wies dem Hageren den Weg zum Ausgang. Ein Junge von vielleicht dreizehn Jahren, der wie ein Italiener aussah, hatte ebenfalls einen Buchstaben auf der Schulter. Er sah sich um, dann ließ er in einer unauffälligen Bewegung den Mantel vom Körper gleiten, legte ihn sich über den Arm, mit dem Futter nach außen, sodass das Zeichen nicht zu sehen war, und rückte seelenruhig in der Schlange vor. Dorothea stieß Paula an und zeigte fragend auf den Italiener. Doch beide wussten, dass es sinnlos wäre, es genauso zu machen, denn Paulas Hinken war unübersehbar, auch ohne Kreuz auf dem Rücken.

Nach einer Stunde waren sie in der Schlange bis an einen Tisch vorgerückt, an dem ein Arzt saß. Er winkte mit der Hand den Nächsten zu sich heran, ohne aufzusehen, während er eine Notiz machte. Paula stand hinter ihrem Vater und drängelte sich plötzlich an ihm, der sie zurückhalten wollte, vorbei nach vorne. Sie wollte unbedingt die Erste sein. • Später sollte sie sich fragen, ob dies der zweite Fehler gewesen war, den sie an diesem Tag begangen hatte.

»Paula, was machst du denn?«, fragte ihr Vater aufgebracht. »Jetzt warte doch, bis du an der Reihe bist.«

Doch Paula spürte in diesem Augenblick eine namenlose Angst vor dem, was kommen würde. Und eine unbezähmbare Wut auf sich und ihr lahmes Bein. Sie stieß den Arm ihres Vaters zur Seite und schob sich an ihm vorbei, wobei sie ins Straucheln geriet und beinahe gefallen wäre. Der Arzt vor ihnen sah ungeduldig zu ihnen herüber, weil es nicht voranging. Sein Blick blieb an Paulas Bein hängen. Heinrich versuchte immer noch, sie zurückzuhalten, doch Paula schob sich mit einer heftigen Bewegung in dem engen Gang an ihm vorbei und stand dann vor dem Tische des Arztes, atemlos und mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Der Mann in dem schmutzigen weißen Kittel tauchte seine rechte Hand in einen kleinen Eimer mit einer Flüssigkeit, zog einen kleinen eisernen Gegenstand heraus, der aussah wie der Haken, mit dem Sophie-Luise ihre Handschuhe zuknöpfte, und schoss damit unvermittelt auf ihr Auge zu, klappte das Lid energisch nach oben, fuhr mit dem Haken nach rechts und links und berührte dabei ihren Augapfel. Paula schrie vor Schmerz auf und kniff die Augen zusammen, und es tat noch mehr weh. Sie wollte zurückweichen, da stieß die haarige Hand schon auf ihr anderes Auge zu und wiederholte die Prozedur. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, doch der Arzt kümmerte sich nicht darum. Er war bereits damit beschäftigt, wortlos ihren Kopf hinunterzubeugen und darauf herumzukratzen. Mit einer Geste bedeutete er ihr, die Zunge herauszustrecken, und sah ihr in den Rachen. Schließlich forderte er sie auf, ein paar Schritte zu gehen. Halb blind vor Tränen machte sie zwei unsichere Schritte.

»More, mehr, zwanzig Schritte«, sagte er scharf, und Paula hinkte einmal um seinen Untersuchungstisch herum, ihr schmerzendes Bein hinter sich herziehend.

»Sie ist gestürzt, sie ist nur gestürzt, auf der Gangway, vorhin ...«, hörte sie ihre Mutter rufen. Die Angst in ihrer Stimme übertrug sich auf Paula. Sie stolperte und musste sich am Tisch festhalten. Der Arzt reagierte mit keiner Geste. Er schob sie mit einem barschen »der Nächste« von sich und wandte sich Anna zu. Paula lehnte sich an eine der Absperrungen und schloss die tränenden Augen. Sie hörte Anna weinen, dann Dorothea, dazwischen die lauten Proteste ihrer Mutter und das ewige Scheppern der Drahtverhaue.

Wieder ein langer Gang, der mit Maschendraht vergittert war.

»Sieh nur, Paula, die Freiheitsstatue«, sagte Heinrich und wies mit dem Finger aus dem Fenster.

Paula warf nur einen kurzen Blick hinüber.

Dann standen sie vor dem nächsten Schreibtisch, der auf einem Podest stand. Der Inspektor saß dahinter und sah auf sie herab wie ein Richter auf einen Angeklagten. Neben ihm saß ein Dolmetscher, der die Fragen und Antworten übersetzte. Jetzt ging es um die Überprüfung ihrer Identität und der finanziellen Lage. Name? Herkunft? Beruf? Alter? Was und wohin wollten sie in Amerika? Hatten sie Verwandte hier? Wie viel Geld trugen sie bei sich? Waren sie in Europa kriminell geworden? Gab es Geisteskranke in der Familie? Waren sie Anarchisten? Und so weiter, und so weiter, insgesamt neunundzwanzig Fragen, die in aller Schnelligkeit heruntergerasselt wurden.

Paula hörte die Festigkeit und den Stolz, mit der ihr Vater antwortete. Er sei Handwerksmeister, Ofensetzer aus Hamburg in Deutschland, das sei ein traditionsreicher Beruf mit guten Möglichkeiten, Öfen würden die Leute immer brauchen, und dies sei seine Familie, alles ordentliche Leute. Nein, sie hätten keine Verwandte in Amerika und wollten in New York bleiben und Öfen verkaufen. Und kriminell oder geisteskrank sei niemand in seiner Familie, noch nie gewesen.

»Na also, ist doch alles glattgegangen«, sagte Heinrich und atmete erleichtert auf, als sie endlich am anderen Ende der großen Halle angekommen waren. Hier führte eine zweite Treppe wieder nach unten. »Das war die letzte Befragung. Der Einwanderungsinspektor war sogar ganz nett, und der Dolmetscher war aus Bremen, das habe ich an seiner Art zu sprechen gehört.«

Paula sah die Unruhe und die Erschöpfung in den Augen ihrer Mutter. Mit flackernden Blicken versuchte Sophie-Luise alles zu erfassen und senkte die Augen, wenn wieder einer der Ankommenden von Polizisten in einen der verschlossenen Räume hinter der Treppe geführt wurde.

Sie selbst wurden in Richtung der Treppen gewiesen.

»Eisenbahn?«, fragte ein Beamter auf Englisch und machte dazu mit angewinkelten Unterarmen die Bewegung sich drehender Räder.

»No«, sagte Heinrich, denn er sprach schließlich Englisch, und sie wollten ja in New York bleiben.

»Werden Sie von jemandem abgeholt?«, fragte der Beamte weiter, und Heinrich schüttelte den Kopf.

»In Ordnung, dann gehen Sie bitte unten durch die linke Tür. Alles Gute für Sie!«

Heinrich reichte seiner Frau in einer feierlichen Geste den Arm, und sie hängte sich ein.

»Ich würde dich glatt über die Schwelle tragen, wenn hier nicht so viele Menschen wären«, sagte er und küsste sie fest auf den Mund. Arm in Arm sahen sie sich nach ihren Töchtern um und forderten sie mit einem aufmunternden Nicken auf, ihnen zu folgen. Dorothea und Anna ließen sich von der guten Laune anstecken. Nur Paula konnte sich nicht freuen. Sie spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog, und das Pochen in dem verletzten Bein. Auf der rechten Schulter brannte das Kreuz und schien sich in ihre Haut zu drücken. Irgendetwas stimmte nicht.

Die Beamten tauchten wie aus dem Nichts auf. Einer schien der Chef zu sein, er ging voraus, und zwei Schritte hinter ihm gingen zwei weitere. Alle trugen blaue Uniformen, die sie wie Polizisten oder Soldaten aussehen ließen.

»Paula Klausner?«, fragte der Wortführer streng mit einem Blick auf den Zettel an ihrer Brust.

In diesem Augenblick dachte sie nur daran, dass der Mann Deutscher sein musste, seiner akzentfreien Aussprache nach zu urteilen. Wieso werde ich hier von einem deutschen Soldaten angesprochen?, fragte sie sich. Ein darüber hinausgehender Gedanke ließ sich einfach nicht fassen. Der Mann wiederholte seine Frage, diesmal noch ein wenig strenger, und Paula nickte. Sie bemerkte Dorothea und Anna, die mit angehaltenem Atem zu beiden Seiten von ihr standen. Der Beamte zog Paula zwischen ihren Schwestern hervor und drehte sie herum, um das Kreidezeichen auf ihrem Mantel zu überprüfen. Paula war nicht darauf gefasst, und ein scharfer Schmerz durchfuhr ihr Bein. Sie sog die Luft ein. Den Beamten war das nicht entgangen. Sie senkten verlegen den Blick und nickten sich zu. Der Vorgesetzte tat, als würde er ihren Namen noch einmal mit den Angaben auf der Liste vergleichen, die er in der Hand hielt.

»Tut mir leid«, sagte er. »Mach keine Schwierigkeiten, du kannst es ohnehin nicht ändern.«

Die Eltern waren bereits die ersten Stufen der Treppe hinuntergegangen, als Sophie-Luise bemerkte, was sich hinter ihr abspielte. Sie schlug ihren Mann, der noch ahnungslos war und sie nach wie vor am Arm hielt, mit raschen, harten Schlägen auf die Brust, bis er sie endlich losließ, warf sich herum und rannte die Stufen wieder hinauf.

Paula hörte, wie ihre Mutter immer wieder ihren Namen rief. Sie sah das verständnislose Gesicht ihres Vaters und die weit aufgerissenen Augen der Schwestern. Sie fühlte, wie die Beamten sie an den Armen packten und in Richtung eines dunklen Gangs führten, von dem viele Türen abgingen. Paula drehte sich um und sah die ausgestreckten Arme ihrer Mutter, die hinter ihr herlief. Anna war nur einen Schritt neben ihr. Sie weinte.

»Wo gehst du denn hin, Paula?«, rief sie und dann, an Dorothea gewandt, die stocksteif dastand, mit hängenden Schultern, unfähig, sich zu rühren: »Wo will Paula denn hin? Ich denke, wir müssen diese Treppe hinunter? Doro!«

Es gelang Anna, für eine Sekunde Paulas Hand zu fassen, und die Berührung ihrer kleinen Schwester durchzuckte Paula wie ein elektrischer Schlag. Dann stellten sich die Polizisten endgültig zwischen sie und ihre Familie und scheuchten Anna davon. Der Inspektor ging mit schnellen Schritten voraus, auf eine schwere Tür zu. Ihr war, als würden die Beine ihr nicht gehorchen. Das unrhythmische Knallen ihrer Absätze, die hart auf den Boden trafen, weil sie nicht ging, sondern gestoßen wurde, dann dieses allgegenwärtige Geräusch in Ellis Island, wenn Metall auf Metall stieß. Die Tür hinter ihr hatte sich geschlossen, und plötzlich herrschte absolute Stille. Paula versuchte, draußen vor der Tür die Stimmen ihrer Mutter, ihres Vaters zu hören, doch von dort kam kein Laut.

Sie befand sich in einem kleinen Raum, nicht größer als ein normales Wohnzimmer, mit vergitterten Fenstern. Die einzige Tür ließ sich von innen nur mit einem Schlüssel öffnen. Der deutsch sprechende Beamte wies sie an, sich auf eine blank polierte Holzbank zu setzen, die unter dem Fenster stand. Dann wurde sie allein gelassen.

Während der nächsten Stunde starrte Paula auf die Maserung des rötlichen Holzes der Bank. Sie wollte nicht auf den Schmerz hören, der in ihrem verletzten Knie und in ihrem Herzen pochte. Sie wollte sich nicht vorstellen, was mit ihr passieren würde. Sie wollte einfach nur hier sitzen bleiben, bis ihr Vater sie abholte. Die Männer, die sie hergebracht hatten, waren verschwunden. Ein anderer Beamter kam und las ihr ein Schriftstück vor. Er sprach Englisch, und seine Worte rauschten an ihr vorüber, ohne dass sie verstand. Dann kamen die Polizisten wieder, und Paula war erleichtert, weil sie ihre Gesichter kannte. Zwei von ihnen nahmen sie wieder in ihre Mitte, der Deutsche ging voraus. Sie wurde auf eine Fähre gebracht und von dort an Bord eines Dampfers. Das ist nicht die »Fürst Bismarck«, dachte Paula, ohne zu wissen, was das zu bedeuten hatte. Man schubste sie in eine Kabine, und sie ließ sich auf das Bett fallen.

»Ich will nie wieder aufwachen«, dachte sie, bevor sie einschlief.