Autobiografie - Omraam Mikhaël AÏvanhov - E-Book

Autobiografie E-Book

Omraam Mikhaël Aïvanhov

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Beschreibung

Meister Omraam Mikhaël Aïvanhov hat seinen ersten öffentlichen Vortrag am 31. Januar 1938 in Paris gehalten, und am 28. September 1985, im Bonfin bei Fréjus (Frankreich), hat er das letzte Mal gesprochen. Während dieser Zeit wurden ungefähr 4500 Vorträge, Reden und Mitteilungen aufgezeichnet, die zunächst mitstenographiert und später auf Tonband oder Videokassette aufgenommen wurden. »Parler d‘abondance – wörtlich: aus der Fülle sprechen«… Diesen schönen Ausdruck aus der französischen Sprache, der einen Vortrag in freier Rede bezeichnet, hat sich der Meister, so scheint es, in besonderer Weise zu Eigen gemacht. Er sagte: »Damit ich das Bedürfnis verspüre, zu euch zu sprechen, muss das Thema ganz plötzlich auf mich zukommen, wie eine Inspiration, ein Denkanstoß von irgendwoher… Ich verbinde mich mit dem Himmel und werde zu einer Art Antenne, ich empfange Hinweise bezüglich des Themas, über das ich an diesem Tag zu euch sprechen soll, nicht an einem anderen Tag, sondern heute.« Er sagte auch: »Wenn ich nicht auf einem Podium wäre, würdet ihr mich ab der dritten oder vierten Reihe nicht mehr sehen. Aber ich bin nicht gerne auf einem Podium. Daher betrachte ich euch und bitte innerlich: ›Zeige mir, mein Gott, wie ich zu meinen Freunden herabsteigen kann…‹ Und ich suche kleine Pfade, um mich euch zu nähern.« Diese kleinen Pfade, die vielfältig und unterschiedlich gewesen sind, nahmen manchmal die Form kurzer vertraulicher Mitteilungen an, wenn er sich – beim Behandeln allgemeiner Themen – spontan an bestimmte persönliche Erfahrungen oder an gewisse Ereignisse seines Lebens erinnerte. Indem er sie erzählte, teilte er uns nicht nur seine Beschäftigungen, seine Wünsche mit, sondern auch unvermutete Aspekte seiner Sensibilität. Diese Erinnerungen, die in ihm aufstiegen, überraschten den Meister oft selber so sehr, dass er sich manchmal entschuldigte oder sich in den Humor flüchtete, denn er war wirklich von großer Zurückhaltung und großem Feingefühl. Aber er war zugleich sehr einfach, sehr spontan, und durch die Andeutungen, die er beiläufig über seine Erlebnisse machte – Andeutungen, die kaum länger als drei oder vier Minuten dauerten –, teilte er auf brüderliche Weise etwas mit uns. Und wenn es ihm geschah, dass bestimmte höhere Wesen in ihn Einzug hielten, die ihn für uns plötzlich unerreichbar, undurchdringbar werden ließen, wie ein Gipfel, den man in der Ferne in Wolken gehüllt sieht, so war er sich dessen bewusst, und er erzählte uns dann von sich, denn indem er von sich sprach, sprach er auch von uns. Es war notwendig, diesem Buch ein Minimum an Ordnung und Zusammenhang zu geben. Aber all die Tatsachen, die chronologisch aufgeführt sind, hat der Meister oft in Abständen von Monaten oder sogar Jahren angesprochen. Er hatte gewiss niemals die Absicht, eine Autobiographie zu hinterlassen, und mit diesen Seiten sollen schlicht autobiographische Einblicke vermittelt werden.

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Über den Autor

Omraam Mikhaël Aïvanhov war ein großer spiritueller Meister, ein lebendiges Vorbild, ein »Überbringer des Lichts« und ein warmherziger, humorvoller Lehrer, der durch sein selbstloses, zugängliches und brüderliches Verhalten überzeugte.

Er strebte an, alle Menschen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten – so wie ein Bergführer seine Kameraden sicher bis auf den höchsten Gipfel führt.

Das Gedankengut, das Omraam Mikhaël Aïvanhov verbreitet hat, bietet zahlreiche Methoden und einen klaren, begehbaren Weg zu größerer Vollkommenheit und mehr Lebensglück.

In wohltuend einfacher Sprache erklärt er alle wichtigen Zusammenhänge des Lebens und ist gerade bei den Fragen unserer heutigen Zeit wegweisend. Ob es um die Bewältigung des Alltags geht, um das Thema der Liebe und Sexualität oder um tiefgründige philosophische Themen – stets sind seine Antworten überraschend klar und hilfreich.

 

 

Kurzbeschreibung

»Autobiografie«Band 1

Diese Autobiografie von Omraam Mikhael Aivanhov ergänzt die bisher erschienenen Biografien durch weitere Einblicke in sein bewegtes Leben und durch den einmalig schönen und warmen Stil seiner persönlichen Erzählung. Viele Schlussfolgerungen, die er aus seinen Erlebnissen zieht, passen zu aktuellen Geschehnissen unserer Zeit und schenken uns Klarheit, Hoffnung und Zuversicht.

Was ist ein geistiger Meister? Ein Wesen, das im Laufe seiner vielen Inkarnationen nicht aufgehört hat, an sich selbst zu arbeiten. Er ist durch unzählige Prüfungen, Zweifel und Leiden gegangen, aber indem er seinen Blick auf die geistige Welt gerichtet hielt, hat er sie überwunden und Tag für Tag das Buch seines Lebens geschrieben. Diese einzigartige Erfahrung hat Meister Omraam Mikhaël Aïvanhov an uns weitergegeben. Er bietet uns viele praktische Beispiele und Methoden, um unsere Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden, damit auch wir nach und nach das Buch unseres eigenen Lebens schreiben können. Möge der Leser tief in das Verständnis dieser Botschaft des Friedens, der Liebe und des Lichts eindringen.

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Kurzbeschreibung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort des Herausgebers

Kapitel 1: Die geheimnisvollen Wege des Schicksals

Kapitel 2: Eine Kindheit in den Bergen Mazedoniens

Kapitel 3: In Varna, an der Küste des Schwarzen Meeres

Kapitel 4: Lehrjahre

Kapitel 5: Die Erfahrung mit dem Feuer

Kapitel 6: Bis ins Herz der Rose

Kapitel 7: In der universellen Symphonie

Kapitel 8: Begegnung mit Meister Peter Danov

Kapitel 9: Frantsia, Frankreich

Kapitel 10: Kein Gefängnis kann den Geist aufhalten

Kapitel 11: Ein Jahr in Indien: Februar 1959 bis Februar 1960

Kapitel 12: Ich bin ein Sohn der Sonne

Kapitel 13: Zwischen Wort und Stille

Kapitel 14: Ich schreibe nur mein eigenes Buch

Kapitel 15: Die ganze Schöpfung spricht zu mir, und ich spreche zu ihr

Kapitel 16: Ein Ideal brüderlichen Lebens

Kapitel 17: Ich möchte nur eure Freiheit

Kapitel 18: Andere helfen euch durch mich

Kapitel 19: Nur das Irreale ist real

Anhang I

Anhang II

Anhang III

Biblische Quellenangaben

Bilderteil

Vom selben Autor – Reihe Gesamtwerke

Vom selben Autor – Reihe Izvor

Vom selben Autor – Reihe Broschüren

Vom selben Autor – Biografien, Bildbände, Übungsbücher

Copyright

 

Vorwort

»Wenn ich euch etwas über mich erzähle, dann nicht mit dem Ziel, dass ihr mein Leben interessant, originell oder sonst wie findet, sondern um euch das zu vermitteln, was es mich gelehrt hat, damit ihr davon profitieren könnt. Wozu wäre es sonst nützlich? Man lernt einen Menschen nicht kennen, indem man sich nur für die Ereignisse seines Lebens interessiert, sondern indem man versteht, was er daraus gemacht hat, und welche Weisheit er aus seinen Erfahrungen geschöpft hat. Diese Weisheit ist so etwas wie die Quintessenz seines Lebens, etwas, das er ist, aber zugleich auch viel mehr, als er ist, und eben diese Quintessenz erleuchtet und nährt diejenigen, die sich ihm nähern.

Meine Worte sind eine Nahrung, die ich euch gebe, es sind Stücke aus meinem Herzen und aus meiner Seele; sie sind mein Leben, mein Blut, und ich kann nicht anders handeln. Wenn ich zu euch spreche, ist es mein Leben, das ihr atmet, das ihr berührt.«

Omraam Mikhaël Aïvanhov

Vorwort des Herausgebers

Meister Omraam Mikhaël Aïvanhov hat seinen ersten öffentlichen Vortrag am 31. Januar 1938 in Paris gehalten, und am 28. September 1985, im Bonfin bei Fréjus (Frankreich), hat er das letzte Mal gesprochen. Während dieser Zeit wurden ungefähr 4500 Vorträge, Reden und Mitteilungen aufgezeichnet, die zunächst mitstenographiert und später auf Tonband oder Videokassette aufgenommen wurden.

»Parler d‘abondance – wörtlich: aus der Fülle sprechen«… Diesen schönen Ausdruck aus der französischen Sprache, der einen Vortrag in freier Rede bezeichnet, hat sich der Meister, so scheint es, in besonderer Weise zu Eigen gemacht. Er sagte: »Damit ich das Bedürfnis verspüre, zu euch zu sprechen, muss das Thema ganz plötzlich auf mich zukommen, wie eine Inspiration, ein Denkanstoß von irgendwoher… Ich verbinde mich mit dem Himmel und werde zu einer Art Antenne, ich empfange Hinweise bezüglich des Themas, über das ich an diesem Tag zu euch sprechen soll, nicht an einem anderen Tag, sondern heute.«

Er sagte auch: »Wenn ich nicht auf einem Podium wäre, würdet ihr mich ab der dritten oder vierten Reihe nicht mehr sehen. Aber ich bin nicht gerne auf einem Podium. Daher betrachte ich euch und bitte innerlich: ›Zeige mir, mein Gott, wie ich zu meinen Freunden herabsteigen kann…‹ Und ich suche kleine Pfade, um mich euch zu nähern.« Diese kleinen Pfade, die vielfältig und unterschiedlich gewesen sind, nahmen manchmal die Form kurzer vertraulicher Mitteilungen an, wenn er sich – beim Behandeln allgemeiner Themen – spontan an bestimmte persönliche Erfahrungen oder an gewisse Ereignisse seines Lebens erinnerte. Indem er sie erzählte, teilte er uns nicht nur seine Beschäftigungen, seine Wünsche mit, sondern auch unvermutete Aspekte seiner Sensibilität.

Diese Erinnerungen, die in ihm aufstiegen, überraschten den Meister oft selber so sehr, dass er sich manchmal entschuldigte oder sich in den Humor flüchtete, denn er war wirklich von großer Zurückhaltung und großem Feingefühl. Aber er war zugleich sehr einfach, sehr spontan, und durch die Andeutungen, die er beiläufig über seine Erlebnisse machte – Andeutungen, die kaum länger als drei oder vier Minuten dauerten –, teilte er auf brüderliche Weise etwas mit uns. Und wenn es ihm geschah, dass bestimmte höhere Wesen in ihn Einzug hielten, die ihn für uns plötzlich unerreichbar, undurchdringbar werden ließen, wie ein Gipfel, den man in der Ferne in Wolken gehüllt sieht, so war er sich dessen bewusst, und er erzählte uns dann von sich, denn indem er von sich sprach, sprach er auch von uns.

Es war notwendig, diesem Buch ein Minimum an Ordnung und Zusammenhang zu geben. Aber all die Tatsachen, die chronologisch aufgeführt sind, hat der Meister oft in Abständen von Monaten oder sogar Jahren angesprochen. Er hatte gewiss niemals die Absicht, eine Autobiographie zu hinterlassen, und mit diesen Seiten sollen schlicht autobiographische Einblicke vermittelt werden.

Die Herausgeber

Kapitel 1: Die geheimnisvollen Wege des Schicksals

Ich war fünfzehn Jahre alt und – wie viele Jugendliche – von einer Menge Bestrebungen nach etwas Großem, Heldenhaftem durchdrungen. Was stellt man sich in diesem Alter nicht alles vor! Man rettet sein Vaterland, man eilt unterdrückten Völkern zu Hilfe, man macht eine Entdeckung, die die Heilung einer bis dahin unheilbaren Krankheit ermöglicht, man wird der größte Dichter oder Musiker, man erweckt Dornröschen… Ich für meinen Teil wusste nicht wirklich, was ich tun wollte. Ich wünschte mir nur, dass es etwas Großes sei, etwas Edles, etwas Schönes, ohne dass es mir gelang, diesem Ideal einen Namen zu geben oder das zu benennen, was mir ermöglichen würde, es zu realisieren. Was ich hingegen ganz real sah, das waren all die Hindernisse, die sich bereits vor mir auftürmten. Seit mein Vater verstorben war, was einige Jahre her war, lebte ich mit meiner Familie unter erbärmlichen Bedingungen. Wie viele gute Eigenschaften hätte ich haben müssen, um mich aus diesen Bedingungen zu befreien! Aber von diesen guten Eigenschaften konnte ich keine einzige in mir erkennen – oder nur ganz wenige! Dazu kam noch, dass ich die Schule nicht mochte, ich langweilte mich dort, und ich hatte ein Verhalten, das meine Mutter beunruhigte und ihr Sorgen machte. Der Unterschied zwischen dem, was ich war, und dem Ideal, das ich in meinem Herzen trug, erschien mir unüberbrückbar und ich fühlte mich zerrissen.

In dieser Zeit entdeckte ich Bücher über hinduistische Spiritualität, die von Reinkarnation und Karma1 handelten, und ich fragte mich: »Was habe ich in meinen vergangenen Leben bloß getan, um eine solche Bestrafung zu verdienen und jetzt so vielen Schwierigkeiten zu begegnen, so viele Entbehrungen ertragen zu müssen? Welche Verbrechen habe ich nur begangen?« Selbst wenn ich mich in der Schule langweilte, hatte ich den Wunsch zu lernen, um große Dinge vollbringen zu können, aber ich fühlte mich der Fähigkeiten beraubt, die ich so sehr besitzen wollte, und alle Wege schienen sich vor mir zu verschließen. Ich sah keinen Ausweg und war davon überzeugt, allein dafür verantwortlich zu sein. Ich hätte Aufklärung, Orientierung gebraucht, aber ich kannte keinen Erwachsenen, dem ich mich hätte anvertrauen können, nicht einmal meiner Mutter. Meine Mutter war eine außergewöhnliche Frau, von einer großen Weisheit, aber diese Weisheit kam von ihrer Liebe; sie war sehr wenig belesen und konnte weder auf meine Verunsicherungen antworten noch auf die Fragen, die ich mir stellte. In Wirklichkeit brauchte ich einen spirituellen Führer, aber erst zwei Jahre später begegnete ich Meister Peter Danov.2

Aber während ich die Bücher über Hindu-Spiritualität las, lernte ich doch, dass man auch Hilfe erlangen kann, wenn man nicht das Privileg hat, einem Meister auf der physischen Ebene zu begegnen, wenn man sich nur mit erhabenen Menschen zu verbinden weiß, die an bestimmtem Orten der Erde lebten. Viele dieser erhabenen Menschen, so sagten die Bücher, leben im Himalaya. Durch ihre Gegenwart und durch ihre Gedanken bemühen sie sich, die Menschen auf den Weg des Lichts zu führen. Das war für mich eine große Offenbarung, und von dem Moment an begann ich, mich auf sie zu konzentrieren, mich mit ihnen zu verbinden.

Auf diese Weise habe ich von Jugend an die Vorstellung akzeptiert, dass es auf der Erde Menschen von einem außergewöhnlichen Entwicklungsgrad gibt, und dass, selbst wenn ich ihnen nicht physisch begegnen konnte, ich die Möglichkeit hatte, sie mithilfe des Denkens zu erreichen. Ich stellte mir vor, dass diese derart weisen und lichtvollen Wesen einverstanden waren, mir von ihrer Weisheit und ihrem Licht zu geben. Und vielleicht ist das tatsächlich geschehen: Als sie sahen, dass ich derart unter meiner Unvollkommenheit litt, dass ich so sehr wünschte, mich zu verbessern, mussten sie Mitleid mit mir haben und bereit sein, mir zu helfen. Jeden Tag stellte ich mir vor, ich sei bei ihnen, mitten unter ihnen, aber auch, ich nähme an ihrer Arbeit teil. Ich wusste nicht, woher mir dieser Impuls kam. Was trug ich in mir, das mich beriet? Als es mir gelang, mich wirklich mit diesen Wesen zu verbinden, fühlte ich mich nicht mehr allein. Ich hatte die Gewissheit, auch noch einer anderen, spirituellen Familie anzugehören, und selbst wenn ich sie nicht kannte, lebte ich in ihr.

Rund dreißig Jahre später, als ich bereits seit einiger Zeit in Frankreich war, berichteten mir Freunde von einer großen Hellseherin, die in Zürich wohnte. Weil ich mir der Realität einer Welt bewusst bin, die wir nicht sehen, aber mit der wir in Beziehung treten können, war es immer mein Bestreben, diese Phänomene bei Personen zu erforschen, welche die Gabe des Hellsehens oder Medialität von Natur aus besitzen. Deshalb traf ich mich mit mehreren von ihnen, aber diese eine Hellseherin aus Zürich beeindruckte mich besonders.

Im Laufe des Jahres 1945 wurde ich in die Schweiz eingeladen und entschloss mich, diesen Aufenthalt zu nützen und nach Zürich zu fahren, um sie aufzusuchen. Da sie nur Deutsch sprach, suchte ich einen Übersetzer. Ich wandte mich an die Besitzerin des Hotels, in dem ich wohnte; sie sagte mir, dass ihre Tochter, die gut Französisch könne, mich gerne begleiten würde. Und zusammen mit ihr ging ich zu dieser Hellseherin. Sie war bereits in fortgeschrittenem Alter, und sofort als ich sie sah, war ich beeindruckt von der Farbe und der Feinheit ihrer Haut.3 Die Haut ihres Gesichts sagte mir, dass diese Frau eine Heilige war, und das gab mir sofort Vertrauen. Sie ergriff als Erstes meine Hand, auch wenn sie mir später anvertraute, dass dies nur eine gewohnheitsmäßige Geste bei ihr war: Sie sah nichts in der Hand, sondern direkt auf den feinstofflichen Ebenen. Dann wandte sie sich an das junge Mädchen, das mich begleitete: »Sag dem Herrn, dass er einer königlichen Familie angehört.« Ich sagte: »Aber das ist nicht möglich! Ich weiß, wer mein Vater ist, ich weiß, wer meine Mutter ist, es gibt nichts Königliches in unserer Familie.« Sie lächelte und wiederholte: »Sag dem Herrn, dass er einer königlichen Familie entstammt, er wird mich später verstehen.«4 Und in der Tat, ich habe später verstanden, dass die königliche Familie, der ich angehörte, sich nicht auf der physischen Ebene befand, sondern auf der spirituellen Ebene.

Sie fuhr fort: »Sie kommen aus einem Land des Balkans, ihr Vater ist gestorben als Sie acht Jahre alt waren, und nach seinem Tod haben sie in großem Elend gelebt. Sie haben einen jüngeren Bruder, und um beide großziehen zu können, hat ihre Mutter wieder geheiratet, einen Mann, der schon ein Kind hatte, und gemeinsam haben sie noch drei Kinder gehabt. Trotz der materiellen Schwierigkeiten haben Sie viel gelernt. Sie leben seit acht Jahren in Frankreich. Sie gehören einer spirituellen Lehre an, von einem Meister gegründet, den ich dort hinter ihnen stehen sehe. Er hat weiße Haare, einen weißen Bart und er hat jetzt die Erde verlassen…« Nun, es war also wahr: Der Meister hatte die Erde verlassen! Zu der Zeit – der Krieg war kaum zu Ende – konnte ich keine Neuigkeiten aus Bulgarien erhalten, hatte aber gewisse Vorahnungen und Träume gehabt, die mir ein Zeichen gaben. Und jetzt bestätigte mir diese Hellseherin: Der Meister war gegangen.

Sie fuhr fort: »Als er sah, dass derjenige, den er nach Frankreich gesandt hat, sein Werk fortsetzt, dass er auf ihn zählen kann, ist er gegangen. Sie sind sein Erbe, er hat Sie zu seinem Erben gemacht… Und jetzt hören Sie mir gut zu. Die nächsten Jahre werden Sie große Prüfungen durchmachen müssen, Todesgefahren bedrohen Sie, Sie werden Unfälle haben, aber Sie werden allem entrinnen. Danach werden Sie nach Indien reisen, wo Sie sehr wichtige Begegnungen haben werden, Sie werden Außergewöhnliches erleben. Das Geheimnis der Königin von Saba wird Ihnen offenbart werden.« Ich war erstaunt, wie konnte diese einfache und wenig gebildete Frau vom Geheimnis der Königin von Saba sprechen? Sie hat mir noch einiges mehr gesagt, von dem ich euch vielleicht eines Tages berichten werde. All das, was sie von meiner Vergangenheit sah, stimmte, und was sie mir vorhersagte, hat sich bereits verwirklicht oder ist dabei sich zu verwirklichen.

Aber kommen wir auf den ersten Satz zurück, den sie aussprach: dass ich einer königlichen Familie angehöre. Wenn ich den Ehrgeiz gehabt hätte, zu befehlen, zu herrschen, mich gegen andere durchzusetzen, dann wären die Bedingungen, unter denen ich geboren und aufgewachsen bin, natürlich nicht die günstigsten gewesen. Doch selbst wenn ich mir dessen nicht sofort bewusst gewesen bin, waren diese Bedingungen doch die besten, da mein wahrer Ehrgeiz allein darin bestand, König meines eigenen Königreiches zu werden, das heißt, Herr meiner selbst zu werden.

Kein einziger Mensch kommt auf die Erde mit dem klaren Wissen von dem, was er ist, von dem, was er tun wird, und warum er es tut. Lange Zeit ist auch für mich nichts klar gewesen. Die Inkarnation ist ein Fall in die Materie, und die Materie ist eine Kraft, die die Seele so sehr ergreift, dass sie ihr die Erinnerung nimmt. Man weiß, dass die alten Griechen sich das Jenseits als eine Erde vorstellten, die von verschiedenen Flüssen durchströmt wird, unter anderem dem Fluss Lethe, was »vergessen« bedeutet. Sie glaubten, dass die Seelen nach dem Tod vom Wasser des Lethe trinken, um die Ereignisse ihres irdischen Lebens zu vergessen. Und sie trinken auch von diesem Wasser, wenn sie sich wieder inkarnieren. Man findet auch einen Nachklang dieses Glaubens in einem der Bücher von Platon, »Der Staat«, wo er erklärt, dass das Schicksal einer Seele, die sich inkarniert, durch das bestimmt ist, wie sie in vorangegangenen Existenzen gelebt hat. Bevor sie herabsteigt, bekommt sie Kenntnis von dem, was sie erwartet, sei es, weil es ihr auferlegt ist, oder sei es, weil sie die Möglichkeit hatte zu wählen; aber in dem Moment, wo sie herabsteigt, wird ihr dieses Wissen entzogen, denn auch da muss sie wiederum das Wasser des Lethe trinken, und sie vergisst alles.

Das ist natürlich nur eine Art bildhafter Vorstellung der Dinge, aber so ist die Realität: Die Seele, die sich inkarniert, weiß vorerst nichts von ihrem Schicksal, das sie durchleben wird. Selbst für die am weitesten entwickelten Seelen bleibt dies verborgen. Aber nach und nach erinnern sie sich, und das unterscheidet sie von den anderen, die dazu verurteilt sind, weiterhin nicht zu wissen, warum und wie sie auf die Erde gekommen sind, und was sie hier zu tun haben. Ja, im Gegensatz zu dem, was manche behaupten, wird niemand mit einem klaren Bewusstsein bezüglich seiner Vorbestimmung geboren. Sicher, schon in jungen Jahren kann man sich in diese oder jene Richtung gezogen fühlen, aber das bleibt ziemlich vage. Es sind Jahre um Jahre des Forschens, des Studierens und sogar des Leidens nötig, bevor man seine wahre Berufung erkennt.5

Daher habe ich erst nach vielen Jahren und vielen Prüfungen begriffen, wie sich der Sinn eines Schicksals offenbart, und ich möchte, dass das, was ich verstanden habe, auch euch dient, damit ihr die Probleme, die sich euch jeden Tag stellen, besser lösen könnt. Wie viele Hindernisse, wie viele Schwierigkeiten, auf die wir treffen, haben nur den einen Grund, uns zu nötigen, den einzigen Weg zu nehmen, auf dem wir unsere Vorbestimmung als Söhne und Töchter Gottes erfüllen können! Eine große Weisheit überwacht all die Schicksale, und man sollte diese Wahrheit anerkennen, um die Leiden nicht zu verstärken. Die kosmische Intelligenz hat niemals die Absicht, uns auszulöschen; aber mit dem, was sie uns gibt, und auch mit dem, was sie uns vorenthält, versetzt sie uns in Situationen, die uns zwingen, das Beste in uns hervorzuholen und auszudrücken.

Da ich im Äußeren keinen Ausweg sah, musste ich in meinem Inneren unablässig suchen und arbeiten, mithilfe des Denkens, der Vorstellungskraft und des Willens. Alles, was ich in der Folge erreichen konnte, was ich geworden bin – das weiß ich jetzt –, verdanke ich diesen Einschränkungen, diesen Entbehrungen, die mir auferlegt wurden. Das Schicksal hat für jeden eine spezielle Sprache, und man muss sich bemühen, diese zu interpretieren. Die Hindernisse, die Hemmnisse, an denen ich mich gestoßen habe, zwangen mich, das, was ich gebraucht habe, in der Welt von Seele und Geist zu suchen. Und all das, was ich entdeckt habe, möchte ich euch jetzt zugutekommen lassen.

Nach vielen Jahren habe ich verstanden, dass die äußeren Bedingungen nicht bestimmend sind. Oder genauer gesagt, sie sind nur in dem Sinne bestimmend, dass sie uns zwingen, an uns selbst zu arbeiten. Wenn man nicht voranschreiten kann und nicht zurückfallen will, bleibt einem nur, in sich selbst abzutauchen, wie der Perlenfischer, der in die Tiefen des Meeres taucht; oder aber man muss sich sehr weit, sehr hoch aufschwingen, bis zu den Sternen. Jetzt kann ich sagen: Dank all der Schwierigkeiten, denen ich begegnet bin, habe ich vom Grund der Meere viele Perlen empor geholt und habe mich bis zu den Sternen aufgeschwungen. Man darf sich nicht mit der Armut abfinden, man darf nicht in Entbehrungen resignieren, man darf sich nicht von den Schwierigkeiten lähmen lassen, sondern sollte sie nur wie einen Ansporn verspüren, um sich auf die Suche nach den wahren Reichtümern zu begeben.

Die Wege des Schicksals sind immer geheimnisvoll. Entgegen allem äußeren Anschein haben sie für mich die besten Bedingungen herbeigeführt. Aber was weiß man mit fünfzehn Jahren von den Wegen des Schicksals? Und vor allem, wie hätte ich wissen können, dass, bevor ich herabgestiegen bin, um mich zu inkarnieren, ich selbst diese Bedingungen akzeptiert habe? Ja, jetzt weiß ich es: Ich habe sie akzeptiert.

1 Siehe Band 202 der Reihe Izvor »Der Mensch erobert sein Schicksal«, Kapitel 8: »Die Reinkarnation«.

2 Der Prosveta Verlag schrieb in den deutschsprachigen Büchern den Nachnamen »Danov« bisher anders, nämlich »Deunov«. Der Verlag wird nun nach und nach die Schreibweise »Danov« für den Namen von Meister Peter Deunov einführen. Diese Schreibweise führt (gemäß mehrerer Hinweise aus Bulgarien) zu einer richtigeren Aussprache. Die bisher in den deutschen Büchern von Omraam Mikhaël Aïvanhov verwendete Schreibweise »Deunov« war beim Übersetzen aus dem Französischen übernommen worden, ergibt aber, wenn man sie deutsch liest und ausspricht, für die Bulgaren einen völlig anderen Namen. Das »a« dieser neuen Schreibweise wird für eine möglichst richtige Aussprache des Namens überhaupt nicht betont, sondern nur kurz, ja fast unhörbar gesprochen und klingt dann ähnlich wie »D’-nov«.

3 Siehe Band 235 der Reihe Izvor »Im Geist und in der Wahrheit – Wie finde ich zu Gott?«, Kapitel 9: »Die Haut, Organ der Erkenntnis«.

4 Siehe Band 29 der Reihe Gesamtwerke »Die Pädagogik in der Einweihungslehre, Teil 2 und 3«, Kapitel 5: »Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkommen ist«, Teil 4.

5 Siehe Band 242 der Reihe Izvor »Unerschöpfliche Quellen der Freude«, Kapitel 6: »Wie ein Fisch im Wasser«.

Kapitel 2: Eine Kindheit in den Bergen Mazedoniens

 

Ich bin in Mazedonien geboren (das heißt, in der heutigen Republik Mazedonien, die zwischen 1878 und 1912 zu Bulgarien gehörte), in einem ganz kleinen Dorf der Baba Planina (Gebirge der Großmutter) am Fuß des Berges Pelister, nahe der griechischen Grenze. Ich bin zu früh geboren, im achten Monat, in einer eiskalten Winternacht (am 31. Januar 1900), in einem schwer zu heizenden Haus, und man glaubte zunächst, dass ich nicht überleben würde. Doch anscheinend habe ich nicht nur nicht geschrien, sondern sogar gelächelt…

Zu jener Zeit, und noch dazu an einem verlassenen Ort in den Bergen, gab es natürlich nicht, so wie heutzutage, Kliniken mit allem, was man für Frühgeburten benötigt. Mir ist davon eine große Kälteempfindlichkeit geblieben, aber ich habe überlebt, und mehrfach erzählte mir meine Mutter, mit welcher Freude unsere Familie mich empfing. »Als du getauft worden bist, das werde ich niemals vergessen«, sagte sie, »mit welchem Eifer haben wir da die Lieder gesungen. Nach der Zeremonie hat dein Vater allen Anwesenden Wein ausgeschenkt, und der Pope hat sich betrunken! Er versicherte, dass ihm das noch nie passiert sei, und er schloss daraus, dass du kein Kind wie alle anderen sein würdest.« Es scheint sogar so, als habe er mich betreffend eine Prophezeiung gemacht.

Meine Mutter offenbarte mir auch, dass, sobald sie mich empfangen hatte und während der ganzen Zeit, die sie mich in sich trug, ihr Denken und ihr Wunsch immer war, mich Gott zu weihen. Indem eine Mutter, und natürlich auch ein Vater, ein Kind dem Herrn weiht, machen sie nicht unbedingt einen außergewöhnlichen Menschen aus ihm, aber sie hinterlassen in ihm ein Zeichen: Sie prägen seiner psychischen Materie Spuren ein, die es leichter machen, Ströme segensreicher Kräfte zu ihm hinzuziehen und schädliche Strömungen abzulenken. Ich habe euch immer gesagt, dass die wahre Erziehung eines Kindes vor der Geburt beginnt.1 Darum muss die Mutter schon weit vor der Geburt ihres Kindes, noch während sie es in sich trägt, sich des Einflusses bewusst sein, den sie auf es ausübt. Es genügt nicht, dass sie das Kind bereits liebt, sie sollte lernen, die Kräfte der Liebe anzuwenden. Während sie an ihr Kind denkt, hat sie die Möglichkeit, ihre Liebe bis hinauf in die erhabenen Regionen zu senden, um dort die notwendigen Elemente für seine physische und psychische Entwicklung zu sammeln, und sie ihm zuzuführen.

Der Moment, wo das Kind seine ersten Schritte macht, ist immer ein Ereignis in einer Familie. Mit mir ist da etwas Seltsames geschehen. Und auch das hat mir meine Mutter erzählt. Ich war ungefähr acht Monate alt. In diesem Alter laufen Kinder noch nicht. Doch eines Tages stand ich auf und begann zu laufen. Nicht nur meine Familie, sondern auch die Nachbarn, die uns besuchten, betrachteten mich voller Überraschung. Sie riefen aus: »Das ist erstaunlich, er geht!… Er geht!« Und dann haben da auch zwei Frauen aus dem Dorf bei uns vorbeigeschaut, die jeder fürchtete, denn man sagte, sie hätten den bösen Blick. Sind sie wirklich der Grund dafür, dass ich am nächsten Tag sterbenskrank wurde? Das jedenfalls hat man gesagt. Meiner Großmutter ist es durch ihre Behandlung gelungen, mich zu retten, aber ich hatte danach große Schwierigkeiten, normal zu gehen. Und so kam es, dass ich, nachdem ich so frühreif war, erst später laufen konnte als die anderen Kinder.

Wie soll man das interpretieren? Als ich Jahre später darüber nachdachte, habe ich verstanden, dass diese scheinbar unerklärliche Episode in meiner Kindheit ankündigte, dass ich eines Tages eine schreckliche Prüfung würde durchleben müssen, die mich einige Zeit in meinen Aktivitäten lähmen würde, aber dass ich danach meinen Weg würde fortsetzen können. Und genau das ist geschehen. Oft kündigen bestimmte Ereignisse im Leben eines Kindes das an, was in seinem Leben als Erwachsener auf es zukommen wird. Das sind in gewisser Weise Vorhersagen, denen man nicht immer genügend Beachtung schenkt.

Im Dorf meiner Kindheit führte man ein sehr mühsames Leben. Meine Eltern waren arm und wenig belesen, aber voller Mut und von hoher Moral. Ich sah meinen Vater sehr selten, denn um unsere Familie zu ernähren, musste er weit entfernt Arbeit suchen.* Er kam von Zeit zu Zeit zurück, sicher, aber nur für sehr kurze Aufenthalte, denn er konnte den Köhlereibetrieb, den er in einem Wald bei Varna am Schwarzen Meer aufgebaut hatte, nicht für längere Zeit verlassen. Und Varna, besonders zu der damaligen Zeit, war weit entfernt von unserem Dorf.

Mein Vater war also Köhler, was kein sehr angesehener Beruf ist, aber er ist voller Bedeutung, denn er steht in Beziehung zum Feuer, dem Feuer des Opfers. Sich opfern, das heißt, wie ein Stück totes Holz sein, das man ins Feuer legt. Bevor es brennt, ist dieses Stück Holz glanzlos und nutzlos. Aber sobald es bereit ist, ins Feuer zu gehen, um dieses zu nähren, da wird es selbst zu Feuer, Licht, Wärme, Leben und Schönheit.2

* Obwohl der Meister nie einen eindeutigen Vergleich gezogen hat, hat ihn wahrscheinlich diese Abwesenheit seines Vaters, der gezwungen war, seine Familie zu verlassen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, später zu folgender Analogie inspiriert: »In manchen armen Ländern gehen die Männer auf Arbeitssuche in die Fremde, denn wenn sie zuhause bleiben würden, würde es ihnen nicht gelingen, genügend Geld zu verdienen, um ihre Familie zu ernähren. Sie lieben ihre Familie und doch verlassen sie sie, und sie verlassen sie, gerade weil sie sie lieben: Wenn sie sie nicht verlassen würden, würde sie verhungern.

Nun, auch ihr, warum geht ihr nicht in die Fremde, um Geld zu verdienen und eure Familie zu ernähren? Ihr wendet ein: ›In die Fremde gehen… aber für uns ist das nicht notwendig!‹ Ich weiß, aber ›die Fremde‹, von der ich hier spreche, das ist die göttliche Welt; in die göttliche Welt sollt ihr jeden Tag gehen, durch Gebet und Meditation, um Gold für diejenigen, die ihr liebt, mitzubringen. Dieses Gold, das ist die Reinheit, die Harmonie, das Licht, die Freude… Ich meinerseits verlasse euch jeden Tag für einige Minuten, einige Stunden, um in die Fremde zu gehen und Gold zu sammeln, das ich bei meiner Rückkehr an euch verteile. Warum sollte man nicht akzeptieren, wenigstens für einen Moment seine Familie und seine Freunde zu verlassen?… Weil man sie liebt, sozusagen! Nein, man liebt sie nicht oder man liebt sie schlecht. Man lässt sie verhungern, weil man unfähig ist, ihr Herz und ihre Seele zu ernähren, das ist daher keine Liebe.«

Anmerkung des Herausgebers

Da mein Vater die meiste Zeit abwesend war, hat mich in erster Linie meine Mutter erzogen. Aber sie war immer sehr beschäftigt, umso mehr, da sie beim geringsten Anlass bereit war, zu dem einen oder anderen Verwandten oder Nachbarn zu eilen, der nach ihr rief. Ich selbst half ein wenig im Haus und auf den Feldern, aber sie verlangte nicht viel von mir.

Eines Tages musste ich natürlich mit der Schule anfangen. Und wenn ihr diese Schule gesehen hättet – derart armselig! Eine Art Baracke aus Holz und Lehm mit Fenstern, deren Glas oft zerbrochen war und man sich Zeit ließ, es zu ersetzen, und die Luft zog durch die Tür. Von Beginn der kalten Jahreszeit an, die in dieser Region früh begann, musste jedes Kind jeden Tag wenigstens einen Holzscheit für den Ofen mitbringen. Ich werde euch nicht sagen, wie der Ofen funktionierte… und all der Rauch, der aus ihm hervorquoll. Am Abend mussten jeweils zwei oder drei Kinder nach dem Unterricht dableiben, um aufzuräumen, zu fegen und zu putzen.

Diese Schule bestand aus nur einer einzigen Klasse, und natürlich gab es nur einen einzigen Lehrer, der sich um die Schüler kümmerte, die alle verschiedenen Alters waren. Ich erinnere mich an ein langes Schilfrohr, dessen er sich bediente, um auf die Hände und den Kopf derjenigen zu klopfen, die unaufmerksam oder unruhig waren. Seine Methoden waren wahrlich nicht die besten. Um ein Kind zu bestrafen, ließ er es lange Zeit draußen auf dem Sand oder dem Kies mit erhobenen Armen knien. Manchmal sperrte er sie mit den Schweinen im Schweinestall ein, der nebenan war.

Zu jener Zeit konnten es manche Eltern noch schwer akzeptieren, dass ihre Kinder zur Schule gehen sollten. Sie hätten es vorgezogen, dass sie im Haus oder auf den Feldern arbeiten und dass sie sich um die Tiere kümmerten. Auch mussten die Kinder, sobald sie abends heimkamen, und während der Ferien alle möglichen Arbeiten verrichten. Die Notwendigkeit, am kollektiven Leben teilzunehmen, hatte den Vorteil, dass sie sehr früh das Bewusstsein entwickelten, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Nichts oder fast nichts schützte die Dorfbewohner vor den Launen der Natur, und keiner konnte an seine Sicherheit und an sein Wohlbefinden denken, ohne an die Sicherheit und das Wohlbefinden aller zu denken; sie waren gezwungen, einander zu helfen. Und wenn ich später immer die Arbeit und die körperlichen Anstrengungen schätzte, dann verdanke ich das diesen zurückliegenden Jahren in unserem Dorf und auch den Vorbildern in meiner Umgebung. Wie tapfer waren diese Leute! Ich erinnere mich an eine Nachbarin, deren Ehemann auch in der Fremde Arbeit gesucht hatte, und er kam noch seltener nach Hause als mein Vater. Sie beklagte sich nie, und wenn man sie fragte, antwortete sie: »Macht euch keine Sorgen, ich habe alles, was ich brauche, danke.«

Ich lebte umgeben von Zuneigung in einer warmherzigen Atmosphäre, aber mir war immer kalt, und in mir war immer eine undefinierbare Traurigkeit, zweifellos einem Aspekt von Mond und Saturn in meinem Horoskop geschuldet, und auch den Bedingungen meiner Geburt: Während der Schwangerschaft stand meine Mutter noch unter dem Schock eines tragischen Ereignisses, und ihr Kummer hatte sich auf mich übertragen. Ich erinnere mich, dass ich nicht mit den anderen Kindern spielte. Ich schaute ihnen von ferne zu, ich reihte mich nicht in ihren Reigen ein, ich sang nicht mit ihnen, und ohne ersichtlichen Grund erfasste mich plötzlich eine unmöglich zu überwindende Verzweiflung. Später lernte ich, diese Zustände zu neutralisieren, aber das war sehr schwierig. Ich musste so sehr kämpfen, dass ich nicht genau weiß, was jetzt bei mir überwiegt – die Fröhlichkeit oder die Traurigkeit. Zweifellos keins von beiden. Sagen wir, die Traurigkeit und Schwere sind für mich und die Freude und Fröhlichkeit sind für die anderen. Wenn ihr mich überraschen könntet, wenn ich allein zuhause bin, würdet ihr denjenigen vielleicht nicht wiedererkennen, der sich einige Stunden zuvor gegenüber von euch befand.

Aber auch wenn ich zu dieser Zeit ein eher schüchternes, trauriges und einsames Kind war, stellte ich Dummheiten an, wie alle Kinder es tun: Ich war ungehorsam meiner Mutter gegenüber, ich raufte mit den Jungen des Dorfes, ich stahl Früchte aus den Gärten der Nachbarn; und vor allem, da ich mir der Gefahren, die es in sich barg, nicht bewusst war, fand ich Gefallen daran, überall Feuer zu machen, wo ich etwas zum Verbrennen fand. Nun, natürlich musste meine Mutter da eingreifen. Aber sie wurde nie wütend und schlug mich nie. Sie sagte zu mir: »Folgendes wird geschehen, wenn du dies tust… Und Folgendes wird geschehen, wenn du das tust… Du hast jetzt die Wahl.« Und sie schloss oft mit diesem Satz: »Krivdina do pladnina, pravdina do veknina«, was bedeutet: »Was krumm ist, dauert nur bis zum Mittag; was gerecht und gerade ist, dauert für die Ewigkeit.« In diesem Alter berührte mich dieser Satz nicht besonders. Das Gute, das Böse, die Ewigkeit, was versteht man davon schon mit fünf oder sechs Jahren? Aber wie sehr müssen diese Worte bei mir einen Eindruck hinterlassen haben, da ich euch noch achtzig Jahre später davon erzähle! Ich wurde davon mehr geprägt, als wenn ich einige Ohrfeigen erhalten hätte, die ich manchmal verdient hätte. Und doch, auch wenn ich nicht verstand, was das Gute, das Böse und die Ewigkeit waren, berührte mich die Liebe, die meine Mutter in ihre Worte legte. Sie berührte mich so tief, dass ich oft den Tränen nahe war. Aber ich war zu stolz, um ihr zu zeigen, wie bewegt ich war.

Meine Mutter sagte mir auch: »Sobald du etwas zu erledigen hast, nimm dir alle Zeit, die nötig ist, um es von Anfang an richtig zu machen. Hab es nicht eilig. Wenn du es schnell machen willst, gewinnst du vielleicht ein paar Minuten, aber wie viel Zeit wirst du danach verlieren, um es zu reparieren!« Unglücklicherweise war ich kein geduldiges Naturell, und oft hatte ich danach Gelegenheit festzustellen, wie sehr sie Recht hatte.

Ich habe auch viele sehr gute Erinnerungen an meine Großmutter bewahrt. Wenn die Nachbarn mich beim Pflücken der Früchte von ihren Bäumen erwischten und mich vom einen Garten in den anderen verjagten, habe ich mich zu ihr geflüchtet. Sicher, sie ermutigte meine kleinen Diebstähle nicht, aber sie schützte und tröstete mich. Ich kam außer Atem und aufgeregt bei ihr an und verstand nicht, wie sie immer erriet, was geschehen sein konnte. »Aha,« sagte sie zu mir, als sie mich sah, »du hast wieder Dummheiten angestellt… – Aber woher weißt du das, Baba? – Ich sehe das in deinen Augen. Du wirst bestraft werden und deine Mutter hat Grund dazu. Aber bis dahin komm her und versteck dich hier.«

Meine Großmutter war so sanft! Niemals hat sie mich ausgeschimpft. Meine Mutter war natürlich strenger. Wenn ich Dummheiten angestellt hatte, wusste sie, wo sie mich zu suchen hatte; und ich verstand nicht, wie sie das erraten konnte. Sie nahm mich mit zurück nach Hause, und nachdem ich ausgeschimpft und bestraft worden war, kehrte ich zu meiner Großmutter zurück und ließ mich trösten. Seitdem ist daher eine Großmutter für mich immer diejenige geblieben, die ihre Enkel tröstet, nachdem ihre Eltern sie bestraft haben. »Komm, mein Kleiner, iss diesen Apfel.« Bei einer Großmutter gibt es immer Äpfel, um das Kind zu trösten. Die Großmutter umarmt das weinende Kind und sie beruhigt es… Ich werde meine Großmutter niemals vergessen und ich will sie nachahmen. Wenn ich sehe, dass eure »Eltern« – die Wesenheiten der unsichtbaren Welt – euch durchgerüttelt und korrigiert haben, gewähre ich euch bei eurer Großmutter Unterschlupf, das heißt bei mir. Auch ich habe immer Äpfel, Feigen, Pflaumen oder Nüsse für euch in Reserve…

Das Leben ist nicht grausam, aber es ist gerecht, und für jeden Irrtum, den man begeht, verhängt es eine Sanktion – auch wenn ihr nicht wisst, welchen Irrtum ihr begangen habt – und das Leben gibt euch keine Erklärungen. Ihr könnt daher jahrelang leiden, ohne zu verstehen warum. Ich hingegen verbringe meine Zeit damit, euch zu erklären, was ihr tun und lassen sollt, damit ihr nicht in die Lage kommt, Schläge einstecken zu müssen. Zieht ihr das immer in Erwägung? Das ist eine andere Frage. Ich bin daher wie eine Großmutter, die bemüht ist, eure Prüfungen zu mildern. Aber auch das, versteht ihr das?

Oft bin ich auch zu meiner Großmutter gegangen, damit sie mir Geschichten erzählt. Und worum ging es in diesen Geschichten? Um Kämpfe zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis: um gerechte und gute Könige, die von bösen und grausamen Königen angegriffen wurden, um weiße Magier, die die von schwarzen Magiern vorbereiteten Verzauberungen vereiteln und ihre Opfer befreien mussten. Was waren das für Schlachten! Alle Kräfte der Natur waren an diesen Schlachten beteiligt, und am Ende siegte immer das Gute über das Böse, das Licht siegte über die Finsternis. Ich liebte diese Geschichten sehr. Sie haben in mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Ich bin sicher, dass, wenn ich all das, was ich später in den Büchern gelernt habe, vergessen würde, würden mir für immer diese Geschichten bleiben, die mir meine Großmutter über die Kämpfe von Gut und Böse und den Sieg des Guten erzählt hat. Unter diesen Geschichten, die mir meine Großmutter erzählte, gab es auch eine, die mich trotz meines zarten Alters sehr berührte.

Es waren einmal in einem kleinen Dorf zwei in großer Zuneigung vereinte Brüder. Der eine war verheiratet und hatte Kinder, der andere war ledig geblieben. Ihr Leben war schwierig: Sie züchteten Vieh, sie bepflanzten die Erde und kamen niemals zur Ruhe. Als ihr Vater starb, teilte er sein Erbe zu gleichen Teilen auf.

Nach einiger Zeit sagte sich der Bruder, der verheiratet war: »Das ist nicht gerecht. Ich habe eine Frau und Kinder, Gott ist gut, und wenn ich krank bin, ist meine Frau an meiner Seite. Meine Kinder werden groß, und wenn ich alt sein werde, werden sie sich um mich kümmern. Mein armer Bruder hingegen ist ganz allein, wie wird er zurechtkommen? Ja, ich muss etwas für ihn tun.« Und während der Nacht stand er heimlich auf und schüttete einige Säcke Weizen in die Kornkammer seines Bruders, dann legte er sich wieder hin und schlief ruhig weiter. Aber auch der andere Bruder stellte seine Überlegungen an: »Ich bin allein, ich habe meine Ruhe, mein Bruder hingegen mit seiner ganzen Familie, welche Sorgen! All diese Kinder zu ernähren, zu erziehen… irgendetwas ist da nicht in Ordnung. Der Arme, ich muss ihm helfen.« Er geht in seine Kornkammer, füllt mehrere Säcke mit Weizen und, während er darauf achtet, nicht gesehen zu werden, geht er zum Kornspeicher seines Bruders und leert sie dort.

Welche Überraschung für die beiden Brüder am nächsten Tag, als sie entdeckten, dass ihre Weizenvorräte nicht geschrumpft waren! Jeder sagte sich: »Habe ich geträumt, habe ich diesen Weizen dorthin gebracht oder nicht?« Beide entschlossen sich, es in der folgenden Nacht zu wiederholen, aber am nächsten Tag dieselbe Feststellung: Der Weizenvorrat war der gleiche wie am Vortag. Und aufs Neue fragten sie sich: »Aber was ist geschehen? Habe ich geträumt? Ich muss nächste Nacht noch einmal beginnen…« Dies ging einige Zeit so weiter, bis sie sich eines Nachts, trotz aller Vorsicht, begegneten: »Ah, du bist das…?« »Also du bist es, der…!«Sie umarmten sich, sie weinten vor Rührung und der verheiratete Bruder sagte zu seinem ledigen Bruder: »Hör mal, es ist Platz für dich bei uns, komm und zieh bei uns ein, wir werden zusammen leben.« Und das taten sie, und sie waren sehr glücklich. Oft bat ich meine Großmutter, mir diese Geschichte zu erzählen.

Andere Mitglieder meiner Familie, sehr alte Männer und Frauen, die von großer Weisheit und großer Tiefgründigkeit waren, prägten das Kind, das ich war, ebenso stark. Manche konnten nicht einmal lesen oder schreiben, denn sie waren nie zur Schule gegangen, aber sie waren fähig, die besten Ratschläge zu geben, und ihre Worte und ihre Gesten waren derart maßvoll! Ihr Verhalten beeindruckte mich sehr; ich beobachtete sie, und wie war ich glücklich wenn sie zu Besuch kamen! Wie meine Großmutter kannten sie Geschichten, in denen sich die Kräfte des Guten und des Bösen gegenüberstanden. Und es war immer das Gute, das Licht, das den Sieg davontrug. Ich hatte nie genug von diesen Geschichten; jedes Mal wenn diese Verwandten kamen, bat ich sie, mir etwas zu erzählen, und sie taten es mit solch einer Geduld! Einer von ihnen ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Er hieß Mikhael.

Wenn ich jetzt an diese Verwandten zurückdenke, habe ich den Eindruck, dass sie dort hingestellt worden sind, um sehr früh in mir etwas Gutes, Schönes und vor allem Wahrhaftiges einzuprägen. Noch heute lebe ich in diesen Erzählungen, die sie mir so oft, wie ich wollte, wiederholten. Ich lebe diesen Kampf zwischen dem Licht und der Finsternis, den Kräften des Guten und den Kräften des Bösen, und ich weiß, dass das Gute schließlich eines Tages siegen wird: »Pravdina do veknina«, wie mir meine Mutter sagte. Von dieser Weisheit bin ich genährt worden.

Selbst wenn ein Kind noch nicht alt genug zum Verstehen ist, was gibt es Wichtigeres für es, als zu hören, dass das Licht immer über die Finsternis siegt? Das zeichnet sich in ihm auf, denn alles zeichnet sich auf. Darum empfehle ich den Eltern, wachsam zu sein: Dass sie ihre kleinen Kinder schützen, indem sie darüber wachen, dass kein Erwachsener durch seine Worte oder sein Verhalten dunkle Spuren in ihrer Seele hinterlassen kann.

Nur wenige Jahre später, in Varna, sah ich im Theater ein Stück, in dem sich das Gute und das Böse, personifiziert durch Engel und Dämonen, gegenüberstanden. An mehreren Stellen des Stückes kam ein großer Engel allein vorne auf die Bühne und sprach jedes Mal diesen einzigen Satz: »Vetschna istina, vetschna edinstina; vetschno e samo dobroto i krassotata.« Was bedeutet: »Ewige Wahrheit, ewige Einheit; ewig sind allein das Gute und die Schönheit«. Der Darsteller dieser Rolle trug ein wunderbares Kostüm mit großen Flügeln, aber das Beeindruckendste war die Art und Weise, wie er diesen Satz aussprach. Er wurde nicht laut, aber seine Stimme vibrierte mit einer solchen Intensität, dass man ergriffen war. Lange Zeit hallte dieser Satz in meinem Kopf wider, wie ein Echo von all dem, was ich als ganz kleines Kind gelernt hatte: »Vetschna istina, vetschna edinstina…«, und noch heute ergreift mich ein Schauer, wenn ich sie ausspreche. Alles, was ich euch seit Jahren in meinen Vorträgen erzähle, gründet auf dieser Gewissheit, dass allein das Gute und die Schönheit ewig sind.

Ich habe viele andere Erinnerungen an meine Großmutter bewahrt. Zu einer Zeit und in einem Land, wo Medikamente, so wie wir sie heutzutage kennen, fast nicht existierten, hat man sich mit Pflanzen beholfen. Und meine Großmutter konnte alle möglichen Krankheiten heilen. Sie war ständig damit beschäftigt, irgendwelche Heilmittel zuzubereiten. Sie ging fast jeden Tag los, um Pflanzen zu sammeln, deren Eigenschaften sie kannte. Manchmal brachte sie diese noch vor dem Sonnenaufgang zum Kochen und sprach dabei Formeln mit tiefer Stimme. Sie goss dann diesen Sud in eine Wanne, die sie zuvor mit speziell temperiertem Wasser gefüllt hatte, forderte dann den Kranken auf, sich da hineinzulegen und er stieg vollständig regeneriert wieder hinaus.

Sie bereitete auch eine Mixtur mit Essig und Knoblauch zu, die sie über Nacht hinausstellte. Manchmal sah ich sie unter einen Nussbaum gehen, mit einer Flasche Wein, in deren Flaschenhals sie einige lebendige Wurzelfasern des Baumes gab. Dann verschloss sie sorgfältig die Flasche und vergrub sie. Nach einigen Wochen grub sie diese wieder aus. Der Wein war von den Wurzelfasern aufgesaugt worden und die Flasche war mit einem schwärzlichen Saft gefüllt, den sie bestimmten Kranken zu trinken gab. Denen, welche die Gelbsucht hatten, empfahl sie, ihren eigenen Urin zu trinken, wobei natürlich gewisse Vorsichtsmaßnahmen zu berücksichtigen waren.

Sie glaubte auch sehr an die Macht der Sterne. Wenn die Nacht sternenklar war, kam es vor, dass sie einen Kranken bat, sich unter dem Sternenzelt niederzulegen, und sie setzte sich neben ihn und betete. In manchen Nächten gab sie ihre Behandlungen neben einem Bach. Sehr reines Wasser floss über kleine, weiße Kiesel, und meine Großmutter verwendete diese kleinen Kiesel, während sie rituelle Formeln aussprach.

Meine Mutter hatte von ihrer eigenen Mutter das Wissen über Pflanzen geerbt, und sie verwendete es für Tees oder Bäder, und auch sie hatte eine wahre Gabe als Heilerin. Es kam vor, dass sie ihre Hand lange auf den Solarplexus eines Kranken legte, denn so gelang es ihr, die Strömungen, die diesen Bereich des Körpers durchlaufen, zu harmonisieren, und viele Dinge im Organismus wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Manchmal konzentrierte sie sich auf den Bauchnabel. Und mit welch einer Liebe näherte sie sich dem Kranken, um ihn zu berühren und sein Übel zu lindern! Eines Tages, ich war noch sehr klein, fragte ich sie: »Mama, was machst du, um zu heilen? Was machst du mit dem Kranken?« Sie antwortete mir: »Wenn ich bei ihm bin, vergesse ich alles andere. Ich beginne damit, Gott anzurufen – seine Macht, seine Liebe –, dann lege ich meine ganze Seele hinein, damit er gesundet.« Sie sagte, dass sie schwach sei, dass allein die Liebe allmächtig sei, und dass die Liebe durch sie hindurch wirke. Sie war dann wie ein Kind, das in seiner Hand eine Schnur hielt, in der ein machtvoller Strom kreiste. Nun, das war meine Mutter, während sie behandelte: Es genügte für sie, den Faden gut festzuhalten. Während meiner Kindheit und meiner Jugend hätte ich zwanzig Mal sterben können, und es war immer sie, die mich dem Tod entriss.

Und wenn ich euch jetzt noch von all den Arzneien erzählen soll, die ich in diesem kleinen Dorf in Mazedonien in Verwendung sah, würdet ihr staunen.

Jemand hatte einen Furunkel, einen Abszess: Man nahm zum Beispiel eine sehr reife Feige, legte sie auf die betreffende Stelle und sagte zu der Wesenheit, von der man glaubte, dass sie die Ursache sei: »Komm und iss, das ist für dich.« Einen Moment später musste das Übel die Person verlassen und man musste nur noch die Feige wegwerfen.

Um Bronchitis oder Lungenentzündung zu behandeln, brachte man zwei oder drei Liter Milch mit Zitronensaft zum Gerinnen. Dann behielt man die Molke zurück und erwärmte das Geronnene, das man dann auf die Brust des Kranken strich. Auch da musste die geronnene Milch als Nahrung für Wesenheiten dienen, die verantwortlich für das Übel waren, und sobald sie gesättigt waren, verschwanden sie.

Wenn jemand an mentalen Störungen erkrankt war, glaubte man, dass er Opfer von dunklen Geistern war. Man bereitete daher ein kleines rundes Brot zu, in das man eine große Menge Honig gab. Dann ließ man Musiker kommen und lud diese boshaften Geister ein zu essen. Danach nahm man das Brot, und verließ –begleitet von Gesang und dem Aussprechen von exorzistischen Formeln – in einem Geleitzug das Dorf. Dann warf man das Brot so weit wie möglich fort. Die Geister mussten sich also über das Brot hermachen und die Person frei lassen: Man entledigte sich unerwünschter Besetzer, indem man sie woanders hinschickte. Solche Praktiken erscheinen euch gewiss sehr fremd. Aber lest die Evangelien, wo berichtet wird, dass Jesus die Dämonen, die er aus dem Körper eines Besessenen vertrieben hatte, in eine Schweineherde fahren ließ. Die Schweine stürzten sich darauf ins Meer.

Diese Praktiken, die sich sehr weit in der Zeit zurückverfolgen lassen, überdauern noch dort, wo sich eine gewisse traditionelle Medizin erhalten hat. Sie gründen sich auf gesicherte Kenntnisse. Aber die Wirksamkeit dieser Methoden hängt natürlich von den moralischen Qualitäten und der Erfahrung desjenigen ab, der sie anwendet. Ohne diese moralischen Qualitäten und diese Erfahrung riskiert der »Heiler«, selbst angegriffen zu werden.

Manche Beschwerden galten auch als von schwarzer Magie hervorgerufen, eine Art Schicksalsschlag, provoziert gegen die Person. Und da habe ich Frauen gesehen, wie sie mit einer Pinzette glühende Kohlestücke nahmen, sie in eine Schale mit reinem Wasser warfen und dabei sprachen: »So wie diese Kohle verlöscht, so mögen die schlechten Gedanken und Gefühle verlöschen, welche gegen diese oder jene Person gelenkt wurden.« Sie wiederholten die Geste und die Formel drei Mal, dann wuschen sie mit diesem Wasser die Augen der Person oder sie ließen sie einen Schluck davon trinken. Es kam auch vor, dass sie diese Methoden an sich selbst anwandten, um sich zu schützen.

Wenn jemand starb, war es der Brauch, einen Basilikumzweig auf seinen Körper zu legen, der die bösen Geister daran hindern sollte, so hieß es, in ihn einzudringen. Außerdem muss man noch wissen, dass zu dieser Zeit auf dem Balkan der Glaube an Vampire sehr verbreitet war. Ich erinnere mich, gehört zu haben, dass diese oder jene Person, die vor einiger Zeit verstorben war, zu einem Vampir wurde, und dass die Männer heimlich in der Nacht ihren Kadaver ausgruben, um ihr einen Holzpfahl ins Herz zu schlagen. Man sprach sogar von vãrkolak: Werwolf. Was das genau war, weiß ich nicht, ich war viel zu jung, um etwas von diesen Geschichten zu verstehen, und ich stellte keine Fragen. Aber ich hatte mir angewöhnt zuzuhören und alles, was um mich herum geschah, zu beobachten, und selbst wenn ich nicht viel verstand, blieb mir das, was ich sah und hörte, im Gedächtnis eingegraben.

Es ist schwierig, sich darüber zu äußern, wie die Entwicklung mancher Kinder ablaufen wird, die zunächst für ihr Alter geistig zurückgeblieben scheinen. Die Zeiträume, während derer es dem Geist gelingt, diese Wohnstätte, die für ihn der physische Körper ist, einzunehmen, variiert von Mensch zu Mensch. Es gibt Eltern, die sich sorgen, wenn sie sehen, dass ihre Kinder langsam sind im Begreifen, träumerisch und abwesend sind, und besonders wenn sie keine guten Ergebnisse in der Schule erzielen. Aber man kann sich nicht mit Gewissheit über die Entwicklung eines Kindes äußern, solange es nicht erwachsen ist, denn es kommt vor, dass plötzlich etwas ausgelöst wird und es seinen Rückstand aufholt.

Ich bin eines dieser scheinbar zurückgebliebenen Kinder gewesen. Bis zum Alter von acht Jahren lebte ich in den Wolken, ich schwebte wie außerhalb meines Körpers. Dem Anschein nach war ich eingeschlafen, nichts passierte, aber innerlich geschah sehr vieles: Die unsichtbare Welt offenbarte sich mir, mit den Wesen, die sie bevölkern, nicht nur die Engelwesen, sondern auch die Naturgeister. Meine Mutter hat mir später erzählt, dass es damals vorkam, dass ich Ereignisse ankündigte, die stattfinden würden, und alle waren erstaunt, aber ich habe daran keine Erinnerung bewahrt. Ich weiß nicht, was für eine Wirkung ich bei den Bewohnern meines Dorfes hervorgerufen haben muss, aber trotz der Dummheiten, die ich manchmal anstellte, spürte ich, dass sie mich auf besondere Art anschauten und dass sie mich gern hatten.

Es existierte damals ein sehr berührender Brauch. Am Neujahrsmorgen schickte man die kleinen Kinder aus, in den Straßen und den Häusern der Nachbarschaft ein gutes Neues Jahr zu wünschen, weil die Kinder in ihrer Unschuld und ihrer Reinheit nur gute Dinge bringen können. An diesem Morgen hielt jedes Kind einen kleinen Hartriegelzweig, an den man manchmal Bänder gebunden hatte. Sie mussten in die Häuser hineingehen und mit diesem Zweig alle Familienmitglieder berühren, dabei sollten sie gute Wünsche aussprechen, für die Gesundheit, für den Erfolg, für das Vieh, für die Ernten… Man bedankte sich, indem man den Kindern Früchte, Bonbons und Kekse gab, und darum trugen sie an diesem Morgen einen Sack, der fast so groß wie sie selbst war, um all diese Dinge da hineinlegen zu können.

Und als ich klein war, bin auch ich in die Nachbarschaft losgezogen, um ein gutes Jahr zu wünschen. Ich weiß nicht, wie die Leute darauf gekommen sind, dass ich ihnen Segen bringen könnte, aber es gab viele Familien, die meine Mutter baten, mich sehr früh am Morgen loszuschicken, vor den anderen Kindern. Dann weckte sie mich, kleidete mich an… und es war eine Qual für mich, weil ich müde war und in der Kälte und im Schnee gehen musste. Ihr solltet wissen, dass die Winter in den Bergen Mazedoniens nicht so sind wie die Winter an der Côte d'Azur! Aber ich habe es gemacht. Halb schlafend betrat ich die Häuser, um die ganze Familie mit meinem kleinen Zweig zu berühren, und ich murmelte die Worte, die meine Mutter mich auswendig lernen ließ und deren Sinn ich nicht verstand. Das war ein sehr netter Brauch.

Ja, ich glaube, ich habe einen Teil meiner Kindheit ein wenig außerhalb meines Körpers verbracht, in einer Art Wachtraum. In der Schule war ich nicht besonders aufmerksam, aber eines Tages geschah etwas Seltsames. Der Lehrer las uns aus der Bibel im Buch Genesis den Bericht von der Schöpfung der Welt vor: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde…« (Gen 1,1), und plötzlich war es wie eine Art Offenbarung. Ich muss sechs Jahre alt gewesen sein, nicht mehr, und ich verstand kaum, was dort stand, aber jedes Wort prägte sich unmittelbar so tief in mir ein, dass ich diesen Text beinahe sofort auswendig konnte. Der Lehrer, meine Eltern, alle waren verwundert. Und mit welchem Stolz wiederholte ich vor ihnen, was Gott am ersten Tag, am zweiten Tag, am dritten Tag und so fort getan hatte. Was ist geschehen, dass ich plötzlich diesen Text so leicht behalten habe? Später beeindruckte mich die Episode der Sintflut: das Verschwinden der Erde unter dem Wasser, und Noah, der sich mit seiner Familie und einem Paar jeder Tiergattung in die Arche flüchtete. Aber es bleibt trotzdem die Erzählung von der Schöpfung der Welt, die bei mir den stärksten Eindruck hinterließ. Heute kenne ich sie nicht mehr auswendig, schon lange ist das alles ausgelöscht, aber es beschäftigte mich weiterhin, ich habe es lange erforscht und darüber meditiert und es manchmal auch für euch kommentiert.3

Man könnte sagen, dass sich in der Kindheit einige kurze Momente der Erleuchtung ereigneten, und das, was man erlebt hat, erscheint dann viel später in anderer Form wieder. Genauso sollte man aus den Vorlieben und Neigungen, welche die kleinen Kinder zeigen, herauszufinden versuchen, wie das Schicksal der Menschen aussehen wird.

Meine erste präzise Erinnerung geht in etwa auf mein viertes Lebensjahr zurück: Ich sehe mich dabei, Fäden zu sammeln. Sobald ich ein Stück Schnur oder Faden sah, sammelte ich es auf. Und was machte ich damit? Nichts, ich begnügte mich damit, sie zu nehmen und irgendwo zu verstauen. Das war augenscheinlich eine recht harmlose Leidenschaft – bis zu dem Tag, an dem ich enorme Schäden anrichtete. Ich sah manchmal einer unserer Verwandten zu, wie sie an einem großen Webstuhl arbeitete. Und dann fand ich mich eines Tages allein in dem Raum, wo dieser Webstuhl stand, mit all seinen bunten, wohlaufgereihten Fäden. Ich weiß nicht, was mich ergriffen hatte, aber diese Fäden faszinierten mich derart, dass ich sie auch haben wollte. Und mit Scheren schnitt ich sie ab… Als man mich mitten in dem Haufen von Fäden entdeckte, geriet alles in große Aufregung. Ich sehe noch, wie alle hin und her liefen und ich nicht verstand, warum sie in diesen Zustand gerieten.

Woher kam dieses Bedürfnis, Fäden zu sammeln? Was sah ich in diesen Fäden? Hatte ich schon in diesem Alter die Intuition, dass von der Vegetation bis hin zu unserem physischen Körper, es Fäden sind, die das Gewebe alles Lebendigen bilden? Die Bäume mit ihren Wurzeln, ihrem Stamm, ihren Ästen und Zweigen sind nur ein Gefüge von Fäden. Desgleichen ist unser Körper zusammengesetzt aus Fasern, Netzen und Fäden: Unsere Muskeln, unsere Nerven, unsere Adern sind aus Fasern. Und die Chromosomen, die Träger der Erbanlagen, sind auch Fäden…

Es lohnt sich daher, sich mit dem Thema Fäden zu befassen. Das Fleisch, aus dem wir alle bestehen, ist ein Gewebe aus Fäden verschiedener Qualität. Der physische Körper wird krank, weil der »Weber« keinen ausreichend widerstandsfähigen Faden genommen hat, er reißt oft. Er verbindet dann die beiden Enden mit einem Knoten, aber der Faden reißt aufs Neue. Es gibt daher überall Knoten. Und wovon hängt die Widerstandsfähigkeit der Fäden ab? Von der Qualität der Gedanken und Gefühle, die der Weber in seinem Inneren nährt. Denn das Denken und das Gefühl weben auch Fäden. Das Denken geht von rechts nach links, das Gefühl geht von links nach rechts, und gemeinsam weben sie Handlungen. Die Handlungen bilden das Gewebe, und der physische Körper ist nur die Materialisation dieser Handlungen. Ja, der physische Körper ist nur ein materialisiertes Gewebe. Und je nachdem ob dieses Gewebe grob oder fein ist, fest oder fragil, kann man die mentalen und emotionalen Qualitäten des Webers erkennen.

Die Natur arbeitet mit Fäden, und die ganze Welt arbeitet auch mit Fäden. Angefangen mit unserer Kleidung bis hin zu Telefon, Radio, Computer und so weiter, alles sind ineinander verschlungene Fäden! Und was sind die menschlichen Beziehungen? Fäden, die jeder zwischen sich und den anderen spannt, und die er manchmal auch durchtrennt – was man mit Unterscheidungsvermögen tun sollte.4 Denn wenn es in der Tat gut ist, bestimmte Fäden zu spannen, so gibt es andere Fäden, die man besser durchtrennen sollte. Worin besteht die Freiheit? In der Fähigkeit zu wissen, mit wem und mit was man sich verbinden sollte, und auch von wem oder von was man sich trennen sollte. Die Kraft, die verbindet, das ist die Liebe; und diejenige, die löst, das ist die Weisheit.

Es gäbe noch so vieles über Fäden zu sagen! Was ist ein Zauberstab?5 Ein Faden, der die Welt hier unten mit der Welt oben verbindet. Und was sind die Sonnenstrahlen? Fäden, die sie bis zu uns sendet, damit wir diese Fäden jeden Tag ergreifen, um uns bis zu ihr erheben zu können.

Als ich über diese scheinbar unerklärliche Neigung nachzudenken begann, die ich als kleines Kind an diesen Fäden fand, fragte ich mich, warum ich mich nur für Fäden interessierte und nicht für Nadeln, denn Faden und Nadel gehören doch zusammen; aber nein, die Nadeln sagten mir nichts. Ich fand die Antwort, indem ich dieses Verhalten in die psychische und die spirituelle Ebene übertrug und interpretierte. Ich suchte nicht nach den Nadeln, weil die Nadeln das männliche Prinzip repräsentieren; doch dieses männliche Prinzip, dieses aktive, willensstarke Prinzip, das besaß ich. Es fehlte mir also das weibliche Prinzip, die Materie, die Fäden, um ein Webstück zu erstellen, Figuren, Bilder zu erschaffen. Und heute, nach vielen Jahren Arbeit, habe ich auch diese Fäden. Der Herr hat mir ermöglicht, sie zu finden.

In diesem Dorf in Mazedonien, wo ich meine ersten Jahre verbrachte, traten an mehreren Stellen kleine Quellen aus der Erde. Es gab da eine gleich neben unserem Haus. Seit ich sie entdeckt hatte, fühlte ich mich ständig zu ihr hingezogen. Ich war vier oder fünf Jahre alt. Durch die Reinheit, die Transparenz ihres Wassers sprach diese Quelle sicherlich zu mir und ich blieb über Stunden bei ihr. Ich betrachtete sie voller Liebe. Ich war gefesselt, fasziniert von all diesen kleinen kristallklaren Tröpfchen, die ich aus der Erde sprudeln sah. Ich konnte mich nicht davon losreißen. Ich vergaß beinahe, nachhause zurückzukehren, und wenn mich meine Mutter rief oder mich suchen kam, war ich sehr unzufrieden.

Diese Bilder vom Wasser und die damit verbundenen Empfindungen blieben in meiner Seele eingraviert. Sobald ich reines, klares Wasser sehe, ergreift mich eine undefinierbare Empfindung. Dann wünschte ich, Poet zu sein, um vom Wasser zu erzählen, von der Klarheit der Quellen, vom Gesang der Bäche und Wasserfälle, von den Regentropfen oder dem Tau auf Blättern und Blüten, besonders wenn sie von einem Sonnenstrahl getroffen werden und nacheinander Farben erscheinen, rein, wie die des Prisma. Und dann kommt man zu mir und behauptet, es gäbe keinen Beweis für die Existenz Gottes! Wenn es nur das Wasser gäbe, wäre das allein nicht schon ein unwiderlegbarer Beweis? Und wenn ich in einer Kristallschale kristallklares Wasser sehe, so scheint es mir, als hörte ich Musik…6 Dann nehme ich in Gedanken dieses Wasser, hebe es sehr hoch, höher als die Gipfel der höchsten Berge, setze es der Luft und der Sonne aus und trinke es.

Das Wasser ist eine Tochter Gottes, darum spreche ich zu ihr, ich preise sie, und sie ist glücklich. Ich weiß, dass das Wasser die Botschaften, die ich ihm anvertraue, überbringen wird. Ja, denn es ist seine Natur, empfänglich zu sein, alles prägt sich ihm ein. Es ist ein wunderbarer Bote. Oft, wenn ich vor einem See innehalte oder vor einem Fluss, einem Brunnen, oder wenn ich einen Kristall betrachte, der eine Art erstarrtes Wasser ist, spüre ich dieses Wasser wie etwas Anwesendes in mir, das noch weit über meine ersten Jahre hinausreicht. Als hätte ich in vorangegangenen Leben lange die Qualitäten des Wassers erforscht, die Kräfte des Wassers, die Bedeutung des Wassers, all das, was es im Universum repräsentiert.

Noch heute ist diese kleine Quelle meiner Kindheit bei mir, in mir, und es kommt vor, dass ich sie wie damals betrachte, mit demselben Entzücken. Es ist zweifellos eine Art Prägung, die ich damals erhielt. Mein ganzes späteres Leben verbrachte ich mit der Erinnerung an diese Quelle, ihr Bild begleitete und unterstützte mich in all meinen Prüfungen.