Axthieb - Rainer Bressler - E-Book

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Rainer Bressler

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Beschreibung

Roman als Krimi- und Gesellschafts-Satire Ein Mann wird zufällig Zeuge einer Gewalttat in seiner Familie. Als Zeuge wird er zur Hauptperson der polizeilichen Untersuchung. Er befürchtet, dass mit dem Auftauchen der Polizei zu viel aus dem familiären Umfeld ans Licht kommen könnte und Schande und Skandal sein engstes Umfeld überziehen werden. Er wird von einem kaum auszuhaltenden Gedanken-, Erinnerungs-, Bilder- und Gefühlswirbel erfasst. Er hält alles tagebuchartig fest. Daraus ergibt sich ein scharfer Einblick in die eher unter dem Deckel gehaltenen persönlichen und dynamischen Vorgänge und Widersprüche innerhalb einer nach aussen hin heilen und idyllischen Familie und Gesellschaft.

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Rainer Bressler, Jurist im Ruhestand und Schriftsteller, geboren 1945, ist Schweizer und lebt in Zürich. In den Jahren 1980 bis 1993 profilierte er sich als Hörspielautor, dessen Hörspiele von Radio DRS produziert und ausgestrahlt wurden.

Bisherige Veröffentlichungen:

7 Hörspiele:

Tom Garner und Jamie Lester; Morgenkonzert; Folgen Sie

mir, Madame; Aufruhr in Zürich; Nächst der Sonne;

Geliebter / Geliebte; Gaukler der Nacht; Beinahe-Minuten-Krimi

Produziert und ausgestrahlt in den Jahren 1979 bis 1993

Geliebter / Geliebte. 8 Hörspiele, Karpos Verlag, Loznica 2008

Privatzeug 1856 bis 2012. Versuch einer Spurensuche, 5 Bände:

Spur 1 Reisen; Spur 2 Spielen; Spur 3 Schreiben; Spur 4 Dichten; Spur 5 Weben

BoD 2012 bis 2016

Pink Champagne, satirischer Roman, BoD 2020

Schattenkämpfe, Roman, BoD 2020

Kraut & Rüben, Kurzgeschichten, BoD 2020

Reise-Impressionen, Erzählungen, BoD 2020

Fenstersturz, Krimisatire, BoD 2020

Texturen, Krimi-Satire, BoD 2020

Theaterstücke Band I bis …, BoD 2020

Gärung, Gesellschaftssatire, BoD 2020

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

The world is a comedy to those that think ; a tragedy to those that feel.

Horace Walpole (1717 – 1797), Zitat aus einem Brief an Anne Countess of Ossory vom 16. August 1776

1.

Ich öffne unsere Wohnungstüre. Mit Herzklopfen. In böser Erwartung dessen, was mich hier zuhause erwartet. Nach dem, was geschehen ist. Es ist halb Sechs am Abend. Meine Liebsten, Leslie und Lilly, sollten inzwischen seit Stunden zuhause sein. Werden sich vermutlich gleich auf mich stürzen. Über das losplätschern, was sie vom Geschehen mitten im Nachmittag mitbekamen. Mich mit Fragen löchern. Unbedingt von mir erzählt bekommen, wie es weitergegangen ist.

Der widerliche Krimi, in den wir, vor allem ich, zufällig und unschuldig hineingeraten sind, wird mir zu einem Gefängnis. Was ich an diesem Nachmittag erlebt habe, wirbelt Erinnerungs- und Gedankenfetzen von den immer gleichen, zufällig aufgeschnappten Bildern, und den daraus wild wuchernden Fantasievorstellungen in meinem Kopf herum. Das Dröhnen in meinem Kopf treibt mich in den Wahnsinn. Ich werde zum Gefangenen dessen, was das Erlebte in meinem Kopf an Fluten ungewollt auslöst.

Nicht nur bin ich von diesem nicht zu stoppenden Bilder- und Gedankensturm erfasst. Zusätzlich quält mich schrecklich bewusst, dass mein so ausgeklügelter Zeitplan aus den Fugen geraten ist. Die Folgen dieses Krimis werden in nächster Zeit meine Schritte durch meinen Alltag bestimmen. Schrecklich! Mit diesem widerlichen Krimi ist bereits heute mein gesamter Nachmittag draufgegangen. Die Folgen des Krimis werden mich noch viel Zeit kosten.

Meine Liebsten sind dabei gewesen, als das Schreckliche geschah. Einem klugen Impuls folgend, hatte ich die Geistesgegenwart gehabt, sie sogleich nachhause zu schicken. Bevor der Trubel mit Arzt, Rettung, Polizei, Bestatter und allem Trari Trara einsetzte. Beim Öffnen meiner Wohnungstüre schwant mir Schreckliches. Ich kann / darf / soll Leslie und Lilly nicht einfach abwimmeln in dieser Situation. Ich muss mich ihnen stellen. Zusätzlich zum Brodeln in meinem Innern. Null Chance, jetzt und hier in Ruhe mit mir selbst mich sammeln, auffangen und erholen zu können.

Als ob das schreckliche Familiendrama von heute Nachmittag nicht genug ist, quält mich zusätzlich ein schlechtes Gewissen. Dass ich meinen längst fälligen, immer wieder aufgeschobenen, ausgerechnet für heute Nachmittag geplanten Besuch bei Franz wegen der ausufernden Ereignisse und deren Folgen nicht hatte hinter mich bringen können. Objektiv ist egal, ob ich Franz heute, morgen oder übermorgen besuchen werde. Doch mein Gewissen ist nicht zu zähmen. Setzt meiner ausser Rand und Band geratenen inneren Verfassung noch einen oben drauf.

Vor ein paar Wochen war ich unerwartet und zufällig an einer Vernissage in der Kulturschiene wieder einmal Franz begegnet. Franz kenne ich seit Jahren. Unsere Kreise berühren sich dann und wann irgendwo zufällig. Er ist Kulturschaffender. Seine Literaturprojekte sind super und ich bewundere ihn für seine Kreativität und seine Energie. Die er in höchst anregende und mich immer ansprechende Projekte steckt. Die wiederum in der Öffentlichkeit gute Resonanz erzeugen. Entsprechend freue mich jedes Mal, wenn ich ihn sehe und mich mit ihm austauschen kann. In der Kulturschiene berichtet er mir, dass er meinem Beispiel folgend angefangen habe, einen Krimi zu schreiben. Ich hatte ihm gegenüber bei einer früheren Begegnung nebenher fallen gelassen, dass ich in meiner Freizeit einen Krimi zu schreiben gedenke. Er hatte damals grinsend hingeworfen, als Jurist könnte ich für diese Gattung Literatur bestimmt aus dem Vollen schöpfen. Bei unserer zufälligen Begegnung in der Kulturschiene fragt er mich, ob ich meinen Kriminalroman bereits beendet hätte. Was ich verneine. Er bittet mich sogleich, möglichst bald einmal spontan bei ihm vorbei zu kommen, damit wir uns bei einem Whisky übers Krimischreiben unterhalten könnten. Wo wir beide analoge Projekte hätten. Er überreicht mir sogar seine Visitenkarte. Um seinem Vorschlag Nachdruck zu verleihen.

Diese nebensächliche Krimi-Geschichte und unsere Besessenheit mit Krimis fährt mir als Ironie des Schicksals ein. Wo ich in einen tatsächlichen Krimi in Echtzeit mithineingezogen bin.

Einerlei, Franz wollte und will ich unbedingt nicht hängen lassen. Sein Interesse an meinem Schreiben schmeichelt mir. Ich nehme mir vor, ihn möglichst bald in seinem Büro aufzusuchen. Obwohl mir bewusst ist, dass ich als Schriftsteller ein Dilettant bin und ihm wenig bis nichts sagen kann, was das Schreiben eines Krimi anbelangt. In den letzten Tagen hatte ich mir mehrmals vorgenommen, jetzt endlich Franz zu besuchen. Wie es so ist, immer wieder kommt etwas dazwischen. Dann hatte sich vor wenigen Tagen gezeigt, dass ich heute, an diesem Donnerstagnachmittag – heute eben – locker Zeit haben würde, um Franz den längst fälligen Besuch abzustatten. Ich rief ihn an. Wir verabredeten uns auf zwei Uhr. Ich hatte mich echt auf den Whisky mit Franz gefreut.

Dann rief gestern Abend Mamatschi mich an und wirft mit einem ihrer notorischen Befehle, die sie, wie es ihre Art ist, in scheinbar schüchterne, süsslich vorgetragene Anfragen hüllt, meinen ach so schönen Plan über den Haufen. Der gestrige Anruf von Mamatschi hat eine bezeichnende, ihrerseits bereits ätzende Vorgeschichte.

Mittwoch vor einer Woche, also letzte Woche hatte Mamatschi, wie immer im letzten Moment, uns, Leslie, Lilly und mich, auf Ostersonntag, also letzten Sonntag, zu sich und Papa an die Vogelsangstrasse befehlen wollen. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass ich sie und Papi vor einiger Zeit bereits von unsere Reise über Ostern, inklusive Karfreitag und Ostermontag, in die Berge informiert hätte. Demnach seien wir, wie sie hätte wissen sollen, am Ostersonntag nicht verfügbar. Mamatschi lässt mich kaum ausreden. Wirft in schnippischem Tonfall hin, falls wir uns über die Osterfeiertage tatsächlich in die Berge verkröchen, sei das ein Affront ihr und dem armen Papi gegenüber. Ob wir denn überhaupt nicht wüssten, was sich gehöre. Und keinen Respekt hätten vor wertvollen Familientraditionen! Alexa, die Tochter meiner Stiefschwester Male und damit meine Nichte und die Cousine von Lilly, freue sich so sehr, Lilly endlich wieder einmal zu sehen und sei untröstlich, wenn sie Lilly am Ostersonntag nicht sehe. Zudem habe sie, Mamatschi, für ihre Lieblingsenkelin Lilly ein riesiges Ostergeschenk vorbereitet. Wenn Leslie und ich verhinderten, dass Lilly ihr Geschenk abholen komme, werde sie es eben anderweitig verschenken. Dieser letzte Satz hat ebenfalls eine Vorgeschichte, die mitschwingt und die man kennen muss, um zu verstehen, welches meine Entscheidungskriterien sind.

Mamatschi meint es nicht böse. Im Gegenteil. Man muss sie verstehen. Mir war in den letzten bald vierzig Jahren ausreichend Zeit beschert, Mamatschis Eigenheiten zu erkennen und mich wohl oder übel daran zu gewöhnen. Um das Folgende zu verstehen, muss man wissen, dass Mamatschi, obwohl wohlhabend, an Verarmungsängsten leidet. Ihr diese Ängste auszureden, ist hoffnungslos. Sie weiss alles besser. Versuche ich dennoch, mich wider besseres Wissen in Mamatschis finanzielle Angelegenheiten einzumischen, putzt sie mich ab. „Was willst ausgerechnet du junger Schnösel über Finanzen und meine Finanzen im Konkreten wissen!“ Böse Zungen, die nicht die ganze Wahrheit kennen, bezeichnen Mamatschi als geizig. Wobei man nicht umhin kommt, auf gewisse ihrer Ticks tatsächlich mit Zynismus zu reagieren. Sie inszeniert sich gerne als grosszügige Gastgeberin, die ihre Gäste so fürstlich bewirtet, dass die Bewirtung im Hause Bilgeri zum Stadtgespräch in der guten Gesellschaft, in ‚unseren‘ Kreisen wird.

Hedy, die langjährige Haushaltshilfe meiner Eltern, die immer beigezogen wird, wenn Gesellschaften gegeben werden, erzählte mir einmal grinsend und unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass sie zufällig habe beobachten können, wie die Frau Professor, die nicht bemerkt habe, beobachtet zu werden, billigsten Cognac-Verschnitt aus dem Grossmarkt in eine leere Claude Thorin Napoléon Grande Champagne Cognac-Flasche abgefüllt habe. Als die Frau Professor die Claude Thorin Napoléon Grande Champagne Cognac-Flasche gefüllt gehabt habe, habe sie an der Cognac-Verschnitt-Flasche mühsam das Etikett abgeklaubt und vernichtet. Die neutralisierte Flasche dann zu den leeren Flaschen gestellt. Als Hedy sich nach diesem Tun, bemerkbar gemacht habe, hätte die Frau Professor sie, Hedy, auf die Claude Thorin Napoléon Grande Champagne Cognac-Flasche aufmerksam gemacht. Ihr aufgetragen, zum Mokka den Cognac nicht zu vergessen und, wo erwünscht, grosszügig einzugiessen. Dann habe die Frau Professor mit aufgesetzter Trauermiene geseufzt, „Ach, meine lieben Gäste bringen uns noch zu armen Tagen! Doch in ‚unseren‘ Kreisen ist man seinen Gästen etwas schuldig und muss unbedingt Stil zeigen.“ Irritierendes, das in totalem Gegensatz zu einer anderen Seite von Mamatschi steht.

Mamatschi ist total vernarrt in unsere kleine Lilly. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass ich als Taugenichts und Leslie als Ausländerin nicht angemessen für ihr geliebtes Enkelkindchen Lilly sorgen können. Daher schenkt sie Lilly, ihren Verarmungsängste zum Trotz, zu allen Fest-, Feier- und Geburtstagen beachtliche Geldsummen, in bar. In grossen Geldscheinen. Die man im täglichen Geldverkehr kaum je zu Gesicht bekommt. Überhaupt nicht mitbekommt, dass es solche gibt. Mamatschi bewahrt immer einen Stapel solcher Geldscheine in einem Versteck zuhause auf. „Für alle Fälle, man weiss ja nie“, wie sie mit einer Selbstverständlichkeit fallen lässt, gleichsam nebenher. Falls man zufällig einmal ungewollt Zeuge wird, wie sie, die sich unbeobachtet glaubt, an ihrem Geldschein-Schatz herumblättert. Ich lobe Mamatschi jedes Mal für ihre Grosszügigkeit, wenn sie Lilly einen oder gleich mehrere solcher grosser Geldscheine stolz in die kleinen Händchen drückt. Klein-Lilly starrt diese Geldscheine in ihren Händen jeweils verständnislos an. Sie weiss, mit diesem Zeugs kann sie nicht einmal Schleckereien am Kiosk kaufen. Weil Mamatschi ihr das Zeugs in ihre Händchen gedrückt hat, weiss sie, dass sie sich höflich zu bedanken hat. Sie gibt sich als liebes Kind. Protestiert auch nicht, wenn ich ihr den Geldschein oder die Geldscheine wegnehme, mit der Bemerkung, dass ich gut darauf Acht gebe und das Geld auf ihr Sparkonto einbezahlen werde. Erst zuhause zetert Klein-Lilly los. Mamatschi sei so ungerecht. Alexa bekomme so leckere Süssigkeiten von der Confiserie Gümpli geschenkt. Während sie dieses dumme Zeugs erhalte, mit dem sie nicht einmal Kaugummi im Kiosk kaufen könne. Sie zetert, bis ich meinen Geldbeutel ziehe und ihr ein paar Geldstücke gebe. Worauf sie zufrieden abzottelt.

Ich lasse im Gespräch mit Mamatschi immer wieder wie nebenher einfliessen, dass es unvorsichtig sei, solche Geldsummen zuhause zu horten und im normalen Geldverkehr zu benutzen. Sicherheitshalber sollten solche Summen überwiesen werden. Lilly habe ein eigenes Konto auf der Bank. „Papperlapapp“, kanzelt Mamatschi mich jeweils ab, „Wie willst ausgerechnet du wissen, was richtig ist! Ich mache es so, wie ich es immer gemacht habe. Und damit basta!“

Mamatschi ist geldbesessen. Regelt die Finanzen von sich und Papi, Gibt Papi regelmässig ein äusserst knappes Taschengeld. Wenn sie stolz verkündet, wie bedürfnislos Papi lebe und mit diesem kleinen Taschengeld auskomme, nickt Papi brav. Gestand mir dann aber einmal, er kenne das geheime Geldversteck von Mamatschi. Dort könne er sich ohne ihr Wissen bedienen. Ohne schlechtes Gewissen. Insbesondere seit ihm aufgefallen sei, dass sie nicht die geringste Kontrolle über ihre Moneten in ihrem Versteck habe. Kontrolle hätte Mamatschi bloss über das Wertschriftenportfeuille und die aktuellen Aktienkurse.

Kurzum, bezüglich des von Mamatschi angekündigten Ostergeschenks für Lilly gilt es ernst. Halten wir uns nicht an die von Mamatschi diktierten Spielregeln, wird sie zweifellos so verschnupft sein, dass sie ihre Drohung wahr macht. Lillys Vorzugsbehandlung aufgibt. Und künftig, wenn der Anstand es erfordert, die Enkelchen mit Geschenken zu beglücken, für Lilly genauso wie für Alexa anstatt einem hübschen Sparbatzen bloss Süssigkeiten aus der Confiserie Gümpli springen zu lassen. Wobei selbst bei diesen Süssigkeiten nie sicher ist, ob nicht bloss die Verpackung von Gümpli stammt. Ich will unbedingt nicht, dass Lilly auf die – finanzielle – Verwöhnung durch Mamatschi verzichten muss. Mein Clinch: Osterurlaub mit meinen Lieben in den Bergen, auf den wir alle uns riesig freuen, oder Unterwerfung unter das Diktat von Mamatschi. Das ist hier die Frage. Ob‘s edler im Gemüt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen oder …

Da kommt mir in der Schnelle am Telefon mit Mamatschi die zündende Idee. Ich verspreche Mamatschi, sie gleich nach unserer Rückkehr aus den Ferien anzurufen und den Termin für einen Besuch an der Vogelsangstrasse bei ihr und Papi zu vereinbaren. Solange die Kinderchen noch Ferien haben und unter der Woche zuhause sind. Zu meinem grössten Erstaunen ist Mamatschi mit meinem Vorschlag einverstanden. Dieses Einverständnis koste sie schon sehr, sehr grosse Überwindung. Wir müssten es ihr hoch anrechnen, fügt sie in bitterem Tonfall an. Vor unserer Abreise einen Termin zu vereinbaren sei mir nicht möglich, da Leslie im Moment nicht zuhause sei und ich nicht wüsste, ob und wann Lilly in ihren Ferien Verabredungen habe. Ich verspreche Mamatschi, sie gleich nach unserer Rückkehr anzurufen. Wohl oder übel stimme sie, wie sie betont, diesem Plan schweren Herzens zu.

Vorgestern Abend sind wir aus den Bergen zurückgekehrt. Gestern um halb zwei am Nachmittag klingelt das Telefon. Mamatschi ist am Apparat. Mit eisigem Tonfall. Ich ahne, dass heute nicht gut Kirschen essen mit ihr ist. Ich mich ihren Vorstellungen widerstandslos zu fügen habe, falls ich nicht einen Streit provozieren und Mamatschis Geldgeschenk an Lilly gefährden will.

„So, so, dann seid ihr also wieder zurück aus den Bergen. Und mich alte Frau vergesst ihr. Alexa sehnt sich so sehr nach Lilly. Wenn ihr morgen um halb Drei nicht antanzt, ist es endgültig aus zwischen uns. Und seid ja pünktlich. Um Drei erwartet Susi mich zum Tee. Ich habe von euren leeren Versprechungen die Nase voll. Wenn ihr morgen nicht vorbeikommt, könnt ihr mein Ostergeschenk an mein armes Lilly-Kindchen in den Kamin schreiben!“

Es bereitet mir einige Mühe, Leslie zu überreden, dass wir Mamatschi unbedingt zu Dritt besuchen müssen. Lilly ist begeistert, unverhofft ihre so beeindruckend ältere Cousine Alexa zu treffen. Bloss mit dem Zeitpunkt meines geplanten Besuches bei Franz ist es Essig. Ich muss Franz anrufen. Ihm mitteilen, dass etwas dazwischen gekommen ist. Ob ihm anstatt, wie zuvor vereinbart, zwei auch vier Uhr passe? Franz ist unkompliziert. Er lacht, Mütter seien eben Mütter!

2.

Der heutige Besuch bei Mamatschi steht von allem Anfang an unter keinem guten Stern. Doch dass der Besuch uns mitten in einen Krimi, eine strafrechtlich relevante Handlung hineinkatapultieren würde, hätte ich mir in meinen wildesten Träumen nicht ausgemalt. Trotz des Trubels schaffe ich es, Franz etwas nach Vier kurz anzurufen. Ich bin so aufgeregt, durcheinander und verwirrt, dass ich Unzusammenhängendes zusammenstottere. Ich nehme an, dass Franz verstanden hat, dass etwas dazwischengekommen ist. Ich muss wie ein Verrückter geklungen haben. Es wurmt mich so sehr, dass ich ausgerechnet bei Franz einen solchen Idioten aus mir gemacht habe.

Das mich überrumpelnde Erlebte hat mich geschafft. Ich brauche Ruhe! Quatsch! Obacht, ich muss mich davor hüten, mich in eine super-pathetische Drama-Rolle hineinzuzwirbeln. Meine zwar vorhandene, gleichzeitig aber auch eingebildete Aufgeregtheit und mein unbewusstes, mir erst jetzt bewusst werdende, lächerliche Hecheln nach Luft sind ein erbärmliches Theater. Innerlich grinse ich. Fühle nichts. Denke, tja, tja ,tja, was das Leben einem unverhofft an überraschender Realsatire zu bescheren in der Lage ist! Dennoch, die Rolle des von den Ereignissen Überforderten ist meiner aktuellen Situation in diesem Drama durchaus angemessen. Ich kriege diese Rolle des von unerwarteten Ereignissen Überrumpelten vermutlich glaubwürdig hin. Die Wohnungstüre fällt nach diesem im Bruchteil einer Sekunde vorüberflimmernden Bilder-, Erinnerungs- und Gedanken-Sturm hinter mir ins Schloss.