Aus der Fremde kam ein kleiner Junge - Susanne Svanberg - E-Book

Aus der Fremde kam ein kleiner Junge E-Book

Susanne Svanberg

5,0

Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Leise Musik durchzog den Raum. Rubinrot schimmerte der Wein in den geschliffenen Gläsern. Das flackernde Licht der Kerzen schuf eine sehr gemütliche Atmosphäre. Durch breite wandhohe Glastüren ging der Blick hinaus auf den verschneiten Dachgarten und über die Stadt mit ihren bunten Leuchtreklamen. Hier oben merkte man nichts vom Verkehr und von der Hektik in den Straßen. Es war eine Oase der Ruhe, ein Ort zum Träumen.»Für mich ist es jedes Mal ein Fest, wenn du mich besuchst.« Bewundernd sah Philipp Birkner auf die Frau, die ihm gegenübersaß, das Gesicht dem Kaminfeuer zugewandt, in ihrer Haltung entspannt und trotzdem anmutig.»Ich bin gern hier. Aber du weißt ja, ich habe einfach zu wenig Zeit«, meinte Ricarda Kronberg achselzuckend und mit jenem charmanten Lächeln, das Philipp immer wieder neu begeisterte.»Du weißt, dass es mein größter Wunsch ist, hier mit dir zu leben.« Philipps dunkle Stimme klang sehnsüchtig. »Du könntest die Räume, die du in deinem Haus am Hohengehren bewohnst, zu weiteren Büros machen. Die wirst du ohnehin gebrauchen, wenn sich das Modeatelier Kronberg weiterhin so günstig entwickelt.Erst vor wenigen Jahren hatte sich die jetzt achtunddreißigjährige Modeschöpferin selbstständig gemacht und gehörte bereits zur Weltelite. Ihren Namen kannten die Fachleute in New York ebenso wie in London, Paris oder Rom.Schlank und mädchenhaft war ihr Körper, stilvoll, aber schlicht die Kleidung. Die blonden Haare trug Ricarda glatt und schulterlang. Die Spitzen bogen sich beim Kämmen ganz von selbst nach innen. Ihr Gesicht, beherrscht von klugen grauen Augen, vereinte den Reiz der Jugend und die klassische Schönheit einer reifen, erfahrenen Frau.

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Mami Bestseller – 8 –

Aus der Fremde kam ein kleiner Junge

Das Schicksal eines Waisenkindes

Susanne Svanberg

Leise Musik durchzog den Raum. Rubinrot schimmerte der Wein in den geschliffenen Gläsern. Das flackernde Licht der Kerzen schuf eine sehr gemütliche Atmosphäre. Durch breite wandhohe Glastüren ging der Blick hinaus auf den verschneiten Dachgarten und über die Stadt mit ihren bunten Leuchtreklamen. Hier oben merkte man nichts vom Verkehr und von der Hektik in den Straßen. Es war eine Oase der Ruhe, ein Ort zum Träumen.

»Für mich ist es jedes Mal ein Fest, wenn du mich besuchst.« Bewundernd sah Philipp Birkner auf die Frau, die ihm gegenübersaß, das Gesicht dem Kaminfeuer zugewandt, in ihrer Haltung entspannt und trotzdem anmutig.

»Ich bin gern hier. Aber du weißt ja, ich habe einfach zu wenig Zeit«, meinte Ricarda Kronberg achselzuckend und mit jenem charmanten Lächeln, das Philipp immer wieder neu begeisterte.

»Du weißt, dass es mein größter Wunsch ist, hier mit dir zu leben.« Philipps dunkle Stimme klang sehnsüchtig. »Du könntest die Räume, die du in deinem Haus am Hohengehren bewohnst, zu weiteren Büros machen. Die wirst du ohnehin gebrauchen, wenn sich das Modeatelier Kronberg weiterhin so günstig entwickelt.«

Erst vor wenigen Jahren hatte sich die jetzt achtunddreißigjährige Modeschöpferin selbstständig gemacht und gehörte bereits zur Weltelite. Ihren Namen kannten die Fachleute in New York ebenso wie in London, Paris oder Rom.

Schlank und mädchenhaft war ihr Körper, stilvoll, aber schlicht die Kleidung. Die blonden Haare trug Ricarda glatt und schulterlang. Die Spitzen bogen sich beim Kämmen ganz von selbst nach innen. Ihr Gesicht, beherrscht von klugen grauen Augen, vereinte den Reiz der Jugend und die klassische Schönheit einer reifen, erfahrenen Frau. Dieses Gesicht hatte eine ungeheure Ausstrahlung. Wer es einmal sah, vergaß es nie wieder.

Es belastete Philipp oft, dass er nicht das war, was als »schöner« Mann hätte bezeichnet werden können. Er war groß, wirkte sportlich, ohne jedoch den athletischen muskulösen Körper eines Sportlers zu besitzen. Sein Gesicht war Durchschnitt, und sein Kopf mit den streichholzlangen braunen Haaren, die gewöhnlich widerborstig in die Höhe standen, wirkte kantig. Für männliche Eleganz hatte Philipp auch nicht viel übrig. Er war mehr ein gemütlicher, häuslicher Typ.

»In spätestens vier Wochen stellen wir die Sommerkollektion vor.« Es war typisch für Ricarda, dass sie immer nur an ihr Unternehmen dachte.

»Ich wollte mit dir über etwas ganz anderes reden«, murmelte Philipp in verliebter Stimmung.

Ricarda bemerkte sie wohl, ging aber nicht darauf ein. Sie mochte den um ein Jahr jüngeren Philipp, nahm seine Liebesbeteuerungen aber nie ernst. Längst hatte sie sich daran gewöhnt, dass Philipp immer zur Stelle war, wenn sie ihn brauchte, dass er sich aber diskret zurückzog, wenn sie allein sein wollte. Dass sie ihren beruflichen Aufstieg auch dem klugen Management des umsichtigen Philipp verdankte, wusste Ricarda, sprach aber nie darüber.

Seit zwei Jahren war er ihr Sekretär, Geschäftsführer und Vertrauter, aber auch Laufbursche, Lückenbüßer und Blitzableiter.

Er hatte für diesen Job eine vielversprechende Karriere bei einem großen Industrieunternehmen aufgegeben. Obwohl der Diplomvolkswirt jetzt viel weniger verdiente und viel mehr arbeiten musste, hatte er den Wechsel nie bereut. Ricardas Nähe entschädigte ihn für jeden Prestigeverlust.

»Hab ich dir schon erzählt, dass ich inzwischen eine Studentin ausgewählt habe, die die neuen Modelle vorführen wird?«

Philipp dachte flüchtig daran, dass sich fast zweihundert Mädchen um diesen Job beworben hatten. Einige von ihnen waren ins Büro gekommen, hatten ihm recht eindeutige Angebote gemacht, wenn er dafür sorgen würde, dass sie genommen würden. Der gutmütige Philipp hatte allerdings kein Interesse an hübschen jungen Mädchen. Ihn interessierte nur eine Frau, und das war Ricarda.

»Du bist zauberhaft, Rici«, schwärmte er und deutete einen Kuss an, indem er die Lippen bewegte.

Seine Chefin übersah es. »Sie heißt Julia Ruttnau und ist ein wunderschönes dunkelhaariges Mädchen. Ihre Haut ist goldbraun, und ihre Augen sind fast schwarz. Sie ist unheimlich wandlungsfähig, rassig, kindlich und verführerisch zugleich.«

»Die schönste Frau bist du, Rici«, flüsterte Philipp zärtlich.

Ricarda, an solche Komplimente gewöhnt, winkte lächelnd ab. »Einundzwanzig ist sie, diese Julia. Du wirst sehen, das gibt Bilder, wie wir sie noch nie hatten. Helle Töne stehen unserem neuen Model am besten. Ich denke an weißes Nappaleder vor bunten Hintergründen. Was hältst du von orientalischer Atmosphäre?«

»Ich würde am meisten davon halten, wenn wir mal über uns reden würden, über dich und mich. Das Geschäftliche hat doch bis morgen Zeit.« Philipp kam herüber, nahm auf dem breiten gepolsterten Seitenteil von Ricardas Sessel Platz, legte liebevoll den Arm um ihre Schultern. »Rici, ich liebe dich. Das sage ich dir zwar täglich, doch du nimmst es kaum zur Kenntnis.«

»Du weißt doch, wie viel ich zu tun habe. Die Konkurrenz ist wach und wer nicht ständig am Ball bleibt, verliert ihn. Ich habe viel zu viel investiert, um bereit zu sein, Rückschläge hinzunehmen.« Ricarda lehnte ihren Kopf leicht an Philipps Schulter. Sie mochte seine Fürsorge, schätzte seine zurückhaltende Zärtlichkeit. Sie gab ihr Sicherheit und Selbstvertrauen.

»Ich wünsche mir so sehr, dass wir etwas mehr Zeit füreinander haben.«

»Das ist auch mein Wunsch, aber im Moment leider unerfüllbar.«

»Wir sollten heiraten und zusammenziehen. Dann hätten wir wenigstens die Abende und die Nächte für uns. Schon so oft habe ich dich gefragt, Rici, ob du meine Frau werden möchtest. Ich wiederhole diese Frage: Bitte, sag ja. Zeig mir damit, dass du mich auch magst, ein bisschen wenigstens.«

Die Wendung des Gesprächs kam Ricarda nicht gelegen. Sie hätte viel lieber von ihren beruflichen Plänen gesprochen. Nun musste sie wohl oder übel auf Philipps Anregungen eingehen.

»Dass ich dich mag, das weißt du doch«, erklärte sie mit wohlwollendem Lächeln. Die Ironie konnte sie allerdings nicht ganz daraus verbannen. »Es gefällt mir auch, dass du so rührend altmodisch bist. Heirat und Zusammenziehen, das wäre vielleicht im Sinn meiner Mama, aber ich gehöre nun mal nicht zu den Frauen, die Geborgenheit suchen. Ich bin mehr für Selbstständigkeit, für Freiheit und Ungebundenheit. Nur so kann der Geist schöpferisch tätig sein. Es genügt doch, wenn wir uns täglich sehen, wenn wir ab und zu einen netten Abend verbringen.«

»Das habe ich anfänglich auch gedacht. Aber es genügt mir nicht mehr. Ich liebe dich zu sehr, Rici. Ich möchte eine echte Partnerschaft.«

»Die besteht doch auch so zwischen uns.« Ricarda küsste Philipp verspielt auf die Nasenspitze.

Er zog die geliebte Frau inniger an sich, streichelte ihren schmalen Rücken, schmiegte sein Gesicht an ihr duftiges weiches Haar, das er so mochte.

»Wir sind nicht mehr so jung, Rici. In meinem Alter hat ein Mann Familie, eine Frau und Kinder. Du wirst mich auslachen, aber es ist nun einmal der Sinn unseres Lebens. Kinder sind das, was am Ende von uns übrig bleibt, was den Fortbestand eines Volkes sichert. Berufliche Erfolge, auch wenn sie noch so schmeichelhaft sind, zählen nach kurzer Zeit schon nicht mehr.« Sanft und nachgiebig klang Philipps Stimme.

»Kinder«, antwortete Ricarda spöttisch, »dafür sorgen andere. Die Welt ist voll davon. Ein Kind kann jede Frau haben, aber Mode entwerfen, die eine bestimmte Epoche kennzeichnet, die Geschichte machen wird, das kann nicht jede. Ich halte deshalb diese Tätigkeit für sinnvoller als Windeln zu wechseln und Rotznasen abzuwischen. Entschuldige, Philipp, das hat nichts mit unserer Liebe zu tun. Ich möchte nur nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst. Ich bin kein Typ für Küche und Kinderzimmer.« Nicht überheblich, aber leidenschaftlich verteidigte Ricarda ihre Meinung.

»Vielleicht ist es gerade das, was ich so an dir liebe«, antwortete Birkner enttäuscht. Er wollte lieber verzichten, als Ricarda zu verlieren. Ein bisschen wehmütig war ihm allerdings ums Herz. Es war ihm ganz recht, dass Ricarda nun wieder von ihren beruflichen Plänen sprach.

»Weißt du, was ich mir überlegt habe? Die Farbigkeit des Orients würde die richtige Kulisse für unsere Aufnahmen abgeben. Stell dir nur die überquellenden Läden der Souks vor oder die Märchenwelt des Djemma er Fna-Platzes in Marrakesch. Bunte Teppiche, feilschende Händler, Menschen im Berber-Look, verschleierte Frauen, flatternde Hühner. Das werden Bilder, die faszinieren.«

»Sicher. Wir könnten auch einen Videospot drehen.« Wie immer ging Philipp willig auf Ricardas Gedanken ein.

»Ja, klar. Das ist die Idee. Julia Ruttnau ist die richtige Darstellerin. Du wirst begeistert sein, wenn du dieses Mädchen siehst.«

»Ich bin von dir begeistert«, erinnerte Philipp und küsste Ricarda zärtlich auf die Wange.

*

Die Studentenkneipe war wie immer voll. Laut und ungezwungen ging es hier zu. Die Getränke waren billiger als anderswo, und der Wirt hatte nichts dagegen, wenn der eine oder andere Gast den ganzen Abend vor einem Glas Cola saß.

Julia und Bernhard hatten einen Platz im hintersten Winkel erobert. Ein langer Tisch war es, an dem fröhlich gelacht und geschwatzt wurde.

Mit seinem Rücken schirmte Jurastudent Bernhard Stein die Freundin gegen die übrigen Gäste ab. Das geschah nicht nur, um sich besser unterhalten zu können. Bernhard war auch ein bisschen eifersüchtig auf die Kommilitonen, die Julia mit unverhohlenem Interesse bewunderten.

Sie war ein auffallend schönes Mädchen mit ihren dunklen Augen, der goldbraunen Haut und dem langen, fast schwarzen Haar, das sie gewöhnlich zu einem langen dicken Zopf flocht.

Julia war es ganz recht, dass sie den Platz an der Wand hatte. Sie wandte sich ihrem Freund zu, schaute ihm lächelnd in die Augen.

Der blonde, blauäugige junge Mann imponierte ihr schon bei der ersten Begegnung. Er sah nicht nur gut aus, war nicht nur ein ausgezeichneter Tennisspieler, sondern wusste auch genau, was er wollte. Obwohl er als einziges Kind einer sehr vermögenden Familie großzügig verwöhnt wurde, blieb er bescheiden und zielstrebig.

»Wir werden uns in den Semesterferien leider nur abends sehen können, denn ich arbeite wieder im Betrieb meines Vaters. Weißt du, diese praktischen Erfahrungen sind sehr wertvoll für mich. Sobald ich das Examen habe, will mein Vater aus der Firma aussteigen und mir die Leitung überlassen. Da muss ich mich doch auskennen. Du verstehst schon. Die Angestellten sollen Respekt vor mir haben. Nicht, dass ich den Chef markieren will, aber ich möchte auch nicht als dummer Junge gelten.« Ein entschlossener Zug war um Bernhards Lippen.

»Schon gut.« Julia blinzelte zustimmend. »Ich werde voraussichtlich einige Wochen nicht da sein.«

»Besuchst du deine Mutter?« Bernhard legte seine Hand über Julias schmale Finger.

»Würde ich gern. Aber ich muss Geld verdienen. Meine Mutter hat leider nur das, was sie als Sekretärin bekommt, und ich möchte ihr nicht zu sehr auf der Tasche liegen. Du weißt doch, mein Vater kam ums Leben, als ich noch nicht einmal zur Schule ging.«

»Hm. Und was wirst du tun?« Bernhard hielt es für vernünftig, dass seine Freundin arbeitete.

Julias Augen blitzten lebhaft. »Halt dich fest, ich hab einen Traumjob erwischt.«

»Du machst mich neugierig.« Zärtlich drückte Bernhard Julias Hand.

»Hast du schon mal was von Ricarda Kronberg gehört?«

Bernhard lachte. »Mode ist zwar nicht mein Fach, aber wer kennt diesen Namen nicht. Sündhaft teure Fähnchen, Schuhe zu unerschwinglichen Preisen, Strümpfe, Wäsche, Kosmetika, alles vom Feinsten, alles Marke Ricarda. Kronberg, allererste Sahne. Hat sie dich als Packerin eingestellt?«

»Nein, als Fotomodell«, antwortete Julia gekränkt.

»Ehrlich?« Verblüffung zeichnete sich auf Bernhards jugendlichem Gesicht ab.

»Findest du das so erstaunlich?«

»Ja, weil sich eine Ricarda Kronberg die teuersten Mannequins leisten kann. Geld spielt doch überhaupt keine Rolle.«

Ricarda zuckte die Achseln. »Sie sucht vermutlich ein neues Gesicht. Sag mal, Bernhard, freust du dich nicht? Es haben sich fast zweihundert Mädchen beworben, und nur ich wurde genommen.«

»Nee, du, mir gefällt das nicht.« Bernhard machte ein missmutiges Gesicht. »Ich will nicht, dass dich auf Modeschauen alle begaffen.«

»Es gibt keine Modenschau. Dafür Fotos und Videofilme in Marrakesch.«

»Wo bitte?« Bernhard vergaß den Mund zu schließen.

»Frau Kronberg glaubt, dass die orientalischen Märkte einen tollen Hintergrund abgeben.«

»Die tickt ja nicht richtig«, bemerkte der Student respektlos. »Du fährst natürlich nicht mit.«

»Warum denn nicht? Es wird alles bezahlt. Flug, Hotel, Verpflegung und eine Gage, die ich nirgendwo sonst bekommen würde.«

Julia hatte gedacht, dass ihr Freund etwas netter reagieren würde. Schließlich konnte er stolz auf sie sein.

»Mein Gott, Julia, bist du so naiv oder stellst du dich nur so. Weißt du denn nicht, was auf solchen Touren abgeht? Du wirst nicht nur für Fotos zur Verfügung stehen, sondern auch für die Bosse aus der Modebranche. So hat sich die noble Frau Kronberg das gedacht. Das ist eine sagenhaft gemeine, gnadenlose Aktion.« Bernhard musste schreien, um im Allgemeinen Lärm von Julia verstanden zu werden.

Sie schüttelte empört den Kopf. »Du siehst ja Gespenster!«

»Die Sache ist oberfaul, dafür hab ich ’ne Antenne. Wenn du bei uns in der Registratur arbeitest, sorge ich dafür, dass dir mein alter Herr das Gleiche bezahlt wie diese Fähnchentante.«

»Ich will aber keine alten Briefe sortieren, lochen und ablegen.« Julia zog die hübsche Nase kraus. »Nach Marokko zu fliegen macht wesentlich mehr Spaß.«

»Seit wann bist du so eitel?« Ärgerlich zog Bernhard seine Hand weg, schaute seine Freundin vorwurfsvoll an.

»Stell dir doch vor, was ich alles zu sehen bekomme. Moscheen, Mausoleen, mauerumgürtete Mellahs und Medinas. Die islamische Kultur wollte ich schon lange kennenlernen. Jetzt habe ich Gelegenheit dazu, und es kostet mich keinen Cent.«

»Es wird dich viel mehr kosten, das weißt du nur noch nicht«, orakelte Bernhard düster.

»Nun übertreib doch nicht so. Ich werde engagiert, um die neue Sommerkollektion Ricarda Kronbergs vorzustellen. Das ist alles. Wo soll da der Haken sein?«

»Julia, ich bin doch nicht von vorgestern.«

»Du gehst mir ganz schön auf die Nerven, Mann«, maulte das dunkelhaarige Mädchen. »Ich freu mich auf diese Reise, ob es dir passt oder nicht.«

»Weiß deine Mutter davon?«

»Noch nicht.« Julia trank ihre Cola aus.

»Sie ist bestimmt nicht damit einverstanden.« Grübelnd nagte Bernhard an der Unterlippe.

»Erwartest du, dass sie mir die Reise verbietet?«, erkundigte sich Julia herausfordernd. Sie lachte spöttisch. »Wenn ja, vergisst du, dass ich einundzwanzig bin, seit drei Jahren volljährig. Im Übrigen ist meine Mama eine ganz patente Frau.«

»Eben drum.«

»Mama ist nicht so missgünstig wie du.« Julia rückte ein bisschen mehr zur Wand.

»Damit hat das gar nichts zu tun. Ich mache mir Sorgen um dich, das ist es.« Bernhard hätte gern noch hinzugefügt, dass er Julia gernhatte, sehr gern sogar. Doch es gab zu viele Zuhörer.

»Du bist auf dem Ego-Trip, das ist es«, warf Julia ihrem Freund vor. »Am liebsten würdest du mich irgendwo einsperren, damit ja keiner kommt, der mir schöne Augen macht. Dabei ist mir das so was von egal.«

Bernhard schluckte. Was Julia da sagte, traf fast zu. Er war tatsächlich auf jeden eifersüchtig, der in die Nähe seiner Julia kam. Das hing aber damit zusammen, dass sie hübscher war als alle anderen Mädchen, die Bernhard kannte. Deshalb liebte er sie ja auch so sehr.