Auguste Viktoria - Randy Fink - E-Book

Auguste Viktoria E-Book

Randy Fink

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Beschreibung

An der Seite Wilhelms II. stand Auguste Viktoria als letzte Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen an der Spitze des modernen und gleichzeitig antiquierten Deutschen Kaiserreichs. Von Zeitzeugen als unpolitische und karitative Landesmutter verehrt, spielte die konservative und xenophobe Kaiserin eine nicht zu unterschätzende Funktion in der Innen- und Außenpolitik des Kaiserreiches, die geradewegs in den Ersten Weltkrieg führte. Erstmals wird die Rolle der Kaiserin im gesellschaftlich-politischen Alltag des Wilhelminismus in einer kritischen Biografie umfassend untersucht.

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RANDY FINK

AUGUSTEVIKTORIA

DIE LETZTE DEUTSCHE KAISERIN

Für meine GroßelternElfriede – Gisela – Herbert – Horst

INHALT

IEinleitung

IIDie Jugend (1858–1888)

Die Ehefrau

IIIDie Kaiserin (1888–1914)

Die Kaiserin

Der Hof

Der Alltag

Der Kaiser

Die Familie

Die Innenpolitik

Die Fürsorge

Die Außenpolitik

IVDer Krieg (1914–1918)

VDas Exil (1918–1921)

VISchlussbetrachtung

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivale Quellen

Zeitungen

Zeitgenössische Literatur

Literatur

Bildnachweis

I

EINLEITUNG

Die Namen dreier Kaiserinnen sind verzeichnet in der noch kein halbes Jahrhundert langen Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs. Und bei jedem Namen tritt ein völlig anderes Bild vor unsere Seele. […] Auguste Victoria hat keinen politischen Ehrgeiz gekannt, hat sich nie in den Parteikampf gestellt, hat keinen Mittelpunkt des geistigen Lebens bilden wollen. Es war ihr genug, Gattin und Mutter zu sein und daneben die Last der Krone zu tragen.1

Die letzte deutsche Kaiserin Auguste Viktoria handelte aus Liebe. So kann man das Leben der Frau beschreiben, die an der Seite Wilhelms II. das Deutsche Kaiserreich von 1888 bis 1918 regierte. Als die Kaiserin am 11. April 1921 im niederländischen Exil nach langer Krankheit starb, zeichneten zahlreiche Nachrufe das damalige geschlechtertypische Bild der still leidenden, engagierten Frau und Mutter, »deren herzgewinnende[n] Züge uns fast ein Menschenalter hindurch auf unseren Wegen begleitet haben« und deren »Heimgang […] in unzähligen Herzen ein Gefühl der Wehmut und Ergriffenheit« ausgelöst hat.2 Dabei war die Landesmutterpräsenz der Kaiserin kein Mythos der Trauerbewältigung, sondern wurde maßgeblich durch ihr eigenes Handeln geschaffen und tief in der deutschen Bevölkerung verankert.

Das deutsche Volk erinnerte sich an Auguste Viktoria, wie sie Freibier für Soldaten vor dem Neuen Palais in Potsdam ausschenkte, karitative Einrichtungen besuchte oder bei Wanderungen durch Siedlungen mit Anwohnern auf der Dorfstraße plauderte. Eindrucksvoll sind Anekdoten wie diese, als Auguste Viktoria eine Kadettenanstalt besuchte und einer der Schüler vermutlich aus Heimweh weinte. Die Kaiserin legte einen Arm um den Jungen, führte ihn in ein Nebenzimmer und setze ihn sich auf den Schoß, um ihn zu trösten.3 Das Image der deutschen »Vorbildsmutter« wurde obendrein durch umfangreiche Fotografien und Postkarten verstärkt, die, teils unterschrieben, als eine Art Gunstzeichen vergeben und angefragt wurden, ähnlich wie heute Autogrammkarten von Prominenten. »Majestät brauchen Sonne« galt nicht nur für die Selbstdarstellung des Medienkaisers Wilhelm II., sondern auch für seine Frau, deren tadelloser Leumund sich durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit des Kaiserhauses verstärkte. Zu den Ehrungen gehörten Benennungen medizinischer Einrichtungen mit ihrem Namen ebenso wie ihre Unterschrift in Gästebüchern und gestifteten Bibeln für neu errichtete Gotteshäuser. Wenn auch die Berliner, ihrer christlichen Wohlfahrtsbestrebungen wegen, sie liebevoll neckisch die »Kirchenjuste« nannten, erkannte die Berliner Schnauze, dass durch Auguste Viktoria wichtige Prozesse und die Gründung von Einrichtungen zur medizinischen Versorgung angestoßen wurden. Dazu gehören allen voran die 1905 gegründete Gesellschaft zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und das daraus resultierende Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus, durch deren Wirken die Säuglingssterblichkeit im Kaiserreich fachkundig gesenkt werden konnte.

Trotz zunehmender körperlicher Gebrechen folgte die Kaiserin einem rigorosen Pflichtbewusstsein, das ihr das Volk hoch anrechnete. Ihre Tochter Viktoria Luise erinnerte sich, dass »[w]enn es sich gar nicht anders einrichten ließ, […] sie im langen Schleppkleid und mit großem Diadem [erschien], aber sie erschien.«4 Die Kaiserin war verlässlicher, mitfühlender und stiller Ruhepol in der Hektik der Jahrhundertwende. Dafür wurde sie geachtet und geschätzt. Sie spendete jene zwischenmenschliche Zuneigung, nach der sich das Volk sehnte. Sie war präsent und spendete Trost. Zum 20. Regierungsjubiläum von Auguste Viktoria 1908 schrieb die Berliner Börsenzeitung daher die rezeptionsrelevanten Worte: »Wo immer soziale Schäden, wo immer Leiden und Unglück, Not und Kummer an den Tag treten, finden sie im Gemüt der Kaiserin jederzeit den Widerhall liebevoller Teilnahme und Hülfsbereitschaft.«5

Das ruhige und sanfte Gemüt der Kaiserin war von Bedeutung für die Beziehung zu ihrem Mann, dessen Sprunghaftigkeit und launenhafte Natur so sinnbildartig für die deutsche Gesellschaft waren, und bildete so einen ausgleichenden Faktor. Die Person Wilhelms II., mit ihrem militärischen Gehabe, ihrer präpotenten Selbstüberhebung, aber auch ihrer Anziehungskraft, war der beste Vertreter des Wilhelminismus. Auguste Viktorias Hingabe und Zurückhaltung passten zum obrigkeitstreuen Epochenbild, obwohl die Beziehung des Kaiserpaares zutiefst ungleich war, auch wenn öffentlich das Gegenteil stilisiert wurde. Das egoistische Verhalten Wilhelms II. traf auf die hinnehmende Anhänglichkeit Auguste Viktorias, die zeitweise solch extreme Züge annahm, dass sich der engere Hofkreis um die Gesundheit der Kaiserin sorgte. Als die kranke Kaiserin zum Beispiel bei einem Spaziergang mit kurzem Atem keuchte: »Aber Wilhelm, jetzt kann ich wirklich nicht mehr!«6, riet Wilhelm ihr, sich hinzusetzen und spazierte alleine weiter. Der Kaiser war das Zentrum in der Existenz Auguste Viktorias, sie betrachtete ihn als Herrscher und erwartete von allen dieselbe Hörigkeit. Sein Wohlergehen und seine Machterhaltung waren ihre Raison d’Être.

Eine andere Alternative hätte Auguste Viktoria auch nicht gehabt, denn einen eigenen Glanz, eine faszinierende Aura oder Größe, besaß sie nie. Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck nannte sie die »holsteinische Kuh«. Fürstin von Pless urteilte, sie sei »wie eine stille, sanfte Kuh, die Kälbchen hat und Gras frißt und sich dann niederlegt und wiederkäut.«7 Mit ihrer hingebungsvollen, fürsorglichen, pflichtbewussten, taktvollen, unprätentiösen und dumpfen Art entsprach sie dem zeitgenössischen Ideal einer Frau. Reichskanzler Bülow äußerte sich anlässlich der Silberhochzeit, das Kaiserpaar sei »zu dem Vorbild echt deutschen Familienlebens und Familienglücks auf dem Kaiserthron«8 aufgestiegen. Alles sprach für dieses Bild, die Inszenierung funktionierte.

Warum nun eine Biografie über eine Person, die keinerlei Reiz auszustrahlen vermag und niemandem Rätsel aufgibt? Eine Monarchin, die Historiker »als zu taktvoll oder zu dumm gehalten [haben], um überhaupt eine politische Rolle in der Wilhelminischen Ära zu spielen. Wenn sie ihr überhaupt einen Platz in den Fußnoten ihrer Studien gaben, dann wurde sie als vorbildliche Frau und Mutter beschrieben, die sich eifrig an ihre hausfraulichen Pflichten klammerte.«9 Eine politische Kaiserin war in den zeitgenössischen Köpfen nicht im Rahmen des Möglichen und so ist es bis heute geblieben. Es ist diese einseitige und fehlende kritische Forschung über Auguste Viktoria, die der Grund für diese Betrachtung ist.

Denn wo Liebe ist, ist auch Hass. Diese Extreme prägten Auguste Viktoria und machen sie in ihrer Stellung als Mitglied der höchsten gesellschaftspolitischen Ebene interessant. Dabei richtete sich ihre Feindseligkeit gegen alles, was die Größe ihres Mannes und des Reiches vermeintlich untergrub und war geprägt durch starren Konservatismus und Xenophobie. Meist äußerte sich dies in Verstimmungen, die auf den ersten Blick als Schrullen oder Launen erscheinen. So zum Beispiel 1897, als die Kaiserin nach dem goldenen Thronjubiläum Königin Victorias von Großbritannien, der Großmutter Wilhelms II., meinte, am englischen Hof »mit ausgesuchter Kühle … kaum höflich« behandelt worden zu sein, und sich darüber echauffierte, dass man sie »immer hinter der schwarzen Königin von Hawaii placiert« habe.10 1903 weigerte sie sich, die – aus ihrer Sicht unebenbürtige – Königin von Serbien zu empfangen, was Spannungen zwischen Deutschland, Serbien und Russland hervorrief. Versuchte sich Auguste Viktoria hingegen öffentlichen Empfängen und Staatsbesuchen zu entziehen, musste sie dazu teilweise vom Auswärtigen Amt und ihrem Mann gezwungen werden. Reichskanzler Bernhard von Bülow äußerte sich schonungslos in seinen Memoiren:

Bei aller Trefflichkeit ihres Wesens hat die Kaiserin Auguste Viktoria unsere Beziehungen um Rußland wie namentlich zu England und bis zu einem gewissen Grade auch zu Italien durch ihr Ausländern gegenüber steifes und prüdes Wesen nicht erleichtert. Wenn ihr Gemahl in dieser Beziehung zu viel tat, war sie bisweilen geneigt, zu wenig zu tun.11

Auguste Viktorias Pflichtbewusstsein hörte außerhalb der Reichsgrenzen auf. Dabei entfaltete sie durch ihren Glauben an die Macht der Krone und die deutsche Suprematie eine erstaunliche Macht als Ratgeberin. Als 1908 die Daily-Telegraph-Affäre das Ansehen und die Mentalität des Kaisers wie nie zuvor erschütterte, war es die Kaiserin, die ihren Mann von einer Abdankung abbrachte und gleichzeitig vergeblich versuchte, Reichskanzler Bülow, der durch die Affäre und sein Handeln beim Kaiser in Ungnade fiel, im Amt zu halten. Jahre später, während des Ersten Weltkrieges, plante sie durch Vermittler im preußischen Herrenhaus die Wiederernennung Bülows zu erwirken. Vehement wehrte sie sich gegen eine Machteindämmung ihres Mannes und sah in jedem, der Änderung in der Prärogative der Krone für notwendig hielt, einen Feind. So sind der Sturz von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und des Chefs des Zivilkabinetts Rudolf von Valentini entscheidend durch die Kaiserin beeinflusst worden. Derweil schirmte sie in ihrer ehelichen Hingabe ihren Mann während des Krieges teils wochenlang ab. Scharfzüngig schrieb Admiral Müller 1916 deswegen in sein Tagebuch: »Der Kaiser ist wegen Erkältung zu Bett geblieben. Da wird also wohl bald die Kaiserin kommen.« Einige Monate später musste sich Wilhelm einer kleineren Operation unterziehen und die Kaiserin wachte »wie ein Cerberus darüber, daß niemand zu ihm kommt«12. Dadurch erschwerte Auguste Viktoria die Kommunikation zwischen oberstem Kriegsherren, seinen Generälen und seinen Beratern.

Die Nähe zum Kaiser machte die Kaiserin zu einem wichtigen Bestandteil der politischen Entscheidungsfindung. So drängte sie ihren Mann und Reichskanzler Bethmann Hollweg 1912 nach zähen Verhandlungen zur Annahme einer Flottennovelle zur Vergrößerung der deutschen Seemacht. Ein Akt der von Admiral Tirpitz mit größter Freude gesehen wurde und der »ihr im Namen aller Patrioten dankbar die Hand« küsste.13 Während des Krieges äußerte sich die Kaiserin verstärkt als Vertreterin einer harten Kriegsführung und befürwortete den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der die fatalste Entscheidung in der Militärpolitik des Deutschen Reiches darstellen sollte. Gegen Ende des Krieges hatte sich die Macht der Kaiserin als politische Akteurin so sehr gefestigt, dass insbesondere Personalentscheidungen ohne sie kaum noch durchzusetzen waren. Auguste Viktoria war, entgegen bisheriger Urteile, eine resolute und politisch treibende Figur.

Dies sind Facetten der deutschen Kaiserin, die weder Zeitgenossen noch Historiker bisher beachtet haben, obwohl die Zeit des Deutschen Kaiserreichs zu den meist diskutierten Epochen deutscher Geschichte zählt und sich weiterhin enormer Popularität erfreut. In Übersichtswerken über die Geschichte des Kaiserreiches fehlt ihre Darstellung komplett. Ausstellungen wie Frauensache. Wie Brandenburg Preußen wurde (2015) und Kaiserdämmerung (2018) oder aber Dokumentationen wie Majestät brauchen Sonne (1999) behandelten die Kaiserin nur am Rande – in ihrer Rolle als Frau. In fiktiven Werken, etwa im ZDF-Mehrteiler Das Adlon14 (2013) und in der ersten Staffel der Serie Charité(2017), tritt sie lediglich als Statistin auf. Eine herausstechende Ausnahme bildet der an originalen Schauplätzen gedrehte dokumentarische Spielfilm Kaisersturz (2018) des ZDF, in dem die Kaiserin präzise von Sunnyi Melles dargestellt und als Stütze hinter dem geschwächten Kaiser charakterisiert wurde.

Auch in der deutschen Erinnerungskultur ist die Kaiserin kaum präsent. Ihre bekannteste und wertvollste Darstellung ist ein Mosaik in der Gedenkhalle der Berliner Gedächtniskirche. Vereinzelt freuen sich Sammler über Postkarten mit ihrem Porträt, die sie auf einem der zahlreichen Berliner Flohmärkten ausgraben. Von den zahlreichen Namensgebungen, die auf sie zurückzuführen, sind heute nur noch wenige existent. Der sehr luxuriöse Schnelldampfer Kaiserin Auguste Victoria, welcher 1905 vom Stapel lief und von der Kaiserin persönlich in Stettin getauft wurde, erfreute sich bei Nordatlantikreisen wegen des Komforts großer Beliebtheit. Nach dem Krieg wurde er als Reparationszahlung an Großbritannien abgegeben und fuhr ab 1921 unter kanadischer Flagge mit anderem Namen – bis er 1931 abgewrackt wurde. Der Kaiserin-Auguste-Victoria-Marsch, op. 145 von Eduard Funck wird heute vereinzelt in Schleswig-Holstein gespielt, erreichte aber nie »Kultstatus«. Nach ihrem Tod wurde die Pfingstkirche in Potsdam zur Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gedächtniskirche umgetauft, sie verlor ihren Namen jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Einzig das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg, die Kaiserin-Auguste-Viktoria-Stiftung für Senioren mit Sitz in Hamburg sowie die 2015 geschlossene Zeche Auguste Viktoria in Marl und Haltern am See, eine der letzten Steinkohlebergwerke in Deutschland, erinnern zumindest mit ihrem Namen an die ehemalige Kaiserin. Eine Statue von Auguste Viktoria in Marl schaut bis heute auf das ehemalige Bergbaugelände. Ihrer Leidenschaft für Rosen wegen wurde zu ihrem 25. Regierungsjubiläum 1913 im Rosarium Sangerhausen eine Büste von ihr aufgestellt. Als 1950 die Landesregierung Halle diese Statue entfernen lassen wollte, vergruben Gärtner des Rosariums die Büste heimlich. Sie wurde 1983 zufällig bei Grabungsarbeiten wiedergefunden und steht seit 2001 auf ihrem ursprünglichen Platz.

Von wesentlicher Bedeutung für eine kritische Studie der Kaiserin war der Aufsatz von Andreas Dorpalen in einem amerikanischen Geschichtsmagazin von 1952.15 Heute, 70 Jahre später, trägt die fehlende mediale Präsenz Auguste Viktorias maßgeblich dazu bei, dass sie als Forschungsobjekt unattraktiv ist. Dabei ist das Deutsche Kaiserreich eine der umfangreichsten Forschungsgebiete der deutschen Geschichte, eine frühere Dämonisierung und Apologetik ist zu einer unglaublich objektiv-kritischen Debatte geworden. Dies gilt allerdings nicht für die Monarchie, Aristokratie und Eliten – Begriffe, die bis heute von Historikern belächelt werden. Im Vergleich zu England, Frankreich und den Niederlanden hat der deutsche Tenor der »Geschichte von unten« und die kontinuierliche Aufarbeitung (man mag sagen: Überstrapazierung) des »Dritten Reiches« und der DDR erhebliche Lücken in der Betrachtung deutscher Adelsbiografien hinterlassen.

Dieses Buch wird daher Kaiserin Auguste Viktoria, ihr Wirken und ihren Einfluss in vier grob chronologischen Kapiteln untersuchen. Ziel ist nicht die Dämonisierung der Landesmutter, sondern die Wahrnehmung ihrer Person als politische Akteurin einer Epoche, die in einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte endete. Nicht die volkstümliche Rezeption der Kaiserin soll zerstört werden, sondern aus der häufig einseitigen Betrachtung ihrer Person soll sich eine differenziertere und kritische Betrachtung entwickeln und Auguste Viktoria in den Kontext des paradoxen Deutschen Kaiserreiches eingeordnet werden. Einem Staat, der geprägt war von Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit, von Konventionalität und Neuzeit, von nationalem Stolz und regionaler Eigentümlichkeit und schließlich von Ehrgeiz und Furcht. Als Staat lag das Deutsche Kaiserreich im Zentrum eines fragilen Europas, welches sich beinahe selbst zerstörte. Ein Europa, das durch eine bedeutende und kontroverse Gruppe von Herrschern, Diplomaten und Politikern geformt wurde. Als letzte deutsche Kaiserin war Auguste Viktoria Teil dieser Gesellschaft illustrer Herrschaften, die am Ende die Glorie oder die Schuld auf ihren Schultern trugen.

II

DIE JUGEND (1858–1888)

Als die letzte deutsche Kaiserin geboren wurde, existierte das Deutsche Kaiserreich noch nicht. Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich in der Mitte Europas unter der Bezeichnung »Deutscher Bund« ein Flickenteppich größerer und kleiner Einzelstaaten ohne zentrale Staatsgewalt. Ausschlaggebende Bedingung für die Mitgliedschaft in diesem Bund war die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache. So kam es dazu, dass Luxemburg, damals noch ein Teil der Niederlande, und die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, damals ein Teil von Dänemark, im Deutschen Bund aufgenommen wurden, während weitgehende Gebiete von Österreich und Ostpreußen nicht dazu zählten.

Der Deutsche Bund war weder ein einheitlicher Staat, noch eine Nation mit geschlossener ethnischer und historischer Zugehörigkeit. Insbesondere in den Grenzgebieten konkurrierten die Angehörigkeitsvorstellungen der Bevölkerung und nationale Differenzen luden sich zunehmend auf. So auch in den Herzogtümern Holstein, Lauenburg und Schleswig, die alle dem dänischen Staat angehörten und bis auf Schleswig gleichzeitig Teil des Deutschen Bundes waren. Im Zuge der revolutionären Erschütterungen erhoben sich im März 1848 deutschnationale Bewegungen in allen drei Herzogtümern gegen Dänemark, woran maßgeblich Herzog Christian August von Augustenburg beteiligt war. Der Erste Schleswig-Holsteinische-Krieg endete siegreich für Dänemark und wurde im Londoner Protokoll von 1852 völkerrechtlich ratifiziert. Die Einheit des dänischen Staates wurde somit gesichert, während Holstein und Lauenburg weiterhin Teil des Deutschen Bundes blieben. Ebenfalls wurde die Erbfolge in Dänemark festgesetzt, denn der dänische König aus dem Haus Oldenburg war kinderlos. Während Dänemark die weibliche Thronfolge anerkannte, galt dies nicht für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, die beide Teil des deutschen Bundes mit männlicher Erbfolge waren. Wäre die Nichte des Königs, Louise von Hessen, Königin geworden, wäre die Personalunion mit den Herzogtümern beendet gewesen. Ein dynastischer Wechsel aufgrund der Kinderlosigkeit des dänischen Königs war für die Einheit des dänischen Staates unabwendbar. Auch Christian August von Augustenburg, der aus einer Nebenlinie der Oldenburger stammte, hatte Anrecht auf den dänischen Thron. Er war jedoch aufgrund seiner pro-deutschen Beteiligung während des Konflikts ins Exil verbannt worden und zog sich nach Primkenau in Niederschlesien zurück. Christian von Glücksburg, der einer weiteren Nebenlinie der Oldenburger angehörte, wurde zum Thronfolger ausgerufen, was das Erbfolgeproblem elegant löste. Denn Prinz Christian war der Ehemann von Louise von Hessen, die nun zwar nicht Königinregentin wurde, sondern nur Königingemahlin, aber die dynastische Linie zumindest aufrechterhielt, während man die Herzogtümer im Königreich behalten konnte.16

Der exilierte Herzog Christian August und seine Frau Luise Sophie von Danneskjoeld-Samsøe hatten sieben Kinder. Dazu gehörte der 1829 geborene Friedrich Christian August, der, wie sein Vater, an der deutschen Erhebung gegen Dänemark teilnahm. Der stattliche Mann mit dem mächtigen Backen- und Schnurrbart heiratete am 11. September 1856 die 1835 geborene Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg, deren Mutter eine Halbschwester der britischen Königin Victoria war. Letztere war es auch, die sich vehement gegen eine Ehe ihrer Cousine mit dem 27 Jahre älteren Napoleon III. aussprach, nachdem dieser um die Hand von Adelheid anhielt. Zwar weinte sich die beinahe Kaiserin der Franzosen die Augen aus, aber die Ehe mit Friedrich von Augustenburg verlief dennoch harmonisch und besonnen.17

Die letzte deutsche Kaiserin wurde am 22. Oktober 1858 um 7.30 Uhr als Tochter von Friedrich und Adelheid auf einem Rittergut in Dolzig, einem kleinen Dorf mit knapp 450 Einwohnern geboren. Ihr im Jahr 1857 geborener Bruder verstarb sieben Tage nach ihrer Geburt. Das kleine Mädchen wurde am 30. November 1858 auf den Namen Augusta Victoria Friederike Luise Feodora Jenny zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg getauft. Zu seinen Taufpaten gehörten der Prinzregent von Preußen und seine Frau, Wilhelm und Augusta, deren Sohn und dessen Gattin, Friedrich Wilhelm und Victoria, eine Tochter von Königin Victoria. Diese war zum Zeitpunkt der Taufe schwanger mit ihrem ersten Sohn, dem späteren Wilhelm II., der am 27. Januar 1859 im Kronprinzenpalais in Berlin zur Welt kam. Die Holsteiner bekamen noch fünf weitere Kinder: 1860 Karoline Mathilde, 1862 Friedrich Viktor, der im selben Jahr verstarb, 1863 Ernst Günther, 1866 Luise und 1874 Feodora.

Der Vater, Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, hier um 1870, heiratete 1856 Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg. (Künstler: Carl Fischer)

Die ersten fünf Jahre ihrer Kindheit verbrachte Dona, wie Auguste Viktoria im Familienkreis genannt wurde, in der ländlichen Idylle der Niederlausitz. Der Tod des kinderlosen dänischen Königs im November 1863 änderte dies, als Prinz Christian von Glücksburg ihm auf den Thron folgte und somit auch die Regentschaft über die Herzogtümer Schleswig und Holstein übernahm. Am 16. November rief sich Donas Vater, nachdem sein Vater ihm die herzoglichen Anrechte übertragen hatte, zu Friedrich VIII. Herzog von Schleswig und Holstein aus und richtete sich mit dem Pamphlet Mein Recht ist Eure Rettung an die Bevölkerung. Die Spannungen zwischen Dänemark und dem Deutschen Bund führten durch Annahme der dänischen Novemberverfassung unter dem neuen König Christian IX. zum Casus Bello. Sein Ziel, beide Herzogtümer näher an den dänischen Staat zu binden, brach die Londoner Protokolle ebenso wie die Selbstausrufung Friedrichs VIII.

Obwohl die Situation zwischen den Staaten auf das Äußerte gereizt war, kam es zu keinerlei Kampfhandlungen. Auch nicht als Truppen im Namen des Deutschen Bundes in Holstein und Lauenburg im Rahmen der Bundesexekution einmarschierten und Friedrich VIII. am 30. Dezember unter Jubel der Bevölkerung und unterstützt vom Militär in Kiel einzog. Dazu kam es erst, als der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck ein Ultimatum an Dänemark richtete, indem er zur Aufgabe der Novemberverfassung innerhalb von 48 Stunden aufforderte – wohl wissend, dass der dänische König dazu nicht fähig war, ohne innenpolitische Spannungen auszulösen. Als Reaktion darauf erklärten Preußen und Österreich den Dänen den Krieg und überschritten am 1. Februar 1864 die Grenze zu Schleswig.

Der Deutsch-Dänische-Krieg endete nach einem halben Jahr mit einer Niederlage Dänemarks und dessen Einflussverlust über Lauenburg, Holstein und Schleswig. Die Hoffnung Friedrichs VIII., die Herzogtümer zu regieren, wurde zerschlagen, als Preußen und Österreich sich die Kontrolle über die Gebiete teilten. Die Entschädigung, die Preußen dem Augustenburger anbot, lehnte dieser aus Stolz ab. In den folgenden Jahren verkaufte er das Grundstück in Dolzig und zog für fünf Jahre mit seiner Familie in das Holsteinische Palais in Gotha. Der Tod von Donas Großvater Christian-August von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg im März 1869 führte die Familie schließlich nach Primkenau in Schlesien.

Während der Zeit in Gotha veränderte sich der Deutsche Bund rapide. Der Konflikt zwischen Österreich und Preußen über die Kontrolle der annektierten Herzogtümer Schleswig und Holstein verschärfte sich zunehmend. Nachdem preußische Truppen in das von Österreich verwaltete Holstein einmarschierten, entzündete sich aus dem Konflikt der Deutsche Krieg, der nach nur sieben Wochen in der Schlacht von Königgrätz zugunsten der Preußen entschieden wurde. Die beim Prager Frieden vom 23. August 1866 beschlossenen Veränderungen waren massiv. Der Auflösung des Deutschen Bundes folgte die Gründung des von Preußen dominierten Norddeutschen Bundes mit 22 Mitgliedstaaten, aus dem im Folgenden das Deutsche Reich hervorging.

Dabei war der Norddeutsche Bund nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Formierung eines deutschen Gesamtstaates im Sinne einer kleindeutschen Lösung. Preußens Machterweiterung und der Ausschluss Österreichs wurden durch den Deutsch-Dänischen-Krieg und den Deutschen Krieg essenziell vorangetrieben. Die Lunte zur nationalen Geschlossenheit und dem Anschluss der süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt an den Norddeutschen Bund legte 1870 eine diplomatische Krise um den spanischen Thron. Dieser wurde dem Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen angetragen, was in Frankreich zur Befürchtung führte, man wäre bald von Hohenzollern in Preußen und Spanien eingekreist. Zwar zog Prinz Leopold seine Kandidatur zurück, doch wollte der preußische König Wilhelm I. bei einem Gespräch mit dem französischen Diplomaten de Benedetti in Bad Ems von einem endgültigen Verzicht eines Hohenzollern auf den spanischen Thron nichts wissen. Das Gespräch wurde von einem Mitarbeiter des norddeutschen Kanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck an eben diesen telegrafiert. Der Kanzler kürzte die Nachricht seines Mitarbeiters so, dass die Veröffentlichung dieser Emser Depesche in Deutschland als auch in Frankreich für Empörung sorgte. Für die Franzosen war die – laut gekürzter Depesche und einem Übersetzungsfehler der französischen Presse – brüske Ablehnung ihres Diplomaten durch den preußischen König ein Affront und bedrängte den Nationalstolz. Frankreich erklärte dem Norddeutschen Bund am 19. Juli 1870 den Krieg, was exakt der Funke war, der die Zündschnur zur Deutschen Reichsgründung entfachte. Nachdem sich die vier süddeutschen Staaten auf der Seite ihrer norddeutschen Nachbarn in den Krieg einschalteten und die deutschen Truppen ab September 1870 Paris belagerten, waren Baden, Bayern, Württemberg und Hessen-Darmstadt bereit, sich dem Norddeutschen Bund anzuschließen. Am 10. Dezember stimmte der norddeutsche Reichstag zu, dem preußischen König die Kaiserkrone anzutragen und die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches ab dem 1. Januar 1871 in Kraft treten zu lassen. Noch während der Belagerung von Paris wurde am 18. Januar im Spiegelsaal von Versailles der preußische König Wilhelm I. in einer Proklamation zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Zehn Tage später endeten die Kriegshandlungen, während der Friedensschluss formal am 10. Mai 1871 im Vertrag von Frankfurt unterzeichnet wurde.18

Die Anwesenheit Friedrichs VIII. von Schleswig-Holstein bei der Proklamation des deutschen Kaisers in Versailles und bei der Siegesparade in Berlin war nur ein kurzer Glanzmoment im Leben des Herzogs, der sich anschließend nach Primkenau zurückzog. Das neugotische Schloss seines verstorbenen Vaters bot seiner Familie genügend Annehmlichkeiten. Der weitläufige Park mit seinen Teichen und der Roseninsel boten, abgesehen von den im Park herumlaufenden Pfauen, die gerne die Besucher anbrüllten, eine idyllische Umgebung für die Familie. Die Hofhaltung in Primkenau war gänzlich glanzlos, ohne Zeremoniell und spiegelte sich in der bieder-gemütlichen Einrichtung wieder. Zwar gab es Personal, allen voran den Chef der Hausverwaltung und die respektierte alte Hofdame Fräulein von Krogh, dennoch war Friedrich VIII. der Mittelpunkt seiner Familie. Er überwachte die Ausbildung seiner Kinder und führte ab 1870 einen mit den eingestellten Lehrern und Erziehern vorher abgesprochenen Unterricht ein. Für Dona bedeutete dies die Erziehung zur künftigen Ehefrau mit zeitgemäßer und provinzieller Wertevermittlung von Repräsentation, Häuslichkeit und Konversation. Daneben lernte sie Englisch, Französisch, Literatur und Geschichte, später noch Schwedisch und Dänisch. Auf die Rolle der Frau eines hohen Würdenträgers wurde sie allerdings nicht vorbereitet. Daher ist der Ausspruch Wilhelms II. über seine Frau rückblickend nicht verwunderlich: »Man merkt ihr immer wieder an, […] daß sie nicht in Windsor aufgewachsen ist, sondern in Primkenau.«19 Eine galante und weltoffene Frau im Sinne des Hochadels wurde Auguste Viktoria nie. Stattdessen war Patriotismus für ihren Vater unabdingbar, was sich in Donas Nationalstolz zeigte. Als seine beiden ältesten Töchter zu seiner Schwester Karoline Amalie nach Südfrankreich fuhren, instruierte Friedrich VIII. seine Schwester, sie sollte auf keinen Fall mit seinen Töchtern über Politik reden »und immer im Auge behalten, daß sie Deutsche seien«20.

Der durchgetaktete Tagesablauf in Primkenau begann um 8 Uhr mit einem Morgenkaffee und einem Spaziergang, gefolgt vom Unterrichtsbeginn um 9.30 Uhr. Friedrich und Adelheid nahmen vereinzelt am Unterricht teil, wobei die Herzogin besonders dem Religionsunterricht beiwohnte, was Auguste Viktoria später bei ihren eigenen Kindern ebenfalls tat. Nach einer Frühstückspause um 13 Uhr ging der Unterricht weiter, bis der Tag mit einem Spaziergang und dem anschließenden Abendessen um 18 Uhr beendet wurde. Sofern das Wetter es zuließ, spielten die Kinder im Garten, wobei Auguste Viktoria einmal dem Präsidenten der Generalkommission von Schlesien einen Ball auf seinen Kaffeeteller schoss, als sie damit in der Nähe spielte. Jahrzehnte später traf sie dann als Kaiserin auf den Enkel besagten Gastes und erzählte ihm die Geschichte.21

Ausfahrten mit dem Kahn oder der Kutsche brachten ebenso Abwechslung in den Alltag wie Reisen zu Verwandten oder Aufenthalte in Gotha. Im Frühjahr 1868 traf die herzogliche Familie in Rheinsberg auf das preußische Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm und Victoria und deren Kinder. Augustenburger und Hohenzollern trafen sich in den 1870er-Jahren vermehrt, aber weder der junge Prinz Wilhelm, noch Auguste Viktoria schienen sich anfangs füreinander zu interessieren. Stattdessen warf die Prinzessin ein Auge auf Ernst von Sachsen-Meiningen. Wilhelm seinerseits verguckte sich in Ella, die Tochter seiner englischen Tante Alice. Auf Drängen des Kronprinzenpaares wurde der Kontakt zwischen ihrem Sohn und der ältesten Augustenburger Tochter forciert, sodass der 20-jährige Wilhelm nach einem Jagdausflug im April 1879 in Primkenau in überschwänglicher Manier an Friedrich VIII. schrieb:

Deine von mir so innig verehrte Tochter Dona, in ihrem ganzen Wesen und ihrer ganzen Erscheinung mich so entzückt und hingerissen hat, daß mein Entschluß, alles daranzusetzen um sie mir zu erkämpfen sofort klar und fest war. Ich kann Dir gar nicht beschreiben wie lieb sie mir in den letzten Tagen geworden ist, und schwer ward es mir als ich von ihr Abschied nehmen mußte, ihr nur die Hand drücken zu dürfen.22

Auguste Viktoria war nach den zahlreichen Begegnungen so vernarrt in »ihren« Wilhelm, dass sie sein Foto unter ihr Kissen legte. An eine Verlobung war zunächst nicht zu denken, denn die unscheinbare und schüchterne Dona wurde weder von Otto von Bismarck, der Friedrich VIII. und seine Tochter nicht mochte, noch von Wilhelm I., ohne dessen Zustimmung eine Hochzeit nicht stattfinden konnte, als ideale Partie angesehen. Für den Kaiser war die Tochter des holsteinischen Herzogpaares nicht bedeutend genug, um die Frau des künftigen Deutschen Kaisers zu werden. Gleichzeitig hielt er die Einfädlung dieser Beziehung für eine Intrige seiner ungeliebten Schwiegertochter, der Kronprinzessin Victoria. Neben der »Stellung und des Ranges der Augustenburgischen Familie im Allgemeinen« hielt man die umstrittene Stellung des Herzogs nach seiner Ausrufung und seinem Exil für einen Grund, dass »der Eindruck der beabsichtigten Vermählung im Lande ein befriedigender nicht überall sein wird«.23

Diesen Eindruck versuchten der Kronprinz und der Herzog zu verbessern, indem Auguste Viktoria und ihre Schwester Karoline Mathilde im Juli 1879 nach Bad Ems geschickt wurden, wo Wilhelm I. und Augusta zur Kur weilten. Während Auguste Viktoria bei der Kaiserin »einen außerordentlich guten angenehmen Eindruck« gemacht hatte, war der Kaiser immer noch wenig angetan: »Wir haben gewisse junge Damen gesehen und sie sehr nett gefunden, doch fände ich die 2. [Karoline Mathilde] fast hübscher. Von inneren Eigenschaften kann man bei solchen Entrevuen natürlich nichts errathen.«24 Um eine mögliche Hochzeit voranzubringen, übte sich der Kronprinz in zunehmender Lobpreisung der Prinzessin, deren »lieblicher Ausdruck […] nach meinem Geschmack die Schwester verdrängt« und deren »Gang u. Haltung […] vornehm u. graziös« sind, sodass ihr sympathisches Auftreten »bald Propaganda machen wird«25. Gleichzeitig plante Friedrich VIII. den Verzicht auf seine umstrittenen Ansprüche auf Schleswig und Holstein und schrieb an den Kronprinzen:

Würde Schleswig-Holstein wie vor 16 Jahren unter fremder Herrschaft stehen und nicht im Laufe der Ereignisse an Preußen und dadurch an Deutschland gekommen sein, so würde nichts mich abhalten, mit allen erlaubten Mitteln die Losreißung vom Auslande und die Vereinigung desselben mit Deutschland zu erstreben. […] Das Land gehört aber jetzt völkerrechtlich anerkannt und in fester Verbindung zum deutschen Reiche, und die Macht seiner Majestät des Kaisers und Königs sichert diese Zusammengehörigkeit. Was ich darüber hinaus erstrebte, habe ich immer dem nationalen Gedanken untergeordnet. Umso weniger würde ich in Zukunft, wo uns, wie wir hoffen, noch ein innigeres Familienband als bisher verknüpfen wird, es vor meinem Gewissen rechtfertigen können, das damals nicht Erreichte unter Gefährdung des Wohles und der Ruhe Preußens und des Deutschen Reiches und in Gegnerschaft zu demselben zu erstreben.26

Niemand konnte ahnen, dass sich diese Kontroverse am 14. Januar 1880 erübrigen sollte, als Friedrich VIII. in Wiesbaden plötzlich verstarb und am 22. Januar 1880 in Primkenau beerdigt wurde. Sein 16-jähriger Sohn Ernst Günther, nun das Oberhaupt der Familie, verzichtete sofort auf seine Erbansprüche und erhielt als Gegenleistung die Schlösser Augustenburg und Gravenstein. Der Kronprinz behielt seine Heiratsabsichten trotz der Umstände weiterhin im Auge und schrieb in seinem Beileidsbrief an die Herzoginwitwe, »daß wir im Sinne des Verklärten handeln«, wenn die »Frage, welche die Entscheidung über das Wohl und die Zukunft unserer Kinder bedeutet, selbst angesichts Deiner tiefen Trauer« weiterverfolgt werde.27

Die Hartnäckigkeit, mit der das Kronprinzenpaar an der Vereinigung ihres Sohnes mit Dona festhielt, erklärt sich anhand familiärer Zwistigkeiten am kaiserlichen Hof. Die für Preußen übliche Spannung zwischen Vater und Sohn existierte auch zwischen Kronprinz Friedrich Wilhelm und Prinz Wilhelm, der sich der elterlichen Hörigkeit komplett entzog. Seine militärisch-konservative Ader entsprach wesentlich mehr dem Gemüt des alten Kaisers als dem seines Vaters und schon gar nicht seiner liberalen Mutter, welche die Nähe ihres Sprösslings zu seinem Großvater und seiner Großmutter mit Argwohn betrachtete. Ihre Hoffnung, den Prinzen im liberalen Sinne zu erziehen, war gescheitert und die Hochzeit mit der folgsamen Auguste Viktoria sollte ihr die Möglichkeit geben, Einfluss über ihren Sohn zu erlangen.28

Nachdem Friedrich VIII. gestorben war, beriet sich Wilhelm I. mit dem preußischen Staatsminister über eine mögliche Hochzeit seines Enkels Prinz Wilhelm, der er schließlich am 28. Januar 1880 zustimmte. Da die Etikette eine solch rasche Verlobung nach dem Tod des Brautvaters nicht erlaubt hätte, hielt Wilhelm im Geheimen am 14. Februar im Holsteinischen Palais in Gotha um die Hand Auguste Viktorias an.29

Trotz der Geheimhaltung berichtete im März die Neue Preußische Zeitung von einer Verlobung des Prinzen, allerdings mit Auguste Viktorias Schwester Karoline Mathilde, was der Kronprinz als »Frechheit« bezeichnete und als »doppelt peinlich für unsere beiden Häuser« empfand. Die »Taktlosigkeit«30 der Presse verbreitete sich im Laufe der Tage durch mehrere Gazetten, wobei das Verhalten von Wilhelm wenig hilfreich war. So verließ er am 22. März nicht nur die Stadt Berlin in Richtung England, um mit seiner Verlobten Ostern zu feiern, sondern fädelte während ihrer gemeinsamen Rückreise auch einen Besuch der noch geheimen Verlobten in Berlin ein. Dieser gelang, weil Auguste Viktoria und Karoline Mathilde bei Wilhelms Schwester übernachteten. Klatschmaterial lieferte der Prinz schließlich vollends selbst, als er mit Dona allein eine Spazierfahrt durch Berlin machte, was vom Kaiserhaus gerügt wurde.

Prinzessin Auguste Viktoria vor ihrer Verlobung. Zu der Zeit hieß sie noch Augusta Victoria, sie änderte ihren Namen offiziell ein Jahr nach ihrem Regierungsantritt.

Das offene Geheimnis führte zunehmend zu Kritik an Auguste Viktoria. Große Teile der Hofgesellschaft hielten sie für eine schlechte Partie und störten sich an der Tatsache, dass ihre Tante mit einem bürgerlichen Doktor verheiratet war. Noch dazu war Dona drei Monate älter als Wilhelm. Dessen Schwester Charlotte fand Auguste Viktoria und ihr schlichtes Wesen im Vergleich zu Karoline Mathilde wenig anziehend und behandelte sie mit zunehmender Kühle. Prinz Carl, der Bruder des Kaisers, fand sie nicht standesgemäß und hielt ihren Vater für einen Parvenü. Probleme machten auch der Titel und die Anrede Auguste Viktorias. Kaiser, Hofmitarbeiter und Beamte fragten, ob die Braut Prinzessin zu oder von Schleswig-Holstein sei oder vielleicht doch lieber von oder zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Ebenso diskutierte man, ob sie nun als Hoheit oder Durchlaucht angesprochen werden sollte, wobei man sich hier auf ersteres einigte.31

Nach Ablauf der Trauerzeit ließ Wilhelm I. am 2. Juni 1880 im Schloss Babelsberg offiziell den Minister des königlichen Hauses verlesen, dass im »Auftrage Sr. Majestät des Kaisers und Königs […] soeben die Verlobung Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Wilhelm mit Ihrer Hoheit der Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg in Gegenwart der Mitglieder der Königlich-preußischen Familie und des Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburgischen Hauses stattgefunden hat«. Beim anschließenden Abendessen saß Auguste Viktoria, in einem weißen Seidenkleid mit Maiglöckchen auf ihrer verschleierten Kopfbedeckung, plaudernd neben dem Kaiser, der einen zunehmend positiven Eindruck von ihr gewann. An seine Schwester Alexandrine schrieb er:

Nach dem Vorhergegangenen bin ich nicht bezahlt, für sie eingenommen zu sein. Daher freut es mich, sagen zu müssen, daß sie nach allen Richtungen meine Erwartungen übertrifft; sie ist embelliert seit vorigem Jahr und würde in der Gesellschaft als eine sehr hübsche Erscheinung auffallen; schlank, blond, sehr angenehmer Ausdruck, natürlich und doch würdige Haltung ohne Steifheit, freundlich gegen jedermann.32

Auguste Viktoria und Karoline Mathilde blieben noch einige Tage im Neuen Palais im Park Sanssouci, bevor sie nach Primkenau zurückkehrten, um von dort erneut nach Cumberland Lodge zu reisen. Die Briefe, die Auguste Viktoria dort ihrem Verlobten schrieb, waren ebenso abhängig wie exzessiv rührselig und teils naiv:

Mein Herzens Schatz!

So vielen Dank für das Telegramm welches ich diesen Nachmittag von Dir erhielt. Gott Lob daß es dir wirklich besser geht. Ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich freue lieber Herzens Schatz. Könnte ich doch bei Dir sein, gewiß sorgen Alle gut für Dich, aber ich könnte fast eifersüchtig auf sie werden, da ich diese Sorgen nur zu gerne übernehmen würde. Ich drücke einen innigen Kuß in Gedanken auf Deinen lieben Mund u. Deine lieben Augen, derselbe sei der Ausdruck meiner Gefühle. Bitte versprich mir etwas vorsichtiger zu sein u. das Reiten nicht zu früh wieder anzufangen. Wir haben in diesen Tagen fortwährend ängstige Nachrichten, gestern von Dir, und heute von Ernst Günther aus Dresden, derselbe liegt an einer Magenverstimmung zu Bett, mit Fieber, doch geht es ihm Gott Lob heute etwas besser. Mama war natürlich auch gleich ängstlich. – Das Resultat der gestrigen Hühnerjagd waren 50 Hühner, d. arme Issendorff [Hofchef der Schleswig-Holsteiner] ist gar nicht zu Schuß gekommen. – Seit 2 Tagen läuft hier ein Photograph herum, um die verschiedenen Ansichten des Hauses u. Parks aufzunehmen, Issendorffs meinen, ich sollte mich für Dich im Reitkleid photographiren lassen, doch glaube ich, würde Dir das doch kein großes Vergnügen bereiten. Mama läßt Dir sagen, wie sehr sie sich über Deine Besserung freue.

Mit 1000000 Küssen stets Deine Dich v. ganzem Herzen liebende Dona33

Die Hochzeit des zukünftigen Kaisers war angesetzt für Sonntag, den 27. Februar 1881. Am Freitag zuvor ging es nach einem Abschiedsgottesdienst, bei dem auf Wunsch der Braut das Lied Jesu geh’ voran auf der Lebensbahn gesungen wurde, mit dem Zug von Niederschlesien Richtung Berlin. In ihrer Begleitung waren ihr Onkel Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg und Hofchef Baron Issendorf. Weibliche Verwandte waren laut Hofetikette bei dieser Reise nicht erlaubt. In Sagan/Żagań schlossen sich zwei von Auguste Viktorias neuen Hofdamen der Entourage an: Gräfin Mathilde Keller und Gräfin Brockdorff. Nach einem Stopp in Frankfurt (Oder) fuhr der Zug verspätet weiter Richtung Berlin, was dazu führte, dass Kronprinz Friedrich Wilhelm und sein Sohn auf dem Bahnsteig warten mussten, um sofort nach Ankunft Donas ins Schloss Bellevue zu fahren.

Die traditionelle Einholung der Braut nach Berlin am 26. Februar hatte für die Berliner den Charakter eines Stadtfestes. Allein mehrere zehntausend Soldaten waren nur für Absperrungen entlang der Strecke aufgestellt, damit die Kutsche mit der Braut ohne Vorkommnisse von Bellevue durch den Tiergarten und das Brandenburger Tor auf den Pariser Platz fahren konnte. Nicht nur die Straßen, auch die mit Fahnen und Girlanden geschmückten Gebäude platzten vor Schaulustigen, die ihre Hälse aus den Fenstern streckten oder auf Dächern warteten. Der Klang von Militärmusik war für die Schaulustigen das Zeichen, dass die Zeremonie mit Prinz Wilhelm begann, der an der Spitze des ersten Garderegiments zu Fuß durch das Brandenburger Tor und anschließend Unter den Linden entlang zum Berliner Schloss ritt.

Währenddessen verließ Auguste Viktoria, die in ihrem hellblauen Brokatkleid und einer Perlenkette laut ihrer Schwiegermutter »reizend« aussah, Schloss Bellevue und bestieg die achtspännige, vergoldete Kutsche, mit Kronprinzessin Victoria zu ihrer Linken und Gräfin Brockdorff, die beiden gegenüber saß. Als die Kutsche das Brandenburger Tor passierte und Auguste Viktoria vom Berliner Bürgermeister von Forckenbeck begrüßt wurde, wurden weiße Tauben freigelassen. Daraufhin äußerte sie die Hoffnung, bald von den Berlinern zu einer der ihren gezählt zu werden. Am Berliner Schloss, wo Wilhelm inzwischen mit seiner Kompagnie Aufstellung genommen hatte, half der Kronprinz seiner Schwiegertochter aus der Kutsche und begleitete sie ins Schloss. Dort wurde der Ehevertrag unterzeichnet, der eine Auflistung von dem wenigen Schmuck und der Garderoben, die Auguste Viktoria in die Ehe brachte, und eine Verzichtserklärung auf die väterlichen Erbansprüche enthielt. Das militärische Paradefaszinosum der Einholung war damit beendet. Die eigentliche standesamtliche Eheschließung folgte am Abend darauf in der Neuen Galerie. Anschließend wurde der Braut im Chinesischen Kabinett von Kaiserin Augusta die Prinzessinnenkrone aufgesetzt, mit der sie an der Seite von Wilhelm, in Uniform des 1. Garde-Regiments und Kette des Schwarzen Adlerordens durch die Bildergalerie in die Schlosskapelle einzog. Hofprediger Rudolf Kögel hielt die Traurede und nachdem das Paar die Ringe gewechselt hatte, verkündeten 36 Salutschüsse der Bevölkerung die Eheschließung des Prinzen mit Auguste Viktoria.

Das junge Prinzenpaar, beide waren 22 Jahre alt, nahm nun die Glückwünsche der Familie entgegen. Danach folgte der »Gratulationsdefiliercour der übrigen Hochzeitsgäste«. Daran schlossen sich ein Bankett und die Zeremonientafel an. Der erste von drei Tagen der Feierlichkeiten endete mit einem traditionellen Fackeltanz, bei dem Wilhelm und Auguste Viktoria durch die Reihen der Gäste schritten, während ausgewählte Minister mit Wachsfackeln vorangingen. Am zweiten Tag folgten ein Galadiner und ein Besuch der Oper Armide im Opernhaus. Am Dienstag, dem letzten Tag der Feierlichkeiten, wurde zu Ehren des Brautpaares ein Quadrille-Ball veranstaltet.34

Die Ehefrau

Der Mann, den Auguste Viktoria geheiratet hatte, besaß zur Hochzeit noch nicht seinen bekannten Schnurrbart, der später mit viel Pflege vom Hoffriseur Herrn François Haby mit den Spitzen nach oben drapiert wurde, um den sogenannten »Kaiser-Wilhelm-Aufsteiger« zu kreieren. Zweimal hatte er sich einen Vollbart stehen lassen, rasierte ihn aber auf Wunsch seiner Frau wieder ab. Wilhelm hatte einen hellen Teint, gute Zähne, blondes Jahr, welches ab dem 50. Lebensjahr ergraute. Er wog bei 1,76 Meter circa 70 Kilogramm, seine Bewegungen waren ruckartig und temperamentvoll zugleich. Gerne fuchtelte er mit dem rechten Zeigefinger vor dem Gesicht desjenigen, den er in einer Diskussion überzeugen wollte. Seine Stimme war klar, nach einer Halsoperation 1903 jedoch flach und unlebendig. Bei seiner komplizierten Geburt am 27. Januar 1859 im Kronprinzenpalais wurden Nervenstränge am linken Arm verletzt, sodass sein linker Arm kürzer und zurückgebliebener war als der rechte, dessen kräftiger Händedruck schmerzharft stark war. Besonders wenn er die Ringe an seinen Fingern mit den Steinen nach innen drehte, was er gerne machte, um Leute zu ärgern. Sein sarkastischer, schwarzer Humor sowie seine impulsiven Äußerungen und sein mangelndes Taktgefühl führten häufig zu Spannungen. Dem König von Italien etwa gab er einen Klaps auf den Po – genau wie dem Sohn des letzten Sachsenkönigs, wobei sich Wilhelm auch über die Größe des prinzlichen Gesäßes amüsierte. Seiner Schwägerin, Auguste Viktorias Schwester Karoline Mathilde, schlug er, nachdem sie sich beim Essen verschluckte, so heftig auf den Rücken, dass sie »etwas rot und erregt geworden« äußerte: »Aber ich möchte so eine Kur doch nicht öfters durchmachen.«35 Wilhelms Interessen sprangen von einem Thema zum anderen. Er meinte, alles zu kennen und machen zu können, auch wenn er dabei wenig Geschick zeigte und nie lange bei einer Sache blieb, wobei sein gutes Gedächtnis bemerkenswert war.36

Prinz Wilhelm im Jagdanzug, 1879 (Fotgrafie: Hills & Saunders, London). Seinen linken, kürzeren Arm versteckte oder kaschierte er auf Fotografien.

Nach der Hochzeit richteten sich Prinz und Prinzessin zunächst in den kalten Wohnungen des Potsdamer Schlosses ein, wo Auguste Viktoria sich mit der Etikette am Hof beschäftigte und anfing, die verschiedenen Uniformen der Regimenter zu studieren, die sie zunächst nicht unterscheiden konnte. Währenddessen wurde das Marmorpalais, ein zweistöckiges, u-förmiges und sanft rotes Gebäude mit direktem Zugang zum Heiligen See, umgebaut und mit neuen Wasserleitungen ausgestattet. Die Sparsamkeit, die Kaiser Wilhelm I. für den Umbau forderte, führte zur Unterbringung des Hofstaats außerhalb des Palais, die Herren im Kavalierhaus, die Damen im Hofdamenhaus. Beide Gebäude waren jedoch so weit vom Palais entfernt, dass sich der Hof über die langen Wege beschwerte, insbesondere bei Regen und Kälte. Einzig das Garderobenpersonal wurde direkt im Palais untergebracht.37

Auguste Viktorias Tagesablauf richtete sich vollkommen nach ihrem Mann, dessen Dienst bei der Garnison in Potsdam oft um 7 Uhr begann. Sofern sie Wilhelm nicht nachreiste, den Exerzierübungen zuschaute und mit den Soldaten sprach, begann Auguste Viktoria karitative Einrichtungen zu besuchen. In der Freizeit schipperte das Ehepaar über den Heiligen See, nur begleitet von einem Adjutanten und einer Hofdame in einem zweiten Bötchen.

Die Pflicht, als Frau des Thronfolgers schnellstmöglich einen Sohn – im Idealfall mehrere Söhne –zur Welt zu bringen, erfüllte Auguste Viktoria bereits ein Jahr nach ihrer Hochzeit mit der Geburt von Friedrich Wilhelm Victor August. In der Nacht vom 6. Mai 1882 schritt Kronprinz Friedrich, der durch ein Telegramm seines Sohnes von der baldigen Niederkunft erfuhr, vor dem Marmorpalais auf und ab und blickte dabei ständig zu den beleuchteten Fenstern im ersten Stockwerk hinauf. Im Hintergrund des Geschehens standen die Hofdamen Claire von Gersdorff und die Gräfin von Keller und beobachteten den nervösen Kronprinzen. Gegen 22 Uhr öffnete Wilhelm das Fenster und rief zu seinem Vater: »Papa, er ist da! Ein Sohn«, und bevor die draußen wartenden Hofdamen es realisierten, war der Kronprinz auch schon im Haus verschwunden. Am nächsten Morgen erfuhr Berlin durch 101 Salutschüsse von der Geburt des Erben. Kaiser Wilhelm stellte sich im Marmorpalais ein, um seinen ersten Urenkel zu sehen, der wegen unentwegtem Geschreie »ein richtiger Posaunenengel« gewesen sei.38 Die stolze Mutter schrieb an ihre Schwester, der »Herr hat meinen größten Wunsch erfüllt, in dem er mir den herzigen Kleinen schenkte«, und sie freute sich darüber, dass ihr Mann »bei Babys Bad assistiert [hat] gewiß ¾ Stunden … nachher brachte er ihn mir herein«39.

Die Taufe des Prinzen, die vom Kronprinzen überwacht und mit dem Hofpersonal geprobt wurde, fand im Juni in der Jaspis Galerie des Neuen Palais in Potsdam statt. Am Ende des Saales, der durch seine großen Spiegel und Kronleuchter geprägt war, wurde ein Altar errichtet, vor dem im Halbkreis die Taufpaten standen. Die Eltern des Kindes saßen neben dem Altar, wobei Wilhelm I. auffiel, dass die »junge Mutter […] charmant« aussah und »sich gut die ganze Zeit über« hielt. Nachdem eine Schwester des Kaisers das Kind hereintrug, nahm Wilhelm I. persönlich die Taufe vor. Nach dem Galadiner im riesigen Marmorsaal verteilten sich die Gäste auf 72 Kutschen und fuhren zum Bahnhof Wildpark (der heutige Bahnhof Potsdam Sanssouci wäre auch zu Fuß bequem erreichbar gewesen), um eine Ballettvorstellung in Berlin zu besuchen.40