Der Duft von Rosmarin und Schokolade - Tania Schlie auch bekannt als SPIEGEL-Bestseller-Autorin Caroline Bernard - E-Book
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Beschreibung

Warmherzig und lebensweise: der gefühlvolle Roman „Der Duft von Rosmarin und Schokolade“ von Erfolgsautorin Tania Schlie jetzt als eBook bei dotbooks. Wie kann man weiterleben, wenn das Glück verloren scheint? Seit sie von ihrem Mann für die beste Freundin verlassen wurde, fühlt sich Maylis wie im freien Fall. Halt findet sie nur in dem Feinkostladen, in dem sie arbeitet. In dieser kleinen Welt – die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint – begegnet sie Menschen, die ihre Gedanken zum Tanzen bringen: eine mondäne Theater-Diva, ein chronisch abgebrannter Student, eine junge Frau, die mit Tränen in den Augen an ihre verflossene Liebe denkt … Langsam, ganz langsam, erwacht in Maylis wieder die Neugier auf das Abenteuer, das man Leben nennt. Aber ist sie auch schon bereit, einem Mann zu erlauben, ihr Herz zu erobern? Eine Geschichte über zerbrochene Gefühle und neue Liebe, über das Hinfallen, Aufstehen und Weitergehen – berührend und schwungvoll erzählt von der Autorin des Bestsellers „Die Spur des Medaillons“. Jetzt als eBook kaufen und genießen – denn wer von uns hat nicht den Filmerfolg „Die fabelhafte Welt der Amélie“ geliebt? „Der Duft von Rosmarin und Schokolade“ von Tania Schlie. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 417

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Über dieses Buch:

Wie kann man weiterleben, wenn das Glück verloren scheint? Seit sie von ihrem Mann für die beste Freundin verlassen wurde, fühlt sich Maylis wie im freien Fall. Halt findet sie nur in dem Feinkostladen, in dem sie arbeitet. In dieser kleinen Welt – die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint – begegnet sie Menschen, die ihre Gedanken zum Tanzen bringen: eine mondäne Theater-Diva, ein chronisch abgebrannter Student, eine junge Frau, die mit Tränen in den Augen an ihre verflossene Liebe denkt … Langsam, ganz langsam, erwacht in Maylis wieder die Neugier auf das Abenteuer, das man Leben nennt. Aber ist sie auch schon bereit, einem Mann zu erlauben, ihr Herz zu erobern?

Eine Geschichte über zerbrochene Gefühle und neue Liebe, über das Hinfallen, Aufstehen und Weitergehen – berührend und schwungvoll erzählt von der Autorin des Bestsellers Die Spur des Medaillons.

Über die Autorin:

Tania Schlie, geboren 1961, studierte Literaturwissenschaften und Politik in Hamburg und Paris. Bevor sie anfing zu schreiben, war sie Lektorin in einem großen Verlag. Heute lebt sie als erfolgreiche Autorin in der Nähe von Hamburg.

Bei dotbooks veröffentlicht Tania Schlie, die auch unter den Namen Greta Hansen und Caroline Bernard erfolgreich ist, die Romane »Der Duft von Sommerregen«, »Die Spur des Medaillons«, »Eine Liebe in der Provence«, »Ein Sommer in Bonneville«, »Die Liebe der Mademoiselle Godard«, und – auch als Sammelband unter dem Titel »Auf den Flügeln der Hoffnung« erhältlich – »Elsas Erbe«, »Zwischen uns der Ozean« und »Die Jahre ohne dich«.

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Originalausgabe Oktober 2016

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Rabea Güttler

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/LiliGraphie  und shutterstock/Alliance

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-800-7

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Tania Schlie

Der Duft von Rosmarin und Schokolade

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Thunfisch, ganz frisch, dunkelrot, mindestens zehn Stunden in bester Sojasoße, Ingwer, einer Spur Knoblauch und Öl mariniert. Dazu saftiger Rettich, hauchfein gehobelt, und jede Menge frische Korianderblätter.

Der Anblick des in mundgerechte Stücke geschnittenen Fisches und der verführerische Duft lassen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Ihre Lippen zittern erwartungsvoll, während sie dem Mann zusieht, der ihr gegenübersitzt und mit den Stäbchen geschickt das beste Stück herausfischt und es in die Wasabicreme tunkt, um es ihr lächelnd über den Tisch zu reichen. Sie öffnet den Mund und nimmt seine Liebesgabe entgegen, während sie ihm tief in die Augen sieht. Der kühle Thunfisch zergeht auf der Zunge, dann berührt die Schärfe des Wasabi die Geschmacksnerven und bringt ihre Nase bis zur Schädeldecke zum Kribbeln …

In diesem Augenblick rasselte der Wecker. Maylis Klinger leckte sich über die Lippen, in der Hoffnung auf einen Hauch … vergebens: Der Geschmack von Thunfisch war verschwunden.

Stattdessen: Montagmorgen. Und Regen. Der erste richtige Regen in diesem Herbst. Er pladderte an die Fensterscheiben. Maylis streckte sich noch einmal unter der Bettdecke, dann stand sie auf und ging in die Küche hinüber. Sie öffnete die Balkontür, und der Geruch nach aufgeweichtem Staub und den Ablagerungen des heißen Sommers lag in der Luft. Ihre Kräutertöpfe schwammen im Wasser. Die zarten Dill- und Korianderpflanzen ließen die Köpfe hängen. Sie waren nicht mehr zu retten. Aber den robusteren Salbei und den Rosmarin zog sie in den Schutz des Dachvorsprungs, wobei große Regentropfen auf ihren Schultern zerplatzten. Mit einem Knall schloss sie die Balkontür wieder. Unschlüssig sah sie sich in ihrer Küche um. Ihr Traum hatte sie hungrig gemacht. Wider besseres Wissen sah sie in ihren Kühlschrank und machte die Tür gleich wieder zu. Er war schon das ganze Wochenende über leer gewesen. Sie füllte Wasser in die Espressomaschine und stellte sie an, dann ging sie unter die Dusche. Während sie sich einseifte, dachte sie kurz darüber nach, wer der attraktive Mann in ihrem Traum wohl gewesen sein mochte. Niemand, den sie kannte. Und bestimmt nicht Max. Der war während ihrer Ehe nie besonders fürsorglich gewesen – er hatte ihr nie die besten Bissen vom Teller gepickt.

***

Um fünf Minuten vor neun sprang sie von ihrem heiß geliebten Motobécane-Fahrrad und tappte direkt in eine Pfütze. Schmutziges Wasser spritzte hoch und ihr von oben in die dunkelblauen Chucks. Durch die Nähte ihrer Jacke sickerte der Regen in ihren Nacken. Sie schloss ihr Rad unter der großen Kastanie vor dem Geschäft an die dicke Baumbegrenzung an und hastete über den breiten Bürgersteig auf den Eingang des Feinkostgeschäfts zu. Eigentlich nahmen die Mitarbeiter den hinteren Eingang, der vom Hof auf der Rückseite in den Laden führte, aber sie hatte gesehen, dass das Tor noch geschlossen war, und ihr Rad deshalb vor dem Laden abgestellt.

»Mal wieder auf die letzte Minute!«, brummelte Wilhelm Radke und stand dabei so in der Tür, dass Maylis nicht an ihm vorbeikonnte. »Der Sommer ist nun wohl endgültig rum. Das wird kein gutes Geschäft heute.« Mit gerunzelter Stirn sah er in den grauen Himmel, aus dem der Regen jetzt noch heftiger fiel.

»Guten Morgen. Lassen Sie mich rein?«, fragte Maylis, während einzelne Regentropfen vom Rand der Kapuze über ihre Stirn liefen.

Ihr Chef machte einen Schritt zurück in den Laden, und Maylis folgte ihm.

Hungrig sog sie den Duft des Feinkostgeschäfts ein. Ein Geruch nach frisch gemahlenem Kaffee und Buttercroissants, die gleich links am Eingang neben der Kasse angeboten wurden. Maylis schluckte. Auf der linken Seite schloss sich die Obstabteilung an, aus der es nach Zitrusfrüchten und Kräutern roch. An der verspiegelten Wand mit der Aufschrift »Südfrüchte«, die noch aus den Sechzigerjahren stammte, stapelten sich die Kisten mit Äpfeln, Kartoffeln und anderem Gemüse. Davor standen die feineren Waren in großen Körben. An der Rückseite des Ladens waren die Konserven in hölzernen Regalen aufgereiht – Linsen aus der Camargue, Pesto aus Italien, eingelegte Trüffel und Morcheln, Spargelspitzen, Olivenöl, kalt gepresst, reine Sorten, alphabetisch nach ihrem Herkunftsland sortiert: Frankreich, Griechenland und Italien. An der Rückseite befand sich auch die Tür, die zu den Nebenräumen und zum Hof führte. Rechts davon schloss sich das Weinregal an. Feinkost Radke führte in erster Linie Rotweine aus Italien und Frankreich und ein Sortiment rheinischer Rieslinge. Der frisch eingetroffene Federweiße stand in Kisten davor, gut sichtbar für die Kunden, die immer auf der Suche nach etwas Besonderem waren. Maylis ließ den Blick weiter nach rechts schweifen. Von dort strömte der unnachahmliche Geruch einer gut sortierten Käseabteilung herüber. An der Wand hinter der Käsetheke hingen noch die Fliesen aus der Entstehungszeit des Hauses. Sie waren elfenbeinfarben mit einem Rand aus zarten Blüten in Hellblau und Rot und stammten noch aus der Zeit, als hier eine Schlachterei gewesen war. Diese Fliesen und die Säule aus hellem Granit, die ziemlich in der Mitte des Raumes stand und die Decke trug, mochte Maylis am meisten.

Für eine Sekunde schloss sie die Augen, um das Aroma in sich aufzunehmen, während sie die nassen Schuhe auf der knallroten Matte abtrat. »Feinkost Radke. Qualität seit 1955«, stand dort in fetten Buchstaben. Diese Fußmatte war der ganze Stolz von Gerda Radke, die von allen »die Generalin« genannt wurde. Sie war die Mutter von Wilhelm und hatte den Laden gegründet, »nach dem Krieg, in der schlechten Zeit, war nicht einfach. Aber wir hatten ja alle nichts«. Die Generalin hatte diese Art Fußmatte vor einigen Jahren vor einem Hotel in Berlin gesehen und nicht geruht, bis sie den Hersteller ausfindig gemacht hatte. Jeden Abend wurde die Matte gesaugt, jeder kleine Fleck musste sofort entfernt werden. Und zweimal im Jahr wurde sie in eine Spezialreinigung gegeben.

Unter dem sorgenvollen Blick von Wilhelm Radke, der seinen Blick abwechselnd zum Himmel und zu ihren Füßen schickte, fuhr Maylis ein letztes Mal mit den Schuhsohlen über das »1955«.

»Ich mach schnell das Tor auf. Jetzt sind Sie ja da«, sagte er und spannte einen Regenschirm auf. »Und dann kommen Sie erst mal wieder hier nach vorn. Frau Fitz ist nämlich auch noch nicht da.«

»Ist gut«, gab Maylis zurück. »Ich ziehe nur schnell die nasse Jacke aus.« Sie lief durch den Laden und schlüpfte durch die mit Obstplakaten beklebte Tür in die hinteren Räume, wo das Lager, das Kühlhaus, das Büro und der kleine Raum lagen, der den Angestellten von Feinkost Radke als Aufenthaltsraum und Garderobe diente. Das Büro war ihr eigentlicher Arbeitsplatz. Sie war für den Kontakt mit den Lieferanten zuständig, handelte Preise aus, kontrollierte die Wareneingänge und machte die Buchhaltung. Erst wenn sie diese Arbeiten erledigt hatte, stand sie im Laden – und das war es, was ihr am besten gefiel. Sie liebte den Umgang mit den Kunden. Mit den meisten jedenfalls. Feinkost Radke war beliebt und gut sortiert. Und die Kundschaft im feinen Hamburger Stadtteil Eppendorf hatte das nötige Kleingeld, um hier einzukaufen.

»Wenn die Kunden und ich nicht wären, würdest du den lieben langen Tag mit niemandem reden«, hörte sie die Stimme ihrer Kollegin Annette Fitz in ihrem Kopf. Den Vorwurf machte sie ihr mindestens einmal in der Woche.

Maylis hängte ihre Jacke an die Garderobe und vernahm das leise Tack, Tack der Regentropfen auf dem Boden.

Aus dem Laden ertönte die Türklingel. Die erste Kundschaft des Tages. Aber der Chef war ja vorne. Sie hörte ihn einen »Guten Morgen« wünschen. An seiner lahmen Begrüßung erkannte sie, dass es kein Stammkunde war. Wahrscheinlich jemand, der einen Kaffee zum Mitnehmen wollte, oder Coffee to go, wie das jetzt auf dem Schild an der Tür hieß.

Im selben Augenblick klopfte es an die hintere Tür, die vom Lager in den Hof führte. Maylis verknotete die Bänder der Schürze auf dem Rücken, dann ging sie zur Tür und entriegelte sie. Vor ihr stand Annette mit verregneter Frisur.

»Guten Morgen. Du bist spät dran.« Dann bemerkte sie, dass Annettes Wimperntusche verlaufen war und schwarze Striemen auf ihren Wangen bildete. »Wie siehst du denn aus? Hast du etwa geweint?«

Annette schniefte. Dann nahm sie sich für ein schiefes Lächeln zusammen. »Hainer und ich haben das ganze Wochenende gestritten. Heute Morgen hat er mir das Auto nicht gegeben, ich musste mit dem Rad fahren.« Sie war hinter Maylis in den kleinen Garderobenraum getreten, wo ein Spiegel hing. »Oh, Gott!« Hektisch kramte sie auf der Suche nach einem Taschentuch in ihrer Handtasche.

Maylis reichte ihr eines von ihren, und Annette wischte sich die Wimperntusche aus dem Gesicht. Maylis stand hinter ihr und versuchte, ebenfalls einen Blick in den Spiegel zu werfen, um ihr Haar in Ordnung zu bringen. Eigentlich fiel es ihr glatt bis zum Kinn, aber durch den Regen und die Kapuze hatten sich Locken oder zumindest Wellen gebildet.

»Frau Fitz? Sind Sie das? Kommt denn heute jeder zu spät? Jetzt aber ein bisschen Beeilung.« Das war die Stimme vom Chef.

»Lass dir nichts anmerken«, sagte Maylis. »Und morgen schießt du ihn endlich in den Wind.«

»Wen? Radke oder meinen Mann?«

Natürlich meinte Maylis Annettes blöden Ehemann. Sie hatte ihn ein einziges Mal gesehen, als er vor dem Laden auf Annette gewartet hatte. Die hatte noch zu tun gehabt, und er hatte sie angebrüllt. Ein Macho, jähzornig und nach ihren Erzählungen eifersüchtig auf alles und jeden. Und dennoch glaubte Annette felsenfest, besser dran zu sein als Maylis, die ohne Partner war. Darüber konnten sie stundenlang debattieren.

»Guten Morgen, schöne Frau. Haben wir nicht einen prachtvollen Tag heute?«

Maylis fuhr herum und starrte Torsten Brenner an, als trüge er ein rosa Häschenkostüm. Sie hatte ihn nicht hereinkommen hören, und seine Frage verwirrte sie. »Haben Sie mal auf das Wetter geachtet?«, knurrte sie.

»Klar sehe ich, dass es regnet. Aber heute ist Montag, der schönste Tag der Woche, und wissen Sie, warum?« Er sah sie mit einem strahlenden Lächeln an und ließ die weißen Zähne blitzen. »Weil ich Sie da treffe!«

Maylis rollte mit den Augen. Torsten Brenner war um die 30, gut gebaut – sehr gut gebaut, korrigierte sie sich mit einem Blick auf seinen breiten Brustkorb und die Oberarme, die sich unter der Jacke abzeichneten – und braun gebrannt. Um den Hals und das Handgelenk trug er dicke Goldketten, die unvermeidliche Sonnenbrille war ins Haar geschoben. Sie hatte noch nie gesehen, dass er sie auf der Nase hatte. Wahrscheinlich war sie einzig dafür da, seine dunkelblonden Locken aus der Stirn zu halten. Er sah aus wie ein Profisurfer auf Urlaub, aber in Wirklichkeit war er der Lieferant von Feinkost Radke. Mit Obst und Gemüse kannte er sich wirklich gut aus, aber ansonsten hielt Maylis ihn für so langweilig, wie jemand sein konnte, der nie ein Buch las und Dokusoaps auf ProSieben guckte.

»Ich bin am Wochenende mit meinem neuen Auto an die Elbe gefahren. Konnte sogar das Verdeck unten lassen. Schade, dass Sie wieder keine Zeit hatten. War wohl der letzte schöne Tag in diesem Jahr.«

»Vom Fahrtwind bekomme ich Kopfschmerzen«, erwiderte sie ungerührt. »Außerdem laufe ich lieber an der Elbe entlang, statt die Auspuffgase des Vordermanns einzuatmen.«

Das hatte gesessen. Torsten Brenner zog enttäuscht den Kopf ein, doch noch gab er sich nicht geschlagen. »Dann lassen Sie uns doch am nächsten Wochenende einen Spaziergang machen. Ich bringe ein Picknick mit, nur die allerbesten Sachen. Und Früchte wie aus dem Paradies«, setzte er mit einem verschwörerischen Lächeln hinzu.

»Am nächsten Wochenende habe ich schon etwas vor.«

Er ließ sich nicht entmutigen. »Wie schön für Sie. Aber doch nicht das ganze Wochenende? Vielleicht am Freitag nach Ladenschluss? Ich hole Sie ab. Ein Stündchen können Sie sich doch für mich frei machen?«

Von wegen frei machen, dachte sie. »Ich glaube, Sie sollten besser die Waren reinbringen, der Chef ist heute Morgen ein bisschen ungeduldig. Sie sind spät dran.«

»Okay, ich lade dann mal aus«, sagte er lahm.

Maylis sah ihm nach. Es tat ihr leid, wenn sie ihm so den Wind aus den Segeln nahm, aber er gehörte zu den Männern, die einfach nicht kapierten, dass eine Frau nicht einen Funken von Interesse an ihm haben könnte. Am Anfang war sie nett zu ihm gewesen, und er hatte ihr Präsentkörbe mitgebracht und sie mit Einladungen bombardiert. Seitdem behandelte sie ihn kühl, was ihn nicht davon abhielt, weiter um sie zu werben.

Sie schob den Keil unter die Tür, damit diese nicht zufiel, dann ging sie nach vorne in den Laden. Wilhelm Radke bediente eine Kundin am Brotstand, Annette füllte die verschiedenen Frischkäse in die Schüsseln, und Maylis ging zum Gemüsestand, um Platz für Torsten Brenners Obstkisten zu machen.

Sie fand Torsten Brenner als Mann völlig inakzeptabel. Sie mochte keine Männer, die sich nicht richtig ausdrücken konnten. Aber sie bewunderte sein goldenes Händchen für alles, was Gemüse oder Obst war. Als er eine Stiege mit Kräutertöpfen vor sie hinstellte, versenkte sie ihre Nase in das Basilikum und strich mit den Fingern über die Rosmarinbunde, um die unvergleichlichen Düfte einzuatmen. Heute war auch Salbei dabei und Eisenkraut in langen Büscheln. Sie liebte die leicht zitronige Note des herben Krauts. Als sie die Ware zum ersten Mal bestellt hatte, hatte der Chef »das Gestrüpp« für Weidenäste gehalten und sie gefragt, was das denn solle. Zufällig war die Generalin anwesend gewesen. Sie kannte die lindernde Wirkung von Eisenkraut bei – sie hatte nach dem Wort gesucht – »Frauenmalheurs«. Der Chef hatte sich gefügt, und seitdem gab es ab Spätsommer Eisenkraut bei Feinkost Radke. Maylis legte gleich ein Bund für sich zur Seite. Nicht aus medizinischen Gründen, sondern weil sie Tee aus frischem Eisenkraut einfach so gern mochte.

Torsten Brenner balancierte mit weiteren übereinandergestapelten Kisten durch die Tür auf sie zu. Er sah aus wie eine Palette auf Beinen. Er stützte seine Kisten auf dem Obststand ab und fing an, sie von oben nach unten abzubauen. Verschiedene Salate, Äpfel und Bananen kamen zum Vorschein. Ganz unten trug er eine Lage Feigen. Mit einem entwaffnenden Grinsen hielt er ihr eine der reifen Früchte unter die Nase.

»Sehen Sie mal, marokkanische Feigen, ganz außergewöhnlich gut. Wissen Sie, woran die mich erinnern?« Diese Bemerkung machte er jedes Mal, wenn er Feigen dabeihatte. Er hatte es noch nie vergessen. Maylis nahm die dunkelviolette Frucht und legte sie zurück zu den anderen in die kleine Holzkiste. Sie sah ihn lange und undurchdringlich an.

»Na gut, dann will ich mal wieder«, sagte er endlich. »Krieg ich die Unterschrift von Ihnen?«

»Was ist mit den Pfifferlingen? Ich hatte doch welche bestellt.«

Er schüttelte den Kopf. »Die waren viel zu teuer und außerdem schon ziemlich matschig. Ich versuch’s nächste Woche wieder. Dann gibt es vielleicht auch die letzten Steinpilze.«

Maylis nickte und nahm ihm das Klemmbrett aus der Hand. Er hielt es gerne fest, und dann musste sie ihm näher kommen, als ihr lieb war. Sie überflog die Liste und unterschrieb.

»Alles andere ist im Kühlhaus? Dann bis nächste Woche«, sagte sie knapp.

»Wenn Sie nicht zwischendurch was brauchen. Sie wissen doch, Brenners Früchte sind die besten!« Er hatte seine Haltung wiedergefunden. Mit einem Pfeifen auf den Lippen ging er.

Maylis sah ihm nach. Kurz darauf fuhr er mit seinem weißen Lieferwagen auf der Straße vorbei und hupte. Wie jeden Montag. Und wie jeden Montag dachte Maylis: Was für ein Idiot. Wenn auch ein charmanter.

Mit einem Lächeln suchte sie eine besonders schöne Feige aus und schnitt sie auf. Sie war fleischig, innen rosa und saftig, am Rand wurde das Fleisch heller. Beide Hälften legte sie mit der Spitze nach unten nebeneinander auf die anderen, sodass jeder sie sehen musste. Feigenhälften konnten einen wirklich an etwas ganz anderes erinnern …

Für diese Woche hatte sie Torsten Brenner überstanden, und heute Abend würde sie sich mit einer Tasse Eisenkrauttee aufs Sofa kuscheln.

Die Woche konnte beginnen.

Der Regen draußen war stärker geworden. Die Kunden hatten schlechte Laune. Erbittert schüttelten sie ihre nassen Regenschirme auf der roten Matte aus und suchten den Schirmständer, der erst noch aus dem Lager geholt werden musste, weil er den ganzen Sommer lang überflüssig gewesen war.

»Guten Tag!«

Niemand anderes konnte derart viel Hochnäsigkeit in eine Begrüßung legen. Zwei scharfe Ts nach einem in die Länge gezogenen U und am Ende ein G, das wie ein abgehacktes K daherkam: Hilde Becker besaß die unnachahmliche Gabe, eine harmlose Begrüßung wie einen Gnadenbeweis klingen zu lassen. Sie hob dabei leicht das Kinn und ließ den strengen Blick schweifen. Ihr entging nicht die kleinste Unachtsamkeit – kein Staubkörnchen, kein Brötchenkrümel auf dem Boden, kein Preisschild, das schief an der Ware angebracht war. Sie atmete einmal kurz und heftig ein, dann kam sie auf ihren ausgeprägten O-Beinen auf Maylis zu.

»Haben Sie denn keinen Tee? Mir ist kalt. Bei diesem Wetter brauche ich meinen Tee.« Maylis konnte nicht anders, als ihre Stimmmodulation zu bewundern. Jetzt klang sie ganz nach gekränkter Unschuld, der man aus lauter Boshaftigkeit auch noch das kleinste Vergnügen verwehrte. Als Schauspielerin wäre sie eine Kanone gewesen. Als Kundin war sie jedoch die Pest. Hilde Becker kam jeden zweiten Tag und verlangte grundsätzlich Dinge, die nicht vorrätig waren. Und waren sie vorrätig, hatte sie etwas an ihnen auszusetzen.

»Wo haben Sie denn heute Ihren Hannibal?«, fragte Maylis zuckersüß, um sie zu besänftigen.

»Na, wo soll er denn schon sein? Hier natürlich!« Sie wies auf den Korb, dessen Henkel sie über dem Arm trug und aus dem unter einer Wolldecke die spitze Schnauze eines Hundes hervorlugte. Die Schnauze sah aus wie die eines Pinschers, den Rest des Tieres hatte bei Feinkost Radke noch niemand zu Gesicht bekommen. Obwohl Frau Becker nie ohne ihren Hannibal irgendwo hingehen würde. »Sie wissen doch, wie gern mein Hannibal zu Ihnen kommt«, fügte sie hinzu.

Hunde waren bei Feinkost Radke natürlich streng verboten, aber für Frau Becker machte Wilhelm Radke eine Ausnahme. Weil er musste. Er hatte sich am Anfang, als der Hund noch klein und süß war, mit ihr angelegt und für immer den Kürzeren gezogen. Schließlich kannte Hilde Becker den kleinen Wilhelm schon, als er noch »so klein« war – sie zeigte dabei immer mit der Hand auf eine Stelle oberhalb ihres Knies –, und war mit seiner Mutter, der Generalin, per Du. Wenn sie in den Laden kam, galt die Anweisung, sie sofort zu bedienen – »Aber immer schön freundlich bleiben!« – und sie so schnell wie möglich wieder hinauszukomplimentieren, damit niemand den Hund sah. Der hatte nämlich die Angewohnheit, völlig unvermittelt würgende Laute von sich zu geben und kleine Haufen seines halb verdauten Mageninhalts auf dem gewienerten schwarz-weißen Fliesenboden zu hinterlassen.

Frau Becker stand jetzt vor dem Regal mit Kaffee und Tee und fuhr mit dem Zeigefinger die Reihen entlang, wobei sie missbilligend den Kopf schüttelte. In diesem Moment kam der Chef aus dem Lager. Er wollte gleich wieder kehrtmachen, doch sie hatte ihn bereits entdeckt.

»Mein kleiner Wilhelm!«, rief sie und flog fast auf ihn zu. »Da bist du ja!« Dabei wurde der Hund im Korb gut durchgeschüttelt und begann, komische Geräusche von sich zu geben.

»Vorsicht!«, rief Maylis.

Frau Becker schenkte ihr keine Beachtung. Noch zwei Schritte, und sie war bei ihrem Wilhelm angekommen. Sie hob die Hand an sein Gesicht und kniff ihn in die Wange. Wahrscheinlich hatte sie das schon bei ihm gemacht, als er noch in die erste Klasse ging, und es sich einfach nicht abgewöhnen wollen. Nur musste sie sich jetzt ganz schön strecken, um seine Wange hin- und herschlackern zu können.

»Tante Hilde, nun lass das doch mal«, stammelte er.

»Du siehst nicht gut aus«, gab sie zurück und drehte sein Gesicht auf die andere Seite, indem sie kräftig an seiner Wange zog. »Du arbeitest zu viel.«

Der vorwurfsvolle Ton galt Maylis und Annette. Frau Becker war der Meinung, dass die Angestellten ihren Wilhelm ausnutzten und völlig überflüssig waren. Davon ließ sie sich nicht abbringen, ebenso wenig wie davon, dem Chef die Wange zu tätscheln.

Der Chef hatte sich endlich von ihr losgemacht und war unter einem genuschelten »Das Telefon …« ins Lager geflüchtet. Frau Becker und Hannibal kamen an den Obststand herüber. Sie nahm einen Apfel, einen Granny Smith aus Australien, aus der Auslage und hielt ihn Hannibal unter die Nase, der gelangweilt daran schnupperte. »Nicht wahr, der riecht nach gar nichts. Ich weiß auch nicht, warum man Äpfel aus Australien verkaufen muss, wo wir doch das Alte Land vor der Tür haben.«

»Die heimischen Äpfel liegen direkt daneben«, sagte Maylis und wies auf Kisten mit sorgfältig gestapelten Elstar, Jonagold und Gravensteiner. »Ich suche Ihnen gern ein paar schöne aus«, fügte sie hastig hinzu, als sie sah, wie Frau Becker schon wieder die Hand ausstreckte, dieses Mal, um nach einem Apfel ganz unten zu greifen.

»Ach nein, ich habe heute gar keinen Appetit auf Äpfel.«

»Wie wäre es denn mit Feigen? Aus Marokko, sehr aromatisch und saftig.« Maylis zeigte mit dem Finger auf die beiden Hälften und schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln.

Frau Beckers Blick fiel auf die Früchte, dann erschlafften ihre Gesichtszüge. Entsetzt sah sie in Maylis’ Gesicht und wurde über und über rot. Noch einmal riskierte sie einen Blick auf die Feigenhälften, dann sagte sie zu ihrem Hund: »Komm, Hannibal, wir brauchen heute kein Obst.« Hannibal wurde energisch durchgerüttelt und jaulte leise.

»Und was ist mit Eisenkraut? Gibt einen wunderbaren Tee und stärkt den Magen«, rief Maylis ihr nach. Breit grinsend sah sie zu Annette hinüber, die die Szene mit angesehen hatte. Die biss sich auf die Lippen, um ihren Lachanfall zu bezwingen, denn Frau Becker hatte sie als nächstes Opfer auserkoren.

»Die Leberpastete sieht aber nicht ganz frisch aus«, beschwerte Frau Becker sich. »Dann mag Hannibal sie nicht, und er muss sich übergeben. Was gibt es denn da zu lachen?«

Annette flehte Maylis mit den Augen um Hilfe an, aber die tat völlig unbeteiligt und machte sich daran, die Salatköpfe mit Wasser zu besprühen. Wahrscheinlich hatte der Chef die Szene hinten mit angehört, jedenfalls kam er mit energischen Schritten zurück in den Verkaufsraum. Annette machte für ihn Platz hinter der Wursttheke und flüchtete sich zu Maylis herüber.

»Wetten, jetzt nimmt sie die Leberpastete?«, flüsterte sie ihr zu.

Maylis nickte. Frau Becker kaufte schon seit Jahren französische Leberpastete für Hannibal, obwohl der Hund sie nicht vertrug – und tatsächlich.

Kaum hatte Frau Becker – mitsamt Hund und Leberpastete – den Laden verlassen, kam Wilhelm Radke an den Obststand geschossen. »Nehmt sofort diese Dinger, diese Feigen, da weg!«

Ihre Mittagspause machte Maylis im Aufenthaltsraum, wie an fast jedem Tag. Sie nahm sich ein Stückchen Ziegenkäse und ein Körnerbrötchen aus dem Laden mit. Dazu aß sie die Feige, die sie in Spalten auf den Käse legte. Sie lächelte. Brenner hatte recht, die Feigen waren außergewöhnlich gut. Während sie aß, blätterte sie die Morgenpost durch, die Annette hatte liegen lassen. Als sie auf die letzte Seite mit den Klatschnachrichten kam, erstarrte sie. Dort prangte ein Foto von Max und Elena auf irgendeinem Wohltätigkeitsball. Strahlendes Lächeln und Champagnergläser, die in die Kamera gehalten wurden. Max hatte den Arm um Elena gelegt, seine Hand lag auf ihrer Hüfte. Hinter Elenas Namen stand in Klammern der des Designers ihres Kleides.

Maylis spürte, wie sich ihr Magen schmerzhaft verkrampfte. Sie zog die Zeitung näher zu sich heran und überflog den Artikel. Als sie die Meldung über den letzten Sportlerball im Hotel Elysée gelesen hatte, wo Max und Elena zu den Ehrengästen gehört hatten, fing sie wieder von vorn an.

»Maylis, tut mir leid, wenn ich dich beim Essen störe, aber der Chef braucht dich vorn.« Annette stutzte. »Was ist denn los? Was hast du?«, fragte sie.

Maylis sah hoch und bemerkte erst jetzt, dass sie weinte. Annette sah sie fragend an. Dann sah sie die aufgeschlagene Zeitung, die Maylis über ihren Teller gelegt hatte. Ein Tropfen Feigensaft hatte Max’ Gesicht durchweicht. »Ist etwas passiert?« Annette nahm ihr die Zeitung weg. »Was steht denn da?«

Maylis antwortete nicht.

»Max Klinger … Klinger. Das ist doch der Sportjournalist … Der heißt wie du. Kennst du den?«

»Max ist mein Mann«, brachte Maylis hervor, mit Wut und Trauer in der Stimme.

Nie würde sie den Tag vor einem Jahr vergessen, als Max sie von einem Tag auf den anderen verlassen hatte. Es war, als hätte ein Laster sie überfahren. Sie war völlig unvorbereitet gewesen und hatte nichts verstanden. Sie war nach Hause gekommen und wollte gerade ihre Wohnungstür öffnen, als er ihr mit zwei gepackten Koffern entgegengekommen war.

»Musst du verreisen?«, hatte sie ihn gefragt. »Du hast mir gar nichts gesagt.« Es war häufiger vorgekommen, dass Max für ein paar Tage hatte weggehen müssen, um über ein Sportereignis zu berichten.

»Ich komme nicht wieder. Ich verlasse dich«, hatte er nur gesagt.

Der Gedanke an die Gleichgültigkeit in seiner Stimme jagte ihr heute noch Schauer über den Rücken. Ohne ein Wort der Erklärung war er in der Fahrstuhlkabine verschwunden, aus der Maylis gerade getreten war. Nach der ersten Schrecksekunde raste sie wie eine Verrückte die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss erreichte sie ihn, wie er gerade die Tür zur Straße öffnete. Sie hielt ihn am Arm fest.

»Was hast du gesagt? Bist du verrückt geworden? Was ist denn los? Erklär es mir, bitte!«

Er blieb kurz stehen und drehte sich zu ihr herum. Er setzte nicht einmal seine Koffer ab. »Es gibt nichts zu erklären. Es ist einfach vorbei. Ich hole morgen Mittag meine Sachen ab. Wäre schön, wenn du nicht zu Hause bist. Den Schlüssel lasse ich dann da. Es ist ja schließlich deine Wohnung.«

Mit einer nachlässigen Bewegung machte er sich von ihr los. Sie verlor das Gleichgewicht und stolperte. Er machte keine Anstalten, ihr zu helfen. Er wich ihr aus und ging einfach weiter. Sie lehnte sich an die Wand mit den bunten Kacheln und blieb regungslos dort stehen, lange nachdem die schwere Tür ins Schloss gefallen war.

Als sie am Abend in ihrer Verzweiflung ihre beste Freundin Elena angerufen hatte, um sich bei ihr auszuweinen, war Max am Apparat gewesen. Maylis hatte das in ihrem Kopf nicht zusammenbekommen. Erst als Elena den Hörer genommen hatte: »Wir haben schon seit Monaten ein Verhältnis. Aber du merkst ja nie was.«

Elena, ihre beste Freundin.

Der Anblick des Fotos in der Zeitung rührte den alten Schmerz wieder auf. Sie hatte geglaubt, das alles einigermaßen hinter sich zu haben. Ein Jahr war eine lange Zeit. Sie liebte Max schon lange nicht mehr, sie konnte keinen Menschen lieben, der fähig war, derart kalt einen anderen in Verzweiflung zu stürzen. Aber die Enttäuschung hatte sie tief getroffen und sie völlig verunsichert. Gleichzeitig den Mann und die beste Freundin zu verlieren, hatte ihr Leben aus den Fugen geraten lassen. Seitdem ließ sie niemanden mehr an sich heran.

Annette stand immer noch vor ihr. »Du bist verheiratet?«, fragte sie verblüfft.

»Nur noch auf dem Papier.«

»Mit dem?«

»Ja, mit dem. Und die Frau neben ihm war mal meine beste Freundin.«

»Frau Klinger, Frau Fitz, was ist denn? Ich brauche Sie hier im Laden!« Wilhelm Radke steckte den Kopf durch die Tür und klang ziemlich ungeduldig.

Maylis sog scharf die Luft ein und räusperte sich. Sie knüllte die Zeitung zusammen und warf sie in den Mülleimer. »Ich bin gleich da, Chef.«

***

Als sie an diesem Abend nach Hause kam, nahm sie eines der Fotoalben aus dem Regal. Max und sie, ihr erster gemeinsamer Urlaub in Frankreich am Meer. Sie waren mit einem Zelt losgefahren und hatten vier herrliche Wochen mit Schwimmen, Faulenzen und sich Lieben verbracht. 27 war sie damals gewesen, Max war sechs Jahre älter und hatte gerade als Journalist angefangen. Maylis arbeitete in der Presseabteilung einer Hamburger Stiftung. Zwei Monate zuvor hatte sie einen Abend über die Vorteile von Sportvereinen zur Integration gewaltbereiter Jugendlicher vorbereitet, und Max war einer der Diskussionsteilnehmer gewesen. Seine ruhige Stimme hatte sie bereits am Telefon für ihn eingenommen, und als er dann an einem Sommerabend zum Vorgespräch gekommen war, hatte sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Nach dem Abend hatte er sie nach Hause gebracht und war über Nacht geblieben. Zwei Jahre später waren sie verheiratet.

Maylis und Max waren ein Traumpaar. Doch je bekannter Max wurde, je mehr Sportler er persönlich kannte, umso mehr veränderte er sich. Er wurde selbst zu einem Leistungssportler. Fast jeden Abend ging er ins Fitnessstudio und am Wochenende auf den Golfplatz, »um Kontakte zu pflegen«. Sie stellte fest, dass seine ruhige Stimme, in die sie sich sofort verliebt hatte, von seiner Gleichgültigkeit herrührte. Ihn interessierte nur, was ihn selbst betraf, alles andere ließ ihn kalt. Mit den Jahren wurde er herrisch, der Erfolg machte ihn rechthaberisch und ungeduldig.

Maylis seufzte, dann blätterte sie um und fand das Foto, das sie beide in einem Hamburger Restaurant zeigte. Sie sah auf das Datum – das war fünf Jahre nach ihrer Hochzeit gewesen. Ein Fotograf einer Illustrierten war zufällig vorbeigekommen und hatte die Aufnahme gemacht. An dem Abend hatte Max ihr zu Hause eine Szene gemacht, weil er fand, dass sie nicht richtig angezogen gewesen sei.

»Du bist doch eine schöne Frau, dann zeig es auch!« Mit zeigen hatte er teure Kleider mit tiefem Dekolleté und viel Schmuck gemeint.

»Ich habe keine Lust, wie eine Fußballerbraut auszusehen«, hatte sie wütend entgegnet.

»Aber auszusehen wie die Frau, die die Kabinen wischt, findest du okay?«

Fassungslos hatte sie ihn angesehen. »Du schämst dich für mich!«

Wenn sie es richtig überlegte, war das bereits der Anfang vom Ende gewesen, obwohl er noch weitere fünf Jahre geblieben war.

Maylis blätterte durch die restlichen Seiten des Albums und fand Fotos von Geburtstagen und von Weihnachtsfesten. Aber sie sah nicht mehr richtig hin und klappte das Album schließlich zu und stellte es wieder ins Regal zurück.

Es war das einzige Fotoalbum, das sie von ihrer gemeinsamen Zeit besaß. Auf den späteren Bildern war immer häufiger Max allein zu sehen, mit Sportlern, beim Golf, in der Redaktion, wie er einen Journalistenpreis entgegennahm. Er hatte die Alben bei seinem Auszug mitgenommen, und Maylis vermisste sie nicht. Max war im letzten Jahr ihrer Ehe jeden Abend weg gewesen und hatte sehr viel dafür getan, überall dabei und im Gespräch zu sein. Maylis hatte diese Abende gehasst, wenn sie das Wort »Event« schon hörte, drehte sich ihr der Magen um. Immer dieselben Leute, immer Champagner und Kanapees, immer dieselben Gespräche, in denen es um andere Leute ging. Sie weigerte sich, ihn zu begleiten, und er wurde wütend. Er hielt sie für eine Landpomeranze und sagte ihr das auch. Er wollte eine größere Wohnung, doch Maylis wollte ihre gemütliche Behausung in Eppendorf nicht aufgeben. Sie fand sie genau passend: drei Zimmer – ein Schlafzimmer sowie ein Wohn- und ein Esszimmer mit einer Verbindungstür –, Bad und Küche mit Balkon nach hinten raus. Genau das, was sie brauchte. Und Max war damals sehr gern aus seiner Ein-Zimmer-Bude bei ihr eingezogen. Als sie ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, war er noch wütender geworden.

Ein Foto war aus dem Album gerutscht und auf den Fußboden gefallen. Sie hob es auf. Es war in diesem Zimmer aufgenommen, dem Esszimmer, das gerade genug Platz für einen großen Tisch und acht Stühle bot. Es musste ungefähr vor vier Jahren aufgenommen worden sein und zeigte Maylis und Max sowie Elena mit ihrem damaligen Freund Gregor. Der Tisch war schön gedeckt, Kerzen brannten, die Stoffservietten lagen noch gefaltet auf den Tellern. Maylis erinnerte sich. Sie hatte ein Essen für ihre Freunde gegeben. Es war Sommer gewesen, und sie hatte provenzalisch gekocht. Eine Fischsuppe, danach Salat und Meeresfrüchte. Für diese Essen war sie bekannt gewesen, denn sie war eine begnadete, fantasievolle Köchin. Diese Abende waren seltene Gelegenheiten, an denen sie und Max wieder zueinanderfanden, zumindest am Anfang. Sie saßen um den Tisch, es gab außergewöhnliche Gerichte und anregende Gespräche. Bis Max dazu keine Lust mehr hatte. Er hatte keine Lust auf ihre »Schickimickiküche in homöopathischen Dosen«, er wollte Steak und Nudeln. Vor allem hatte er keine Lust auf Maylis’ Gäste. Konzentrierte Gespräche über Politik oder Kultur waren ihm zu anstrengend. Er wollte lachen und Witze reißen.

»Wir lachen doch!«, hatte sie gerufen.

»Aber worüber?«, hatte er geantwortet und türenschlagend das Schlafzimmer verlassen, um wieder einmal auf dem Sofa zu schlafen.

Maylis warf noch einen Blick auf das Foto. Immer wenn sie es ansah, drängte sich ihr die Frage auf, ob Max und Elena wohl schon damals … Kurz entschlossen zerriss sie das Bild und warf es in den Papierkorb.

Der Abend war verdorben, und sie ärgerte sich darüber, dass ein harmloser Artikel sie so aus der Bahn werfen konnte. Sie schaltete den Fernseher ein, aber kein Programm interessierte sie. Ein Blick in den eMail-Posteingang war ebenso enttäuschend. Ihr Antivirenprogramm forderte sie auf, die letzte Aktualisierung zu installieren. Sonst hatte ihr niemand geschrieben. Kein Wunder, sie schrieb ja auch niemandem.

Sie nahm sich einen ausgelesenen Schwedenkrimi aus dem Regal und ging ins Bett.

Kapitel 2

Am Dienstag war Wochenmarkt auf der Isestraße, das merkten sie im Geschäft immer. Es kamen weniger Kunden, und deshalb fing Maylis dienstags immer erst um elf Uhr an zu arbeiten. Den Rest schafften Annette und der Chef allein. Annette Fitz war Ende 20 und arbeitete seit drei Jahren vormittags bei Feinkost Radke. Seit drei Jahren war sie auch mit Hainer verheiratet, der sie bevormundete, wo es nur ging. Er hatte beschlossen, dass sie bis zu ihrem ersten Kind bei Feinkost Radke arbeiten sollte. Er teilte ihr ein knappes Haushaltsgeld zu; wenn sie etwas für sich kaufen wollte, musste sie ihn um Erlaubnis fragen. Wie viel er als Versicherungsangestellter verdiente, wusste sie nicht.

Annette war die nette der beiden Verkäuferinnen. Die andere war Frau Burfeind, doppelt so alt, doppelt so dick und mit halb so viel Humor. Frau Burfeind kam um zwei und blieb bis um halb sieben Uhr abends, wenn der Laden schloss. Frau Burfeind arbeitete schon seit 27 Jahren hier und glaubte, die älteren Rechte zu haben. Seitdem Maylis die rechte Hand des Chefs war, spionierte Frau Burfeind für die Generalin hinter ihr her. Sie war für die älteren Kunden zuständig. Viele von ihnen kannte sie schon seit Jahrzehnten. Dafür hatte sie ihre Schwierigkeiten mit einigen neueren Entwicklungen der Lebensmittelbranche. So hatte sie lange gebraucht, bis sie sich merken konnte, was Pesto war, und stellte manchmal merkwürdige Fragen.

»Wo haben wir denn heute wieder die Bresaola hingeräumt?«, hieß bei ihr zum Beispiel: »Ich habe keinen Schimmer, was Bresaola ist. Kann mir mal jemand helfen?«

In einer halben Stunde würde sie kommen. Maylis zog die Mundwinkel nach unten. Sie saß im Büro über der Abrechnung der vergangenen Woche. Seufzend korrigierte sie einen Zahlendreher auf dem Computer und versuchte, sich an den richtigen Buchungscode zu erinnern. Waren Artischocken jetzt 2203 oder 2205? Die Buchhaltung mochte sie am allerwenigsten an ihrem Job. Sonst war alles in Ordnung, sie liebte die feinen Lebensmittel aus aller Welt, die sie bestellte und verkaufte, und sie mochte die Kunden, die meisten wenigstens. Mist, 2203 war falsch, und sie hatte bereits auf Eingabe gedrückt. Jetzt musste sie den kompletten Buchungsvorgang wiederholen, das war bei Radkes hoffnungslos veraltetem Buchungsprogramm leider so. Sie hörte die schmatzenden Schritte von Frau Burfeind auf dem Linoleum. Frau Burfeind trug Stützstrumpfhosen und Gesundheitsschuhe und hatte keinen Vornamen, zumindest keinen, der ihre Kolleginnen etwas anging. Man arbeitete schließlich zusammen und pflegte keine Freundschaft. Und Frau Burfeind kam immer zehn Minuten zu früh, weil sich das ihrer Meinung nach so gehörte.

»Und die Angestellten gehen nicht durch die Ladentür«, äffte Maylis ihren strengen Ton nach, als Annette den Kopf durch die Tür steckte, um sich zu verabschieden. Annette stieß ein kurzes Kichern aus und winkte mit ihrem Fahrradschlüssel. Heute hatte sie zwar keinen Stress mit ihrem Mann, aber das Auto war kaputt. »Mein Rad steht im Hof, keine Sorge. Bis morgen. Ach, bevor ich’s vergesse: Die Generalin …«

Maylis winkte ihr hektisch zu und wies auf die Garderobe. »Frau Burfeind ist nebenan!«, flüsterte sie.

Annette hielt sich die Hand vor den Mund und wiederholte: »Frau Radke kommt nachher noch vorbei, sie hat vorhin angerufen.«

»Alles klar, einen schönen Nachmittag.«

Kaum war Annette aus der Tür, kam Frau Burfeind herein.

»Guten Tag, Frau Klinger«, dröhnte sie, und ihr Oberlippenbart zitterte dabei. »Scheußliches Wetter heute.« Sie nahm ihre dicke, schwarz gerandete Brille ab, um die Regentropfen mit einem frisch gebügelten Taschentuch abzuwischen, das sie aus ihrer Manteltasche fischte. Als sie die Brille wieder aufsetzte, sah sie aus wie Roseanne Barr in Die Teufelin, nur ein paar Jahre älter.

»Was will man machen?«, meinte Maylis nur und wandte sich wieder ihrem Computer zu.

Eine Stunde später war sie mit der Buchhaltung für den September fertig. Erleichtert drückte sie das letzte Mal auf Enter und verließ dann das Programm, um den Computer herunterzufahren.

Aus dem Laden hörte sie eine Stimme, die sie aufhorchen ließ. Eine Frauenstimme, hell und ein bisschen schüchtern, eine junge Stimme. Und dann das dröhnende Organ von Frau Burfeind. »Also noch dünner kann ich die Scheiben aber wirklich nicht schneiden, dann reißen sie. Sehen Sie, da haben wir den Salat!«

Maylis stand rasch auf und ging in den Laden. Frau Burfeind stand hinterm Tresen und hielt das Lachsmesser anklagend in die Höhe. Vor ihr stand eine Frau und starrte fassungslos auf einen Fetzen Lachs, den Frau Burfeind auf das Fettpapier geknallt hatte. Ihre Zartheit und das blasse Gesicht mit den großen Augen erinnerten an ein Reh, ihr Haar war völlig durchnässt. Sie machte einen verlegenen Eindruck.

»Lassen Sie mich das machen«, sagte Maylis zu Frau Burfeind, die sich gerade wieder schnaubend über den Graved Lachs beugte. Der Kräuterrand war schon ziemlich zerfetzt, in der Mitte des Fleisches zeigte sich eine Art Kuhle. »Sie müssen schneiden und nicht drücken, dann geht es ganz leicht.«

»Wenn Sie meinen, das besser machen zu können …«

Auf Maylis’ Gesicht machte sich ein Lächeln breit, wie es schöner nicht hätte sein können. »Wie viele Scheiben sollen es denn sein?«, fragte sie die junge Frau auf der anderen Seite des Tresens und nahm sich ein neues Stück Papier. Das andere nahm sie mit beiden Händen und legte es hinter sich.

»Ich weiß auch nicht, vielleicht vier?«

»Kein Problem.« Mit geübten Bewegungen ließ Maylis das Lachsmesser durch den Fischlaib gleiten und schnitt vier exakt gleich dicke Scheiben ab. Sie platzierte sie so auf dem Papier, dass sie aussahen, als wären sie nicht geschnitten, sondern im Stück.

Ein Handy klingelte. Ein dezenter Klingelton, leicht zu überhören, aber er kam ohne Zweifel aus der Tasche der Frau, die vor Maylis am Tresen stand. Außerdem war gerade kein anderer Kunde im Laden.

»Das ist Ihres, glaube ich«, sagte Maylis.

Nervös suchte die Frau in ihrer Handtasche nach dem Telefon, drehte es, bis es richtig herum in ihrer Hand lag, und meldete sich mit einem halb geflüsterten »Hallo?«. Während Maylis den Lachs verpackte, hörte sie, wie die Frau voller Enttäuschung sagte: »Oh, das tut mir leid, wie schade. Nein, macht gar nichts, nein, mach dir keine Sorgen. Ich wollte sowieso mal wieder bei mir aufräumen.«

Ein Date, das gerade geplatzt war, daran gab es keinen Zweifel.

»Nehmen Sie den Lachs trotzdem?«, frage Maylis.

Die Frau auf der anderen Seite des Tresens starrte auf das Display ihres Telefons und stopfte es unwillig zurück in ihre Tasche. Sie schien keine Kraft zu haben, ihre Enttäuschung zu verbergen. Doch dann straffte sie sich.

»Natürlich nehme ich den Lachs. Und dazu einen Becher Honig-Dill-Soße.«

Maylis ging mit ihr zur Kasse und wünschte ihr guten Appetit.

Kaum war die Frau aus der Tür – nicht ohne Maylis einen dankbaren Blick zuzuwerfen –, als die Generalin das Geschäft betrat. Sie hielt ihren tropfnassen Regenschirm am ausgestreckten Arm von sich. Maylis ging zu ihr hinüber und nahm ihn ihr ab, um ihn in den Ständer zu stecken. Dabei fiel ihr auf, dass ein Kunde einen blauen Regenschirm mit weißem Aufdruck dort vergessen hatte. Der erste Blick der Generalin galt wie immer der roten Fußmatte. Als sie außer den dunklen Wasserflecken, die ihr eigener Schirm dort hinterlassen hatte, nichts zu beanstanden fand, glitt ihr geübter Blick durch den Laden. Sie sah sofort, wenn ein Kunde eine Konservendose aus dem Regal genommen und »das Personal« versäumt hatte, die hintere Dose nach vorn zu ziehen, damit die Dosen wieder wie Soldaten in Reih und Glied standen. Ihr zweiter Blick galt dem Obststand. Wehe, wenn ein Salat nicht mit der schönsten Seite zum Kunden ausgerichtet war. So richtig böse wurde sie, wenn an den Rändern der weißen Porzellanschalen, in denen Fischsalate und Frischkäse angeboten wurden, Reste klebten.

Frau Burfeind folgte dem Blick der Generalin – die sie niemals so nennen würde – und atmete triumphierend aus, als die Chefin nichts zu beanstanden hatte. Sie hatte sogar ein kleines Lächeln für Maylis übrig.

»Sind Sie mit der Buchhaltung für den letzten Monat durch, Frau Klinger?«, fragte Frau Radke.

»Alles erledigt. Die Abrechnung liegt für Sie im Büro bereit«, antwortete Maylis.

»Und wo ist mein Sohn?«

»Wilhelm ist mit einem Lieferanten verabredet, der Essige und Senf herstellt«, sagte Frau Burfeind.

»Essig und Senf?« Frau Radke runzelte die Stirn.

»Das wollen die Kunden«, warf Maylis ein. »Es geht nicht nur um den üblichen Feigensenf zum Käse, sondern um Senf mit Früchten, mit Honig oder mit Tomaten. Und der Hersteller soll ganz ausgezeichnete Ware liefern, alles aus der Region. Wir haben gedacht, dass das gut zu Weihnachten laufen könnte.«

Die Generalin warf ihr einen zweifelnden Blick zu. »Na gut, wir werden sehen«, sagte sie dann und marschierte ins Büro, um die Zahlen des letzten Monats zu kontrollieren. Darin war sie unschlagbar, und das ließ sie sich nicht nehmen.

Warum tut sie sich das an, dachte Maylis. Die Frau ist bald 80 und schwerfällig. Warum bleibt sie nicht zu Hause in ihrer warmen Stube? Aber Gerda Radke konnte ihren Laden, mit dem sie seit 50 Jahren verbunden war, einfach nicht loslassen. Sie wusste, dass ihr Sohn das Geschäft vorbildlich führte, und sie war klug genug, sich den Neuerungen, die er einführte, nur der Form halber zu widersetzen. Sie konnte sicher sein, dass er die Tradition wahren und nie so weit gehen würde, dem Geschäft etwa einen neuen Namen zu geben, wie sie jetzt modern waren. In Eppendorf hatten in den letzten Jahren einige neue Läden aufgemacht, die alle betont innovative Namen trugen: frau hansen, kleingeschrieben, oder irgendwas Englisches oder was mit »Gourmet« oder »Cuisine«.

Trotz ihres Alters brauchte Frau Radke ab und zu das Gefühl, noch etwas zu tun und zu sagen zu haben. Und nicht zuletzt liebte sie Geld und ein sorgloses Leben und freute sich, wenn sie die Gewinne des letzten Monats wenigstens auf dem Papier sehen konnte.

Nach einer Viertelstunde stand sie wieder im Laden.

»Wo bleiben denn heute die Kunden?«, fragte sie und bemühte sich nicht, den Vorwurf in ihrer Stimme zu mildern.

»Es ist Dienstag, und das Wetter ist schlecht«, sagte Maylis. »Außerdem sind September und Oktober noch nie gute Monate gewesen. Unsere Kunden waren im Urlaub und haben dort zu viel Geld ausgegeben.«

»Der letzte September war aber besser«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Maylis bewunderte die Generalin für ihr Zahlengedächtnis. Natürlich hatte auch sie gerade die Zahlen mit denen des Vorjahres verglichen und festgestellt, dass der Umsatz um zwei Prozent zurückgegangen war. Aber woher wusste Frau Radke das? Ob sie in den Büchern nachgesehen hatte, bevor sie in den Laden gekommen war? Wahrscheinlicher war, dass sie die Zahlen im Kopf hatte.

»Wo ist denn der Hackepeter?« Frau Radke war schon wieder bei einem anderen Thema.

»Ist schon ausverkauft«, sagte Frau Burfeind eifrig. »Als ich heute Mittag kam, war nur noch ein kleiner Rest übrig, und den hat vorhin Herr Meyer gekauft.«

Den Hackepeter stellte die Generalin höchstselbst zweimal in der Woche in ihrer eigenen Küche her. Er war perfekt gewürzt, die Zwiebeln waren mikroskopisch klein gewürfelt, und viele Stammkunden kamen dienstags und freitags extra seinetwegen in das Geschäft.

Frau Radke nickte zufrieden und ging zu dem Ständer hinüber, in dem die Schokolade steckte. Er war rund um die helle Granitsäule befestigt, die sich in der Mitte des Verkaufsraumes aus statischen Gründen in die Höhe schraubte. Dort lagen die Schokoladen und Pralinen. Im Winter kam das Lübecker Marzipan hinzu. Mit sicherem Griff nahm sie zwei Tafeln heraus und verstaute sie in ihrer Handtasche.

»Bitte doch Wilhelm, er soll ein Brot und etwas Käse mitbringen, wenn er nachher kommt«, sagte sie zu Frau Burfeind. »Und Krabbensalat, einen kleinen Becher, den mit Mayonnaise. Bis morgen dann«, sagte sie, jetzt auch an Maylis gewandt, nahm ihren Schirm und ging zu einem wartenden Taxi hinaus. Maylis konnte sehen, wie der Fahrer ausstieg und Frau Radke mit der einen Hand die Beifahrertür aufhielt, während er mit der anderen den Schirm über sie hielt.

»Hat der Chef eigentlich nie eine Frau gehabt?«, fragte sie Frau Burfeind, ohne groß nachzudenken. »Ist doch irgendwie komisch, dass er immer noch bei ihr wohnt.«

»Soweit ich weiß, nein. Der arme Junge. Er hätte eine gute Frau verdient.« Frau Burfeind war so um ihren armen Jungen besorgt, dass sie vergaß, Maylis für ihre Neugier zu rügen. Sie mochte Wilhelm Radke wirklich. Vielleicht lieber als ihren eigenen Sohn, von dem sie kaum je etwas erzählte.

Aber ihr eigener Sohn war ja auch schon vor Jahrzehnten ausgezogen und wohnte nicht immer noch bei seiner Mutter.

Um sechs fingen sie an aufzuräumen. Käse in frische Folie, Obst und Salat in den Kühlraum, Scheiben und Tresen abwischen … Die letzten Kunden kamen eilig durch die Tür, gute Kunden, denn sie hatten wenig Zeit, weil Frau Burfeind mit vorwurfsvollem Blick von ihnen zur Uhr hinter den Backwaren und wieder zurück sah. Weil sie wenig Zeit hatten und schuldbewusst waren, kauften sie häufig unüberlegt und zu viel. Frau Burfeind und Herr Radke wussten das und spielten es aus. Maylis zog diese Kunden den anderen vor, die voller Arroganz und im Gefühl ihrer überlegenen Wichtigkeit so taten, als hätte der Laden die ganze Nacht geöffnet.

Als die Türglocke nach der letzten Kundin geklingelt hatte, schloss Maylis ab.

Ihr prüfender Blick glitt über die Taschenablagen und die Fliesen darunter. Dann fuhr sie mit den Fingerspitzen durch die schmale Lücke zwischen Taschenablage und Tresen. Dort fanden sich oft Dinge wieder, die von den Kunden vergessen oder verloren worden waren. Unter den wachsamen Blicken von Frau Burfeind tat Maylis so, als würde sie Krümel abwischen.

Vor einem Jahr, kurz nachdem sie bei Feinkost Radke angefangen hatte, hatte sie zufällig ein kleines rotes Herz aus Fell gefunden, das wohl als Schlüsselanhänger gedient hatte. Die weiche Wärme des Fells hatte es ihr sofort angetan. Und eine Leidenschaft war entstanden.

Seitdem suchte sie jeden Abend den Laden nach zurückgelassenen Dingen ab. Sie war nicht an Geld oder Wertsachen interessiert, sondern an den Geschichten, die sie hinter den Fundsachen vermutete. Aus achtlos weggeworfenen Kassenzetteln, Werbeaufdrucken auf Kugelschreibern, einer Damenarmbanduhr, einem zerlesenen Taschenbuch oder einem Geldschein mit aufgekritzelter Telefonnummer malte sie sich die Lebensgeschichten der Besitzer – die ja eigentlich Verlierer waren – aus. Am meisten freute sie sich über unnütze kleine Dinge, die dem Besitzer oder der Besitzerin als Glücksbringer oder Fetisch gedient haben mussten. Wenn niemand kam, um diese Dinge abzuholen, sammelte sie sie zu Hause in einer kleinen Schublade.