Augenblicke der Kinder - Reinhard Bernhof - E-Book
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Augenblicke der Kinder E-Book

Reinhard Bernhof

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Beschreibung

16 Erzählungen für Kinder ab 10 Jahren sehen die Welt mit Kinderaugen, humorvoll, zum Nachdenken und Träumen, die Natur beobachtend. Die Geschichten machen deutlich, wie man die Welt sehen kann, wenn man noch unbefangen ist, wenn man noch Träume hat und an sie glaubt. Kinder haben weniger Erfahrung als Erwachsene, aber ihre Gefühlswelt, ihre Gedankenwelt, ihre Fantasiewelt ist größer. Kinder erfreuen sich der Gegenwart, sie nehmen die kleinen Dinge, Begegnungen und Entdeckungen deutlicher wahr. Kinder erfreuen sich an Kleinigkeiten, ob es nun ein Ast, eine Muschel, ein Möwennest oder ein Fisch ist - es macht sie glücklich. Erwachsene könnten sich durch genau diese Wahrnehmungen der kleinen Freuden ihren Alltag wesentlich verschönern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 96

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Impressum

Reinhard Bernhof

Augenblicke der Kinder

Erzählungen für Kinder

ISBN 978-3-96521-954-0 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 2006 im Plöttner Verlag Leipzig.

© 2023 EDITION digitalPekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

In Erinnerung an Tim

Für Inka und Benjamin

Kinderaugen – Ein Weltall voller Fragen

I.

Kinder sind nicht dümmer als Erwachsene, sie haben nur weniger Erfahrungen.

La Bruyére (1,248) schrieb: „Sie kennen nicht Vergangenheit noch Zukunft, und – was uns selten vergönnt ist – sie erfreuen sich der Gegenwart.“ In Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ kann man lesen: „Kinder bilden ja eine Menschenspezies und Gesellschaft für sich, sozusagen eine eigene Nation; leicht und notwendig finden sie sich, auch wenn ihr Wortschatz verschiedenen Sprachen angehört, auf Grund gemeinsamer Lebensform in der Welt zusammen.“

II.

Ich versuche in meinen Geschichten für Kinder auf unaufdringliche Weise und auch mit heiteren und lustigen Elementen Konfliktsituationen zu gestalten, in denen sich die Kinder wiedererkennen und viele Identifikationsmöglichkeiten finden. Aber ich verstehe Kinderliteratur auch als notwendigen Hort der Sprache und als reales Äquivalent gegenüber der Action/Action-Literatur, ohne Ziel und Ende …

III.

Alle Kinder sind dankbar, wenn man sich ausreichend mit ihnen beschäftigt und versucht, ihre Empfindungen, Regungen und Träume wirklich zu entdecken und sie mit dem realen Leben, mit den eigenen Existenzkämpfen und Sorgen unserer Zeit zu verknüpfen. Es gibt nichts Wachsameres, Empfänglicheres als Kinderaugen …

In ihnen ist ein Weltall voller Fragen, die oftmals schwer oder gar nicht zu beantworten sind. Mit ihnen gemeinsam diese Fragen stellen …

R. B.

Das linke und das rechte kleine Mädchen

Ich wurde einmal zu einer Lesung in eine Schulklasse eingeladen, um aus meinem Märchenbuch „Lockerlangbarts Geheimnis“ zu lesen. Vor mir, in der ersten Reihe, saßen zwei Mädchen, sie hatten beide eine Ponyfrisur, und sie glichen sich wie ein Wassertropfen dem anderen. Sie meldeten sich am heftigsten in der Diskussion. Zwillinge, dachte ich.

Nickend gab ich zuerst dem linken kleinen Mädchen das Wort. Es fragte, ob ich gleich ins Buch schreibe. Ich erklärte, wie oft ich eine Geschichte schreibe; manchmal sind es zehn bis zwanzig Fassungen. Die Kinder raunten und waren darüber sehr erstaunt. Danach nickte ich dem rechten kleinen Mädchen zu. Sie glichen sich nicht nur wie ein Wassertropfen dem anderen, sondern sogar wie ein Ei dem anderen.

Ich fragte: Ihr seid doch Zwillinge?

Nein, sagte das linke kleine Mädchen.

Nicht?

Nein, sagte das rechte kleine Mädchen.

Nanu, aber bestimmt seid ihr Schwestern?

Schwestern sind wir, sagte das linke kleine Mädchen.

Wie alt seid ihr denn?, fragte ich.

Zusammen einundzwanzig Jahre alt, sagten zugleich beide Mädchen.

Das kann doch nicht stimmen, sagte ich. Doch!, sagte das rechte kleine Mädchen.

Ihr seid doch erst sechs oder sieben, sagte ich.

Nein, wir sind zusammen einundzwanzig, sagte das linke kleine Mädchen. Ja, zusammen sind wir einundzwanzig, bestätigte noch einmal das rechte kleine Mädchen.

Ich sah zur Lehrerin, sie lächelte geheimnisvoll. Ich sah in die Gesichter der Kinder; auch darin lag ein geheimnisvolles Lächeln. Nanu, was hat das zu bedeuten? – Ich blickte wieder zu den beiden Mädchen und sagte: Ihr seid doch Zwillinge.

Nein, nein!, betonten beide laut, es klang wie aus einem Mund – und sie beherrschten mehrere Abstufungen des Lächelns.

Unsicher schaute ich abermals in die Gesichter der Kinder. Sie wirkten erwartungsvoll und lachbereit.

Da stand in der letzten Reihe noch ein drittes kleines Mädchen auf, es hatte ebenfalls eine Ponyfrisur, und rief: Wir sind doch Drillinge.

Olgas Nachahmungstrieb

Olga ging in die zweite Klasse. Es war sehr heiß, am Himmel zeigte sich nicht eine Wolke. Olga nahm ihren Sonnenschirm und hatte so viel damit zu tun, das blauseidene Ding über sich zu bewundern, dass sie kaum daran dachte, beim Überqueren der Straße nach rechts oder nach links zu sehen. Aber nicht nur zu Hause und beim Spielen träumte Olga, auch in der Schule. Immer war sie mit den Gedanken woanders, sodass ihre Lehrerin sie des Öfteren antippte und ermahnte: Olga, träume nicht! Oder: Olga, bist du wieder abwesend. Oder: Olga, konzentriere dich auf den Unterricht! –

Trotzdem bewunderte Olga ihre hübsche Lehrerin; denn sie hatte langes braunes Haar bis an die Schultern, ihre Lippen waren rot angemalt – und auch ihre Fingernägel sahen aus wie Kunstwerke. Dagegen waren Olgas Nägel an manchen Stellen abgeknabbert. Ja, Olga träumte davon, wie ihre Lehrerin auszusehen, Frau Hindemith.

Kam Olga nach Hause, sah sie sofort in den Spiegel und machte ihre Wangen wieder rosig. Sie hatte sie schon am Morgen, bevor sie in die Schule ging, gepudert. Aber der Puder war längst verflogen. Einmal nahm sie Make-up von der Mutter. Doch Mutters Make-up war plötzlich verschwunden. Sie musste es gemerkt und ihr Make-up versteckt haben. Einmal fragte sie Olga: Seit wann nimmst du Make-up? Olga wurde feuerrot und sagte: Ich wollte es nur mal ausprobieren.

Iss Mohrrüben, wenn du eine schöne Haut bekommen willst. Mohrrüben sind die beste Kosmetik.

Isst du denn genügend Mohrrüben?, fragte Olga. – Manchmal esse ich welche. Manchmal kaufe ich auch Möhrensaft.

Olga stand wieder vor dem Spiegel, bürstete ihr blondes Haar lang aus, sodass es ihr ebenfalls wie bei der Lehrerin über die Schultern fiel.

Am nächsten Tag staunten die Schulkameradinnen und Schulkameraden Olga an und sagten: Olga, wie hast du dich verwandelt. Und Olga fühlte sich als schönstes Mädchen in der Klasse, auf dem ganzen Schulhof. Aber das genügte ihr nicht. Denn während des Unterrichts beobachtete sie, dass Frau Hindemith, während sie sprach, manchmal mit den Nasenflügeln zuckte. Dieses kaum wahrnehmbare Zucken beeindruckte Olga so sehr, dass sie während des Unterrichts nicht mehr richtig hinhörte. Sie wollte nur noch dieses Zucken im Gesicht von Frau Hindemith sehen. Und während sich Olga unentwegt auf die Nase ihrer Lehrerin konzentrierte, begann sie unwillkürlich mitzuzucken. Und je mehr sie dagegen ankämpfte, desto stärker verspürte sie diesen Nachahmungstrieb.

Bald darauf unterbrach Frau Hindemith ihren Vortrag und sagte: Olga, du schneidest ja so eigenartige Grimassen. Bist du nervös? Solltest lieber im Unterricht aufpassen.

Da lachte die ganze Klasse über Olga – und alle schnitten ebenfalls Grimassen.

Einmal traf Olga Frau Hindemith mit ihrem Freund auf der Straße. Hat die einen tollen Mann, dachte Olga. Er hatte so etwas Fantastisches in den Gesichtszügen.

Hast du dich schon auf den morgigen Ausflug vorbereitet?, fragte Frau Hindemith.

Ja, ich freue mich schon sehr darauf, sagte Olga. – Frau Hindemith wies auf ihren Freund und sagte ganz vertraulich, als wäre Olga ihre beste Freundin: Kristian wird den Bus fahren.

Oh, toll!, sagte Olga und starrte Kristian an. Und als er kurz mit Olga sprach, zwinkerte er etwas mit dem linken Auge, ähnlich wie es manchmal Schlagersänger tun, wenn das Lied zu Ende ist und sie wieder von der Bühne treten.

Zunächst stand Olga unter dem schmeichelhaften Eindruck, dass ihr Kristian zugezwinkert hatte. Oder war das, was sie für ein heimliches Werben um ihre Gunst gehalten hatte, lediglich nur ein nervöses Muskelzucken? – Doch irgendwie übertrug sich dieses Muskelzucken auf Olgas linkes Auge.

Zu Hause fragte die Mutter: Die Schule ist bestimmt sehr anstrengend, Olga?

Wieso fragst du danach?

Ich glaube, du bist schon ziemlich nervös geworden.

Nervös? Was ist das eigentlich?

Nervös ist, wenn man unruhig ist, ständig zappelt, oder wenn irgendetwas im Gesicht zuckt.

Ich und nervös, sagte Olga. Bin doch nicht nervös!

Ich merke sofort, wenn du nervös bist, sagte die Mutter.

Und an was erkennst du das? – Neulich hast du andauernd mit der Nase gekräuselt. Seit zwei Tagen zwinkerst du immer mit dem linken Auge. Olga lachte. – Ja, ich gewöhne mir immer etwas leicht an. Aber ich kann es mir auch wieder abgewöhnen.

Die Mutter sagte: Der Mensch macht immer erst alles nach, probiert viele Gesichter aus, aber sie gehören ihm nicht, weil er sie nicht wirklich kennt.

Bald war das Schuljahr zu Ende. Und als auch die großen Ferien zu Ende waren, stand bei Beginn des neuen Schuljahres eine andere Lehrerin vor Olgas Klasse, eine kleine Frau mit Dutt und Mitropa-Aschenbecher-dicken Brillengläsern. Frau von Meinichshagen. Ihr wurde nachgesagt, zwei verschiedene Augen zu haben, ein blaues und ein dunkelbraunes; deswegen trage sie so verrückte Brillengläser. Gasmaskenbrillengläser, spottete der dicke Bert aus der letzten Reihe.

Da verlor Olga sofort ihren Nachahmungstrieb. Nur wenn ihr manchmal Kristian mit dem Landbus entgegenkam, Olga erkannte und kurz hupte, erwiderte sie seinen Gruß mit heftigem Armschwenken. Dann zwinkerte Olga wieder mehrere Tage mit dem linken Auge.

Die sprechende Muschel

Franz lief am Strand entlang, um eine Muschel zu finden. Eine singende vielleicht, mit diesem Dauerton aus Meereswellen, oder eine sprechende Muschel. Ich muss sie finden, damit sie mir ein Märchen erzählt.

Nach einer Weile begegnete er einem Fischer. Der fragte: Was stromerst du denn so alleine hier am Strand entlang?

Ich will eine Muschel finden, sagte der Junge.

Hier findest du viele Muscheln. Tausende. Sieh mal an deinen Füßen, die winzigen Perlmuttsplitterchen. Alle waren sie mal Lebewesen. Nein, ich möchte eine ganz große Muschel finden, in die man hineinhören, mit der man telefonieren kann.

Die gibt es an der Ostsee nicht, sagte der Fischer. Die gibt es nur in der Karibik.

Als Franz wieder an den Strandkorb kam, in dem seine Eltern saßen, fragten sie ihn sogleich: Na, hast du eine Muschel gefunden, die singen kann, mit der du telefonieren kannst?

Nein, die gibt es hier nicht, sagte Franz. Die gibt es nur in der Karibik. Dorthin sollten wir einmal fliegen.

Jetzt sind wir erst einmal an der Ostsee, das genügt für dieses Jahr, sagte die Mutter.

Franz entsann sich, dass er einmal bei seiner Oma eine große Muschel gesehen hatte. Ja, ich besuche sie, wenn ich wieder zu Hause bin. Dann werde ich sie danach fragen.

Vierzehn Tage später klingelte er bei seiner Oma. Sie wohnte nicht weit von ihm entfernt in der vierten Etage eines großen Mietshauses. Als sie öffnete, war sie ganz erstaunt und sagte: Was für ein seltener Besuch. Komm herein, Franz. Was führt dich zu mir? – Och, nichts weiter, Oma. Ich wollte dich nur mal besuchen.

Wie war es denn an der Ostsee? Bist braun geworden, mein Junge.

Jeden Tag schien die Sonne …, dabei schaute sich Franz nervös um.

Nanu, sagte Oma, was schaust du dich denn bei mir so um, du weißt doch, wie es bei mir aussieht.

Oma, sagte Franz etwas aufgeregt, ich glaube, ich habe bei dir mal eine große Muschel gesehen.

Ach, die habe ich längst auf dem Boden verstaut. Sie war nur ein Staubfänger.

Staubfänger? Die würde ich mir aber gerne mal ansehen, sagte Franz.

Kein Problem, sagte Oma. Trink erst mal die Limonade aus, dann gehen wir gemeinsam auf den Boden und suchen sie.

Als er ausgetrunken hatte, ging Franz hinter der Oma die steilen Treppen zu ihrer Dachkammer hinauf. Überall Spinnweben und altes Gerümpel. Und dazwischen ein großer, alter Bauernschrank. – Vielleicht habe ich sie darin versteckt, sagte Oma.

Als sie die Schranktür öffnete, sah Franz einen schimmernden weißen Fleck. Ist sie das?, fragte er. – Oma bückte sich und sagte: Die habe ich gut verpackt, damit die Perlmuttschicht nicht lädiert wird.

Langsam wickelte sie die Muschel aus dem Zeitungspapier, bis sie zum Vorschein kam. – Eine wunderschöne Muschel.

Sie legte sie sich ans Ohr und sagte: Ja, ich höre schon wieder das Meeresrauschen. In der Muschel ist das ewige Meeresrauschen! Ich will es auch hören, sagte Franz. Oma legte ihm die Muschel ans Ohr.

Ich höre nichts! Gar nix!, rief Franz.

Wenn du aufgeregt bist, hörst du nichts, sagte Oma. Nur wenn du ruhig bist, innerlich ganz ruhig und sanft, dann kannst du in der Muschel alles hören, was du willst. Als Werner starb, dein Opa, habe ich vor Trauer immer in die Muschel gehört. Da habe ich mit der halben Welt korrespondiert.

Korrespondiert?, fragte Franz.

Ja, korrespondiert. Das heißt gesprochen. Ich stand mit der halben Welt in Verbindung. Alle Menschen, mit denen Werner und ich einmal Kontakt hatten, sprachen mit mir.

Franz hörte lange und ausgedehnt in die Muschel hinein. Ja, ich höre was. Ich höre was. Ich höre das Meeresrauschen …

Das ist ja für den Anfang schon viel, sagte die Oma.

An Omas Wohnzimmertisch hörte Franz immer wieder in die Muschel hinein. Er sagte: Ich höre, wie sie singt und rauscht … Wie sich die Wellen an den Felsen brechen.

Das wird wohl mehr der Lastwagen gewesen sein, der unten eingeparkt hat, sagte die Oma. Du musst, wenn du zu Hause bist, mit ihr üben. – Üben?, fragte Franz.