Das Opfer war Jonathan - Susanne Svanberg - E-Book

Das Opfer war Jonathan E-Book

Susanne Svanberg

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Ein Papierflieger sauste durch den hohen Raum. Er schwirrte an der stuckverzierten Decke entlang, stürzte urplötzlich ab und landete in Monika Scharfenbergs kunstvoll aufgesteckten blonden Haaren. Sie schrie erschrocken auf, obwohl das leichte Flugobjekt keinerlei Schaden angerichtet hatte. Von der Tür des Ankleidezimmers her war helles Kinderlachen zu hören. Dort stand Jonathan, der achtjährige Sohn der Familie, und beobachtete mit lausbubenhaft blitzenden Augen, wie seine Mama die Löckchen der unbeschädigten Frisur zurechtzupfte. »Was soll der Unsinn?« fragte sie streng. Monika war eine schöne Frau, blond und hellhäutig mit der Figur eines Starmannequins. Das war sie auch gewesen, bevor sie vor neun Jahren den Sohn des reichen Unternehmers Scharfenberg geheiratet hatte. Sie behauptete von sich, daß sie sich in diesen Jahren nicht verändert habe, wohl aber Hans-Jörg, ihr Mann. Sein Vater war überraschend gestorben, die Verantwortung für das große Werk war auf den einzigen Sohn übergegangen. Es war eine Zeit des Umbruchs und der schwerwiegenden Entscheidungen. Die bisherige Produktion mußte umgestellt, die Fabrikationsanlagen modernisiert werden. Hans-Jörg Scharfenberg war den richtigen Weg gegangen, leitete heute ein modernes krisensicheres Unternehmen. Das erforderte täglich neuen Einsatz und seine ganze Kraft. Für die Familie blieb nicht viel Zeit. Das war es, was Monika ihrem Mann täglich vorwarf, was sie unzufrieden machte. Sie war dreißig Jahre alt, wollte ihr Leben genießen. Darunter verstand sie den Besuch vieler Veranstaltungen und Parties. Da Hans-Jörg sie nur selten begleiten konnte, ging sie eben allein.

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Mami Classic – 48 –

Das Opfer war Jonathan

Susanne Svanberg

Ein Papierflieger sauste durch den hohen Raum. Er schwirrte an der stuckverzierten Decke entlang, stürzte urplötzlich ab und landete in Monika Scharfenbergs kunstvoll aufgesteckten blonden Haaren.

Sie schrie erschrocken auf, obwohl das leichte Flugobjekt keinerlei Schaden angerichtet hatte.

Von der Tür des Ankleidezimmers her war helles Kinderlachen zu hören. Dort stand Jonathan, der achtjährige Sohn der Familie, und beobachtete mit lausbubenhaft blitzenden Augen, wie seine Mama die Löckchen der unbeschädigten Frisur zurechtzupfte.

»Was soll der Unsinn?« fragte sie streng. Monika war eine schöne Frau, blond und hellhäutig mit der Figur eines Starmannequins. Das war sie auch gewesen, bevor sie vor neun Jahren den Sohn des reichen Unternehmers Scharfenberg geheiratet hatte.

Sie behauptete von sich, daß sie sich in diesen Jahren nicht verändert habe, wohl aber Hans-Jörg, ihr Mann. Sein Vater war überraschend gestorben, die Verantwortung für das große Werk war auf den einzigen Sohn übergegangen. Es war eine Zeit des Umbruchs und der schwerwiegenden Entscheidungen. Die bisherige Produktion mußte umgestellt, die Fabrikationsanlagen modernisiert werden. Hans-Jörg Scharfenberg war den richtigen Weg gegangen, leitete heute ein modernes krisensicheres Unternehmen. Das erforderte täglich neuen Einsatz und seine ganze Kraft. Für die Familie blieb nicht viel Zeit.

Das war es, was Monika ihrem Mann täglich vorwarf, was sie unzufrieden machte. Sie war dreißig Jahre alt, wollte ihr Leben genießen. Darunter verstand sie den Besuch vieler Veranstaltungen und Parties. Da Hans-Jörg sie nur selten begleiten konnte, ging sie eben allein.

»Schau mal, Mami, der fliegt super.« Jonathan kam angelaufen, hob das heruntergefallene Spielzeug auf und warf es erneut in die Luft. »Man braucht nur ein Stück Papier richtig falten und schon schwebt es wie ein richtiges Flugzeug. Elke hat mir das gezeigt.«

Elke war eine junge Lehrerin, die Jonathan seit drei Jahren unterrichtete und auch nach den Schulstunden betreute. Der Junge mochte sie sehr, schwärmte oft regelrecht von ihr, was in Monika stets eine leise Eifersucht weckte.

»Elke sollte dir lieber Mathematik und Orthographie beibringen, damit es keine Schwierigkeiten gibt, wenn du in zwei Jahren ins Internat kommst.« Monika betrachtete sich kritisch im großen Ankleidespiegel. Es gab nichts auszusetzen, ihr Aussehen war von Kopf bis Fuß perfekt. Kleidung, Schmuck und Make-up waren harmonisch aufeinander abgestimmt. Sie war eine begehrenswerte junge Frau, elegant, aber nicht unnahbar.

Bei der Erwähnung des Wortes »Internat« wurde Jonathans Gesichtchen ernst. Er wußte nicht genau, was da auf ihn zukam, aber er ahnte, daß er sich von Elke trennen mußte, und das war sein heimlicher Kummer. Zum Glück waren es noch zwei Jahre bis zu diesem Ereignis, für einen Achtjährigen eine unendlich lange Zeit.

»Mami, soll ich dir zeigen, wie das geht?« Jonathan hielt den Papierflieger so, daß ihn Monika nicht übersehen konnte.

»Vielleicht morgen. Jetzt habe ich keine Zeit.« Monika schenkte dem gefalteten Papier keine Beachtung. Sie zog über den Ohren je ein Strähnchen aus der Frisur, begutachtete die Wirkung. Die modische Lässigkeit wurde dezent unterstrichen. Genau das wollte sie erreichen.

»Gehst du weg?« Jonathan fand seine Mutti wunderschön, aber er hätte sich gewünscht, daß sie weniger Wert auf ihr Äußeres legte, dafür manchmal fröhlich mit ihm spielte und herumtobte, wie es Elke Reynard tat.

»Deine Mutti feiert heute mit ihren Kameraden den bestandenen Flugschein«, erklärte Hans-Jörg, der aus dem angrenzenden Raum herüberkam. Er trug einen dunkelblauen Anzug, in dem er sehr korrekt und elegant wirkte.

»Gehst du auch mit?« fragte das Kind verblüfft. Daß seine schöne Mama abends wegging, war für Jonathan eine ganz normale Sache. Doch gewöhnlich war dann sein Vater da. Er hielt sich im Arbeitszimmer auf und wollte nicht gestört werden, aber wenigstens hatte Jonathan die Gewißheit, ihn notfalls erreichen zu können. »Kann ich auch… auch mitkommen?« piepste er und wußte sofort, daß seine Bitte abgelehnt werden würde.

»Natürlich nicht«, antwortete Monika kopfschüttelnd. »Kleine Kinder haben keinen Zutritt.«

›Bin doch schon groß‹, wollte Jonathan dazwischenrufen, kam aber nicht zu Wort.

Seine Mami redete ohne Pause weiter. »Dein lieber Vater«, meinte sie zynisch, »zieht es vor, den Abend mit irgendwelchen Geschäftsfreunden zu verbringen. Na, ja!«

Hans-Jörg Scharfenberg hatte Monika aus Liebe geheiratet, und er liebte sie noch immer. Nur stolz konnte er nicht mehr auf sie sein, denn er wußte seit einiger Zeit, daß sie ihn betrog. Er konnte ihr nicht einmal einen Vorwurf daraus machen, denn er war an dieser Situation nicht schuldlos, hatte er doch viel zu wenig Zeit für sie. Deshalb behielt er sein Wissen auch für sich, blieb Monika gegenüber höflich und zuvorkommend.

»Es sind nicht irgendwelche Geschäftsfreunde, sondern sehr wichtige Handelspartner aus Korea. Wir werden in den nächsten Jahren ausgezeichnete Geschäfte mit ihnen machen, weshalb ich sie nicht warten lassen darf. Es tut mir leid.«Hans-Jörg sah seine Frau an. In seinem Blick war eine Mischung aus Bewunderung und Eifersucht.

Jonathan sah traurig auf das gefaltete Blatt Papier in seiner Hand. Er fühlte sich als Außenseiter. Nie durfte er teilhaben an dem, was seine Eltern taten. Stets hieß es, er sei zu klein. Warum dauerte es nur so lange, bis er erwachsen war und teilhaben durfte? Der Junge ließ den Kopf mit den kurzgeschnittenen braunen Haaren hängen. So lebhaft und fröhlich er sein konnte, so nachdenklich und bekümmert wurde er oft von einem Moment zum anderen. »Muß ich ganz allein bleiben?« fragte er ängstlich.

Hans-Jörg liebte seinen Sohn, konnte es ihm aber ebensowenigzeigen wie seiner Frau. »Davon kann keine Rede sein«, widersprach er ungeduldig. »Frau Heise, die Haushälterin, hat ihr Appartement im Seitenflügel und Herr Schulz, der Gärtner und Hausmeister, auch. Beide kannst du jederzeit erreichen.«

Für Jonathan war dies ein schwacher Trost, denn die Tatsache, daß er in der zwanzig Zimmer umfassenden Villa, die früher einem russischen Fürsten gehört hatte, allein war, blieb bestehen. In einem weitläufigen Park am Merkur gelegen, gehörte das Haus zu den schönsten Privatgebäuden der Stadt. Man hatte von hier oben einen wundervollen Blick, sah bei klarem Wetter bis in die Rheinebene und hinüber ins Elsaß, doch für Jonathan war dieses Haus ein goldener Käfig. In weitem Umkreis gab es keine Kinder, und seine Eltern hielten es für richtig, daß er keine öffentliche Schule besuchte, sondern privat unterrichtet wurde.

Jonathan wußte, daß jeder Widerspruch sinnlos war. Sein Vater, daran gewöhnt, daß seine Anordnungen prompt erfüllt wurden, ließ sich nicht umstimmen. Noch weiter ließ der Junge den Kopf hängen. Seine dunklen Augen füllten sich mit Tränen.

»Du wirst doch keine Angst haben«, forschte der Unternehmer amüsiert. »Ein großer Junge wie du ist mutig und unerschrocken. In deinem Alter mußte ich bei Dunkelheit Kontrollgänge durch die Fabrik machen. Allein, nur begleitet von einem Hund. Das hat mein Vater von mir verlangt. Er hat gewußt warum. Ein ganzer Kerl sollte ich werden.«So widerwillig Hans-Jörg das damals getan hatte, heute war er stolz darauf.

»Wenn ich einen Hund hätte, würde ich auch…«, murmelte Jonathan.

Monika wandte sich nach ihm um. »Nicht schon wieder!« warnte sie. »Du weißt genau, daß ich mich vor Hunden fürchte. Sie sind unhygienisch und gefährlich.« Die blonde Frau griff nach der eleganten Unterarmtasche. »Ich muß gehen.«

»Viel Spaß«, wünschte Hans-Jörg, trat neben seine Frau, nahm sie zärtlich in den Arm und küßte sie sanft auf die dezent geschminkten Lippen. Er hielt es für richtig, den Schein einer glücklichen Ehe zu wahren. Vielleicht würden sie eines Tages tatsächlich wieder glücklich sein, so wie damals, als sie sich kennenlernten. Wehmut erfüllte Scharfenberg, wenn er an jene unbeschwerte Zeit dachte.

»Schade, daß du nicht dabei sein kannst, wenn mir feierlich der Flugschein überreicht wird. Ich hoffe aber, du findest Zeit, dich demnächst von meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Ich fliege dich, wohin du willst. Den Piloten kannst du einsparen.« Es war typisch für Monika, daß sie nur an sich selbst dachte, nur von sich sprach.

»Das sind gute Aussichten.« Hans-Jörg zwang sich zu einem Lächeln. Man hatte ihm zugetragen, daß seine Frau eng mit dem Fluglehrer befreundet war. Deshalb dachte er lieber nicht an Monikas neue Leidenschaft.

Um den Jungen kümmerte sich niemand mehr, deshalb lief Jonathan davon, rannte weinend ins Dachgeschoß, in dem es für ihn ein Schlaf-, ein Spiel- und ein Studierzimmer gab. Alle Räume groß und kindgerecht möbliert. Gleich daneben waren das Zimmer seiner Lehrerin und eine kleine Schulbibliothek.

*

Elke Reynard wollte gerade gehen. Ihr Freund Peter Höff, ebenfalls Lehrer und ebenfalls siebenundzwanzig wie sie, wartete auf sie.

Jonathan stolperte auf sie zu, sah vor lauter Tränen die letzte Treppenstufe nicht und landete auf den Knien. Das zum Papierflieger gefaltete Stück Papier ließ er aber auch im Sturz nicht los und preßte es wie eine Kostbarkeit an seine schmale Brust.

»Jo, was ist?« fragte Elke besorgt. Sie hatte in den drei Jahren ihrer Tätigkeit in der Villa Scharfenberg eine sehr innige Beziehung zu ihrem Schüler aufgebaut. Zu innig, sagte Peter Höff, und dieser Meinung war mit Sicherheit auch Monika Scharfenberg. Doch Elke konnte gar nicht anders. Sie hatte Jonathan lieb. Wenn sie ihn zärtlich »Jo« nannte, wurde das besonders deutlich.

»Sie mögen mich nicht. Die Mami nicht und der Vati auch nicht«, jammerte das Kind unglücklich. »Immer soll ich groß sein und tapfer, aber wenn ich frage, ob ich mitkommen kann, bin ich viel zu klein.« Jonathan atmete schnell und laut, während über seine Wangen heiße Tränen liefen. »Meinen Flieger haben sie gar nicht angeschaut, obwohl er so super ist und viel mehr Spaß macht als das ferngesteuerte Ding, das ich zu Weihnachten bekommen hab’.«

Jonathan hatte sich aufgerichtet, die Arme um Elkes Taille geschlungen und das tränennasse Gesichtchen an ihren Oberkörper gedrückt. Seine Mami durfte er nie so stürmisch umarmen, da sie stets in Sorge war, ihre teure Markenkleidung könne Schaden nehmen, die sorgfältig zerzausten Haare könnten in ungewollte Unordnung geraten oder das sorgsam aufgetragene Make-up könnte zerstört werden.

Solche Befürchtungen hatte Elke Reynard nicht. An ihr war alles echt und robust. Sie trug sportliche

Jeans und Karoblusen oder T-Shirts und fand es nicht schlimm, wenn der dunkelblonde Pferdeschwanz ab und zu schief am Hinterkopf pendelte. Elke machte jeden Unfug mit, hatte das fröhliche Lachen eines jungen Mädchens und die Herzlichkeit einer mütterlichen Frau. Zusammen mit Intelligenz und jugendlicher Unbekümmertheit war dies eine bezaubernde Mischung. Wer Elke kannte, mochte sie, und besonders die Sympathien der Kinder eroberte sie im Sturm.

Elke war dem kleinen Jonathan Spielkameradin, mütterliche Freundin und verständnisvolle Lehrerin, achtete aber stets darauf, auch nicht andeutungsweise die Mutterrolle zu übernehmen. Sie wollte nicht Monika Scharfenbergs Konkurrentin sein, sondern die Angestellte, die die Erziehung des Kindes sinnvoll ergänzte. Keinen Augenblick lang verlor Elke dieses Ziel aus den Augen. Auch nicht, wenn sie wie jetzt liebevoll über Jonathans kurzgeschnittenes, dichtes braunes Haar fuhr.

»Sei nicht traurig«, bat sie leise. »Deine Eltern haben vielerlei Verpflichtungen. Du kannst sehr stolz auf sie sein. Dein Vater beschäftigt viele Arbeiter und Angestellte und trägt die Verantwortung dafür, daß sie alle pünktlich ihren Lohn erhalten. Das ist nicht einfach. Deine Mutter repräsentiert die Familie in der Gesellschaft, und das tut sie mit so viel Geschick und Charme, daß wir sie nur bewundern können. Beide haben aus all diesen Gründen wenig Zeit. Das heißt aber nicht, daß sie dich nicht lieben würden. Sie können sich nur nicht so mit dir beschäftigen, wie sie sich das sicher wünschen.« Elkes sanfte Stimme klang tröstlich.

Die Tränen des Jungen rannen spärlicher, sein Atem ging wieder normal. »Warum arbeiten sie nicht ein bißchen weniger und bleiben abends hier, wenigstens manchmal? Ich möchte so gern, daß mir mein Vati abends eine Geschichte erzählt, wie der Mann im Film. Der hat mit seinem Sohn sogar gesungen.« Jonathan seufzte sehnsüchtig.

Elke konnte ihren Schützling nicht so traurig sehen. Sie hielt es für unverantwortlich, das Kind jetzt alleinzulassen. »Weißt du was, ich übernehme das«, schlug sie deshalb munter vor.

»Aber du wolltest doch…« Hoffnungsvoll sah Jonathan hoch. Von Anfang an durfte er Elke duzen, was das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen dokumentierte.

»Das ist nicht so wichtig. Ich muß nur Peter Bescheid sagen. Er wartet auf mich.«

Jonathan hatte den jungen Lehrer kennengelernt, als er mit Elke in einer Schüleraufführung des Theaters gewesen war. Sofort hatte er gespürt, daß Peter Höff mit der Tätigkeit seiner Freundin nicht ganz einverstanden war. Er mochte deshalb Elkes Freund nicht besonders. Doch das beruhte auf Gegenseitigkeit, auch das hatte Jonathan erkannt. Da er nur unter Erwachsenen aufwuchs, hatte er ein feines Gespür für solche Dinge entwickelt.

»Er wird ärgerlich sein, und das will ich nicht«, erklärte das Kind altklug.

Elke winkte ab. »Laß das nur meine Sorge sein. Ich bin gleich zurück.« Sie löste Jonathans Hände, die ihre Taille umklammerten. Sie lächelte das Kind ermutigend an. »Wenn ich zurück bin, singen wir miteinander«, versprach sie.

*

Mit zwei Fingern trommelte Peter Höff ungeduldig aufs Lenkrad, sah zwischendurch immer wieder ärgerlich zur Uhr.

»Du hast zehn Minuten Verspätung«, kritisierte er, als Elke durch das schmiedeeiserne Tor das Grundstück verließ und auf Peters Auto zusteuerte, das unmittelbar davor parkte.

»Entschuldige, ich habe noch mit Jonathan geredet.« Elke küßte ihren Freund auf die Wange.

Doch er zeigte sich dadurch keineswegs versöhnt. »Dazu hattest du doch den ganzen Tag über Zeit«, sagte er, ließ den Motor an und machte Anstalten, abzufahren.

»Bitte warte noch.« Elke legte die Hand auf seinen Arm, fühlte den rauhen Tweed seines Sakkos unter den Fingern. »Ich habe Jonathan versprochen, daß ich gleich zurückkomme.«

»Wie bitte?« überrascht drehte sich Peter nach seiner Freundin um, schaute sie vorwurfsvoll an. »Wir sind verabredet.« Für den überaus korrekten Peter war es unvorstellbar, eine getroffene Vereinbarung rückgängig zu machen.

»Das weiß ich ja. Wir wollten miteinander auf ein Glas Wein und einen Imbiß ins Alte Schloß. Aber das können wir auch morgen.«

»Eben nicht, weil ich einen Tisch für heute abend bestellt habe, nicht für morgen«, antwortete Peter verärgert. »Außerdem wollte ich mit dir reden.« Beleidigt preßte Peter die schmalen Lippen aufeinander.

»Reden können wir auch morgen«, versuchte ihn Elke zu beschwichtigen. Sie blieb freundlich und gelassen, wußte sie doch, daß sich Peter mit vielen Dingen, die für sie überhaupt kein Problem darstellten, schwer tat.

»Da täuschst du dich aber. Man ist nicht immer in der Stimmung, Themen zu erörtern, wie ich sie heute mit dir durchsprechen wollte. Aber dieser kleine Krösus ist dir natürlich wichtiger als ich. Dabei ist sonnenklar, weshalb du dich für ihn aufopferst. Sein Vater imponiert dir. So ein millionenschwerer Manager ist ja auch was anderes als ein kleiner Lehrer.«

Elke, die auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, weil sie wußte, daß dies eine längere Aussprache geben würde, sah seufzend zum mausgrauen Autohimmel.

»Warum fängst du nur immer wieder davon an? Ich habe dir doch schon zigmal erklärt, daß mich der Chef nicht interessiert. Er ist verheiratet, außerdem elf Jahre älter als ich. Ich sehe ihn vielleicht einmal im Monat. Wochentags nimmt er die Mahlzeiten in der Kantine ein, wenn er zu Hause ist, hat er in seinem Arbeitszimmer zu tun.«

Peter nickte zähneknirschend. »Du bist gut informiert. Das mit der Interesselosigkeit kann also nicht stimmen. Und das Argument, daß er verheiratet ist, zieht auch nicht. Warum? Weil es die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß seine Frau einen Liebhaber hat. Ist doch sonnenklar, daß er sich revanchiert. Du hast gute Chancen.«