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„,Lass ihn laufen’, sagte Pit. Er hielt mir die Hand hin und sagte: ,Freunde’. Ich schlug ein. Wir rösteten gemeinsam die Kartoffeln, die drei faustgroßen von Pit und die pflaumengroßen aus meinen Hosentaschen. Und als die ersten Kartoffeln gar waren und wir die verbrannte Haut abpellten, da fühlte ich mich wie Hans im Glück. Nie mehr schmeckten mir Kartoffeln so gut wie an jenem Tag …“ In fünf Geschichten erzählt Reinhard Bernhof von ungewöhnlichen Freundschaften und solchen, die wir vielleicht schon selbst erlebt haben.
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Seitenzahl: 33
Veröffentlichungsjahr: 2023
Reinhard Bernhof
Der Mann mit dem traurigen Birnengesicht
ISBN 978-3-96521-836-9 (E-Book)
Das Buch erschien erstmals 1982 im Kinderbuchverlag Berlin (Band 159 der Reihe „Die kleinen Trompeterbücher“)
Für Leser ab 9 Jahren
© 2023 EDITION digitalPekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
Als Kind ging ich oft auf die Müllkippe. Vielleicht kann ich dort etwas finden, dachte ich. Ich besaß nicht ein einziges Spielzeug. Als Schreibpapier für die Schule musste ich mir Packpapier schneiden, und als Schreibstift besaß ich nur einen fingerlangen Bleistiftstummel, den ich an einem Bindfaden trug. Auch einen richtigen Freund hatte ich in dem Dorf noch nicht gefunden. Denn überall, wo ich hinkam nach dem Krieg, war ich fremd.
Zwischen den Abfallbergen blühte der Stechapfel. Da und dort strebte eine Kartoffelpflanze ans Licht. Ich zog an einer, es hingen pflaumengroße Kartoffeln daran. Sie machten meine Hosentasche wie mit Fäusten prall.
Ratten stoben auseinander und erschreckten mich. Eine Gasmaske fand ich und setzte sie mir auf. Ich spielte Krieg. In einen ausgeschlachteten Panzer kroch ich hinein und auf der anderen Seite wieder heraus. Getrocknete Lehmklumpen schleuderte ich auf den rostroten Turm und ging in Deckung wie nach einer Explosion. Krähen erhoben sich ringsherum von den Feldern und sammelten sich zu einer schwarzen Wolke. Aus einem Haufen weggekippter fleckiger Äpfel, die schon säuerlich rochen, suchte ich mir essbare heraus. In manchen fand ich nur noch einen Biss. An diesem Ort, wo es mächtig stank nach feuchter Asche und modrigen Lumpen, konnte ich immer etwas entdecken, sogar den abgebrochenen Kopf eines blau-weiß-rot gestrichenen Schaukelpferdes.
Darüber hatte ich mich am meisten gefreut.
Dort hielten sich auch oft die Dorfalten auf. Sie konnten immer etwas von dem Weggeworfenen gebrauchen: Fahrradrahmen oder Bretter, löchrige Töpfe oder lädiertes Porzellan. Manchmal erzählten sie mir, was ihnen schon als Kinder erzählt wurde, dass auf der Müllkippe Teufel hausen, die sich von Schuhnägeln und Glasscherben ernähren.
Fast jeden Tag ging ich dorthin. Jeden neuen Abfallhaufen entdeckte ich sofort, untersuchte ihn, stocherte mit einem Stock darin herum.
Ich stand vor einem kleinen Tümpel, der schon bis zur Hälfte zugeschüttet war. Darin spannten Wasserpflanzen ihr zartes Gerank. Frösche quarrten und gluckerten: „Brekekek koax koax. Brekekek koax koax.“ Ihnen hörte ich oft zu und trommelte auf einer zersprungenen Emailleschüssel, dann verstummten sie sofort und platschten ins Wasser.
Einmal beobachtete ich am Holunderstrauch zwei Jungen: Pit und Sommersprosse. Sie gingen in meine Klasse. Sommersprosses Gesicht war immer mit Heftpflaster kariert.
Schlitzohrig schlich ich an die beiden heran. Sie scharrten in der Asche nach brauchbaren Kohlenresten. Vielleicht wollen sie ein Feuerchen machen, um sich Kartoffeln zu rösten, dachte ich.
Sommersprosse hockte und scharrte, Pit, der kleinere, las mit flinken Händen die Kohlenstückchen heraus. Dann kletterten beide den Hang hinauf, scharrten erneut und kletterten – die Hände voller Kohlenstückchen – den Hang wieder hinunter. Dabei stritten sie sich. „Bist wohl ballaballa!“, rief Sommersprosse.
„Selber ballaballa“, erwiderte Pit.
Beide knieten um einen Holzstoß und legten die Kohlenstücke drumherum. Daneben lagen faustgroße Kartoffeln, die sie irgendwo geklaut hatten. Sommersprosse fingerte eine zerquetschte Streichholzschachtel aus seiner Hosentasche, zündete ein Streichholz an und hielt es an das mit getrocknetem Gras vermischte Holz. Dann pustete er tüchtig, und eine dicke Qualmwolke stieg in den Himmel. Plötzlich rief Sommersprosse: „Da – ein Frosch!“ und seine Stimme wurde jubelnder Gesang. Er langte nach einem Kohlenstück, zielte und feuerte es ab.
Pit war erschrocken und schrie: „Hör auf damit!“
Sommersprosse hatte taube Ohren. Er langte nach einem zweiten, dritten und vierten Kohlenstück, die sie sich mühsam für das Kartoffelfeuer herausgescharrt hatten, und schoss sie nacheinander ab. Pit aber, der ihm in den Arm fassen wollte, wurde mit geringer Mühe beiseite geschoben. Sommersprosse sagte: „Frösche sind doch Ungeziefer!“
Pit schrie hell auf. Sommersprosse hatte einen Frosch getroffen. Das Tier warf sich auf den Rücken, den weißen Leib zur Sonne kehrend. Der Frosch hatte in seinen Todeszuckungen die Vorderfüße gegeneinandergelegt. Sommersprosse lachte und hüpfte von einem Bein auf das andere.