Auf Gut Glück - Michael Niedrig - E-Book

Auf Gut Glück E-Book

Michael Niedrig

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Beschreibung

Tausche Sportschuhe gegen Gummistiefel: Eine Familie wagt den Neuanfang als Selbstversorger Als Sara und Michael ihre Karriere als Leistungssportler beenden, ahnen sie noch nicht, dass sie schon bald knietief in Erde und Schlamm stecken. Nachdem die Kölner 3-Zimmer-Wohnung mit der Geburt ihres zweiten Kindes einfach zu eng geworden ist, verlieben sich die beiden Großstädter 2019 in das 250 Jahre alte Gut Neuwerk: ein großes Anwesen mit viel Charme und Renovierungsbedarf, sechs Hektar Land und Wald in echter Eiffel-Idylle. Mitten im Grünen sprießen neben Löwenzahn und Brennnessel auch schnell die Ideen, was sich hier alles umsetzen lassen könnte: Mit Gummistiefeln und rosaroter Brille stürzen sie sich in das Abenteuer Selbstversorgung. Die beiden erzählen von ihrem Leben nach den Jahreszeiten, zwischen viel Arbeit und Erfüllung. Ihr Neustart bedeutet vor allem auch, vieles neu zu lernen, Hürden zu meistern und den Weg als Ziel zu sehen: Wie lässt es sich als Familie möglichst nachhaltig leben? Wie viele Kartoffeln braucht man im Jahr? Wie schneidet man Schafen die Klauen? Und was, wenn Hof und Ernte plötzlich von der Flut bedroht sind?

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Sara & Michael Niedrig

mit Grete Anders und Valentina Storck

AufGut Glück

Unser abenteuerlicher Neustart als Selbstversorger

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Als Sara und Michael ihre Karriere als Leistungssportler beenden, ahnen sie noch nicht, dass sie schon bald knietief in Erde und Schlamm stecken. Nachdem die Kölner Dreizimmerwohnung mit der Geburt ihres zweiten Kindes einfach zu eng geworden ist, verlieben sich die beiden Großstädter 2019 in das 250 Jahre alte Gut Neuwerk: ein großes Anwesen mit viel Charme und Renovierungsbedarf, sechs Hektar Land und Wald in echter Eifel-Idylle. Mitten im Grünen sprießen neben Löwenzahn und Brennnessel auch schnell die Ideen, was sich hier alles umsetzen lassen könnte: Bewaffnet mit Gummistiefeln und rosaroter Brille stürzen sie sich in das Abenteuer Selbstversorgung. Die beiden erzählen von ihrem Leben nach den Jahreszeiten, zwischen viel Arbeit und Erfüllung. Ihr Neustart bedeutet vor allem auch, vieles neu zu lernen, Hürden zu meistern und den Weg als Ziel zu sehen.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Vorwort

Neue Triebe

Zwischen Baum & Borke

Alles im grünen Bereich

Alles wieder im grünen Bereich

Die Schäfchen ins Trockene bringen

Wasser unterm Kiel & Holz vor der Hütte

Den Wald vor lauter Bäumen doch sehen

Federn lassen

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus

Unser Mehrgenerationenleben

Keine Angst vor Einsamkeit: Feriengäste und Besucher aus aller Welt

Die Kraft der Gemeinschaft: Einleben und Integration in ein neues Umfeld

Wissen, wie der Hase läuft

Was auf unserem Mist wächst

FAQs und weit darüber hinaus

Eine exemplarische Woche auf Gut Neuwerk

Auf Gut Glück –- auf einen Blick

Danksagung

Lektüreempfehlungen und Linkliste

Literaturempfehlungen

Onlineempfehlungen

Bildteil

Vorwort

Herzlich willkommen auf Gut Glück

Uns begegnen immer wieder Menschen, die ähnliche Träume hegen wie wir, sich eine Veränderung in ihrem Leben wünschen. Die Fragen stellen, beispielsweise, wie wir Gut Neuwerk eigentlich gefunden haben? Ob wir keine Angst davor gehabt hätten, unser Leben so radikal zu verändern? Und ebenso oft fällt schließlich der Satz: »Aber ich traue mir das ja nicht zu. Das bleibt eben ein Traum.«

Während wir diese Fragen beantworten, unsere Geschichte erzählen, wird auch für uns selbst jedes Mal aufs Neue deutlich, was die Grundlage für unser Abenteuer bildet: der Mut, einfach draufloszugehen, etwas zu wagen, selbst wenn wir noch nicht wissen, wohin es uns letztlich führt.

Wahrscheinlich lohnt es sich genau deswegen, unsere Geschichte zu teilen.

Wir sind diesen Weg gegangen, ohne irgendeine Ahnung von dem zu haben, was auf uns zukommen wird und was jetzt unseren Alltag bestimmt. Wir mussten alles neu lernen und sind noch lange nicht am Ziel. Denn, so viel vorweg, ein Ziel existiert nicht, zumindest keines, das man am Reißbrett skizzieren könnte. Dieser Weg hört nie auf. Während wir ihn gehen, formt sich Schritt für Schritt eine Landkarte der Intuition in uns und wir nähern uns dem Zustand, in dem wir sein und leben möchten.

Im Laufen denkt man ja nicht unbedingt über den Weg nach, den man gerade hinter sich gelassen hat, sondern eher über die Strecke, die noch vor einem liegt. Als jedoch der Verlag auf uns zukam und uns fragte, ob wir nicht Lust hätten, unsere Erlebnisse zu teilen, beschäftigten wir uns intensiver mit der Frage, warum und wie wir unsere Geschichte erzählen wollten. Wir nahmen uns die Zeit, uns hinzusetzen und die letzten Jahre Revue passieren zu lassen. Und wir stellten fest: Der Wunsch, den eigenen Traum zu verfolgen, Veränderung zu wagen, ist eng verbunden mit der Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Als Einzelne, aber auch als Gesellschaft. Unser eigener Weg berührt Themen, die aktuell viele Menschen beschäftigen und im Trend liegen, wie Stadtflucht, Selbstversorgung und nachhaltiges Leben. Und er hält tatsächlich so einiges an Erfahrungen, tragischen, komischen und ungeahnten Ereignissen bereit.

 

Schlussendlich haben wir uns also für dieses Buch entschieden und stürzen uns damit in ein neues Abenteuer, in ein weiteres von zahllosen ersten Malen, aus denen diese Geschichte besteht.

Und wir fragten uns, welches Buch wir gerne gelesen hätten, bevor wir ein Gut mitten in der Eifel kauften. Was hätte uns ermutigt und irgendwie vorbereitet? Als die Grünschnäbel, die wir waren?

Aber wenn wir ehrlich sind, waren wir so naiv, dass wir gar keine Ahnung hatten, für welches Buch wir uns zuerst hätten entscheiden sollen. Wir hätten eine kleine Bibliothek durchackern müssen: über Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Tierhaltung, Wasserkunde, Bauen, Ferienhäuser und vieles mehr. Vermutlich hätten wir anschließend die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und ebenfalls gesagt: »Wir trauen uns das nicht zu!«, und wären nie hier gelandet.

Dieses Buch ist keine »In zehn Schritten zur Selbstversorgung auf dem Land«-Ratgeberliteratur, denn wir maßen uns nicht an, Experten dafür zu sein. Auf uns treffen eher die Worte des US-amerikanischen Schriftstellers Erskine Caldwell zu: Wir sammeln Erfahrungen wie Pilze, einzeln und immer mit dem Gefühl, dass die Sache nicht ganz geheuer ist.

Stattdessen gibt dieses Buch ein paar konkrete Tipps, versucht Möglichkeiten aufzuzeigen, für neue Themen und Perspektiven zu begeistern, das Image der wunderschönen Eifel aufzupolieren, in der man alles andere als tot überm Zaun hängt, euch vielleicht zum Nachdenken anzuregen und zwischendrin hoffentlich auch zu amüsieren.

Doch im Kern geht es uns vor allem darum, euch zu ermutigen, eurer Intuition und eurem Bauchgefühl zu folgen, wenn ihr das Bedürfnis nach Veränderung verspürt. Euren Ideen, Träumen und Perspektiven Raum zu geben, sich zu entwickeln. Neues zu wagen und einfach anzufangen. Darum, welche Haltung und Einstellung ihr entwickelt zu den Hürden, die sich euch dabei in den Weg stellen. Denn Hürden begleiten uns beide ständig. Wir kommen auf Gut Neuwerk immer wieder an den Punkt, an dem wir uns anschauen und fragen: »Was machen wir jetzt?« Unsere Antwort: »Keine Ahnung! Aber auf jeden Fall weiter!«

 

Jahrzehntelang stand unser Leben unter ganz anderen Vorzeichen. Wir waren Profisportler mit einem hektischen und hoch getakteten Alltag, in dem Gewinnen und Verlieren, Aufsteigen und Absteigen die einzige Währung waren. Ein wunderschönes Leben, das uns viele Privilegien schenkte und erfüllte. Wir arbeiteten hart für die Siege und Höhen unserer Karrieren. Und wir arbeiten hier auf Gut Neuwerk noch immer unverändert hart. Nicht mehr für das flüchtige Geschäft der Siege, sondern für etwas Dauerhaftes. Für die kleinen Veränderungen, die im Rahmen unserer Möglichkeiten liegen. Für einen Lebenstraum, von dem wir lange gar nicht wussten, dass er existiert. Aufstieg bedeutet heute für uns, ein Lebensmodell zu erschaffen, das Wirksamkeit, Ökologie, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft im Blick hat. Für uns, für unsere Kinder und für die Zukunft. Getreu den Worten des indischen Philosophen Rabindranath Tagore:

»Wer Bäume setzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen.«

Neue Triebe

Von der Dreizimmerwohnung auf einen Gutshof mitten im Wald

So selbstverständlich es von außen betrachtet erscheinen mag, dass Michi und ich uns durch den Leistungssport kennengelernt haben, ist es tatsächlich überhaupt nicht. Vermutlich spielte auch hier eine Portion Zufall oder Glück eine Rolle, denn Beachvolleyball und Fußball sind zwei eigenständige Welten. Sicherlich erklärt der Sport aber unser gemeinsames Mindset, mit dem wir beide an Dinge herangehen, das unseren Weg geprägt hat und uns zusammen auf ein Gut mitten im Wald führte.

 

Aufgewachsen bin ich am Ammersee im Münchner Umland, also relativ ländlich, mit meinen Eltern und meinem zwei Jahre älteren Bruder. Als ich sechs Jahre war, entzündete sich meine Liebe zum Volleyball, beim TSV Herrsching. Ich hatte Talent und vor allem war ich wahnsinnig ehrgeizig. Bis ich fünfzehn wurde, durchlief ich verschiedene Förder- und Auswahlprogramme. Dann ging es richtig los: Ich wechselte zum SV Lohhof, der gerade dabei war, in die Bundesliga aufzusteigen und in Bayern so etwas wie das Zentrum des Hallenvolleyballs darstellte. Anfangs bin ich noch mit der S-Bahn zwei Stunden zum Training gefahren, aber als sich der Trainingsrhythmus dann von zwei auf vier Tage pro Woche steigerte und ich meine Hausaufgaben regelmäßig in der Bahn erledigte, wurde klar, dass das keine Dauerlösung sein konnte.

Damit stand die erste größere Veränderung an, auf die eine ganze Reihe weiterer folgen würden: Ich zog in eine Gastfamilie vor Ort und wechselte die Schule. Jedoch wanderte meine Gastfamilie im Jahr darauf in die Schweiz aus und ich bezog mit gerade mal sechzehn Jahren eine eigene Wohnung, die ich mir mit einer Mannschaftskollegin aus Australien teilte. Im gleichen Jahr rutschte der Verein allerdings in die Insolvenz und ich stand da, war von zu Hause ausgezogen, hatte die Schule gewechselt, war auf dem Sprung in die zwölfte Klasse und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

Zum Glück kam recht schnell ein Angebot von Bayer Leverkusen, das mir ermöglichte, die letzten beiden Schuljahre an einem Ort zu verbringen und weiter in der Hallenbundesliga zu spielen. Gleichzeitig brachte es mich näher zum Beachvolleyball. Damals schon träumte ich davon, mich in diesem Bereich zu etablieren, doch mir war bewusst, dass es aufgrund der notwendigen Auslandsreisen in einem professionellen Rahmen erst nach meinem Schulabschluss möglich sein würde. Zu dieser Zeit bestanden noch eine ziemliche Konkurrenz und wenig Synergien zwischen »Sand« und »Halle«. Keine besonders gute Voraussetzung, allerdings spielte es mir hier in die Karten, dass meine Leverkusener Trainerin früher selbst im Beachvolleyball aktiv war und weniger starre Ansichten pflegte: Sie ließ mich nebenbei auch im Sand trainieren.

Nach dem Abitur wechselte ich dann konsequenterweise an die Küste, ging als Profi erst nach Kiel und später, als dort der neue Olympiastützpunkt eröffnete, nach Hamburg. Die ersten Jahre spielte ich mit wechselnden Partnerinnen und ab 2004 dann sehr erfolgreich mit Laura Ludwig zusammen. Anders als im Hallenvolleyball reist du im Beachvolleyball mit deiner Partnerin und dem Trainer als Kernteam um die Welt. Hinzu kommt ein vom Verband gestellter Physiotherapeut und bei wichtigen Turnieren, wie Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaften, weitere personelle Unterstützung. Du bist also selbstständig in deiner eigenen Zweifrauenfirma, die für verschiedene Aufgaben externe Mitarbeiter anheuert und selbst bezahlt. Das bedeutet eine große Freiheit, bringt aber auch früh eine enorme Verantwortung mit sich, denn die Wahl deines Teams bestimmt den Erfolg und das Fortbestehen.

Meine Welt sah damals in der Regel so aus: Saisonvorbereitung ab Januar für drei Monate. Dabei handelte es sich um die trainingsintensivste Zeit, mit zwei, drei Trainingseinheiten pro Tag – Krafttraining, Ausdauer, Balleinheiten – und im Anschluss Physiotherapie. Sechs Tage die Woche, gefolgt von einem Regenerationstag mit Aquajogging oder Laufen. Im März flogen Laura und ich dann ins Trainingslager nach Neuseeland, denn unser Trainer wohnte zwar in Hamburg, konnte dadurch aber einige Wochen in seiner eigentlichen Heimat verbringen. Auf dem Rückweg legten wir meist noch einen Zwischenstopp in Australien ein, um ein paar Trainingsspiele mit den Australierinnen zu absolvieren. Danach stand in der Regel noch ein kürzeres Trainingslager auf den Kanarischen Inseln an und ein längeres in Los Angeles, während wir uns mit den starken amerikanischen Teams auf den Saisonstart im Mai vorbereiteten.

Die Turniersaison begann üblicherweise in China und Brasilien. Danach standen die europäischen Turniere an und am Schluss ging es noch mal nach Asien. Ein halbes Jahr lang spielst du also jede Woche ein Turnier und wechselst mehrfach die Kontinente. Im November und Dezember folgte die turnierfreie Zeit, in der es galt, Kraft und Ausdauer zu erhalten, und von der zwei bis vier Wochen für wirklichen Urlaub blieben.

Der Volleyball bestimmte seit der Schulzeit mein Leben, gab das Tempo vor, die Wohnorte, das Umfeld. Eine Zeit mit viel Training, Leistung und Reisen, die natürlich sehr geprägt hat. Michis Leben war ähnlich getaktet – und sah doch ganz anders aus.

 

Das stimmt, und auf jeden Fall spielte Sport auch für mich schon sehr früh eine wichtige Rolle. Meine Eltern sind extra für meine Geburt die gut 60 Kilometer von Remscheid nach Köln gefahren, weil sie wollten, dass »Kölle« in meinem Pass steht. Das ist sehr bezeichnend, da die Stadt und der 1. FC Köln mich bis heute begleiten.

Mit vier kam der aktive Fußball in mein Leben. Ich begann erst in meinem Heimatort Remscheid zu kicken und wurde dann mit elf Jahren in die Jugendmannschaft vom FC geholt. Meine Eltern haben die regelmäßige Pendelei irgendwie mit mir gewuppt und ich konnte zu Hause leben, bis nach dem Abitur und dem Zivildienst. Anschließend zog ich nach Köln, spielte in der A-Jugend und der U23 bei den Amateuren. Dabei trainiert man unter Profibedingungen und verdient damit auch Geld. Im Unterschied zu vielen Altersgenossen, die in den frühen Zwanzigern noch eher von der Hand in den Mund lebten, hatte ich dadurch schon lange einen Job und war abgesichert. Meinen ersten Profivertrag unterschrieb ich dann 2003. Nebenbei begann ich BWL zu studieren, zwar weniger intensiv als meine Kommilitonen an der Uni, aber stetig und gemächlich.

Anders als in Saras Trainingsalltag blieb mir im Fußball mehr Zeit, die ich für anderes nutzen konnte. Selbst im Profibereich hatte ich damals innerhalb der Saison einen relativ regelmäßigen Rhythmus: Am Samstag war Spiel, sonntags eine Regenerationseinheit, montags frei, Dienstag zweimal am Tag Training, Mittwoch bis Freitag jeweils einmal und dann stand wieder ein Spiel an. Bei einmal Training am Tag hatte ich also um 14 Uhr Feierabend. Nach der Saison waren vier Wochen Sommerpause, bevor die intensivere Saisonvorbereitung inklusive Trainingslager wieder begann.

Sara zieht mich immer noch gerne damit auf, dass es Profisportler gibt und eben Fußballer. Als wir uns kennenlernten, konnte sie anfangs gar nicht glauben, dass wir nicht rund um die Uhr trainierten, wie sie. Fußball nimmt sie dementsprechend bis heute nicht so richtig ernst. Sie ging morgens los, zog eisern ihren Trainingsplan bis abends durch, auch ohne dass der Trainer – wie bei uns – danebenstand, und konnte es nicht fassen, dass wir teilweise nur halbe Tage trainierten. Heutzutage ist das anders, der Profifußballalltag ist heute deutlich durchgetakteter, aber vor zwanzig Jahren sah es so aus. Und gab Anlass für die eine oder andere Spöttelei Saras. Bis heute verweist sie gerne darauf, wie diszipliniert und eigenverantwortlich der gemeine Olympionike trainiert, im Vergleich zu den »rundum gepamperten Fußballern«.

Wie Sara und ich uns dann trotz unterschiedlicher Sportlerwelten kennengelernt haben, ist eine witzige Geschichte, die gut unter den Titel des Buches passt.

Ich war in Köln als Fußballer zwar gut, aber eben nicht sehr gut. Meine Fähigkeiten lagen zwischen der Bundesliga und der U23. Ich war Teil des Bundesliga-Kaders, spielte jedoch überwiegend in der U23 in der dritten Liga. Dann erhielt ich 2005 das Angebot von Holstein Kiel. Sie waren damals im Aufbruch, mit dem Ziel, in die 2. Bundesliga aufzusteigen, und stellten eine neue Mannschaft zusammen. Dadurch kam ich erstmals raus aus Köln und lebte plötzlich so weit im Norden, dass regelmäßig ins Rheinland pendeln nicht mehr funktionierte. Meine damalige Freundin blieb allerdings in Köln, was nicht lange gut ging. Wir hatten als Paar nicht die Basis, die Distanz auf Dauer aushält.

In dieser Zeit dachte ich zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, was ich mir von einer Beziehung und einer Partnerin wünschte. Ich verspürte die Sehnsucht nach etwas Dauerhaftem, einer Verbindung auf Augenhöhe, die Konflikte erlaubt und aushält. Und eigentlich wurde mir klar, dass es eine Sportlerin sein musste, die mein Leben auf einer tieferen Ebene verstehen und tolerieren kann, weil sie damit vertraut ist und selbst eine gewisse Belastbarkeit mitbringt.

Aber das waren zunächst eher theoretische Überlegungen. Bis ich eines Morgens in meiner Küche saß, durch die aktuelle Ausgabe der Kieler Nachrichten blätterte, in der die Sportlerinnen des Jahres zur Wahl vorgeschlagen wurden, und Saras Bild aufschlug. Auch sie hatte ihre Basis zu dieser Zeit in Kiel, zumindest wenn sie da war und nicht irgendwo in der Welt unterwegs. Sie faszinierte mich sofort und ich wusste: Ich wollte sie kennenlernen. Also googelte ich und fand irgendeine Kontaktadresse. Weil ich allerdings keine Ahnung hatte, wen ich darüber erreichen würde, ob das Management oder sie persönlich, legte ich mir eine Mailadresse mit einem Tarnnamen zu. Rückblickend betrachtet etwas stalkermäßig. Inkognito schrieb ich sie dann an: Auf gut Glück und in einer lustigen Art und Weise, die mir heute äußerst unangenehm ist.

Neben einem Hallo und einleitenden Worten stand nämlich in dieser ersten Mail, dass die Sache mit uns beiden quasi klar wäre, jedoch den Haken hätte, dass wir unseren Kindern eines Tages erzählen müssten, dass wir uns aus der Zeitung kennen. Damals erschien es mir lustig, so mit der Tür ins Haus zu fallen. Sara zum Glück auch. Sie fand mich zwar unverschämt, aber meine Nachricht irgendwie anders im Vergleich zu der zuckersüßen Fanpost, die sie sonst bekam. Ernst genommen hat sie mich nach eigener Aussage allerdings nicht.

Immerhin, sie schrieb zurück, stellte allerdings klar, dass sie in einer festen Beziehung sei. Ich antwortete trotzdem. Einige Zeit später haben wir uns dann einmal in Kiel verabredet, ein bisschen kennengelernt – und fanden uns ganz spannend. Wir schrieben uns weiterhin, und als feststand, dass es niemanden rumzukriegen galt, wurde alles sehr ehrlich. Wir tauschten uns über wirklich ALLES aus: Vorstellungen vom Leben, vom Glücklichsein, von Beziehungen und wie man sie führen möchte. Ich konnte das ganz konsequenzlos und ehrlich raushauen, Sara umgekehrt ebenfalls. Jeder für sich. Trotz des intensiven Kennenlernens und den sich häufenden Übereinstimmungen zwischen uns blieben die Rahmenbedingungen fest umrissen. Wir sahen uns ja nie. Sara war damals, und auch später noch, de facto beziehungsunfähig – aufgrund der Umstände. Wochenlang war sie gar nicht zu Hause und wenn, dann nur für zwei Tage.

Zwei Jahre nach der ersten Mail sind wir schließlich doch zusammengekommen. Nicht so honeymoonlike, dass man jede Minute miteinander verbringt, sondern in einer extremen Fernbeziehung. Wir haben Unmengen Geld in Telefongespräche investiert, bis es endlich Skype gab und wir uns trotz Zeitverschiebung und logistischem Gegenwind durch unserer beider Rhythmen, wenigstens sehen konnten. Es fing sachte an, aber funktionierte, weil wir uns durch die Mails auf einer Ebene kannten, die tiefer reichte. Wir hatten einen gemeinsamen Boden und wussten, dass es intensiver werden würde. Irgendwann.

Das ließ allerdings noch ein paar Jahre auf sich warten. Denn erst mal ging ich 2007 zurück nach Köln. Ich hatte mein BWL-Studium abgeschlossen und bekam dieses wahnsinnig tolle Angebot vom FC: einen Fünfjahresvertrag, was selten ist im Fußball, mit Übergang ins Management. Das bedeutete, dass ich als älterer Führungsspieler mit den jungen Wilden in der damaligen U21 spielte und im Anschluss an die sportliche Karriere nahtlos in ein neues Berufsfeld im Verein überging. Im Profisport ist die Frage, was danach kommt, ja ein heikles Thema. Du bist viel früher Rentner, in deinen Dreißigern, je nach Bereich, und musst eine zweite Karriere starten. Dieses »Was mache ich danach?« beschäftigte mich intensiv während der Sportkarriere, deswegen war das Angebot Gold wert. Dadurch wurde unsere Fernbeziehung aber noch etwas komplizierter, denn jetzt sollten wir auch unsere eigentlichen Wohnorte betreffend ein Stück weiter auseinander rutschen.

 

Es war eindeutig, dass Michi dieses wirklich gute Angebot annehmen musste. Also pendelten wir eine Weile, bis ich ein Jahr später meine Wohnung in Hamburg ganz aufgab. Ich war ohnehin kaum dort, und wir konnten uns stattdessen in Köln treffen, wenn ich zwischen den Turnieren für ein, zwei Tage nach Deutschland kam. Acht Jahre lang führten wir eine Beziehung zwischen Tür und Angel, bis ich 2012 meine Karriere als Beachvolleyballerin beendete und dachte: Wow, jetzt können wir endlich zusammenleben. Zumindest sah unser Plan so aus. Doch gleichzeitig stand ich derselben Frage wie Michi gegenüber: Was mache ich danach? Zumal ich mein Studium schon lange abgebrochen hatte, da es einfach nicht mit dem Sport vereinbar war. Ich war zwar noch jung genug, um ein neues Studium zu beginnen, aber dazu kam es nicht.

Der Fernsehsender SKY machte mir das Angebot, ein Volontariat als Sportjournalistin bei ihm zu absolvieren. Das war eine wirklich tolle Chance. Es bedeutete jedoch auch, für anderthalb Jahre nach München zu ziehen. Somit mussten wir wohl oder übel wieder einen Kompromiss eingehen. Im Gegensatz zu den Zeiten auf unterschiedlichen Kontinenten war Köln–München allerdings viel angenehmer und erlaubte uns regelmäßigere Wochenenden zusammen. Dennoch wussten wir: Nach der Ausbildung darf es keine Kompromisse mehr geben. Dann ziehen wir endgültig zusammen. Deswegen heirateten wir 2013 noch während der Fernbeziehung und kauften gemeinsam eine Wohnung in Köln, obwohl wir noch nie wirklich dauerhaft zusammengelebt hatten.

Nach den anderthalb Jahren Volontariat wollte SKY mich fest als Journalistin übernehmen, aber unser Plan war bereits beschlossen. Daher musste ich ablehnen und als freie Journalistin arbeiten. 2014 bin ich dann endlich offiziell nach Köln gezogen. Anschließend haben wir uns ganz bewusst wirklich ein halbes Jahr nur Zeit für uns genommen. Wir nannten die Zeit unseren Honeymoon, unternahmen schöne Reisen zusammen und genossen die Zweisamkeit. Dann kam 2016 schon unser erstes Kind, Max, und zwei Jahre später unsere Tochter Romy.

Die Arbeit als freie Sportjournalistin im Beachvolleyball fiel mir leicht. Ich wurde dafür bezahlt, über meinen Sport, meinen vorherigen Job zu sprechen. Es fühlte sich schön an, mal etwas zu tun, was nicht bedeutete, jeden Tag an meine Grenzen zu gehen. Leistungssport bedeutet gefühlt immer Leben oder Tod. Mal nicht in diesem Friss-oder-stirb-Modus zu sein, sondern darüber zu berichten, schien für den Moment genau das Richtige.

Allerdings keine Perspektive auf Dauer. Ich spürte relativ bald, dass mich das nicht langfristig erfüllen würde. Die Arbeit fühlte sich leicht und angenehm an, aber auch einigermaßen belanglos. Das war eine gute Erkenntnis, die mich nicht traurig machte, weil ich immer das Gefühl hatte: Da kommt noch etwas anderes auf mich zu, ich weiß nur noch nicht, was. Und es kamen Dinge auf mich zu! Sogar einige. Zuerst schaute ich mich nach Perspektiven um, die mich ansprachen, und stolperte über die Heilpraktik. Der erste Teil der Ausbildung ist praktisch ein schulmedizinisches Grundstudium, nach dem sich ein breit gefächertes Feld eröffnet, das weitere Spezialisierung erlaubt – sei es Osteopathie/Physiotherapie, Akkupunktur oder eher Richtung Psyche. Ich begann eine berufsbegleitende Ausbildung zur Heilpraktikerin in Köln, die mir wirklich nahe lag und etwas mit dem zu tun hatte, was mich zeit meines Lebens beschäftigte: der Körper. Mich nun theoretisch mit diesem auseinanderzusetzen, erfüllte mich um einiges mehr als die Berichterstattung. Noch eine zweite Leidenschaft sollte auf mich zukommen, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte.

Romy, unser zweites Kind, war gerade geboren und wir mussten uns der Tatsache stellen, dass die Zeit in unserer Dreizimmerwohnung ein Ablaufdatum haben würde. Perspektivisch brauchten wir mindestens ein Zimmer mehr und wollten eigentlich auch gerne einen kleinen Garten, vielleicht sogar ein Häuschen am Stadtrand. Ich startete die Suche nach etwas Geeignetem zunächst in Köln, was sich natürlich superfrustrierend gestaltete, wie ihr euch sicher vorstellen könnt. Das wenige, was ich fand, war wahnsinnig teuer und gefiel mir dabei nicht einmal. Also erweiterte ich den Online-Suchradius um Pulheim und ähnliche umliegende Orte, immer mit dem Gedanken vor Augen, dass unsere Kinder ein bisschen naturnaher aufwachsen sollten und nicht in einem Betonpark von Großstadt. Betrachtet man sich diese Vororte allerdings genauer, ist es dort weder ländlich, noch städtisch – vielmehr gleichen sie einem seltsamen Niemandsland dazwischen, was mich irgendwie überhaupt nicht interessierte.

Und dann fiel mir plötzlich in dem Bioladen, in dem wir einkauften, der Prospekt eines Maklers in die Hände. Der war, wie seine analoge Broschüre zeigte, eher etwas oldschool unterwegs und hatte auch ein eher spezielleres Angebot: alte Mühlen, Vierkanthöfe, Bauernhäuser. Allesamt ein Stück weiter draußen. Mir gefielen die Objekte wesentlich besser, und ich dachte: Okay, wir könnten vielleicht aufs Land rausziehen und dafür etwas Schöneres finden als ein Reihenhaus am Kleinstadtrand.

Michi sah das etwas anders, als wir gemeinsam den Prospekt durchblätterten. Er fand die Häuser zwar schön, kommentierte jedoch alles mit: »Ich zieh doch nicht nach Zülpich! Was willst du denn da?«

Klar, weder wusste ich, wo genau diese ganzen Ortschaften lagen, noch, wie weit draußen sie wirklich waren – und SO sicher war ich mir mit der Idee nun auch nicht.

Dann entdeckten wir allerdings eine weitere Anzeige, die sogar Michis Interesse erregte. Handelte es sich doch tatsächlich um eine ganze Gutsanlage in der Eifel, mitten im Naturschutzgebiet Rosenthal, umgeben von Wald und Heuwiesen, in absoluter Alleinlage. Auf den insgesamt sechs Hektar fanden sich verschiedene Haupt- und Nebengebäude mit insgesamt tausend Quadratmetern Wohnfläche, last but not least ein eigener See. Gut Neuwerk, eine ehemalige Eisenschmiede.

Die Vorstellung eines Guts löste auch bei Michi ganz andere Fantasien aus als ein Reihenhaus am Kölner Stadtrand. Natürlich wussten wir, dass das eine Nummer zu groß für uns und eigentlich zu weit ab von Köln war, aber anschauen wollten wir es auf jeden Fall. Was soll’s, dachten wir uns, wir machen einen kleinen Ausflug nach Urft, wo immer das ist, und schauen mal. Wir vereinbarten einen Besichtigungstermin und nahmen einen Freund mit, der damals ebenfalls mit dem Gedanken spielte, aus Köln raus aufs Land zu ziehen. Das war im Herbst 2018.

Schon der Weg zum Gut hin ließ uns staunen. Als wir an der Abzweigung ankamen, die Richtung Neuwerk führt, lag die eigentliche Ortschaft einen Kilometer entfernt, von einem Wanderparkplatz führte ein Wald- und Forstweg mitten in den Wald hinein. Wir fuhren die etwa 700 Meter lange Auffahrt entlang, die Bäume zeigten schon vereinzelt eine herbstliche Färbung. Neben uns erstreckten sich Wald, Wiesen und Wanderwege, zwischen denen ein Flüsschen plätscherte. Das musste die Urft sein. Dann erreichten wir eine Toreinfahrt. Wir waren da.

Natürlich hatten wir schon Fotos gesehen, aber die waren nichts im Vergleich zu dem Anblick, der sich unseren Augen jetzt bot.

Ein beinahe parkartiges Gelände mit einem Gebäudetrakt, in dem sich hinter dem hohen Haupthaus zwei weitere kleine Häuschen und eine große Scheune aneinanderreihten. Am Ende des Geländes erstreckte sich ein großer See neben einer ebenso großen Wiese. Nach rechts fielen unsere Blicke auf weitere Wiesenflächen, auf denen Schafe grasten, durchzogen von der sanft plätschernden Urft. Ringsherum lag Wald, so weit das Auge reichte. Die Atmosphäre und die Energie des Ortes hauten uns total um. Allerdings auf unterschiedliche Weise. Michi hatte sofort den Impuls, das machen zu müssen. Ich fand das Gelände ebenfalls wunderschön, doch die Dimension erschlug mich nahezu. Nicht nur die Größe des Guts an sich, es gab darüber hinaus noch Esel, Schafe und Gänse, die dazu gehörten. Der damalige Eigentümer führte uns herum und ich sah überall nur die Arbeit, die in alldem stecken musste. Auf meine Frage, ob das nicht wahnsinnig viel Arbeit sei, antwortete er, dass sich der Aufwand in Grenzen halte, alle zwei Wochen müsse man mal Rasen mähen. Naiv, wie ich war, dachte ich erleichtert: Ja gut, das kriegen wir hin.

Im Nachhinein weiß ich es natürlich besser – es war eben auch ein Verkaufsgespräch. Michi, der ursprünglich der größere Zweifler gewesen war, hatte in Anbetracht der Möglichkeiten, die der Ort schon auf den ersten Blick bot, zwar Feuer gefangen. Doch als dann unser Freund absprang, da es für ihn nicht ganz passte, schwand unser beider Mut. Wir hatten zu großen Respekt davor, uns in ein solches Abenteuer zu stürzen, auch weil wir keine Ahnung hatten, was damit alles auf uns zukommen würde. Logisch, wir hatten keine Vorstellung von den meisten Dingen, die wir zu verantworten hätten. Außerdem war da noch der Preis. Der war zwar zum damaligen Zeitpunkt total angemessen – bevor die Stadtflucht seit der Coronapandemie richtig Fahrt aufnahm und die Preise nach oben schnellen ließ –, aber umfasste dennoch eine stattliche Summe. Ob wir diese allein würden stemmen können, wussten wir nicht. Ebenso wenig, ob eine Bank sich auf solch ein Projekt einlassen würde.