Juan zwischen zwei Welten - Juan Eduardo Rojas-Vásquez - E-Book

Juan zwischen zwei Welten E-Book

Juan Eduardo Rojas-Vásquez

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Beschreibung

Ein erschütterndes Zeitzeugnis über die Zeit der Pinochet-Diktatur in Chile, über die Suche eines Jugendlichen nach seinen verschleppten Familienangehörigen, aber auch ein Beispiel einer gelungenen Integration als Asylant in Deutschland.

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Seitenzahl: 64

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Zwischen zwei Welten

Meine Familie

Landleben

Unser Zuhause

„Den Kleinen darf man nicht schlagen!“

Fiesta de San Antonio

In der Dorfschule

Böse Gerüchte

Dann änderte sich alles

Der 13. Oktober 1973

Was tun?

Linares

Aktivitäten

Arpilleristas

Sergio

Von Catillo zur Colonia Dignidad?

Consulta nacional

Die Lage spitzt sich zu

Schwere Entscheidungen

Abreise

Deutschland

Asylant

Neuanfang

Besuch in der Heimat

Neue Herausforderungen

Cueca – ein Stück Heimat in Deutschland

Interkultureller Mediator

An meinen lieben Papa!

Zwischen zwei Welten

Es ist der 1. August 1979. Langsam steige ich die Gangway zum Flugzeug hinauf, wende mich noch einmal um. Adios Chile! Fast sechs Jahre Angst und Ungewissheit liegen hinter mir. Der 13. Oktober 1973 hat mein Leben so grundlegend verändert, dass ich nun gezwungen bin, das Land zu verlassen. Meine Familie glaubt, dass ich wegen einer Ohrenoperation nach Deutschland fliege und bald wieder zurückkehre. Sie kennen nicht den wahren Grund und ahnen nicht, dass ich wahrscheinlich für längere Zeit weg sein werde.

Ich bin erleichtert, in die Freiheit zu entkommen. Doch was wird mich in der anderen Welt, in Deutschland, erwarten? – ein Land, dessen Sprache ich nicht verstehe, dass ich kaum kenne. Wie wird meine Mutter auf das Verschwinden ihres Jüngsten reagieren? Wehmütig denke ich an meine unbeschwerte Kindheit zurück, an die üppige Landschaft meiner Heimat.

Meine Familie

Ich bin am 15. Oktober des Jahres 1958 in der Nähe von Parral in Chile geboren. Meine Mutter Margarita Felisa Vásquez Gatica (geb. 16.1.1917) war bei meiner Geburt bereits 41 Jahre alt. Ich war das jüngste von ihren sieben Kindern und wurde auf den Namen Juan Eduardo getauft. Meine älteste Schwester Ana Julia war bei meiner Geburt 16 Jahre alt, mein Bruder Gilberto Antonio 14 Jahre alt. Dann folgten Luis Antonio mit 12 Jahren, Sergio Antonio mit 10 Jahren. Meine Schwester Margarita Rosa war fünf Jahre und mein Bruder Miguel Enrique war nur eineinhalb Jahre älter als ich.

Unter den Vorfahren meiner Mutter sind Indios gewesen. Ihre Familie lebte in den Bergen. Mein Vater Miguel Rojas Rojas (geb. 16.11.1920) soll spanische Vorfahren gehabt haben. Er war unehelich geboren und kannte seinen Vater nicht. Meine Eltern waren beide Analphabeten, denn in den Bergen gab es damals keine Schule. Meine Mutter konnte nur ein wenig lesen und ihren Namen schreiben. Mein Vater musste mit dem Finger unterschreiben, er konnte gar nicht lesen und schreiben. Als die Beiden 1942 heirateten, war meine Mutter bereits schwanger. Da es als eine Schande galt, bereits vier Monate nach der Hochzeit ein Kind zu bekommen, wuchs meine älteste Schwester bei meinen Großeltern auf. Ich habe sie erst kennengelernt, als sie schon 19 Jahre alt war.

Unsere Eltern wurden von uns Kindern immer mit Sie angesprochen, das verlangte der Respekt.

Mein einziges noch erhaltenes Kinderbild

Landleben

Wir lebten auf dem Land etwa 15 Kilometer von Parral entfernt. Dort im Zentrum Chiles mit seinem mediterranen Klima gediehen die Weinberge, wuchsen Kirschen, Orangen und Quitten. Wir Kinder liebten vor allem die schmackhaften Maqui-Beeren, die auch chilenische Weinbeeren genannt werden. Die schwarzvioletten Beeren wachsen auf Sträuchern und Bäumen mit dunkelgrünen schmalen Blättern. Ursprünglich stammt der Baum aus den gemäßigt tropischen Regenwäldern Chiles und seine Beeren wurden bereits von den Indios als Medizin verwendet. Es gab auch Wald, in dem Lärchen, Kiefern, Zypressen und Araukarien wuchsen. Das flache Land war fruchtbar, es gab große Weideflächen für das Vieh. Es wurde Weizen, Bohnen und Mais angebaut, vor allem auch Zuckerrüben, die in der Zuckerrübenfabrik in der 40 Kilometer entfernten Stadt Linares verarbeitet wurden. Wie sehr habe ich es gehasst, wenn wir Kinder beim Rübenhacken mithelfen mussten!

Das Leben war hart für die kleinen Bauern im Zentrum des Landes. Die meisten besaßen wenig Land und viele Kinder und arbeiteten für die Großgrundbesitzer der Fundos, das waren riesige Landgüter mit weiten Wiesen. Mein Vater arbeitete als Diener für den Patron des Fundo Palomar Parral. Der Fundo war eines der größten Besitztümer der Region. Es gab Rinder, Schafe, Ziegen und Hühner. Der Patron züchtete Pferde und nahm an Pferderennen teil. Auf dem stattlichen Anwesen arbeitete eine Vielzahl von Bediensteten, die für Feldarbeit, Versorgung der Tiere und Bewirtschaftung des Hofes zuständig waren. Es war eine mühsame Arbeit und der Patron führte ein strenges Regiment. Er hatte immer eine Gerte in der Hand und wenn ihm etwas nicht passte, schlug er sofort zu. Doch die Menschen, die dort arbeiteten, hatten keine Wahl. Wo hätten sie sonst hingehen können? Das nächste große Anwesen, der Fundo Villa Rosa gehörte dem Bruder des Patrons. Es gab nur verstreut liegende Einzelgehöfte mit weiten Wiesen und Feldern und ein kleines Dorf.

Mein Vater war auf dem Gutshof für die Versorgung mit Nahrungsmitteln zuständig. Er machte Butter, Käse, bereitete das Fleisch vor und kochte für die Familie des Patrons.

Unser Zuhause

Wie alle Bediensteten lebten auch wir auf dem weitläufigen Gelände des Fundo, die nächsten Nachbarn waren fünfhundert bis tausend Meter entfernt. Es war ein Leben mitten in der Pampa, ohne Elektrizität, ohne Wasserleitungen, ohne Heizung. Wir hatten einen Brunnen, aus dem wir mit einem Eimer das Wasser hochziehen mussten. Wenn wir im Winter aufstanden, waren unsere Nasenlöcher schwarz vom Rauch, denn wir konnten nur mit Holz, Holzkohle und Kohle heizen.

Unser Haus war ein Lehmbau mit einem roten Ziegeldach, was für damalige Verhältnisse schon fortschrittlich war, denn die meisten kleinen Häuser waren mit Gras gedeckt. Wir hatten nur zwei Zimmer und noch einen Vorraum, der zugleich als Wohn- und Esszimmer diente. In einem der beiden Zimmer schliefen unsere Eltern, im Raum dahinter schliefen wir Kinder jeweils zu zweit in einem Bett. Die Küche bestand aus einer gesonderten kleinen Hütte, in der über dem offenen Feuer gekocht wurde. Später hatten wir einen Herd mit einem Backofen, der mit Holz beheizt wurde.

Ich erinnere mich daran, wie ich mit sieben Jahren einmal in diesem Ofen Feuer machen wollte, weil Mutter krank war. Ich hatte nicht bemerkt, dass der Backofen schon beheizt war, schichtete Holz ein, ein Stück Paraffin und näherte mich vorsichtig mit dem Streichholz, um das Paraffin anzuzünden. Plötzlich loderten Flammen aus dem Ofen direkt gegen mein Gesicht, meine Augenbrauen, Haare, alles war verbrannt. Die Frau des Großgrundbesitzers brachte mich in die Klinik, wo meine Verbrennungen behandelt wurden. Ich hatte noch einmal Glück gehabt.

„Den Kleinen darf man nicht schlagen!“

Meine Mutter war sehr liebevoll zu mir. Vater war streng, er schlug häufig zu, wenn ihm etwas nicht passte. Einmal waren meiner Schwester beim Aufräumen die Teller aus der Hand gerutscht, auf den Boden gefallen und zerbrochen. Vater wollte sie sofort schlagen, doch mein Bruder ging dazwischen „So geht das nicht weiter!“ Vater reagierte wütend und schrie: „Ich mische mich nie wieder ein!“ Aber seitdem hat er sie nicht mehr geschlagen. Daran erinnere ich mich noch genau: Als mein Bruder 18 Jahre alt war, erhielt er von Vater gewaltige Schläge mit den Worten „Jetzt weißt du, wie hart das Leben ist!“ Das sollte der Abschied von der Kindheit sein. Vater hatte selbst in seinem Leben nur Schläge erlebt, deswegen hat er wohl diese Tradition weitergegeben.

Ich habe wenig davon abbekommen, weil Mutter mich immer geschützt hat mit den Worten „Den Kleinen darf man nicht schlagen!“ Natürlich waren meine Geschwister eifersüchtig auf mich und so erhielt ich häufiger Schläge von meinen großen Brüdern. Sie machten sich einen Spaß daraus, mir Schauergeschichten zu erzählen. Unsere Toilette war ein einfaches Plumpsklo in einem Häuschen, dass für mich als kleiner Junge weit entfernt war. Ich hatte solche Angst, im Dunkeln dorthin zu gehen, dass ich mir öfter in die Hose machte.