Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit - Juan Eduardo Rojas-Vásquez - E-Book

Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit E-Book

Juan Eduardo Rojas-Vásquez

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Beschreibung

Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Eine wahre Geschichte. Seit 50 Jahren sucht Juan Eduardo Rojas-Vásquez nach seinem Vater und seinem ältesten Bruder. Nur einen Monat nach Pinochets gewaltsamer Machtübernahme im September 1973 in Chile wurden Juans Vater und Bruder verhaftet - seitdem sind sie verschollen. Juans Familie lebte in der Nähe der pseudoreligiösen Sekte Colonia Dignidad. Dort unterhielt der chilenische Geheimdienst ein Folterzentrum. Juan ist überzeugt, dass Vater und Bruder dort ermordet wurden. Seit Jahrzehnten lebt er mit diesen traumatischen Verlusten, doch er gibt nicht auf mit seiner Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Er fordert eine angemessene Aufarbeitung dieses dunklen historischen Kapitels und einen Gedenkort, dier die Verschwundenen würdigt und den Angehörigen einen Ort zum Trauern ermöglicht.

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Seitenzahl: 92

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Widmung

Dieses Buch widme ich meinen Kindern

David Juan,

Lorena Felisa,

Miriam Larisa,

Simón Pablo,

meinen Enkelkindern

und Urenkelkindern

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Seit 50 Jahren auf der Suche nach meinem Vater und meinem Bruder!

Traumatische Erlebnisse

In Deutschland

Meine eigene Familie

Mein Leben in der Kirche

Mein Leben mit traumatischen Verlusten

Mein künstlerisches Leben

Was denken Familie und Freunde über mich?

Auf der Suche nach Vater und Bruder in Chile

Die Colonia Dignidad und ihr Verhältnis zur chilenischen Diktatur

Die UN zum Schutz der Menschenrechte in Chile

Meine Reise nach Chile

Was schreibt die Presse über mich?

An meinen lieben Papa!

Es ist noch nicht vorbei!

Vorwort

Der portugiesische Schriftsteller José Saramago sagte einmal: „Das historische Gedächtnis ist zu erhalten, zu bewahren und weiterzugeben, weil man sonst mit dem Vergessen beginnt und in der Gleichgültigkeit endet.“

Und die Gleichgültigkeit ist etwas, das wir uns nicht erlauben können, wenn wir beobachten müssen, dass auf der ganzen Welt Demokratien fortschreitend untergraben werden, wodurch eine Regression im Bereich der Menschenrechte entsteht.

Die Erinnerungen von Juan Rojas Vásquez, die sich in seinem Buch „Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit” widerspiegeln, erlauben uns einen Kampf gegen die Gleichgültigkeit, indem wir uns erinnern und uns so in die Monate nach dem Militärputsch des 11. September 1973 in Chile versetzen.

Die Erzählung der Geschehnisse durch Juan, damals nur 14 Jahre alt, über seinen Vater Miguel und seinen Bruder Gilberto, die nach dem Staatsstreich in Chile beide verhaftet wurden, ist eine persönliche und gleichzeitig kollektive Erzählung. Es die Erzählung eines Schicksals, das viele Chileninnen und Chilenen teilten: Verhaftung, Folter, Verschwinden, Hinrichtung, Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Und auch des Exils oder Asyls in einem fernen Land, des Erlernens einer neuen Sprache, Fuß zu fassen und sich allein von Null ein neues Leben aufzubauen.

50 Jahre nach dem Militärputsch ist diese Erzählung aktuell, denn es sind immer noch viele Chileninnen und Chilenen, die uns fehlen. Und so führte Präsident Gabriel Boric aus, als er das Gefangenenlager Pisagua zum Gedenkort erklärte: „Wir haben die moralische Verpflichtung, niemals aufzuhören nach jenen zu suchen, die ermordet wurden und die man wegen ihrer Ideen und der Verteidigung unserer Freiheit hat verschwinden lassen.“

Genau das ist der größte Wert von „Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit”: Es ist die Erinnerung an die Geschichte eines Landes, und einer Chilenischen Familien vom Land und, wie sein Titel schon besagt, von der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Diese Geschichte wird vom jüngsten der Familienmitglieder erzählt – trotz des Laufes der Zeit und der Distanz zwischen seinem Herkunftsland und dem Land, das ihn aufnahm.

Berlin, März 2024

Maria Magdalena Atria Barros

Botschafterin der Republik Chile

Erst vor etwa fünf Jahren lernte ich Juan kennen – obwohl es viele Überschneidungen bei unseren Lebenswegen gibt. Meine Familie stammt aus Stuttgart, der Stadt in der Juan 1979 Zuflucht suchte, politisches Asyl bekam und seitdem lebt. Juan musste aus seiner chilenischen Heimat flüchten, nachdem die Pinochet-Diktatur – mutmaßlich mit Unterstützung von Mitgliedern der Deutschensiedlung Colonia Dignidad – seinen Vater und seinen Bruder entführten. Miguel und Gilberto Rojas sind bis heute verschwunden. Der Schmerz, den das gewaltsame Verschwindenlassen verursacht, ist permanent und lässt Juan keine Ruhe finden: Seit mehr als 50 Jahren fragt er: Dónde Están? – Wo sind sie? Welche waren ihre Todesumstände, wer war an ihrer Ermordung beteiligt und wo wurden ihre Leichen oder ihre Asche verscharrt und wo können Juan und seine Familie um sie trauern?

Im Februar 1990, dem letzten Monat der Diktatur, hatte ich das Privileg nach Chile zu reisen für ein Schüleraustauschjahr. Ich lernte vieles an dem Land lieben, die Gastfreundschaft und Herzlichkeit mit der ich aufgenommen wurde, beeindruckten mich. Doch ich lernte auch seine Schattenseiten kennen: Infolge des von der Diktatur verordneten neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells war und ist die Schere zwischen arm und reich groß. Bei der schrittweisen Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen ab März 1990 handelte es sich nicht um einen Bruch mit der Diktatur, sondern um einen paktierten Übergang: Das neoliberale Modell wurde beibehalten und vertieft. Bis heute ist die Verfassung der Diktatur in Kraft. Eine Aufarbeitung der zwischen 1973-90 begangenen Menschen-rechtsverletzungen ist seitdem nur prekär und unvollständig erfolgt: Beispielsweise konnten bisher nur von 307 der 1469 während der Diktatur von Repressionsorganen entführten und seitdem verschwundenen Personen sterbliche Überreste gefunden und identifiziert werden.

Bereits an einem der ersten Wochenenden meines Austauschjahrs nahm mich meine chilenische Gastfamilie mit an einen kuriosen Ort: Ein riesiges Festzelt an der Autostraße, in dem deutscher Schlager und bayrische Blasmusik lief, während Schnitzel und Eisbein serviert wurde. Im Eingangsbereich hing ein Portrait des 1988 verstorbenen bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß mit der handschriftlichen Inschrift „Den Besuchern des Bayerndorfes ein herzliches Grüß Gott!“ Das in der Ortschaft Bulnes gelegene Restaurant war eine externe Dependance und das öffentliche Aushängeschild der ansonsten verschlossenen etwa 100 Kilometer nördlich gelegenen Deutschensiedlung Colonia Dignidad. Um diese rankten viele düstere Geschichten von sexualisierter Gewalt, Folter und Mord, wie mir bereits damals meine Gastfamilie berichtete. Jene Chilen:innen, die der Diktatur positiv gegenüberstanden, hielten das jedoch für unbelegte Beschuldigungen von „Kommunisten“ und bezeichneten die Colonia Dignidad als Mustersiedlung und wohltätige Vereinigung.

Die Bewohner:innen der Colonia Dignidad waren ab 1961 aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen nach Chile übergesiedelt. Ihr Anführer, der freikirchliche Laienprediger Paul Schäfer, gegen den in Deutschland wegen sexueller Übergriffe ermittelt wurde, suchte einen entlegenen Ort, um weiterhin sexualisierte Gewalt an Gruppenmitgliedern zu begehen, ohne dafür belangt zu werden. Ganz in der Nähe des Elternhauses von Juan kauften sie ein mehrere tausend Hektar großes Grundstück und errichteten dort ein quasiautarkes Dorf. Dieses wurde umzäunt und mit Sicherungsanlagen versehen. Die einfachen Mitglieder der Gruppe durften fortan das Gelände nicht mehr ohne Aufsicht verlassen und mussten von früh bis spät harte unentlohnte Arbeit leisten. Die Gruppe wurde nach Geschlechtern und Altersgruppen getrennt, familiäre und freundschaftliche Beziehungen untersagt, die Sexualität unterdrückt und ein System gegenseitiger Bespitzelung etabliert. Verstöße gegen das interne Zwangsregime wurden drakonisch bestraft. Gute Beziehungen der Führungsgruppe zu Politik, Justiz, Unternehmerschaft und Polizei sorgten dafür, dass die nach und nach immer breiter bekannten Missstände und Straftaten innerhalb der Gruppe nicht umfassend untersucht wurden.

Nach meinem Schüleraustauschjahr in Chile kehrte ich in die Bundesrepublik zurück und machte mein Abitur. Doch Chile ließ mich nicht los und ich wollte erneut dort hin: 1994 reiste ich nach Santiago de Chile, um meinen Zivildienst im Ausland abzuleisten. In diesem Rahmen arbeitete ich einige Monate bei dem Verband der Angehörigen der verschwundenen politischen Gefangenen (AFDD) mit. Bereits am Tag des Putsches vom 11. September 1973 hatte die Diktatur mit einer brutalen Jagd auf Mitglieder linker Parteien und Bewegungen begonnen. Zehntausende wurden verhaftet und gefoltert, über 3000 Menschen wurden ermordet. Die Colonia Dignidad, so berichteten mir die Angehörigen, habe eine wichtige Rolle im Repressionsapparat der Diktatur gespielt. Viele in Santiago oder im Süden des Landes Verhaftete seien dorthin verbracht, verhört und gefoltert wurden. Dutzende seien seitdem verschwunden.

Heute sind viele dieser Berichte durch gerichtliche Untersuchungen belegt: Als die Militärjunta um Augusto Pinochet den Regierungspalast bombardieren ließ und die Macht ergriff, wurde die Colonia Dignidad zu einem Schlüsselakteur im Repressionsapparat der Diktatur. Die Siedlung wurde zur Trainingscamp für Agent*innen der Geheimpolizei DINA. Hunderte von politischen Gefangenen wurden dort verhört und gefoltert. Geschätzte etwa hundert Menschen wurden in der Colonia Dignidad ermordet und gelten bis heute als Verschwundene.

Zu diesen Verschwundenen gehören vermutlich auch Juans Vater Miguel und Juans ältester Bruder Gilberto. Mitglieder der Colonia Dignidad haben vor chilenischen Gerichten ausgesagt, dass zwischen 1973-1975 mehrfach Gruppen von Gefangenen in die deutsche Siedlung gebracht und in einem Waldstück erschossen wurden. Sie wurden in Massengräbern verscharrt und - laut selbiger Aussagen - einige Jahre später wieder ausgegraben und verbrannt. Bislang konnten keine sterblichen Überreste, nicht einmal eine DNA-Spur gefunden werden.

Die bundesdeutsche Justiz und Diplomatie zeigten jahrzehntelang keinen Willen an einer Aufklärung. Ermittlungsverfahren der Justiz in Nordrhein-Westfalen gegen Paul Schäfer und weitere Führungsmitglieder wie Hartmut Hopp wurden regelmäßig eingestellt. Bis Mitte der 1980er Jahre unterließ die (west-)deutsche Botschaft in Santiago jegliche kritische Berichterstattung. Einzelne Diplomaten standen mit Colonia-Mitgliedern im engen Austausch und verbrachten (Urlaubs-) Wochenenden in der Siedlung. Als Amnesty International 1977 Berichte von Folter-überlebenden veröffentlichte, stellte sich der bundesdeutsche Botschafter Erich Strätling vor die Presse und wies die „unbewiesenen“ Anschuldigungen zurück.

Kurze Zeit später kam Juan mit der Unterstützung von Amnesty International in die Bundesrepublik. Auf der Flucht vor der Diktatur begab er sich in das Land aus dem (vermutlich) die Täter stammten, die seinen Vater und seinen Bruder verschwinden ließen – was ihm heute sicherlich viel bewusster ist als damals. Hier erhielt er politisches Asyl, gründete eine Familie und verbrachte den Großteil seines bisherigen Lebens. Heute ist er deutscher Staatsbürger und hat viele Gründe dem Land, das ihn aufgenommen hat, dankbar zu sein. Gleichzeitig lebt er in einem Land, das Mitverantwortung trägt für die Verbrechen der Colonia Dignidad und das jahrzehntelang eine Aufarbeitung dieser Taten ausgebremst hat.

Die Colonia Dignidad der alten Form gab es bis 2005, als der Anführer Paul Schäfer dank des Engagements des Menschenrechtsanwalts Hernán Fernández und den Recherchen einer Gruppe von Journalist:innen verhaftet wurde. Strafrechtliche Untersuchungen der chilenischen Justiz belegten nun, was bereits seit Jahrzehnten von Opfern, Menschenrechtsgruppen oder Journalist:innen berichtet worden war. Sie stuften die Colonia Dignidad als kriminelle Vereinigung ein und verurteilten einzelne Mitglieder der Gruppe wegen Körperverletzung, Folter, Mordes und sexuellen Missbrauch. Doch viele Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt und nur wenige mussten eine Haftstrafe absitzen. Zudem setzten sich viele Führungsmitglieder in die Bundesrepublik ab, denn das deutsche Grundgesetz verbietet eine Auslieferung eigener Staatsbürger an Staaten außerhalb der EU. Aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit der mutmaßlichen Täter ist auch die deutsche Justiz für die Aufklärung und Ahndung von schweren im Ausland begangenen Verbrechen zuständig. Unverständlicherweise hat sie in Deutschland jedoch noch nie eine Anklage erhoben, da sie keinen hinreichenden Tatverdacht sieht. Das führt dazu, dass die Bundesrepublik, die so lange bei den Verbrechen der Colonia Dignidad weggeschaut hat und es unterlassen hat, den Opfern zu helfen, heute zu einem sicheren Hafen für die mutmaßlichen Täter geworden ist.

Erst im August 2023 protestierte Juan vor dem Haus des in Chile verurteilten und justizflüchtigen Führungsmitglieds der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, in Krefeld für Wahrheit und Gerechtigkeit, wie er in diesem Buch eindrucksvoll beschreibt. Er hat in den letzten Jahren unermüdlich Briefe an Politiker:innen geschrieben und ein konsequenteres Handeln eingefordert, in der Hoffnung, dass Deutschland und Chile ihren Verpflichtungen nachkommen und die Aufklärung und Aufarbeitung der Verbrechen doch noch voranbringen und vielleicht doch noch Ort und Umstände der Ermordung seiner Angehörigen aufgeklärt werden können. Auch eine Gedenk- und Bildungsstätte am Ort der Verbrechen, die für Angehörige wie Juan einen Ort der Trauer und des Gedenkens bieten würde, gibt es bislang nicht, obwohl sich die deutsche und die chilenische Regierung bereits vor Jahren darauf geeinigt haben.

Juan und ich begegneten uns 2019, wenige Monate bevor ich meine Doktorarbeit zum Umgang bundesdeutscher Behörden mit dem Fall Colonia Dignidad abschloss. Seitdem stehen wir in regelmäßigen Kontakt. Ich bewundere ihn für seine Ausdauer und Beharrlichkeit, und wie er trotz der leidvollen Suche nach Vater und