Der Duft von Sommerregen - Tania Schlie auch bekannt als SPIEGEL-Bestseller-Autorin Caroline Bernard - E-Book
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Beschreibung

Woher weißt du, dass es Liebe ist? Das bewegende Lesevergnügen »Der Duft von Sommerregen« von Bestsellerautorin Tania Schlie als eBook bei dotbooks. Lena liebt Bücher, die kleinen, unverhofften Glücksmomente des Alltags und gutes Essen – ein Mann würde sie in ihrem entspannten Leben nur stören. Aber dann steht auf der Hochzeit einer Freundin plötzlich Jonas vor ihr. Der ist viel zu jung für sie, noch dazu verboten attraktiv … und sehr gewillt, Lenas Vorbehalte mit einem charmanten Lächeln vom Tisch zu fegen. Es ist ein Vergnügen, sich von ihm in eine ganz neue Welt entführen zu lassen. Und doch muss Lena sich die Frage stellen, ob das, was sie für Jonas empfindet, wirklich Liebe ist – denn da gibt es noch diese rätselhafte Melodie, die sie seit einiger Zeit immer wieder hört, wenn sie in ihrer Wohnung am offenen Fenster steht: Ein Lied, das tief in ihr widerhallt und die Sehnsucht weckt nach dem ganz großen Glück, von dem Lena bisher nie zu träumen wagte … Wenn Gefühle das Leben zum Abenteuer machen: Ein bewegender Roman über die Angst, sein Herz zu verlieren, und die Gewissheit, manchmal alles riskieren zu müssen. Jetzt als eBook kaufen und genießen – „Der Duft von Sommerregen« ist nach den Bestsellern »Die Spur des Medaillons« und »Der Duft von Rosmarin und Schokolade« der neue Roman von Tania Schlie. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 444

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Über dieses Buch:

Lena liebt Bücher, die kleinen, unverhofften Glücksmomente des Alltags und gutes Essen – ein Mann würde sie in ihrem entspannten Leben nur stören. Aber dann steht auf der Hochzeit einer Freundin plötzlich Jonas vor ihr. Der ist viel zu jung für sie, noch dazu verboten attraktiv … und sehr gewillt, Lenas Vorbehalte mit einem charmanten Lächeln vom Tisch zu fegen. Es ist ein Vergnügen, sich von ihm in eine ganz neue Welt entführen zu lassen. Und doch muss Lena sich die Frage stellen, ob das, was sie für Jonas empfindet, wirklich Liebe ist – denn da gibt es noch diese rätselhafte Melodie, die sie seit einiger Zeit immer wieder hört, wenn sie in ihrer Wohnung am offenen Fenster steht: Ein Lied, das tief in ihr widerhallt und die Sehnsucht weckt nach dem ganz großen Glück, von dem Lena bisher nie zu träumen wagte …

Über die Autorin:

Tania Schlie, geboren 1961, studierte Literaturwissenschaften und Politik in Hamburg und Paris. Bevor sie anfing zu schreiben, war sie Lektorin in einem großen Verlag. Heute lebt sie als erfolgreiche Autorin in der Nähe von Hamburg

Bei dotbooks veröffentlicht Tania Schlie, die auch unter den Namen Greta Hansen und Caroline Bernard erfolgreich ist, die Romane »Der Duft von Rosmarin und Schokolade«, »Die Spur des Medaillons«, »Eine Liebe in der Provence«, »Ein Sommer in Bonneville«, »Die Liebe der Mademoiselle Godard«, und – auch als Sammelband unter dem Titel »Auf den Flügeln der Hoffnung« erhältlich – »Elsas Erbe«, »Zwischen uns der Ozean« und »Die Jahre ohne dich«.

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Originalausgabe Oktober 2018

Copyright © der Originalausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Rabea Güttler

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Shutterstock/Maksim Ladouski

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-372-3

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Tania Schlie

Der Duft von Sommerregen

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Zwischen den Prospekten und der Rechnung der Telekom leuchtete ein zartrosa Briefumschlag mit einem geprägten Herz auf der Vorderseite. Lena wog ihn in der Hand. Es war elegantes, dickes Papier mit Struktur. Bestimmt nicht billig, dachte sie. Mit Papierqualitäten kannte sie sich aus. Sie drehte den Umschlag um. Es war kein Absender vermerkt. Aber sie war sich trotzdem sicher zu wissen, was sie hier vor sich hatte.

Ann-Cathrin hatte ihre Ankündigung also wahr gemacht. Vor ein paar Wochen hatte Lena sich nach längerer Zeit wieder mit ihrer Freundin getroffen, die ihr selig davon erzählt hatte, dass es einen neuen Mann in ihrem Leben gab und dass sie demnächst zum zweiten Mal heiraten würde. Sie hatte Niklas auf einem Weihnachtsmarkt kennengelernt und war bis über beide Ohren verliebt. Natürlich freute sich Lena über das Glück ihrer Freundin: Sie und Ann-Cathrin kannten sich immerhin seit 20 Jahren, seit sie sich in ihrem letzten Studienjahr kennengelernt hatten. Ann-Cathrin war damals gerade von der Berliner Uni nach Hamburg gewechselt – wegen Mark, in den sie sich verliebt hatte. Lena hatte das schon damals komisch gefunden: Ann-Cathrin hatte ihren Magister schon halb in der Tasche gehabt, durch den Uniwechsel jedoch mindestens ein Semester verloren. Warum hat sie nicht wenigstens in Berlin zu Ende studiert?, hatte Lena sich damals gefragt. Hamburg war doch schließlich nur zwei Zugstunden entfernt. Aber das kam für Ann nicht infrage. So war sie schon immer gewesen. Sie stürzte sich mit Haut und Haaren in ein neues Projekt, nach dem Motto: alles oder nichts. Damals war es für sie unvorstellbar, länger von Mark getrennt zu sein, und so gab sie ihr gewohntes Leben für ihn auf.

Und jetzt, 20 Jahre später, war sie wieder voller Euphorie gewesen, als sie Lena von Niklas erzählt hatte. Lena hatte Mühe, das zu verstehen. Woher wollte ihre Freundin wissen, dass diese zweite Heirat mit Niklas besser und länger funktionieren würde als die erste?

Nachdenklich stieg Lena die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Ann-Cathrin hatte Mark gleich nach dem Studium geheiratet. Kurz darauf kamen die Zwillinge, Helena und Florian, die inzwischen fast erwachsen waren. Die ersten Jahre hatte Ann sich ausschließlich um die Familie gekümmert. Als die Kinder dann aus dem Gröbsten raus waren, fühlte Ann-Cathrin sich nutzlos. Das war wohl der Anfang vom Ende ihrer ohnehin schwierigen Ehe gewesen. Vor vier Jahren hatte sie Mark dann endlich verlassen.

Auch die Wege von Ann und Lena hatten sich irgendwann getrennt. So war es Lena mit vielen Freundinnen gegangen. Die anderen hatten wie Ann geheiratet und Familien gegründet, Marion und Susanne waren danach auch noch aufs Land gezogen. Lena hingegen war Single geblieben und hatte keine Kinder, da passten die Wochenendpläne oft nicht zusammen. Außerdem konnte Lena nichts zu den Gesprächen beitragen, in denen es um Kindererziehung, Stillen und PEKiP-Gruppen ging, später um die Mühen der Pubertät. Und nachdem sie mal ein Wochenende bei Susanne in einem Reihenhaus mit Garten in Pinneberg verbracht hatte, wo Susannes Mann Joachim sie ungeniert angebaggert und betont hatte, wie sexy er es fand, mal eine Frau zu treffen, die kein Kind auf dem Arm hatte und ihren Busen zu etwas anderem nutzte als zum Stillen, war sie nicht wieder eingeladen worden. Lena schnaubte bei dem Gedanken: So ähnlich mussten sich alleinstehende Frauen nach dem Krieg gefühlt haben, die man nicht eingeladen hatte, aus Angst, sie würden einem die knappen Männer wegschnappen.

In ihrer Wohnung hängte sie den Trenchcoat an die Garderobe, schlüpfte aus den Schuhen und öffnete die Balkontür. Dann setzte sie sich mit der Einladung an ihren Schreibtisch, der in Sonnenschein getaucht war. Sie nahm den Brieföffner, dessen Griff die Silhouette einer Frau darstellte, und schlitzte den Umschlag aus feinstem Papier auf. Der Brieföffner war einst ein Geschenk von Ann-Cathrin gewesen. Es war schon verrückt, wie viel sie verband – auch jetzt noch. Trotzdem schafften sie es höchstens ein- oder zweimal im Jahr, sich zu sehen, und bei ihrem letzten Treffen hatte Ann-Cathrin dann von Niklas erzählt. Da war es noch eine ganz frische Liebe gewesen … und jetzt wollten sie schon heiraten.

Lena nahm die Karte heraus. Der Umriss des geprägten Herzens auf dem Umschlag wiederholte sich in einem herzförmigen Ausschnitt, in dem ein Foto von Ann-Cathrin und Niklas klebte, die sich verliebt ansahen. Die Karte ließ sich nach rechts und links aufklappen. Wie ein Altarbild, dachte sie und las den Text: Wir trauen uns stand dort.

»Trauen« sagte es wohl ganz richtig. Ann-Cathrin hatte wirklich Mut, zum zweiten Mal eine Ehe einzugehen. Noch dazu mit einem Mann, den sie erst ein paar Monate kannte. Lena betrachtete das Foto von Niklas. Er sah eher durchschnittlich aus, das Haar wurde an den Seiten schon schütter, in ein paar Jahren würde er eine Halbglatze haben. Das Gesicht war rund, er war scheinbar nicht schlank, sondern eher der gemütliche Typ. Irgendwie beruhigte Lena das. Mark hatte wie ein Model ausgesehen. Die Ehe mit einem Mann, dem die Frauen in Scharen nachliefen, war bestimmt nicht einfach für Ann-Cathrin gewesen. Lena hoffte, dass Niklas andere Qualitäten hatte, die beständiger waren als Schönheit.

Sie sah sich Ann-Cathrin genauer an. Das Leben hatte erste Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen: Unter dem tadellosen Make-up schimmerte ein Netz feinster Linien rund um die Augen durch. Aber sie strahlte, und darauf kam es an. Immerhin hatte sie das riesige Glück, zum zweiten Mal in ihrem Leben die Liebe zu finden. Eine Liebe, die so groß war, dass sie glaubte, sie würde bis an ihr Lebensende halten.

Lena las den Text der Einladung. Es sollte eine standesamtliche Trauung geben, zu der nur die Trauzeugen und die Familie eingeladen waren, und abends eine Party für alle.

An Anns und Marks Hochzeit konnte Lena sich noch gut erinnern; es war die erste von vielen gewesen. Das Brautpaar hatte bei schönstem Wetter auf der Holzterrasse von Bobby Reich an der Alster gefeiert. Das Fest war fröhlich und unkonventionell gewesen. Wer von den Gästen Lust hatte, durfte sich in eines der Boote setzen und auf dem Wasser herumschippern. Auch die Hochzeitsfotos wurden in einem Boot gemacht. Lena war damals Trauzeugin gewesen und musste mit. Auf Anweisung der Fotografin sollten sich alle hinstellen – keine gute Idee, wie sich prompt herausstellte, als sie fast kenterten. Aber das hätte Ann-Cathrin noch nicht mal etwas ausgemacht, so glücklich war sie gewesen. Oder war dieses Glück schon damals aufgesetzt gewesen? Hatte Ann da schon geahnt, was kommen würde? So hatte zumindest Lena im Nachhinein die verunsicherten Blicke gedeutet, die Ann-Cathrin ihrem Mark zuwarf, der auf seiner eigenen Hochzeit hemmungslos mit allen Frauen flirtete und kaum Augen für seine Braut hatte. Ein Jahr später waren die Zwillinge gekommen und hatten Anns sorgloses Leben auf den Kopf gestellt. Es folgten der Kauf des Hauses, für das sie sich heillos verschuldeten, Marks Vorwürfe, Ann würde nichts zum Familieneinkommen beitragen, sowie seine Frauengeschichten, über die Ann-Cathrin irgendwann nicht länger hinwegsehen konnte. Lena konnte mit jedem Treffen mehr sehen, wie der Alltag die Ehe ihrer Freundin immer weiter auffraß, sodass am Ende nichts mehr von der anfänglichen Liebe übrig war.

Würde man den »glücklichsten Moment seines Lebens« wohl auch dann genießen, wenn man das alles schon vorher wüsste?, fragte sich Lena. Oder amüsierte man sich gerade deswegen auf Teufel komm raus, weil man ahnte, dass das Glück manchmal so vergänglich war wie die Blumengestecke auf den Festtagstischen?

Sie seufzte. Ihre Einstellung zu Hochzeiten war leider nicht die beste. Aber Ann-Cathrin würde sie von ihren Zweifeln natürlich nichts sagen.

Lena sah wieder in die Einladung, um zu sehen, wo denn diesmal gefeiert wurde. Ah, in einem Lokal am Hafen mit Blick auf die Elbe. Bitte keine Reden und keine Spiele!, stand unten auf der Einladung. Gott sei Dank! Lena seufzte noch einmal tief, dieses Mal vor Erleichterung. Sie hasste die Ratespiele, Sketche und was es sonst noch so alles gab. Beim letzten Mal musste sie als Trauzeugin eine Rede auf Ann-Cathrin halten; jetzt wüsste sie gar nicht mehr, was sie sagen sollte: Ann-Cathrin und sie hatten sich auseinandergelebt, eine Lobrede auf die Ehe würde aus ihrem Mund irgendwie verlogen klingen, und Gedanken über die eine große wahre Liebe wären wohl auch mehr als unpassend gewesen. Noch dazu, wenn sie von ihr gekommen wären: Der passende Mann für Lena war einfach nie aufgetaucht, weder im Freundeskreis noch auf der Arbeit. Und wo traf man sonst schon »den einen«? Sie glaubte nicht an diese knisternden Begegnungen, wenn ein Mann und eine Frau zufällig dasselbe Taxi wollen oder auf der Straße zusammenstoßen, und er hilft ihr beim Aufsammeln des Inhalts ihrer Handtasche, und es funkt sofort zwischen ihnen. So etwas passierte doch nur in Filmen – oder zumindest nur anderen, aber niemals ihr. Lena wollte auch definitiv keine Bridget Jones sein, die ständig in peinliche Fallen stolpert und dann darauf wartet, dass ein Mann das amüsant findet und sie rettet.

Es machte ihr nichts aus, unverheiratet und kinderlos zu sein.

Natürlich hatte es immer mal wieder Männer in ihrem Leben gegeben, mit denen sie ein paar Wochen oder Monate zusammen war. Es waren nette Männer gewesen, die bestimmt auch gute Ehemänner geworden wären – und es teilweise inzwischen auch waren –, aber nach einer gewissen Zeit war für Lena immer klar gewesen, dass sich aus der Sympathie und der gegenseitigen Anziehung maximal Langeweile entwickeln würde und nicht das große Glück.

Aber war das schlimm? Nein. Lena fühlte sich auch ohne Mann wohl. Sie lebte gern allein in ihrer gemütlichen Wohnung, wo sie auf niemanden Rücksicht nehmen musste. Sie hatte einen Beruf, der ihr Freude machte, und ein paar enge Bekannte – meistens Singles wie sie –, mit denen sie etwas unternahm, wenn ihr danach war. Davon abgesehen, verbrachte sie ihr Leben gern allein – allein, aber nicht einsam, sagte sie immer.

Lena war auch nie eine dieser Frauen gewesen, die von einem Hochzeitskleid in Weiß träumten. Sie hatte sich immer prächtig auf den Hochzeitsfeiern anderer amüsiert, das schon. Und sie würde auch Anns zweite Hochzeit genießen. Im Lauf der Jahre hatten diese Feste jedoch einen Teil ihres Reizes verloren. Zum einen lag das natürlich daran, dass Hochzeiten eigentlich nur richtig Spaß machten, wenn alle noch jung waren und mehr oder weniger am Anfang des Lebens standen. Wenn jemand zum zweiten oder sogar zum dritten Mal heiratete, verlor so eine Feier schnell etwas von ihrer Bedeutung. Zum anderen hatte sich auch Lenas Rolle auf den diversen Hochzeiten, die sie in den letzten 20 Jahren besucht hatte, verändert: Wenn man jung ist und ohne Partner auf eine Hochzeit geht, sind alle immer ganz aufgeregt und hoffen, dass sich ausgerechnet auf dieser Feier ein neues Paar findet. Vielleicht, weil das so schön romantisch ist oder weil das Brautpaar sich dann einreden kann, nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Gästen Glück gebracht zu haben. Wenn man aber wie Lena ein bisschen älter und als einzige Frau unverheiratet war – außer der übergewichtigen Großtante mit Damenbart, die jedem verkündete, sie könne sich vor Angeboten nicht retten, aber bisher sei kein Mann klug genug für sie gewesen –, kamen zunehmend blöde Sprüche oder, was noch schlimmer war, Mitleid. »Mach dir nichts draus. Irgendwann kommt der Richtige.« Oder: »Auf jeden Pott passt ein Deckel.« Sie hatte es immer als eine Frechheit angesehen, sich mit einem Küchenutensil gleichsetzen lassen zu müssen. Oder: »Ach, du Arme. Aber ich bin sicher, eine tolle Frau wie du wird nicht ewig warten müssen.« Dabei wartete Lena nun wirklich nicht. Oder: »Mach dir nichts draus, am Singletisch ist sowieso immer die beste Stimmung.« Das hatte eine Freundin mal allen Ernstes behauptet, und es war Lena schwergefallen, die Frage zu unterdrücken, ob man denn am Brauttisch stattdessen in Sack und Asche sitzen würde – zumal meistens auch besagte Großtante mit am Singletisch saß … Wenn den ungebetenen Trostspendern auffiel, dass sie mit ihren Kalenderweisheiten bei Lena nicht landen konnten, gingen viele zum Angriff über: »Vielleicht bist du einfach zu anspruchsvoll?« Hallo? Ging’s noch? Sollte sie denn bei dem Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, ein Auge zudrücken und fünfe gerade sein lassen?

Inzwischen war Lena 42. Inzwischen fragte keiner mehr, warum sie immer noch allein war. Die einen, weil sie das Interesse verloren hatten. Die anderen, weil sie befürchteten, Lena damit womöglich in eine unangenehme Situation zu bringen. Und insgeheim dachte der eine oder andere vermutlich, sie würde auf Frauen stehen und wolle dies nicht öffentlich zugeben. Oder sie sei eben schwierig. Lena war das egal. Sie fand sich ganz in Ordnung so, wie sie war.

Über ihren Überlegungen war die Sonne hinter dem Hausdach gegenüber verschwunden. Lena fröstelte. Die Sonne ließ sich inzwischen zwar immer länger blicken, die Luft war aber noch ganz schön kühl. Die Hochzeit sollte schon in vier Wochen stattfinden, Ann-Cathrin schien es wirklich eilig zu haben. Aber der Mai war eben der klassische Hochzeitsmonat, und es würde hoffentlich schön warm sein.

Lena schloss die Balkontür und stand auf, um sich einen Pulli zu holen. Auf dem Rückweg kam sie an der Küche vorbei und merkte, dass sie hungrig geworden war. Zum Glück hatte sie vorhin ein paar Leckereien von dem syrischen Restaurant um die Ecke mitgebracht, die verkauften auch außer Haus. Weil die verschiedenen Vorspeisen so lecker aussahen, konnte sie sich nie entscheiden und bat Hamid, den Kellner, mit dem sie eine jahrelange, für beide gewinnbringende Beziehung hatte, stets, ihr eine gemischte Vorspeisenplatte zusammenzustellen. Die Tüte stand neben dem Kühlschrank. Als sie sie aufmachte, stieg ihr der Geruch nach Knoblauch, Kichererbsen, Joghurt und Öl in die Nase. Hamid wusste, dass sie Plastikteller verabscheute, und hatte ihr die Köstlichkeiten auf einem Teller aus Porzellan angerichtet. Sie nahm das flache Brot mit der Anisnote, das obenauf lag, heraus und deckte den Teller auf. In der Mitte ein großer Klacks Hummus, das sie über alles liebte, rundherum verschiedene Pasten, Oliven, eingelegte Tomaten und Auberginen, die so scharf gebraten waren, dass sie am Rand fast schwarz waren, sowie zwei kleine Frikadellen. Sie steckte das Fladenbrot noch kurz in den Toaster, konnte dann aber doch nicht abwarten und probierte schon mal eine Gabelspitze Joghurt mit Minze. Hm, einfach köstlich! Als das Brot duftend aus dem Gerät sprang, setzte Lena sich an den Küchentisch und probierte der Reihe nach die liebevoll zubereiteten Gerichte. Was war das denn? Ein Salat aus einem musähnlichen Getreide mit … Sie ließ sich den Geschmack auf der Zunge zergehen, dann wusste sie es: mit Datteln. In dem Restaurant ließ man sich immer wieder neue Rezepte einfallen. Das Essen dort wurde nie langweilig.

Lena wischte genießerisch den letzten Rest Hummus mit dem Brot vom Teller, dann war sie richtig satt. Zu satt, um noch ins Kino zu gehen, was ihr eigentlicher Plan für den heutigen Abend gewesen war. Aber das passte eigentlich ganz gut: Sie hatte mal wieder Lust auf einen Abend mit sich allein. Sie liebte diese Abende und war gern in ihrer Wohnung; sie schlenderte dann von einem Zimmer ins nächste, als wäre sie eine Besucherin in ihrem eigenen Reich.

Lena räumte das Geschirr in die Spülmaschine, goss sich ein Glas Rotwein ein und ging wieder hinüber ins Wohnzimmer. Dort stellte sie sich vors Bücherregal und fing an, mit schief gelegtem Kopf die Titel der Bücher zu lesen. Das tat sie oft und gern. Bei einzelnen Büchern fragte sie sich dann, wann sie sie gelesen hatte. Sie nahm das jeweilige Buch in die Hand und schlug die Seite auf, auf der sie ihren Namen und ein Datum notiert hatte. Sie hatte seit ihren Studententagen die Angewohnheit, kurze Anmerkungen zum Inhalt vorn auf die leeren Seiten zu schreiben. Ob das Buch ihr gefallen hatte oder nicht, für welches Seminar sie es lesen musste oder ob es ein privates Vergnügen gewesen war, solche Sachen. Sie schrieb manchmal auch einzelne Sätze ab, um sie sich besser zu merken, oder notierte den Hinweis auf bestimmte Seiten, die sie berührt oder geärgert hatten. Diese Seiten waren oft auch mit Eselsohren markiert. Oder mit Lesezeichen. Dafür nahm sie, was sie gerade zur Hand hatte: Fahrkarten, Quittungen, Postkarten, zusammengefaltete Zeitungsartikel zum selben Thema, Fotos … Diese Technik, die ihr während des Studiums geholfen hatte, die Fachlektüre zu bewältigen, hatte sie über die Jahre auch für ihre private Lektüre übernommen. Ihre Bücher waren immer noch sortiert wie während des Studiums: Literatur zu Kunstgeschichte (ihrem Hauptfach) und Künstlerbiografien standen auf Augenhöhe, darunter die Romane in Übersetzungen. Deutsche Literatur hatte ein Extraregal. Dann gab es noch kleine Inseln mit Spezialthemen wie Feminismus oder Geschichte des 20. Jahrhunderts – und natürlich die Liebesromane und anderen Schmöker, die sie stapelweise verschlang. Wer sich nie über die eigensinnige Scarlett O’Hara gewundert oder mit Meggie Cleary gehofft hatte, dass Pater Ralph de Bricassart irgendwann die Frau in ihr sehen würde und nicht nur eine Freundin, der hatte das Herz möglicherweise doch nicht am rechten Fleck … Diese Momente mit ihren Büchern waren immer wie eine kleine Reise in die eigene Vergangenheit. Oft musste Lena über ihre Kommentare lächeln – wie unerbittlich streng oder euphorisch war sie damals gewesen! Manchmal las sie einen Buchtitel und konnte sich beim besten Willen nicht mehr an den Inhalt erinnern, obwohl sie jedes Buch in ihrem Regal gelesen hatte, einige sogar mehrfach. Zu anderen Zeiten suchte sie ein bestimmtes Buch, fand es aber nicht an dem Platz, wo es eigentlich stehen sollte. Über die Jahre waren es immer mehr Bücher geworden, und die letzten hatte sie einfach irgendwo auf, vor oder hinter den vollen Buchreihen verstaut, wenn sie sie ausgelesen hatte. Und wenn das Buch endlich an den richtigen Platz zurückgelegt wurde, wurden dafür andere Bücher aus dem Regal genommen, sie fand eine Theaterkarte als Lesezeichen, erinnerte sich … und so vergingen genussreiche Stunden. Dabei hörte sie ihre Lieblingsmusik und war mit sich selbst im Gespräch. Sie leistete sich sozusagen selbst Gesellschaft. Und das war oft die beste, die sie sich wünschen konnte.

Kapitel 2

Lena liebte ihren Weg zur Arbeit, auch wenn es regnete, so wie heute. Als sie das Haus verließ, sprühte ihr leichter Frühlingsregen ins Gesicht. Eine halbe Stunde später, als sie am Baumwall aus der U-Bahn stieg, war die Sonne aber schon wieder hinter den Wolken zu erahnen und ließ die Kupferdächer über den Backsteinfassaden der Hamburger Speicherstadt feucht glänzen. Sie überquerte die Brücke in Richtung Kehrwiederspitze. Rechts hatte sie einen weiten Blick auf die Elbe mit ihren Schiffen, den Hausbooten, den riesigen Containerkränen und dem gelben Dach des Musicalgebäudes für Der König der Löwen. Vor ihr erhob sich die Elbphilharmonie, das neue Hamburger Wahrzeichen. In diesem Licht, wenn die Sonne nur diffus durch die Wolken schien, mochte Lena sie am liebsten. Die Fassade aus den geschwungenen Glaselementen zeigte dann ein mattsilbernes Leuchten. Als wäre ein riesengroßes Raumschiff auf einem der Kaispeicher gelandet. Der Anblick nahm ihr immer wieder den Atem. Lena mochte das Gebäude auch von innen; sie hatte schon zweimal Karten für ein Konzert ergattern können. Das war wirklich Glück gewesen: Die Elbphi, wie die Hamburger sie nannten, war ein Publikumsmagnet und immer ausgebucht.

Als sie abbog, versperrte ihr die erste Reihe Speicher die Sicht auf das Dach des Konzerthauses. Im ersten Abschnitt lagen die neuen Gebäude, dann folgten die über 100-jährigen Speicherhäuser aus rotem Backstein mit den vielen Verzierungen. An den Fassaden jedes Stockwerks – die hier Boden hießen – waren zur Straßenseite hin große Luken zu sehen. Oberhalb waren Rollen angebracht, über die Seile liefen. Über diese Flaschenzüge konnten Waren aufwärtstransportiert und dann in die Luken hineingezogen werden. Früher war das gang und gäbe gewesen, heute wurde das System nur noch selten benutzt. Über den Geländern vor den Luken hingen jetzt Orientteppiche, um Kunden in die großen Lager zu locken.

Lena war fasziniert von diesem Ort, der Hamburger Geschichte geradezu atmete. Wo immer ein Treppenhaus nicht abgeschlossen war, betrat sie die alten Häuser und sah sich um. Dabei hatte sie schon viele schöne Entdeckungen gemacht: alte Fliesenornamente zum Beispiel oder Notausgänge, die in das Nachbarhaus und somit zu neuen kleinen Abenteuern führten. Ihr Bücherregal zur Geschichte der Stadt füllte sich immer mehr, insbesondere mit Bildbänden.

In die Fassaden der Speicher waren zum Teil noch die Namen der ehemaligen Besitzer oder Erbauer in Mosaiken eingelassen. Die meisten Mieter waren heute aber Teppichhändler und Modefirmen, daneben gab es, hauptsächlich in den Erdgeschossen, Kaffeestuben und Teehäuser, die an die Tradition der Speicherstadt erinnerten, als hier die Genussmittelimporteure saßen, sowie ein paar kleine Museen. In den Jahren waren viele Schilder ausgetauscht worden, aber Lena mochte das: Hier war immer etwas los und in Bewegung.

Zu ihrer Linken lag der Zollkanal, der das einst zollfreie Gebiet von der Stadt trennte. Auf der Stadtseite konnte sie die mächtigen Kontorhäuser sehen; auch sie waren in schöner Backsteinoptik der Hannoverschen Schule gehalten, einige von ihnen waren von berühmten Architekten erbaut worden und galten als Wahrzeichen der Stadt.

Lena ging an der Flutbrücke vorbei, einem Weg auf Stelzen für Fußgänger, über die sie bei Sturmfluten in Sicherheit gelangen konnten. Seit sie hier arbeitete, war auch Lena schon zweimal vom Hochwasser überrascht worden: In Kürze waren alle Straßen überflutet gewesen. Dann wurden die Schutztore vor den Erdgeschossen der Gebäude vorgeschoben, und die Menschen mussten sich auf diese erhöhten Wege zurückziehen.

Lena bog rechts ab und überquerte einen Fleet, dann waren es nur noch ein paar Schritte bis zur Adresse am Sandtorkai. Dieser Speicher gehörte zu den am reichsten verzierten der alten Speicherstadt. An der Fassade erhob sich ein dreieckiger Erker. Als sie angefangen hatte, hier zu arbeiten, hatte sie diesen Erker als ein gutes Omen gewertet – weil ihr Nachname Ercken war. Es hatte sich bewahrheitet.

Sie betrat die großzügige Vorhalle und atmete den Duft nach Wachs ein, der von dem alten Treppenhaus ausging, das ganz mit dunklem Holz vertäfelt war. Lena glaubte, dass es Mahagoni sein musste, ein Überbleibsel der Zeiten, als der Handel mit den Kolonien in vollem Schwung war.

Von den Wendepodesten der Treppe aus hatte sie einen wunderschönen Blick auf das Fleet unter ihr. Wie immer blieb sie stehen, um für einen Moment die Aussicht zu genießen. Dann stieg sie bis in den dritten Boden hinauf und suchte in ihrer Tasche den Schlüssel zu der massiven Bürotür.

Neben dem Geruch nach Bohnerwachs und Meer hatte sie nun auch andere Düfte in der Nase. Über die Jahrzehnte hatten sich in diesen Gemäuern die Gerüche all der Waren eingenistet, mit denen hier gehandelt worden war. Im ersten und zweiten Stock wehte stets der Geruch nach starkem Tee durch den Flur, obwohl dort inzwischen eine Modefirma ihren Sitz hatte. In ihrem Büro roch es manchmal ganz intensiv nach Pfeffer, dank der Pfefferkörner, die sich in die Ritzen und unter die alten Dielen verirrt hatten. Lena liebte die Aura dieser historischen Gebäude und schätzte sich glücklich, hier arbeiten zu dürfen. Wenn sie sich vorstellte, in einem Neubau-Großraumbüro sitzen zu müssen … einfach schrecklich!

Auf dem Schild neben der Tür stand nur ein Name: Walter Cordes, in schwarzen Marmor graviert. Als sie die Tür aufschließen wollte, merkte sie, dass ihr Chef ihr bereits zuvorgekommen war. Er war oft vor ihr im Büro, dafür ging er abends früher.

Lena hängte ihren leicht feuchten Mantel an den Haken neben dem Eingang und ging in den großen Raum, in dem sie und ihr Chef arbeiteten. Er war noch so eingerichtet wie zu den Zeiten, als hier mit Gewürzen gehandelt wurde: Die Wände waren schulterhoch mit weiß lackierten Holzpaneelen verkleidet, über dem riesigen Schreibtisch hingen kugelrunde Pendelleuchten aus weißem Glas. Sogar der Tresen, vor dem früher die Kunden gewartet hatten, war noch da. Nebenan gab es einen zweiten Raum, den sie als Archiv nutzten und wo einige Schaukästen standen, und zur Straße hin noch ein WC und eine kleine Teeküche.

»Guten Morgen«, sagte sie fröhlich.

»Guten Morgen, Frau Ercken.« Er sah auf und legte die Lupe zur Seite, mit der er etwas studiert hatte. »Gefällt mir, Ihr Kleid«, sagte er anerkennend.

Lena lächelte. Ihr Chef mochte es, wenn sie Kleider aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren trug, mit Punkten und Bubikragen, mit kleinen geometrischen Mustern und geschwungenen Röcken. Sie erinnerten ihn an die Zeit, als er noch ein junger Mann gewesen war. Lena selbst hatte eine Schwäche für die Kleider entwickelt. Sie wusste, dass sie mit ihren dunklen, lockigen Haaren und den Sommersprossen gut in einen Film jener Jahre gepasst hätte, und betonte diese Tatsache gerne mit ihrer Garderobe. Sie hatte auch ein paar Vintage-Stücke im Schrank, die sie hegte und pflegte.

Walter Cordes stand schwerfällig auf und wedelte mit einem wattierten Briefumschlag.

»Der kam heute mit der Post aus Buenos Aires.«

»Der Autograf von Stefan Zweig? Das ging aber schnell. Normalerweise brauchen die doch viel länger. Darf ich gucken?«

Lena liebte ihre Arbeit. Walter Cordes war begeisterter Sammler, und seit der frühere Strafverteidiger nicht mehr bei Gericht arbeitete, hatte er endlich genügend Zeit für seine Passion: eigenhändige Niederschriften von berühmten Persönlichkeiten, Wissenschaftlern oder Künstlern, sogenannte Autografen. Daneben sammelte er Skizzen- und Notizbücher von Malern und Dichtern. Die beiden Räume waren vollgestopft mit diesen Sammlerstücken, von denen viele aufgrund ihrer Einzigartigkeit kostbar und unersetzlich waren.

Cordes stützte sich schwer auf seinen Handstock. Im Kopf war er noch topfit, aber mit seinen 83 Jahren wollten seine körperlichen Kräfte nicht mehr so recht. Auch seine Sehkraft ließ in letzter Zeit nach, deshalb trug er immer eine Lupe mit sich herum.

Die nahm er jetzt wieder zur Hand und beugte sich erneut über das Papier. Mit der Rechten winkte er sie zu sich hinüber. »Kommen Sie. Das Exemplar ist perfekt.«

Er hatte das signierte Exemplar von Zweigs Buch Die Welt von gestern vorsichtig auf den Tisch vor sich gelegt und studierte das Vorsatzblatt, auf das der Dichter seinen Namen geschrieben hatte. Lena zog sich ein Paar weiße Baumwollhandschuhe über. Das machte sie immer, bevor sie die wertvollen Stücke berührte.

»Sehen Sie, wie er die ersten beiden Buchstaben seines Vornamens miteinander verbindet, sodass sie beinahe wie ein A aussehen?«

»Und das Z des Nachnamens stammt noch aus der Kurrentschrift«, fügte Lena hinzu.

»Genau das macht ihn so interessant. Er war wirklich ein Mann, der in zwei Zeitaltern lebte, der junge Zweig noch im K.-u.-k.-Kaiserreich, der ältere im Zeitalter der Kriege, der weltweiten Fluchtbewegungen und des Holocaust. Das kann man bis in seine Unterschrift verfolgen.« Während er redete, wurde Walter Cordes richtig lebhaft. Vorsichtig strich er über die Unterschrift des berühmten Dichters, dem das Leben so übel mitgespielt hatte. »Vor über 70 Jahren hat er genau dieses Stück Papier angefasst, so wie ich jetzt«, sagte er andächtig und formulierte damit wohl die Essenz einer Sammlerleidenschaft. Mit einem Autograf hielt man ein Stück Geschichte in der Hand, und all die Umstände seiner Entstehung, die Schönheit der Schrift, die Qualität des Papiers, das sich manchmal gut anfühlte, manchmal nicht einmal berührt werden durfte, weil es zu Staub zerfallen würde, schwangen da mit. Wenn man diese Zweig-Signatur betrachtete, stellte sich fast zwangsläufig die Frage, in welcher Situation der Dichter das Buch signiert hatte. War es ein sonniger Tag gewesen, als er es lächelnd zur Hand genommen und mit seiner Signatur versehen hatte? Oder stand der Gedanke an den Doppelselbstmord mit seiner viel jüngeren Frau Lotte schon im Raum, war er womöglich bereits fest geplant? War diese Unterschrift die letzte, die Zweig überhaupt getätigt hatte? Durch diese Gedanken bekam so eine Signatur eine Aura. Eine Verbindung zu dem Schreibenden stellte sich zwangsläufig her.

Lena dachte über all das nach, dann sagte sie: »Leider steht hier nicht, wem er das Exemplar gewidmet hat. Und ein Datum fehlt auch.«

»Dazu gibt es keinerlei Hinweise.«

»Wo haben Sie das Buch denn gekauft?«

»Bei Henschel in Buenos Aires.« Er sagte immer noch Henschel, obwohl der Eigentümer des Antiquariats für deutsche Bücher, Edgardo Henschel, der selbst als Emigrant nach Argentinien gekommen war, inzwischen verstorben war. Cordes arbeitete mit Henschels Nachfolger zusammen, dem er genauso vertraute wie Edgardo. Trotzdem wollte er sich nicht an seinen Namen gewöhnen, als könne er dadurch den Lauf der Zeit zumindest ein wenig aufhalten.

»Ich werde versuchen, einen möglichen Adressaten herauszufinden. Beziehungsweise wem das Buch gehört hat«, sagte Lena. »Wissen die bei Henschel denn, wer das Buch eingeliefert hat?«

»Nein. Sie haben es nach der Übernahme des Ladens zufällig in einem Regal gefunden.«

Lena dachte an die Unordnung in ihrem eigenen Bücherregal. Sie wusste, dass so etwas vorkommen konnte.

Ihr Chef sah sie mit einem Lächeln an. »Wissen Sie, Frau Ercken, eigentlich ist es mir gar nicht so wichtig, für wen dieses Buch bestimmt war. Hauptsache, es hat seinen Weg zu mir gefunden. Womöglich war es für einen der anderen Emigranten, die damals auf der Flucht vor Hitlers Schergen in Brasilien Unterschlupf gefunden hatten? Es muss vor 1942 gewesen sein – wie Sie wissen, haben sich Zweig und seine Frau im Februar dieses Jahres das Leben genommen. Eigentlich reicht mir das als Hintergrund zu diesem Buch – auch wenn ich Ihren Spürsinn natürlich sehr zu schätzen weiß.«

Das war unter anderem Lenas Aufgabe: Einzelheiten zu den Sammlerstücken herauszufinden. Dazu recherchierte sie in Datenbanken und Archiven, las Zeitungen, die Fachpresse und Ausstellungsberichte und studierte die Kataloge und Verkaufsergebnisse diverser Kunstauktionen. Daneben erledigte sie alle anderen Arbeiten, die anfielen: Sie schrieb Briefe und Angebote und korrespondierte für ihren Chef mit anderen Sammlern. Ihre wichtigste Aufgabe war es, Cordes’ umfassende Sammlung zu sichten und zu katalogisieren. Er sammelte seit fast 50 Jahren und hatte, wie er einmal lächelnd anmerkte, vor 42 den Überblick verloren, weil er damals bereits ahnte, dass sie sich eines Tages kennenlernen würden. Als sie bei Walter Cordes angefangen hatte, gab es nur unzählige Kisten mit Exponaten. Lena nahm die Autografen, Skizzen und sonstigen Stücke in einen Katalog auf, ordnete sie nach Autoren, Ländern und Zeiten und stellte thematische Querverweise her. So entstanden manchmal Verbindungen und Bezüge, die selbst Walter Cordes überraschten – oder wie er es ausdrückte: »Ich wusste es vielleicht noch nicht, aber gedacht habe ich es mir schon …«

Sie mochte den alten Mann und bewunderte ihn für die Hartnäckigkeit, mit der er jetzt schon ein halbes Leben seine Sammlung vorantrieb. Ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit hatte er ihr erzählt, wie es dazu gekommen war.

Damals war er 30 Jahre alt gewesen und hatte vor dem Schaufenster eines Antiquariats ein signiertes Exemplar seines Lieblingsbuches entdeckt: Die Schachnovelle, ebenfalls von Stefan Zweig. Er hatte es gekauft, obwohl er es sich eigentlich nicht leisten konnte. Zu Hause hatte er das Buch in sein Regal gestellt und es fast jeden Tag für einen Augenblick in die Hand genommen. Dabei hatte er irgendwann festgestellt, dass es eine Art Aura besaß; es war der Beginn einer lebenslangen Sammlerleidenschaft gewesen.

Leider hatte Walter Cordes in den ersten Jahrzehnten seiner Sammlertätigkeit neben seinem Beruf als Anwalt nicht genügend Zeit gehabt, die Sammlung zu pflegen und zu katalogisieren. Das war wohl die Crux: Entweder man verdiente Geld, um Stücke anzukaufen, oder man hatte Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Als Walter Cordes dann in Rente gegangen war, hatte er sich vor einem ganzen Lager und Bergen von Kartons und Ordnern wiedergefunden, angefüllt mit Einzelblättern, Büchern, Heften und Skizzen. Ihm war klar geworden, dass er seine Sammlung allein nicht bewältigen würde können. Also schaltete er eine Anzeige: Älterer Herr, gleichwohl offen wie eigensinnig, sucht zuverlässige Kraft mit Erfahrungen in der Literaturwissenschaft und der Kunstgeschichte, die eine Leidenschaft für staubige Texte hat. Lena kannte den Text immer noch auswendig, weil er so schön altmodisch und ein bisschen verschroben klang. Als sie die Anzeige im Hamburger Abendblatt gelesen hatte, hatte sie sofort gewusst, dass sie diesen Job haben wollte. Und mit ihrem Magister in Germanistik und Kunstgeschichte schien sie prädestiniert dafür. Sie hatte nach dem Studium zwei Jahre in Frankreich gelebt, wo sie für private Galerien – und für fast kein Geld – gearbeitet hatte. Danach war sie nie lange in einem Job geblieben. Sie ließ sich treiben, nahm Aufgaben an, die sie spannend fand, und verließ die Firmen wieder, wenn sie das Gefühl hatte, keine neuen Impulse mehr sammeln zu können. Diese Gefahr bestand nun nicht mehr: Sie mochte staubige Texte, besonders wenn sie in lange nicht eingesehenen Archivboxen darauf warteten, von ihr entdeckt zu werden. Als sie bei ihrem Vorstellungsgespräch hörte, dass Walter Cordes Autografen sammelte, war sie restlos begeistert gewesen. Und jetzt arbeitete sie schon seit sechs Jahren für den alten Mann. Die beste Entscheidung, die sie je getroffen hatte. Sie verdiente zwar kein Vermögen, aber es reichte. Wenn jemand Lena fragte, was sie beruflich machte, antwortete sie manchmal »Privatsekretärin« oder »Assistentin«, manchmal aber auch mit »Ich mache was mit Kunst« – je nachdem, ob ihr Gegenüber interessant war und sie das Gespräch weiterführen wollte oder nicht.

Über die Jahre hatte sie sich selbst ein fundiertes Wissen über Autografen angeeignet und einen Ordner mit faksimilierten Unterschriften angelegt, in dem sich auch verschiedene Signaturen von Stefan Zweig fanden; viele erkannte sie sofort, wenn sie sie sah, und konnte sie einer bestimmten Zeit im Leben eines Schriftstellers oder Künstlers zuordnen. Immer wieder wurde Lena darum von anderen Sammlern um ihre Expertise gebeten, was nicht nur ihr, sondern auch Walter Cordes jedes Mal schmeichelte. Noch dazu hatte sie ein untrügliches Gespür für die Echtheit eines Stücks. Das brauchte sie auch: Es war schon vorgekommen, dass Cordes von Privatpersonen, die sich als Experten ausgaben, Stücke angeboten wurden, die Lena schnell als Fälschungen entlarvt hatte.

Daran musste Lena nun auch denken, während sie den neuen Zweig begutachtete. Es war wohl Sentimentalität gewesen, die Walter Cordes veranlasst hatte, auch diesen Autograf zu erstehen – noch dazu zu einem erstaunlich hohen Preis. Bei diesem Autor gingen bei ihm die Gefühle durch. Und leisten konnte er es sich – anders als zu Beginn seiner Sammlerkarriere – auch. Trotzdem nahm Lena sich vor, in Zukunft noch besser aufzupassen, wenn ein Zweig-Exponat angeboten wurde. Es gab genügend Scharlatane auf dem Markt, die genau wussten, welcher Sammler bei wem schwach wurde.

Es war aber nicht nur Lenas Aufgabe, die Sammlung ihres Chefs zu betreuen. Leider war in den letzten Jahren eine weitere hinzugekommen: Angesichts seines fortgeschrittenen Alters sorgte sich Walter Cordes, was mit seinen geliebten Stücken in Zukunft geschehen sollte. Wie wohl jeder Sammler träumte auch er davon, seine Schätze in einem eigenen Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Cordes wollte seinen Nachlass geordnet in gute Hände geben, aber das gestaltete sich unglaublich zäh und langsam. Sie standen in Kontakt mit der Hamburger Kulturbehörde, um nach Wegen zu suchen, aber die Mühlen der Behörde mahlten extrem langsam. In letzter Zeit bemerkte Lena immer wieder, dass ihr Chef zunehmend ungeduldig wurde. In den letzten Monaten gab er Lena immer häufiger Aufträge, die mit Anwälten und Testamenten zu tun hatten. Lena erledigte diese Arbeiten immer mit einem unguten Gefühl. Sie wollte nicht daran denken, wie es wäre, wenn er nicht mehr da wäre. Sie würde nicht nur ihren Arbeitgeber verlieren, sondern auch einen sehr netten Menschen.

»Ich fürchte, dass ich mich beeilen muss, um meine Dinge zu regeln«, sagte Walter Cordes oft.

Lena hatte es aufgegeben, ihn zu beschwichtigen. Walter Cordes war wirklich nicht mehr der Jüngste, er hatte einfach keine Zeit mehr, um jahrelang auf Entscheidungen zu warten. Und so machte Lena Druck, knüpfte immer neue Kontakte und fragte stetig nach. Alles, was sie bis zu einer endgültigen Entscheidung tun konnte, war, die bestehende Sammlung zu pflegen und für eine neue Bestimmung vorzubereiten sowie neue Konzepte zu entwickeln, wie man sie präsentieren könnte. Die schönsten Stücke stellten sie bereits jetzt in den Vitrinen aus, die im zweiten Raum standen. Nur bekam die leider niemand außer ihnen beiden zu Gesicht.

Den Rest des Tages war sie damit beschäftigt, im Internet nach Informationen zu Joseph Roth zu suchen, einem Freund und Korrespondenzpartner von Stefan Zweig, der ebenfalls zu Cordes’ Steckenpferden gehörte. Zum Mittagessen ging sie in ein kleines asiatisches Bistro um die Ecke, wo es eine köstliche Kokosmilchsuppe gab, die schön scharf und cremig war, so wie sie es mochte. Sie fragte ihren Chef immer, ob er sie begleiten wollte oder sie ihm etwas mitbringen könnte; meistens sagte er Nein, Walter Cordes aß mittags kaum etwas. Heute aber nickte er dankbar. Lena holte zwei Suppen, und sie aßen an ihren Schreibtischen. Sie betrachtete gerührt, wie er mit leicht zitternden Händen den Löffel zum Mund führte. Kurz nach dem Essen fuhr er nach Hause, und Lena arbeitete weiter.

Gegen vier klingelte ihr Telefon.

»Lena Ercken, Büro Cordes«, meldete sie sich.

»Hallo Schwesterherz. Hast du heute Abend schon was vor? Wollen wir gemeinsam was trinken gehen? Ich würde gern was mit dir besprechen.«

Die Stimme ihrer jüngeren Schwester Monika klang ein bisschen belegt.

»Ist was mit Mama und Papa?«, fragte Lena beunruhigt. Ihre Eltern wohnten in Sasel, einem grünen Randbezirk von Hamburg. Da Monikas Mann Hans dort eine Zahnarztpraxis hatte, war Monika immer besser informiert, was zu Hause los war.

»Nein, nein, da ist alles in Ordnung«, sagte Monika ausweichend.

Und wo war etwas nicht in Ordnung?, fragte sich Lena. Aber was es auch war, es schien, als würde ihre Schwester es lieber von Angesicht zu Angesicht besprechen.

»Okay. Ich wollte sowieso gleich Feierabend machen. Wo treffen wir uns?«, fragte sie.

»In einer halben Stunde bei Paolo?« Paolo war Monikas Lieblingsitaliener in der Neustadt, knappe 15 Minuten zu Fuß von Lenas Büro entfernt.

»Alles klar. Bis gleich.« Lena legte auf und ließ die Hand nachdenklich auf dem Hörer liegen. Monika war die Tochter, die in den Augen ihrer Eltern alles richtig gemacht hatte: Sie war verheiratet und hatte zwei Kinder, Leon und Pia, die auf ein gutes Hamburger Gymnasium gingen. Hans kannte sie schon von der Schule. Er verdiente gut, sie wohnten in einem Haus im Alstertal, das fast abbezahlt war, und Monika arbeitete zwei Tage in der Woche in der Praxis ihres Mannes.

Lena seufzte, während sie aufstand, rasch das Büro aufräumte und dann im Hinausgehen hinter sich abschloss. Zum Glück teilte Monika nicht die Meinung ihrer Eltern – sie fand Lenas Leben völlig in Ordnung. Manchmal beneidete sie Lena sogar um ihre Unabhängigkeit, zumindest sagte sie das. Ihre Eltern meinten es nicht böse, wenn sie sich für ihre Älteste »etwas Sicheres« wünschten, womit sie in erster Linie einen Mann meinten. Mit Lenas Beruf hatten sie jedoch auch so ihre Schwierigkeiten. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie man mit alten Unterschriften Geld verdienen konnte. Lenas Leben blieb ihnen irgendwie fremd. Monika dagegen konnten sie viel besser verstehen, mit einem Zahnarzt als Mann, Kindern und einem Haus im Grünen.

Lena dachte immer noch über ihre Schwester nach, als sie schon auf Höhe des Michels war. Sie schenkte dem Turm nur einen kurzen Blick. Irgendetwas sagte ihr, dass es Monika gerade nicht gut ging. Beunruhigt beschleunigte sie ihre Schritte.

Als sie das Restaurant in der Neustadt betrat, sah sie Monika gleich vom Eingang aus. Sie saß an einem Tisch in der Ecke. Ihr Gesicht verschwand beinahe hinter einem Vorhang aus Haaren, als sie auf ihr Handy starrte.

Lena fühlte eine Welle der Zärtlichkeit in sich aufsteigen. »Hallo, kleine Schwester«, sagte sie und ließ sich auf die Bank neben sie gleiten.

»Lena, danke, dass es geklappt hat.«

Sie umarmten sich, wobei Monikas Haar auf unendlich vertraute Weise Lenas Wange kitzelte. Dieses dicke Haar hatten beide Schwestern vom Vater geerbt. Bei Lena lag es in weichen Locken um den Kopf, aber bei Monika hatten sich die väterlichen Gene zu einer wilden Lockenpracht ausgewachsen, die sich kaum bändigen ließ. Mit 16 hatte Moni ihre Haare gehasst und alles probiert, sie zu glätten, aber nichts hatte funktioniert. Dann hatte sie sie jahrelang zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Hans’ Geständnis, sich als Erstes in ihre Haarpracht verliebt zu haben, hatte sie dann einigermaßen mit ihrer Frisur versöhnt. Aber in der Genlotterie hatten die beiden Schwestern nicht nur Merkmale ihres Vaters gewonnen. Wie ihre Mutter hatten sie Sommersprossen auf der Nase und den Wangen. Ihre Ähnlichkeit war kaum zu übersehen, und sie standen sich sehr nahe, aber das war nicht immer so gewesen.

Als sie beide noch zu Hause gewohnt hatten, waren Lena und Monika wie Hund und Katze gewesen. Heute war Lena unendlich dankbar für die Nähe zu ihrer Schwester, die für sie einer der wichtigsten Menschen auf der Welt war, und sie wusste, dass Monika genauso fühlte. Obwohl sie in vielen Dingen grundverschieden waren, verstand Lena sich mit Monika oft ohne Worte. Sie teilten dieselbe Kindheit, dieselben Erinnerungen; sie konnten sich Dinge anvertrauen, die sie anderen Menschen nicht sagen würden. Die Beziehung zu ihrer Schwester war für Lena etwas ganz Besonderes.

»Schön, dass du da bist.« Monika schob ein paar Taschen von angesagten Boutiquen zur Seite, um neben sich auf der Bank Platz zu machen. Lena sah mit Schrecken, dass sie offensichtlich geweint hatte, denn die Mascara ihrer sonst immer perfekt geschminkten Schwester war verlaufen.

»Was ist los?«, fragte sie alarmiert.

Monika sagte etwas, aber so leise, dass Lena es nicht verstand.

»Was?«

Ihre Schwester holte Luft und wiederholte ihren Satz: »Ich glaube, Hans betrügt mich.« In ihren Augen glänzten frische Tränen, als sie Lena ansah.

Lenas erster Impuls war, laut aufzulachen. Hans und seine Monika betrügen? Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Der Mann liebte seine Frau und hatte darüber hinaus gar keine Zeit für ein Verhältnis. Aber dann fiel ihr ein, wie oft die Beziehungen von Freunden in die Brüche gegangen waren, wo sie das auch nie für möglich gehalten hatte.

»Was sagst du da?«, fragte sie schließlich vorsichtig. »Das glaube ich nicht.«

Monika schniefte. »Erinnerst du dich noch an Martina?«

»Du meinst die Martina?«

Die Martina war früher der Star an ihrer Schule gewesen: blond, schön und intelligent. Alle Jungs der Oberstufe waren in sie verliebt gewesen. Zu ihnen hatte auch Hans gehört, bevor er sich in Monika verguckt hatte.

Monika nickte. »Nach dem Abi hat sie geheiratet und ist irgendwo nach Süddeutschland gezogen.« Während sie das sagte, fing sie an, an der Papierserviette herumzuzupfen, die vor ihr auf dem Tisch lag.

»Und?«

»Und … jetzt hat sie sich von ihrem Mann getrennt und lebt wieder in Hamburg.«

»Woher weißt du das?«

»Sie ist vor einiger Zeit in die Praxis gekommen.«

»Aber nicht als Patientin?«

Monika sah sie nachdenklich an. »Du meinst, sie brauchte gar keinen Zahnarzt und wollte einfach nur Hans wiedersehen? Das glaube ich nicht. Ich denke, es war eher Zufall. Sie hat jedenfalls ziemlich überrascht getan, als sie erst mich erkannt hat und dann Hans.«

»Und dann?«

Monikas Augen wurden schon wieder feucht. »Mir ist aufgefallen, dass sie dann sehr oft gekommen ist. Ich bin ja nicht jeden Tag in der Praxis, aber das hab sogar ich gemerkt. Und ein Blick in die Patientenakte hat auch bestätigt, dass ich mir das nicht nur eingebildet habe … Seitdem ist Hans immer häufiger abends weg. Und neulich sogar übers Wochenende. Ein Treffen unter alten Kommilitonen, hat er gesagt. Das hat er noch nie gemacht. Er hat immer gesagt, dass er froh ist, die nicht mehr sehen zu müssen.« Sie schüttelte den Kopf. »Er gibt sich nicht mal Mühe, einen plausiblen Grund zu erfinden. Als wäre es ihm völlig egal, wie ich mich fühle.«

»Das passt überhaupt nicht zu ihm. Hans hat dich immer angebetet.«

Das hätte Lena nicht sagen sollen. Monika fing jetzt richtig an zu weinen. Der Kellner, der gerade an ihren Tisch getreten war, um die Bestellung aufzunehmen, ging betroffen wieder weg. Zum Glück waren außer ihnen keine anderen Gäste im Restaurant, weil es noch so früh war. Lena wusste nicht, was sie anderes tun konnte, als ihre Schwester in den Arm zu nehmen. Einen Moment lang saßen sie einfach so da. Lena ging durch den Kopf, dass Monika und Hans für sie immer das perfekte Paar gewesen waren. Sie hatten sich schon in der Schule kennengelernt, und es war früh klar gewesen, dass sie zusammenbleiben und eine Familie gründen würden. Es war vielleicht nicht der spannendste Lebensentwurf, aber ein sehr solider.

»Ihr dürft euch nicht trennen. Ihr seid doch mein großes Vorbild«, flüsterte sie.

Monika setzte sich auf und fischte nach einem Tempo in ihrer Handtasche, um sich die Tränen von den Wangen zu wischen.

»Ich habe nie einen anderen Mann geliebt als Hans«, sagte sie dann. »Und ich werde auch nie einen anderen lieben. Aber ich hätte ihm so etwas nie zugetraut. Wie kann er mir das nur antun? Ich fühle mich so … benutzt!«

»Was willst du denn jetzt machen?«

Monika sah sie an und zupfte weiter an ihrer Serviette. Sie hatte bereits einen ganzen Haufen Fetzen vor sich auf dem Tisch liegen. »Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Ich komme mir vor wie ein Zombie. Am liebsten würde ich einfach abhauen.«

Lena wollte protestieren, doch Monika brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn sie sich erst mal einfach alles von der Seele redet, dachte Lena.

»Hans und ich sind jetzt 20 Jahre zusammen. Wir kennen nur einander. Vielleicht war es für ihn einfach mal an der Zeit, das zu hinterfragen. Vielleicht hat er auch so etwas wie Torschlusspanik …«

»Willst du ihn etwa in Schutz nehmen?«, fragte Lena dazwischen.

»Nein, will ich nicht. Aber ich will versuchen, ihn zu verstehen. Und ich will ihn zurück. Also werde ich ihm Zeit zum Nachdenken geben. Ich habe mir das gut überlegt. Vielleicht nehme ich mir auch eine Auszeit. Aber ich brauche dich dazu.«

»Wie meinst du das? Willst du zu mir ziehen?«

Monika schüttelte den Kopf. »Das ist lieb von dir. Aber wenn ich das wirklich durchziehe, dann will ich auch ganz für mich sein.« Sie legte ihre Hand auf Lenas und sagte: »Ich finde es aber wichtig, dass du Bescheid weißt. Ich habe bisher mit niemandem darüber gesprochen. Ich weiß noch nicht genau, ob und wann und wohin ich gehe, aber kann ich dann auf dich zählen?«

»Natürlich. Aber …« Lena wusste immer noch nicht, worauf Moni hinauswollte. »Wie soll das denn aussehen?«

»Du kannst dir ja vorstellen, dass Mama und Papa durchdrehen werden, wenn sie das erfahren. Wir müssen ihnen dann eine gute Geschichte erzählen.«

»Und Pia und Leon?«

»Ich weiß nicht, wie viel sie mitkriegen. Hans und ich streiten ja nicht zu Hause. Außerdem sind sie fast erwachsen. Vielleicht ist es auch für sie ganz heilsam zu sehen, wie es ohne mich ist.«

Lena wusste nicht, was sie davon halten sollte. »Du bist noch nie in deinem Leben nur für dich gewesen.« Das stimmte: Moni hatte kurz nach dem Abi geheiratet. Sie hatte nie allein gelebt so wie Lena. Besser spät als nie? »Vielleicht ist es mal an der Zeit dafür«, sagte sie.

Monika sah sie hoffnungsvoll an. »Findest du? Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg für meine Ehe ist. Aber in jedem Fall fühlt es sich gut für mich an.«

Lena nickte. »Mach dir keine Sorgen. Ich halte dir bei Mama und Papa den Rücken frei. Und wenn was mit Pia oder Leon ist, bin ich für sie da.« Sie zögerte. »Bist du dir ganz sicher?«

Monika griff nach Lenas Hand und nickte. »Bin ich.« Sie schob die völlig zerfetzte Serviette auf die Seite und winkte den Kellner an ihren Tisch. »Und jetzt kein Wort mehr über Hans. Lass uns bestellen.«

Kapitel 3

Am nächsten Tag war Lena unkonzentriert im Büro. Sie wollte eigentlich ihre Liste mit ausstehenden Anfragen bei Kulturämtern und Behörden durchgehen, musste aber immer wieder an Monika denken. Dass sie und Hans ernste Probleme hatten, beunruhigte sie. Aber gleichzeitig fand sie Monikas Idee, sich für eine Zeit lang von ihm zu trennen, sehr mutig. Manchmal brauchte man einfach Abstand, um klar sehen zu können. Monika hatte am Ende des Abends, nach dem Essen, als sie noch mal über alles gesprochen hatten, entschlossen und fast ein bisschen unternehmungslustig gewirkt. Früher hätte Lena ihrer kleinen Schwester so etwas nie zugetraut – und Monika sich selbst wahrscheinlich auch nicht –, aber nun schien sie sich alles genau überlegt zu haben und durch das Gespräch nur noch entschlossener.

»Tschüss, Frau Ercken.« Lena zuckte zusammen, als Walter Cordes sie am frühen Nachmittag ansprach. »Machen Sie doch auch Feierabend. Sie sind heute ohnehin nicht so recht bei der Sache.«

»Tut mir leid«, sagte sie. »Mir geht da was durch den Kopf.«

»Na, dann lassen Sie es mal vorübergehen. Morgen ist auch noch ein Tag.« Er zog sich umständlich seinen Mantel an, schloss mit zittrigen Fingern die Knöpfe und richtete den Kragen, wobei er mit schmerzverzerrtem Gesicht die Arme hob. Dann steckte er die Lupe in die Tasche.

Lena widerstand dem Reflex, aufzuspringen und ihm behilflich zu sein; das mochte Cordes nicht. Er fand, es gehörte sich, dass Männer einer Frau in den Mantel halfen, nicht umgekehrt. »Danke, das ist nett von Ihnen«, sagte sie daher stattdessen. »Ich schließ nur noch schnell die Sachen ein.«

Im Büro stand ein mannshoher Tresor, in dem sie die wertvollsten Stücke in grauen Pappmappen aufbewahrten. Es gab zwar einen Sicherheitsdienst, dessen Leute nachts in den Speichern Patrouille gingen, aber auf den wollte sich keiner der beiden verlassen.

»Haben Sie sich ein Taxi bestellt?«, fragte Lena. Bis zum letzten Sommer war er noch selbst gefahren, ein altes burgunderrotes Mercedes-Cabrio mit cremefarbenem Dach und ebensolchen Felgen sowie einem H im Kennzeichen, das den Wagen als historisch kennzeichnete. Das schönste Auto, das Lena jemals gesehen hatte. Aber zum Fahren fühlte er sich nicht mehr sicher genug, und jetzt stand der Wagen in der Garage.

»Müsste schon unten stehen. Bis Montag.« Er war schon halb zur Tür hinaus, als er sich noch einmal umdrehte: »Machen Sie was Schönes. Tragen Sie Ihr Kleid spazieren.« Er lächelte verschmitzt.

»Mach ich«, gab Lena zurück und strich über die feine Crêpe-de-Chine-Seide ihres braun gemusterten Kleides mit den orangefarbenen Polkadots. Ein Schnäppchen vom Flohmarkt, das ihr ganz hervorragend stand und dessen Schalkragen im Stil der Vierzigerjahre ihr Dekolleté hervorhob.

Als ihr Chef gegangen war, legte sie das Zweig-Buch in den Tresor. Dann ging sie zu der Vitrine hinüber, in der sie tagsüber wechselnde Exponate präsentierten, meistens nur zu ihrem eigenen Vergnügen. »Was soll ich mit einer Sammlung, wenn ich sie nicht täglich um mich haben kann?«, war Walter Cordes’ Meinung zu diesem Thema.

Hier lag seit einigen Tagen eine kleine Zeichnung von Matisse, ein Herzstück der Sammlung, die normalerweise bei Cordes zu Hause hing. So wie sie ihn kannte, hatte ihr Chef sich sicher gerade von dem Matisse verabschiedet, als sei er ein guter Freund. Sie nahm das gerahmte Blatt vorsichtig aus der Vitrine und legte es zu den anderen Sachen in den Tresor. Auch dieses Stück hatte seine eigene, ganz besondere Geschichte.